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Im Aelde unbesiegt
Der ^Weltkrieg
in 28 Einzeldarstellungen
Herausgegeben von
Gustaf v. Dickhuth-Harrach
Genera! der Infanterie
Zweite Auflage.
31.—40. Tausend.
% î Lehmanns Derlag^ München
1921
Urheber und Verleger behalten sich alle Rechte,
insbelondere das der Übersetzung vor.
Copyright 1921, J. F. Lehmann, München.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie., Freising.
Inhalé.
Sette
Zum Geleit ............................................................. V
Die Dankessch u td. l¿o\i U)alur Flex............................... VI
Deutsche Infanterie. Dort Franz Schanwecker, im Felde zuierzt
Leutnant der Reserve im Reserve-Infanl.-Regt. Nr. ^6 ..... - i
Der L^andst reich auf Lüttich am 5.—7. Au9ust \ 9 \ Don General
der Infanterie z. D. Erich Lndendorff, damals Generalmajor nnd
Oberquartiermeister der 2. Armee.................................. 26
Die Schlacht bei Tannenberg. Von Geireralfeldmarschall paúl von
L^indenbnrg....................................................... 53
S. M. S. „Emden" i m K r e u z e r k r i e g in d e r S t r a fi c v 011 <E fu f I71 m a
und im Hafen von penan9 Don Kapitanleutnant Robert witt-
hoeft von der Admiralitat, damals wachbabender Offizier an Bord
S. M. S. „Emden" . . . .......................................... 4-2
DerDnrchbrnch der z. G a rde-In fanterie- Division na ch Brzeziny
in der Schlacht von Lodz am 23. November J9^. Don General der
Infanterie z. D Karl Litzmann, damals Kommandeur der 3. Garde-
Infanterie-Division............................................. 55
Die winterschlacht in Ma sur en im Febrnar f 9 f 5. von Major
d Res. a D. Hans von Redern, damals Hanptmann d. Rei. und
Kompa9niefuhrer im Infanterie-Re9iment Graf Barfutz Westfal.)Nr. \7 69
D er Überfall in der wüste auf die Ayesha-Lente, Mai f9l5.
Don Oberbootsmannsmaat Friedrich Pinkert. Mit einer Einleitml9
von Kapitanleutnant a. D. Hellmnth v. MLìcke, damals wachl^abender
Offizier S. M. S. „Emden"....................................... 80
Die Erodernng von Nomo Geoidi erosk, 2lu9nst f9f5. Don
General der Infanterie z. D. Gnftaf v. Dickhnth-Harrach, damals
Generalleutnant nnd Führer des Korps Dickhuth................... f02
D as k. u. k.Kârntner Infanterie-Re9i ment Graf vonKheven-
huller Nr. 7 am Monte San Michele, November *9*5. Don
Major Eduard B a r 9 e r, damals Hauptmann und Kommandant des
III. Feldbataillons dieses Re9iments . ......................... U2
Der K a ut p f um Gallipoli, \ 9 \ 5 — \ 9 \ 6. Don Marschall Otto
Liman von Sanders, damals Oberbefehlshaber der 5. Osmanischen
Armee, Kgl. Preuh. General der Kavallerre....................... U6
Gin Zeppe!in-An9riff auf En9land. von Oberleutnant z. S.''Ha^I^
von Schiller, im Kriege lvachoffiner unb Kommandant auf Marine-
luftschiffen....................................................
Die 43. Reserve-División am „Toten Mann", 2f. Mai l9l6. Don
Hauptmann Felix von Frantzius im Reichswehr-Schiitzen-Regiment
à. f8, damals Hauptmann u. Führer des III. Batís. Ref.-Inf -Reats. 20f f35
Die Seeschlacht vor bem Sfagcrraf am 3f. Mai f9f6 von Kor-
vettenkapitan Richard Foerfter von der Admiralitüt, damals Ar-
tillerie-Offizier S. M. S. „Seydlitz" ............................... f39
XV Inhalt.
Sette
Dies irae. Die Sprengung des Limonegipfels am 23. Sep-
tember *9*6. von Major d. R. Otto S e d l a r, ehem. Generalstabs-
offizier des k. u. k. **. 2lrmeekornmandos, Südrirol.......... *5<*
Schwere Batterie im Großkämpf, Frühjahr *9*7. von Oberleutnant
Rudolf Nieter, damals Batterieführer im Mörserbataillon 45 . . . *6*
Der Tod von Ypern, Herbst *9*7. von Wilhelm Schreiner ... *72
Der Adler des Weißen Meeres. Von Hauxtmann a. D. Georg
Heydemarck, damals Führer der Fliegerstaffel Drama (Vorkommando
Fliegerabteilung 30) . ........................................... *92
Die R ärntner beim Sturm auf den Polo uni? (Flitsch), Oktober
*9*7. von Major Eduard Barger, damals Hauptmann und Rom-
mandant des IV. Feldbataillons dieses Regiments................ 2*2
Der Durchbruch von Flitsch, Oktober *9*7. von k. u. k. General
der Infanterie a. D. Alfred Rrauß, damals Rommandant des k. u.
k. *. Armeekorps..................................................... 2*6
Die Armeegruppe Arras in der Tank - und Angriffsschlacht
von Lambrai im November *9*7. von Generalleutnant z. D. Otto
von Moser, damals Führer der Armeegruppe Arras...................230
„UB. 5 7" in den Gewässern um England, Februar *9*8. Von
Rorvettenkapitän Friedrich Lützow von der Admiralität, damals
Admiralftabsoffizier beim Befehlshaber der Unterseeboote der Hochsee-
streitkräfte........................................................ 238
D as Bayrische I n f a n t e r i e - L e i b - R e g i in e n t stürmt den
Remmelberg am 25. April *9*8. Von Hauptmann a. D. Bans
Freiherrn v. pranckh, damals Bataillonsführer im Bayr. Infan-
terie-Leib-Regiment...................................................253
Truppenv er bandplatz. von Dr. Hans Spatz, damals Feldhilfs-
und Bataillonsarzt im Bayr. Infanterie-Leib-Regiment ...... 26<*
Durchbruch, von Hans Caspar von Zobeltitz, Major a. D., damals
Hauptmann im Generalstab und erster Generalstabsoffizier der 227. In-
fanterie-Division ........................................................ 268
Das letzte Mal an der Front, Iuli-August *9*8. von Oberleutnanta.D.
Lothar Freiherrn v. Richthofen, damals Leutnant und Führer
der Iagdstaffel Richthofen . .........................................278
Ein Rerl von Walter Bloem, im Felde Hauptmann d. Res. und
Bataillons-Rommandeur im Grenadier-Regt. Nr. *2.......................293
Deutsche Asienkämpfer *9*8. von Generalmajor a. D. Werner
v. Frankenberg und Proschlitz, damals Oberst und Rommandeur
der Brigade Pascha II (Asienkorps)........................................ 302
D i e Ostafrikaner imweltkriege * 9 * <*— *9*8. von Generalmajor
£i.I). v. Lettow-Vorbeck, damals Rommandeur der Schutztruppe für
Deutsch-Ostafrika ..........................................................3*5
Zur großen Armee, von Franz Schau wecker, im Felde zuletzt
Leutnant d. Res. im Res.-Inf.-Regt. Nr. <*6...........................327
3um Geleit.
wirklich irdische Wesen dieses alles geleistet? Oder ist das
Ganze nur ein Märchen oder Geisterspuk gewesen — die Aus-
geburt erregter menschlicher Phantasie?"
So fragt der Generalfeldmarschall v. Hindenburg bei der Schil-
derung der Winterschlacht in Masuren; und so werden noch nach
vielen Jahrhunderten die Menschen fragen, wenn sie lesen von den
Taten der deutschen Soldaten und Matrosen in dem Riesenkampfe
des Weltkrieges.
An Luch, deutsche Männer, wendet sich in erster Reihe dieses
Buch; an Luch Kämpfer zu Lande, zu Wasser und im weiten
Luftmeer. Ihr sollt darin Luch selbst und Eure Taten wieder
finden. Die Erinnerung soll aufsteigen an die herrliche Zeit, da
Ihr noch kämpftet im festen Glauben an Deutschlands Zukunft,
in froher Zuversicht auf die Größe des Vaterlandes. Nach der
äußersten Anspannung aller Kräfte und nach der darauffolgenden
furchtbaren Enttäuschung ist eine Zeit dumpfer Ergebung in das
Schicksal gefolgt. Sie ist begreiflich, aber sie darf nicht dauern.
Die Erinnerung an all das, was Ihr selbst vollbracht habt, soll
Luch wieder hochreißen aus dieser Abspannung; soll Luch wie in
einem Spiegel zeigen, was das deutsche Volk gewesen ist, und was
es ganz gewiß wieder sein wird, wenn es den Weg zurück findet
zu sich selbst und seinem ureigensten Wesen.
Luch, Ihr Heranwachsenden Söhne des Volkes, wird Hier in
schlichten Bildern gezeigt, was Eure Väter geleistet haben an unsterb-
lichen Taten, in Leiden und Entbehren, in Kämpfen und Schmerzen,
im Ausharren ünd in heldenhaftem Sterben, fast über Menfchenmaß
hinaus. Nehmt diese Bilder auf in Eure junge Seele; sie werden
sie erfüllen 'mit scheuer Ehrfurcht, mit unauslöschlichem Dank und mit
dem kraftvollen willen, den Vätern gleich zu werden.
An Euch aber, Deutschlands Frauen und Mädchen, richtet das
Buch eine ernste Mahnung. Sorgt Ihr dafür, daß die Männer
deutsch denken und deutsch empfinden, hütet als treue priestsrinnen
die heilige Flamme der Vaterlandsliebe und des Nationalgefühls, und
setzt Euer Leben dafür ein, daß schon die Kerzen der Kinder von
dieser reinen Flamme erwärmt und erleuchtet werden.
wenn wir so zusammen leben und zusammen wirken, Männer,
Frauen und Kinder, dann wird die große Stunde kommen, in der
die Morgenröte eines neuen Tages glückverheißend emporsteigt,
und der deutsche Adler wird seine mächtigen Schwingen wieder ent-
falten, um aufs neue der Sonne entgegenzufliegen.
v. Dickhuth-Harrach.
Die Dankesschuld.
von Walter Flex,
gefallen auf Besel für Kaiser und Reich.
Ich trat vor ein Soldatengrab
und sprach zur Erde tief hinab:
„Mein stiller grauer Bruder du,
das Danken läßt uns keine Ruh'.
«Lin Volk in toter Melden Schuld
brennt tief in Dankes Ungeduld.
Daß ich die Lfand noch rühren kann,
das dank' ich dir, du stiller Mann.
wie rühr' ich sie dir xecht zum preis?
Gib Antwort, Bruder, daß ich's weiß!
willst du ein Bild von «Lrz und Stein?
willst einen grünen Lseldenhain?"
Und alsobald aus Grabes Grund
ward mir des Bruders Antwort kund:
„wir sanken hin für Deutschlands Glanz.
Blüh', Deutschland, uns als Totenkranz!
Der Bruder, der den Acker pflügt,
ist mir ein Denkmal, wohlgefügt.
Die Mutter, die ihr Rindlein hegt,
ein Blümlein überm Grab mir pflegt.
Die Büblein schlank, die Dirnlein rank
blüh'n mir als Totengärtlein Dank.
Blüh', Deutschland, überm Grabe mein
jung, stark und schön als Heldenhain!"
Aus „Walter Flex, Im Felde zwischen
Nacht und Tag" (T. kf. Beck'sche Verlags-
buchhandlung, Dskar Beck, München).
Deutsche Infanterie.
Don Franz Gchauwscksr,
im Felds zuletzt Leutnant d. iB. im Nsj.-Jns.-Ägt. Nr. 46.
(j?Xcr Draht summt. Die halbe Nacht lang summt und surrt der
/V Draht und zittert unter den Worten, die durch ihn hindurch hasten
und ihn erschüttern. Alle Geschäftszimmer und Schreibstuben kommen
in Aufregung; Befehlsempfänger schnallen um und stürzen davon,
Helm auf, Aktenmappen unterm Arm. Kraftwagen springen an,
fauchen, rasen und überholen Meldereiter, die, Rücken vornüber,
auf schweißigen Gäulen durch den Dreck der Landstraßen preschen.
Dunkle Fenster schimmern auf, Schatten bewegen sich auf dem
mattlichten Viereck verhangener Scheiben. Dumpfer Lärm rumort
in den Häusern kleiner Städte.
Lin paar Worte quirlen alles durcheinander, als gälte es das
Leben. Und es gilt das Leben. Das Leben von Tausenden, Mil-
lionen, das Leben eines Volkes und Staates.
Der Draht summt. Leise, unmerkbar leise ist das Gesurr
seines metallenen Fadens. Ruf aber und Schrei ist in dem leisen
Summen, Ruf und Schrei des Befehls, Ruf und Schrei des Vater-
landes, hörbar für Millionen.
Lebendig wird die Nacht. Dunkles Leben wandert rastlos mit
unzähligen Füßen auf breiten Straßen und schmalen wegen, über
Brücken, durch Dörfer und Wälder, zwischen Hügeln und Tälern
und an blinkenden Flüssen. Die Nacht murmelt und rollt unter den
marschierenden Füßen, viele, viele schwarze Kolonnen kriechen un-
aufhaltsam zu einem unsichtbaren Ziel in der weiten Ferne: Bri-
gaden, Regimenter, Bataillone, Kompagnien. Deutsche Infanterie
marschiert nach vorn auf das murrende Geräusch zu, das leise
herüberzittert, leise wie der summende Draht und doch Ruf und
Schrei gleich ihm. All die rastlosen Füße haben nur eine Richtung,
all die Kerzen schlagen nur einen Schlag, all die Seelen sind nur
eine Erwartung, ein Ingrimm, eine Entschlossenheit. In dem
dumpfen Trappeln der Stiefel, im leisen Geklirr der Waffen, in
dem tiefen Atem all der Leiber ist nur ein Gedanke, der alle bewegt
und vorwärts drängt: Das Vaterland, der Sieg . . .
Der düstere Fimmel über dem drohenden Knurren der Ferne
wird zuweilen von lautlosem Sprung matten Glanzes erhellt. Immer
schneller zuckt der fahle Schimmer empor, immer höher flattert er
8
Schauwecker
in die Nacht, immer Heller wird diese blasse Flamme, bis sie plötz-
lich über den ganzen Himmel springt und fliegt, ein wilder Tanz
tödlichen Lichtes. Lauter wird die Musik der Ferne: schwere Schläge
pauken, rollender Wirbel grollt, ächzender Krach dröhnt, stößt
und rüttelt die dunkle Luft, daß sie erbebt unter dem Takt der
Musik zu dem Tanz des lautlosen Lichts am Himmel.
Reiner der zahllosen Soldaten weiß, wie die Schlacht vor ihm
steht. Ihm ist nur bewußt, was die Sinne seines Körpers wahr-
nehmen. was er sieht, das allein kennt er; was er hört, nur das
weiß er; nur was er fühlt, ist ihm bewußt. Und er sieht nur die
dunkle Helmwölbung seines Vordermannes gegen den lichtflatternden
Himmel, er hört nur den anschwellenden Donner des Geschütz-
bereichs, den eignen hastigen Atem und verworrenes Getrappel
der rastlosen Beine, er fühlt nur die Sohlen seiner Füße, scheuern-
den Druck des Tornisters, kühle Nachtluft, die Wucht des Stahl-
helms, Müdigkeit und einen hungrigen Magen. Und ganz unbe-
stimmt fühlt er, daß da vorn hinter der Schwärze der Nacht etwas
Bedrohliches wartet, das ohne Gnade und Barmherzigkeit ist, mit
eisernen Kehlen brüllt und mit stählernen Klauen packt. Und doch
stockt sein Schritt nicht, zittert er nicht zurück vor dem Mahlen und
Knirschen des Triebwerks, in das er hinein soll. Über der schwarzen
Bedrohlichkeit steht ein Licht, Heller als der springende Glanz des
Todes, ruhiger als der zuckende Schimmer am Himmel. Irgendwo
wacht eine eiskalte, unerschütterliche Besonnenheit, der auch die
heimlichste Bewegung des Feindes nicht entgeht, wacht ein Hirn
und arbeitet eine Hand, die die wirrsten Fäden entwirrt und ordnet,
wacht eine unermüdliche Sorge über jedem Schritt, den er tut, und
bewahr: vor jedem Hinterhalt. Menschenleben sind kostbar; jeden
Tropfen Blutes brauchen die klopfenden Adern des Vaterlandes,
vom Leben des Einzelnen lebt das Leben des Staats. In der
Hand des Feldherrn liegt das Leben der Männer, die hier mar-
schieren, liegt das Leben des Vaterlandes in ihnen.
Der Geist jenes Feldherren über ihnen allen ist mitten unter
den vormarschierenden Regimentern. Führer von seinem Geist reiten
und marschieren in den Kolonnen, wenn die Stunde kommt, in der
der Tod unter ihnen ist, in der unter seinen kalten Augen jede Hülle
fällt und wert oder Unwert des Mannes sich offenbart, in jener
Stunde sind die Führer Flügel oder Last an den Seelen der Sol-
daten, die handeln, wie ihre Führer handeln. In tausend feinste
Verzweigungen flutet der große Strom der Verantwortung. Das
Herz des Feldherrn erfüllt er mit dem Druck der Pflicht, das Herz
des letzten Gefreiten reißt er hoch in den Minuten der Entscheidung
um Großes, wie er ist, sind seine Soldaten. Jeder weiß es . . .
So marschieren sie durch die Nacht zur Front, Hoch in die
Lüfte wird die Schlacht jeden von ihnen erheben, jedem von ihnen
Deutsche Infanterie
9
wird der Tod tief, tief in die Augen starren. Bekenne! wird der
unerbittliche Blick sagen, bekenne, was du wert bist! Jeder weiß es..
Stundenlang schleppt sich der Marsch hin. Gedanken kom-
men und gehen, wie die schattenstummen Sträucher und Bäume
am Wegrande kommen und gehen, — einer nach dem andern gleich
einer endlosen Rette, die Richtung und Halt gibt.
Manch einer ist schon seit Anfang dabei, ohne verwundet worden
zu sein, und steht jahrelang an der Front. Die Liste der mitge-
machten Gefechte in seinem Soldbuch ist seitenlang, und es sind
viele stolze, bekannte Namen darunter: Tannenberg und Gorlice-
Tarnow, die winterschlacht in der Champagne und die Loretto-
höhe, die Argonnen und plötzlich die furchtbarste aller Schlachten,
die Sommeschlacht. Der Mann hat Schwein gehabt, daß er da
überall heil durchgekommen ist, sagt der Soldat ... Gin andrer
war dreimal schon verwundet und ist jetzt zum vierten Male draußen.
Gr hat lauter „Heimatschüsse" erhalten: Fleischwunden durch Arm,
Hand und Schenkel. Gr braucht sich darauf aber gar nichts ein-
zubilden, und er tut es auch nicht. Schon sein Nebenmann ist zwar
nur zweimal verwundet worden, aber dafür hat er einmal Gasvergif-
tung gehabt und war mal für vierundzwanzig Stunden in fran-
zösischer Gefangenschaft. Der Franzose hat ihn bloß sechzehn von
den vierundzwanzig Stunden oben auf dem Grabenwall deckungs-
los im deutschen Geschützseuer liegen lassen, sich von Zeit zu Zeit
gütig von der bombensichern Sappe aus nach seinem Befinden
erkundigt und ihn, als alles ruhig war, mit herzlichem Bedauern
unverletzt wieder in den Graben gezogen, bis ihn die Deutschen im
Gegenangriff wieder befreiten, weiter ist ihm nichts geschehen, aber
daß er damals keine grauen Haare bekommen hat, wundert ihn
noch heute — nicht nur ihn allein. Lieber tot als gefangen!
Sie sprechen nicht von diesen Dingen, — sie denken nur dran.
Das genügt. Sie verscheuchen diese Gedanken und schaffen Raum
für Bilder der Erinnerung, die neben ihnen zwischen den Baum-
säulen und Strauchklumpen sich-regen.
Hier in Frankreich marschiert es sich leicht auf den harten
Runstwegen, wenn auch die Sohlen allmählich zu brennen beginnen.
Aber Rußland! Rußlands Wege waren Wege für ganz besondere
Liebhaber. Damals in den Wochen des sommerlichen Durchbruchs
von ^5- Als begänne der Erdboden sich aufzulösen, ist es. Alle
Felder schwimmen in einem zähen Brei, jeder Fußbreit Bodens ist
wie ein klammernder Saugnapf, und dazwischen überall blinkt Wasser
in trüben, gelben Lachen. Am schlimmsten aber, und Abgründe
voll Schlamm, sind die Wege. Infanterie, Artillerie, Fuhrparkkolonnen
der fliehenden Russen haben aus ihnen stillstehende Rotflüsse gemacht
und alle Geleise zu grundlosen Mulden zerfahren. Die Dorfstraßen
aber sind so dreckbesudelt und morastüberschleimt, daß Fuß und
Stiefel eine weile in der Luft zögern, ehe sie zutreten, wie auf
10
SchauweSe»
Dämmen stehen die Holzhäuser über dem braunen Sumpf der
Wege, der dick und zäh sich gleich einer klammernden Zaust über
dem Oberleder, um die Knöchel, um den halben Schaft schließt und
wenn die Tiefpunkte des Marsches kommen, die schmierigen Finger
oben in die Stiefel steckt, daß Rot und Wasser Hineinquellen und
der Fuß auf einem schlupfenden Polster geht . . .
Schweiß rinnt, durchtränkt die vier Wochen alte Wäsche und
macht sie und die Haut klebrig. Langsam läuft und tastet Ritzeln
und Jucken über die Schienbeine und steigert sich rasch zu uner-
träglichem Brennen. Der harmlose Neuling denkt, er habe sich
wundgelaufen, indes er sich wundert, daß gerade die Schienbeine
darunter leiden; der schlaue Neuling glaubt an Rrätze und Flechte;
der Erfahrene aber denkt bloß: das fehlte noch — und weiß ganz
genau, daß dies der Schweiß ist, der in den Wunden der Läusebisse
frißt wie Schwefelsäure am Eisen. Wunden? Nein, es lind keine
Wunden, die den Rnochen bloßlegen; es sind nur Hautabschürfungen,
eine dicht an der andern, ein blutiges Netzwerk, das sich allmählich
mit einer Schorfborke bekrustet, die nicht frei von Schmutz ist und
immer wieder abgekratzt wird, — eine dauernd peinigende Marsch-
qual.
Nur der Tornister geht darüber, wie etwa ein Geschütz über-
ein Gewehr geht. Regen rieselt. Decken-und Zeltbahn saugen sich
gierig voll, und der Tornister beginnt seinen Beruf zu erfüllen:
scheuern und würgen. Jeden Atemzug macht er schwerer und quetscht
mühsam die Luft wie durch eine verstopfte Röhre, wie ein Er-
schlagener hängt er über Schulter und Schlüsselbein, preßt auf
die Schulterblätter und wird schwerer und schwerer. Ist es ein
Wunder? Alle Gedanken der Heimat hängen sich an ihn, alle Sor-
gen um Frau, Rinder und Beruf stecken in seinen Fächern, Rlappen
und Taschen neben den Lichtbildern und Briefen, bis er wie eine
Lisenkugel ist. Das Gewehr hilft ihm, der Helm unterstützt ihn,
und die lehmklotzigen Dinger an den Beinen, die durchaus Stiefel
sein wollen, verstärken Druck und Eindruck.
weiter, weiter! rufen die Steine am weg. Vorwärts, vorwärts!
rufen die vorwärtsstampfenden Beine des Vordermanns. Rommt,
kommt! schreit die Front mit tausend brüllenden Eisenmäulern. ...
Ein Leutnant, kotbespritzt vom Helm bis zu den Gamaschen, läuft
an der Rompagnie lang.
„Ropf hoch, Herrschaften!" ruft er. „wir marschieren alle!
wir sehen alle aus wie die Torfschweine! Ropf hoch! wir alle
ziehen an einem Strang!"
Eilt, eilt! rufen die Lüfte: Da vorn bricht Rußland Zusammen.
Laßt es nicht hochkommen. Nur im Kampfe winkt der Sieg!
Und die Beine stampfen weiter. Der Tornister ist voll, dafür
ist der Magen leer. Aber eine Erleichterung ist das trotzdem nicht.
Ein Kochgeschirrdeckel voll Graupen und Dörrgemüse hält nicht
Deutsche Infanterie
11
lange vor, und der Körper verschluckt das Essen wie der Schlamm
die Füße: als ob nie etwas da war. Ein Blick späht über die
tanzenden Lselmspitzen nach vorn zur Spitze des Bataillons und
sucht den tröstlichen Rauch der Feldküchen.
„Die Lokomotiven sind vorn und ziehen das ganze Bataillon
wie einerl v-Zug hinter sich her," hieß es gewöhnlich beim Anblick
der Rauchballen.
Aber heute rollt dort kein Rauch voran. ... Ein rascher Blick
rückwärts.
„Donnerwetter, — heut ist dicke Luft. Heut schieben die Loko-
motiven schon das Bataillon wie einen Lastzug," hieß es, wenn die
Rüchen am Bataillonsschluß klebten.
Aber heut ist auch dort die Luft leer und nur neblig und
verregnet.
„verfluchte Zucht!" sagt einer. „Heut entgleist aber der Bulkan-
zug. fjeixt ist die Pest drin und der Eisenbahndamm aufgerissen.
Aber richtig!"
Und jeder weiß, daß die Feldküchen irgendwo in Gottes un-
endlicher Schlammwelt bis an Aschenfall und Radachsen in einem
hoffnungslosen Dreck sitzen und daß die Rüchenunteroffiziere Beschäf-
tigung bis morgen früh haben, vor morgen wird es kein Essen
geben. Schlimm, schlimm, — denn das Mittagessen ist mit Wunsch
der Kompagnie als Trost-, Glanz- und Endpunkt des Marsches
auf den Abend gelegt worden, und jetzt ist es erst drei Uhr nach-
mittags .. weiter, weiter! Hart bleiben, nicht weich werden. Dreck
ist weich! Hart, hart! Die Muskeln an den Kiefern schwellen und
werden hart, wenn man Zähne auf Zähne beißt; und wenn man
die schlappen Hände zu starken Fäusten ballt, dann wird der Wille
stark und hart — hart.
Am Wegrande hält der Bataillonskommandeur und sieht sich
seine Kompagnien an. Seit vier Stunden sind sie mit nur zwei
knappen Pausen bei diesen auspumpenden Wegeverhältnissen auf
den Beinen, und sehr frisch sehen sie nicht mehr aus. Manch er-
wartungsvoller Blick trifft ihn, und er hört ein verflogenes Wort,
das genau so wie „Marschpause" klingt. So unrecht hat dieses
Bittwort nicht, aber er kann vorläufig keine pausen einlegen. Die
Front ruft und ruft. Der Sieg winkt und winkt. Aber irgend was
muß geschehen. ... Er prescht nach vorn, daß der Schlamm spritzt
und die Soldaten fluchen.
Und mit einem Male kommt rasselnder Wirbel und Helles
6Zuieken der Knüppelmusik von vorn, wenn es auch nur Trommeln
und pfeifen sind, — die Beine straffen, die Rücken recken, die
Häupter heben sich doch, der Schlamm verliert mindestens zwei
Drittel seiner Anziehungskraft und die nebligen Gedanken werden
Heller, die schweren Herzen schlagen leichter im Takt der Musik.
12
Schauwccker
wie ein klingender Flügel über dem marschierenden Bataillon ist
die Musik, obwohl die Trommelfelle regenschlaff sind, und wenn
auch der Ouerpfeifer beim Stolpern über Schlammlöcher mit ganzen
Tönen querpfeift. . . .
Das ist ein einziges Erinnerungsbild eines einzigen Soldaten
in einem einzigen der Regimenter, die hier in Frankreich zur Front
marschieren. Tausende vor und hinter diesem einen, Offiziere, Unter-
offiziere und Soldaten, sehen ähnliche Dinge zwischen den Büschen.
Neben jedem von ihnen auf lautlosen Füßen läuft die Erinnerung
und flüstert hastige Dinge. . . .
Lin Ackerfeld in Rußland ist gewöhnlich von russischer Endlosig-
keit. wenn es ein Sturzacker ist, kommt es dem, der drüber weg
muß, noch einmal so lang und breit vor, als es ist. wenn es ein
gefrorener Sturzacker, wenn es außerdem kohlenhaufenartige Nacht
und wenn der Magen leer ist, wenn der Marsch den halben Tag
unaufhörlich gedauert und die Kompagnie schärfsten Befehl zur
Eile hat, dann erscheint der Sturzacker zehnmal so holprig und
fünfzigmal so lang, als er in der platten Wirklichkeit ist. wie eine
Erlösung vom Fimmel wirkt dann das zweitschönste Kommando
„Kompagnie — halt"! (Das Schönste heißt: „weggetreten"!) Ruhe
winkt, ein paar Augen voll schnellen Schlafs auf den eckigen Kissen
der Erdschollen. Merkwürdig nur ist es, daß das Kommando leise
abgegeben wurde. Eigentümlich ist es, daß die Kompagnieführer
zum Bataillonskommandeur befohlen werden; seltsam, sehr seltsam
ist es, daß sie nach der Rückkehr ausschwärmen lassen; aber gradezu
wahnwitzig kommt den Neulingen der Befehl zum Eingraben vor.
Aber der Erfahrene, der durch nichts im Kriege mehr zu verblüffen
ist, sucht sich seinen Platz mit derselben äußeren Ruhe, mit der er
in die nächste panjehütte zum Ausschlafen marschiert wäre. Nur ist
diese äußere Ruhe eine innere Ergebenheit in das Unvermeidbare.
Aber sie ist auch ein wortloses Zutrauen: Die es befehlen, wissen
besser, wozu es gut ist. vielleicht wäre ich einen Kilometer weitev
in das tödliche Geschoß hineingetapert. Mal müssen wir uns im
Kriege doch eingraben. Zm Dorf hinter uns ist es wahrscheinlich
warm und ruhig, aber es könnte noch wärmer werden, wenn der
Russe mit Granaten einheizt, und mit der Ruhe ist es dann auch
vorbei. Dies also ist das Beste. ... Und zugleich ist in dieser inneren
Ergebenheit die stumme, willige Fügung in die große Pflicht Aller
und in den Gedanken des Vaterlandes.
Eine wilde, schweißtriefende Arbeit stürzt sich mit Spaten und
Beilpicke auf den Acker, haut Schollen ab, zerrt und hebelt sie mit
den starren Fingern los und trägt sie zu einem kümmerlichen Erdwall
zusammen, wütende Anstrengungen, in den Boden jelber hinein-
zukommen, haben am nächsten Morgen das klägliche Ergebnis von
flachen Mulden, in denen nicht allzu groß geratene Zwerge zur Not
volle Deckung finden.
Deutsche Infanterie
18
Nächtliche Spähtrupps haben den Anmarsch starken Gegners
gemeldet, vorgeschobene Posten sichern die mühselige Plackerei des
Schanzens. wer ermattet die Arme sinken läßt, auf den stürzt sich
die Kälte wie eine Furie, umklammert ihn mit dürren, eisigen Armen,
haucht ihm ihren erstarrenden Atem in das Gesicht und bohrt und
wühlt ihm ihre heimtückischen Messer ins Fleisch. Die Soldaten
ringen gegen sie an. Hartgefrorene Stiefelsohlen klappern stampfend
gegen den brettharten Boden; Armschlagen und Händereiben sucht
stockendes Blut aufzujagen; Schaudern bis in das Mark der müden
Knochen rüttelt Kiefern, Leib und jedes Glied. Aber die Kälte läßt
nicht locker. Grimmig packen die Fäuste in den zerriebenen woll-
handschuhen den Spaten, dem das dünne Blatt schon krumm genug
geschlagen wurde, und der Kampf gegen die Unerbittlichkeit des
Bodens beginnt wieder. Dampfender Atem, klingende Spatenhiebe,
Hagel van Flüchen, Fußgestampf, Treiben und Mahnen der vor-
gesetzten und über all dem der klirrende Speer der Kälte.
Und fern, fern über flache Höhen, durch düstere Nadelwälder
schiebt sich die ungeheure Masse der Russen heran, wälzt sich die
stumpfe, formlose Siegeszuversicht der Menge und Zahl gegen die
Sittlichkeit freien Willens und den entschlossenen Geist kriegerischer
Tüchtigkeit, gegen die Siegesgewißheit des geschmeidigen, gleich
einem Bildwerk durchgeformten Kämpfers. Wenn der Russe heran
ist, dann schwindet aller Schmerz der Kälte, dann springt der Kampf-
geist empor, dann bohrt und spitzt sich der Blick über Kimme und
Korn gleich geschliffener Schärfe auf jene Schützenreihen, die Heran-
rollen wie die unendlichen wellen eines Meeres, und die zerschellen,
verschäumen und zurückfluten wie dieselben Wogen des gleichen
Meeres. . .
Weiter marschieren die Regimenter durch die Luftgebilde der
Erinnerungen. Noch erblassen diese Bilder nicht vor dem huschenden
Widerglanz des Mündungsfeuers aus zahllosen, brüllenden Ge-
schützen; noch verstummen sie nicht vor dem Toben des Trommel-
feuers vor ihnen ....
Arbeitsdienst an einer weit zurückliegenden Ausnahmestellung.
Große Spaten der Schanzzeugwagen knirschen mit wuchtigem Stoß
in kieselige Lehmerde und fressen sich mühsam hinein gleich eisernen
Kiefern und spitzen Zähnen. Aber wenn sie auch eisern sind, sie
splittern auf Stein, und hart und mühselig ist der Kamps zwischen
Tisen und Stein, widerwillig zerklafft die Erde zu Löchern, Gräben,
Schächten und Schlünden, die zu bombensicheren Unterständen aus-
gebaut werden sollen. Regen rieselt und füllt alle Tiefen und zer-
weicht sie zu Brei, in dem die Soldaten breitbeinig bis an den halben
Stiefelschaft stehen wie Baumstumpfe im Sumpf. Durch feinste Risse
dringt die schlammige Nässe in die Stiefel und verklebt die oft ge-
flickten Strümpfe zu einer Schmutzhaut. Mit grimmigem Ruck stößt
14
Schauwecker
der Spaten den zähen Lrdbrei vom Blatt, und trotzdem fällt die
Hälfte schwer zurück in das Lrdloch. . . .
Von fernem Hügelhang kommt eine lange Reihe von Soldaten.
Schwere Stämme lasten von Schulter zu Schulter. Langsam kommt
die Reihe heran, feierlich, in gemessenen Schritten, als würden die
Baumleichen zu Grabe getragen. Längslang neben dem Schützen-
graben marschieren die Baumträger auf und kippen die runden
Säulen nach Zählen von den schmerzenden Schultern. Wie eine lange
Reihe frisch aufgeworfener Gräber für Bäume sieht die Stellung
aus. Die triefnassen Soldaten gehen in regellosen Gruppen mit
finsteren Gesichtern zu der Höhe, von der dumpfe Axtschläge den Tod
eines ganzen Gehölzes verkünden.
Dies ist keine Arbeit für Infanteristen, dies ist Arbeit fürSondsr-
truppen, und es macht unwirrsch und mißwillig. Aber der Infanterist
ist so ganz nebenbei alles: Telefonist und Blinker, Artillerist und
Minenwerfer, Maschinengewehrschütze und Feuerwerker. Er hat
sein Morsealphabet im Hirn und weiß, wie eine Gasflasche behandelt
sein will, er kennt die französische Handgranate und zur -Rot, in die
er oft kommen kann, vermag er ein englisches Maschinengewehr zu
bedienen. Er muß alles sein, sonst ist er im Kampf ein Nichts, das
einfach über den Kaufen gerannt wird. Und wenn er so vielseitig
ist, warum soll er nicht auch Erdarbeiter und Bergmann sein? Er
ist ja auch Totengräber!
... Der Morgen dämmert bleich über fahlen Hügeln und
tastet nach einem Nebelrauch, der schwer auf der Gegend liegt. Die
springenden Lichtwellen der Abschüsse und Sprengungen verblassen,
aber das furchtbare Lämmern und poltern der Geschütze hört nicht
aus. Aus den Schatten der Nacht heben sich Hügel, Gehöfte, Büsche
und Decken düster, verworren und undeutlich wie Klippen, Sandbänke
und Schlickfelder aus verrollender Flut.
Das Regiment marschiert über eine dünnbewaldete Hügelwelle.
Durch die leeren Schatten zwischen den Büschen und Baumstänunen
fliegt der Blick plötzlich in eine unendliche Ferne, als stürze er haltlos
hinaus ins wagerechte. Und vor diesem einen einzigen Blick ver-
gehen alle Bilder und Gestalten der Erinnerung und fallen kraftlos
zu Boden wie Schemen und Puppen.
Ein Ruck fährt durch alle Reihen, und wir erstarren für den
Bruchteil einer Sekunde.
vor uns liegt die Schlacht. . . wir stehen dicht vor dem dröh-
nenden Tor, das in ihren ungeheuren Raum hineinführt.
Einen Augenblick zweifeln wir, ob es Nebelrauch ist, was da
unten über welligem Gelände in schweren Schwaden dahintreibt
und in dicken Klumpen und Wolkenballen sich aufreckt gleich unge-
heuren Bäumen. Dann sehen wir, daß es Granateinschläge, Brand-
wolken, Gasnebel und vereinzelte Sprengungen von Munitions-
Deutsche Infanterie
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stapeln sind. Das finstere Gefühl wächst, schießt, sinkt und wogt rast-
los, und darüber schwebt wie dünnes Gewebe ein trüber Dunst von
Lrdstaub, gelblichen Gasen, zerschlagenem Kalkstein und bläulichem
Sprengungsqualm. All diese schwerfälligen Rauchgespenster brüllen
und heulen zu uns empor. Die ganze verhüllte Landschaft ist von
dem Geräusch einer dröhnenden Maschinenhalle und einer tobenden
Volksmenge erfüllt.
Dann verschwindet die jähe Offenbarung hinter dem Laub wie
fortgelöscht, und der wütende Lärm wird um einen Schatten weniger
laut. wir beginnen den Abstieg in das Tal hinab. . . Und allmählich
nehmen all die großgewordenen Augen der Soldaten meiner Kom-
pagnie eine starrblickende Richtung an, vereinigen sich auf einen
Mann, der auf einem Pferde hoch über allen vor uns sichtbar ist,
hängen sich an ihn und betrachten ihn mit gieriger Lindringlichkeit,
als wollten sie ihm durch die Uniform in das Herz blicken. Ls ist,
als fühlte der Reiter körperlich den packenden, enthüllenden Blick
hinter ihm, denn er dreht sich auf seinem Gaul um. Die ganze
Kompagnie sieht ihrem Führer voll ins Gesicht. Sie sehen in ein
Antlitz, das lächelnd und doch ernst ist, in ein Antlitz, das noch jung
und doch fest und hart ist. Die dunklen Augen des Leutnants halten
den Blick seiner Soldaten ruhig aus und geben ihn voll und stark
zurück.
wer bist Du, daß Du uns führst? begehren die Blicke seiner
Soldaten.
wer seid ihr, daß ich mich auf euch verlassen kann? fragt der
Blick des Führers.
Stumm ringt Blick mit Blick. Mensch sucht den Menschen. Dann
dreht sich der Leutnant wieder zurück auf seinem Gaul. Als er sein
Pferd wendet und aus der Kolonne heraus neben seiner Kompagnie
reitet, ist er beruhigter.
„Line schöne Schweinerei da vorn, — was!" sagt er prüfend
und mustert die Gesichter.
„Grad genug für ne Armeeabteilung, Herr Leutnant," ant-
wortet einer vom Fleck und von der Leber weg.
„Stimmt. Was meint ihr: schaffen werden wirs doch. Oder — ?"
„wenn wir genug sind, — natürlich, wir haben's doch immer
geschafft," sagt ein anderer.
In diesem Augenblick schwillt die Luft wie eine woge unter dem
wuchtigen Fall eines Felsblocks, — so nah birst und zerklirrt die
erste, schwere Flachbahngranate.
Der Leutnant beherrscht sich und sieht sich nicht mal um nach
der Linschlagstelle. Die Soldaten wissen das richtig zu bewerten, und
das vertrauen steigt. Als das hohle heulen der Sprengstücke vor-
beigeschwirrt ist, sagt der Leutnant: „wenn die immer so schießen,
kann man hundert Jahre alt werden und kerngesund bleiben. Nur
die Ohren steif halten!" — Der Leutnant hebt seine Stimme für die
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Schau wecker
vielen Neulinge, die die Westfront noch nicht genossen haben
„Freuen tun wir uns ja alle nicht, daß wir da rein dürfen, wir
sind alle bloß Menschen. Aber als Menschen haben wir unserei
funden verstand darauf zu bekommen, und deshalb wissen
warum wir hier sind und da rein marschieren. Wenn der da vorn
uns packt und von hier bis nach Berlin mit uns geht, dann wiss
wir, wie Deutschland aussehen wird. Und wenn wir den Krieg ver-
lieren, dann wissen wir, daß er uns fünfzig Jahre lang
Krochen das Genick umdrehen wird. Müller und seine Frau leiden
darunter eben so sehr wie ich, wenn meine Frau vorläufig auch bloß
noch meine Braut ist. Lins ist die Hauptsache da vorn: Ohren steif
und den inneren Schweinehund totgeschlagen. Ihr versteht mich."
„Iawoll, Herr Leutnant," sagt ein Stimmengewirr.
Und der Leutnant weiß, daß er voran gehen muß, wenn er sich
nachher wirklich verständlich machen will, voran als erster. Und er
weiß, daß der Franzose einen verflucht scharfen Blick für Offiziere
hat und mit einem Schuß meistens zwölf Punkte schießt. Der Leut-
nant denkt an seine Frau, die vorläufig noch seine Verlobte ist, und
denkt an die Mutter und an verschiedenes andre, das alles gar
nicht mehr hierher gehört. Aber dann hält er sich selbst die Rede, die
er den Soldaten gehalten hat. Der gesunde Menschenverstand kommt.
Liserner Wille hebt die Faust; im Trotz erwacht der Kampfgeist.
Lr fühlt, fühlt, fühlt, wie in seinen Adern das Blut des Volkes
rinnt, wie in seinem Herzen heißer Herzschlag des Vaterlandes
pocht und klopft, — pocht und klopft. Was nun kommt — mag fein,
was will — das ist von jetzt ab alles selbstverständlich. Vergangen-
heit, Heimat, Angehörige, Beruf und Zukunft, es muß alles tot
sein und versinken, und es versinkt. . . .
wir marschieren weiter und treten ein durch das dröhnende
Tor in die Schlacht.
In eine waldige Hügelecke geklemmt, wälzt sich ein gelber
Drache und schwankt mit ungeheuer geblähtem Bauch schwerfällig
auf und ab, steigt langsam baumgerade empor und zieht Bündel von
Drähten und Seilen nach sich, Nerven und Adern, die ihn mit der
Lrde verbinden. Als wir einen halben Kilometer weiter sind,
schwebt der Fesselballon schon hoch in den Lüften. ... Weiter geht
der Marsch. Metallischer Klang französischer Bombengeschwader
wandert hoch über uns hinweg und stößt plötzlich auf das dumpfe
Gesurr deutscher Kampfflieger, die sich ohne weiteres zu den Fran-
zosen emporschrauben und auf sie stürzen, wie ein Schwarm von
Fliegen und Mücken sehen sie von der Lrde aus. . . wir marschieren
durch Waldstücke, vorbei an rastenden Munitionskolonnen, durch
zerschossene Dörfer, die wie graugelbe Steinhaufen uns umzingeln
und von allen Seiten finster auf uns starren aus Löchern in Dach
und Mauern, die wie lidlose, ausgestochen« Augen erscheinen.
Deutsche Infanterie
17
Fortwährend ist die Landschaft um uns ein einziger, dumpfer
Aufschrei qualmiger Sprengwolken, als schreie die Erde unter den
Fausthieben der Granaten und zucke in einer ununterbrochenen Vual.
Ab und zu schlägt ein Geschoß neben dem Wege ein, auf dem wir
marschieren, aber die weite Entfernung erlaubt keine treffsicheren
Schüsse, und das Regiment schiebt sich unbeirrbar, unaufhaltsam
weiter vor.
Die Soldaten betrachten die Formen der Einschlagswolken und
unterhalten sich leise über ihre mannigfachen Bilder. Da gibt es
eine Art, die wie ein Erdfächer ist, der mit einem dumpfknallenden
Ruck plötzlich nach beiden Seiten auseinanderzuckt. Andre erscheinen wie
dichtes Buschwerk, jene sehen dicken Baumwollknäueln oder klum-
pigen Leibern ähnlich, und diese da gleichen Springbrunnen voll
einzelner Erdbrocken, Steinblöcken, Grasfetzen. Diese letzten werden
oft von Blindgängern hochgeworfen, die wie Elefanten wuchtig ins
Erdreich prallen, Stücke reißen und brechen und sie zornig empor-
schleudern. Klirrende Trichter tanzen plötzlich auf der Erde, wie
der rasende Mittelpunkt eines Wirbelsturms: Brisanzgranaten mit
hochempfindlichen Zündern, gehüllt in einen unsichtbaren Mantel
von Splittern und Scherben. Und manchmal — und alle Augen
werden ganz groß und starr bei dem Schrecken dieses Anblicks —
birst eine furchtbare Wolke aus der Erde gleich der Baumwolke
des Vesuvausbruchs und steht blauschwarz wie ein finsterer Dämon,
die ganze Landschaft beherrschend. Lin Krach brüllt auf, als
stürbe die Erde in diesem ächzenden Schrei. Das sind die Granaten
aus den Riesengeschützen, die ihre stählerne Last in steilen Bögen
über zwanzig Kilometer weg schleudern.
