210 Der Sommerfeldzug der Verbündeten in Galizien 9. Juni. General von Linsingen sah die Lage auf seinem Nordflügel einstweilen nicht als bedrohlich an. Er traute dem Gegner keine Offensiv¬ kraft mehr zu, glaubte vielmehr, daß seine heutigen Angriffe nur zur Deckung des Abzuges seiner Hauptkräfte auf Rohatyn hatten dienen sollen. In dieser Ansicht bestärkte ihn eine Fliegermeldung, nach der am Nach¬ mittag starke Kolonnen im Marsch von Vursztyn und Chodorow auf Rohatyn beobachtet worden waren. Der seit einigen Tagen immer wieder¬ kehrenden Nachricht vom Auftreten des bisher an der Front westlich von Warschau verwendeten russischen VI. Korps vor der Gruppe Szurmay scheint das Armee-Oberkommando keine besondere Bedeutung beigemesien zu haben. Von einer Fortsetzung der Offensive in südöstlicher Richtung freilich sah es ab, da keine Aussicht mehr bestand, die vor der 7. Armee zurückgehenden Russen noch südlich des Dniester abzufangen. Statt dessen wollte es nun seinen rechten Armeeflügel nach Nordosten und Norden ein¬ schwenken lassen, um ihn nach Äberschreiten des Dniester zwischen Ascie Zie- lone und Halicz gegen die inneren Flanken der russischen 9. und 11. Armee vorzuführen. Darin sprach sich ein neuer operativer Gedanke in der Verwendung der Südarmee im Rahmen der Gesamtoperation aus, der auf konzentrisches Zusammenwirken mit den Armeen des Generalobersten von Mackensen im Nordostteil Galiziens hinauslief. Hierzu wurde das Korps Gerok auf Ieziorko, das Korps Hofmann auf Slobodka und die 1. Infanterie-Division auf Vursztyn angesetzt. Die Hauptkräfte des Korps Vothmer sollten den gegenüberstehenden Feind zurückwerfen, die für eigenen Angriff zu schwache Gruppe Szurmay sich einstweilen verteidigen. Auch diese neue operative Absicht kam indessen nicht zur Durchführung. Wie General Graf von Vothmer erwartet hatte, setzte der Gegner am 9. Juni seine Vorstöße gegen den Nordflügel der Südarmee mit weit überlegenen Kräften fort. Noch vor Tagesanbruch gelang es ihm, den schwachen linken Flügel der Gruppe Szurmay — er zählte nur 2400 Gewehre — bei Medenice und Litynia zu durchbrechen und in Auflösung nach Süden und Südwesten zurückzuwerfen. General von Linsingen, der sich sogleich auf das Gefechts¬ feld begab, um durch persönliches Eingreifen eine Katastrophe zu verhüten, gewann den Eindruck, daß bei Fortsetzung des feindlichen Angriffs, an der kaum zu zweifeln war, Stryj und damit die einzige Eisenbahnstrecke, über die die Südarmee verfügte, aufs äußerste bedroht würde. Cr bat daher die ö.-u. Heeresleitung und die 2. Armee um vorübergehende Zuweisung einer Division nach Drohobycz. General der Kavallerie von Vöhm-Crmolli setzte sogleich die durch Infanterie und Artillerie verstärkte ö.°u. 4. Kavallerie- Division unter Generalmajor Verndt auf Dobrowlany in Marsch, wo sie am Nachmittage eintreffen sollte.