434 Rückblick. drängten zu einer Verlegung des Schwerpunktes nach dem Osten, um seiner Offensive eine möglichst nachhaltige Wirkung zu geben. Hier bot die Weit- räumigkeit des Kriegsschauplatzes auch noch die Möglichkeit zum Be¬ wegungskriege. Über irgendwelche sofort verwendungsbereite, nennens- werte Heeresreserven verfügte die deutsche oberste Führung zu dieser Zeit — Anfang November — nicht mehr; die Kräfte für den Osten mußten der Westfront entnommen werden. Aber war das jetzt nach den wiederholt miß- lüngenen Versuchen, eine Feldzugsentscheidung zu erreichen, überhaupt noch möglich? Mußte eine stärkere Schwächung des Westheeres nicht de» Gegner, sobald er sich von seiner augenblicklichen Erschöpfung erholt hatte, zu neuen, gewaltigen Kraftanstrengungen herausfordern und die Gefahr eines feindlichen Durchbruches heraufbeschwören? Cs war zu Anfang No- vember schwer abzuwägen, bis zu welchem Grade der Westen ohne Gefähr- dung Kräfte abgeben konnte. Irgendwelche zuverlässigen Erfahrungen standen noch nicht zur Verfügung, wenngleich dre Überlegenheit der Verteidi¬ gung gegenüber dem Angriff infolge der erhöhten Wirkung neuzeitlicher Waffen klar erkannt war. Angeklärt war auch die Frage, wie starke Kräfte nötig waren, um im Osten die Entscheidung zu erzwingen. Die Ansichten hierüber waren geteilt; während General v. Conrad noch vor kurzem 30 Divisionen gefordert hatte, hielt Generaloberst v. Hindenburg, um die von ihm geplante Offensive entscheidend zu gestalten, nur einen Bruchteil hiervon für erforderlich. Auch auf wie lange Zeit der Osten diese Kräfte beanspruchen würde, war schwer zu übersehen. In innigem Zusammenhange hiermit stand aber wiederum die Frage, innerhalb welchen Zeitraumes der gegenwärtig zweifellos erschöpfte Feind im Westen wieder so erstarken konnte, daß eine ernste Gefahr für die deutsche Front entstand. Dazu war seit dem Kriegseintritt der Türkei eine neue Sorge hinzugetreten. Zur Herstellung gesicherter Verbindung mit dem neuen, auf Unterstützung durch deutsches Kriegsmaterial angewiesenen Vundesgenosien war es erforderlich, Serbien sobald als möglich niederzuwerfen, eine Aufgabe, deren Lösung wiederum stärkere Kräfte erforderte. Vei der Fülle der einander widerstreitenden Anforderungen und an¬ gesichts der starken Spannung der Lage auf allen Kriegsschauplätzen, ins¬ besondere auf dem östlichen, war es für die Leitung des Zweifrontenkrieges in der Tat nicht leicht, eine klare Entscheidung zu treffen. In dieser Lage mußte es als das Nächstliegende erscheinen, auch jetzt wieder wie zu Anfang des Krieges das Schwergewicht der Operationen dahin zu legen, wo die unmittelbarste Gefahr drohte; das war zu diesem Zeitpunkte zweifel- los der Osten! Nach diesem Kriegsschauplatz brauchten zunächst nur so viel Truppen aus dem Westen übergeführt zu werden, als zur Erreichung des