Lärm der herannahenden Geschosse keucht und faucht in der
Luft. Manche kommen heran wie brausende Schiffe mit vollen
Segeln, andre keifen mit bösem Zischen über die Köpfe weg. Manche
murmeln und würgen nur ganz leise, so hoch fliegen sie, aber sie
senken sich nieder schwer wie das Schicksal und kreischen vor wü-
tender Gier, bis sie mit einem erschütternden Krach enden, daß wir
denken, die Hügel müßten zu wackeln beginnen. Und Sprengungs-
geräusche gibt es, die sind ganz leise vor Haß und Heimtücke und
ersticken tief in der Erde vor Wut wie eine heimlich geballte Faust.
„Verflucht", sagen die Soldaten. „Das war 'n Stollenbrecher."
Za, das war ein Stollenbrecher, der metertief im Boden erst
birst und die Erde umrührt wie ein riesiger (Quivi Es knirscht wie
ein zermalmendes Gebiß, wenn er seine Beute packt.
Immer weiter marschieren wir unter dem Gurgeln und heulen,
Röcheln, Winseln und pfeifen der fliegenden Granaten wie unter
den Stahlbögen eines hallenden Saales. Leben ist in diesen tönenden
Flugbahnen und Sprüngen der Unsichtbaren über uns, in diesem
tosenden Lärm um uns. Mitten durch geifernden Haß, stöhnende
Wut, krachenden Grimm, brüllenden Zorn bewegt sich das Regiments
v. D ickh u tb - H arr a ch, Im Felde unbesiegt. 2
18
Schauwecker
wie ein Schiff durch schäumende Meerflut sich vorwärts wühlt.
Ruhig marschiert das Regiment, nur die Nerven jedes Mannes
tanzen wie das Schiff auf den Wellen. Aber sie bleiben über dem
Ansturm des Lärms und der Schreckbilder, wie das Schiff über den
Wellen bleibt. Sie versinken nicht . . .
Die feindlichen Fesselballons sehen uns genau wie ein Mann
einen Zug Ameisen. — Die ersten gezielten Schüsse Hetzen uns in
eine tiefe Talsenke. Schwere Artillerie von uns steht dort, 2\cm*
Haubitzen. Wir Infanteristen freuen uns wie die Rinder über jeden
Schuß. Die Augen funkeln, der Mund lacht.
„Feste!" schreit einer. „Immer feste! Nischt wie: gib ihm!
Wenn die Trommelfelle heil bleiben, hals gar keinen Zweck gehabt.
So wars richtig."
Rrrums — wie brüllende Stiere gröhlen die eisernen Rachen-
Mächtige Stimmen! Rrrums! Gellendes Gekreisch des Geschosses,
das abfährt wie ein Blitzzug. Wir schießen auch noch. Das hebt und
stärkt, wenn sie drüben auch mehr haben als wir, aber wir schießen
auch!
Weiter, immer weiter. Dorfein- und Ausgänge verschwinden
in regelmäßigen pausen unter hämmernden Feuerüberfällen. Der
Gegner /treckt seine Arme und will sich mit den Granatfäusten
alle Verstärkungen vom Leibe halten. Zugweise jagt das Regiment
durch das lange Dorf hindurch. Ab und zu brechen die Granaten
auch mal mitten hinein ins Dorf. Ziegelwerk, Balken, Tualm, Staub
fliegen in einem irrsinnigen Ausbruch des Jähzorns hoch.
Lin großer Wald verschluckt uns. Seine grünen Tiefen Hallen
und schallen von Sprengungen. . . Am Rande des Waldes liegt
endlich das Dorf, in dem irgendein Stab liegt, bei dem das Regi-
zur weiteren Verwendung sich zu melden hat. Wir warten in
. m lärmenden Wald. Der Regimentskommandeur verschwindet
zum Dorf hin. Als er zurückkommt, erfahren wir, daß das Regi-
ment aufgeteilt wird. Mein Bataillon kommt zur Ablösung in die
Stellung drei Kilometer vor uns. Der Feind hat die schwache vor-
derste Linie schon einige Kilometer zurückgepreßt, Schritt um Schritt,
und die Soldaten da vorn haben Ablösung bitter nötig.
„An die Gewehre. . . Ohne Tritt — marsch."
wir treten aus dem Walde, und hinter uns bleiben alle andern
Waffengattungen weit, weit zurück. Jetzt beginnt das Reich des
Fußsoldaten, das Land der Unerbittlichkeit. . . . was jetzt kommt,
ist nur mit Vorsicht und fertigem Testament zu genießen . . . Dicht,
zum Greifen dicht vor jedem Manne steht von nun ab der Tod; fühl-
bar, deutlich fühlbar an jedes Herz rührt sein harter Finger und
senkt sick nicht mehr. Bekenne, wer Du bist! fordert der kalte Blick...
Line Brücke schwingt sich hart am Waldrand über einen Bach
in tiefer, Schlucht. Lin Zug beeilt sich hinüberzukommen. Kaum ist
er darüber, rast ein heulendes Geschwader heran, und zwei, vier,
Deutsche Infanterie
19
fünf, sechs Granaten kleben wie Stoßvögel mit mächtigen Schwingen
am Schluchthang. Riesige Schnäbel und Krallen hauen in die Erde...
Der Franzose sieht alles.
Jetzt sind wir dran.
„Kopf hoch — Kaisermanöver! Das ist bloß der Anfang!"
schreit mein Nebenmann. Ich kenne ihn gut: ein und ein halb Jahr
Dienstzeit bei Kriegsausbruch, jetzt drei und ein halb Jahre Kriegs-
dienst, macht fünf Jahre Soldat; zweimal verwundet, eine Frau
und ein Kind, Geschäft in die Brüche; — einer von vielen. Vater-
land! Los!
hinter uns saust eine Lage in den Wald, und wir sausen über
die Brücke. Der dritte Zug folgt, während wir uns drüben am
Hügelhang sammeln, setzt sich eine schwere Granate wuchtig und
schwerfällig aus die Brücke wie ein Riese auf einen Puppenstuhl.
Mumm . . . Qualmwolke, Balken, Splitter. Das Gebälk ist Gesetz.
Lin Offizier des abzulösenden Regiments ist drüben, zeigt auf
einer Karte den weg und macht an den Stellen, die unter Sperrfeuer
oder Feuerüberfällen liegen, verheißungsvolle Grabkreuze.
„Sechs Erbbegräbnisse hat er gemalt," sagt einer.
wir werden bis nach vorn viel Nerven- und Seelenkrafte,
brauchen und verbrauchen. Humor, grimmigster Galgenhumor,
völlige Gedankenlosigkeit, starre Ergebung und dazwischen wie
funkelnde Blitze: das Vaterland, der Sieg. wem dieser Blitz nicht
strahlt und den weg hellt, der verirrt sich in Nacht und Nebel.
wir treten an. . .
In breiter Rtulde auf unserm unerbittlichen Wege liegt ein
düsteres Ungeheuer und atmet mit schwerwogenden, zuckenden
Flanken, mit rauchendem Stoß und qualmigem Hauch des Atems und
brüllt rastlos, unaufhörlich mit einer rasenden Gier des Hq^-er
Das Sperrfeuer!
Niemand sagt ein Wort. Stumm geht der Bataillonskomman-
deur voran, und wir folgen. Das tobende Wesen quer über der
ganzen Breite der Rtulde erwartet uns. Alle Gedanken verwehen
wie ein Blatt im Sturm, wir stürzen drauf los, der krachende Strudel
tut einen Satz und verschlingt uns.
Glühender Atemstoß, fjieb des Luftdrucks, blasse Feuerbüschel,
stickender Qualm und eine betäubende Dämmerung von Erdstaub
und Rauch rollt über uns weg und zersetzt die Nacht unsrer Ge-
danken. Die Luft zerreißt unter Splittern und einem Gekrach, das
schartig ist wie zerbrochenes Eisen und tausend Töne hat, vom
Gebell zerklirrender Scheiben bis zum Dröhnen fallender Fels-
blöcke und stürzender Bäume.
wir tauchen auf aus dem Urwald von Tönen und Farben,
Loitze, Schatten und wirbelnden Kreisen, und wir ordnen uns müh-
sam mit verworrenen Gedanken. Sechs Soldaten meiner Kom-
pagnie, der Bataillonsadjutant und noch einige fehlen. Sie liegen
20
Lchauwecker
begraben in dem kreisenden Bauch des Sperrfeuers, das sie gepackt
und zerrissen hat.
wir warten wieder, bis der Bataillonskommandeur die Ver-
teilung der Rompagnien bringt. Nach vier Richtungen, strahlig nach
vorn wandern die Rompagnien auseinander. Der Blick sucht nach
den feindlichen Fesselballons, ob sie uns wohl hier sehen können.
Reine Sorge. Sie haben uns schon längst gesehen, und sie beweisen
uns das deutlich und laut. Lin Hagel von Granaten, durchsetzt mit
Schrapnells, ergießt sich plötzlich über das ganze Anmarschgelände
des Bataillons gleich suchenden Fühlern und zuckenden Tastern
eines unsichtbaren Ungeheuers der Ferne. . . Linen Mann seh
ich, der plötzlich vor einer flatternden Wolke steht, die kleiner als
alle andern rasch wie eine schlagende Tatze über den Boden kratzt.
Lr wird ganz steif und lang und fällt um wie ein Brett. Rechts vor
mir fluchl und lacht ein Leichtverwundeter, und vor mir sinkt einer
hinkend ins Rnie und stöhnt, stöhnt wie ein in versteckter Falle ge-
fangenes Tier. Ich laufe vorbei und sehe noch, wie er zu einem Ge-
büsch kriecht, weiter — weiter!
In unsrer vorgeschriebenen Ausnahmestellung versuchen wir
in den kalkigen Boden hineinzukommen. Der Stein aber stößt uns
von sich. Nur notdürftigste Deckung ist ihm in keuchender Arbeit ab-
zutrotzen. Jede Bodenfalte wird ausgenutzt. In tiefer Gliederung,
möglichst unübersichtlich, liegen wir und gleichen einem federnden
Polster, das jeden Stoß fängt und zurückstößt. Links neben mir, am
Rande eines hohen, gelben Rornfeldes, klopft und hämmert es:
ein Maschinengewehr von uns wird eingebaut.
Geschützfeuer verschont uns noch. Flieger haben sich den Schaden
noch nicht aus der Nähe besehen, weiter rechts von uns geschieht
etwas Seltsames. Dort liegt ein kleegrüner Hügel. plötzlich fällt ein
Gewitterhimmel von Granatwolken auf ihn hernieder und verhüllt
sein Grün unter grauen und schwarzen Rlumpen. Nach einer Viertel-
stunde taucht er wieder hoch, aber — was ist das? Ist Schnee aus
jenen donnernden Wolken auf ihn gefallen? Lr ist weiß, nur wenige
grüne Lappen unterbrechen die helle Farbe. Nein, es hat nicht ge-
schneit, nur die Granaten haben die Lrde fortgerissen und den Ralk-
stein bloßgelegt. Lbensogut hätten wir dort gelegen haben können...
Am Nachmittage knattert Maschinengewehrfeuer vor uns auf.
Leuchtkugeln zeichnen kaum sichtbare, rote Linien in die JQellc des
Tages. Leuchtkugeln: das stumme, inbrünstig steigende Flehen des
bedrängten Fußsoldaten um Hilfe der Geschütze, um Sperr- oder
Vernichtungsfeuer. . . Lauter gellen die Rnalle vor uns. Line
Begleitbatterie erscheint neben einem Hügel und rast — Frechheit
und Tatsache! — mit lebendigen Pferden weithin sichtbar über den
kahlen Hügelkamm. Auf ihre Spuren senkt die feindliche Artillerie
ihre dröhnendsten Flüche und ballt ein halbes Dutzend Granatfäuste
Deutsche Infanterie
21
hinter ihr. Aber die Batterie istzdurch! Freute noch sind mir die leben-
digen Pferde ein Rätsel, denn aus Pappe waren sie bestimmt nicht.
Allmählich kommt unsere vorderste Linie zurück und geht durch
unsre Reihen hindurch. Blasse, schmutzüberkrustete Gesichter, ge-
preßte Lippen, schweigende Blicke. Freut euch! sagen diese leeren
Augen, wir haben unsre Pflicht getan. Diese Soldaten sind unbrauch-
bar. Ihre Nerven hängen locker, ihre Rampfsittlichkeit zerläuft,
Sie haben dem Vaterland gegeben, was des Vaterlandes ist: fünfzehn
Mann zählt die Kompagnie und zählte vor drei Tagen noch sechzig!
Sie sind vorbei, und nun bilden wir die eiserne Grenze Deutsch-
lands. was jetzt kommt, ist der Feind und in ihm der Wille zur Ver-
nichtung. Wille gegen Wille, Vernichtung gegen Vernichtung. Ts
gibt nur eins: siegen, — nicht durchhalten, wie das ängstliche
Rennwort der Regierung heißt.
Und dann flackert es hier auf und dort, andern Grts und vor
uns, und plötzlich ist überall ein Rnattern und packen, Rnatlen, Läm-
mern und Rattern und springt von den Hügeln zurück und rast im
Widerhall zwischen den schallenden Tälern und Senkungen. Der
Franzose ist an uns geraten . . .
Da steht der Krieg. Ich sehe ihn genau: riesig, düster und plump
ragt er über die Wälder und schwenkt seine klirrenden Waffen und
stampft über die Landschaft mit drohender Glut und schwerem Rauch
der Fackel. Blitz ist sein Blick, Donner ist seine Stimme, Tod und Ver-
nichtung ist im Tritt seiner klotzigen Füße. Neben ihm aber wandelt
ein andrer — und ich vergesse ihn nie — strahlend, groß, mit glän-
zendem Antlitz, neben ihm wandelt ein andrer, der hat schneeweiße
Schwingen und breitet sie über uns allen, weit, weit über Millionen:
der Schutzgeist des Vaterlandes. . .
Reiner der Soldaten weiß, wie die Schlacht steht, was links
und rechts von ihm vor sich geht; nur an dem mächtigen Bogen der
Fesselballons kann er ungefähr den Lauf der vordersten Linie fest-
stellen. Nur eins wissen wir alle: diese Linie muß gehalten werden
und auf jeden aufgefangenen Angriff muß der Stoß unsres Gegen-
angriffs stoßen. Bricht der Pfeil des Ansturms durch unsre Linie
hindurch, dann können die Folgen unabsehbar sein, wie der Eindrang
eines Giftpfeils in einen gesunden Leib.
Über unsern Häuptern klingt Haßlied und Todesgesang der
Gewehrgeschosse. Manche zwitschern wie lustige Schwalben, als
wollten sie uns locken, einige zischen wie zwischen giftigen Zähnen,
andre surren wie schwirrende Metallbänder, diese fauchen wie sto-
ßende Schlangen, urtS jene überschlagen sich am Gehälm und trillern
und schnarren vor Ingrimm. Wir heben Kopf und Brust hinein in
den wegfegenden Regen der kupfernen Tropfen. Schußfeld geht
vor Deckung! Wenn wir das Leben nicht wagen, gewinnen wir Tod
oder Gefangenschaft. Dann ist unsre Reihe krachendes Leben, rüttelt
an den Nerven des Feindes und duckt ihn nieder in tatlose Deckung.
22
Schauwecker
Neue ? stößt auf uns hernieder. Starre Flügel, gierige Augen,
klingendes Schwirren rast heran und herab: Infanterieflieger des
Feindes. Sie sausen unsre Linie entlang, zeichnen, schießen und
werfen Bomben auf unsre schutzlosen Leiber. Und sie bringen das
Artilleriefeuer, das uns, die wir hier durch Befehl und durch Selbst-
zwang unverrückbar festgebannt liegen, gnadenlos fassen und in die
wuchtigen Arme nehmen kann. Das Selbstverständliche geschieht:
die Artillerie fingert nach uns und schlägt auf uns los. . . . Unbeug-
samer Wille zur Vernichtung ist drüben, unbeirrbarer Wille zum
Sieg sieht nur das eine Ziel, geht, rennt, springt und kriecht darauf
los. Jedes Mittel ist ihm recht, wenn es zmn Siege führt. Und bei
uns, bei unsrer Regierung?
Ich blicke die Reihen entlang und sehe den Leutnant, den Führer
unsrer Kompagnie. Und wie mein Blick ihn faßt, da wird lein Gesicht
plötzlich schlaff, der knieende Leib sinkt ein wenig und wird kleiner.
Line heftige Bewegung der Meldeläufer ist um ihn.
„Sanitäter!" schreit jemand.
Ich krieche zu dem Leutnant; er hat sich zuweilen sehr kamerad-
schaftlich mit mir unterhalten. Lr ist sehr blaß und still, der Atem
rollt schwer und eintönig und schwingt wie der Pendel einer ab-
laufenden Uhr. Als er mich ansieht, lächelt er ein bißchen und zwingt
die bsand empor in die Brusttasche.
„Mffizierstellvertreter" — er nennt den Namen — „übernimmt
die Kompagnie. Ich bin fertig," sagt er leise, aber deutlich.
Dann reicht er mir seine Brieftasche.
„Da sind zwei Bilder drin," flüstert er. „Legen Sie beide bitte
neben mich. . . Zwei Bilder. . ."
Und ich finde die zwei Bilder: eine grauhaarige Frau, der die
Augen munter im Kopf blitzen, und ein junges Mädchen, deren lose
gesteckte Lsaare wie lauter blondes Licht um das schmale, lächelnde
Antlitz flimmern. Seine Mutter die eine, die andre seine Verlobte.
Sie wird nie seine Frau werden. Sorgsam lege ich beide Bilder
neben ihn an den Rand des Granattrichters, in dem er liegt, so daß
er, ohne den Kopf zu drehen, die beiden Bilder vor sich hat. Jetzt
ist die Pflicht getan bis zum Ende, jetzt gibt es keine Kompagnie,
keine Uniform, keinen Krieg mehr für ihn, jetzt kann er an sich denken
und sich etwas Gutes antun und Mensch sein, — für wenige Minuten,
zum letzten Mal. Und da liegt er und starrt aus bleichem Antlitz mit
Augen, die immer starrer werden, auf die beiden lächelnden Häupter
vor ihm. Seine Soldaten sehen ihn zuweilen mit scheuen Seiten-
blicken an ... . Lr starrt und starrt. Und das Antlitz der Mutter
und das blühende Gesicht des jungen Mädchens 'eben, neigen
sich über ihn und erfüllen und verhüllen ihm die ganze Welt aus
Dreck, Schweiß und Blut. Immer verzichtender wird sein Atem,
immer tiefer und verhangener sein Blick, lächelnder das schmerzliche
Deutsche Infanterie
23
Antlitz, und dann hat er seine große Pflicht für sein Vaterland getan
und ist zu Hause und im Frieden...
Andre sterben neben ihm. vor einem Granateinschlag springt
ein Soldat rückwärts und setzt sich hin wie auf einen Stuhl. Da liegt
er, lacht und hält mit den Zähnen noch die Fetzen einer Zigarre. Lin
armlanges Sprcngstück hat ihm den Bauch zerschlagen und nicht
einmal zum verzerren des Gesichts Zeit gelassen, Hart nebeneinander
stehen Tod und Leben; keines Grashalmes Breite trennt sie. Auf
fremdem Boden fallen sie, und auch das fremde Land nimmt sie weich
in die Mutterarme der Erde.
verwundete schreien und machen alle um sich her erregt und
unruhig. Einige liegen ganz still und ergeben wie der sterbende
Leutnant; andre wollen nicht sterben, müssen es doch und kämpfen
mit ihren letzten, armseligen Kräften gegen den Tod, mit Hand-
zuckung und Blich vor allem aber mit Keuchen, Röcheln und
Schreien. Das trifft die Nerven derer, die es sehen und hören, wie
Sporenstiche und Peitschenhiebe ein Pferd treffen. Die Nerven
springen, bäumen sich, toben gegen die Marter, der sie nicht ent-
gehen können, ahnen gleiches Schicksal, bis Gewöhnung sie beruhigt,
bis der stürmende Feind sie ablenkt, neue Schrecken sie rütteln und
bis die Kampfsittlichkeit sie wieder in ihre festen Zügel bekommt.
Fester sehen die Augen dem neuen Angriff entgegen. Das Blei zischt
aus dem Lauf, der Ansturm wird abgeschlagen, und im Gegenangriff
wird die Stellung gefestigt und behauptet. . . .
Als am Abend eins erschöpfte Kampfpause sich zwischen Freund
und Feind legt und die Kompagnie zur Besinnung kommen kann,
springt plötzlich ein kleiner Soldat hinter einem Busch hoch und schreit,
als gälte es das Leben: „Das war der Schluß der Vorstellung.
Sollte es den Herrschaften gefallen haben, so —"
wumm — brüllt ihn eine Granate an und baut sich dreißig
Schritte entfernt herausfordernd neben ihn. Mit einem Satz ist der
Kompagniekaspar im Boden verschwunden. Aber ehe die Kameraden
wieder ernst geworden sind, ist er schon wieder da, ganz wie es ihm
zukommt.
„Umstände, deren ich leider nicht Meister bin, zwingen mich — "
pack . . . pack. . . pack . . . pack hackt ein Maschinengewehr
giftig nach ihm hinüber. Im ersten Knall wird er unsichtbar . . .
Die Gegensätze splittern draußen aneinander wie Tod und
Leben, wie Granate und Erde, wie Schlacht und Sommertag. Und
in manchem Gegensatz liegt rettende Erleichterung vor dem Über-
druck der Lasten auf uns da draußen.
Dann aber packt uns eine jener fortreißenden Überraschungen,
wie sie der Krieg schafft. Rechts von uns beginnt plötzlich die unsicht-
bare Ferne hinter blauen Wäldern und Höhen zu brodeln, rollen und
dröhnen. Immer lauter schwillt das tiefe Drohen und Zürnen
herüber gleich dem Knurren und Grollen eines gereizten Löwen,
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Schauwecker
der sich erhebt und zum Sprunge bereit macht. Unaufhörlich haut
'¿lieb in Hieb, Krad? in Knall, Abschuß in Einschlag. Immer wir-
belnder, rollender wird der Donner, bis mit einem Mal einer von
uns den Spaten tief in die Erde rennt, lauscht und sagt: „Wenn das
nicht Trommelfeuer ist und wenn wir da nicht diejenigen find,
welche . . . dann weiß ichs auch nicht. Ich grab keinen Stich mehr.
Ich spar meine Kraft."
Und wir alle Haben das Gefühl: dort prallt Großangriff gegen
Großangriff, dort ist der Franzose zu Boden geschlagen, und dort
packen wir ihn. Der Soldat hat ein feines, untrügbares Gefühl
für die Dinge des Krieges.
Näher und näher wandert das tobende Gedonner; Kilometer
um Kilometer ergreift es, Meile um Meile springt es weiter wie
Waldbrand im Geäst. Jetzt ist es dicht heran. Das ist kein Späh-
unternehmen und kein Gefecht mehr, —- nein, nein, das ist Schlacht
und Großangriff, Sturmgesang des Sieges, Vorsturm des Vater-
landes. Zwanzig, dreißig Kilometer Front recken sich dort empor in
einem glühenden Atem gesteigertsten Gebens, Hunderttausende von
Augen starren nur auf den Feind, auf ihn allein, hunderttausend
Willen und Herzen schlagen nur in einem Gefühl: Sieg.
Und dann springt die Flamme des Angriffs in unsre Herzen.
Über uns schreit es auf wie in befreitem Grimm und jauchzendem
Zorn. Nicht zehn und zwanzig Granaten rauschen über uns weg,
— Hunderte find plötzlich in den Lüften. Immer neue folgen, rastlos,
ununterbrochen, Bahnbrecher des Sturms, eiserne Götter des Siegs.
„Endlich!" schreit eine aufatmende Stimme neben mir. Es ist
der Mann, der vorhin zuerst mit Schanzen aufgehört hat. Er zeigt
nach oben zu den unsichtbar brausenden Schwingen des Stahls.
„Die beenden den Krieg!" fügt er hinzu. „Die und wir hier!"
Und dann mit einem Blick auf den verdreckten Spaten: „Ein Segen,
daß die elende Buddelei aufhört."
Befehle kommen von rückwärts, Munition wird geschleppt,
eiserne Portionen werden verteilt. . . vor uns rast das Tualm-
gewitter über die Stellungen des Feindes und zerschlägt seine Gräben
und Sappen, vergast seine Geschützstellungen und zertrümmert
Nerven und Kampfsittlichkeit. Dann springt das Artilleriefeuer
plötzlich empor, wirft sich mit mächtigem Satz und Prankenschlag
voran in das Gelände und stürzt sich auf alle heimtückereien der
Maschinengewehrnester. Feuerwalze heißt dies zermalmende Man-
dern der Granaten. Zeichen und Führer zum Angriff ist es.
Wir erheben uns groß und breit und gehen dem bahnbrechenden
Granatfeuer nach rasch auf die Stellungen des Feindes los. Letzte
Zuckungen des Widerstandes, wütende Krämpfe der Verteidigung
werden im ersten Anlauf erstickt und überrannt. Ein Schwarm ver-
störter Gefangener bleibt ratlos, verwirrt, angstvoll, betäubt hinter
uns Über alle Hindernisse und hinterhälte dringen unsre Reihen
Deutsche Infanterie
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vor. versteckte Widerstandsnester plötzlich losschnatternder Maschinen-
gewehre werden von Stoßtrupps umklammert wie von kräftigen
Armen und schnell niedergerungen wie von entschlossen packenden
Fäusten, die zu fassen und zu zerbrechen wissen.
Dann ergießt sich auf dreißig und mehr Kilometer Front-
breite eine wegschwemmende Flut deutschen Volkstums, unbeug-
samen Siegwillens, freudiger SiegesgewißheiL in feindliches Volks-
tum, in gebrochenen Siegwillen, in zusammenbrechenden Miderstand.
Im Rausch des Angriffs fällt alles Kleinelend ab von den Kerzen
derer, die im zermürbenden Stumpfsinn des Grabenkrieges, unter
dem Schutthaufen kleinlicher Entbehrungen, mühseliger Erdwühle-
reien und erfolglosen jdendelns der festen Kämpfe zu ersticken
drohten. Die betäubende Keulenhaftigkeit des Stellungskrieges ist
Zu Ende, und aus der Scheide fährt die im Angriff blitzende Schärfe
des Schwertes. . .
Der Handstreich auf Lüttich
am 5.-7. August 1914.
Don Genera! der Infanterie z. D. Erich L u L s n d o r f f,
damals Generalmajor und Gberquartiermeistsr der 2. Armes.
er Sturm auf die Festung ist mir die liebste Erinnerung meines
Soldatenlebens. Es war eine frische Tat, bei der ich kämpfen
konnte, wie der Soldat in Reih und Glied, der im Kampf seinen
Mann stellt.
Am August wurde die Mobilmachung ausgesprochen.
Ich fuhr am 2. August früh mit meinen Pferden über Töln
nach Aachen, wo ich abends eintraf. Meine Mobilmachungsbestim-
mung ließ mich Gberquartiermeister bei der 2. Armee werden, deren
Oberbefehlshaber General v. Bülow, Thef General v. Lauenstein
waren.
Ich trat zunächst zum General v. Emmich, der die Aufgabe hatte,
mit einigen schnell mobilgemachten, gemischten Infanterie-Brigaden,
die aber nicht die volle Kriegsstärke hatten, die Festung Lüttich durch
Überraschung zu nehmen. Dem Heere sollte hierdurch der weg nach
Belgien hinein freigemacht werden.
Mein Ouartier in Aachen war das Hotel Union.
Am 3. August früh traf General v. Emmich ein. Ich sah ihn zum
ersten Male. Tiefe Hochachtung verband mich von da ab mit diesem
bedeutenden Soldaten bis zu seinem Tode. Sein Stabschef war Oberst
Graf v. Lambsdorff, ein ausgezeichneter Offizier, der sich bei Lüttich
und später große Verdienste erwarb.
Am *$. August früh erfolgte der Vormarsch über die belgische
Grenze. Am gleichen Tage machte ich bei vise, hart an der
holländischen Grenze, mein erstes Gefecht mit. Es war ganz klar,
daß Belgien auf unsern Einmarsch seit langem vorbereitet war. Die
Straßen waren so planmäßig zerstört und gesperrt, wie es nur bei
anhaltender Arbeit möglich war. An der belgischen Südwestgrenze
haben wir nichts von ähnlichen Sperren entdecken können, warum
hat Belgien gegen Frankreich nicht die gleichen Maßnahmen er-
griffen ?
*) Mit Genehmigung des Verlags <E. S. Mittler & Sohn, Berlin, etwas gekürzt
abgedruckt aus: Ludendorff, Meine Äriegserinnerungen.
Die Frage, ob wir die Brücken bei Visé unversehrt besetzen
würden, war von besonderer Bedeutung. Ich begab mich zu dem
Kavalleriekorps v. der Marwitz, das dorthin angesetzt war. Ls kam
nur langsam vorwärts, da ein verhau nach dem andern die Straße
sperrte. Auf meine Bitte wurde eine Radfahrer-Kompagnie vor-
geschickt. Bald darauf kam ein Radfahrer zurück: die Kompagnie
wäre nach vis« hineingefahren und vollständig vernichtet. Ich
machte mich mit zwei Mann dorthin auf und fand zu meiner Freude
die Kompagnie unversehrt, nur der Führer war gerade durch einen
Schuß vom anderen Maasufer her schwer verwundet. Die Erin-
nerung an diese kleine Episode hat mir später geholfen. Ich wurde
unempfindlicher gegen Tataren- oder, wie es später hieß, Ltappen-
gerüchte.
Die schönen, großen Maasbrücken bei viss waren zerstört:
Belgien war auf den Krieg eingestellt.
Am Abend war ich in Lservs, meinem ersten Quartier auf feind-
lichem Boden, wir übernachteten in einem Gasthof gegenüber dem
Bahnhof. Alles war unversehrt, wir legten uns ruhig schlafen.
In der Nacht erwachte ich durch ein lebhaftes Geschieße, auch gegen
unser ksaus. Der Franktireurkrieg in Belgien begann. Er lebte am
nächsten Tage allerorts auf und hat so ausschlaggebend zu der Er-
bitterung beigetragen, die diesen Krieg im Westen, im Gegensatz
zu der Stimmung im Osten, in den ersten Jahren kennzeichnen sollte.
Die belgische Regierung hat eine schwere Verantwortung auf sich
geladen. Sie hat den Volkskrieg planmäßig organisiert. Die Ourcke
civique, die im Frieden ihre Waffen und Uniformen hatte, konnte
einmal in diesem, dann in jenem Gewands auftreten. Auch die
belgischen Soldaten müssen zu Beginn des Krieges noch einen be-
sonderen Zivilanzug im Tornister mitgeführt haben. Ich sah auf
der Nordostfront Lüttichs in den Schützengräben bei Fort Barchon
Uniformen liegen, die die dort kämpfenden Soldaten zurückgelassen
hatten.
Solche Art von Krieg entsprach nicht den kriegerischen Ge-
bräuchen. Es ist unserer Truppe nicht zu verdenken, wenn sie mit
größter Schärfe dagegen einschritt. Unschuldige werden mit zu leiden
gehabt haben, aber die „belgischen Greuel" sind eine überaus ge-
schickte und mit allem Raffinement erfundene Und verbreitete Legende.
Sie müssen einzig und allein der belgischen Regierung zur Last gelegt
werden. Ich selbst war mit dem Gedanken einer ritterlichen und
humanen Kriegführuüg ins Feld gezogen. Dieser Franktireurkrieg
mußte jeden Soldaten anwidern. Mein soldatisches Empfinden hatte
eine schwere Enttäuschung erlitten.
Die Aufgabe, die die vorausbeförderten Brigaden vor Lüttich
zu lösen hatten, war schwer. Es war auch eine unerhört kühne
Tat, durch die Fortlinie einer neuzeitlichen Festung hindurch in deren
Inneres einzudringen. Die Truppen fühlten sich beklommen. Aus
28
Ludendorff
Gesprächen mit Offizieren entnahm ich, daß die Zuversicht auf
Getingen des Unternehmens nur gering war.
Zn der Nacht vom 5. zum 6. August begann der Vormarsch
durch die Werke nach Lüttich hinein.
Gegen Mitternacht des 5./<5. verließ General v. Lmmich Hervä.
Mir ritten zur Versammlung der Znfanterie-Brigade — General-
major v. Wussow — nach Micheroux, etwa 2—3km von Fort Floron
entfernt. Auf der Straße, die von dem Fort aus unmittelbar be-
strichen werden konnte, sammelten sich in tief dunkler Nacht die
Truppen mit den ihnen noch recht ungewohnten, aber so überaus
segensreichen Feldküchen in einer wenig kriegsmäßigen Meise. Zn
diese Versammlung hinein fielen einige Schüsse aus einem Hause
südlich der Straße. Ls entstanden Rümpfe. Das Fort aber schwieg,
es war ein Gotteswunder. Ltwa gegen f Uhr begann der Vormarsch.
Lr führte uns nördlich Fort Flsron vorbei über Retinne hinter die
Fortlinie und dann auf die am Rande der Stadt gelegenen Höhen
der Thartreuse. Dort sollten wir am frühen vormittag sein; die
übriger! Brigaden, die die Fortlinie an anderer Stelle durchbrechen
sollten, hatten zu gleicher Zeit die Stadt zu erreichen.
Der Stab des Generals v. Lmmich war ziemlich am Lnde der
Marschkolonne, plötzlich ein Hält von längerer Dauer. Zch schob
mich von hinten durch die Marschkolonne nach vorn hindurch. Der
Halt war ohne jeden Grund entstanden, im Gegenteil war die Auf-
fassung der Lage, die ihn verursacht hatte, eine recht bedauerliche
gewesen. Zch selbst war eigentlich nur Schlachtenbummler, hatte
keine Befehlsgewalt und sollte nur mein später eintreffendes Armee-
Gberkommando über die Vorgänge bei Lüttich unterrichten, sowie
die Maßnahmen des Generals v. Lmmich mit den zu erwartenden
Anordnungen des Generals v. Bülow in Linklang bringen. Zch
setzte die Kolonne selbstverständlich in Marsch und blieb an ihrem
Anfang. Die Verbindung nach vorn war inzwischen verlorengegangen.
Zn voller Dunkelheit, mit Mühe den weg verfolgend, kamen wir
nach Retinne. Der Anschluß nach vorn fehlte immer noch. Zch trat
mit der Spitze aus einem falschen Dorfausgang hinaus. Schüsse
schlugen uns entgegen. Rechts und links fielen Leute. Den hörbaren
Einschlag der Geschosse in menschliche Körper werde ich nie ver-
gessen. Mir machten einige Sprünge gegen den nicht sichtbaren
Feind, dessen Feuer lebhafter wurde. Zn der Dunkelheit war das
Zurechtfinden nicht leicht. Ls konnte aber kein Zweifel sein, daß
wir falsch gegangen waren. Mir mußten aus dem Feuer zurück,
das war peinlich. Die Mannschaften konnten nur glauben, ich
hätte Furcht. Ls half nichts, Höheres stand auf dem Spiel. Zch
kroch zurück und gab den Leuten den Befehl, bis an den Dorfrand
zu folgen.
Zn Retinne setzte ich mich auf den richtigen weg. Hier sah
ich den Pferdeburschen des Generals v. Wussow mit dessen Pferden.
Lüttich
29
Lr meinte, der General sei gefallen. Mit geringer Begleitung schlug
ich den richtigen Weg, die Chaussee nach Queue du Bois, ein.
plötzlich ein Feuerschein vor mir. Lin Kartätschschuß prasselte die
Straße entlang, wir blieben unverletzt. Nach wenigen Schritten
stießen wir auf einen Kaufen toter und verwundeter deutscher Sol-
daten. Ls war die Spitze mit General v. Wussow, ein früherer
Kartätschschuß mußte sie getroffen haben. Ich sammelte die nach
und nach eintreffenden Soldaten des Jäger-Bataillons ^ und des
Infanterie-Regiments 27 und beschloß, die Führung der Brigade
zu übernehmen. Zunächst galt es, die Geschütze zu beseitigen, die die
Straße beschossen. Die Hauptleute v. harbou und Brinckmann vom
Generalstabe schoben sich mit einigen tapferen Leuten durch die Hecken
und Gehöfte zu beiden Seiten der Chaussee an die Geschütze heran.
Die starke Besatzung ergab sich. Der weitere Weg war frei.
Wir gingen vor und traten bald darauf in Queue du Bois in
einen schweren Häuserkampf. Ls wurde allmählich hell. Die beiden
Generalstabshauptleute, der Kommandeur der H. Jäger, Major v.
Marcard, der Kommandeur der II. Abteilung Feld-Regiments %
Major v. Greifs, und sein vortrefflicher Adjutant Oberleutnant
Neide, einige Soldaten und ich schritten vorweg. Line Feldhaubitze
und später eine zweite wurden in gleiche höhe vorgeholt. Sie
säuberten die Straßen und schossen in die Däuser rechts und links.
So kamen wir langsam vorwärts. Ich mußte oft die Mannschaften,
die nur zögernd vorgingen, ermahnen, mich nicht allein gehen zu
lassen. Endlich lag das Dorf hinter uns. Die Bevölkerung war
übrigens geflüchtet. Ls handelte sich hier um Kämpfe gegen die
reguläre belgische Armee.
Beim heraustreten aus dem Dorf erkannten wir nach der Maas
zu eine in Richtung Lüttich marschierende Kolonne. Ich hoffte, es
wäre die 27. Infanterie-Brigade. Ls waren aber Belgier, die über
die Maas kopflos abzogen, statt uns anzugreifen. Lange Zeit dauerte
es, bis die Lage festgestellt war. Inzwischen verstärkten sich die bei
mir befindlichen Kräfte durch das Lintreffen zurückgebliebener Sol-
daten. Der Durchbruch durch die Fortlinie war gelungen. Das
Infanterie-Regiment f65 unter seinem hervorragenden Kommandeur,
dem damaligen Mberst v. Mven, rückte geschlossen heran. General
v. Lmmich traf ein. Der Vormarsch auf die Lhartreuse wurde fort-
gesetzt.
General v. Lmmich stellte mir noch Teile der weiter südlich an-
gesetzten ff. Infanterie-Brigade zur Verfügung in der Annahme, daß
auch sie durchgebrochen sei. Der Weitermarsch fand ohne Zwischen-
fälle statt. Im Angesicht der Werke an der Nordfront Lüttichs er-
stiegen wir aus dem Maastal die höhen östlich der Lhartreuse.
Als die Brigade dort eintraf, war es etwa 2 Uhr geworden. Die Ge-
schütze wurden gegen die Stadt gerichtet. Ab und zu wurde ein
Schuß abgegeben, teils als Signalschuß für die anderen Brigaden,
30
Ludendorff
teils um den Kommandanten und die Stadt willfährig zu machen.
Ich mußte sorgfältig mit der Munition haushalten, sie war sehr
knapp geworden. Die Truppe war erschöpft und durch den zer-
setzenden Kampf teilweise stark mitgenommen. Die Offiziere hatten
ihre Pferde verloren. Die Feldküchen waren zurückgeblieben. Ich
ließ die Brigade rasten und verpflegte sie, so gut es ging, durch Bei-
treibungen aus den umliegenden Däusern.
Bald erreichte General v. Emmich wieder die Brigade. Don
den Höhen östlich der Lhartreuse hatten wir einen schönen Über-
blick über die Stadt. Sie lag zu unseren Füßen. Aus ihr heraus,
auf dem jenseitigen Ufer der Maas, erhob sich die Zitadelle. Dort
wurden plötzlich weiße Fahnen gesetzt. General v. Emmich wollte
einen Parlamentär hinsenden. Ich schlug vor, den feindlichen zu
erwarten. Der General blieb bei seinem Entschluß, chauptmann
v. Harbou ritt in die Stadt. Um 7 Uhr abends kam er wieder:
die weiße Flagge wäre gegen den willen des Kommandanten ge-
zeigt. Zum Einmarsch in Lüttich war es zu spät geworden. Eine
schwere Nacht stand bevor.
Inzwischen hatte ich die Brigade sich einrichten lassen. Unsere
Lage war ungemein ernst. Don den anderen Brigaden kam keine
Nachricht, auch von der H. nicht. Meldereiter waren nicht durchge-
kommen. Es wurde immer klarer: die Brigade befand sich allein
im Fortgürtel, abgeschlossen von der Außenwelt, wir mußten mit
feindlichen Gegenangriffen rechnen. Besonders unbequem waren für
uns etwa tausend belgische Gefangene. Als erkannt wurde, daß die
vor uns liegende Lhartreuse, ein altes Festungswerk, unbesetzt war,
sandte ich eine Kompagnie mit diesen Gefangenen dorthin. Der
Kompagnieches muß an meinem Derstande gezweifelt haben.
Die Nervosität der Truppe steigerte sich bei Einbruch der
Dunkelheit. Ich ging die Fronten ab und ermahnte die Leute zur
Ruhe und festen Haltung. Das Wort „wir find morgen in Lüttich"
richtete sie auf.
General v. Emmich mit seinem Stabe fand in einem kleinen
Bauernhof Unterkunft.
Ich werde die Nacht vom 6./7. August nie vergessen. Es war
kalt. Meine Sachen hatte ich zurückgelassen, Major v. Marcard
gab mir seinen Umhang. Gespannt lauschte ich, ob irgendwo ein
Kampf hörbar würde. Ich hoffte immer noch, daß wenigstens die
eine oder andere Brigade die Fortlinie durchbrochen habe. Alles
blieb still, nur alle halbe Stunde fiel ein Haubitzschuß auf die Stadt.
Die Spannung war unerträglich. Gegen \0 Uhr abends gab ich
einer Jäger-Kompagnie, Hauptmann Mit, den Befehl, die Maas-
brücken in Lüttich zu besetzen, um sie für weiteren Vormarsch in
der Hand und eine Sicherung für die Brigade weiter vorn zu haben.
Der Hauptmann sah mich an — und ging. Die Kompagnie erreichte
ohne Kampf ihr Ziel. Meldungen kamen nicht zurück.
Lüttich
31
(£s wurde Morgen. Zch ging zum General v. Lmmich und
besprach mit ihm die Lage. Der Entschluß, einzurücken, stand
fest. Nur den Zeitpunkt wollte sich der General noch vorbehalten.
Während ich die Aufstellung der Brigade verbesserte und versuchte,
oie vormarschstraße der Znfanterie-Brigade zu erreichen, erteilte
mir sehr bald darauf der General v. Lmmich den Befehl zum Ein-
marsch. Oberst v. Oven hatte die Vorhut. Der Rest der Brigade
lYiit den Gefangenen folgte in gewissem Abstande, General v. Lm-
mich mit seinem Stabe und ich mit dem Brigadestabe an dessen
Anfang. Während des Einmarsches ergaben sich viele umher-
stehende belgische Soldaten. Oberst v. Gven sollte die Zitadelle
besetzen. Meldungen veranlaßten ihn, dies nicht zu tun, sondern
den Weg in Richtung Fort Loncin, im Nordwesten der Stadt, einzu-
schlagen und sich an diesem Ausgang von Lüttich aufzustellen. Zn
der Annahme, daß Oberst v. Gven auf der Zitadelle sei, fuhr ich
mit dem Brigade-Adjutanten in einem belgischen Kraftwagen, den
ich mir nahm, dorthin voraus. Rein deutscher Soldat war dort,
als ich eintraf. Die Zitadelle war noch in feindlicher Hand. Zch
schlug an das verschlossene Tor. Es wurde von innen geöffnet.
Die paar hundert Belgier ergaben sich mir auf meine Aufforderung.
Die Brigade rückte nun an und besetzte die Zitadelle, die ich
sofort zur Verteidigung einrichtete.
Meine selbstübernommene Aufgabe war damit beendet. Zch
konnte General v. Lmmich bitten, mich nunmehr zu entlassen. Zch
beabsichtigte, auf dem gleichen Wege, auf dem ich hineingekommen
war, aus der Festung herauszufahren, um dasArmee-Gberkommando
von dem vorgefallenen in Kenntnis zu setzen, die anderen Brigaden
aufzusuchen und den Artillerieaufmarsch gegen die Forts einzu-
leiten. Noch während ich auf der Zitadelle war, trafen einige
hundert Mann deutsche Gefangene ein, die jetzt befreit waren.
Die 3H. Znfanterie-Brigade war auf dem westlichen Maasufer mit
ihren Anfängen durchgebrochen, hatte aber dann den Kampf aufge-
geben. Die durchgebrochenen Teile waren gefangen genommen.
Dann kam noch die später die 27. Znfanterie-Mrigade, so daß
General v. Lmmich, als ich ihn verließ, doch über eine gewisse Macht
verfügte. Allerdings lagen Meldungen vor, daß Franzosen von Namur
in Vormarsch wären. Die Lage blieb also verzweifelt ernst. Sie
konnte erst als gesichert angesehen werden, wenn wenigstens einige
Dstforts gefallen waren.
Mein Abschied von General v. Lmmich war bewegt. Um 7 Uhr
trat ich die Fahrt nach Aachen an, die eigenartig war. Lin Mann
der Garde civique erbot sich, mich dorthin zu bringen. Lr wählte
einen Kraftwagen aus, den ich aber ablehnte. Der Kraftwagen, den
ich nahm, versagte schon in der Zitadelle. Mir blieb so nichts
anderes übrig, als mich blind dem belgischen Soldaten anzuver-
trauen. Die Fahrt ging glatt. Wir kamen durch Herve; mein Vuar-
32
Ludendorff
tier und der Bahnhof waren niedergebrannt. Auf deutschem Gebiet
blieb der Wagenführer plötzlich halten und erklärte mir, er könne
nicht weiterfahren. Mit JEjilfe verschiedener Fahrgelegenheiten traf
ich dann spät abends mit meinem belgischen Soldaten in Aachen ein.
Ich wurde dort in dem fjotei Union wie ein vom Tode Auferstan-
dener begrüßt, Hier fand ich auch unsere große Bagage mit meinem
Burschen Rudolf Peters, der mir Treue während sechs langer
Jahre bewahrt hat. Sein größter Wunsch war das Eiserne Kreuz;
er konnte es nicht erhalten, da die Verleihung desselben an ihn
meinen Anschauungen widersprach. In Aachen aß ich schnell und
fuhr dann in der Nacht nach vorn, um die Brigaden zu suchen.
Beinahe HO Stunden kam ich nicht aus den Kleidern. Ich traf
zufällig mein altes Regiment, das in aller Eile auf die Bahn
gesetzt war, um bei Lüttich zu helfen. Auch die Oberste Heeres-
leitung in Berlin hatte über unser Schicksal die schwersten Be-
fürchtungen gehegt.
Die Lage unserer Truppen in der Festung war hochgespannt.
Ich hatte Sorge um ihr Geschick. Diese Spannung löste sich, der
Feind tat nichts.
Die Schilderung der weiteren Ereignisse vor Lüttich fällt der
Kriegsgeschichte zu.
Ich vermochte nur noch bei der Einnahme des Fort de pontifie
an der Nordfront mitzuwirken und kam hinzu, als das Fort Loncin
fiel. Ein Schuß unseres H2 eiu-Gefchützes hatte es getroffen. Die
Munitionsräume waren in die Luft gegangen und das Werk in sich
zusammengefallen. Geschwärzte, geistig völlig verwirrte belgische
Soldaten, vermischt mit deutschen Kriegsgefangenen aus der Nacht
vom 5./6. August, krochen aus den Trümmerhaufen hervor. Blu-
tend, mit hocherhobenen Händen, kamen sie uns entgegen. „Ne pas
tuer, ne pas tuer“ (Nicht töten, nicht töten) brachten sie stam-
melnd hervor. Wir waren keine Hunnen. Unsere Soldaten brach-
ten Wasser herbei, um den Feind zu erfrischen.
Die Werke kamen nach und nach und so rechtzeitig in unsere
Hand, daß der rechte Flügel des deutschen Heeres den Vormarsch
über die Maas nach Belgien hinein ungehindert ausführen konnte.
Mir war ein Stein vom Kerzen gefallen.
Ich habe es als besondere Gunst des Schicksals angesehen,
daß ich bei der Einnahme von Lüttich mitwirken konnte, zumal
ich im Frieden an dem Entwurf zum Angriff mitgearbeitet hatte
und von der Wichtigkeit der Aufgabe durchdrungen war. Seine
Majestät verlieh mir für die Führung der Brigade den Orden
Pour le mérite. General v. Lmmich erhielt ihn selbstverständlich
als Erster. Er war der verantwortliche Führer. Auch die Einnahme
von Lüttich war eine Tat, bei der nicht einer allein, sondern eine
Reihe von Männern mitgewirkt hat, die sich in den Ruhm teilen
können, die Festung bezwungen zu haben.
Die Schlacht bei Tannenberg/)
Don Generalseldmarjchall Paul v. Hindenburg.
(7\m frühen Nachmittag des 23. August erreichten wir unser LZaupt-
quartier Marienburg. Wir betraten damit das Land östlich
der Weichsel, das demnächstige Gebiet unseres Wirkens. Die Lage
an der Front hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt wie folgt entwickelt:
Das XX. Armeekorps war von seinen Grenzstellungen bei Neiden-
burg auf Gilgenburg und Gegend östlich zurückgegangen. Nach Westen
anschließend an dieses Korps standen die aus den Festungen Thorn
und Graudenz herausgezogenen Besatzungen bis gegen die Weichsel
hin längs der Grenze. Die 3. Reservedivision war als Verstärkung
für das XX. Armeekorps bei Allenstein eingetroffen. Die Heran-
beförderung des I. Armeekorps nach Deutsch-Lylau hatte mit Ver-
zögerungen begonnen. Das XVII. Armeekorps und I. Reservekorps
waren im Fußmarsch in die Gegend um Gerdauen gekommen. Die
Kavalleriedivision stand südlich Insterburg der Armee Rennen-
kämpf gegenüber. Die Besatzung von Königsberg hatte Insterburg
im Rückmarsch nach Westen durchschritten.
Die Njemenarmee Rennenkampfs war auffallenderweise mit
nennenswerten Infanterieteilen noch nicht über die Angerapp vor-
gedrungen. von den beiden russischen Kavalleriekorps war das eine
bei Angerburg, das andere westlich Darkehmen gemeldet worden.
Die Narewarmee Samsonoffs hatte mit einer Division anscheinend
die Gegend von Ortelsburg erreicht, auch sollte Iohannisburg vom
Feinde besetzt fein. Im übrigen schien die Masse dieser Armee
wohl noch an der Grenze im Aufschließen begriffen, westlicher
Flügel bei Mlawa.
In der Brieftasche eines gefallenen russischen Offiziers war ein
Schriftstück gefunden worden, aus dem die Absichten der gegnerischen
Führung hervorgingen. Danach hatte die Armee Rennenkampf, die
masurischen Seen nördlich umgehend, gegen die Linie Insterburg-
Angerburg vorzurücken. Sie sollte die hinter der Angerapp an-
genommenen deutschen Streitkräfte angreifen, während die Narew-
tz Abgedruckt mit Genehmigung des Verlags S. Lstrzel in Leipzig aus „General-
feldmarschall v. Hindenburg, Aus meinem Leben", auf welches Werk wir eindring-
lich verweisen. v. D.-H.
». Vtckhuth-Harrach, Felde unbesiegt. 3
v. LZindenburg
über die Linie Lötzen-Grtelsburg den Deutschen die Flanke
abzugewinnen hatte.
Die Russen planten also einen konzentrischen Angriff auf die
8. Armee, für welchen die Armee Samsonoffs aber jetzt schon erheb-
lich weiter nach Westen ausholte, als ursprünglich beabsichtigt war.
was sollen, ja was können wir gegen diesen gefährlichen feind-
lichen Plan tun? Gefährlich weniger wegen der Kühnheit, mit der er
erdacht, als wegen der Stärke, mit der er ausgeführt werden soll,
wenigstens mit der Stärke an Streitern, hoffentlich nicht mit der
gleichen Stärke an willen. Führte doch Rußland im Laufe der
Monate August und September nicht weniger als 800 000 Soldaten
und f700 Geschütze gegen Ostpreußen heran, zu dessen Verteidigung
nur 2f0 000 deutsche Soldaten mit 600 Geschützen verfügbar ge-
macht werden konnten.
Unser Gegenplan ist einfach. Ich will versuchen, ihn dem Leser,
auch wenn er kein Fachmann ist, in allgemeinen Umrissen verständ-
lich zu Machen.
wir stellen zunächst der dichten Masse Samsonoffs eine dünne
Mitte gegenüber. Ich sage dünn, nicht schwach. Denn Männer sind es
mit stählernem Herzen und stählernem willen. In ihrem Rücken die
Heimat, Weib und Kind, Eltern und Geschwister, Hab und Gut!
Es ist das XX. Korps, brave West- und Ostpreußen. Mag diese
dünne Mitte unter dem Drucke der feindlichen Massen sich auch biegen,
wenn sie nur nicht bricht, während diese Mitte kämpft, sollen zwei
wuchtige Gruppen an deren beide Flügel zum entscheidenden An-
griff heranrücken.
Die Truppen des I. Armeekorps, durch Landwehr verstärkt,
auch alles Kinder des bedrohten Landes, werden von rechts her aus
dem Nordwesten, die Truppen des XVII. Armeekorps und I. Re-
servekorps zusammen mit einer Landwehrbrigade, werden von links
her aus dem Norden und Nordosten zur Schlacht herangeholt. Auch
die Soldaten des XVII. Armeekorps und I. Reservekorps, ebenso
wie die Männer der Landwehr und des Landsturms haben alles,
was das Leben lebenswert macht, in ihrem Rücken.
Nicht mit einfachem Siege sondern mit Vernichtung müssen
wir Samsonoff treffen. Denn nur dadurch bekommen wir freie
Hände gegen den zweiten Feind, der zurzeit Ostpreußen plündert
und versengt, gegen Rennenkamxf. Nur so können wir das alte
Preußenland wirklich und völlig befreien, und nur so gewinnen wir
Freiheit für weitere Taten, die man noch von uns erwartet, nämlich
für das Eingreifen in den mächtig entbrennenden Entscheidungskampf
zwischen Rußland und unserem österreichisch-ungarischen Verbündeten
in Galizien und Polen, wird unser erster Schlag nicht durchgreifend,
dann bleibt die Gefahr für unsere Heimat wie eine schleichende Krank-
heit bestehen, ungerächt bleibt das Brennen und Morden in Ost-
preußen, und vergeblich wartet der Bundesgenosse im Süden auf uns.
Tannenberg
35
Also ganzes Handeln! Dazu muß alles heran, was im Be-
wegungskrieg einigermaßen brauchbar ist und irgendwo entbehrt
werden kann, was die Festungswälle von Graudenz und Thorn
noch an kampftauglicher Landwehr beherbergen, wird herangezogen.
Auch aus den Schützengräben, die zwischen den masurischen Seen
unsere jetzige Operation im Osten decken, rücken unsere Wehr-
männer ab und übergeben die dortige Verteidigung einer ver-
schwindenden Minderzahl braver Landstürmer. Gewinnen wir die
Feldschlachh dann brauchen wir die Festungen Thorn und Grau-
denz nicht mehr und sind der Sorgen um die Seenengen ledig.
Gegen Rennenkampf, der wie ein Alpdruck aus dem Nordosten
auf uns lasten könnte, soll nur unsere Kavalleriedivision sowie die
Hauptreserve Königsberg mit zwei Landwehrbrigaden stehen bleiben.
Doch können wir an diesem Tage noch nicht überblicken, ob diese Kräfte
auch wirklich genügen. Sie bilden in ihrer Kampfkraft ja nur einen
leicht zerreißbaren Schleier, vorausgesetzt, daß Rennenkampfs Massen
marschieren, daß seine übermächtigen Reitergeschwader reiten
sollten, so wie wir es befürchten müssen, vielleicht tun sie das aber
nicht; dann genügt der Schleier zur Deckung unserer Schwäche,
wir müssen es wagen in Flanke und Rücken, um an der entscheiden-
den Front stark zu sein. Hoffentlich gelingt es uns, Rennenkampf
zu täuschen; vielleicht täuscht er sich selbst. Der starke Waffenplatz
Königsberg mit seiner Besatzung und unsere Reiter können sich ja
in der Phantasie des Feindes zu machtvolleren Größen erweitern.
wenn sich aber auch Rennenkampf zu unseren Gunsten in falschen
Vorstellungen wiegt, wird ihn nicht seine Oberste Heeresführung
vorwärtstreiben in starken Märschen nach Südwesten und in unseren
Rücken? Muß ihn nicht ein Hilfeschrei Samsonoffs in Bewegung
aufs Kampffeld setzen? Und wird nicht, selbst wenn der Ruf mensch-
licher Stimme vergeblich verhallen sollte, der mahnende Donner der
Schlacht bis zu den russischen Linien im Norden der Seen, ja selbst
bis zum feindlichen Hauptquartier dringen?
Vorsicht gegen Nennenkampf bleibt also nötig, wir können ihr
aber nicht durch Zurücklassung starker Kampftruppen Rechnung
tragen, sonst werden wir auf dem Schlachtfelde noch schwächer, als
wir es ohnehin sind.
Berechnen wir die gegenseitigen Stärken, zählen wir zu der unse-
rigen auch die beiden Landwehrbrigaden, die zur Zeit von Schleswig-
Holstein her aus dem Küstenschutz heranrollen und wohl noch recht-
zeitig zur Schlacht eintreffen werden, so gibt ein vergleich mit den
wahrscheinlichen russischen Kräften immer noch große Verschieden-
heiten zu unseren Ungunsten, auch wenn Rennenkampf nicht mar-
schieren, nicht mitkämpfen will. Dazu kommt, daß in unseren vor-
dersten Reihen viel Landwehr und Landsturm fechten muß. Alte
Jahrgänge gegen beste russische Zugend. Ferner spricht gegen uns,
daß die Mehrzahl unserer Truppen und, wie es die Lage fügt, gerade
3*
v. L^indenburg
alle, die voraussichtlich den entscheidenden Stoß führen müssen, aus
schweren und verlustreichen Kämpfen herankommen, hatten sie doch
den Russen das Schlachtfeld von Gumbinnen überlassen müssen.
Die Truppen marschieren daher nicht mit dem stolzen Gefühle
der Sieger. Und doch rücken sie zur Schlacht frohen Sinnes und
fester Zuversicht. Der Geist ist gut, so wird uns gemeldet, also be-
rechtigt er zu kräftigen Entschlüssen, und wo er etwa gedrückt sein
sollte, da wird er durch diese kraftvollen Entschlüsse emporgerissen.
So war es von jeher, sollte es diesmal anders sein? Ich hatte keine
Bedenken wegen unserer zahlenmäßigen Unterlegenheit.
Wer in die Rechnung des Krieges nur die sichtbaren Werte
einsetzt, rechnet falsch. Ausschlaggebend sind die inneren Werte des
Soldaten. Auf diese baue ich mein vertrauen. Ich denke mir:
Mag der Russe auch in unser Vaterland einmarschieren, mag
die Berührung mit deutscher Erde sein Herz höher schlagen lassen,
sie macht ihn nicht zum deutschen Soldaten, und die ihn führen,
sind keine deutschen Offiziere. Auf den mandschurischen Schlacht-
feldern hatte der russische Soldat mit dem größten Gehorsam ge-
fochten, so fremd ihm auch die politischen Absichten seiner Regie-
rung am Stillen Ozean gewesen waren. Ls schien nicht ausge-
schlossen, daß bei einem Kriege gegen die Mittelmächte die Be-
geisterung der russischen Armee für die Kriegsziele des Zarentums
größer sein würde. Trotzdem nahm ich an, daß der russische Soldat
und Offizier auch auf dem europäischen Kriegsschauplatz im großen
und ganzen keine höheren militärischen Eigenschaften zeigen würde
als auf dem ostasiatischen, und glaubte daher, statt des Minus unserer
zahlenmäßigen Unterlegenheit ein plus an innerer Kraft in die
Berechnung der Stärkeverhältnisse zu unseren Gunsten aufnehmen
zu können.
So ist unser Plan, sind unsere Gedanken vor der Schlacht und
für die Schlacht. Wir fassen dieses Denken und wollen am 23. August
in einer kurzen Meldung aus Marienburg an die Oberste Heeres-
leitung zusammen des Inhalts:
„Vereinigung der Armee am 26. August beim XX. Armeekorps
für umfassenden Angriff geplant."
Am Abend des 23. August führte mich ein kurzer Erholungsgang
auf das westliche Nogatufer, von dort boten die roten Mauern des
stolzen Deutschordensschlosses, des größten Baudenkmals baltischer
Ziegelgotik im Abendsonnenstrahl einen gar wundersamen Anblick.
Gedanken an die Vergangenheit hehrer Ritterzeit mischten sich unwill-
kürlich mit Fragen an die verschleierte Zukunft. Der Ernst der Stim-
mung wurde erhöht durch den Anblick vorüberziehender Flüchtlinge
meiner Heimatprovinz. Eine traurige Mahnung, daß der Krieg nicht
nur den wehrhaften Mann trifft, sondern daß er durch Vernichtung
der Daseinsbedingungen wehrloser zur tausendfachen Geißel der
Menschheit wird.
Tannenberg
37
Am 2% August begab ich mich mit dem engeren Stabe in
Kraftwagen zum Generalkommando des XX. Armeekorps und kam
hierbei in den Ort, von dem die bald entbrennende Schlacht ihren
Namen erhalten sollte.
Tannenberg! Lin Wort schmerzlicher Erinnerungen für deutsche
Ordensmacht, ein Iubelruf slawischen Triumphes, gedächtnisfrisch
geblieben in der Geschichte trotz mehr als 500 jähriger Vergangenheit.
Ich hatte bis zu diesem Tage das Schicksalsfeld deutscher östlicher
Kultureroberungen noch nie betreten. Lin einfaches Denkmal zeugt
dort von Heldenringen und Heldentod. In der Nähe dieses Denk-
mals standen wir an einigen der folgenden Tage, in denen sich das
Geschick der russischen Armee Samsonoff zur vernichtenden Nieder-
lage gestaltete.
Auf dem Wege von Marienburg nach Tannenberg vermehrten
sich die Eindrücke vom Kriegselend, das über die unglücklichen Ein-
wohner hereingebrochen war. Massen von hilflos Flüchtenden dräng-
ten sich mit ihrer Habe auf den Straßen und behinderten teilweise
die Bewegungen unserer an den Feind marschierenden Truppen.
Bei dem Stabe des Generalkommandos traf ich das ver-
trauen und den Willen, die für das Gelingen unseres Planes un-
erläßlich waren. Auch die Eindrücke über die Haltung der Truppe
an dieser unserer zunächst bedenklichsten Stelle waren günstig.
Der Tag brachte keine durchgreifende Klärung, weder hinsicht-
lich der Operationen Rennenkampfs noch der Bewegungen Sam-
sonoffs. Ls schien sich nur zu bestätigen, daß Rennenkampfs Marsch-
tempo ein recht gemäßigtes war. Der Grund hierfür war rächt zu
erklären, von der Narewarmee erkannten wir, daß sie sich mit
ihrer Hauptmacht gegen das XX. Armeekorps vorschob. Unter ihrem
Drucke nahm das Korps seinen linken Flügel zurück. Diese Maß-
regel hatte nichts Bedenkliches an sich. Im Gegenteil. Der nach-
drängende Feind wird unserer linken Angriffsgruppe, die Heute
die Marschrichtung auf Bischofsburg erhält, immer ausgesprochener
seine rechte Flanke bieten. Auffallend und nicht ohne Bedenken für
uns waren dagegen feindliche Bewegungen, die sich anscheinend
gegen unseren Westflügel und gegen Lautenburg aussprachen. Der
Eindruck bestand, daß der Russe uns hier zu überflügeln gedachte
und damit den beabsichtigten Umgehungsangriff unserer rechten
Gruppe seinerseits in der Flanke fassen würde.
Der 25. August brachte etwas mehr Einblick in die Bewegungen
Rennenkampfs. Seine Kolonnen marschierten von der Angerapp
nach Westen, also auf Königsberg, war der ursprüngliche russische
Operationsplan aufgegeben? Oder war die russische Führung über
unsere Bewegungen getäuscht und vermutete die Hauptmasse unserer
Truppen in und bei der Festung? Jedenfalls schien nunmehr kaum
noch ein Bedenken zu bestehen, gegen Rennenkampfs gewaltige
Massen nur noch einen Schleier stehen zu lassen. Samsonoffs auf-
38
v. Krudenburg
fallend zögernde Operationen richteten sich auch an diesem Tage
mit der Lsauptstärke weiter gegen unser XX. Armeekorps. Das
rechte russische Flügelkorps marschierte zweifellos in Richtung auf
Bischofsburg, also unserem XVII. Armeekorps und I. Reservekorps
entgegen, die an diesem Tage die Gegend nördlich dieses Städtchens
erreichten Bei RIlawa häuften sich augenscheinlich weitere russische
Massen.
Mit diesem Tage ist für uns die Zeit des Wartens und der Vor-
bereitung vorüber. Wir führen unser I. Armeekorps an den rechten
Flügel des XX. heran. Der allgemeine Angriff kann beginnen.
Der 26. August ist der erste Tag des mörderischen Ringens von
Lautenburg bis nördlich Bischofsburg. Nicht in lückenloser Schlacht-
front sondern in Gruppenkämpfen, nicht in einem geschlossenen
Akt sondern in einer Reihe von Schlägen beginnt das Drama sich
abzuspielen, dessen Bühne sich auf mehr denn hundert Kilometer
Breite erstreckt.
Auf dem rechten Flügel führt General von Franyois leine braven
Ostpreußen. Sie schieben sich gegen Usdau heran, um am nächsten
Tag den Schlüsselpunkt dieses Teiles des südlichen Kampffeldes zu
stürmen. Auch General von Scholtz' prächtiges Korps befreit sich
allmählich aus den Fesseln der Verteidigung und beginnt zum
Angriff zu schreiten. Erbitterter ist der Kampf schon am heutigen
Tage bei Bischofsburg. Dort wird bis zum Abend von unserer Seite
gründliche Kampfarbeit getan. Zn kräftigen Schlägen wird das
rechte Flügelkorxs Samsonoffs durch Mackensens und Belows
Truppen (XVII. Armeekorps und I. Reservekorps) sowie durch
Landwehr zerschlagen und weicht auf Grtelsburg. Die Größe des
eigenen Erfolgs ist aber noch nicht zuerkennen. Die Führer erwarten
für den folgenden Tag erneuten starken Widerstand südlich des heu-
tigen Kampffeldes. Doch sie sind guter Zuversicht.
Da erhebt sich scheinbar von Rennenkamxfs Seite drohende Ge-
fahr. Man meldet eins seiner Korps im Vormarsch über Angerburg.
Wird dieses nicht den Weg in den Rücken unserer linken Stoß-
gruppe finden? Ferner kommen beunruhigende Nachrichten aus der
Flanke und dem Rücken unseres westlichen Flügels. Dort bewegt sich
im Süden starke russische Kavallerie. Ob Infanterie ihr folgt, ist
nicht festzustellen. Die Krisis der Schlacht erreicht ihren Höhepunkt.
Die Frage drängt sich uns auf: wie wird die Lage werden, wenn
sich bei solch gewaltigen Räumen und bei dieser feindlichen Überlegen-
heit die Entscheidung noch tagelang hinzieht? Ist es überraschend,
wenn ernste Gedanken manches Herz erfüllen; wenn Schwan-
kungen auch da drohen, wo bisher nur festester Wille war; wenn
Zweifel sich auch da einstellen, wo klare Gedanken bis jetzt alles
beherrschten? Sollten wir nicht doch gegen Rennenkampf uns
wieder verstärken und lieber gegen Samsonoff nur halbe Arbeit
tun? Ist es nicht besser, gegen die Narewarmee die Vernichtung
Tannenberg
39
nicht zu versuchen, um die eigene Vernichtung sicher zu vermeiden?
wir überwinden die Krisis in uns, bleiben dem gefaßten Ent-
schlüsse treu und suchen weiter die Lösung mit allen Kräften im
Angriff. Demnach rechter Flügel unentwegt weiter aus Neiden-
burg und linke Stoßgruppe „um HUHr morgens antreten und mit
größter Energie handeln", so etwa lautete der Befehl.
Der 27. August zeigt, daß der Erfolg des I. Reservekorps und
XVII. Armeekorps bei Bischofsburg am vorhergehenden Tage ein
durchschlagender gewesen ist. Der Gegner ist nicht nur gewichen,
sondern flieht vom Schlachtfeld. Des weiteren überblickt man,
daß Rennenkampf nur in der Phantasie eines Fliegers in unseren
Rücken marschiert. In Wirklichkeit bleibt er in langsamem vorgehen
auf Königsberg. Sieht er nicht oder will er nicht sehen, daß das
verderben gegen die rechte Flanke Samsonoffs schon im vollen
vorschreiten ist und daß es auch gegen dessen linken Flügel an-
dauernd wächst? Denn an diesem Tage erstürmen Franqois und
Scholtz die feindlichen Stellungen bei Usdau und nördlich und
schlagen den südlichen Gegner. Mag nunmehr die feindliche Mitte
weiter nach Allenstein—Hohenstein vordringen, sie findet dort nicht
mehr den Sieg, sondern nur noch das verderben. Die Lage ist für
uns klar; wir geben am Abend des Tages den Befehl zum Einkreisen
der Kernmasse des Gegners, nämlich seines VIII. und XV. Armee-
korps.
während des 28. August geht das blutige Ringen weiter.
Der 29. sieht einen großen Teil der russischen Hauptkräfte bei
Hohenstein der endgültigen Vernichtung anheimfallen. Ortelsburg
wird von Norden, willenberg über Neidenburg von Westen erreicht.
Der Ring um Tausende und Abertausende von Russen beginnt sich
zu schließen, viel russisches Heldentum ficht freilich auch in dieser
verzweiflungsvollen Lage noch weiter für den Zaren, die Ehre der
Waffen rettend, aber nicht mehr die Schlacht.
Rennenkampf marschiert immer noch ruhig weiter auf Königs-
berg. Samsonoff ist verloren, auch wenn sein Kamerad jetzt noch
zu anderer und besserer kriegerischer Einsicht kommen sollte. Denn
schon können wir Truppen aus der Schlachtfront ziehen zur Deckung
unseres Vernichtungswerks, das sich in dem großen Kessel Neiden-
burg-willenberg-passenheim vollzieht und in dem der verzweifelnde
Samsonoff den Tod sucht. Aus diesem Kessel heraus kommen größer
und größer werdende russische Gefangenenkolonnen. In ihrem Er-
scheinen tritt der reifende Erfolg der Schlacht immer klarer zutage.
Ein eigenartiger Zufall wollte es, daß ich in Osterode, einem unserer
Unterkunftsorte während der Schlacht, den einen der beiden ge-
fangenen russischen Kommandierenden Generale in dem gleichen
Gasthofe empfing, in dem ich im Jahre s88s auf einer Generalstabs-
reise als junger Gensralstabsoffizier einquartiert gewesen war. Der
40
v. kstndenburg
andere meldete sich am folgenden Tage bei mir in einer von uns
;u Geschäftsräumen umgewandelten Schule.
Schon während der Rämxfe konnten wir das teilweise prächtige
Soldatenmaterial betrachten, über das der Zar verfügte. Nach meinen
Eindrücken befanden sich darunter zweifellos bildungsfähige Elemente.
Ich nahm bei dieser Gelegenheit, wie schon f866 und f870 wahr, wie
rasch der deutsche Offizier und Soldat in seinem seelischen Empfinden
und in seinem sachlichen Urteil in dem gefangenen Gegner den gewese-
nen Feind vergißt. Die Rampfeswut unserer Leute ebbt überraschend
schnell zu rücksichtsvollem Mitgefühl und menschlicher Güte ab. Nur
gegen die Rosaken erhob sich damals der allgemeine Zorn. Sie wurden
als die Ausführer all der vertierten Roheiten betrachtet, unter denen
Ostpreußens Volk und Land so grausam zu leiden hatten. Dem Rosak
schlug anscheinend sein schlechtes Gewissen, denn -er entfernte, wo
und wie er immer konnte, bei drohender Gefangennahme die Ab-
zeichen, die seine Waffenzugehörigkeit kenntlich machten, nämlich die
breiten Streifen an den lhosen.
Am 30. August macht der Gegner im Osten und Süden den
versuch, mit frischen und wiedergesammelten Truppen unseren
Einschließungsring von außen her zu sprengen, von Myszyniec,
also aus der Richtung Dstrolenka, führt er neue starke Rräfte aufNei-
denburg und Grtelsburg gegen unsere Truppen, die schon das
russische Zentrum völlig einkreisen und daher dem anrückenden
Gegner den Rücken bieten. Gefahr ist im Verzug; um so mehr, als
von Mlawa anrückende feindliche Rolonnen nach Fliegermeldung
35 à lang, also sehr stark sein sollen. Doch halten wir fest an
unserem großen Ziele. Die Hauptmacht Samsonoffs muß um-
klammert und vernichtet werden. François und Mackensen werfen
dem neuen Feind ihre freilich nur noch schwachen Reserven entgegen.
An ihnen scheitert der russische versuch, die Ratastrophe Samso-
noffs zu mildern, während Verzweiflung den Umklammerten
ergreift, hat Mattherzigkeit die Tatkraft desjenigen gelähmt, der die
Befreiung hätte bringen können. Auch in dieser Beziehung bestätigen
die Ereignisse auf dem Schlachtfelde von Tannenberg die alten
menschlichen und soldatischen Erfahrungen.
Unser Feuerkreis um die dichtgedrängten, bald hierhin, bald dort-
hin stürzenden russischen bsaufen wird mit jeder Stunde fester und
enger.
Rennenkampf scheint an diesem Tage die Deimelinie östlich
Rönigsberg zwischen Labiau und Taxiau angreifen zu wollen. Seine
Raralleriemassen nähern sich aus Richtung Landsberg—Barten-
stein dem Schlachtfeld von Tannenberg, wir aber haben bereits
starke, siegesfrohe, wenn auch ermüdete Rräfte zur etwaigen Abwehr
bei Allenstein gesammelt.
Der 3j. August ist für unsere noch kämpfenden Truppen der Tag
der Schlußernte, für unser Oberkommando der Tag des Überlegens
Tannenberg
41
über Weiterführung der Operationen, für Rennenkampf der Tag
der Rückkehr in die Linie Deime-Allenburg-Angerburg.
Schon am 29. August hatte mir der Gang der Ereignisse er-
möglicht, meinem Allerhöchsten Kriegsherrn den völligen Zusammen-
bruch der russischen Narewarmee zu melden. Noch am gleichen Tage
erreichte mich aus dem Schlachtfelde der Dank Seiner Majestät, auch
im Namen des Vaterlandes. Ich übertrug diesen Dank im Kerzen
wie in Worten auf meinen Generalstabschef und auf unsere herr-
lichen Truppen.
Am 3s. August konnte ich meinem Kaiser und König folgendes
berichten:
„Eurer Majestät melde ich alluntertänigst, daß sich am gestrigen
„Tage der Ring um den größten Teil der russischen Armee geschlossen
„hat. XIII., XV. und XVIII. Armeekorps sind vernichtet. Ls sind bis
„jetzt über 60 000 Gefangene, darunter die Kommandierenden Gene-
rale des XIII. und XV. Armeekorps. Die Geschütze stecken noch in
„den Waldungen und werden zusammengebracht. Die Kriegsbeute,
„im einzelnen noch nicht zu übersehen, ist außerordentlich groß. Außer-
„halb des Ringes stehende Korps, das I. und VI., Haben ebenfalls
„schwer gelitten, sie setzen fluchtartig den Rückzug fort über Mlawa
„und Myszyniec."
Die Truppen und ihre Führer hatten Gewaltiges geleistet. Nun
lagerten die Divisionen in den Biwaks und das Dankeslisd der
Schlacht von Leuthen schallte aus ihrer Mitte.
Zn unserem neuen Armeehauptquartier Allenstein betrat ich die
Kirche in der Nähe des alten Ordensschlosses während des Gottes-
dienstes. Als der Geistliche das Schlußgebet sprach, sanken alle An-
wesenden, junge Soldaten und alte Landstürmer, unter dem gewal-
tigen Eindruck des Erlebten auf die Knie. Lin würdiger Abschluß ihrer
Heldentaten.
G. M. G. „Emden" lm KrsuzsrKrleg in dev Straße
von Tsushima und im Hasen von Penang.
Non Kapitänlsutnant Aobsrt Witthoeft von der Admiralität, damals'
Wachhabender Gjfizier an Dord 6. M. 6. „Emden".
/2Zs war am Abend des J(. August 2. M. 5. „Emden" war
'¿s am 3b Juli abends infolge der so ernsten Nachrichten über die
politische Spannung in Europa aus Tsingtau in aller Stille aus-
gelaufen und wartete in der Nähe des Sokotra-Felsens, fernab
von allen häufiger benutzten Dampferwegen die weitere Entwick-
lung der Dinge ab. Dort erhielt das Schiff die funkentelegraxhifche
Nachricht von dem Mobilmachungsbefehl für das Deutsche Heer
und die Deutsche Flotte.
Allen schon vorher erhaltenen Nachrichten zufolge war man
an Bord auf diesen Mobilmachungsbefehl, der nur noch durch ein
wunder hätte ausbleiben können, vollkommen vorbereitet.
Der Rommandant des Schiffes, Fregattenkapitän v. Müller,
gab am folgenden Vormittage, einem Sonntagsmorgen, der Be-
satzung des Schiffes unmittelbar nach Beendigung des Sonntags-
gottesdienstes den Mobilmachungsbefehl des Raisers bekannt. Er
sagte den Leuten, Seine Majestät habe die Mobilmachung sämtlicher
Streitkräfte, des Heeres und der Flotte, befohlen, um Deutschland
gegen die Angriffe seiner Feinde, die mit Neid auf die glänzende
Entwicklung Deutschlands blickten, zu verteidigen, in treuem Zu-
sammenstehen mit seinem Bundesgenossen Gsterreich-Ungarn. Zn
kurzen Worten sprach er die Erwartung aus, daß ein jeder an Bord
bis zum letzten Atemzuge treu und gewissenhaft seine Pflicht er-
füllen möge, damit S. M. S. „Emden" mit Ehren bestehen möge.
Drei begeisterte Hurras auf den Obersten Rriegsherrn gaben
dem Gelöbnis eiserner Pflichterfüllung und Gpferfreudigkeit Aus-
druck.
Dieser Sonntag verlief im übrigen äußerlich ruhig, was der
wirklich prächtigen Besatzung des Schiffes von Kerzen zu gönnen
war, nach den ungeheuren Arbeiten, die mit der Herstellung der
völligen Gefechtsbereitschaft des Schiffes verbunden gewesen waren.
Um j Uhr nachts meldete die Funkentelegraphie, daß russische
Streitkräfte die deutsche Grenze überschritten hätten und daß sich
dementsprechend Deutschland im Kriegszustände mit Rußland be-
trachte. „Emden" stieß nun zur großen Freude ihrer tatenfrohen
Emden
43
Besatzung, die auf ein Zusammentreffen mit dem Feinde brannte,
zunächst von ihrem augenblicklichen Standorte aus in östlicher Rich-
tung vor, bis sie den Dampferweg Wladiwostok-Shanghai erreicht
hatte, dann bog sie auf diesem in nördlicher Richtung ab und ver-
folgte ihn bis in die historische Tsushimastraße, da der Rommandant
beabsichtigte, nördlich derselben auf feindliche Dampfer zu fahnden,
falls solche zwischen Shanghai oder Nagasaki und Wladiwostok
unterwegs sein sollten.
Am Abend brachte die Funkentelegraphie wieder recht viel
Interessantes, zunächst Deutschlands Rriegserklärung an Frankreich,
von allen schon längst erwartet, ferner aber auch: „Auf feindliche
Haltung englischer Kriegsschiffe gefaßt sein." Das war einiger-
maßen unerwartet, weiterhin gab Tsingtau noch die Nachricht,
daß drei russische bsandelsdamxfer — es folgte die Nennung der
Namen — in Nagasaki lägen.
Gegen Mitternacht, als sich „Emden" im Westkanal der Tsushima-
straße befand, wurden seit dem Auslaufen aus Tsingtau zum ersten
Male Fahrzeuge gesichtet. Ihre Lichter waren an Steuerbord etwas
voraus zu sehen und konnten möglicherweise Hecklaternen von
Kriegsschiffen sein. Rriegsschiffe wurden nämlich in der Nähe ver-
mutet, da fremder Funkentelegraphie-Verkehr von Emdens Station
gehört worden war.
Immerhin war es zu unsicher, ob es wirklich Rriegsschiffe
wären, es konnten schließlich ebensogut Fischerfahrzeuge sein. Emden
verfolgte sie also nicht weiter, da ihr ebensowenig daran lag,
sich mit Harm- und wertlosen Fischerfahrzeugen aufzuhalten, wie
von einer starken feindlichen Übermacht vorzeitig bemerkt zu wer-
den, wenn es sich hier tatsächlich um Rriegsschiffe handelte.
Der Wind briste um diese Zeit sehr auf, die See wurde rauh,
zwischen 4 und 6 Uhr früh ging schwerer Regen nieder. Mit dem
schönen Wetter der letzten Tage schien es vorbei zu sein.
Dieser Umstand bewog den Rommandanten zu dem Entschluß,
weiter nach Süden zurückzufallen, da er dort klareres Wetter anzu-
finden hoffte. So bog nun das Schiff, das in der Zwischenzeit
den Westkanal der Tsushimastraße durchfahren hatte und nördlich
der gleichnamigen Insel stand, mit südlichem Rurse nach dem
Gstkanal der Straße ab, um möglicherweise hier Dampfer abzu-
fangen.
Und hier war es, wo S.M.S. „Emden" ihren ersten Erfolg
haben sollte.
Gegen 6 Uhr vormittags am % August klarte es etwas auf,
und da wurde in nicht allzugroßer Ferne ein Dampfer gesichtet,
der, als er die Emden erblickte, sofort abdrehte und unmittelbar
darauf in seiner dicken schwarzen Rauchwolke verschwand.
„Klar Schiff zum Gefecht" ertönte der Befehl, „Askold" jubel-
te« die Leute und stürzten an die Kanonen.
witthoest
Aber der „Askold", ein russischer älterer Panzerkreuzer, mit
dem die Lmden-Besatzung einen Rampf ersehnte, war es leider
nicht. Das wurde sehr bald von ihr erkannt, als ein Windstoß für
einige Sekunden die Rauchfahne etwas zerriß und ein schwarzer
Handelsdampfer mit zwei gelben Schornsteinen daraus auftauchte.
Dieser hatte, wie schon erwähnt, die Lmden auch seinerseits gleich
bemerkt und lief nun, was er konnte, in südlicher Richtung davon,
um in die japanische Hoheitsgrenze der Insel Tsushima zu ent-
wischen. Lmden verfolgte ihn zunächst mit Seemeilen, dann
mit V Seemeilen Fahrt. An Bord der Lmden herrschte große Be-
sorgnis, daß er sein Ziel noch erreichen würde, denn nach dem Schiffs-
ort der Lmden 3U schließen konnte es bis dahin nicht mehr weit sein.
Gleich bei Aufnahme der Verfolgung feuerte Lmden zwei blinde
Schüsse, dann folgten scharfe, aber der Dampfer hielt zunächst durch.
Wie die Schüsse lagen, konnte nicht beobachtet werden, weil beide
Schiffe mit hoher Fahrt gegen den Wind und die See andampften
und die dicke Rauchwolke des verfolgten sich genau zwischen diesen
und die Lmden niederschlug. Endlich, beim ungefähr zehnten scharfen
Schuß, schien der Dampfer sich zu besinnen und nach dem zwölften
stoppte er und drehte nach Backbord bei. Wie wir später erfuhren,
war die neunte oder zehnte Granate nur etwa fünf bis zehn Meter
neben dem Schiff eingeschlagen. Das hatte endlich gewirkt.
Lmden näherte sich nun schnell dem Dampfer, den sie nach
einigen Minuten erreichte.
Mit internationalem Flaggensignal verbot sie ihm zu funken,
denn die Prise gab ununterbrochen Hilfesignale und ihren Namen.
Lin Rutter wurde zu Wasser gebracht, und kurz darauf befand
sich drüben eine Prisenbesatzung von zwanzig bewaffneten Leuten
unter Oberleutnant zur See Lauterbach an á>rd, der sofort an allen
wichtigen Stellen des Dampfers, besonders aber in der Funken-
bude, Posten aufziehen ließ. Die Prise war der zu der russischen
Freiwilligen-Flotte gehörende, dreitausendfünfhundert Tonnen große
Dampfer „Raysan", von Nagasaki nach Wladiwostok mit unge-
fähr 80 Passagieren und ohne Ladung unterwegs.
Am check entfaltete sich alsbald die deutsche Rriegsflagge zum
Zeichen, daß der Dampfer nun Eigentum der deutschen Marine war.
Der Rommandant entschloß sich im chinblick auf die zahl-
reichen Passagiere und vor allem auf die verhältnismäßig hohe
Geschwindigkeit des Raysan, diesen nach Tsingtau einzubringen.
Das Schiff schien als Hilfskreuzer geeignet, hatte es doch bei seiner
Verfolgung die stattliche Geschwindigkeit von beinahe \7 Seemeilen
entwickelt. So bekam denn Raysan Rurs und Fahrt signalisiert, und
Lmden folgte ihm so, daß sie ihn stets aus nächster Nähe hübsch
unter Aufsicht hatte.
Inzwischen hatte sich Lauterbach in das F.-T. (= Funken-
telegraphische) Journal des Dampfers vertieft und meldete aus
Emden
45
diesem allerlei Interessantes auf Emden hinüber. Am gleichen
Morgen hatte nämlich der Raysan noch mit dem französischen Ge-
schwader verkehrt und die Nachricht empfangen, daß es mit süd-
lichem Kurse Wladiwostok verlassen habe.
Das war von außerordentlicher Bedeutung, denn nun bestand
die große Möglichkeit eines Zusammentreffens mit den beiden fran-
zösischen Panzerkreuzern, und welche Freude wäre es für diese
gewesen, wenn sie der Emden ihre schöne Prise wieder abgejagt
hätten!
Für entsprechend schärferen Ausguck wurde auf S. M. 5. „Em-
den" sofort Sorge getragen.
Nachdem auf dem weiteren Wege ein kleineres Fahrzeug, an-
scheinend ein japanischer Fischdampfer, angetroffen und von Emden
unbehelligt geblieben war, senkte sich der Abend hernieder und bot
bei schönstem, windstillen Wetter und gänzlich ruhiger See einen
herrlichen Sonnenuntergang.
plötzlich meldete der im Fockmast als Ausgucksposten aufge-
zogene Signalgast die Rauchwolken von mindestens fünf Schiffen
an Steuerbord querab. Sofort drehte der Kommandant um 8 Strich
nach Backbord ab, um einerseits von den Rauchwolken weg zu
dampfen, andererseits ihnen die schmale Seite der Schiffe zuzu-
kehren, damit man Emden und ihren unfreiwilligen Begleiter nicht
an ihren Schornsteinen erkennen konnte.
Kein Zweifel, das war das französische Geschwader, welches
dort, bestehend aus den beiden Panzerkreuzern und einigen Torpedo-
booten, in breiter Formation südwärts steuerte.
An Raysan war der Befehl: „Klar machen zum Versenken"
schon vorher ergangen, das heißt Ausschwingen und Klarmachen
der Boote, denn im äußersten Notfälle sollte die Prise höchstens im
sinkenden Zustande preisgegeben werden. Raysa» ist dann gleich
bis Tsingtau jederzeit klar zum versenktwerden geblieben.
Jetzt wurde auf dem deutschen Kreuzer auch ein feindlicher
Funkspruch aufgefangen. Dieser war von den Herren Franzosen
noch nicht einmal chiffriert gegeben und lautete: „Dupleix" (fran-i
zösischer Panzerkreuzer) an „Amazone" (Postdampfer der Messageries
Maritimes): „Deutsche große Kreuzer halten Tsushimastraße besetzt,
sofort nach Kobe zurückkehren!"
Beinl Sichten der fünf Rauchwolken stand Emden südlich der
Insel Tsushima, ungefähr südwestlichen Kurs nach Tsingtau steuernd.
Das französische Geschwader, das den weflkanal der Tsushimastraße
durchfahren hatte, steuerte einen ungefähr fünf Strich von dem
der Emden abweichenden Kurs, scheinbar auf Shanghai oder Lsong-
kong zu. Nach Einbruch der Dunkelheit drehte Emden, die zunächst
nach Osten ausgewichen war, langsam über Backbord auf nörd-
lichen, nordwestlichen und schließlich auf ihren alten westlichen Kurs,
sich so in weitem Bogen hinter den Franzosen vorbeiziehend und deren
46
Witthoest
Kurs nicht ganz rechtwinkelig schneidend. Dann steuerte sie zwischen
der Insel Ouelpart und der koreanischen Halbinsel weiter nach
Tsingtau, wenn es tatsächlich die französischen Kriegsschiffe gewesen
waren, woran kaum ein Zweifel besteht, so war ihnen Emden
glänzend entwischt. Der Signalgast, der infolge tadelloser Auf-
merksamkeit den Feind frühzeitig genug gemeldet hatte, wurde zur
Belohnung zum Obersignalgasten befördert. Das war die erste
Kriegsauszeichnung auf 5. M. 5. „Emden".
Am nächsten Abend erhielt der deutsche Kreuzer, der auch weiter
vom Feinde unbemerkt seine Prise dem peimatshafen zuführte und
und nur wenigen japanischen Dampfern begegnet war, die Nachricht
von Englands Kriegserklärung an Deutschland. Obwohl Offiziere
und Besatzung die Bedeutung dieses Auftretens der seegewaltigsten
Macht unter Deutschlands Feinden nach ihrer ganzen Schwere wür-
digten, so wirkte die Nachricht an Bord doch in keiner weise nieder-,
schlagend, ganz im Gegenteil freuten sich die Leute darüber, als
Angehörige der jungen deutschen Marine ihre Kräfte gleich im
Kampfe mit der größten Seemacht der Welt erproben zu können.
Immerhin hieß es jetzt Maßnahmen zu treffen, wenn Tsingtau von
den Engländern bereits blockiert sein sollte. Es entstand nämlich nun
die Frage, ob es, da ja nun mit einem Zusammentreffen mit eng-
lischen Streitkräften vor Tsingtau gerechnet werden mußte, noch
zweckmäßig sei, den Raysan nach Tsingtau einzubringen. Denn wenn
auch bei einem Zusammenstoß mit überlegenem Feinde die Prise
nur im sinkenden Zustande verloren gegeben wäre, so bestand doch
die Gefahr, daß Lauterbach und die auf Raysan befindliche deutsche
Prisenbesatzung sehr leicht in Gefangenschaft geraten konnten.
Derartige Zweifel tauchten wohl auch vorübergehend bei
Fregattenkapitän v. Müller auf. Da aber der Raysan mit seiner
hübschen Geschwindigkeit schon ein wert war, um den sich ein Wag-
nis lohnte, so entschied sich der Kommandant doch nach kurzer Über-
legung dazu, die Einbringung der Prise nach Tsingtau unter allen
Umständen zu versuchen. Dementsprechend erging noch vor dem
Dunkelwerden an Lauterbach der Befehl: „Bei Annäherung Tsingtau
einscheeren in Kielwasser Emden, bei Zusammenstoß mit dem Feinde
Schiff auf Strand setzen."
Dann kam die Nacht. Als gegen \ Uhr das Feuer von Tfcha-
lientau, einer der Tsingtaubucht vorgelagerten Insel, in Sicht kam,
wurde das Schiff in Klarschiff-Zustand versetzt, d. h. die ganze Be-
satzung zog auf den Gefechtsstationen auf. Es war Dampf auf für
hohe Fahrt.
Nach Peilungen des Leuchtfeuers wurde festgestellt, daß Emden
starke nördliche Stromversetzung gehabt hatte. Dementsprechend
wurde der Kurs etwas südlicher gerichtet auf Kap Patau, um von
dort dicht unter der nördlichen Küste der Tsingtaubucht in den Hafen
einzulaufen.
Lmden
47
Gegen 3 Uhr wurde ein Dampfer mit auffallend Heller Heck-
laterne passiert, anscheinend ein Japaner.
Auf der Kommandobrücke der Emden war alles in ziemlicher
Spannung, waren doch schon seit einiger Zeit zahlreiche, natürlich
dem deutschen Kreuzer nicht verständliche Funksprüche aufgefangen
worden, deren Sender, nach der Lautstärke zu schließen, nicht weit
abstehen konnten. An der Hand dieses lauten und lebhaften Funken-
verkehrs wurde auf die Möglichkeit geschlossen, daß nicht unbedeu-
tende englische Zerstörerstreitkräfte vor Tsingtau liegen konnten.
Und wie es denn meistens so geht, wenn man irgend etwas Be-
sonderes erwartet, so ereigneten sich auch hier zwei Zufälle, die zur
Erhöhung der auf Emden herrschenden Spannung und angestreng-
sten Aufmerksamkeit noch beitrugen. Zunächst ging die Venus, wohl
infolge von Refraktion, im letzten Augenblick derartig weithinleuch-
tend unter, daß viele unter der Besatzung darauf geschworen hätten,
es wäre ein niederfallender weißer Signalstern gewesen, und ganz
kurz darauf wurde eine niederfallende Sternschnuppe beobachtet,
die eine so ungewöhnliche, ausgesprochen grüne Farbe hatte, daß
wiederum recht viele geneigt waren, sie für einen grünen Signal-
stern anzusprechen. So spähten viele Augen angestrengt in das
Dunkel der Nacht, und auf dem Raysan, der seinem Befehl gemäß
schon seit einiger Zeit hinter der Emden herfuhr, wurde ebenfalls
höllisch aufgepaßt.
Aber kein Angriff erfolgte, nur als Emden bei der allerersten,
noch kaum merklichen Morgendämmerung bei Kap Patau angekom-
men war und sich die Augen der Besatzung nun auch auf die nahe
und hohe Felsenküste richteten, in deren zerklüfteten Buchten englische
Zerstörer recht gut hätten lauern können, da ertönte der Ruf:
„Alarm" und kurze Zeit später noch einmal.
Die dunkelen Körper, die sich aus den düsteren Schatten der
Felsen losgelöst hatten und sich dem deutschen Kreuzer langsam
näherten, und die zuerst für Torpedoboote gehalten worden waren,
entpuppten sich aber beim Näherkommen als chinesische Dschunken.
Einige Augenblicke später kämpfte sich die Morgendämmerung
siegreich durch, und nun wurde in südlicher Richtung ein Dampfer
gesichtet. Es war ein Landsmann, der Dampfer L. F. Leiß, der vor
der Einfahrt wartend kreuzte.
Die ungefähre Ankunftszeit war Tsingtau natürlich durch
Funkentelegraphie mitgeteilt worden. Tsingtau war im Kriegszustände,
kein Feuer brannte mehr, die Minensperre war ausgelegt. Auch
in den Privathäusern war Lichtbrennen untersagt. So lag die Stadt
in unheimlichem Dunkel da, so ganz anders als sonst, wo einem,
wenn man nachts oder auch selbst in der frühen Dämmerung wie
jetzt, eingelaufen war, stets ein Helles Lichtermeer entgegengestrahlt
hatte.
48
Witthoest
Südlich der Insel Maitau machte Emden ein Signal, und in
demselben Augenblick blitzte das Linfahrtfeuer auf, um ihr den Weg
zu weisen. Gleichzeitig sah man jetzt den auf Patrouille befindlichen
„Jaguar". Gott sei Dank, daß er den Heimathafen auch erreicht
Mattel Er hatte die Reise von Shanghai unter der stetigen unan-
genehmen Begleitung eines englischen Kreuzers zurückgelegt, in-
dessen Tsingtau noch vor dem Eintreffen der englischen Kriegserklä-
rung erreicht.
Inzwischen war es nun ziemlich hell geworden, cine Dampf-
barkasje mit dem Sperrkommandanten und Sperrlotsen kam längs-
seit, und der deutsche Kreuzer wurde durch die Minensperre hindurch-
gelotst. Raysan mußte vorerst noch außerhalb der Sperre ankern,
folgte aber nach kurzer Zeit.
So hatte S. M. S. „Emden" ihre erste Unternehmung mit einem
schönen Erfolge beendet, denn Raysan wurde in Tsingtau, wo es
an schnelleren Dampfern mangelte, als äußerst willkommene Prise
freudig begrüßt und hat später als stolzer Hilfskreuzer „Kormoran II."
die deutsche Kriegsflagge über den weiten Stillen Ozean getragen.
Für S. M. S. „Emden" war aber die Fahrt insofern von großer Bedeu-
tung gewesen, als sie gezeigt hatte, von was für einem frischen,
wagemutigen und opferfreudigen Geiste Matrosen und Heizer be-
seelt waren, was für ein unbegrenztes vertrauen die Besatzung in
ihren Führer Fregattenkapitän v. Müller setzte und welch schönes und
sachgemäßes Zusammenarbeiten zwischen der Mannschaft und ihren
Offizieren bestand.
ch *
*
Monate später! S. M. S. „Emden" hatte in der Zwischenzeit
so manchen englischen Handelsdampfer auf den Meeresgrund be-
fördert, wobei stets in ritterlichster Weise den Besatzungen dieser
Schiffe Gelegenheit gegeben worden war, ihr persönliches Hab und
Gut zu retten. Ferner auch hatte S. M. S. „Emden" durch die Beschie-
ßung der Öltanks von Madras die Brandfackel des Krieges an die
nach Ansicht der Engländer geheiligte Küste Indiens getragen, und
dem unternehmungslustigen Geiste der Mannschaft paßte es schon
längst nicht mehr, sich nur mit der Vernichtung harmloser Handels-
dampfer abzugeben. Sie dürstete danach, ihre Kräfte auch einmal
im Kampfe mit einem Kriegsschiff erproben zu können. Die Be-
satzung ahnte wohl kaum, daß ihr Wunsch recht bald in Erfüllung
gehen würde und daß der Kommandant des Schiffes sich schon seit
längerem mit dem Gedanken an eine Unternehmung gegen feind-
liche Seestreitkräfte im Hafen von penang trug. Dieser Gedanke
war geboren worden, als Lauterbach gelegentlich der schon vor der
Beschießung von Madras erfolgten Kaperung eines norwegischen
Dampfers bei Rangun erfahren hatte, daß die beiden französischen
Panzerkreuzer Montcalm und Duxleix im Hafen von penang lagen.
Linden
49
Gegen diese beiden wollte der Kommandant mit größter Über-
raschung zum vernichtenden Schlag ausholen. Diesem Entschluß ent-
sprechend steuerte S. M. S. „Emden" am 27. Oktober W4 Penang
an, und im Laufe des Nachmittags gab der Kommandant der Be-
satzung mit einer kurzen Ansprache bekannt, was er für den nächsten
Tag plante, gleichzeitig die Erwartung aussprechend, daß jeder
Mann seinen Posten ausfüllen würde. Aus den Blicken der Leute
konnte er herauslesen, daß er sich in dieser Einsicht felsenfest auf
sie verlassen konnte. Diesesmal sollte nicht, wie bei Madras, in
völliger Dunkelheit angegriffen werden. Das ging hier aus navi-
gatorifchen Rücksichten nicht an. Bei Madras war weiter nichts nötig
gewesen, als von einer navigatorisch gänzlich gefahrlosen, offenen
Reede aus auf die Stadt zu feuern, unter völliger Bewegungsfreiheit
nach allen Seiten hin. ^ier lag die Sache wesentlich anders. Der
Hafen von penang liegt in einem reichlich engen Schlauch, der von
der Insel Pulu-Gedang und der hinterindischen Küste gebildet
wird, und der nach Norden und Süden zu offen ist. Die südliche
Einfahrt fiel für die Zwecke der Emden wegen ihrer allzu großen
navigatorischen Hindernisse von vornherein weg, blieb also nur die
Nord-Einfahrt. Durch diese einzusteuern hätte man sich ja auch
noch bei völliger Dunkelheit getraut, obgleich, nach dem Ereignis
von Madras, mit ziemlicher Sicherheit darauf zu rechnen war, daß
sämtliche Seezeichen gelöscht sein würden. Aber hier war die Auf-
gabe auch eine andere als seinerzeit bei Madras. Es galt hier nicht
die Beschießung von Öltanks oder Küstenbatterien, sondern die
Vernichtung eines feindlichen Kriegsschiffes. Der Ankerplatz der
Kriegsschiffe in penang lag aber ganz innen drin, an der engsten
Stelle des geschilderten Schlauches, daher konnte von einer Bewe-
gungsfreiheit dort keine Rede mehr sein. hinein aber mußte man,
um an den Gegner überhaupt heranzukommen. Ein paar Granaten
taten es hier nicht. Die hätten bei dem kleinen Kaliber dem Feinde
wohl nicht allzu viel Schaden zugefügt, Hier mußte ihm aus nächster
Nähe ein tödlicher Torpedo überraschend angetragen werden, der
ihn gleich so zurichtete, daß an keinen energischen widerstand mehr
zu denken war. Sonst konnte es der Emden in dem engen Loche
übel ergehen, wenn sie auf einen artilleristisch stärkeren Gegner stieß.
Um diesen Torpedo los zu werden, mußte aber, wie gesagt, bis auf
wenige hundert Meter herangegangen werden, da der Feind infolge
des Ebbe- und Flutstroms nicht von vornherein seine Breitseite
darbot, wenn er zu Anker lag. Und, was mindestens ebenso wichtig
war, wenn der Angriff auch den gewünschten moralischen Erfolg
erzielen sollte, was aber seemännisch und navigatorisch viel schwie-
riger war, Emden mußte auch glücklich wieder heraus! Das be-
dingte aber ein Umdrehen des Schiffes gerade hier an der engsten
Stelle des Schlauches, um die Nordeinfahrt wieder zu gewinnen.
Dieses Manöver aber in der völligen Dunkelheit ausführen zu
». vickhuth-tzarrach, 2>n Leide unbrfiegt. I. 4
50 witthoeft
wollen, wäre tollkühn gewesen, und hätte sehr übel ausgehen können,
da mit Bestimmtheit anzunehmen war, daß es im feindlichen Feuer
ausgeführt werden mußte, und daß der ganze Hafen voll von
Handelsschiffen sein würde, von denen übrigens, wenn möglich, auch
noch gleich ein paar vernichtet werden sollten. Daher wählte der
Kommandant den Zeitpunkt seines Auftretens so, daß er die aller-
erste Morgendämmerung zur Hilfe hatte, um wenigstens die verschie-
denen Fahrzeuge im Hafen unterscheiden zu können. Dementsprechend
wurde die Fahrt auf den Anmarsch geregelt. Am frühen Morgen
des 28. Oktober wurde mit \7 bis \8 Seemeilen in den Hafen ein-
gelaufen. Der Rurs wurde auf die unmittelbar vor dem inneren
Hafen liegende Leuchttonne genommen, die wider Erwarten ebenso
wie der Leuchtturm auf der Insel nicht gelöscht war. Das sorgfältig
abgeblendete Schiff führte, wie immer bei militärischen Unterneh-
mungen, den selbstgefertigten vierten Schornstein, der nach jDenang
so bekannt geworden ist. Als man nach dem Runden der Boje in den
inneren blasen hineinsehen konnte, entdeckte man, daß die Beschie-
ßung von Madras für die Engländer wenig Nutzen gezeitigt hatte,
denn alle Lichter brannten wie im tiefsten Frieden. Um %50 Uhr
das war der Zeitpunkt, zu dem die Boje gerundet wurde — wurde
der Befehl „Achtung"' gegeben. Jetzt konnte es losgehen.
Noch war es finster, aber jeden Augenblick mußte die Däm-
merung einbrechen. Die beiden Küstenstriche, an Backbord das Fest-
land, an Steuerbord die Insel, waren natürlich schon jetzt mühelos
zu unterscheiden, ganz abgesehen davon, daß die auf beiden Seiten
liegenden Stadtteile mit ihrer schönen Beleuchtung schon dafür
sorgten, daß man sich nicht verirrte.
Die Scheinwerfer waren besetzt, die Kanonen geladen. Jeder-
mann wartete atemlos auf die nächsten Minuten. Es setzte Lbbstrom.
Im blasen liegende Schiffe mußten Emden daher ihr Heck zukehren.
Jetzt folgten die Ereignisse schnell aufeinander. Unmittelbar
vor dem Eintritt in den inneren Hafen verminderte der deutsche
Kreuzer die Fahrt.
von den vielen, vielen Lichtern an Land und im Hafen traten
besonders vier Helle weiße hervor, die zunächst als Hecklaternen von
längsseit aneinander festgemachten Torpedobooten angesprochen
wurden. In diesem Augenblick jedoch brach das erste fahle Gelb
der Dämmerung durch, und es wurde erkannt, daß die Lichter zu
einem größeren feindlichen Kriegsschiff gehörten, von dem Emden
etwa noch J500 m ab war. Zum Fertigmachen des Steuerbord-
Torpedo-Breitseitrohres stoppte der Kommandant für einen kurzen
Augenblick die Maschinen ab. Dann, als ihm das Rohr klargemeldet
war, dampfte er auf den Feind los, der unterdessen als der russische
kleine Kreuzer „Iemtschug" ausgemacht worden war.
Ungefähr 500 m hinter dem Heck des russischen Kreuzers
wurde hart nach Backbord gedreht, um den Feind nicht zu unter-
Emden
51
schießen. Die deutschen Toppflaggen flatterten hoch. Schon war
jetzt der richtige seitliche Abstand erreicht, und Lmden drehte auf
gleichlaufenden Rurs zum Russen zurück.
Der lag im tiefsten Frieden, anscheinend die deutschen Farben
in der knappen Morgendämmerung noch nicht erkennend.
Lmden's Scheinwerfer warteten auf Befehl zum Leuchten,
doch wurden sie nicht mehr gebraucht. Das Ziel war auch so schon
deutlich genug zu erkennen.
Jetzt war die Lmden soweit, daß der Feind in die Ziellinie
einwandern mußte. Noch ein kurzer Augenblick höchster allgemeiner
Spannung. Dann erklang das „Los" des Torpedooffiziers aus dem
Kommandoturm, und aller Augen richteten sich auf die Wasserober-
fläche, wo die schon schwach erkennbaren Blasen mit unheimlicher
Sicherheit nach dem ahnungslosen Gpfer ihre Bahn zogen.
Lin dumpfer Rnall erfolgte, der Torpedo hatte den „Iem-,
tschug" in der Höhe seines Hinteren Schornsteins, anscheinend sehr
tief getroffen.
Das Schiff federte hinten einen Augenblick hoch und sank dann
bis zum Fuße seines Flaggenstocks weg.
Das begeisterte Hurrah von Lmden's Adjutanten verklang
in dem ohrenbetäubenden Lärm des nunmehr, gemäß vorheriger
Verabredung, sofort einsetzenden Artilleriefeuers, das mit dem
Augenblick der Detonation des Torpedos den Gegner aus nächster
Nähe überschüttete, und dessen Lcho hier in diesem engen Schlauch
tausendfach widerhallte.
Und während jetzt die Strahlen der aufgehenden Sonne die
letzten Dämmerungsschatten vollends verscheuchten und den Hafen,
den deutschen Rreuzer und seine Farben hoch oben im Topp in
rosiges Licht hüllten, fegten die deutschen Granaten auf eine Ent-
fernung von wenigen hundert Metern mit mathematischer Sicher-
heit in das Vorschiff des dem Untergange geweihten Rreuzers, das
bald wie ein Sieb aussah und in dem es lichterloh brannte.
Nicht umsonst war dieser Teil des Russen das Ziel der Geschütze.
Im Vorschiff eines Kriegsschiffs wohnt die Mannschaft, und es galt,
den größten Teil der Besatzung, der um diese Zeit wohl noch schlief,
garnicht mehr auf seine Gefechtsstationen kommen zu lassen, viele
Menschen sind wohl auch aus dieser Hölle nicht mehr heraus-
gekommen.
Unmittelbar nach dem ersten Torpedotreffer manövrierte der
Kommandant die Lmden nach Backbord auf der Stelle herum, um
nicht zwischen, die zahlreichen im Hafen liegenden Handelsschiffe zu
geraten. Deren gab es hier — es waren wahrscheinlich größtenteils
Engländer und Japaner — nicht weniger als mindestens zwanzig.
Lin zwingender Beweis für den Eindruck von Emdens bisheriger
Tätigkeit, wenn man bedenkt, daß es nur deshalb so viele waren,
weil die meisten sich wegen der Lmden nicht hinaus getraut hatten.
4*
62
Witthoest
während das Schiff drehte und seinen Granatenhagel nun
auch über die bisher noch verschont gebliebenen Teile des „Iem-
tfchug" verteilte, stürzte der Torpedooffizier, der unmittelbar nach
seinem ersten Schuß das Backbordbreitseitrohr chatte fertigmachen
und das Steuerbordrohr neu hatte laden lassen, auf die Kommando-
brücke und bat den Kommandanten um Befehl, ob dem „Zem-
tschug" noch ein zweiter Torpedo angeboten werden sollte oder nicht.
Ls war ja mit Sicherheit anzunehmen, daß der Russe, der hinten
schon so tief im Wasser lag, sinken würde. Aber Lmden mußte noch
einmal an ihm vorüber, und bei dieser Gelegenheit konnte ihr der
feindliche Kreuzer schließlich auch seinerseits noch einen Torpedo
in den Leib jagen. Dem galt es zuvorzukommen. Der Kommandant
antwortete aus diesem Grunde bejahend.
Noch war es indessen nicht so weit. Das Drehmanöver des
Schiffes beanspruchte immerhin einige Minuten, und während dieser
Zeit pfiffen nun doch der Besatzung von Lmden einige Granaten
um die Ohren, ohne allerdings auf dem Schiff auch nur den ge-
ringsten Schaden anzurichten. Linige dieser vereinzelten Granaten
kamen vom „Iemtschug", auf dem nun einige tapfere Leute das
Feuer gegen Lmden aufgenommen hatten, während man eine ganze
Reihe weniger beherzter Krieger vom Achterdeck in sinnloser Angst
einfach über Bord springen sah. Die anderen Geschosse kamen aber
von wo anders her angereist, und als man sich erstaunt umsah,
da entdeckte man den Übeltäter tief drinnen bei der lsafenmole in
Gestalt des französischen Torxedobootsjägers „d'Zberville", Lm-
dens langwöchigen Bojennachbars in Shanghai, der ebenfalls fein
schlecht gezieltes Feuer auf den deutschen Kreuzer eröffnet hatte. Der
einzige Lrfolg des vereinigten russischen und französischen Feuers
war aber nur ein angeschossener englischer oder japanischer Dampfer.
Also noch ein neuer Feind war da!! Der Franzose, obwohl nur ein
Schiff von ungefähr \000 Tonnen und natürlich kein ebenbürtiger
Gegner, sollte nichtsdestoweniger auch noch vernichtet werden.
Zunächst aber mußte erst einmal der Russe hinweg, und jetzt
war die Lmden auch herum. Langsam näherte sie sich auf nörd-
lichem Kurse dem Gegner, und fuhr auf ungefähr 660 in an ihm
vorbei. Nach wie vor hämmerte ihre Artillerie auf dem nur noch
ganz vereinzelt antwortenden „Zemtschug", dann legte der Torpedo-
offizier zum zweitenmal den elektrischen tsebel im Kommandoturm,
wieder ein kurzes Zischen. Der Torpedo hatte sein Rohr verlassen,
und auf dem spiegelglatten Wasser hob sich wunderschön die Blasen-
laufbahn des tödlichen Geschosses ab, das jetzt dem Feinde den Rest
geben sollte.
Mitten im Gekrach der Kanonen hörte man Mücke zählen:
„Lins, Zwei, Drei..... ", er zählte die Sekunden bis zum Treffer,
dann übertönte der Knall einer ungeheuren Detonation alles andere.
Man sah noch eben, wie der Torpedo, der unter der Kommando-
Emden
53
brücke des „Iemtschug" saß und anscheinend eine Munitionskammer
oder gar den Torpedoraum des Gegners getroffen haben mußte,
den russischen Kreuzer scheinbar in zwei Stücke zerriß, sah riesige
Lisenfetzen hoch oben in der Luft wirbeln und wieder aufs Wasser
klatschen. Dann verhüllte eine dicke, in weißen, gelben und schwarzen
Farbenschattierungen schimmernde Wolke das unglückliche Schiff,
aus dem es noch einmal grünlich grell aufblitzte.
Die Detonation war so stark, daß sie auf Emden unten in der
Maschine als eigener Unter-Wasser-Treffer empfunden wurde und
der Leiter des Lecksicherungsdienstes sofort alle Backbordräume unter
Wasser peilen ließ.
Als die Wolke dichten Qualms, die bisher den „Zemtschug"
so mildtätig eingehüllt hatte, nach ungefähr zwei bis drei Minuten
sich hob, da war von dem Russen nur noch die Mastspitze zu sehen.
Dom ersten bis zum zweiten Torpedo waren knapp zehn Minuten
vergangen.
wie S. M. S. „Emden", von plötzlichen Hindernissen überrascht,
den engen Schlauch des Hafens von penang mit höchster Fahrt ver-
lassen mußte, ohne die vorher beabsichtigte Vernichtung der fran-
zösischen „d'Iberville" ausführen zu können, wie sie ferner im
Glauben, es mit einem britischen Zerstörer zu tun zu haben, für
kurze Zeit einen englischen Regierungsdampfer beschoß, wie ferner
das Kapergeschäft eines weiter draußen angetroffenen englischen
Handelsdampfers Hals über Kopf aufgegeben werden mußte, weil
plötzlich der französische Torpedobootszerstörer „Mousquet" auftrat,
wie Emden schließlich diesen Zerstörer durch tadellos geleitetes Ar-
tilleriefeuer in kürzester Zeit abfertigte und auf den Meeresgrund
beförderte, die überlebenden französischen Matrosen aber trotz großer
Gefahr für die eigene Sicherheit in ritterlichster Weise rettete, und
unter Abschüttelung sämtlicher Verfolger die freie See wieder ge-
wann, — das alles im genauen auszuführen, würde über den
Rahmen dieses kleinen Aufsatzes hinausgehen.
Es sei nur noch erwähnt, daß Fregattenkapitän v. Müller nach
der Versenkung des Russen die Mannschaft zusammenrief und an-
läßlich dieses ersten Erfolges gegen ein feindliches. Kriegsschiff das
Gelöbnis der Treue durch ein dreifaches Hurra auf den Aller-
höchsten Kriegsherrn erneuerte, in das die tapfere Besatzung freu-
dig begeistert mit einstimmte.
Emden entwickelte bei der fraglos sehr kühnen Unternehmung
ein ausnehmendes Glück. Trotzdem sie dreimal mit Artillerie und
Torpedos beschossen wurde, erhielt sie keinen Treffer, kein Mann
an Bord wurde verwundet. Einen kleinen Erinnerungs-Denkzettel
im Schornstein hätte man sich eigentlich beinahe gewünscht. Nun
mußte man sich mit der Rettungsboje des „Mousquet" als der ein-
zigen Siegestrophäe begnügen, war auch statt eines erwarteten
„Montcalm" oder „Dupleix" nur der „Zemtschug" zur Strecke ge-
54
witthoeft
bracht worden, so glich die Vernichtung des „Mousquet" den Unter-
schied zwischen einem Panzerkreuzer und nur einem kleinen Ureuzer
wieder einigermaßen aus. Glück und Stolz über diesen Sieg und
Dankbarkeit gegen das Schicksal, das es so gut mit den deutschen
Waffen gemeint hatte, erfüllte einen jeden der braven und tüchtigen
Besatzung wohl im innersten kserzen. Jeder einzelne des Schiffes
konnte sich mit Genugtuung sagen, daß er seinen Posten treu und
zuverlässig ausgefüllt hatte. Aber am meisten hat sich doch sicher
das Torpedopersonal gefreut, das während des Gefechtes gegen
den „Iemtschug" ganz vorzüglich gearbeitet hatte. Dem war der
Vorsprung, den die Artillerie seit der Beschießung von Madras
vor ihm gehabt hatte, schon längst ein Dorn im Auge gewesen. Nun
war es überglücklich, daß es auch einmal drangekommen war und
ein paar seiner mit so viel Mühe gepflegten Stahlfische mit dem
nötigen durchschlagenden Erfolge hatte loswerden können.
Der Durchbruch der 3. Garde-Jnfantsrle-Division
nach Drzez'my")
!n der Schlacht von Lodz am 23. November 1914.
Don General der Infanterie z. D. Karl Litzmann,
damals Generalleutnant und Kommandeur der 3. Garde-Infantsris-Divlsion.
/Gin gewaltiges Russenheer, vier Armeen mit Armeekorps
zählend, hatte sich unter General Rußki Ansang November
l9l4 gegen die Grenzen Schlesiens und Gosens in Bewegung
gesetzt. Am ff. November stand es mit dem rechten Flügel west-
lich der großen polnischen Fabrikstadt Lodz, mit dem linken östlich von
Rrakau. Seiner übermächtigen Front konnten außer österreichisch-
ungarischen Truppen nur schwache deutsche Rräfte, meist Landwehr
und Landsturm, entgegengestellt werden. Aber der nördlichen Lseeres-
flanke der Russen gegenüber, zwischen Jarotschin und Thorn, wurde,
von starker Reiterei verschleiert, Mackensens 9- Armee mit 51/2 deut-
schen Armeekorps zum Angriff versammelt. Sie sollte unvermutet
in südöstlicher Richtung vorbrechen, den feindlichen Heeresflügel bei
Lodz umfassend angreifen, völlig umklammern und vernichtend
schlagen. So war der Plan Hindenburgs und Ludendorffs.
Am ff. November überschritt die 9- Armee die Landesgrenze;
vom \2. bis \6. kämpfte sie zwischen Weichsel und Warta erfolgreich
gegen vorgeschobene russische Rorps und gewann die Ner-Bzura-
Linie, jenen sumpfigen Niederungsstreifen, der sich 4-0 km nördlich
Lodz vorlegt. Hier stand sie in der vollen Flanke Rußkis und
hatte damit schon Bedeutendes erreicht. Denn Rußkis Heer, das nach
Wunsch und Vorstellung der Entente als „Dampfwalze" mit ver-
nichtender Wucht sich über Schlesien und Posen auf Berlin fort-
wälzen sollte, war nicht nur zum Stehen gebracht, sondern auf dem
Nordflügel schon eine Strecke ostwärts zurückgenommen worden. Nun
konnte die Umklammerung dieses Flügels, der 2. russischen Armee
unter Scheidemann, beginnen, die „Schlacht bei Lodz" am 1.7. No-
vember ihren Anfang nehmen.
‘) Das polnische rz wird wie das G in Gendarm, das seinfache z wie ein
weiches f ausgesprochen.
56
Litzmann
Port Westen her drang das preußische XI. Armeekorps, von
Norden das XVII. und XX. gegen das „Manchester des Ostens" vor,
und 20 km östlich an Lodz vorbei, über Brzeziny, führte General
v. Scheffer mit seinem XXV. Reservekorps, der 3. Garde-Infanterie-
division und dem Kavalleriekorps Richthofen — 6. und 9- Kavallerie-
division — einen kühnen Umgehungsmarsch aus, um die Einkreisung
im Osten Und Süden von Lodz zu bewirken.
Doch die rücksichtslose Willenskraft des russischen Generalissimus,
Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch peitschte die Truppen, auch der
schon geschlagenen Korps, zum zähesten widerstand auf und führte
von Süden, aus der ldeeresfront Rußkis, wie aus östlicher und nord-
östlicher Richtung, von jenseits der Weichsel, sehr starke neue Kräfte
zum Entsatz heran. Das XI. Korps wurde am 19- November in seiner
südlichen Flanke angefallen und mußte mit der rechten Flügeldivision
rückwärts schwenken, statt sich zur Schließung des Ringes der Stadt
pabianice südwestlich von Lodz zu bemächtigen. Das XX. Korps
wurde am 2\. von Nordosten her in seinem Rücken empfindlich be-
droht, und die Armeegruppe Scheffer verlor am gleichen Tage ihre
rückwärtigen Verbindungen, da Brzeziny in des Feindes bsand fiel.
Zugleich sah sie sich von Süden und Westen her angegriffen.
Diese Armeegruppe war ihrer Aufgabe bisher in vorzüglicher
weise nachgekommen. Sie hatte am s8. Nov. Brzeziny in Besitz ge-
nommen, am l9- südöstlich von Lodz Übergänge über denMiazgabach
erzwungen, am 20. in siegreichen Kämpfen das Städtchen Rzgüw
südlich von Lodz überschritten. Aber das XI. Armeekorps hatte nicht
vermocht ihr die Hand zu reichen; hier klaffte eine weite, vom Feinde
beherrschte Lücke. Am 2\. stand die Armeegruppe wie ein Keil weit
in die russischen Massen hineingetrieben, die sich bei Lodz zusammen-
geballt hatten und von Süden und Westen her andauernd Zuzug
erhielten. Sie hatte in täglich blutiger werdenden Gefechten schwere
Opfer gebracht und nun unter den ungünstigsten Verhältnissen nach
drei Seiten weiter zu kämpfen. Doch der Mut der Truppen war un-
gebrochen, ihre Hoffnung auf den Sieg nicht aufgegeben.
Auf der Nordfront des Keils rang die 3. Garde-Infanterie-
division, von der 9- Kavalleriedivision des Grafen Eberhard Schmet-
tow brüderlich unterstützt, gegen die übermächtigen Russen. Über
s0 km breit hatte die Gefechtslinie ausgedehnt werden müssen. Aber
der Angriffsgedanke blieb lebendig. Es ging vorwärts, wenn auch nur
schrittweise und unter Verlusten, wußten wir doch weiter nördlich
das preußische XX. Armeekorps uns gegenüber, wir rechneten
darauf, daß es uns entgegen kommen würde. Dann sollten die
zwischen ihm und uns stehenden feindlichen Massen schon über-
wunden werden! ...
*) Die Endung dw wird uff ausgesprochen.
Brzeziny
57
Der 2\. November, der fünfte Tag der Lodzer Schlacht, war
zur Rüste gegangen. Lin sternenklarer Nachthimmel wölbte sich
über dem flach gewellten polnischen Hügelland, von Südwesten,
wo in der Gegend von Rzgow die V- Reservedivision als Spitze
des Reils einen schweren Stand hatte, drang noch Gefechtslärm her-
über. Im Norden, beim XX. Korps, wetterleuchtete Geschützfeuer.
Der Kommandeur der Gardedivision stand mit seinem Generalstabs-
offizier am Nordausgang von wiskitno. Ihre Blicke waren auf
Lodz gerichtet, dessen Südrand in Brand geschossen war. Plötzlich
stieg aus der Stadt eine blutrote Lichtsäule zum Nachthimmel auf,
ein riesiges, durch Scheinwerfer erzeugtes Fanal. Staunend be-
trachteten es die Männer. Aber, als sie sich umwandten, erblickten
sie mit noch größerem Staunen im fernen Nordosten, Südostrn und
Süden gleiche rotleuchtende Säulen! Da erkannten sie, daß die Armee-
gruppe Scheffer umzingelt werden sollte. — Mir hatten die bei Lodz
stehenden Russen einschließen wollen; nun sollte uns von neu hinzu-
gekommenen Russen dasselbe Los bereitet werden.
In dieser Lage konnte es nur einen Entschluß geben: unsere
Anstrengungen zu verdoppeln und mit dem Feind östlich von Lodz
aufzuräumen, ehe die zu seiner Hilfe herbeieilenden Korps heran
waren. Leider mußte die 9- Kavalleriedivision aus der Gefechts-
linie der Garde fortgenommen werden, um den Rücken der Armee-
gruppe zu sichern, und doch lagen vor der Front der Garde die stark
befestigten und besetzten Dörfer Feliksin und Glechow, die erstürmt
werden mußten, „vorwärts" war die Losung, koste es, was es
wolle!
Der 22. November brach an. Ls war der Totensonntag des
Jahres \9\% und er entsprach seinem Namen! Tausende von deut-
schen Melden sanken dahin. Die Regimenter der 6. Garde-Infan-
teriebrigade — Lehr-Regiment und Gardefüsiliers — erstürmen
Feliksin. Das Dorf Vlechöw wird von der 5. Brigade — 5. Garde-
regiment zu Fuß und 5. Gardegrenadiere — angegriffen. Ls liegt
^ km breit auf einer Höhe mit glacisartigem Vorfeld und bildet einen
stumpfen Winkel, dessen «Öffnung uns zugekehrt ist. Der Divisions-
kommandeur sieht, wie seine Schützenlinie 600 m vor dem Dorf sich
an den Boden anklammert, weil sie in dem Höllenfeuer nicht mehr
vorwärts kommt. Lr sieht — und das Blut stockt ihm in den Adern —
wie die Batterie Lancelle im Galopp in und über die Schützenlinie
hinausfährt. Ist es möglich, daß in diesem Feuerhagel auch nur ein
Geschütz zum Abprotzen kommt?.Allen sechs glückt es, und sie
schleudern nun ihr Schnellfeuer gegen den dicht besetzten Dorfrand.
Jubelndes Hurra der Infanterie erschallt, reißt sie vom Boden auf
und zu erneutem Ansturm vor: ein wunderbarer Augenblick! Der
ganze Südwestschenkel des Dorfes wird genommen.
Aber die Hoffnung, daß uns das XX. Korps entgegenkommen
würde, erfüllte sich nicht. Zwar hatte es vom Armee-Gberkom-
58
Litzmann
martbo aus bsohensalza den Befehl erhalten, gemeinsam mit der
3. Gardedivision „in rücksichtsloser Offensive den östlich Lodz stehen-
den Feind zu vernichten", und hatte gleich uns den allerbesten Willen
dazu. Doch es sah sich von sehr starken russischen Rräften in seiner
östlichen Flanke und im Rücken angegriffen, und schweren Herzens
mußte das Generalkommando sich entschließen, den Angriffsgedanken
aufzugeben und die bis dahin südwärts gerichtete Front zurückzu-
schwenken, so daß sie nach Osten gekehrt war. Die linke Flügel-
brigade des Rorps konnte diese Bewegung nicht mehr mitmachen;
von allen Seiten angefallen, wurde sie in einen Verzweiflungskampf
verwickelt.
Bei Rzgöw, an der Spitze des „Reils", erneuerten die Russen
ihre Angriffe von Süden, von Westen und Nordwesten mit ver-
doppelter Wut. Das XXV. Reservekorps hielt tapfer Stand, höchst
bedenklich wurde indes die Lage, als starke feindliche Rräfte weiter
östlich, gegen die Südseite des Reils vorgingen, die hier an der
wolborka sichernde 6. Ravalleriedivision zum Zurückgehen nötigten
und den Bach nordwärts überschritten. Die völlige Einkreisung
der Armeegruppe drohte! —
Bald nach H Uhr nachmittags suchte General v. Scheffer den
Rommandeur der Gardedivision in wiskitno auf. Er fand ihn am
Nordausgang des Dorfes. Eben wollten sich beide Führer an einem
kleinen Wärmfeuer zur Besprechung niedersetzen, als wenige Schritte
neben ihnen eine schwere Granate einschlug. Zum Glück ein Blind-
gänger. Doch bald folgte eine zweite Granate; die beiden Stäbe
begaben sich nun querfeldein zu einem vereinzelt liegenden Bauern-
hause. Dort entwickelte der Divisionskommandeur seine Ansicht:
Die Armeegruppe mußte sich durchschlagen und zwar in der bis-
herigen Angriffsrichtung der Garde, nach Norden, wo sie am
schnellsten den Anschluß an das XX. Rorps gewann. Der komman-
dierende General erklärte sich einverstanden und versprach dem Divi-
sionskommandeur die Erfüllung seiner Bitte: eine der beiden Reserve-
divisionen ihm für den Durchbruch zu unterstellen, während die
andere als linke Flankenstaffel gegen Lodz decken und die 6. Raval-
leriedivision im Rücken sichern sollte. Zm Stabe der Gardedivision
herrschte freudigzuversichtliche Stimmung. Die Truppen der Division
hatten sich bisher glänzend bewährt und waren im kameradschaft-
lichsten, verständnisvollen Zusammenwirken aller Waffen trotz der
Überzahl des Feindes täglich vorwärts gekommen. Die Verstärkung
mußte ihrem Angriff morgen neuen Schwung verleihen. Der Durch-
bruch nach Norden war für sie ein weiteres vorwärts; wir ver-
trauten auf sein Gelingen.
Es sollte aber anders kommen. Abends traf ein Funkspruch
des Armeeoberkommandos ein, wonach die Armeegruppe Scheffer
auf demselben Wege abmarschieren sollte, auf dem sie gekommen war,
also nach Osten, über die Rkiazga und dann erst nordwärts, über
Brzeziny
59
Brzezinf». Der Kommandeur der Gardedivision bat den komman-
dierenden General durch den Fernsprecher, es bei der getroffenen
Verabredung zu lassen; doch General v. Scheffer entschied dem
Armeebefehl entsprechend. —
Die Ausführung war schwierig. Die gesamte Infanterie der
drei Divisionen lag in unmittelbarer Gefechtsberührung mit dem
Feinde. 2)b ein unbemerktes Loslösen gelingen würde, war zweifel-
haft. Drängte der Russe von Süden her nach, dann war der Ab-
marsch über die Rliazga äußerst gefährdet. Außer den fechtenden
Truppen mußten Hunderte von Fahrzeugen mit verwundeten, die
Gefangenen der letzten Tage, Munitionskolonnen, Lebensmittel- und
Futterwagen die Brücke von Karpin benutzen, dis vielleicht morgen
schon vom Feinde gesperrt war.
Die beiden Divisionen des XXV. Reservekorps sollten um 9 und
\0 Uhr abends aufbrechen und über Karpin zurückmarschieren, die
3. Gardedivision „nicht vor Mitternacht" antreten und den Abzug
decken. Aber Stunden vergingen, bis die Truppe aus der Gefechts-
linie herausgezogen war. Dabei war es ein Glück, daß der kampfes-
müde Feind trotz des unvermeidlichen Geräusches unaufmerksam
blieb. Er schlief, und so konnte das XXV. Reservekorps sich zwischen
U und \2 Uhr nachts ungehindert in Bewegung setzen. In lang-
samem Marsch schleppte sich alles durch die öde Winterlandschaft,
die schlaftrunkene Infanterie, die hungrigen Pferde. Wagenkolonnen
und Gefangenenzüge schoben sich in das Fußvolk ein. Dann stockte
die Bewegung. Zähneklappernd stand die Mannschaft im schneiden-
den wind der eiskalten Nacht zum 23. November. Der Kaffee in
den Feldflaschen war eingefroren; wer noch ein kleines Stück Brot
besaß, versuchte es im Munde aufzutauen.
Um 3 Uhr morgens sollte die Nachhut der 3. Gardedivision
sich in Marsch setzen. Aber bis dahin hatten die zahlreichen ver-
wundeten vom Gefechtsfelde bei Glechdw noch nicht alle zurückge-
schafft und versorgt werden können, und keiner dieser Melden durfte
in des Feindes Hand fallen. Krankenträger und Ärzte leisteten Über-
menschliches. Doch dauerte es lange, bis alle verwundeten auf
Kolonnen- und Bagagewagen oder selbst auf Geschützen für den
Transport untergebracht waren. Lin Teil mußte auf vorgefundene
Bauernwagen gelegt werden, die in Ermangelung von Pferden von
gefangenen Russen fortbewegt wurden. Ls war 7 Uhr morgens,
als die Nachhut und mit ihr der Divisionskommandeur die von
Rzgüw nach Karpin führende Chaussee erreichte. Auf der ver-
eisten Straße standen drei und vier Kolonnen nebeneinander wie
festgebannt, weiter vorn lag feindliches Artilleriefeuer auf der
Chaussee und sperrte sie für den Weitermarsch, Hier mußte unver-
züglich eingegriffen werden. Dem tatkräftigen Bemühen des General-
stabsoffiziers der Division, Majors v. wulffen, gelang es, durch Ab-
drehen der Kolonnen nordwärts über die Äcker, die sich stauende
60
Litzmann
Masse allmählich wieder in Fluß zu bringen. Freilich fügte uns noch
manche russische Granate Verluste zu. Und nun versuchte der Geg-
ner von Süden her mit starken Kräften gegen unsere Flanke angriffs-
weise vorzudringen. Aber da stand Major Reinhard i) mit ein paar
Bataillonen und Batterien der Gardedivision; der rechte Mann mit
der rechten Truppe, um auch einer vielfachen Überzahl Halt zu ge-
bieten. Er schützte die Flanke im mehrstündigen Gefecht bei wardzin,
bis sein Auftrag völlig erledigt war und er seiner Division folgen
konnte. Diese hatte inzwischen einige Kilometer nordwestlich von
Karpin die Miazga überschritten.
In Karpin stand seit 6 Uhr früh General v. Scheffer, ließ die
abziehende Kolonne an sich vorbeimarschieren und war mit seinem
Generalstabe unermüdlich tätig, um die durcheinander gekommenen
verbände neu zu ordnen und ihnen zweckentsprechende Marschrich-
tungen zuzuweisen. Um Brzeziny zu gewinnen, mußte die Armee-
gruppe nach Überschreiten der Miazga nordwärts schwenken. Dabei
sollte die V- Reservedivision die durch das langgestreckte Dorf Bo-
rowo führende Landstraße Karpin-Brzeziny einschlagen. Die 50. Re-
servedivision sollte rechts von ihr über Thrusty Nowe marschieren,
die 3. Gardedivision aber links durch den Wald von Galkow, der
sich in einer Tiefe von 6 km bei 3 km Breite westlich der Borowoer
Straße hinzieht. Die 6. Kavalleriedivision hatte nach Süden, die
9- nach Osten für Sicherung des Abmarsches zu sorgen.
Die Vorhut der V- Reservedivision hatte Borowo durcheilt.
Den Vorhuten der andern Divisionen weit vorauf und daher weder
rechts noch links gesichert, überschritt sie bereits 7 80 früh die von
Lodz ostwärts führende Eisenbahn nach Skierniewice-Warschau.
Da überfiel sie ein Höllenfeuer von vorn und in beiden Flanken.
In aller Eile entwickelte sie sich zum Kampf, schlug auch die sofort
gegen sie anstürmenden Russen glücklich zurück. Aber immer neue
Infanteriemassen drangen von drei Seiten auf sie ein, und aus dem
Walds von Galkow heraus stieß ein Reiterangriff ihr in Flanke
und Rücken. Auch dessen erwehrte sie sich. Als sie jedoch si Stun-
den lang ohne Hilfe blieb und die russischen Angriffe sich immer er-
neuerten, ein Geschütz nach dem andern außer Gefecht gesetzt, die
Munition zu Ende und die Bedienung gefallen war, da war es um
die Vorhut geschehen. Nur ganz schwache Trümmer schlugen sich
südwärts durch. Der Feind aber zündete Freudenfeuer an und tanzte
um die eroberten Geschütze. — Ls war ein böser Tag für die
V- Reservedivision. Ihr tapferer Kommandeur, Generalleutnant
v. waenker, hatte in Borowo den Heldentod gefunden; lein General-
stabsoffizier wurde gleichzeitig schwer verwundet. So war es natür-
lich, daß die Gefechtsleitung eine Unterbrechung erlitt.
') Der jetzige Oberst Reinhard, als Retter Berlins aus den Spartakuskämpfen
wohlbekannt.
Brzeziny
61
Die 50. Reservedivision gelangte 3 30 nachmittags östlich der
V- Ml den Eisenbahndamm, stieß hier ebenfalls auf überlegenen
Feind und wurde von ihm in die Verteidigung gedrängt. Sie be-
hauptete sich zwar im Verzweiflungskamxf; die Gesamtlage des
XXV. Reservekorps war aber am Abend des 23. sehr ernst. Die
Gefechtsstärken waren durch große Verluste bedenklich zusammen-
geschrumpft *), und die Munition war knapp geworden. Ob es ge-
lingen würde, den von den Russen an der Eisenbahn vorgelegten
starken Riegel zu durchbrechen, war zweifelhaft; ebenso, ob die
Kavalleriedivisionen noch länger imstande waren, den Gegner in
Rücken und Flanke abzuhalten, von der 3. Gardedivision wußte
man nichts; alle versuche, mit ihr die Verbindung aufzunehmen,
waren gescheitert. Das Generalkommando sah mit berechtigt schweren
Sorgen dem kommenden Tage entgegen; General v. Scheffer befahl
aber für den 2% 6 Uhr früh die Erneuerung des Durchbruchsversuchs.
Zu der Zeit, da dieser Befehl erlassen wurde — 815 abends —
hatte die 3. Gardedivision im Walde von Galkow die russische Stel-
lung an der Eisenbahn durchbrochen und war bereits seit einer
Stunde auf dem Weitermarsch nach Brzeziny.
Auch sie hatte heftige Kämpfe zu bestehen gehabt. Die zuerst
über die Miazga gehende Brigade Friedeburg (6. G.-I.-Brig.) war
schon anr Südrand des Waldes von Galkow auf den Feind gestoßen.
Es gelang ihr, ihn in den Wald zurückzuwerfen. Danach folgte die
5. Garde-Infanterie-Brigade über den Bach. Beiden Brigaden
wurde vom Divisionskommandeur der Nordrand des Waldes als
erstes Ziel bestimmt. Um die Mittagsstunde traten sie nebeneinander
den Marsch dorthin an. Mit dem Schutze der Division nach rückwärts
wurde der Artillerie-Brigade-Kommandeur General Graf v. Schwei-
nitz betraut; ihm wurde dazu die Masse seiner vorzüglichen Artillerie s)
nebst zwei Maschinengewehr-Kompagnien und einem halben Batail-
lon vom 5. Garde-Grenadierregiment unter Major Rossen zur
Verfügung gestellt. Eine vom Rittmeister v. Liessen, Führer der
großen Bagage, aus deren Begleitmannschaft und aus versprengten
gebildete Kompagnie schloß sich an. Jedes überhaupt vorhandene
Gewehr mußte ausgenutzt werden. Die schweren Verluste der letzten
Tage hatten bewirkt, daß die vier Infanterieregimenter der Division
zusammen nur noch etwa ^000 Gewehre zählten. Ihre Offiziere
waren meist gefallen oder verwundet. Aber diese Truppe war von
herrlichen; Geist beseelt geblieben. Im stolzen vertrauen hierauf
*) Beide Reservedivisionen zählten zusammen etwa 4000 Gewehre! Jur
Verstärkung der 50. Res.-Div. hatte die Gardediviston 2 Bataillone abgegeben.
2) Die Feldartillerie-Brigade der 3. Garde-Infanteriedivision war bei der Mobil-
machung aus der Feldartillerie-Schießschule entstanden. Disziplin und Ausbildung
waren allerersten Ranges, Abteilungs- und Batterieführer Meister ihres Faches.
Da Stab und l. Abteilung des 5. Garde-Feldartillerieregiments abkommandiert waren,
befanden sich damals die Abteilung Ruhstrat des 5. und das s. Garde-Feldartillerie-
regiment (Gberstleutnant Moltag) bei der Division.
62
Litzmann
hatte der Divisionskommandeur den festen Entschluß gefaßt, mit
seiner Infanterie durch den großen Wald von Galköw nach Norden
durchzubrechen und den Straßenknoten von Brzeziny zu erreichen.
Dort stand man dem Gegner des XXV. Reservekorps im Rücken
und brachte diesem die beste Entlastung.
Größere Waldkämpfe bereiten der Gefechtsleitung wegen
der völlig mangelnden Übersicht bedeutende Schwierigkeiten. Sie
führen, da die Kampflinien von Freund und Feind sich leicht gegen-
seitig durchdringen, überraschende Zwischenfälle herbei. So auch
hier. Die beiden Infanterie-Brigaden waren, den widerstand ihres
den Wald füllenden Gegners — sibirischer Truppen — brechend,
seit ein paar Stunden von Dickicht zu Dickicht nordwärts vorge-
drungen, als hinter ihnen, an der südöstlichen waldecke plötzlich
Sibirier erschienen und auf die hier stehende Masse von Kolonnen
und Trains der Division aus nächster Nähe das Feuer eröffneten.
Eine Panik entstand; wild jagten die Hunderte von Fahrzeugen ost-
wärts über das Feld. Doch Roosens Infanterie warf die Übeltäter
zurück
Bald darauf stürmten ein paar feindliche Kompagnien aus der
Südwestecke des Waldes gegen den Rücken der Artillerieabteilung
Ruhstrat vor, die dort, Front gegen Lodz, im Feuer stand. Sie nahmen
die rechte Flügelbatterie. Aber sofort waren die Geschütze der beiden
andern Batterien herumgeworfen und spieen ihr Feuer gegen die
verlorene Schwesterbatterie. Dann wurde diese zurückerobert. Frei-
lich unter schweren Verlusten! Auch der vortreffliche Major Ruhstrat
fiel, von den Russen aber entkamen nur wenige.
Der Divisionskommandeur war Zeuge der geschilderten Vor-
gänge gewesen. Er hatte die drei Brigadekommandeure persönlich
mit Anweisung versehen, hatte den Eintritt seiner Infanterie in den
Wald und die Entwickelung der Artillerie auf den flachen Höhen
des östlichen Miazgaufers beobachtet und sich dann den verwundeten
zugewandt, die auf zahlreichen Fahrzeugen am Südrand des lvaldes
hielten. Die Tapferen ertrugen willig Schmerzen, Hunger und Kälte,
und nur eine Angst quälte sie: daß sie in des Feindes Hand fallen
könnten. Mit zuversichtlichen Worten und warmem Händedruck ver-
sprach er, sie vor diesem Schicksal zu bewahren. Dann ritt er mit
seinem Stabe der Infanterie nach in den Wald. In den Baum-
wipfeln platzten die russischen Granaten; unten am Boden klagten
schwer verwundete Sibirier; durch das Buschwerk krochen noch immer
versprengte, erdfarbene Gestalten mit der grauen Pelzmütze. Sie
gaben sich den Offizieren des Divisionsstabes oder der Stabswachs
gefangen,
Dis Infanterie und mit ihr die Pionierkompagnie der Divi-
sion lagen der russischen Stellung am Eisenbahndamm und -einschnitt
gegenüber. Zwischen den Gefechtsfronten erstreckte sich eine Wald-
blöße, deren Überwindung bei Tageslicht viel Blut gekostet haben
Brzeziny
63
würde. Der Divisionskommandeur beschloß darum, den nahe be-
vorstehenden Eintritt der Dunkelheit abzuwarten. Alles ruhte im
Schnee; was nicht in vorderster Linie war, ergab sich unbekümmert
um das Krachen der feindlichen Granaten, einem kurzen, doch tiefen
Schlaf. Dann aber gab brausendes Hurra von links das Zeichen
zum allgemeinen Angriff. Der Divisionsstab war in die Schützen-
linie vorgegangen. Im nächtlichen Wald zurückzubleiben hätte kei-
nen Zweck gehabt; keine Meldung würde ihn gefunden haben. Der
Divisionskommandeur aber war glücklich, zum erstenmal seit s87s
wieder mit dem Degen in der Faust gegen den Feind vorstürmen zu
können. Die russische Stellung wurde genommen.
Jetzt handelte es sich um Ausnutzung des taktischen Teilerfolges
zum Besten des Ganzen, während die Truppen ihre verbände ord-
neten, wurde im Hühnerstall des mit verwundeten Russen über-
füllten Bahnwärterhauses von Galkuw 7B abends der neue Divi-
sionsbefehl zum Weitermarsch nach Brzeziny ausgegeben. Graf
Schweinitz erhielt Anweisung zum Folgen mit Artillerie und Ko-
lonnen. An General v. Scheffer wurde über den erfolgten Durch-
bruch und den beabsichtigten Weitermarsch eine Meldung abge-
fertigt, die ihn aber nicht erreicht hat.
Regimentsführer traten an den Divisionskommandeur mit der
Bitte heran, die Truppe epst einige Stunden ruhen zu lassen. Ihre
Erschöpfung war ja groß. Ls kam aber darauf an, m ö g l i ch ft
bald Brzeziny zu gewinnen und dem Gegner des XXV. Reserve-
korps die rückwärtige Verbindung zu unterbrechen. Darum mußte
von unserer Mannschaft das Äußerste verlangt werden. Des guten
Beispiels wegen ging der 65 jährige Divisionskommandeur mit sei-
nem Krückstock fortan selbst zu Fuß; die Offiziere des Stabes folgten.
Ohne weg und Steg wurde im unsichern Sternenlicht querfeldein
weitermarschiert. Die durchwachten und durchkämpften Rächte der
letzten Zeit, der Hunger und die schneidende Kälte hatten uns alle
in der Tat stark mitgenommen, wir stolperten todmüde über den
gefrorenen Sturzacker, fielen und standen auf, um uns weiterzu-
schleppen. Der gute Wille hörte bei keinem auf. von rechts her
wurde die Kolonne plötzlich durch eine feindliche Feldwache be-
schossen. Sie warf sich zu Boden und verharrte lautlos. Der Divi-
sionskommandeur war stehen geblieben. Neben ihm hockte mit
hängendem Kopf, die vorderen Gliedmaßen aufgestemmt, eine dunkle
fragwürdige Gestalt, „was ist das? Ist es ein großer ksund?" —
„ „Ncs, man bloß'n Jardejrenadier"" lautete die Antwort. Der
Brave war, durch beide Beine geschossen, ohne jeden Schmerzens-
laut zusammengesunken.
Das Dorf Galkowek wurde erreicht und umstellt. Die schla-
fenden Russen wurden aus den Häusern geholt und zu Ge-
fangenen gemacht. Dann ging es weiter. Es war bitter kalt
geworden. Die Überanstrengung führte zu seltsamen Sinnestäu---
64
Litzmann
schungen. Die blitzenden Sternbilder fingen vor unsern Augen
an, in schön geschwungenen Kurven aus und nieder und durcheinan-
der zu schweben. Und der Marsch wollte kein Ende nehmen! hatten
wir die Richtung verfehlt? Da stießen wir auf die Gräber lieber
Kameraden, die hier vor fünf Tagen gelegentlich unseres Vor-
marsches gefallen waren, und wußten nun, wir waren auf 3 km
an Brzeziny heran. Um 3 Uhr wurde auf den Höhen südwestlich
der Stadt aufmarschiert und eine lange Schützenlinie entwickelt.
Aus dieser Richtung erwartete uns sicher kein Russe. Der Umgriff
sollte umfassend und überraschend gegen den westlichen Stadtteil
ausgeführt werden. Mit ungeladenen Gewehren wurde angetreten.
Tine feindliche Außenwache wurde mit dem Bajonett nieder-
gestochen, und wir kamen ohne Schuß in die Stadt. Der Trfolg
belebte noch einmal; es ging vorwärts durch die nächtlichen Straßen.
Rechts und links krachten die Banstüren: Grenadiere und Füsiliere
drangen in die Gebäude und holten die schlafenden Russen heraus.
!ver sich nicht ohne weiteres ergab, wurde lautlos niedergemacht.
Aber am Marktplatz kam es doch noch zu erbittertem Kampf. Der
Russe war endlich erwacht und schoß aus Fenstern und Türen. Tr
wurde überwältigt. Die Häuser um den Marktplatz wurden siegreich
erkämpft.
Doch nun beschloß der Divisionskommandeur, seinen zum Tode
ermatteten Truppen endlich die wohlverdiente Ruhe zu gönnen und
erließ um 5 Uhr morgens den dazu nötigen Befehl. Mochte der
östliche Stadtteil vorläufig noch in Händen des Feindes bleiben; wir
mußteri erst einmal wieder zu Atem kommen. War doch die Truppe
feit 28 Stunden ununterbrochen auf dem Marsch oder in heißem
Gefecht! Sie ging in Massenquartiere rings um den Marktplatz;
Wachen wurden ausgestellt, eine starke Abteilung blieb gefechts-
bereit bei den Gewehren. Auch der Divisionsstab brachte sich unter,
nachdem einige Offiziere vom Generalstabe des IV. sibirischen Korps
aus den Betten des nämlichen Ouartiers herausgeholt waren. Der
kommandierende russische General war leider entkommen.
An das Generalkommando unseres XXV. Reservekorps wurde
durch Radfahrerpatrouille Meldung entsandt; die Patrouille nahm
für General Graf v. Schweinitz eine der neuen Lage entsprechende
Weisung mit.
Nicht länger als eine Stunde währte die Ruhe. Dann drangen
starke feindliche Kräfte von Süden und Osten her in Brzeziny ein.
Ts kam zu wütenden Straßenkämpfen, bei denen Major Reinhard
sich erneut hervortat. Durch den Kugelregen pirschten sich die
wackeren Pioniere vor in den Gstteil der Stadt und zündeten ihn
an. Die Russen, die sich dort festgesetzt hatten, mußten aus ihren
Schlupfwinkeln heraus und wurden gefangen genommen.
Jm Laufe dieses vormittags kam zu allgemeiner Freude General
v. Friedsburg mit einem Teil seiner 6. Gardebrigade bei Brzeziny
Brzeziny
65
an. Er war am 25. abends nach Erstürmung des Lisenbahneiw-
schnitts bis zum Nordrande des Waldes von Galküw durchgestoßen
und hatte den Befehl zum Weitermarsch gar nicht erhalten. Auch
vier Geschütze, die mit in den Wald genommen waren, dort aber
verloren gegangen zu sein schienen, fanden sich heran. Bis auf die
Truppen des Grafen Schweinitz und zwei tags zuvor an die 50. Re-
servedivision abgegebene Bataillone hatte der Divisionskommandeur
die fechtenden Teile seiner Division nun wieder beieinander.
Gegen Mittag waren die Russen von Brzeziny nach Osten und
Süden weithin zurückgedrängt. Nun wurden alle verfügbaren Kräfte
nach einer ^öhe südlich der Stadt zusammengezogen. Mit der Front
nach Süden lagen hier Infanterie und Pioniere zum Gefecht ent-
wickelt; auf jedem Flügel standen zwei Geschütze. Mit Spannung
richteten sich die Blicke südwärts, wo am Horizont Sprengwolken
deutscher Schrapnells auftauchten. Der Angriff des XXV. Reserve-
korps schien vorwärts zu gehen.
Mit Tagesanbruch hatte die Artillerie dieses Korps ihr Feuer
wieder aufgenommen. Beim Korpshauptquartier hielt der ver-
diente, später leider gefallene Divisionspfarrer v. wodtke einen Feld-
gottesdienst ab. Angesichts des bevorstehenden Kampfes auf Leben
und Tod und der drohenden Vernichtung machten seine Worte aus
alle Zuhörer den tiefsten Eindruck. An das Generalkommando XX.
Armeekorps war folgender Funkspruch abgegangen: „XXV. Reserve-
korps kommt nicht vorwärts. Großer Munitions- und verpflegungs-
mangel. Schleunige Hilfe Richtung Brzeziny erbeten. Lage ernst."
wie schlimm es stand, kann nicht deutlicher gekennzeichnet werden.
Auf dem äußersten linken Flügel des Korps stand zetzt General
Graf v. Schweinitz mit der Artillerie der 5. Gardedivision und dem
Bataillon Rossen im Gefecht. Den Befehl, seiner Division zu folgen,
hatte er am späten Abend des 23. November erhalten. Aber die
Erkundung hatte ergeben, daß die beim Durchbruch geschaffene
Lücke in der feindlichen Stellung an der Eisenbahn sich inzwischen
wieder geschlossen hatte. Auch steckten noch immer Russen im Walde.
Unter diesen Umständen war es nicht geraten, die lange Artillerie-
kolonne mit ihrer nur schwachen Infanteriebedeckung auf den engen
Waldwegen in Marsch zu setzen. Der ebenso einsichtige wie ent-
schlußkräftige Führer x) gab ein Beispiel, wie man empfangene Be-
fehle sinngemäß abzuändern hat, wenn die Verhältnisse es bedingen.
Er beschloß, seine Artillerie zwischen Borowo und Wald so bereit
zu stellen, daß sie in der Lage war, bei Tagesanbruch die W. Re-
servedivision zu unterstützen und meldete das dem General v. Scheffer.
Batterie Lanoelle und schwache Infanterie sicherten im Rücken.
Das waren freilich nur geringe Kräfte. Aber die Gardeartillerie
*) Dieser hervorragende General war später Kommandeur der Garde--
Infanteriedivision und ist am 23. September \9\7 leider einer durch das Feldleben
entstandenen Krankheit erlegen.
v. vickhuth'Harrach, Felde unbesiegt. I.
5
66
Litzmann
hatte dem Russen am Tage vorher solchen Respekt eingeflößt, daß
er nicht wagte, nachzudrängen. Lr schanzte am westlichen Miazga-
ufer und ließ im übrigen nur seine Geschütze spielen.
Um 8 Uhr vormittags begann der Infanterie-Angriff. Die
Gardebatterien bahnten dem Bataillon Roofen in vorbildlicher weise
den weg zum Vorgehen. Aber diese Infanterie und die der ^9- Ne-
servedivision waren zu schwach, um den zähen Widerstand des über-
mächtigen Gegners zu brechen. Die Verluste mehrten sich, der Muni-
Lionsmangel wurde empfindlich. Noch harrten die Tapferen im
stundenlangen erbitterten Ringen aus; aber die Lage wurde nach-
gerade verzweifelt. Da traf — \030 vormittags — Unteroffizier
Alkenings vom Lehr-Infanterieregiment mit seiner Radfahrer-
patrouille beim General v. Scheffer ein. Er brachte die über-
raschende Runde, daß Brzeziny in der Nacht von der 3. Garde-
division genommen war. „Tr kam wie ein Bote des Himmels,"
hat später General v. Scheffer dem Divisionskommandeur gesagt.
Und Oberst v. Poseck, der als Generalstabschef des Kavalleriekorps
Richthofen Zeuge des Eintreffens war, brächte sofort den Stim-
mungsumschlag mit den Worten zum Ausdruck: „Das ist die Schick-
salswendung, und alle Zweifel sind nun geschwunden." Alkenings
hatte ein wahres Wunder vollbracht, indem er durch die Russen
hindurch zum Ziele gelangt war, unÄ General v. Scheffer belohnte
ihn auf dem Fleck mit dem Eisernen Rreuz I. Rlasse. wie ein Lauf-
feuer eilte die frohe Botschaft durch die Reihen der Kämpfer, ihren
Mut aufs neue belebend. Am beglücktesten aber waren wohl die
Tausende von Verwundeten, die bei grimmiger Kälte in stillem
Heldentum ihr ungewisses Schicksal erwartet hatten.
Gute Nachrichten kommen selten allein. Bald nach der Mel-
dung der Gardedivision empfing General v. Scheffer eine solche von
seiner tapferen 50. Reservedivision. Ihr war es gelungen, den
Gegner östlich zu umfassen und ihre Artillerie in eine Stellung zu
bringen, aus der sie ihn unter wirksamstes Flankenfeuer nehmen
konnte. Unter den Augen des kommandierenden Generals, der sich
zum Divisionsstabe begeben hatte, spielte sich hier ein packendes
Drama ab. Der russische linke Flügel wurde zum weichen gezwungen.
Doch bei der ^9- Reservedivision war der Kampf am Eisenbahn-
dämm noch immer unentschieden. Ihre Gefechtskraft hatte allzusehr
gelitten. Da warf Major Diez seine leichte Garde-Haubitzabteilung
durch die Schützenlinie hindurch todesmutig so weit nach vorn, daß
sie den Bahndamm der Länge nach unter Feuer nehmen konnte,
und Generalleutnant v. Thiesenhausen, der zum zweitenmal binnen
\2 Tagen für den gefallenen Kommandeur die Führung der d- Re-
servedivision übernommen hatte,H ließ seine letzte Reserve — ein
*) Am 12. November war Generalleutnant v. Briefen an der Spitze der Division
in Wlozlawek gefallen.
Brzeziny
67
Bataillon — zum Sturm antreten. Alles schloß sich diesem Angriff
an, der auch von der Artillerie der Reservedioision glänzend unter-
stützt wurde. Die feindliche Stellung wurde genommen, und die am
23. verlorenen Batterien gelangten wieder in die Hand ihrer recht-
mäßigen Besitzer. Unter dem vernichtenden Verfolgungsfeuer der
deutschen Artillerie wich der Russe nordwärts auf Brzeziny zurück.
Er mochte etwa den halben Weg, verfolgt von der deutschen
Infanterie, zurückgelegt haben, da schlugen ihm von Norden her
Schrapnells entgegen: Die vier Geschütze der 3. Gardedivision auf
der Höhe südlich Brzeziny hatten ihr lohnendes Ziel gefunden l
feindliche Artillerie, die seitwärts in nordwestlicher Richtung zu ent-
komnien suchte, wurde in der Marschkolonne vom Feuer der beiden
Kanonen auf unserm rechten Flügel gefaßt. Andere geradenwegs
auf Brzeziny zurückeilende russische Batterien wurden von In-
fanterie und Pionieren völlig zusammengeschossen und genommen.
Unendliche Freude ergriff uns: nach äußerster Not und Gefahr der
herrliche Sieg! Der Divisionskommandeur pflanzte selbst den sonst
peinlich in Deckung zu haltenden schwarzweißroten Divisionswimpel
auf der höchsten Ruppe in der Feuerlinie auf: „Die Russen sollen
sehen, wer hier in ihrem Rücken steht!" Seine Gardefüsiliere jauchzten
ihm zu. Erschöpfung, Hunger und Kälte, alles war vergessen. Einer
rief laut: „Seht doch bloß, die Russen laufen ja wie die leasen!"
Und so war's auch. In völliger Auflösung — und viele schon mit
erhobenen fänden — kamen sie eilends über eine kahle Höhe auf
uns los, um dann in einer Einsenkung ein paar hundert Meter
vor unserer Front zu verschwinden. Waren etwa 200 von ihnen
unten zu vermuten, so wurde ein Unteroffizier mit 20 Mann vorge-
schickt; er holte sie als Gefangene herauf.
Nun erschien auch die vorderste Linie des siegreichen XXV. Re-
servekorps vor unsern Blicken. Der Infanterie und Artillerie folgten
die Bagagen und Kolonnen, die verwundeten und die Gefangenen.
Und mit dem Reservekorps kam Graf Schweinitz mit keiner braven
Artillerie und dem Bataillon Roofen. Das Kavalleriekorps Richt-
hofen aber sicherte den Rücken gegen stark überlegene russische
Reiterei.
Der Durchbruch der Armeegruppe war gelungen. Um 5 Uhr
nachmittags ritt General v. Scheffer in Brzeziny ein. Er begrüßte
den Kommandeur der 3. Gardedivision mit den Worten: „Ich be-
glückwünsche Sie zu Ihrem Siege von gestern, der meinem
Korps Rettung und Erfolg ermöglicht hat. Ich danke
Ihnen dafür." Das war eine schöne Anerkennung. Der Divisions-
kommandeur aber wußte, daß er seinen Erfolg nächst Gott der un-
vergleichlichen Ausdauer und Tapferkeit seiner Truppen zu danken
hatte.
Die Armeegruppe Scheffer blieb während der Nacht zum
35. November bei Brzeziny. Bei dem erschöpften Zustande von
68__________________________________Litzmann.
Mann und Pferd mußte auch das weitere Zurückführen ihres Trosses
auf den 25. Nov. verschoben werden. Am Nachmittag dieses Tages
konnten die beiden Reservedivisionen den Abmarsch in nördlicher
Richtung fortsetzen. Die 3. Gardedivision deckte ihn gegen starke
von Südwesten nachdrängende Kräfte, wobei es wieder zu blutigen
Gefechten kam. Am 26. wurde eine geschlossene, gegen Osten ge-
richtete Armeefront hergestellt; der Anschluß an das XX. Korps
war gewonnen. In dieser Stellung wurde unter harten Kämpfen das
Eintreffen namhafter Verstärkungen vom westlichen Kriegsschauplatz
abgewartet Dann kam ein Umschwung der Lage: Der Feind gab
das Spiel verloren und zog ab. Die Schlacht bei Lodz war ge-
wonnen.
Der Durchbruch nach Brzeziny hatte die Armeegruppe Scheffer
vor der Vernichtung bewahrt. Großfürst Nikolai Nikolajewitsch
hatte an seinem vollsieg nicht gezweifelt und Leerzüge bereitstellen
lassen zum Abtransport der „drei Armeekorps *) und zwei Kavallerie-
divisionen zählenden Deutschen" in die Gefangenschaft. Die Ln-
tentepresse triumphierte. Aber Sieger wurde nicht der Russe, son-
dern der Deutsche, indem er den ihn umgebenden Russenring durch-
brach. Dabei ging uns nicht ein einziges Geschütz verloren, unsere
verwundeten konnten fast alle geborgen werden, und f6000 ge-
fangene Russen, 6^ erbeutete russische Geschütze wurden von uns
mitgebracht.
Brzeziny lehrt, daß Überlegenheit an sittlichen Kr äs-
ten selbst eine verzweifelte Lage in Sieg umzuwandeln vermag.
Feldherrnkunst kam beim Durchbruch kaum in Betracht. Die Über-
legenheit der Zahl war auf Seite der Russen und sehr bedeutend.
Sie hatten Nachschub an Munition und Verpflegung, während wir
seit dem 22. Nov. empfindlichen Mangel litten. Die taktische Lage war
für uns überaus schlimm, — für den Gegner sehr günstig geworden,
wir hätten zugrunde gehen müssen, wenn nicht die sittlichen Kräfte
bei uns so stark entwickelt gewesen wären: Die gemeinsame glühende
Vaterlandsliebe und das hohe Gefühl für deutsche Ehre, die todes-
mutige Opferwilligkeit und die treueste Kameradschaft, vor allem
der zähe, unerschütterliche Wille zum Siege. Diese
Kräfte beseelten damals jeden Einzelnen, vom General bis zum
letzten Grenadier und Füsilier, Kanonier und Pionier: Sie schufen
jenen Heldengeist der Truppe, der auch unter den widrigsten Um-
ständen den Sieg verleiht.
*) (Es ist bezeichnend, daß in russtschen Berichten immer von drei Korps
gesprochen wird. Die drei Divisionen, die dem Feinde soviel Respekt eingeflößt haben,
waren dabei am 23. November zusammen nur etwa noch 8000 Gewehre stark.
Dle Mnterschlacht in Masuren
!m Februar 1915.
Don Major d. Des a. D. Hans t>. iS e betn, damals Hauptmann d. Des. und
Kompagnieführer im Insanterie-Degiment Graf Darfuß (4. DOeftfäl.) Nr. 17.
(7\us Deutschlands großer Zeit will ich erzählen, aus dem Anfange
v des Rriegsjahres 1915. Zur Ehre jedes an den großen Ereig-
nissen Beteiligten sollen die nachstehenden Zeilen in jedem Hause,
in jeder glitte, da noch ein Funken Stolz auf die großen Taten unseres
einst so herrlichen Heeres wohnt, gelesen werden. Sie mögen den
Angehörigen der Heimgekehrten Zeugnis davon geben, daß jeder
einzige Teilnehmer an dem großen Geschehnis ein Held gewesen
sie mögen aber auch den Hinterbliebenen derer, die ihr Leben für die
große Sache lassen mußten, den Trost geben, daß. sie alle gefallen
sind in dem Glauben an ein großes, mächtiges deutsches Vaterland,
an den Sieg der Gerechtigkeit über den Ansturm unserer zahllosen
Feinde.
wer weiß es nicht mehr, was damals schon der Name Hinden-
bUrg bedeutete? Ich entsinne mich des Septembers 19W- Da bekam
ich in meine Compagnie einige Unteroffiziere und Mannschaften, die
die erste Masurenschlacht mitgemacht hatten, die aber wegen leichter
Verwundung oder Krankheit nicht zu ihrem Truppenteil zurück-
kamen. Diese Leute galten damals schon als etwas ganz besonderes
bei uns. Die „Hindenburger" hießen sie! Zeder von uns suchte
ihnen etwas Gutes anzutun, jeder beneidete sie, weil sie unter dem
großen Mann hatten fechten dürfen! Jetzt im Februar H9\5 waren
wir selbst dazu berufen! Das einzige Gefühl, das wir kannten,
war Stolz. Alle bevorstehenden Strapazen, Entbehrungen und Opfer
traten zurück hinter dem erhebendem Bewußtsein, unter Finden-
burg zu stehen. Nicht nur persönliche Empfindung von mir ist diese
Verehrung für den großen Meister des Schlachtfeldes. Nein! Ich
habe stets mit und unter meinen Leuten gelebt und habe oft genug
die Äußerungen der Freude und des Stolzes aus ihrem Munde
gehört, daß gerade wir zum Werkzeug Hindenburgs ausersehen
waren. Lin schöner, guter Geist beseelte die Truppen.
Raum einer der Daheimgebliebenen kennt wohl einen russi-
schen Winter? wir kannten ihn selbst noch nicht, sollten ihn aber
bald genug fühlen. Aus dem Ende Januar !9!5 schon grünenden
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v. Hebern
Frankreich wurden wir nach Rußlands Schnee und Eis versetzt.
Zwar lag unser Aufmarschgebiet noch auf deutschem Boden, in
der Gegend von Tilsit, aber der Winter ist dort schon fast der
gleiche, wie bei den östlichen Nachbarn. Die Truppen, die vom
Westen Nach dem Osten geworfen wurden, waren nur ganz not-
dürftig mit Wintersachen versehen. Nur den Fahrern vom Bock
konnten pelze geliefert werden. Im übrigen bestand unser aller
Ausrüstung für den russischen Winter in dem ungefütterten Sol-
datenmantel, einem gewebten Ropfschützer, Pulswärmern und
Handschuhen. So angetan fanden wir uns nach einer Eisenbahn-
fahrt von viermal 2<\ Stunden in des fernen Ostens winterliche
Landschaft versetzt.
Seit dem August H9M hatte der Russe ein Stück deutschen
Landes besetzt und gebrandschatzt. Zwar hatte die Schlacht bei
Tannenberg im August H9W Ostpreußen zum Teil von den Eindring-
lingen befreit. Aber noch immer saß der Russe auf deutschem
Boden, während der Wintermonate hatten deutsche Truppen in
verschneiten und vereisten Schützengräben dem an Zahl doppelt
überlegenen russischen Heere gegenüber standgehalten. Sie hatten
zahlreiche Anstürme siegreich abgewiesen. 100 000 deutsche Männer,
zum großen Teil Landwehr und Landsturm, hatten auf einer
Strecke von H70 Lin der etwa 220000 Mann starken russischen
JO. Armee Monate hindurch die Zähne gezeigt. Hier hatte es sich
erwiesen, daß an Zahl unterlegene deutsche Männer, in einem
willen vereint, in dem Bestreben deutsches Land zu schützen, dem
russischen Bären Halt zu bieten vermochten.
Der winterschlacht in Masuren war es vorbehalten, Ostpreußen
ganz vom Feinde zu säubern und den Krieg weit fort von den
Grenzmarken unseres Vaterlandes auf feindliches Gebiet zu tragen.
Nicht unabsichtlich war von dem großen Feldherrn Hindenburg
gerade der strenge Winter zu dem Unternehmen gewählt worden.
Einerseits konnte kein Renner der russischen Witterungsverhältnisse,
also der Russe selbst am allerwenigsten, mit einem großen Angriff
in dieser Jahreszeit rechnen. Jeder hätte dem Unternehmen von
vornherein das Todesurteil gesprochen. Andererseits hätte, wenn
der Angriff nicht im Winter gemacht wurde, die Säuberung deut-
schen Landes um viele Monate hinausgeschoben werden müssen,
weil die Zeit nach der Schneeschmelze die unbefestigten russischen
Wege grundlos aufweicht und dann die Schwierigkeiten des weit
geplanten Vormarsches noch erheblich größer geworden wären.
Der 7. Februar war deshalb für den Beginn der winterschlacht
angesetzt worden.
Zwei deutsche Armeen waren Zur Durchführung der Schlacht
ausersehen: die 8. unter General der Infanterie v. Below und die
s0. unter General-Oberst v. Eichhorn. Die erstere hatte während
der vergangenen wrntermonate in den ostpreußischen Stellungen
Masurenschlachl
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sich mit dem Russen gemessen, die letztere war teils aus bestehen-
den, teils aus neu gebildeten Armeekorps für diesen Zweck auf-
gestellt worden. Männer aller deutschen Stämme und jeden Lebens-
alters waren in dem Heere vertreten, dem man die Riesenauf-
gabe zumutete, vom jungen f8 jährigen und noch jüngeren Kriegs-
freiwilligen bis zum alten 39 jährigen Landwehrmann stand alles
in Reih und Glied. Ja sogar zahlreiche Landsturmbataillone soll-
ten den Tanz mitmachen. Sie alle beseelte das felsenfeste vertrauen
und die Zuversicht, daß das, was Hindenbura für möglich hielt,
auch zu einem guten Lüde geführt werden könne. An ein Miß-
lingen dachte Niemand.
Hindenburgs großer Plan ging dahin, daß die 8. Armee den
ihr gegenüberliegenden Gegner fesseln und zu diesem Zweck in ihren
Stellungen bleiben sollte, die sich von der russischen Grenze südlich
des Spirding-Sees bis an die Szeszuppa, einem linken Nebenfluß
des Memel, östlich Tilsit erstreckten. Inzwischen hatte die \0. Armee
um den feindlichen rechten Flügel sowie ein Teil der 8. Armee
um den feindlichen linken Flügel herumzugreifen und in weitem
Bogen auszuholen, um die Russen von rückwärts zu fassen und
ihnen den Rückzug abzuschneiden. <£s war also nicht Endzweck
der Winterschlacht in Masuren, nur den Feind aus deutschem
Lande zu verjagen, nein man wollte das gewaltige russische Heer
vollkommen vernichten, man wollte das russische Reich um eine
starke Armee ärmer machen.
Ich will im folgenden nur möglichst wenig Ortsnamen nennen
und, wo es notwendig ist, nur solche erwähnen, die jeder auf dem
Schulatlas seiner Rinder finden kann. Dem Leser dieser Zeilen,
der die gewaltige Schlacht selbst mitgemacht hat, werden die ein-
zelnen Namen noch im Gedächtnis sein, er wird den Seinen nähere
Erklärungen geben können.
Am 7. Februar in aller Frühe begann der Angriff zunächst
auf dem rechten Flügel der 8. Armee durch das verstärkte ^0. Re-
serve-Korps. Ahnungslos wurde der Russe durch den Angriff ge-
faßt, ahnungslos blieb der nicht angegriffene Teil der Front. Eisiger
Schneesturm peitschte von Osten her unseren Truppen die Eis-
kristalle wie Nadeln in das Gesicht, Wege und Schienenstränge
waren tief verschneit und durch teils meterhohe Verwehungen schier
ungangbar. Trotzdem kannte das vorwärtsdringen des Re-
serve-Korps keinen Halt. Bis zu 40 km marschierten an diesem
Tage Teile des Korps und am Abend konnte gemeldet werden,
daß die Russen aus stark befestigten Stellungen nach heißem Kampfe
geworfen, ein feindlicher Gegenstoß aus der rechten Flanke sieg-
reich abgewehrt und Hunderte von Gefangenen, 6 Geschütze, mehrere
Maschinengewehre und sonstiges Kriegsmaterial erbeutet seien. An-
strengungen und Aufbieten aller Willenskraft hatte jeden Mann
des 40. Reserve-Korps schon dieser erste Tag gekostet, jeder wußte,
■ ..
72 v. Hebern
was er geleistet hatte. Und doch war es nur der Anfang gewesen.
Größeres stand noch bevor.
Am kommenden Tage sollte das ^0. Reserve-Korps im Süden
den Angriff fortsetzen, während im Norden die s0. Armee mit dem
Angriff beginnen sollte. Der glänzende Beginn der Kämpfe blieb
ein gutes Vorzeichen für den gesamten Verlauf der großen Schlacht.
Nicht eine langatmige Schlachtenschilderung sollen die folgenden
Ausführungen bringen. Ich will mich darauf beschränken, Einzel-
heiten der großen Angriffsbewegung zu erzählen, wie ich sie selbst
erlebt habe. So wie bei unserem Regiment lagen die Verhältnisse
bei allen Truppenteilen, ein jeder hatte mit den gleichen Schwierig-
keiten zu kämpfen. So kann das, was ich im einzelnen gesehen
habe, gut verallgemeinert werden.
Ihr Väter, Mütter, Frauen, Kinder und Geschwister, kurz alle,
die Ihr nicht draußen Eure Angehörigen habt begleiten können, wißt
Ihr, was dem Feldsoldaten die Feldküche, oder wie sie so treffend
genannt wurde, die Gulaschkanone bedeutete? Dieses allgemein
beliebte Fahrzeug war des Soldaten ein und alles, war die Feld-
küche bei der Truppe, dann wurden die größten und längsten Marsch-
anstrengungen leicht, winkte doch in erreichbarer Nähe die Aus-
gabe der warmen Mahlzeit und des Kaffees. „Essen und trinken
hält Leib und Seele zusammen!" Dieses Sprichwort paßt auf den
Feldsoldaten. Könnt Ihr Luch aber denken, Ihr Daheimgebliebenen,
was es heißt, wenn die Gulaschkanone aus irgendeinem Grunde
zurückbleibt? Der Gesang und die Scherze verstummen, die gute
Laune ist vorüber, kein angenehmes Ziel winkt nach überstandenem,
harten Marsche, die rechte Lust am Soldatensein ist dahin, wenn
man sich das einmal vergegenwärtigt und wenn man dann bedenkt,
in welchem grundlosen Schnee die ostpreußischen und russischen
Wege und Wälder damals steckten, dann kann man sich einen Begriff
machen, wie von vornherein die Verpflegung der Truppen in Frage
gestellt war. Zwar hatten wir vor den Feldküchen und vor den
Küchenbeiwagen, die auf untergeschraubte Schlittenkufen gestellt
waren, die kräftigsten Pferde. Aber es war nicht zu leisten. Be-
sonders energische Unteroffiziere und Mannschaften waren den
Küchen zugeteilt, sie konnten den hungernden Kameraden nicht helfen.
In den verschneiten und unter dem Schnee vereisten wegen kam
solch ein Fahrzeug plötzlich ins Rutschen und ehe sich die Fahrer
und Begleiter etwas böses dachten, lag es im Straßengraben.
Stundenlange Arbeit und Anstrengung gehörte dazu, die umgestürzte,
schwere Feldküche wieder flott zu machen. Wo war die Kompagnie
inzwischen auf dem rastlosen Vormärsche geblieben? Ich weiß
genau, daß die Küchenmannschaften Tag und Nacht auf den Beinen
waren, daß sie den Pferden nur die allernotwendigsten Futter- und
Ruhepausen gönnten. Sie wußten, daß die Kameraden vorn hun-
gerten und konnten nicht helfen. Ich habe es erlebt — zweimal war
Masurenschlacht
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es während der Masurenschlacht — daß wir unsere Feldküche (sie
war an den Pferden leicht zu erkennen), in einer Entfernung von
IV2—2 km am Horizonte auftauchen sahen, wenn wir des Morgens
beim Hellwerden gerade weiter marschierten. An ein Warten war
natürlich nicht zu denken. Nicht einen Tag ging es so, nein tage-
lang. Die knappen Vorräte, die jeder bei sich trug, die eisernen Por-
tionen, waren bald verzehrt. Hatte der plündernd und brennend
zurückgehende Russe in einem verschonten Gehöft wirklich ein Stück
Rind oder ein Schwein vergessen, so konnten wir nichts damit an-
fangen. Zum Schlachten und Rochen hatte die Truppe niemals
Zeit. Früh morgens sah uns die aufgehende Wintersonne schon
auf den verschneiten Straßen rastlos gen Osten pilgern und des
Abends wurde bis spät in die Nacht hinein marschiert. Galt es
doch den Russen, der in teilweise heißem Ringen nach zähem wider-
stände geworfen wurde, nicht zur Ruhe kommen zu lassen, sollte
er doch durch Umgehung um seinen rechten Flügel im Rücken gefaßt
werden. So konnten wir uns in den wenigen Nachtstunden, die uns
zur Ruhe blieben, nicht mit langwierigem Schlachten und Rochen
aufhalten. Line Reihe der zu Tode erschöpften Leute hätte zu
diesem Zweck die Nachtruhe ganz entbehren müssen. Rartoffeln
oder Rartoffelsuxxe kochten wir uns miteinander, aber Salz hatten
wir nicht dazu. Das war, wie man sich denken kann, ein zweifelhafter
Genuß, aber es ging schnell und füllte den knurrenden Magen. Zn dem
Rriegstagebuch einer Division habe ich gelesen, daß das Fleisch von
Pferden, die wegen Entkräftung geschlachtet wurden, zur Stillung
des quälenden Hungers der armen Soldaten verteilt worden ist. Um
unser leibliches Wohl war es also nicht zum Besten bestellt.
wie war es denn mit der Unterkunft? Ein Bett kannten wir
schon lange nicht mehr. Froh waren wir, wenn wir eine Scheune fan-
den, die der wahnwitzigen Brandlust der Russen entgangen war,
wenn Stroh oder Heu genug vorhanden war, in das wir uns eng
aneinandergedrückt ausstrecken konnten. Ze enger wir lagen, desto
wärmer war es, denn außer unseren dünnen Mänteln und Zeltbahnen
hatten wir ja nichts zum Zudecken. Ein Dach über dem Roxfe und
vier wände, die uns den eisigen Februar-Schneewind vom Leibe
hielten, war alles, was wir verlangten und oft genug auch noch ent-
behren mußten. Manchesmal war die Raumeinschränkung recht arg.
Zn einem Hause, das nur einen einzigen bewohnbaren Raum etwa
von der Größe 5x6 m hatte — eine Scheune war nicht mehr vorhanden
— nächtigte ich einmal mit meiner ganzen Rompagnie. Es mögen
damals noch alles in allem (30 Röpfe gewesen sein. Das Bild wäre
es wert gewesen, von einem Photographen festgehalten zu werden.
Auf den Bänken und unter den Bänken, auf dem Tisch und unter dem
Tisch, auf dem Ofen, auf der Rommode, auf dem ganzen Fußboden
lagen und hockten wir Mann an Mann und schliefen nach des Tages
tast und Mühe genau so gut, wie daheim im Bett.
74
v.Redern
Hätte unser Preußenkönig, der alte Fritz, uns damals gesehen,
er hätte seine Freude an uns haben können. Mir sahen, um seine
eigenen Worte zu gebrauchen, wie die Grasteufel aus, und daß wir
beißen konnten, mußte der Busse täglich fühlen. Waschwasser war uns
genau so fremd geworden, wie alle anderen Bequemlichkeiten. Der
Ropfschützer, den wir gegen die grimmige Kälte trugen, kam nie
herunter. Tag und Nacht behielten wir ihn um, denn es wajr ja
auch in den Unterkünften nicht geheizt. Die Folge davon war, daß
uns der Bart an Wangen und Rinn durch das Gewebe des wärmen-
den Schützers hindurchwuchs. Schließlich konnten wir ihn nur unter
gleichzeitigem Ausreißen des Backenbartes abziehen. Stiefel wurden
niemals von den Füßen gezogen, wir lagen ständig in höchster
Alarmbereitschaft und durften uns solchen Luxus nicht erlauben.
Bei all diesem geschilderten Mangel an des Leibes Nahrung
und Notdurft war die Stimmung der gesamten Truppe die denkbar
beste. Jedem einzelnen schwebte das hohe Ziel vor: Säuberung deut-
schen Bodens vom Feinde, Züchtigung des räuberischen, brand-
schatzenden Eindringlings. Man sah, der Mensch gewöhnt sich an
alles; Hunger, Durst, Ermattung und Frost konnten unsere Soldaten
nicht entmutigen. Line namenlose Wut erfaßte uns, wenn der Russe
aus irgendeiner Stellung geworfen zurückgehen mußte und wenn wir
überall, soweit wir blicken konnten, die Dörfer und Gehöfte in Flam-
men aufgehen sahen. Mag es auch aus taktischen Gründen Not-
wendigkeit für den geschlagenen Feind sein, daß er uns die ersehnte
Unterkunft, die Verpflegung durch Feuer vernichtete, so waren doch
die zunächst Leidtragenden unsere eigenen Landsleute, die Ostpreußen,
die wir von dem russischen Zoche befreien wollten. Das Gefühl, end-
lich diese Untaten zu rächen, feuerte uns stets zu neuen, unerhörten
Kraftanstrengungen an. Den russischen Horden mußten wir an das
Leder.
Eines besonders anstrengenden Marsch- und Gefechtstages ent-
sinne ich mich. Früh morgens bei dämmerndem Tageslicht waren
wir mit knurrendem Magen aufgebrochen. Es sollte gelten, an diesem
Tage die ostpreußisch-russische Grenze bei Schirwindt zu über-
schreiten. Der Russe wollte sich nicht stellen; Stunde um Stunde
marschierten wir, nur kurze Ruhepausen wurden gemacht, um Mann
und Pferd zu Atem kommen zu lassen. Meterhoch lag der Schnee.
Stellenweise mußten wir uns durch Schneewehen hindurcharbeiten,
in denen wir bis unter die Arme versanken. Stündlich wurden die
vordersten Kompagnien, die im Schnee Bahn zu treten hatten,
gewechselt, vorwärts hieß es und vorwärts ging es. Den ganzen
Tag marschierten wir so, der frühe Winterabend sank hernieder,
die Nacht kam. Durch brennende Dörfer, vom Russen angezündet,
wurde uns der weg mitunter taghell erleuchtet. Auch in der Nacht
ging es weiter. Unwillkürlich begann man an den Zug von Napo-
leons Heerscharen gen Moskau im Jahre l8f2 zu denken. Wollten
Masurenschlacht
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auch uns die Russen so in die Falle locken? Jedes frohe Wort aus
den Reihen unserer Leute war verstummt, mit zu Boden gerichtetem
Blick schleppte sich die Infanterie unter der Last des schweren
Gepäckes voran. Alle hundert Meter fast brach einer unserer Leute
vor Ermattung zusammen. Ein Liegenbleiben wäre dem Tode
durch Erfrieren gleich gewesen. Alle unsere Energie mußten wir
Vorgesetzten aufwenden, um die armen, gefallenen Leute wenigstens
bis zum nächsten schützenden Dach zu schleppen. Reiche Arbeit
hatten wir im Verein mit den Ärzten. Da wurde uns wohl bange
um das Herz, wenn wir uns ausmalten, wie es werden sollte,
wenn wir mit diesen überanstrengten Leuten plötzlich vom Feinde
angegriffen würden.
So kamen wir dem deutschen Grenzstädtchen Schirwindt immer
näher, der fahle Wintermorgen begann zu dämmern, es war fast
6 Uhr früh. 2% Stunden waren wir jetzt ununterbrochen auf den
Beinen. Da plötzlich fallen Schüsse aus Gehöften, die wir rechts
vorwärts, abseits vom Wege undeutlich erkennen konnten. Ulan
sah das Aufblitzen beim Abschuß, man hörte die Geschosse um uns
pfeifen, vergessen war der Zuständige Marsch, der Hunger, die
Müdigkeit! wie auf dem Exerzierplatz waren die vordersten Com-
pagnien schnell entwickelt und vorwärts ging es querfeldein auf
den Feind. Endlich sollte man ihn fassen, es war wie eine Erleich-
terung! Aus Schirwindt, das vollkommen zerstört war, wurde der
Russe herausgeworfen, mit Hurra ging es über die russische Grenze,
Wladislawow, die russische Grenzstadt wurde genommen. Um
U Uhr vormittags rückten wir zum ersten Male auf russischem Boden
ins Quartier und hatten die Freude, von den flüchtenden Russen
geheizte Unterkünfte und reichliche Verpflegung vorzufinden. Das
hatten wir an diesem Tage zu unserer Beruhigung erneut erfahren:
mit solchen Leuten, wie den deutschen Soldaten, konnten wir den
Teufel aus der Hölle holen.
Unmöglich hätten wir mit unseren hungernden, frierenden, er-
matteten Leuten das gesteckte Ziel erreichen können, wenn nicht der
unbezwingliche, herrliche Siegeswille vom August \9W in jedem
Mann gesteckt hätte. Damals kannten wir auch keinen Unterschied
der Partei oder des Standes, wir alle waren deutsche Männer, die
für ihr Vaterland auf den Ruf ihres Raisers in den Üampf gezogen
waren, um ihre Heimat, ihre Angehörigen vor den Greueln raub-
lustiger Feinde zu bewahren. Alle Anstrengungen, alle Entbehrungen
vermochten es damals nicht, dem deutschen Soldaten den Glauben
an die gerechte Sache und an den Sieg der deutschen Waffen zu
rauben. Rein Murren gab es, kein Widerwort wurde hörbar, jeder
setzte seine letzte Rraft ein, wenn es hieß: weiter an den Feinds
Mit willenlosen Maschinen, zu denen man den deutschen Sol-
daten von damals heute stempeln will, hätten wir das nicht leisten
können, was wir geleistet haben. Personen- und Lastkraftwagen
76
v. Hebern
erlagen dem russischen Eis und Schnee, zahllose Pferde im Zug
und unter dem Reiter hauchten ihr Leben vor Ermattung aus.
Der deutsche Soldat war unbeugsam in dem Willen „vorwärts"!
Nachdem die Umklammerung des rechten und des linken Flügels
für die russische Front recht bedenklich geworden war, mußte der
Feind sich auf der ganzen Linie zum Rückzugs bequemen. Unter
schweren Kämpfen wurde Lyck genommen, vier Tage dauerte das
heiße Ringen um die deutsche Stadt. Die Russen räumten Stellung
um Stellung ihres tief angelegten Grabensystems und gingen in
östlicher Richtung zurück.
Den Eroberern von Lyck war ein denkwürdiger Augenblick be-
schieden. Der oberste Kriegsherr begrüßte auf dem Ularktplatz der
noch brennenden und rauchenden Stadt, inmitten der Tausende von
russischen Kriegsgefangenen, seine siegreichen Truppen. Umdrängt von
den begeisterten Soldaten, mit Jubel begrüßt von den Kriegern,
die soeben !noch dem Tode ins Auge geschaut hatten, sprach der
Kaiser Worte des Dankes und der Anerkennung für das Geleistete.
Einen solchen Augenblick vergißt man mit seinem tiefen Eindruck
sein Leben lang nicht.
Die 8. Armee folgte. Die sO. Armee hatte bereits weit um den
feindlichen rechten Flügel herumgefaßt und stand mit Teilen schon im
Rücken der Russen, von Süden und Südosten her drückten das
^0. Reserve-Korps und die Kavallerie-Divisionen. Schritt für Schritt
wurde ostpreußischer Boden vom Feinde gereinigt. Suwalki Nnd
Augustowo waren die Rückzugsrichtungen der Russen, vom Westen
drängte weiter die 8. Armee, vom Norden das 38. und das 39- Re-
serve-Korps und vom Osten das XXI. Armeekorps.
Bedrohlich bei dem Unternehmen war, daß man dauernd von
Kowno her im Norden und von Kolno-Gssowiec-Grodno im Süden
Entsatzversuche durch starke russische Kräfte erwarten mußte. Zum
Teil setzten sie auch ein, sie wurden über von den hierzu weitsichtig
bestimmten deutschen Kräften in heldenmütiger Abwehr abgewiesen.
Absicht der \0. russischen Armee war es anscheinend, in dem
gewaltigen Forst um Augustowo herum zu verschwinden und dann
über den Bobr in Richtung auf Grodno Ungesehen abzumarschieren.
Der Plan sollte nicht glücken, denn auch in die großen Wälder hinein
folgten die deutschen Truppen in unaufhaltsamem Vorwärtsstürmen.
Nicht ungefährlich waren diese dichten Wälder, in denen es zu
heißen Kämpfen kam. Der Russe wehrte sich verzweifelt und suchte
durch kühne Vorstöße mit starken Kräften den gesicherten Abzug
seiner Hauptmacht zu erreichen. Manches Mal konnte es unseren
an Zahl unterlegenen Kräften bei diesen Waldgesechten schlimm
ergehen, wenn nicht die deutsche Entschlossenheit stets über die
russische Masse gesiegt hätte. Drei Tage lang war eine preußische
Brigade von den Russen im Walde eingeschlossen, keine Verbindung
nach irgend einer Richtung war mit den eigenen Truppen zu er-
Masurenschlacht
77
reichen. Führer und Leute behielten den Kopf dben und verzagten
nicht, deutsche Männer werfen die Flinte nicht so schnell in das
Korn. Lin Bataillon dieser Brigade, das aus abgesondertem Posten
treu ausgeharrt hatte, wurde von den Russen fast ganz ausgerieben.
Leicht mag es den Russen nicht geworden sein, dieses Bataillon zu
überwältigen, davon zeugten schon die Mengen der Gefallenen, die
wir an der Stelle fanden. Die wenigen verwundet Überlebenden^
die wir noch retten konnten, erzählten uns, wie mannhaft sich das
Bataillon geschlagen hatte. Trauer um die vielen verlorenen Kame-
raden, Stolz auf die Mannestat des braven Bataillons mischte sich
mit der bedrückenden Erkenntnis, daß die Fahne dieses Truppen-
teils anscheinend den Russen in die lhände gefallen war. Sie war
verschwunden. Damals führten wir die Feldzeichen noch mit und
oft genug sahen wir sie entfaltet beim Angriff im winde wehen.
Kein Suchen half, man fand die Fahne nicht. Das tapfere Regiment
trauerte um feine Gefallenen und um sein Feldzeichen. Endlich nach
Tagen fand ein deutscher Telegraphenarbeiter, der im Walde von
Augustowo die Leitungen instandsetzte, durch Zufall die vermißte
Fahne. Zerschossen zwar war sie, aber unangetastet von Feindes-
hand. Auf dem Feldzeichen lag der tote Fahnenträger, drum herum
lagen die Gefallenen des Bataillons, die sich zum Schutze ihres
Heiligtumes um den Fahnenträger geschart hatten. Alle hatten sie
ihr Leben eingesetzt getreu ihrem Fahneneid; bis zum letzten Atem-
zuge hatten sie das Wahrzeichen der Treue mit ihren Leibern gedeckt.
Ein herrliches Beispiel deutscher Treue bis zum Tode!
Nach zehntägigem hartem Ringen war Augustowo genommen.
Kriegsgefangene in riesiger Zahl und Kriegsgerät in unermeßlichen
Mengen war den Russen entwunden. Durch ein kleines Loch, das in
der Einkreisung offen geblieben war, gelang es namhaften Teilen
des gewaltigen feindlichen Heeres in südöstlicher Richtung durch-
zuschlüpfen und im Walde zu verschwinden.
Auch jetzt gab es keine Ruhe. Man mußte den fliehenden Resten
der Russen an den Fersen bleiben, mußte sie hindern, über den Bobr
zu entkommen, wieder begann das Kesseltreiben in dem Augustower
Forste. Endlich war man so weit, daß der Russe in der Falle saß.
Im Walde lag eine Blöße von etwa 5 km Länge und 31/2 km
Breite, von drei Seiten war sie eingeschlossen von dichtem Holz, auf
der vierten war sie begrenzt von dem wolkuschbach mit sumpfigen
Ufern, die selbst der strenge russische Frost nicht hatte Härten können.
Etwa in der Mitte dieser großen Lichtung liegt das Vorwerk Ljubi-
nowo. Das war die Mausefalle, in welche die nach der Zahl unschätz-
baren, aber immerhin noch beträchtlich stark erscheinenden Reste der
sO. russischen Armee nach heftigen Kämpfen und nach zähem Wider-
stände von allen Seiten zusammengetrieben waren. Fünf deutsche
Divisionen: im Osten die 77. Reserve-Division und die 3s. In-
fanterie-Division, im Süden die 2. Infanterie-Division, im Westen
78
v. Hebern
die 76. Reserve-Division und im Norden die H2. Infanterie-Division
hatten am 20. Februar nach harten Mühen endlich den Ressel um-
stellt. Jetzt sollte es kein Entrinnen mehr geben. Der Russe, der das
Messer an der Kehle fühlte, wehrte sich verzweifelt. Mit seinen zahl-
reichen Maschinengewehren und Geschützen schoß er nach allen
Richtungen, jeden Augenblick mußten wir mit einem Durchbruchs-
versuch rechnen. Ob ein solcher wohl geglückt wäre? Ich möchte es
fast meinen, wenn auch fünf deutsche Divisionen zur Stelle waren,
so war doch die Einkreisungsfront recht lang und an Zahl waren
wir nur wenige. Unsere Verluste, teils durch die Marschanstren-
gungen, teils durch die zahlreichen, schweren Kämpfe waren recht
beträchtlich gewesen. Dazu kam, daß die im Osten und im Süden
stehenden Divisionen auch nach rückwärts sichern mußten, da sie
Angriffe der in und um Grodno gemeldeten russischen Armee zu
erwarten hatten. Auf Unterstützung durften wir nicht rechnen. Line
große Anzahl Divisionen, die bis zur Einnahme von Augustowo
mitgekämpft hatten, waren bereits nach anderen Kampffronten
verschoben. Auf uns selbst waren wir angewiesen, wie wir da
rings um die Russen herum eingegraben auf der Lauer lagen. Jedem
einzelnen von uns war das klar und doch hatte jeder das bestimmte
Gefühl: Hier kommen sie nicht durch. Jeder wußte, daß die Ent-
scheidung der großen Schlacht jeden Augenblick bevorstand, daß
nicht letzten Endes die Früchte des fast geleisteten Riesenunternehmens
verloren gehen durften. Glänzend war die Stimmung unserer Leute
auch hier wieder, trotzdem der quälende junger sich meldete, trotz-
dem wir im Schnee ohne Schutz gegen wind und Wetter lagen, trotz-
dem der Russe uns kaum einen Augenblick mit seinem Segen aus
Infanterie- und Maschinengewehren sowie aus Kanonen aller
Kaliber Ruhe gönnte.
So verging der Rest des 20. Februar, die Dunkelheit brach
herein. Keiner von uns hat wohl in atemloser Spannung in dieser
Nacht ein Auge zum Schlafe geschlossen. Schauerlich klang in dem
Walde der Einschlag der russischen Granaten, das Platzen der
Schrapnells, das pfeifen der Infanteriegeschosse. Aber der Russe
wagte den Durchbruch nicht, während der ersten Nachtstunden war
hinter unseren Infanteriestellungen die Arttllerie aufgefahren. Bei
Morgengrauen sollte sie ihr Feuer in den Russenkessel eröffnen und
sodann sollte der allgemeine Infanterieangriff von allen Seiten
beginnen. Dazu kam es aber nicht mehr. Abgeschnitten von jedem
verpflegungs- und Munitionsnachschub sahen die Russen endlich
ein, daß sie sich ergeben mußten. Das Hoffnungslose ihrer Lage
wurde durch das Scheitern aller Entsatzversuche von außen her
immer klarer. Der eiserne Ring hielt, dank dev Entschlossenheit,
dank dem Überlegenheitsgefühl, dank der Siegeszuversicht unserer
Truppen. Der Russe mußte die Waffen strecken. Der Gerechtigkeit
zuliebe muß anerkannt werden, daß auch die Russen sich mannhaft
Masurenschlacht
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geschlagen hatten. weit über 30 000 Gefangene, darunter ss Ge-
nerale, 200 Geschütze, ungezählte Maschinengewehre und unermeß-
liches Kriegsmaterial fielen uns in die Hände. während die end-
losen, erdbraunen Züge der gefangenen Russen zum Abtransport
geordnet wurden, hatten wir die stolze Freude, einem großen Teil
unserer im verlaufe der Schlacht vermißten, von den Russen ge-
fangenen Kameraden die Hände schütteln zu können. Befreit aus
der Gefangenschaft, ledig der Aussicht, nach dem östlichsten Ruß-
land oder nach Sibirien verschickt zu werden, sanken sie uns voll
-Jubel in die Arme.
Die winterschlacht in Masuren war geschlagen. Durch deutschen,
unbeugsamen willen vernichtet lag eine gewaltige, russische Armee
am Boden. HO 000 Gefangene, etwa 300 Geschütze, mehrere hun-
dert Maschinengewehre, Munitionswagen, Feldküchen, anderes un-
zählbares Kriegsgerät, einige tausend Stück Vieh und Pferde, sowie
drei Lazarettzüge und eine Kriegskasse waren die Gesamtbeute der
3. und s0. Armee. Diesen schönen Erfolg hatten die tapferen Trup-
pen aber auch verdient. Der Siegesjubel in der Heimat und draußen
kannte keine Grenzen. Das Erreichte stärkte unseren braven Leuten
von neuem den Mut. Kein Ausruhen gab es auf den errungenen
Lorbeeren. Im Augustower Forst lag noch unschätzbares, wertvolles
Kriegsmaterial, das in Sicherheit gebracht werden mußte. Da hieß
es die Aufräumungsarbeiten decken gegen dis von Grodno her zu
erwartenden Angriffe russischer Truppen. Die Anstürme kamen,
aber wir hielten auch hier stand, wie unsere Truppen im Angriff
in der winterlichen Schlacht nicht versagt hatten, so vermochten sie
auch in der Abwehr zähe auszuhalten, um die sichtbaren Erfolge des
von ihnen erstrittenen Sieges heimzubringen.
Großes war durch die Kämpfe der Masurenschlacht erreicht
worden. Deutschland war im Osten vom Feinde befreit. Die ge-
flüchteten Bewohner konnten zurückkehren, und wenn auch so
mancher sein Haus und seine Scheune nicht wiederfand, konnten sie
doch auf eigenem Grund und Boden, ohne Furcht vor der Wieder-
kehr der Russen, die Frühjahrsbestellung vorbereiten. Geld aus
der Heimat floß dem ostpreußischen Hilfswerk reichlich zu. Im
Sommer ^5 standen die Fluren des östlichen, deutschen Landes schon
wieder im Schmucke der bestellten Felder, wo im Winter noch der
Russe gehaust hatte, wo russische Granaten die ostpreußische Scholle
aufgewühlt hatten, da ging jetzt wieder der friedliche Landmann
hinter dem Pfluge und gedachte dankbaren Herzens der deutschen
Helden, die sein Land befreit hatten.
Der Aberfall in der Wüste auf die Äyefha-Leute.
Mai 1915.
Don Gberbooismannsmaat Friedrich Pinksrt.
Mit einer Einleitung von Kapitänlsutnant a. D. v. Mücke, damals Wachhabender
Gsfizier S. M. E. „Emden".
(T\ m 9- November l91^ stand S. M. 5. „Linden", vom Areuzer-
*£ + krieg aus dem Golf von Bengalen kommend, weit unten im süd-
lichen Teil des Indischen Ozeans bei den Reeling- oder Tocos-
Inseln. Ls galt die dort an Land befindliche Rubel- und Funken-
station zu zerstören. Rommandant der Linden war Fregattenkapitän
v. Müller. Lmden ankerte zwischen den Inseln. Lin Landungszng
von 4Q Mann wurde unter meinem Rommando ausgeschifft, wäh-
rend dieser an Land mit der Zerstörung der Station beschäftigt war,
entwickelte sich ein Gefecht der Lmden mit dem großen englisch-
australischen Rreuzer Sidney, der überraschend herangekommen war.
Lr war von der Lmden zunächst für unsern Rohlentender Buresk
gehalten worden, weil er aus derselben Richtung kam, aus der
Buresk kommen sollte. Abgeschnitten von seinem Schiff richtete der
Landungszug sich zunächst auf der Insel zur Verteidigung ein.
Gleichzeitig wurde aber für alle Fälle ein dort vorgefundener
kleiner Segelschoner seeklar gemacht. Trotz dringenden Abratens
seitens der englischen Telegraphenbeamten, die aussagten, daß das
Schiff alt und morsch wäre und längst als seeuntauglich erklärt
worden sei, wurde mit dem Schoner bei Sonnenuntergang abge-
fahren. Das nur für eine Besatzung von fünf Mann bestimmte
9? Tonnen große Schiff bot für den Landungszug mit seinen
50 Menschen natürlich nur mangelhafte Unterkunft. Dazu kam,
daß das Schiff viel Wasser zog. Ls war morsch. Nach einigen
Tagen ging auch das Süßwasser auf die Neige. Ls mußte von
Regenwasser gelebt werden. Am 26. November wurde der hol-
ländische bsafen padang erreicht, versuche der holländischen Re-
gierung, die Ayesha — so hieß der kleine Schoner — zu inter-
nieren, wurden im Reime erstickt. In padang erfuhr der Landungs-
zug, daß die Lmden untergegangen sei. Nach Ergänzung von
Wasser und Proviant wurde wieder in See gegangen. Trotz der
Absperrung, der die Ayesha unterworfen worden war, weil das
sogenannte Völkerrecht dies vorschrieb, war es dem Landungszuge
gelungen, mit deutschen Dampfern, die im ksasen lagen, in Ver-
bindung zu treten. Lin Dampfer folgte dem Schoner nach einiger
Zeit auf einen verabredeten Treffpunkt in See, und es wurde nach
Ayesha
81
Versenkung der Ayesha nunmehr mit dem Dampfer weitergefahren.
Ziel war Arabien, weil eine Zeitungsnotiz, die der Dampfer aus
padang mitgebracht hatte, angab, daß dort Kämpfe stattgefunden
hatten zwischen Türken und Engländern. In der Nacht vom
7. zum 8. Januar W5 wurde die schmale Straße von pertrn
passiert. Der Landungszug hat die beiden auf Posten befindlichen
englischen Kreuzer gesehen, er selbst blieb ungesehen. Die Landung
in Arabien erfolgte in öodeida unter den Augen eines blockierenden
französischen Panzerkreuzers, der zunächst im Dunkel der Nacht
für Hafenanlagen gehalten worden war. Hafenanlagen gab es
aber gar nicht. An Land stellte sich dann nach einiger Zeit heraus,
daß die von den Türken kurz nach der Landung gegebenen Ver-
sicherungen, man könne auf dem Landwege weiterziehen, nicht
den Tatsachen entsprachen. Der Landungszug war inzwischen bis
Sanaa, der Hauptstadt des Landes, vorgedrungen. Der Rück-
marsch an die Küste wurde wieder angetreten. Auf Maultieren,
Pferden und Eseln wurde der 3600 in hohe Gebirgskamm zum
zweitenmal überquert. Uber die Wolken kam man bei dem Marsch,
und es war empfindlich kalt. Dann wieder auf Kamelsrücken durch
die glühend heiße Wüste. An der Küste angekommen zeigte es
sich, daß ein Dampfer der türkischen Regierung, auf den wir ge-
rechnet hatten, nur ein schon halb versunkenes wrack war. Line
weitere Gelegenheit, mit Segelbooten abzufahren, wurde dem Feinde
durch Spione verraten. Endlich wurde ein günstiger Augenblick
benutzt und die Abfahrt gelang. Der günstige Augenblick war ein
großes Festessen, das uns zu Ehren gegeben werden sollte. Wäh-
rend uns die Spione beim Essen vermuteten, verschwanden wir mit
Segelbooten, wahrscheinlich sehr zum Erstaunen unseres vergeb-
lich auf uns wartenden Gastgebers, des — italienischen Konsuls,
der dort die deutschen Interessen vertrat. Ungesehen passierten wir
zum zweitenmal im Roten Meer eine englische Blockadelinie. In
zwei kleinen offenen Segelbooten steuerten wir nach Norden. Eins
der Boote ging auf einem Korallenriff verloren. Alle Leute konn-
ten gerettet werden, trotz Dunkels der Nacht und Anwesenheit von
Haien. Mit dem uns gebliebenen überladenen Boot erreichten wir
den Hafen Kunfidda. Hier beginnt die Erzählung meines alten
pinkert. Nach dem Gefecht, welches er selbst schildert, kamen wir
glücklich nach Djidda. von dort sollten wir nach dem Wunsche
des Emirs von Mekka, dessen Truppe uns „befreit" hatte, nach
Mekka kommen, und von dort nach Medina an die Bahn marschieren.
Ich traute aber dem Emir von Mekka nicht, weil die ganze „Be-
freiungsaktion" mir reichlich verdächtig vorgekommen war, und
weil ich unter der Hand Nachrichten erhielt, daß der Emir von
Mekka selber Urheber des Überfalls gewesen sei, und daß sein
Sohn, der uns „befreit" hatte, der Leiter des Überfalls gewesen
war, der den Spieß nur deswegen umgedreht hatte, weil er glaubte
o. Dickhuih-'tzarrach, Zm Felde unbesiegt. 6
82
v. Mücke-Pinkert
mit uns nicht fertig werden zu können, wir nahmen daher den
Vorschlag des Emirs nach Mekka zu kommen mit Ausdrücken unseres
tiefsten Dankes an — und verschwanden zur See. wie berechtigt
mein verdacht war, ist dadurch bewiesen, daß der Emir von Mekka
wenige Monate, nachdem wir Arabien verlassen hatten, die Maske
fallen ließ, und als „König von Ljedjas" offiziell zu unseren Fein-
den überging. Sein Sohn Abdullah, unser „Befreier", bekleidet
heute die würde eines „Königs von Mesopotamien" von Eng-
lands Gnaden. Die englischen Blockadeschiffe vor Djidda, die wir
bei Tage sehen konnten, wurden ungesehen nachts passiert. Einige
Wochen später standen wir bei dem kleinen Hafen El weg. von
hier erreichten wir nach sechstägiger Karawanenreise durch wüste
und Gebirge die erste für uns in Betracht kommende Bahnstation
der Hedjaseisenbahn. Diese brachte uns dann ohne besondere Fähr-
lichkeiten weiter. Ein Zufall wollte es, daß ich persönlich die
österreichisch-ungarische Grenze passierte am 9- Juni vormittags um
halb sechs, das ist auf Tag, Stunde und Minute genau 7 Monate
nach verlassen der Emden, wir hatten unser Ziel erreicht, wir
waren nicht abgeschlossen da unten in Keeling geblieben um in
Gefangenschaft zu kommen, sondern wir kamen alle wieder „Ran
an den Feind". Und wenn es auch uns entgegengetönt hatte in
Keeling: „unmöglich", in padang: „unmöglich", in chodeida: „un-
möglich", in Sanaa: „unmöglich", in Djidda: „unmöglich", unser
Wahlspruch war gewesen: wo ein Wille ist, da ist auch ein weg.
So waren wir wieder in die Reihen unserer kämpfenden Brüder
in der Heimat gekommen, die Letzten vom ostasiatischen Kreuzer-
geschwader, und die einzigen von draußen, die mit wehender Flagge,
nie sich selbst verleugnend, sich den weg zur Heimat erkämpft
hatten. v. Mücke.
* *
*
... von Kunfidda brachte uns unser neuer geräumiger Sambuck
nach Lith. Trotzdem die Luft immer dick für uns war, hatten wir
den kleinen Hafen in vier Tagen erreicht. Sami Bei, der Türke,
leistete uns bei dieser Fahrt Kundschafterdienste mit seinem kleinen
Boot, in dem er mit seiner Frau und zwei dienstbaren Geistern,
die ehemals gegen uns beim Franzmann gekämpft hatten, unter-
gebracht war. Die beiden Sambucks wurden verlassen; allem
Anschein nach sollte die Geschichte nun wieder an Land weitergehen. -
Proviant unsere sieben Sachen nebst Waffen und Munition wurden
an Land gebracht. Die Arbeit war leicht, denn Lith hat eine kleine
Mole, wo die Sambucks festgemacht hatten. Auch hier hatte unser
Kommen wieder eine große Anzahl Neugieriger herbeigerufen. Die
Spitzen der Behörde in Gestalt von einigen in Lumpen gehüllten
Arabern, die jedenfalls die Grtsobrigkeit vorstellten, empfingen
den Kommandanten.
Ayesha
83
Wenn man unter Wölfen weilt, muß man mit ihnen heulen;
unser Rommandant war der richtige Mensch dazu. Mit großer
Freundlichkeit empfing er die scheckige Gesellschaft. Sann Bei diente
als Dolmetscher. Dieser Sann Bei, von den: wir nicht recht wußten,
was er eigentlich vorstellte, war unserem Rommandanten eine
willkommene Stütze. Schon seine Dolmetscherei war von großem
Wert. Denn dieses Arabergesindel oder diese Bande, wie der
Rapitänleutnant die Horde nannte, sprach nur Arabisch. Lin großes
Glück, daß die Araber kein Türkisch sprachen, dann wären wir die
Dummen gewesen, wir reisten nämlich in der Zone des heiligen
Landes der Mohammedaner als Türken. Würden die Araber
uns als Thristen gekannt haben, ich glaube ganz sicher, man hätte
uns die Hälse abgeschnitten, wie einer fetten Gans. Während wir
unter Aufsicht des Leutnants Gyßling die Sachen aus den Sam-
bucks an Land stauten, begab sich der Rommandant mit den
Scheikhs, zu welchen sich noch ein türkischer Offizier gesellt hatte, in
die Stadt, jedenfalls um Unterkunft für uns zu besorgen. Ich selbst
hatte die Hände voller Arbeit: meine Rocherei, außerdem mußte ich
noch für den ganzen Proviant Sorge tragen. An Land hatten wir
bald ein kleines Warenlager zusammengetragen. Risten mit Mineral-
wasser, noch von den Reelingsinseln, lagerten neben Reissäcken und
Ballen mit altem Zeug. Ich dachte oft bei mir selbst: warum wird
der ganze alte Trödel immer mitgeschleppt? Aber bei unserer letzten
Absauferei hatten diese alten Sachen uns gerade gute Dienste ge-
leistet. Meine Uniform, die ich in Hodeida neu erhalten hatte, war
ich wieder losgeworden. Aus dem unfreiwilligen Bad kletterte
ich in Adams Rostüm die Bordwand hoch, wo mir der Rommandant
eine seiner Unterhosen als einziges Rleidungsftück gab. Ulkig muß
ich ausgesehen haben in dieser Montur. Rapitänleutnant v. Mücke
ist von Gestalt ein Riese, und so war mir dieses neue Rlsid ein
wenig zu groß, praktisch, wie immer, schnitt ich ein paar Löcher
aus den beiden Seiten hinein; ich konnte meine Arme durchstecken
und war zufrieden. Zn diesem Aufzuge langten wir in Runfidda
an. Unter der alten Brockensammlung fand sich aber bald wieder
ein Unisormstück für mich. Unser Rommandant gab vieles von
seiner Wäsche her; so habe ich auch für meine verlorengegangenen
Schuhe ein paar feine gelbe Schuhe vom Rapitänleutnant gekitscht.
Ls war schon ziemlich dunkel geworden, als unsere Arbeit
beendet war und der Rommandant zurückkam. „Na, da können die
Leute ja abrücken; wir lassen Posten bei den Sachen zurück. Sami
Bei wird Sorge tragen, daß das Gepäck in unserem Schlosse unter-
gebracht wird. Platz genügend für alle Leute, auch einigermaßen
gute Schlafgelegenheit. Läuse wird es ja wieder genügend geben,
aber wir sind nun mal an diese Haustiere gewöhnt," sagte der
Rommandant. Zch selbst bekam noch besondere Weisung betreffs der
Rocherei. Die Posten hatten ihre Instruktion erhalten, und wir
6*
84
v. Mücke-Pinkert
machten uns auf den weg, unser neues Heim zu erreichen. Sami
Bei mit dem Kommandanten zusammen voraus mit einigen Ara-
bern, die schnatterten wie die Lnten. Allem Anschein nach waren es
Händler. jn wenigen Minuten waren wir an Ort und Stelle.
Lin geräumiges mit Hof hatte man uns zur Verfügung
gestellt. Zugweise wurden uns die Schlafplätze angewiesen. Sami
Bei hatte alle seine Redekünste angewendet, um uns, soweit es die
Verhältnisse gestatteten, einen angenehmen Aufenthalt in Lith zu
machen.
Für diese Nacht schliefen wir wieder in Betten. Man muß
sich keine Daunenbetten darunter vorstellen. Denn die Araber haben
ein dickes Fell, welches an Kummer gewöhnt ist. Lin aus vier
pfählen bestehendes Holzgestell, mit einem Bastgeflecht, und die
Lausekiste ist fertig. Der Burnuß, ein mantelartiger Vorhang aus
Kamelshaaren, den die Araber tragen, ersetzt das Ober- und
Unterbett, jedenfalls waren wir vollauf zufrieden, denn die letzte
Zeit auf den Sambucks hatten wir manche Nacht verbracht wie
die Kieler Sprotten zusammengepackt in der Kiste, oder man mußte
Schlangenmensch spielen und sich wie ein Tauende in irgendeinen
Winkel verkriechen.
Für den Abend war Festessen angesagt. Großbetrieb: vier
Hammel sollten geschlachtet werden, dazu als Gemüse Reis, den
wir lange nicht mehr gegessen hatten. Denn Reis gab es alle Tage,
nur in einer anderen Wortform. Heute Reis mit Hammel, morgen
gehammelten Reis, übermorgen Reis mit Hammelragout. Meine
Kochbude war bald auf dem Hofe eingerichtet, der inmitten der
Gebäude lag. vier große Steine wurden herangesckleppt, der
große Türkenkessel, ein Gesch nk des Kommandierenden von Hodeida,
darauf gestellt, und bald brannte ein helles Feuer, jn der Zwischen-
zeit hatten meine Kameraden die Bagage heraufgeholt. Sami Bei
brachte unter Beihilfe einiger Araber meine Hammel, jch holte
meine Henkersknechte, Geizer, Münch und Matrose Schnittberger;
bald hatten wir unseres Amtes gewaltet. Das Hammelschlachten
war jetzt meine Spezialität. Den Tieren wurde die Kehle durch-
geschnitten, dann ein kleines Loch unten an der Keule geritzt. Schnitt-
berger, der eine kräftige Lunge besitzt, ersetzte den Blasebalg und
pustete Luft in dieses Loch. Das Fell wird ordentlich straff durch
diese Methode und man kann es dem Hammel über seine Hammel-
ohren ziehen, wie einem Hasen, „wie lange dauert es wohl noch,
bis unser Schmaus fertig ist?" Mit diesen Worten trat der Kom-
mandant mit Leutnant Wellmann, der unser verxslegungsoffizier
war, zu uns heran, jm Reiskochen hatte ich nun ziemlich Übung.
„In einer Stunde, Herr Kapitän-Leutnant, kann ich das Lssen gekocht
melden." „Na, dann schön." Unser Kommandant war immer frohen
Mutes und hatte den Mund immer voll ulkiger Scherzworte, jm
Dienste war er Offizier und Vorgesetzter, außer Dienst Kamerad.
Ayesha
85
Ls war schon ziemlich dunkel, als ich dem Rommandanten
„Backen und Banken" meldete. Trotzdem unser täglicher Speise-
zettel aus Reis und Hammel bestand, wurde das frugale Gericht
bis auf den letzten Rest verzehrt. Nur einen Feinschmecker hatte
die Truppe aufzuweisen, das war kserr Leutnant Wellmann, der
allem Anschein nach von dem schönen Reis nicht erbaut war. So-
bald der Bursche mit dem Lßnapf für seinen Gebieter Essen holte,
stand Herr Leutnant in weiter Ferne. Natürlich bekam Herr Leut-
nant eine anständige Ration, „Hören Sie auf, pinfert, wer soll
das alles essen!" Nach dem Abendbrot hatte ich noch Tee für den
folgenden Tag zu kochen, denn das Wässer war in den meisten
Fällen sehr salpeterhaltig. Froh war ich, als ich nach getaner
Arbeit meine müden Rnochen auf meiner arabischen Flohkiste aus-
strecken konnte, vorher wurde aber nochmals nachgesehen, ob ich
keine niedlichen Dingerchen im Hemd hatte. Zu finden waren
immer welche, aber nicht wie in Menage oder penne, wo wir die
Träger des Rekords waren, 60 Stück in der Minute. Alles war
in tiefster Ruhe, nur die posten bei Bagage und der Türposten
waren auf den Beinen. Line Zigarette wurde noch geraucht. Zch
teilte dem Posten noch mit, daß ich um 5 Uhr geweckt sein wollte
und suchte dann auch mein Lager auf.
Der kommende Tag brachte sehr viel Arbeit. Ramele zur
Rarawane mußten besorgt werden. Das besorgte der Romman-
dant mit Samt Bei. Uns allen wäre angenehmer gewesen, wir
hätten die Reise zu Wasser fortgesetzt, denn diese Ramelreiterei war
uns auch schon über. Außerdem kam man nur langsam vom
Fleck. Meine Rühreier ä la Türkie hatte ich ferüg, Tee dazu, und
der Morgenkaffee konnte serviert werden. Bei alle diesem Zinnober
hatte die Truppe noch immer einen guten Humor. Nach dem
Raffee wurden unsere Ramele auf den Hof getrieben und veranstal-
teten uns ihr Morgenkonzert. Auf die Dauer kann dieses Geschrei
einem Menschen auf die Nerven fallen, ebenso das Gerede der
Treiber. Trotzdem wir sehr wenig oder gar nichts von diesem
Rauderwelsch verstanden, sagten wir zu allem ja und amen. Wir
brauchten für unseren Zweck etwa 80 Tiere, eine ganz hübsche Reihe.
Lin Ramel läuft nämlich hinter dem anderen, und zum Überfluß
haben die Treiber ihre Tiere, das Hintere Ramel, mit der Nase
dem vorderen Tier an den Schwanz gebunden. Mft gibt die Sache
beim Marsch ein ganz nettes Bild her, z. B. wenn Halt geboten
wird, dann zieht ein Tier dem andern den Ropf oder Schwanz bald
aus. Wir hatten an diesem Manöver immer unser Vergnügen.
Nach dem Raffee war für uns Handwaffenreinigen und Rlarmachen
für den Abritt, der am Abend stattfinden sollte. Am meisten
war unser Arzt, Dr. Lang, in Sorge. Bestieg der Doktor sein edles
Stteitroß, dann hatten wir immer eine Lxtravorstellung. Nicht
selten machte unser guter Doktor einige Male mit dem Erdboden
86
v. Miicke-Pinkert
Bekanntschaft, zum Überfluß und zu unserm großen Gelächter ge-
liebkost von der zierlichen Pfote des Ramels, von meinem Reit-
kamel, welches unser Rommandant Dr. Lang zur Verfügung gestellt
hatte, wollte er nichts wissen, die Sache war ihm zu kippelig. So
befand sich auch heute der Doktor auf einem lammfrommen Ramel.
Dr. Lang hatte auch Glück und beauftragte seinen Burschen, Sorge
zu tragen, daß sein Wüstenschiff nicht an eine andere Flagge kam.
Am Nachmittage war große Musterung der Schußwaffen und
Ausrüstung durch den Rommandanten. Der Raxitänleutnant hatte
Befehl gegeben, die Maschinengewehre ordentlich nachzusehen, denn
von unserem letzten unfreiwilligen Bade im Roten Meer hatten
die Handwaffen und Maschinengewehre auch ihren Rnax abgekriegt.
Nachdem die Musterung vorbei war, bekamen wir unsere Tiere
zugewiesen, die Bagage wurde auf die Packtiere verteilt. Ich zeich-
nete meine Tiere für meinen Proviant, daß mir bei der Ankunft nicht
soviel Zeit mit dem Suchen der Tiere verloren ginge und machte
mich auf die Strümpfe, um Tee für die Feldflaschen zu kochen. Als
Feldflaschen hatten wir zwei Mineralwasserflaschenj die wir mit
irgendeinem Stück Zeug umwickelt hatten. Dieses Tuch wurde
angefeuchtet, wenn Wasser vorhanden war, damit der Tee sich etwas
kühl hielt. Auch wurde unser Wasservorrat für die Reise aufgefüllt.
Zu diesem Zweck hatte der Rommandant große Flakons von etwa
^0 Liter besorgt. Bei der Lastenverteilung auf die Ramele gab es
mitunter ganz hübsche Szenen. Jeder Treiber wollte seinen Ramelen
so wenig wie möglich aufbinden. Zuletzt blieben Maschinengewehre
und die schweren Sachen liegen. Unser Rommandant war in diesen
Sachen kurz angebunden: ging der Rram im guten nicht ab, dann
gabs welche aus der Armenkasse mit der Ramelpeitsche.
Als die Sonne untergegangen war, waren wir zugweise ange-
treten. Den ersten Zug führte Leutnant Gyßling, den zweiten Zug
Leutnant Gertz. Herr Leutnant Schmidt war Adjutant. Der Rom-
mandant gab nach der Meldung Befehl zum Abmarsch, und die
Rarawane setzte sich in Bewegung. Die ganze Arabersixpschaft war
wieder auf den Beinen, als wir Lith den Rücken kehrten, wir waren
in bester Stimmung, und manches Lied ging vom Stapel. Langsam
bewegte sich die lange Rette durch die Dämmerung. Die Reise war
immer eintönig; was dem Auge geboten wurde, war nichts als
Sand und der sternenklare Abendhimmel. Sami Bei blieb am ?nde
der Rarawane mit seiner Frau Gemahlin und mit den beiden ehe-
maligen französischen eingeborenen Soldaten. Die Türkin war immer
verschleiert. Ja, oft hatten wir versucht, in einem unbeobachteten
Augenblick einmal das Gesicht der Frau zu schauen, aber unsere
Absicht schlug immer fehl.
Nahe der Mitternachtsstunde war ich immer müde, ich ver-
suchte dann, mich auf meinem Ramel so gut wie möglich auch lang
hinzulegen, um etwas zu schlafen. Denn gerade für mich waren die
Ayesha
87
Tage sehr anstrengend. Ruhe kannte ich überhaupt nicht, während
meine Kameraden sich ausruhen konnten, mußte ich für das leibliche
Wohl der Truppe sorgen, oder ich wurde als Dolmetscher gebraucht.
Nicht selten wurde die Karawane geteilt, einige Kamele hatten unter
lautem Gebrüll ihre Lasten abgeworfen, und die Karawane mußte
Halt machen. Nach vierstündigem Ritt wurde Halt kommandiert,
wir stiegen von unseren Tieren. Aus den Seeleuten waren die besten
Kamelreiter geworden, wir ließen unsere Tiere niederknieen, banden
die Vorderfüße zusammen, damit die Tiere nicht zuviel wegliefen.
Meine Kameraden legten sich hin, um etwas zu schlafen, und ich
holte meinen Türkenkessel, um als Erfrischung etwas Reis zu
kochen, Holz war nicht vorhanden, und so mußten wir wieder
Berge von Alfägras Heranschleppen, um das Wasser ins Kochen
zu bringen. Maschinistenmaat Hollun, mein Menage-Unteroffizier,
sorgte für die Wasserausgabe. Die Kameltreiber hatten sich in
Gruppen in der Nähe meines Feuers gelagert, um etwaige Reste
zu vertilgen, denn diese Gesellschaft hat nun einmal Kohldampf. Den
Kochkessel brauchte ich nicht sauber zu machen, dafür sorgten schon
meine Araber, die den Türkenkessel ausleckten wie die hungrigen
Jagdhunde. Man mußte ja auch mit Wasser sparen. Line ganz
willkommene Sache also.
Der Morgen brachte uns wieder in ein anderes Gebiet. Der
Scheck hatte sich auch schon eingefunden. In einem kleinen Talkessel
an der Straße wurde Halt befohlen, die Kamele wurden von ihrer
Last befreit und zum weiden getrieben, viel Futter fand sich nicht
für die Tiere, aber das Kamel ist sehr genügsam, ebenso der Araber.
Einige Datteln, ein Stück Kruls (Brot), wenn vorhanden, und der
Magen der schwarzen Gesellen ist befriedigt, wir waren froh, daß
die Hügel uns ein wenig Schutz boten gegen den Sirokko (Sand-
wind); in der kurzen Zeit waren wir bereits ganz eingesandet. Die
Luft war ganz dunkel und undurchsichtig. Den Kopf eingehüllt in
unsere arabische Umhüllung, suchten wir Schutz gegen die Sand-
körner. Es ist kein angenehmes Gefühl, wenn der heiße wind die
scharfen Sandkörner in das Gesicht peitscht. Meine Kameraden waren
durstig, und ich mußte Sorge tragen, daß der Tee ins Kochen kam.
Line Wasserstelle hatten wir heute nicht angetroffen, die Etappe
war zu groß. Außerdem war das Reisen während des Sirokkos un-
möglich. Nachdem der Tee ausgegeben war, schlachtete ich meinen
Hammel. wie die hungrigen Raubtiere fielen die Araber über die
Därme her, die Beine vom Hammel warfen sie ins Feuer, sengten
die Haare ab und nagten sie dann ab. Heute gabs zur Veränderung
Hammelragout. Mit einem Seitengewehr wurde auf einer Kiste das
Fleisch in Stücke geteilt. Den Pfeffer konnte ich auch schonen, denn
der Sandwind würzte das Essen mehr wie genügend. Alles lag in
tiefster Ruhe, die meisten meiner Kameraden waren ganz und gar
eingesandet. Ich machte einen kleinen Gang zu Sami Bei hinüber,
88
v. Mücke-Pinkert
der sich etwas abseits von der Truppe im Schutze eines kleinen Sand-
hügels gelagert hatte. Sami Bei braute gerade seinen Kaffee und
bot mir auch ein Täßchen Mokka an, das ich selbstverständlich mit
größter Genugtuung hinnahm. Diesesmal hatte ich das Glück,
wenigstens die schwarzen Augen der Türkin zu schauen. Meiner
Meinung nach mußte sie noch sehr jung sein. Sami Bei gab mir
als Geschenk für die Herren Offiziere einige Dosen Konserven, die
ich sofort unserm Kommandanten überbrachte. Mit großer Freude
nahm der Kommandant diese Leckerbissen an und legte mir warm
ans Herz, seinen königlichen Dank zu übermitteln. „Ob das unser
Magen auch noch vertragen wird nach diesem alltäglichen Hühner-
futter „Reis", Heute dieser Festschmaus, Spargel und junge Erbsen?"
waren die Worte des Kommandanten an die Herren Offiziere, welche
sich den Sand aus Augen und Ohren rieben. Den Befehl führte
ich sofort aus, denn es war hohe Zeit, daß ich mich dem Mittags-
mahl widmete, das heute auch etwas interessanter war als alltäg-
lich. Obwohl ich diese Konservenbüchsen nur in warmem Wasser
anwärmte und als zweiten Gang Hammelragout dazugab, war die
Sache doch eine Abwechselung, die nicht alle Tage vorkam. Als ich
meinen Kameraden das Essen verteilt hatte, brachte ich den Fest-
schmaus zum Gffizierkasino. Heute gab es zur Feier des Tages
eine Tischdecke, wenn auch nur in Gestalt eines ehemaligen weißen
Stückes Tuch, das am Boden ausgebreitet wurde; es sollte doch
wenigstens eine Decke sein. „Immer näher der Heimat zu," meinte
der Kommandant mit seinem Schelmenlächeln, „die Erbsen und der
Spargel sind die besten Vorboten, daß wir auf dem Wege sind,
uns den zivilisierten Menschen zu nähern."
Meine Araber, die immer meine ständigen Gäste waren, wenn
es ans Backen und Banken ging, säuberten auch heute den Türken-
kessel, einer der schwarzen Gesellen ließ sich sogar dazu hinreißen,
aus Dankbarkeit für die Leckerei mir meinen edlen Kochtoxf mit
Wasser auszuspülen. Nach getaner Arbeit suchte auch ich mir einen
geschützten Platz aus, um zu schlafen. Die kommende Nacht brachte
uns in einem weiten Ritt zur nächsten Etappe, wo wir, wie der Scheck
der Karawane Sami Bei mitteilte, eine Wasserstelle zum Lagern
antreffen würden. Gegen 5 Uhr nachmittags mußte ich wieder
auf die Beine, um Tee zu kochen für die kommende Marschroute.
Die Treiber holten schon langsam ihre Kamele heran, um sie klar
zu halten für den Aufbruch. Im Lager war es lebendig geworden,
vom Schlafen das ganze Gesicht mit Sand beschmutzt, erhoben sich
die Seeleute von ihrem Lager. Der Kommandant gab Befehl zum
Teempfangen, jeder kam mit seiner modernen Feldflasche an meinen
Kochtopf, welcher Teeapxarat zu gleicher Zeit war, um das edle
Getränk für die kommende Nacht zu holen. Kessel und Proviant
wurden eingepackt und in die Nähe der für diese Last bestimmten
Kamele gebracht. Ich selbst war schlecht zu Wege, wenig Schlaf
Ayesha
89
hatte mir der Tag gebracht, außerdem schmerzten meine Augen von
der großen Tageshitze und dem Sandwind. Den Kopf behielt ich
trotzdem obenauf, das kleine Unwohlsein würde auch vorüber-
gehen; ich hatte schon in peinlicheren Situationen gesteckt als heute.
Meine Kameraden machten sich bei ihren Kamelen zu schaffen,
um sich so gut, wie es möglich war, einen guten Sitz zu schaffen,
von Lith aus hatten die Araber Futter für die Kamele mitgenommen;
ein Kamel trug diese Last. Dieses Alfagras war in Bündel ge-
bunden und an beiden Seiten des Kamels befestigt. Da dieses Tier
mit zu meiner Bagage gehörte, gedachte ich auf der breiten Last
einige Stunden während des Rittes zu schlafen.
Nach Sonnenuntergang rückten wir ab. Gde und einsam lag
vor uns die Wüstenlandschaft, die kein Tnde zu nehmen schien. Nur
selten trafen wir während unserer Reise Menschen an, außer an den
Wasserstellen. Fort ging es durch die sternenklare Nacht, von Zeit
zu Zeit wurde ein Lied gesungen, oder irgendein Vorfall, z. B. daß
ein Kamel seinen Reiter abwarf, oder der packsattel zu lose ange-
zogen war und infolgedessen der Reiter mit Sattel dem Kamel
unter dem Bauche hing, brachte etwas Abwechslung, aber nur in
den ersten Stunden. Nach Mitternacht war alles schläfrig und fast
ein jeder machte sein Nickerchen. Mit meiner Schlaferei war es
nicht weit her, trotz der breiten Graslast; kaum war ich einge-
schlafen, da lag ich auch schon am Boden, zum Gaudium meiner
Kameraden. Die Sonne stand schon ziemlich hoch am Fimmel, als
wir unsere Wasserstelle erreichten, auch war die lsitze schon groß,
aber der verfluchte Sandwind hörte auf. Die Kamele wurden
unruhig, allem Anschein nach witterten diese hochstämmigen Tiere
das Wasser. Das Bild war freundlich zu schauen, das sich heute
dem Auge bot. Man sah doch wenigstens wieder einige verkrüppelte
grüne Bäume. Zn der Nähe grasten Hammelherden. Für einige
Medschedi (türkisches Geld, nach deutschem wert vielleicht 3.20 Mk.)
erstand ich zwei Hammel. Die Treiber sorgten für das Tränken der
Kamele, die gierig das edle Naß einsogen und ihren Vorrat wieder
ergänzten. Zn der Nähe eines Baumes schlug ich meine Koch-
gelegenheit auf, hier hatte ich doch wenigstens Schutz gegen die
sengende Sonne. Mit dem Hammelschlachten hatte ich heute wenig
Arbeit; der schwarze Geselle, der mir die Hammel verkaufte, schlach-
tete sie auch gleich ab. Der Araber wollte das Fell der beiden Tiere
haben, um daraus Wassersäcke herzustellen. Das ist eine ganz ein-
fache Sache: das Fell wird dem Hammel über den Kopf gezogen,
die entstandenen Öffnungen werden zugebunden, nur die Hals-
öffnung bleibt offen, um in den beutelartigen Sack das Wasser zu
füllen. Diese wassersäcke werden dann unten am Bauche des Kamels
mittels eines Strickes oder Riemens am Sattel befestigt, weil sie dort
gegen die Sonne etwas geschützt sind.
90
v. Mücke-Pinkert
war gerade mit meinem Kram fertig geworden, als eine
Staubwolke voraus in Sicht kam. wir dachten, eine Karawane
würde sich der Wasserstelle nähern, um dort zu rasten. Aber es
kam anders. 3» flotter Gangart kamen ungefähr zwanzig Reiter
in blauer Tracht auf uns zu, die Kamele trugen Packtaschen, und an
der Seite war das Gewehr des Reiters befestigt. Alle hatten ihr
Augenmerk auf die ankommenden Reiter gerichtet. Der Kommandant
und Sami Bei beobachteten die Ankömmlinge mittels Prismenglas.
Sami Bei äußerte sich zum Kapitän-Leutnant, daß die Reiter Gen-
darmen seien. Deutlich konnten wir nun auch die schwarzen Kerle
erkennen, voraus ein Offizier, erkenntlich an dem goldverbrämten
Fez. Huer über die Schultern trugen diese schwarzen Gesellen zwei
lederne Taschen und um die Lenden einen gefüllten Patronengürtel,
in dem der Dolch steckte. Langes, pechschwarzes Lsaar war unter dem
Kopfumhang zu sehen. Die Gestalten sahen wild aus, ich dachte
bei mir selbst: denen möchtest du nicht in die bsände fallen. Aber
die Suppe wird nie so heiß gegessen, wie sie gekocht wird. Das
hat sich später auch bei diesen Gendarmen gezeigt.
Die Schwarzen stiegen von ihren Kamelen, der Offizier begrüßte
den Kommandanten. Unterdessen schlugen die Gendarmen ihr Lager
in unserer Nähe auf. Die Kamele wurden zur Tränke geführt,
ein Teil der Gendarmen holte Berge von Alfagras zusammen, einer
von ihnen bat mich um etwas Feuer. Als ich dem Wüstensohn in
seiner Sprache antwortete, freute er sich wie ein Kind, und ich hatte
sofort eine dicke Nummer bei dem schwarzen Gesellen. Lr drehte
sich geschickt zwei Zigaretten, eine davon bot er mir als Geschenk
an. Ich bedankte mich wieder auf türkisch, viele meiner Kameraden
hatten sich in der Zeit, die wir mit den Türken zusammen waren,
etwas Türkisch angeeignet, wir fragten auf Zeichensprache, wie
das auf Türkisch heiße, nahmen ein Stück Papier und schrieben uns
neben der deutschen Benennung die türkische auf. So kam es zu-
stande, daß wir Matrosen wenigstens für das, was man alltäglich
braucht, türkische Ausdrücke hatten. Der Kommandant ließ die
Truppe antreten und teilte uns mit, daß nun Zeiten kommen würden,
wo wieder die Büchse donnert, „wir Haben allem Anschein nach
heute Nacht einen Überfall zu befürchten, ich denke, daß jeder auf
dem Posten sein wird und seine Pflicht tut." In den Augen des
Kapitän-Leutnants blitzte es auf wie bei einem Brillanten, der im
Sonnenlicht funkelt. „Genaueres über die Sache befehle ich heute
vor Abritt", waren seine Worte, wir freuten uns alle, daß nun
endlich einmal eine Abwechslung in unsere Wüstenwalzerei trat.
Die Gendarmen hatten auch einen Hammel geschlachtet, ich war neu-
gierig, wie die Bande wohl die Zuspeise nehmen würde. Natürlich
Reis, wie wir. Nach dem Lssen gab der Kommandant Befehl, wir
sollten uns etwas eingraben, denn es könnte die Möglichkeit vor-
handen sein, daß der Feind bis an die Wasserstelle herankäme,
Ayesha
91
um uns zu überrumpeln, wir bauten also unter Anleitung unserer
Offiziere eine Art Schützengraben, brachten die Maschinengewehre
in Stellung, und die Kamele sollten zur Nacht in das Innere der
Wagenburg getrieben werden. Außerdem wurden Kosten abge-
teilt. Ich selbst war von dieser Sache befreit, well ich genügend
mit meiner Kocherei zu tun hatte. Der Kommandant wollte nämlich
hier einen Tag länger bleiben, Ruhetag sollten wir haben. Der
Rest des Tages wurde mit Dachsen verbracht, um für die Nacht
ein offenes Auge zu haben, „wenn die Bande kommen sollte",
sagte der Kommandant, „kommt sie zur Nacht". Der Monat Mai
mußte wohl zu Ende gehen; was wir überhaupt für ein Datum
hatten, oder ob es Mittwoch oder Sonnabend war, wußten die meisten
meiner Kameraden nicht. Zeitrechnung wurde von uns nicht ge-
halten. wir wußten nur, daß es am andern Tag gehammelten
Reis gab. Vor Sonnenuntergang schlachtete ich noch einen Hammel
für den andern Tag — Sami Bei bekam jeden Tag auch seine
ständige Ration. Für ihn mußte ich den Hammel vor Sonnenunter-
gang schlachten, das nach Sonnenuntergang geschlachtete Tier ist
für den Mohammedaner unrein. Im Lager herrschte heute Abend
reges Leben, alles war aufgeregt und besprach die Ereignisse, die
der kommende Tag wohl bringen möchte. Jeder untersuchte sein
Gewehr und reinigte seine Patronen vom Sand.
Als ich mit meiner Arbeit fertig war, suchte ich meinen ange-
wiesenen Matz auf, um meine müden Knochen etwas auszuruhen.
Die Nacht verlief ohne jeden Zwischenfall. Ich erwachte in den
späten Morgenstunden, ausgeruht und gestärkt für den kommenden,
langen Ritt. Nach dem Mittagbrot hatte der Kommandant eine
eingehende Besprechung mit den Offizieren. Nachdem die große
Mittagshitze vorbei war, bekamen wir schon Befehl, alles klarzu-
machen für den Ritt. Denn bis Dschidda hatten wir eine lange
Tour. Darum gedachte der Kommandant, heute einige Stunden
früher aufzubrechen, um am kommenden Morgen nicht allzulange
unterwegs zu sein. Um 5 Uhr konnten die Herren Zugleutnants ihre
Züge marschbereit melden. Die Karawane wurde eingeteilt. Die
arabischen Gendarmen wurden als Spitze verwandt. Einige folgten
der Karawane in gewissen Abständen als Seitenschutz. Der Kapitän-
leutnant hatte die Sache klug eingerichtet, so daß, wenn der Über-
fall stattfinden sollte, die eingeborenen Gendarmen zuerst ins Treffen
kamen. Denn der Kommandant war gegen alles, was nicht deutsch
war, immer mißtrauisch, wir hatten strengen Befehl, die Karawane
nicht zu verlassen; mußte einer aus irgendeinem Grunde zurück-
bleiben, dann sollten von der Nachhut einige Leute abgeteilt wer-
den, damit keiner allein Mrückbliebe. Sami Beis Gemahlin wurde
mit den Kranken in die Mitte der Karawane postiert. Die Türkin
wollte heute kein Kamel, sondern stieg in einen Tragkorb als Sänfte.
Langsam setzte sich die Karawane, die nun um 30—§0 Tiere stärker
92
v. JHüffC'pinfcn
war, in Bewegung. Trotz der ernsten Lage waren wir alle
seelenvergnügt. An fjmnor fehlte es nie, wenn die Zeiten noch so
schlimm waren, die Witze nahmen zu an Weisheit und verstand,
wurde die Sache zu bunt, dann gebot der Rommandant Ruhe,
alles verstummte und nahm einen ernsten Ausdruck an. Kapitän-
leutnant v. Mücke war selbst ein Mensch, der gern lachte und immer
das Leben von der leichten Seite nahm. Diese Fröhlichkeit, das
ungezwungene Benehmen zwischen Offizieren und Untergebenen
hat uns über manche trübe Stunde hinweggesetzt.
Als die Dunkelheit einsetzte — hier unten in den Tropen wird
es nämlich abends schnell Nacht und ebenso der Morgen hell —
— kam von vorn der Befehl, Gewehre laden und sichern, schußklar
halten. Zch schob meinen Ladestreifen in die Kammer, sicherte meine
Knarre und legte sie vor mir auf die Knie, um, wenn Not war,
sofort mein Gewehr in Anschlag bringen zu können, von unsern
Offizieren hatten wir gehört, daß wir vor Dschidda höchstwahrschein-
lich von Beduinen einen Überfall zu erwarten hätten. Diese Araber
waren von den Engländern für Gold gedingt worden, um Kapitän-
leutnant Mücke mit seiner „Mücke"-Schar zu fangen. Es sollte
ihnen nicht leicht gemacht werden, .denn „die ,Emden'-Mücken haben
einen empfindlichen Stachel", dachte ich bei mir selber, wortlos
bewegte sich der lange Zug durch die Nacht, kein Wort wurde ge-
sprochen, alles horchte gespannt in die Nacht hinaus, um etwaige
Geräusche wahrzunehmen. Zm Osten graute der junge Morgen,
wir lachten schon wieder und zogen den Überfall ins Lächerliche. Da
wurde vor uns ein Kamelreiter gemeldet, der, als er uns gesichtet,
sofort wieder Kehrt machte. „Jedenfalls war das der Fühler von
der Bande", sagten wir untereinander, wir ritten noch eine weile,
aber kein Schuß fiel. Jetzt mußten wir einen kleinen Kessel passieren.
Kaum hatten die ersten Kamele die kleine Schlucht erreicht: kam ein
Hagel von Geschossen auf unsere Häupter. „Alles runter von den
Tieren! vorläufig Deckung suchen!" brüllte unser Kommandant,
vorn stöhnten und röchelten Menschen., „wer mag wohl verwundet
sein?" sagte ich zu meinem Nachbarn, Gbersignalgast Hoff. Die
Kamele wurden unruhig, einige waren verwundet und stießen heisere
Laute aus. „Maschinengewehrschützen vorn an die Maschinenge-
wehre, runter die Dinger von den Kamelen!" hörte ich die Stimme
des Kommandanten rufen. Der Kapitänleutnant lag in unserer
Nähe hinter seinem Reittiere im Anschlag. „Nur ruhig bleiben,
nicht durchdrehen, immer mein Kommando abwarten!" Die Be-
duinen schossen wie die wahnsinnigen Teufel, aber keiner von dieser
Sorte war zu sehen. Verluste hatten wir unter unseren Leuten noch
keine. Die Gendarmen, die zur Spitze gehörten, lagen zum großen
Teil in ihrem Blute, andere waren übergelaufen samt dem Führer.
„G, diese feige Memme!" sa zte der Kommandant. Der alte Scheich,
der Führer unserer Kamele lag in meiner Nähe und stöhnte: „Allah!
Ayesha
93
— Allah!" Drei Geschosse hatten dem braven Alten den Oberschenkel
durchbohrt. Vir waren ordentlich in die patsche geraten. Denn
allem Anschein nach hatte die Beduinenbande die ganzen lsöhen
besetzt, und wir lagen unter Kreuzfeuer. Das surrte man immer
über unsern Köpfen.
„Schützenlinien formieren! Seitengewehr pflanzt auf!" Jeder
wiederholte den Befehl; wir krochen hinter unserm Turm vor. Hoff
und ich reihten uns der Schützenlinie des Kommandanten an. Die
Maschinengewehre rasselten; da verstummte auch das unbändige
Schießen der Beduinen, wir krochen sprungweise vor, näher an den
Hügel heran, der stark von diesem Gesindel besetzt zu sein schien. Da
konnte man die Gestalten der Bande erkennen, wie sie sich zurückzogen.
„Nehmt die Kerle aufs Korn!" sagte der Kapitänleutnant. Er
selbst legte an, und wir beobachteten, wie jeder Schuß sein Ziel er-
reichte. Sieben dieser Halunken hatte der Kommandant erledigt.
Zwei hatte ich auch zur Strecke gebracht. Der Kaxitänleutnant gab
nun Befehl, die Maschinengewehre in Stellung zu tragen, ebenso
Munition für Schußwaffen zu holen. In gebückter Stellung kroch
ich zurück mit zwei Kameraden zur Karawane, um so schnell wie
möglich den Befehl auszuführen. Die Bande war wieder unruhig
geworden, und durch die Luft surrten wieder die dicken Bleikugeln.
Rademacher, der Nr. I vom Maschinengewehr hatte, war gefallen,
durch Herzschuß, man hatte die Leiche mitten zwischen die Kamele
gelegt. Matrose Mauriz bekam dieselbe Kugel wie Rademacher
durch den Oberarm. Sami Bei hatte einen Fleischschuß ins Bein
bekommen, wir schleppten das Maschinengewehr von Rademacher
in Stellung, meldeten dem Kommandanten den Toten. Dann sauste
ich sofort zurück, um Munition zu holen. Tine unbekannte Gestalt
öffnet die Munitionskisten, eine Frau, das bleiche Gesicht, die großen,
schwarzen Augen schauen mich an; Sami Beis Frau verteilte
Munition. Alle Achtung für die Brave! Als ich in die Schützenlinie
zurückkomme, höre ich, daß Leutnant Schmidt durch Bauch- und
Brustschuß verwundet ist. Das Lächerliche ist aus unsern Gesichtern
verschwunden, ein tiefer Ernst lagert auf den Gesichtern meiner
Kameraden, die Augen leuchten und halten Umschau, um Vergeltung
zu üben für unsere eben gefallenen Kameraden.
wir mußten sehen, daß wir weiterkamen, festsetzen durften wir
uns auf keinen Fall, vor allen Dingen mußten wir Sorge tragen,
daß die Horde uns nicht sämtliche Wasservorräte in Grund und
Boden schoß. Dann waren wir die Geleimten. Durch die Maschi-
nengewehre hatten wir unsern Gegner vertrieben. „Zurück, Marsch
— Marsch!" wir hatten eine Schützenlinie gebildet und waren im
Viereck vorgegangen, Kamele mit Bagage in der Mitte. Schnell
wurden die Maschinengewehre aufgepackt. Einige Kamele mußten
ersetzt werden. Die verwundeten wurden in die Tragkörbe der
Kranken gelegt. Für diese armen Kerle stand die^ Sache schlimm.
94
v. Mücke-Pinkert
Lin Arzt war zur Stelle, aber kein Verbandmaterial. Unsere Doktor-
kiste ruhte am Grunde des Roten Meeres, willig hatte die Türkin
ihre Wäsche hergegeben, um den verwundeten verbände anzulegen.
Matrose Rademacher war inzwischen in aller Stille beerdigt worden,
wer wußte, was uns allen noch bevorstand. Die Zeit war nicht an-
gebracht, um das lchrn mit traurigen Gedanken zu plagen, denn wir
mußten alle auf dem Posten sein, voll und ganz.
voraus die Flagge am Bootshaken, setzte sich die Spitze in Be-
wegung. In einer angemessenen Entfernung folgte die Karawane.
Das schwarze Gesindel mußte wohl unser Manöver beobachtet haben,
denn wieder flitzten ungezählte Kugeln in unsere Nachbarschaft.
Leutnant Gyßling, der die Spitze befehligte, kommandierte: „chalt!
Deckung nehmen!" Ls war unmöglich, ohne Verluste weiterzukom-
men. wir legten uns flach in den Wüstensand und erwiderten das
Schießen mit Schützenfeuer. Kapitänleutnant v. Mücke, der bei der
Karawane war, stoppte auch. Das Feuer wurde immer toller. Für
unsern Gegner boten wir ein gutes Ziel, weil die Araber die chöhen
besetzt hielten. Dagegen konnten wir noch immer keinen von den
Arabern entdecken, wir mußten acht geben, wo die Abschüsse her-
kamen und dann die Stelle unter Feuer nehmen. Die arabischen
Gendarmen benahmen sich wie Schweine, legten sich auf den Rücken
und machten ein phantasieschießen, wir stauten die Kerle aber zu-
recht, indem wir den Feiglingen eine ordentliche Tracht Prügel
verabreichten. Anstatt auf die chügel zu zielen, schossen die Elenden
in die Luft. Auf die Frage, warum sie immer in die Luft schössen, ant-
worteten die Gendarmen: „Allah wird die Kugel zu den Feinden
hinüberbringen." wir haben den schwarzen Kerlen dann aber Allah
gegeben mit dem Gewehrkolben, bis sie schießen konnten, von den
fjöijcrt wurde mit weißen Tüchern gewinkt; wir stellten das Feuer
ein. was wollte die Bande? Sann Bei und seine Frau gingen als
Dolmetscher hinüber, um mit den sauberen Brüdern dort drüben zu
verhandeln, wir pirschten uns an die Kamele heran. Der Kom-
mandant gab Befehl, die Kamele abzutakeln. „Los, Kerls, wir
müssen die Zeit ausnützen, um uns einzugraben, wer weiß, was die
Zukunft uns bringt."
wir arbeiteten wie die Teufel. Schnell hatten wir aus den
Kamelsätteln, Kaffeesäcken und Reisballen eine Wagenburg gebaut,
von außen wurde Sand gegen diese Barrikade geworfen. Schanz-
zeug hatten wir nicht; als der Boden hart wurde, mußten Seiten-
gewehre und Eßgeschirre den Spaten ersetzen. Not bricht Eisen.
Die Kamele nahmen wir in diesen befestigten Kreis, um einen guten
Rückenschutz zu haben. So gut wie möglich banden wir den Tieren
die Vorderfüße fest, so daß ein Ausreißen nicht möglich war. Dann
wurden unsere Wasservorräte, die schon merklich nachgelassen hatten,
in die Erde eingegraben. Ich mußte mir eine andere chose suchen,
denn während der Kriecherei hatte ich mir vollständig den kfosen-
Ayesha
95
boden herausgerissen. So wie ich war, konnte ich wohl schlecht
bleiben. Die Kranken und verwundeten wurden in die Mitte ge-
tragen, wo wir einen kleinen Wall angelegt hatten, rundum stellten
wir die Tragkörbe, welche den armen Kerlen Schutz gegen die
sengenden Strahlen gaben. Mit bleichen Wangen lag unser braver
Leutnant Schmidt unter einer Art Zeltbahn, kein Schmerzenslaut
kam über seine fieberheißes Lippen. Nur trinken wollte Leutnant
Schmidt, wir konnten dem von uns so höchgeschätzten Offizier kein
Wasser geben, weil er Bauchschuß hatte. Mit einem Stückchen Lein-
wand, welches mit Wasser getränkt war, feuchteten wir die Lippen
des Leutnants an. Der Offizier wußte, daß er sterben mußte, denn
eine operative Hilfe konnte nicht vorgenommen werden. Instru-
mente fehlten; was nützte uns also der Arzt. Dicht beim Maschinen-
gewehr, an der Westseite der Wagenburg, hatten ein Unteroffizier
und ich uns ein Loch gegraben, denn die Kamelsättel boten nur
wenig Schutz gegen die feindlichen Kugeln. Sengend heiß sandte
zum Überfluß die Sonne ihre Strahlen auf unsere Häupter. Die
Zunge klebte wie ein Stück Leder am Gaumen.
Mit Wasser mußte gespart werden. Nötigenfalls konnten die
verwundeten etwas bekommen, junger stellte sich nicht ein, obwohl
wir alle seit dem Abend vorher nichts zu uns genommen hatten.
Die Uhr war schon Spätnachmittag, der Sonne nach zu urteilen.
In der Dämmerung kam Sami Beis Frau zurück, allein. Sami Bei
hatte die Bande jedenfalls als Geisel zurückbehalten. Alle unsere
Waffen wollten die Kerle haben und eine Unmenge Geld. Das war
das Ergebnis der Verhandlung. „Waffen will die Horde haben,"
sagte der Kommandant mit lächelnder Stimme, „was denken sich
diese Kanaillen denn eigentlich von einem Deutschen. Laß die Kerle
kommen und sich die Waffen holen. Was das Geld anbetrifft, so
bezahlen wir mit keiner andern Münze als dieser." Dabei zeigte
er auf seinen vollgespickten Patronengurt. Auf diese Antwort nahm
die Schießerei wieder ihren Fortgang. Die Bande hielt immer
auf das Zentrum mit den Kamelen. Der Gegner hatte es leicht, er
brauchte nur abzudrücken, und die Kugel fand ihr Ziel. Einige
Kamele waren schon tot, ein großer Teil verwundet. Die Tiere
wurden unruhig und versuchten auszureißen. Dieses mußten wir
verhindern, unser Rücken mußte auf alle Fälle Deckung haben.
Denn nur einzeln konnten wir zum Schuß kommen. In unser Loch,
das wir nun ganz gut ausgebaut hatten, kam noch Leutnant Gertz.
Rechts von uns hatte der Überrest der Gendarmen sich ein Loch ge-
graben. Die Kerle klagten über Durst und wollten Wasser haben.
„Keinen Tropfen der feigen Bande, laßt sie verdursten, mehr ist
diese Art Menschen nicht wert," sagte unser Leutnant. Einige
Kamele hatten sich losgerissen und suchten das weite. Leutnant
Gertz gab den Befehl, den Gendarmen klarzumachen, sie sollten
die Kamele fest anbinden, da die Treiber das doch besser verstehen
96
v. Mücke-Pinkert
als wir, außerdem sind die Tiere an den Anblick der Araber ge-
wöhnt. So gut, wie es in meiner Macht stand, versuchte ich den
Befehl dem Sergeanten der Gendarmen zu übermitteln. Dieser
deutete auf die Äugeln, die irr der Nachbarschaft von uns einschlugen,
keiner der Gendarmen wollte sich aus dem Loch herauswagen. Ich
bat Leutnant Gertz, mein Loch verlassen zu dürfen, nahm mein Seiten-
gewehr mit Sägerücken, ein Sprung, und ich war mitten unter den
Schwarzen. Blindlings teilte ich mit meinem Seitengewehr Stich
und Hieb aus. Das war ein Radikalmittel gewesen, im Nu war die
Gesellschaft zwischen den Kamelen, wir krochen auch hoch und ver-
suchten ebenfalls, die Tiere festzumachen. Die toten Kamele verbreite-
ten einen unangenehmen Geruch, nach kaum zwei Stunden wurden die
Leiber der Tiere ganz dick. Abends sollten sie außerhalb unserer
Wagenburg geschleppt werden, denn der Gestank war unerträglich.
Heizer Lanig, der links neben uns sich mit dem Burschen des Kom-
mandanten ein Loch gegraben hatte, setzte sich auf den Bodenrand,
um auszuschauen. Lanig fällt vornüber, eine Blutwelle stürzt aus
seinem Munde. Ich reiße seinen Uniformrock auf, eine Kugel war
von der Seite in seine Brust eingedrungen und hatte Lanig den
Lungenflügel durchschossen. Ls war ein großes Loch auf der rechten
Brustseite. Ich verband Lanig, der laut stöhnte, die Wunde und
legte ihn behutsam auf den Boden. „Ich muß sterben", waren seine
Worte, wie mag der junge Mensch wohl an dem Leben gehangen
haben. Die Brust voll schöner Hoffnungen auf ein baldiges Wieder-
sehen in der Heimat, aber eine Araberkugel machte ihm alles zunichte.
Lanig wurde still, eine halbe Stunde später war er hinübergegangen
als tapferer deutscher Seemann in das bessere Jenseits.
Schnell war die Nacht herangekommen. Die Dunkelheit wurde
benutzt, um Wasser auszuteilen. Jeder bekam ungefähr 1/4 Liter
Wasser. Ls war nicht viel, aber man konnte doch den brennenden
Gaumen beruhigen. Gierig sogen wir jeden Tropfen ein. Die toten
Kamele schleppten wir aus unserer Wagenburg heraus, vorher
hatten die Gendarmen den Tieren die Schlunde durchschnitten, um
den Wasservorrat, den das Kamel bei sich trägt, als Trinkwasser zu
verwenden. Die Nacht war verhältnismäßig ruhig, nur vereinzelt
fielen Schüsse, vor unserem Graben wurde es unruhig; um nicht
überrumpelt zu werden, sandte der Kommandant eine Patrouille
hinaus, die aber zurückkehrte, ohne auf feindliche Araber gestoßen
zu sein. Am Morgen konnten wir feststellen, daß Hyänen den toten
Kamelen einen Besuch abgestattet hatten. Line der Bestien lag er-
schossen am Boden. Ls war schon der dritte Tag, den wir so ver-
bracht hatten. Der Kommandant hoffte von Dschidda Hilfe zu be-
kommen. Lin Araber, mit Namen Josef, der sich in Hodeida der
Truppe angeschlossen hatte, war als Bote am ersten Tag in der Nacht
entsandt worden; ob er durchgekommen war, fragten wir uns gegen-
seitig. Die Sache sah ziemlich faul für uns aus. Der Wasservorrat
Ayesha
97
neigte sich dem Ende zu. hatten wir kein Wasser mehr, dann
mußten wir durchbrechen, mochte es kommen, wie es wollte. Aber
die Kranken und verwundeten wären uns hinderlich gewesen. Alan
konnte doch nicht seine Kameraden den wilden Bestien überantworten.
Der Kommandant ließ mich am Morgen des dritten Tages rufen,
„wir müssen sorgen, daß wir irgendetwas den Leuten zum Lssen
geben." Seit drei Tagen hatten wir außer Datteln keine Speise über
die Lippen gebracht. Lin großer Teil meiner Kameraden war vor
Durst oder der Hitze schon hingeschlagen, die Augen glühten wie
Feuer, der Mund war trocken, der Speichel schäumte wie bei einem
Pferd. So lagen die armen Kerle in der Sonnenhitze. Zch hatte in
meiner früheren Zeit einen guten Lehrgang genossen. Zm hungern
und Dursten hatte ich beim Franzosen eine gute Schule durchgemacht.
„Herr Kapitänleutnant, wir können ja Reissuppe geben." von Thina
wußte ich, daß die Thinesen, wenn sie reisen, als Mittel gegen den
Durst einen ganz leichten Wasserreis trinken. „Za, das wäre gut,"
sagte der Kommandant, „aber das Wasser ist der Haken."
Das Schießen hatte etwas nachgelassen, der Kommandant saß
nachlässig aufrecht, wie er immer an Bord in der Messe gesessen
hatte in einem der Tragkörbe bei den verwundeten. Zch holte meinen
Türkenkessel, zerschlug einen packsattel, um Holz fürs Feuerwachen
zu erhalten, grub ein Kreuzloch und zündete ein Feuer an. Line
leichte Rauchwolke stieg auf. Kaum hatten die Feinde bemerkt, daß
wir Feuer Machten, da kam die Antwort. Lin Geschoßhagel fegte
über meinen Türkenkessel. Der Kommandant lachte: „Nur ruhig
weitermachen, pinkert!" Ober-Matrose Kochinski, der mir etwas
zur Hand ging, bekam einen Brustschuß, die Kakijacke färbte sich rot.
Schnell riß ich den Rock auf und stopfte die Wunde zu, um das Blut-
vergießen zu hindern. „Grüß mir die Heimat, mein Vaterhaus, ich
sterbe für meinen Kaiser" waren die Worte Kochinskis, dann wurde
er still. Mit Obermatrose Grube schleppte ich Kochinski, der in eine
Ohnmacht gefallen war, in das große Loch, in dem die verwundeten
untergebracht waren. Di. Lang sorgte dann weiter für unsern
Kameraden. Zch begab mich wieder an meine Arbeit. Das Schießen
wurde heftiger, überall schlugen die Kugeln ein. Der Kessel war
auch an verschiedenen Stellen verwundet. Daß ich bei dem Kram
noch nichts abbekommen hatte, wunderte mich selbst. Na, ich warf
Reis in das kochende Wasser und machte das Feuer aus, meldete dem
Kaxitänleutnant „Befehl ausgeführt". „Teile das Lsfen aus,"
sagte der Kommandant. Austeilen? womit? dachte ich. Da fiel
mir ein der Türkin gehörendes Geschirr in die Augen, das sonst zu
durchaus anderen Zwecken benutzt wurde, was wollte ich aber
machen, 'ein anderes Gefäß hatten wir nicht. Kurz entschlossen nahm
ich es, füllte es mit Reissuppe, kroch zu den Verwundeten hin und
verteilte die Lrfrischung. Ganz versandet lagen die armen Kranken
fiebernd am Boden. Zurück durch die Kamele kroch ich am Boden
v. Dickhutls- Harrach, Felde unbesiegt- ^
98
v. Mücke-Pinkerl
zu meinem Kochkessel, füllte den Topf von neuem, kroch von Graben
zu Graben und brachte meinen Kameraden, die dem verschmachten
nahe waren, etwas zur Labung. Der Kommandant verzichtete.
Nicht wegen des merkwürdigen Geschirrs. Ich glaube, das hat unser
Kommandant noch nicht einmal gesehen. Nein, er dachte, einer von
uns könnte es notwendiger gebrauchen. Schlecht sah er aus, die
Wangen waren eingefallen, aber er blieb stark. Zeitweise wurde
gar nicht geschossen, aber sobald sich einer von uns sehen ließ,
donnerten die Büchsen wieder.
Die Nacht kam heran. Die Wasserration, die ausgeteilt wurde,
war schon auf s/10 Liter herabgesunken, wir waren alle matt; viele
meiner Kameraden konnten überhaupt nicht mehr aufrechtstehen.
Diese Nacht, dachten wir, würden die Araber uns angreifen, weil
der Tag verhältnismäßig ruhig verlaufen war. Scharf hielten wir
Ausguck. Die Augen konnten wir kaum noch offen halten. Eisern
suchte jeder die Schwäche zu unterdrücken. Der Morgen graute, ohne
wesentliche Ereignisse. Am Morgen stellten die Gegner das Schießen
ganz ein. Mit einem weißen Lumpen an einer Stange kamen einige
der Bande auf uns zu. Auf den kjöhen standen ganze Ljaufen von
dieser Sorte, wir hatten Befehl, nicht zu schießen. Am liebsten
hätten wir mit unseren Maschinengewehren in die Kaufen hinein-
gehalten. Allein die eiserne Disziplin hielt uns zurück. Dieses Mal
wollten die Gegner nur blanke Münze sehen. Aber auch jetzt ver-
neinte der Kommandant, unverrichteter Sache zogen sich die Unter-
händler zurück. Nun wollten sie angreifen. Für uns stand die Sache
schlecht, was wollten wir ermatteten 30 Menschen, die noch auf
dem Posten sein konnten, gegen einen zehnfach stärkeren Feind?
Lange konnten wir uns nicht halten, denn wir waren beim letzten
Rest Wasser angelangt. Aber wir wollten kämpfen bis zum letzten
Blutstropfen. Der Kommandant hatte sich entschlossen durchzu-
brechen. Das Feuer des Gegners nahm eine unbändige Stärke an.
Die meisten meiner Kameraden lagen in ihren heißen Löchern, un-
fähig ein Gewehr anzufassen.
Da wirbelt plötzlich in der Ferne eine Staubwolke auf, das
Schießen verstummt, wollten die Halunken angreifen oder kam
Entsatz aus Dschidda? „Alles bleibt in Deckung und wartet mein
Kommando ab," waren die Worte des Kommandanten.
was war los? Neugierig steckten einige meiner Kameraden
die Köpfe aus ihren Erdhöhlen. „Alles in Deckung bleiben, keiner
kommt raus," wiederholte unser Kapitänleutnant. Der beste der
schwarzen Gendarmen deutete uns durch Gesten an, daß die Angreifer
nun abgezogen seien. Unbedingt wollten die schwarzen Kerle aus
ihrem Loch. Selbstverständlich hielten wir die Kerle in Schach, indem
wir ihnen unsere Armeerevolver vor die Nase hielten. Die Staub-
wolke war näher gekommen und bald waren die Umrisse von einer
Schar Reiter zu erkennen. Ihr voran wurde eine Fahne getragen.
Ayesha
99
dauernd heulten die Leute und erinnerten uns damit an das nächt-
liche Schreien von einem Kater und einer Ratze. Dieses nennen näm-
lich die Menschen dort singen. Unsere Nerven waren auf das höchste
gespannt; ich dachte auch bei mir selbst: „was mag das wohl für
ein Aufzug sein?" Mich dürstete, denn die kleine Menge Reis mit
Wasser, die ich am Morgen zu mir genommen hatte, steigerte den
Durst zur <Vual. Beim Leutnant Gertz und meinem Kameraden war
das auch der Fall, obwohl der Leutnant seine ganze Willenskraft
einsetzte, um standhaft zu bleiben, sah ich ihm an, daß er wie wir
ermattet war zum Umfallen.
Jetzt war der Trupp, der weit über sOO Ramelreiter zählte,
an unsere Wagenburg herangekommen. Der Rapitänleutnant sprang
aus seinem Loch heraus, dem Trupp entgegen, wir hatten alle unsere
Knarren und Pistolen geladen, klar zu schießen, aber dieses Mal
sollte die Sache friedlich abgehen. Liner der entsandten Boten hatte
Dschidda erreicht und die Türken von unserer unangenehmen Lage
benachrichtigt. Da wir uns im Bereich des heiligen Landes be-
fanden, war es den Türken unmöglich, uns Hilfe zu senden, aber
drahtlich wurde der Scherif von Mekka benachrichtigt, der mit seinen
Leuten nun gekommen war und uns mit der heiligen Fahne vor
diesem Araberpack rettete.
Für uns war es die höchste Zeit gewesen, denn die Munition
neigte sich zu Lüde, außerdem war der Wasservorrat ganz und gar
zur Neige gegangen. Das Bild der Zukunft hatte für uns zwei
Seiten, die eine zeigte uns den Heldentod auf heißer Wüstenerde,
die andere die Heimat, unser Ziel. Nun war es vorbei, wir weilten
als Sieger auf der Walstatt. „Alles raus aus der Deckung," rief
abermals der Kommandant. Am schnellsten begriffen die Araber
die Worte, obwohl die schwarzen Bestien den Befehl wirklich nicht
verstanden hatten. Die Reiter waren von ihren Tieren abgesessen
und banden die wassersäcke, die an jeder Seite der Kamele befestigt
waren, los. Der Kommandant stand abseits und unterhielt sich mit
einem halb europäisch, halb in Araber-Tracht gekleideten Araber,
dem Leibarzt des Scherifs, welcher ein gutes Französisch sprach. Die
heiligen Reiter — alles saubere, weiß gekleidete, schlanke Ge-
stalten, teilten Wasser aus. In dickem Strahl sogen die Seeleute das
edle Naß ein. Die ermatteten Körper reckten sich und das Auge
bekam einen Hellen Glanz, wir waren wieder die Alten geworden,
das Wasser hatte Wunder getan. Unsere verwundeten hatten auch
einen guten Tag. Der Scherif hatte Verbandzeug und weine für
die armen Kerle mitgesandt. Dr. Lang konnte nun seines Amtes
walten. Die alten, schmierigen Lappen, die man um die wunden
gelegt, um sie vor weiteren Unreinlichkeiten zu schützen, wurden ent-
fernt und nachdem der gute Dr. Lang die wunden sachgemäß be-
handelt hatte, verband er sie mit einem blendend weißen verband.
Lin dankbares Lächeln auf den bleichen, versandeten Wangen der
7*
100
v. Mücke-Pinkert
verwundeten war sein Dank. Mehr wie drei Tage hatten die armen
Kerle auf einem Fleck in dem großen Loch, das man ihnen zum
Schutze gebaut hatte, gelegen, nun sollte es besser kommen. Am
Boden zwischen ihren Reitkamelen saßen die schwarzen Gesellen
mit ihren Feueraugen und dem blauschwarzen lockigen Haar, neben
dem blonden, blauäugigen deutschen Seemann und rauchten die
Friedenspfeife in Gestalt einer selbst gedrehten Zigarette, dabei
wurde Mokkakaffee getrunken. Auf einem kleinen Sieb brennen die
schwarzen Gesellen ihren Kaffee selbst, der dann in einem Mörser
gestampft wird, fein wie Pulver. Rund im Kreise hocken die Araber,
nach der Art der Orientalen, die Beine überkreuzt am Boden. An
der Mitte brodelt auf einem kleinen Feuer aus Kamelmist und altem
Gras das Wasser in einer großen metallenen Kanne. Lin eifriges
Gespräch wird geführt, an dem auch meine Kameraden teilnahmen.
Der herbe Ausdruck auf ihren Gesichtern ist verschwunden, ein zu-
friedenes Lächeln zeigen ihre Mienen. Der Seemann hatte die
schlechten Zeiten vergessen, wo der Tod wie eine bereits auf Beute
lauernde Katze auf der Lauer lag. „Kommt, Kinder," sagte unser
Kapitänleutnant, „wir wollen uns klar machen zur Weiterreise,
damit wir so schnell wie möglich diese ungastliche Stätte verlassen
können."
Die Kamele waren bald so gut wie möglich von meinen Kame-
raden aufgetakelt worden. Unsere Brustwehr wurde durchwühlt,
Reissäcke, Datteln und Kaffee herausgeholt und auf die Tiere ge-
laden, dann für die verwundeten die Tragkörbe hergerichtet und die
Tiere zusammengetrieben, wüst sah unsere kleine Festung aus.
Alles mit Handwaffen antreten, war der Befehl der Offiziere.
Zum Abschied sollten wir Heizer Lanig beerdigen, der als
letzter gefallen war. Zn demselben Loch, in dem er gekämpft für
seinen Kaiser, für sein Vaterland gegen diese Araberbande, fand er
seine Ruhestätte. Lr hatte sich, ohne es zu wissen, sein Grab selbst ge-
schaufelt, mit seinen eigenen fänden, die er sich bei dem harten
Boden blutig gerissen hatte, wir häuften ordentlich Lrde an, um
zu verhindern, daß der Leichnam von der umherstreifenden Hyänen
herausgerissen wurde. Dann setzte sich auf Befehl des Komman-
danten der bunt gemischte Trupp in Bewegung. Die Offiziere
hatten Reitkamele bekommen. Meine Kameraden, die über kein
Tier verfügten, unter diesen befand ich mich auch, hockten wie die
Affen auf dem Rücken eines Reittieres mit den schwarzen Gesellen
zusammen. Nun kamen wir auch an den Grt, wo die feindlichen
Araber sich eingegraben hatten, nur kleine Löcher waren zu sehen
auf dem sandigen Höhenzug. Seltsam war, daß wir keine Leichen
von Gefallenen vorfanden, allem Anschein nach hatten die Araber
ihre Leichen mitgenommen. Fern im Süden waren die Massen der
Sambucks zu sehen, mit denen dieses Gesindel uns gefolgt war.
Ayesha
101
Dauernd wurde von den heiligen Reitern des Scherifs die
pauke bearbeitet, dazu sangen diese schwarz-braunen Kerle ihre
peiligenlieder, jedenfalls Mohammed zu Ehren, alles schwermütige
Weisen. Mit meinem Führer hatte ich mich gut angefreundet, er
war ein großer schlanker Mensch mit vornehmen Zügen, nur die
Augen waren feurig und konnten zeitweise blicken wie das Auge
eines Tigerweibchens, wenn die Zungen in Gefahr sind. Als die
Sonne sich zur Ruhe begab, machte auch unsere Karawane palt. Wir
waren bei einer Wasserstelle angelangt. Dex Kommandant wollte
uns Ruhe gönnen nach diesen vier schweren Tagen, in denen auch
kein einziger von uns die Augen geschlossen hatte. Die Kamele
wurden abgesattelt und bald brannten im Lager die kleinen Feuer.
Unsere neuen Kameraden waren wieder an der Arbeit. Kaffee
wurde gebrannt und gebraut. Wieder wie üblich, saßen sie im
Kreise um das Feuer, rauchten oder erzählten sich etwas. Einige
von den heiligen Reitern verrichteten auf ihrem Reitteppich ihr
Gebet. Der Kapitän-Leutnant in Gemeinschaft mit den anderen
Mffizieren und Sann Bei waren in Gesellschaft des Arztes. Die
Stimmung war etwas gedrückt bei uns. Ich schreibe das der Müdig-
keit zu. Zn den frühen Morgenstunden war Aufbruch befohlen.
Der neue Tag sollte uns nach Dschidda bringen...
Die Eroberung von Nowo GeorgiewsK.
August 1915.
Don General der Infanterie Gustaf von Dickhuth-Harrach.
damals Generalleutnant und Führer des Korps Dick Hut h.
Vorstoß des Generals von Gallwitz auf pultusk erlöste
uns von dem monatelangen Stellungskrieg in der Gegend
von plotzk.
Die Russen gingen auf beiden Ufern der Weichsel zurück und
räumten sogar Warschau. Nur die Festung Nowo Georgiewsk
schienen sie hartnäckig festhalten zu wollen.
Die deutsche Heeresleitung beauftragte den Bezwinger von
Antwerpen, General von Befeler damit, die Festung wegzunehmen.
Gr kam, rief die Generale und Thefs zusammen und setzte in der ihm
eigenen klaren, ruhigen und bestimmten Weise die Lage und seine
Absichten auseinander.
Für die kferanschaffung des riesigen Angriffsmaterials stand
nur eine einzige Bahnlinie zur Verfügung, die aus nördlicher Rich-
tung von Nlawa heran kam und auf die Ostfront der Festung
führte, hieraus ergab sich mit zwingender Notwendigkeit, daß nur
diese Ostfront angegriffen werden konnte.
Nein Korps aber war von Plotzk her an der Weichsel entlang
marschiert, hatte wysogrüd weggenommen, stand also nun vor der
Westfront der Festung und konnte somit den lsauptangriff nicht aus-
führen, sondern sollte nur durch einen Nebenangriff mitwirken.
Das war eine bittere Enttäuschung. Unsere Aufgabe sollte sein, den
Feind über die Richtung des Lsauptangriffs irre zu führen, und durch
scharfes Anpacken dafür zu sorgen, daß er sich nicht getraute, nennens-
werte Kräfte von Westen nach Osten herüberzuziehen.
Dazu war nur nötig: erstens ein Feind, der an einen ernsten
Angriff von Westen glaubte; und zweitens eine Truppe, mit der
man einen solchen glaubhaft vortäuschen konnte.
Die Russen aber wußten natürlich gerade so gut wie wir, daß
die Belagerungs-Artillerie an den Schienenstrang von Mlawa ge-
bunden war, also nur gegen die Ostfront eingesetzt werden konnte;
und zum Vortäuschen eines ernsten Angriffs gehören vor allen
Dingen zahlreiche Geschütze schwersten Kalibers. Die besten von
diesen aber wurden gleich bei Beginn der Einschließung für die
Nowo Georgiewsk
103
Ostfront in Anspruch genommen, dazu auch mehrere Infanterie-
Bataillone mit jüngeren Mannschaften.
Den Stamm für die Bildung des Korps hatte die Haupt-Reserve
der Festung Thorn gebildet — das heißt: die dritte Haupt-Reserve.
Die festen Werke von Thorn waren in den achtziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts gebaut; zu einer Zeit, als die Geschütze
noch nicht so weit reichten wie heut. Inzwischen waren Geschütze
entstanden, die es dem Angreifer möglich machten, von vornherein
das Angriffsfeld in seiner ganzen Tiefe unter Feuer zu halten, und
sogar die Stadt selber zu beschießen. Dieser schwere Nachteil war
nur dadurch auszugleichen, daß die Verteidigung grundsätzlich an-
griffsweise geführt werden sollte. Zu diesem Zwecke war Thorn
vergleichsweise besser mit Artillerie ausgestattet als alle andern
Festungen; vor allem sollte eine zahlreiche bespannte Reserve mo-
derner Geschütze im Verein mit einer noch aus jüngeren Mannschaf-
ten bestehenden Infanterie den Verteidiger in den Stand setzen, dem
Angreifer auf lange Zeit hinaus das Gesetz des Handelns vorzu-
schreiben.
Aber der Russe griff Thorn, dessen Stärke er wohl kannte,
nicht unmittelbar an. Tr wendete sich mit der Narew-Armee gegen
Allenstein, um im Verein mit der Niemen-Armee die deutschen Ver-
teidiger von Ostpreußen zu umklammern und zu erdrücken.
Unser Generalfeldmarschall v. Hindenburg wich dieser Gefahr
nicht aus; er ging ihr entgegen und schlug erst die Niemen-Armee
bei Tannenberg, dann die Narew-Armee an den Masurischen Seen.
Zu diesen großen Entscheidungen mußte auch aus den Festungen
alles herangeholt werden, was irgend herausgezogen werden konnte.
Die besten, leistungsfähigsten Kampfgeschütze von Thorn und die
ganze Haupt-Reserve Haben bei Tannenberg und an den Masurischen
Seen dazu beigetragen, die Wagschale des Sieges auf unsere Seite
sinken zu lassen.
Line neue Haupt-Reserve wurde gebildet; auch sie wurde
herausgezogen, als die Russen zum zweitenmal in Ostpreußen ein-
brachen.
Die dritte Haupt-Reserve, die nun aufgestellt wurde, sah recht
bunt aus. Ihren vorzüglichen Kern bildete eine schlesische Land-
wehr-Brigade, Männer in der Kraft ihrer Jahre, von durchschnittlich
dreißig Jahren. Sie hatten unter dem General von woyrsch den
Zug von Tzenstochau nach Warschau und den schwierigen Rückzug
nach Gberschlesien mitgemacht. Das war eine im Feuer und in
Anstrengungen jeder Art erprobte und bewährte Truppe.
Mehrere andere Bataillone bestanden zum größten Teil aus
Kriegsfreiwilligen; sehr jungen Leuten mit noch ungehärtetem und
wenig widerstandsfähigem Körper, aber mit einer Seele voll Heller
Begeisterung und ernsten, heiligen Willens. Die Feuerprobe sollten
sie erst noch bestehen.
104
von Dickkutb-6arrach
Endlich war es unvermeidlich gewesen, einige Bataillone mit-
zunehmen, die aus schon älteren Landwehrleuten bestanden; und
allen diesen Formationen waren aus dem bisherigen Grenzschutz
noch eine Anzahl von Landsturm-Bataillonen angegliedert worden.
An eine Verwendung des Landsturms außerhalb der Reichsgrenzen
hatte vor dem Kriege kein Mensch gedacht. Nun stand er weit in
Feindesland und sollte mitwirken bei der Bezwingung der bedeu-
tendsten Festung von Rußland. Es ließ sich nicht einmal vermeiden,
den Landsturm in vorderster Linie einzusetzen, denn auch die Schle-
sische Landwehr-Brigade wurde von der Westfront nach der Haupt-
angriffssront im Osten herübergezogen, und an ihre Stelle traten
% weitere Landsturm-Bataillone. Auch nach dieser Abgabe blieben
dem Korps noch eine ganze Anzahl tüchtiger Feldbataillone, aber
der Landsturm bildete doch fast den vierten Teil der Gesamtstärke
der Infanterie und verdient deshalb eine besondere Würdigung.
Ls lag mir natürlich daran, mich beim Eintreffen dieser Truppe
von ihrem Zustand zu überzeugen. Das war nicht leicht zu machen,
denn die Leute kamen mit Fußmarsch in der Iulihitze, und mußten
sofort an ihren j)latz in der Front einrücken. Sie durften also unter-
wegs nicht lange aufgehalten werden. Line eingehende Besichtigung
der Gefechtsausbildung verbot sich also von selbst. Ich ritt der
Truppe entgegen, ließ jede Kompagnie dort halten, wo ich sie gerade
traf, ließ die Glieder öffnen, ging die Front ab, sah die Haltung nach,
ließ mir gelegentlich ein paar Griffe vormachen, und ließ die
Leute einzeln an mir vorbeimarschieren, wer das weseg soldatischer
Erziehung nicht aus langer Erfahrung kennt, der wird wahrschein-
lich über diese Art von Besichtigung angesichts einer schwierigen Be-
lagerung den Kopf schütteln. Denn daß Haltung, Griffe und Ein-
zelmarsch alter Landsturmleute auch nicht entfernt den Anforde-
rungen entsprechen konnten, die an die Friedensausbildung zu stellen
sind, das war doch von vornherein klar. Es handelte sich aber auch
gar nicht darum, das festzustellen, sondern um etwas ganz anderes.
Ich wollte sehen, ob die Leute mit ihrem willen dem meinigen ent-
gegen kämen; wie weit ich also auf ihren guten willen rechnen konnte;
und nach dieser Richtung war das Ergebnis hoch befriedigend. Die
Leute richteten sich auf und sahen mir frei und fest ins Auge; sie
gaben sich unverkennbar Mühe, ihre Sache so gut wie nröglich zu
machen.
Denselben guten Eindruck hat der Landsturm während der
ganzen Belagerung gemacht.
Das Wetter war ungünstig, es regnete viel. Der schnell vor-
schreitende Angriff ließ keine Zeit, die Schützengräben kunstgemäß
auszubauen und zu entwässern. Die Gräben schützten nur gegen
Sicht, gegen Gewehr- und Schrapnellfeuer; gaben aber so gut wie
gar keine,! Schutz gegen Granatfeuer und gegen die Witterung, von
heftigen Regengüssen bis auf die Haut durchnäßt, standen die Leute
Nowo Georgiewsk
105
an vielen Stellen in tiefem Wasser. Und doch waren sie immer in
guter Laune. Was sie in dieser erhielt, das war wohl hauptsächlich
der deutlich erkennbare Erfolg unseres Angriffs. Täglich schob sich
unsere Einschließungslinie gegen die Festung vor; manchmal nur ein
kurzes Stück, manchmal aber mit einem weiten Sprung. Tägliche
Gefechte mit siegreichem Ausgang gaben auch den älteren Mann-
schaften das Gefühl freudigen Stolzes und ruhiger Zuversicht. Na-
türlich wurden für geplante Angriffe möglichst die Truppen eingesetzt,
die aus jüngeren Jahrgängen gebildet waren. Aber wenn jede Ge-
legenheit ausgenützt werden sollte, den Gegner zurückzuwerfen, dann
mußte auch an den Landsturm gelegentlich die Aufgabe herantreten,
dem Feinde ein Grabenstück, ein Gehöft, einen Dorfrand zu entreißen.
Ich habe mehrere solche Angriffe aus geringer Entfernung
beobachtet. Sie begannen wie immer und überall mit einer Vorbe-
reitung durch Artillerie und Minenwerfer. Genau auf die Sekunde
nach gleichgestellter Uhr brach dann die stürmende Infanterie aus
den Gräben vor, während die Artillerie gleichzeitig ihr Feuer auf die
zweite und dritte Stellung des Feindes verlegte. Bei den Feldbataillo-
nen vollzog sich dieses vorstürmen so schnell, daß die ersten Infan-
teristen fast gleichzeitig mit unserer letzten Granate in den feindlichen
Graben hineinsprangen. So rasch ging das beim Landsturm freilich
nicht. Auch er stand genau auf die befohlene Sekunde aus unseren
Gräben auf. Niemals war auch nur das geringste Schwanken zu be-
merken. Aber das Tempo des Vorgehens war doch erheblich bedäch-
tiger, und so kam es vor, daß der Feind, der während unseres Ax-
tilleriefeuers in Deckung gegangen war, Zeit hatte, feine Gräben
wieder zu besetzen und sein Infanteriefeuer aufzunehmen. Da
handelte es sich dann um Sekunden. Das geringste Stutzen des An-
griffs war gleichbedeutend mit dem Mißerfolg. Nur eins konnte
helfen: sofortiges Losstürzen auf den Feind, ohne Rücksicht auf die
unvermeidlichen Verluste. Und das hat der Landsturm immer getan.
Ich habe mich oft gefragt: Was treibt diese Männer vorwärts?
Rein äußerer Zwang. Niemals haben in ihrem Rücken Maschinen-
gewehre gestanden, wie das bei den Russen vorgekommen ist. Auch
keine hell aufflammende Begeisterung. Die hält nicht vor in der
furchtbaren Wirklichkeit des Grabenkrieges. Also was?
Ernstes, strenges Pflichtgefühl. Wahrscheinlich hatten nur
wenige von diesen Männern etwas von dem Rönigsberger Professor
Immanuel Raut und seinem kategorischen Imperativ gehört. Aber
der Geist, aus dem dieser Imperativ geboren wird, der lebte in
ihnen allen. Sicherlich nur in wenigen mit der vollen Rlarheit des
Bewußtseins; es war wohl mehr ein dumpfes Gefühl, das ihnen
sagte: Du mußt das jetzt tun. Dazu das nie versagende Beispiel der
Offiziere. Und endlich noch eins: die echt germanische Freude ajn
Gebrauch der blanken Waffe. Wenn unter der ewig ununterbroche-
nen Schießerei die Nerven anfingen zu vibrieren, dann ging es wie
106
von Dlckhuth-Harrach
ein Ruck durch die ganze Front, sobald es hieß: „Auf! Marsch
Marsch!" Ran an den Feind! Da spannte und straffte sich jede
Muskel, da legte die Faust mit eisernem Griff sich um die Waffe, da
blitzten die Augen in grimmiger Entschlossenheit, und jauchzend brach
das ljurrah aus tausend Kehlen.
So wurde eine Stellung der Russen nach der andern genommen,
und schließlich standen wir dicht vor den festen Werken.
Inzwischen war auf der Ostfront der Hauptangriff planmäßig
vorgeschritten. Das schwere Steilfeuer der deutschen und öster-
reichisch-ungarischen Batterien hatte viele russische Deckungen durch-
schlagen^ Man nahm an, daß die Forts in kurzer Zeit zum Sturm reif
sein würden.
Natürlich hatte der Feind sich keinen Augenblick darüber täuschen
lassen, wo der deutsche Hauptangriff lag. Trotzdem aber hatte er
auch an der Westfront einen stets gleichbleibenden Widerstand ge-
leistet, hatte jede Stellung hartnäckig verteidigt und besonders ein
lebhaftes Artilleriefeuer unterhalten, in dem einige schwere Batterien
von zahlreichen Geschützen mittleren und leichten Kalibers sehr wirk-
sam unterstützt wurden.
Um diesen widerstand aus der Ferne zu brechen, war eine über-
legene schwere Artillerie erforderlich — und über eine solche verfügte
die deutsche Westfront nicht. Ich beschloß also, da es mir unmöglich
schien, vor den festen Werken untätig stehen zu bleiben, unter dem
Schutz der Dunkelheit mit Pionieren, Infanterie, Minenwerfern und
Feldartillerie zwischen den Forts j0 und ft durchzubrechen und den
Infanterie-Angriff gegen die Kernwerke weiter vorzutragen. Mit
diesem Befehl kam ich einem Wunsch des Oberkommandos entgegen,
das bald darauf erneut zu scharfem vordrängen aufforderte, da der
Hauxtangriff gegen die Ostfront doch nicht mit der erwarteten Schnel-
ligkeit vorwärts kam. Unser Durchbruch gelang. Die Forts von
allen Seiten umfaßt, gaben den widerstand auf. Die russischen
Soldaten zogen die weiße Flagge auf, nachdem sie ihre Offiziere in
die Kasematten eingeschlossen hatten.
Aber auch hinter der Fortlinie lag eine Stellung der Russen
hinter der andern; zwar nicht stark ausgebaut, aber doch alle durch
Drahthindernis geschützt, und nicht ohne weiteres zu überrennen.
Der widerstand der feindlichen Infanterie wurde allerdings merk-
bar schwächer, aber die Artillerie feuerte mit unverminderter Hef-
tigkeit.
Um diese Artillerie endlich zum Schweigen zu bringen, wurden
einige schwere deutsche Batterien so weit vorgezogen, als das Vor-
dringen unserer Infanterie es zuließ. Zu diesen Batterien begab ich
mich mit dem Lhef des Generalstabes und einigen Offizieren des
Generalkommandos, da von dem bisherigen Standpunkt die Einsicht
in das Gefechtsfeld sehr unzureichend gewesen war.
Der neue Gefechtsstand bot ein desto umfassenderes Bild.
Nowo Georgiewsk
107
(Es war Nachmittag, der Fimmel mit einer gleichmäßig grauen
Wolkendecke überzogen. Unmittelbar vor dem Stande des General-
kommandos lagen unsere schweren Batterien, deren Mündungsfeuer
ununterbrochen mit grellem Strahl zum Himmel aufflammte, wäh-
rend der scharfe, ohrzerreißende Krach des Abschusses sich vereinte
mit dem heulen der heransausenden russischen Geschosse, dem don-
nernden Bersten der Granaten, dem schrillen Klirren der springenden
Schrapnells, dem Pfeifen der Sprengstücke und dem dumpfen Grollen
des fernen feindlichen Geschützfeuers. Offenbar hatte der Feind das
Feuer der eben vorgezogenen deutschen Batterien bereits gefühlt,
hatte aber ihre Stellung noch nicht gefunden, denn er streute ziemlich
planlos das ganze Gelände ab, und suchte mit seinem Feuer in der
Welt herum.
von unserer Infanterie war im Augenblick wenig zu sehen.
Sie hatte Befehl, in der Richtung auf die Zitadelle so weit als mög-
lich vorzudringen, und war wohl zum größten Teil durch die vor-
liegenden Büsche verdeckt, vor den Batterien dehnte sich ein im
allgemeinen flaches Gelände, durchzogen von Wiesengründen, und
bedeckt mit zahlreichen Büschen und Waldstücken. In diesen
Deckungen bewegte sich die deutsche Infanterie langsam aber stetig
vorwärts, begleitet von einigen Feldbatterien. Je näher dem Kern-
werk der Festung, desto dünner wurde der Waldschleier, bis endlich
eine kahle Fläche von Sand und Gras am Fuße des Glacis sich
hinzog, auf der auch durch das Fernglas keinerlei Bewegung zu
erkennen war. Dahinter erhob sich der wall, und über dem wall
empor ragte eine vergoldete Kuppel in der bekannten russischen
Zwiebelform: die Kapelle in der Zitadelle von Nowo Georgiewsk.
Eben brach ein Strahl der sich senkenden Sonne durch den Wolken-
schleier und ließ diese Kuppel aufleuchten in blendendem Glanz.
<£s dauerte naturgemäß einige Zeit, bis das Generalkommando
an seinem neuen Standort mit den Führern des Infanterie-Angriffs
telephonisch verbunden war. Zufällig gelang die Verbindung zuerst
mit der Landsturm-Brigade.
„Hallo!"
„Hier Landsturm-Brigade."
„Hier General-Kommando, wer ist am Apparat?"
„Generalleutnant v. Kramsta."
„von wo aus sprechen Sie?"
„Aus der Zitadelle von Nowo Georgiewsk."
Ls war so. Deutscher Landsturm war als erster eingedrungen
in das Kernwerk der für unbezwingbar gehaltenen russischen Festung.
Meldung ging sofort an das freudig überraschte Oberkommando.
Inzwischen wurden von der nächsten schweren Batterie Kom-
mandos hörbar, die einen Zielwechsel erkennen ließen. Ich ging zum
Batteriechef hinüber.
„worauf wollen Sie schießen?"
108
von Dickhulh-Harrach
„Auf die feindliche Infanterie, die aus der Zitadelle vorbricht."
Ich trat an das Scherenfernrohr, von der Zitadelle her war
eine dunkle, gewaltige Masse im Anmarsch. Die zunehmende Dun-
kelheit ließ Einzelheiten nicht unterscheiden, wohl aber war deutlich
zu erkennen, daß diese Masse sich in einer breiten Marschkolonne
bewegte, deren Ende nicht abzusehen war.
„Lassen Sie das Feuer einstellen; die Leute tun uns nichts mehr."
Es war ganz ausgeschlossen, daß ein Angriff sich in dieser Form
nähern konnte. Das konnten nur Leute sein, die sich gefangen geben
wollten. Einige berittene Offiziere wurden ihnen entgegen geschickt,
um sie zurecht zu weisen.
Lin Generalstabsoffizier hatte unterdessen einen Fernspruch des
Oberkommandos aufgenommen. Auch auf der Ostfront war jetzt
der letzte widerstand des Feindes gebrochen; die Festung war damit
ganz in deutscher Hand.
Der immer finsterer werdende Himmel über der Festung begann
sich zu röten, Hier und dort zuckten rote und gelbe Flammen empor,
über denen sich schwere Rauchwolken wälzten, Höher und höher
lohte die Glut, Funkenregen stiebte in den Oualm empor — der
ganze Himmel glühte wie im Nordlichtschein.
Auf der Erde aber kroch es durch die Finsternis heran mit dem
dumpfen Geräusch von vielen Tausenden marschierender Füße: die
Verteidiger von Nowo Georgiewsk, die sich gefangen gaben. Eine
endlose Schar; Stunde auf Stunde dauerte ihr Marsch. Sie wurden
abgezählt zu je tausend, wurden einem Offizier und einer Hand voll
Leute zur Bewachung übergeben, und zogen weiter in dumpfem
Schweigen.
Das Generalkommando kehrte nach seinem Ouartier zurück.
Bis zu seiner Abfahrt waren bereits 20 000 Gefangene gezählt. Die
ganze Nacht wurde mit Hochbetrieb gearbeitet, um alle diese Men-
schen unterzubringen, zu verpflegen und weiter zu befördern.
Gegen Morgen kam die freudige Nachricht, daß Seine Majestät
der Kaiser schon am nächsten Tag die Truppen sehen wolle, „um
ihnen seinen und des Vaterlandes Dank auszusxrechen".
Das Oberkommando hatte hierfür einen Platz nahe bei der
Zitadelle ausgesucht. Ls war natürlich nicht möglich, alle Truppen
dorthin zu bringen. Aber alle, die den Platz durch Fußmarsch er-
reichen konnten und die nicht durch unaufschiebbaren Dienst verhin-
dert waren, wurden versammelt und erwarteten am Nachmittag,
in einem großen Viereck aufgestellt, ihren obersten Kriegsherrn.
Die ganze Nacht und den ganzen vormittag hatte es in Strömen
gegossen. Am Nachmittag hatte der Regen aufgehört, aber die
Wolken hingen so tief und schwer herab, als wollten sie jeden
Augenblick bersten und die Welt in ihren Wasserfluten ersäufen.
Aber alles Wasser, das vom Himmel herabgeströmt war, hatte nicht
ausgereicht, um den von den Russen angelegten Brand der Stadt
Nowo Georgiewsk
109
und der Festung zu löschen. Den schaurig schönen Hintergrund für
die Aufstellung der Truppen bildeten die noch immer wütenden
Flammen und der dicke Qualm, der von der schweren Regenluft
niedergedrückt, wie ein riesiges schwarzes Tuch über dem ganzen
Horizont lastete.
Das Oberkommando hatte den Platz für die Truppenschau nach
Möglichkeit ausräumen lassen; ganz war man mit der Arbeit nicht
zustande gekommen. Wohl waren die Toten begraben und die ver-
wundeten hinweggetragen, aber einige verendete Pferde, zerschossene
Fahrzeuge, weggeworfene Waffen, Patronen und Ausrüstungsstücke,
und vor allem zahlreiche breite Blutlachen zeugten davon, daß an
dieser Stelle gestern ein erschütterndes Drama seinen Abschluß ge-
struden hatte.
von fern der Ton einer Automobil-Hupe. Er kommt näher —
näher —
„Stillgestanden!"
„Das Gewehr über!"
„Achtung! präsentiert das Gewehr!"
Alle Augen wenden sich nach rechts.
Da, über das Feld, naht sich eine Gruppe von Offizieren.
Über dieser Gruppe zuckt wie eine Flamme die goldgelbe Standarte,
voran schreitet mit ruhig festem, geräumigem Schritt ein hoch ^ge-
wachsener General — der Kaiser.
Die Zehntausende, die da stehen und ihm entgegensehen, atmen
schwer. Zeder fühlt in einer körperlichen Erschütterung die gewaltige
seelische Erregung dieser Stunde.
So lange deutsche Herzen schlagen, hat für sie das Nationäl-
gefühl sich verkörpert in der Person ihres Landesfürsten. So sind
schon die alten Germanen ihren Stammesherzogen gefolgt, so haben
sie in ihren Liedern und Sagen und in unsern unvergleichlichen
Volksmärchen es ewigem Gedächtnis überliefert, daß deutsche Kö-
nigs- und Mannentreue fester bindet und heiliger verpflichtet, als
selbst die Bande des Blutes. Seit aber der König von Preußen die
deutsche Kaiserkrone trug, da hatte dieses heilige Band die Deutschen
aller Stämme zu fester Einheit umschlungen. Hier standen unter
dem Gewehr Preußen, Bayern, Sachsen, württemberger, wehr-
hafte Söhne aus allen Gauen des Vaterlandes, und ihnen allen,
wie sie ihren Kaiser näherkommen sahen, schlug das Herz zum
Zerspringen in dem überwältigenden Bewußtsein: „Dieser Mann
ist Deutschland!"
Der Kaiser schritt die Front entlang. Auf seinen edlen Zügen
lag der Ausdruck eines tiefen Ernstes, und doch auch einer freudigen
Erhebung.
„Guten Tag, Kameraden!"
„Guten Tag, Euer Majestät!"
110
von Dickhnth-Harrach
Mit festem Blick begegnete der Kaiser den Augen seiner Sol-
daten, die ihn suchten. Bei jeder Truppe fragte er, wo die Leute her
wären, welche Berufe hauptsächlich vertreten wären, und vor allem
nach ihren Schicksalen und Taten im Lauf der Belagerung und nach
der Höhe der Verluste — unermüdlich in seiner immer gleichen
Teilnahme. Freudig begrüßte er zumal die Landsturm-Bataillone
und gab seiner Befriedigung Ausdruck mit den Worten:
„Ihre Landstürmer sehen prachtvoll aus unter präsentiertem
Gewehr."
Der Kaiser hatte Recht. Nicht in dem gewöhnlichen Sinne,
vom Standpunkt militärischer Ausbildung war eigentlich alles aus-
zusetzen an der Haltung der Leute. Und doch sahen sie prachtvoll
aus; denn aus jedem dieser harten Männergesichter leuchtete die
Soldatentreue, mit der einst Friedrichs Grenadiere gesungen hatten:
„Fridericus Rex, mein König und Held,
Für Dich schlügen wir den Teufel ans dem Feld!"
Der Kaiser verteilte Eiserne Kreuze. Zu jedem (Offizier und
Soldaten ein gütiges, herzliches wort, eine teilnehmende Frage
nach seinen häuslichen Verhältnissen, ein fester Händedruck — un-
vergeßlich für jeden, der es erlebt hat. Für viele Geschlechter deut-
scher Familien werden diese schlichten Eisenkreuze Heiligtümer sein,
und die Mutter wird den Kindern erzählen: „Das hat Eurem Groß-
vater der Kaiser selbst in die Hand gegeben nach der Erstürmung
von Nowo Georgiewsk."
Dann trat der Kaiser allein in die Mitte des Vierecks und sprach
zu den Truppen. ' Kurz, schlicht, markig. Er sprach von dem schweren
Geschick, das Gott dem deutschen Volk auferlegt habe, er erinnerte
an die herrlichen Siege im Westen und im Osten. Dann erzählte er
den aufhorchenden Soldaten von der überwältigenden Größe des
jetzigen Erfolges, er nannte die ungeheuren Zahlen an Gefangenen,
Geschützen, Munition und Kriegsbeute aller Art. Seinen und des
Vaterlandes Dank sagte er der Führung, den Offizieren und Sol-
daten. Mit ganz besonderer Wärme gedachte er des Landsturms:
„Ihr dürft Euch sagen, daß Ihr Taten vollbracht habt, die
niemand für möglich gehalten hätte, wenn der Große König Fried-
rich vom Himmel herabsehen kann, dann wird er zufrieden mit
Euch sein."
Ich durfte ein Hurrah auf Seine Majestät ausbringen; es klang
wie ein Schwur der Treue über das weite russische Gefilde.
Allzu schnell war alles vorüber. Schon klang die Hupe des
kaiserlichen Automobils ferner und ferner----------. Bei der Truppe
aber löste sich die gewalttge, freudige Erregung dieser Stunde in
weithin schallendem Gesang.
Nowo Georgiewsk
111
Eben marschierte ein Bataillon junger Kriegsfreiwilliger vor-
über. <£s waren viele Studenten und Schüler darunter, und ergrei-
fend klang ihr vierstimmiges Lied:
„Ach Gott, tu erheben
Mein jung Herzensblut
Zu frischem, freudgem Leben,
Zu freiem, frohem Mut!
Laß Kraft mich erwerben
In herz und in Hand,
Zu leben und zu sterben
Fürs heilge Vaterland!"
Und von all den vielen wegen, auf denen die Truppen ab-
marschierten, klang immer und immer wieder feierlich die weise
herüber:
„heil Dir im Siegerkranz,
Herrscher des Vaterlands,
heil Kaiser Dir!"
-kr *
*
Ausruhen auf Lorbeeren gab es in diesem Kriege nicht. Noch
in derselben Nacht begann die Ausgabe der Befehle, die uns von
Nowo Georgiewsk nach Kowno und von dort in unaufhaltsamem
Siegeslauf bis an die Beresina führten.
Das 8. u. 8. Kärntner Infanterieregiment Graf
von Ehevsnhüller Nr. 7 am Monts San Michels,
November 1915.
Non Major Eduard Darger,
damals Hauptmann und Kommandant dss III. Fsldbataillons disjes Llsglmsnts.
eeit Anfang November lagen wir oben auf der Höhe 275 des
Monte San Michele, auf dem „Berge des Todes", wie ihn die
Italiener nennen, im Brennpunkte der blutigen Kämpfe der vierten
Isonzojchlacht, in siegreicher Abwehr aller Anstürme des Feindes.
Als nach tagelangem Trommelfeuer der Gegner unsere Stel-
lungen sturmreif wähnte und seine Infanterie mit „Avanti“ und
„Evviva Savoya“ gegen die Stellungen der Kärntner vorschickte, da
löste sich die Anspannung der Nerven in diesem ersten Kampfe gegen
den „Wallischen" in heiligem Zorne aus. Auf den Trümmern der
Sand sack- und Bruchsteinwehren stehend, empfingen unsere Leute
den Feind. Alle Angriffe wurden blutig abgeschlagen. Mit stolzer
Zuversicht konnten wir daher die Stunde erwarten, wo die bisher
in der Verteidigung gebundenen soldatischen Eigenschaften der „Sie-
bener" im Angriff sich entfalten konnten. Bald war hierzu Ge-
legenheit.
Den Schlüsselpunkt der Stellungen am Nordteil der berüch-
tigten Karsthochfläche von Doberdo bildete die Höhe s2H am Nord-
hange des Monte San Michele. An diesem Punkte, einer gegen den
Isonzo vorspringenden Bastion gleich, bricht die Kamxslinie aus
südlicher Richtung, von San Martina del Tarso kommend und über
die Höhe 275 des Monte San Michele führend, ihre westliche Front
nach Norden.
von der Höhe 275 des Monte San Michele fällt das Gelände
gegen Norden anfänglich sanft ab. Die Höhe s2H bildet eine Rück-
fallkuppe, von wo aus die Karsthochfläche mit steilen Rändern zum
Flußbett des Isonzo abstürzt. Die Bodenform in diesem Raume ist
ausgesprochener Karst, mit spärlichem Gestrüpp, sogenanntem
„Bosco", bedeckt. Nur scharf zerrissene Baumstrünke lassen ver-
muten, daß an dieser von Granatlöchern durchwühlten Stelle einst
Wald gestanden hat.
wenn der Feind diesen Punkt fest in Besitz nahm, dann wurde
unsere Front auf der nördlichen Hochfläche unhaltbar und der Besitz
À
VOVL (Ô'UX-wcteÎ, _
Monte San Michele
113
des Brückenkopfes und der Stadt Görz selbst gefährdet. Deshalb
also die verzweifelten Anstrengungen der Italiener um die Grobe--
rung dieser Höhe. Die schwere Artillerie zerhämmerte unsere Stel-
lungen solange, bis unter dem Schutze der Dunkelheit die „Signori"
in die leeren Gräben eindringen konnten. Aber nie erfreuten sie sich
lange eines solchen Besitzes.
Nach zwei Tagen Rast im Barackenlager in Gabrije-grn. im
vallonetal kam ajm 2^. November W5 in den Abendstunden der Be-
fehl „das Bataillon wird für heute Nacht zu Befestigungsarbeiten
kommandiert". Gleich darauf aber: „in Marschadjustierung zum
Standorte des Brigadekommandos marschieren und dort weitere
Befehle einholen!" Nun wußten wir, daß es heute Nacht statt
Schanzarbeit blutiges Waffenhandwerk geben sollte.
Auf der Höhe \2% gegenüber peteano, waren die Italiener
wieder einmal in unseren Gräben und es galt, sie hinauszuwerfen.
Um 10 Uhr abends wurde der Bataillonskommandant vom Brigadier
dahin orientiert, daß die Italiener mit stärkeren Kräften in größerer
Ausdehnung unsere Gräben besetzt hätten und der Gegenstoß einer
schon eingesetzten Kompagnie nicht vorwärts komme. Der kurze
Befehl lautet: „Mit dem Bataillon den Gegenstoß durchführen, auf
dessen Gelingen das Armeekommando größten Wert legt." Eine
schwere, aber desto ehrenvollere Aufgabe!
Nach kurzer Bekanntgabe des Befehles an die Kompagnie-
kommandanten und Ergänzung der Kampfausrüstung marschiert
das Bataillon um U Uhr abends von Lotici ab. Der weg geht durch
die Schützengräben des Honvedinfanterieregiments Nr. 3. Nur wer
Ähnliches erlebt hat, kann ermessen, welche Höchstleistung aller
seelischen und körperlichen Kräfte eine solche Verschiebung erfordert.
In stockfinsterer Nacht, durch vollbesetzte Stellungen, im Flanken-
marsche nur 30 Schritte vom Feind entfernt, der jede paar Minuten
jeden Zoll unserer Stellungen aus Geschützen, eingespannten Ge-
wehren und eingerichteten Maschinengewehren mit Feuer über-
schüttet, fort und fort gehemmt durch das grelle Aufleuchten des
Scheinwerfers, der von Mainizza her jede Bewegung zu erspähen
versucht. Und wehe! wenn er uns entdeckt.
Durch die kleinste Unachtsamkeit eines Einzelnen würde nicht
nur die ganze Unternehmung vereitelt, sondern auch schwere, nutz-
lose Verluste müßte der Kommandant verantworten.
So legten wir eine Strecke von 3000 Schritten in drei und einer
halben Stunde zurück. Endlich sind wir glücklich im Verwendungs-
raum angelangt. Wohltuend klingen nach dem Madjarischen heimat-
liche Laute an unser Ghr. Die „27 er", steirische Kameraden aus
unserer schönen Friedensgarnison Graz, halten seit Tagen die blutige
£)8fje. Der Kommandant erklärt die schier unglaublich erscheinende
tage. Etwa J5 bis 20 Schritte vom rechten Flügelmann der
v. Vtckhuth-Harrach, )m Felde unbesiegt. I. 8
114
Barger
„Steirer" steht, nur durch eine Traverse getrennt, in ein und dem-
selben Graben der „Wallische".
Im leisen Flüstertöne wird der Angriffsbefehl gegeben, wenige
Schritte vom Feind, und manch welsches Geschoß fährt zischend
zwischen die Köpfe der Kommandanten. Noch ein herzliches „Glück
auf!" und kräftiger Händedruck den Kompagniekommandanten. Alles
begibt sich an seinen Platz.
Auch die Gruppierung in rabenschwarzer Nacht, im unbekannten
Gelände, in nächster Nähe des lauernden Feindes, erfordert geraume.
Zeit, während welcher vom Brigadekommando in begreiflicher Er-
wartung des Angriffes öfter angefragt wird. In zuversichtlicher
Ruhe wird geantwortet: „Es ist noch nicht so weit".
Um ^ Uhr30 Früh beginnt die Vorrückung. Bange Minuten für den
Kommandanten! Lin Aufleuchten des Scheinwerfers von Mainizza,
das leiseste Geräusch wie das Fallenlassen eines Gewehres, das
Straucheln eines Mannes auf dem schwer gangbaren Karstboden,
und das so wichtige Moment der Überraschung ist ausgeschaltet, das
Gelingen in Frage gestellt. Doch das Kriegsglück verläßt uns nicht.
Ein seltenes Beispiel kühner Tapferkeit und für die Entschei-
dung ausschlaggebend ist das Verhalten des Kommandanten der
9- Kompagnie, Oberleutnant Ing. I^sef Zigurnigg. Mit großem
Geschick führt er, allen voran, seine Kompagnie in die Flanke des
Feindes, in dessen Stellung er, selbst Handgranaten werfend, als
Erster eindringt. Mit siegesfrohem „Hurrah!" folgen ihm Kärn-
tens Heldensöhne nach. In grimmigem Handgemenge wird der
Graben in über 300 Schritte Ausdehnung vom Feinde gesäubert
und bald danach ist die Verbindung mit den „27ern" hergestellt.
I« wilder Flucht geht der „Wallische" zurück, verfolgt vom wüten-
den Feuer der Sieger.
In einer knappen halben Stunde ist ein voller Erfolg erzielt.
Line kleine Anzahl Gefangener sagen aus von schweren Verlusten
ihrer Truppe. Aber auch viele der Unsrigen bedecken die blutige
Walstatt. Zu diesen Isonzohelden gehören: Leutnant Fritsche, die
Kadetten Brückl und Kober und Stabsfeldwebel Wegscheider.
Zwei Iahre später, am s8. Dezember \%7, fand Oberleutnant
Ing. Iosef Zigurnigg an der Spitze seiner den Monte Asolone in
Italien stürmenden Kompagnie den Heldentod.
Seit Kriegsbeginn war er vom Waffendienst enthoben und
später wiederholt reklamiert, aber es litt ihn nicht bei den „Unent-
behrlichen" im Hinterland. Er rückte freiwillig zur Front ein und
kehrte auch nach seiner Verwundung bald wieder zum Regiment ins
Feld zurück.
Durch mehr als drei Iahre kämpfte er auf den Schlachtfeldern
Galiziens, in den Karpathen, am Isonzo und in Italien als Kom-
mandant einer Kompagnie, für alle ein leuchtendes Vorbild kühnster
Monte San Michele
Tapferkeit und wagemutigen, entschlossenen Handelns in den schwie-
rigsten Lagen.
Gesundheit und Leben setzte er opserfroh ein in den Kampf des
deutschen Volkes um sein Lebensrecht. Im Glauben an den endlichen
Lieg blieb er auf dem Felde der Ehre.
Nur der Frontsoldat weiß den knappen Inhalt des Generalstabs-
berichtes zu deuten:
„Nördlich des Monte San Michele warfen unsere
braven alpenländischen Infanterieregimenter 7 und
2 7 den Feind in viel ständigem Nachtkampfe aus un-
seren Gräben wieder hinaus."
Zwei Tage und drei Nächte mußten wir nachher fast deckungs-
los das vereinigte Feuer der italienischen Artillerie, Minenwerfer,
Lufttorpedos von vorn, von der Leite und sogar vom Nucken er-
dulden, ohne Speise und Trank, im strömenden Negen, jeder Faden
des Anzuges durchtränkt von Wasser und roter, lehmiger Karsterde,
bis die Stunde der Ablösung, besser Erlösung, kam.
Als ich in der Frühe des 27. November unweit des epheu-
umrankten, von der feindlichen Artillerie arg zerstörten Schlosses
Rubbia die Reihen der aus der Hölle von Doberdo Zurückgekomme-
nen musterte, umflorte sich mein Blick, der wohl an schauerliche
Kriegsbilder gewöhnt war, der aber noch nie so Trauriges gesehen
hatte.
von 6 starken Kompagnien Kärntner und Steirer war ein kleines
Häuflein von etwa JOO Mann übrig geblieben, die mit abgezehrten,
fiebrigen Zügen, Gesicht, Hände und Monturen über und über mit
einer dicken Kruste roter Erde bedeckt, todmüde ins Quartier wankten.
Gar viele der uns gar nicht sonderlich freundlich gesinnten Bevöl-
kerung weinten bei diesem Anblick.
Nur wenige Stunden Rast, und ergänzt durch ein eben cingetrof-
fenes Marschbataillon ging es wieder hinauf zur blutgetränkten
Höhe \2\.
Keine Kampfstellung an allen Fronten des Weltkrieges konnte
die fürchterlichen Leiden der Isonzofront übertreffen.
Ewig ehrendes Gedenken sei allen kommenden Generationen
Überliefert an die heroischen Taten Jener, deren Gebeine im Karst-
gestein der Isonzohänge in zurzeit fremder Erde ruhen.
Der Kampf um Galllpoll 1915—IS.
Don Marjchall Gtto Liman v. Sanders»
Oberbefehlshaber der 5. Gsmanijchsn Armes, Königlich Preußischer General
der Kavallerie.
/Line der ersten Ursachen des Weltkrieges ist das Streben Ruß--
lands nach dem Besitz von Konstantinopel und der Meerengen.
Nachdem die Fackel des Krieges auf dem Balkan entzündet
war, hatten England und Frankreich das dringende Interesse, durch
die Dardanellen und den Bosporus eine kurze und direkte Ver-
bindung mit ihrem mächtigen verbündeten Rußland zu gewinnen.
Nur dann konnten die ungeheuren Hilfsmittel Rußlands an Men-
schen, Getreide und Erzen für die Entente nutzbar gemacht, nur
dann konnte Rußland von der Entente beliebig mit Kriegsmaterial
versorgt werden.
Gelang es der Entente die Meerengen und Konstantinopel in
Besitz zu nehmen, so war die Türkei von Deutschland und Gsterreich-
Ungarn abgesprengt!
Der hohe preis, der in Aussicht stand, bildet die Erklärung
dafür, daß England, unter beschränkter Hilfe von Frankreich,
Hunderttausende seiner Soldaten zu der großen Offensive auf der
Halbinsel Gallipoli einsetzte.
Am s8. März W5 war der Durchbruchsversuch der englisch-
französischen Flotte durch die Dardanellen an dem wirksamen Feuer
der Festungsbatterien und an den in der Meerenge gelegten Minen-
reihen gescheitert. Die alliierte Flotte hatte mehrere große Kampf-
schiffe und verschiedene kleinere Schiffe verloren. Der versuch ist
nicht mehr erneuert worden. -
Jetzt sollten die Schlüssel zur Meerenge, die Halbinsel Galli-
poli, und das asiatische Ufer südlich der Dardanellenmündung, durch
eine große Landungsarmee erobert werden.
Zuerst wurden 80—90 000 Mann englische und französische
Truppen auf den den Dardanellen vorgelagerten Inseln Imbros und
Lemnos für die Landung bereit gestellt, und eine große Transport-
flotte versammelt. Großartige Depots aller Art wurden dort er-
richtet. Den Oberbefehl über sämtliche Ententetruppen übernahm
hier der englische General Sir Jan Hamilton. .
Gallipoli
117
Angesichts der drohenden Landung hatte Enver am 25. März
W5 die beiderseits der Dardanellen stehenden fünf türkischen Divi-
sionen als 5. Armee unter den Oberbefehl des Thefs der Deut-
schen Militärmission, des Marschalls Liman von Sanders gestellt.
Zu Beginn des Axril trat noch die mit Schiff aus Konstantinopel
herangeführte 5. Division hinzu, die unter dem Befehl des
sächsischen Oberstleutnants Nicolai stand, und in der sin weiterer
sächsischer Offizier, der Major Schierholz ein Infanterieregiment
und der preußische Major Bienhold die Feldartillerie befehligte.
Deutsche Truppenteile gab es damals nicht in der Türkei, nur
die etwa 70 Offiziere, Sanitätsoffiziere und Beamten der Militär-
Mission, sowie einige wenige deutsche Unteroffiziere. — Don ihnen
allen wurde ein Teil zur 5. Armee herangezogen. —
In den drei Abschnitten, die dem Feinde bei einer Landung am
ehesten einen Erfolg versprachen, wurden je zwei Divisionen bereit
gestellt, mit leichten Postierungen an der Rüste. Es waren dies der
obere Sarosgolf, der Südabschnitt der Halbinsel Gallipoli und das
asiatische Ufer. — Auf letzterem übernahm der deutsche Oberst Weber
den Befehl.
Genau einen Monat nach Bildung der 5. Armee, im Morgen-
grauen des 25. April, begann die große Landung der Entente.
Unter stundenlangem ununterbrochenem Kagel von Stahl und
Eisen aus den schwersten Kalibern der Flotte lagen seit frühester
Morgenstunde der Strand bei Rumkale, die gesamte Südsxitze der
Kalbinsel und die Uferstrecken bei Rabatepe und Ariburnu. — In
der Besika-Bucht und am oberen Sarosgolf täuschten Flottenab-
teilungen mit Transportschiffen unter lebhaftem Schiffsfeuer einen
Angriff vor.
Wohl, als der Feind glaubte, daß nach dem furchtbaren Ar-
tilleriefeuer kaum noch ein lebendes Wesen am Strande vorhanden
ein könne, begann er mit der Ausschiffung. — Über 200 Kriegs-
schiffe und Transportschiffe wurden von den türkischen Artillerie-
ieobachtern gezählt, und die Anzahl der Pinassen und kleinen Boote
war gar nicht zu bemessen.
Jetzt lösten sich die türkischen Postierungen mit zahlreichen Ma-
schinengewehren aus ihren durch Klippen und Felsen geschaffenen
Deckungen und nahmen die Landungsboote unter vernichtendes
Feuer. Die bereit gestellten Divisionen eilten nach den Landungs-
stellen. — Nach stundenlangen erbitterten und für den landenden
Feind überaus verlustreichen Kämpfen gelang es den Franzosen in
Rumkale Fuß zu fassen. Durch vier Tage wechselten dort Tag
und Nacht Angriffe mit Gegenangriffen, bis es der 3. Division unter
Oberstleutnant Nicolai gelang, in der Nacht zum 29. Axril die Fran-
zosen endgiltig auf die Schiffe zurückzutreiben und das asiatische Ufer
vom Feinde zu säubern. 1 ,
118
Liman von Sanders
An der Südspitze der Halbinsel Gallipoli, in der Gegend von
Seddulbähr waren es englische Elitetruppen, die sich nach hin«
und herwogenden Kämpfen unter ungeheuren Verlusten schließlich
am Strande festsetzen konnten. Durch dauernd eintreffende Ver-
stärkungen gewannen sie unter dem Schutze der Schiffsge>chütze in
der nächsten Zeit etwas Gelände nach Norden, Hier baute sich eine
Kampffront der Entente auf, die bald quer über die schmale Spitze
der Halbinsel von West nach Ost führte. Ihr gegenüber, nur durch
wenige Schritte Entfernung getrennt, waren die türkischen Gräben
entstanden. Auf diesen Kampfplatz waren die beiden Divisionen
vom Sarosgolf und dann auch der größere Teil der Truppen des
Obersten Weber geführt worden. Für Freund wie Feind trafen bald
weitere Verstärkungen ein, und viele Monate währende Kämpfe
entwickelten sich auf der leicht gewellten Ebene südlich des Lltschitepe,
die von drei Seiten vom feindlichen Schiffsfeuer beherrscht wurde.
weiter nördlich, bei Kabatepe, war die feindliche Landung am
25. April abgewiesen worden. Dagegen hatte das Anzakkorps —
australische und neuseeländische Truppen — auf den östlich der Bucht
von Ariburnu gelegenen Höhen sich festsetzen können. Durch das
Feuer der Schiffsgeschütze gestützt, konnten diese tapferen englischen
Kolonialtruxpen einen schmalen Streifen dicht an der Küste be-
haupten. — Hier entwickelte sich die zweite große Kampffront auf
der Halbinsel Gallipoli. -
Trotz ungezählter Angriffe auf den beiden genannten Fronten
konnte die Entente in den nächsten Monaten keine irgendwie entschei-
denden Fortschritte erzielen.
Aus der Unzulänglichkeit der bisherigen Erfolge entstand bei
den Engländern der Plan einer neuen großen Landung in dem
Anaforta-Abschnitt nördlich der Ariburnufront. Mit dem
Abend des 6. August $15 beginnend, wurden fünf neue englische Divi-
sionen an der flachen Küstenstrecke an Land gebracht, die im
Norden in der Suvla-Bucht endigt. Gegen sie war zuerst nur
die schwache Abteilung des bayerischen Majors willmer verfügbar,
dem der Küstenschutz hier anvertraut war. Nach tapferem Wider-
stande wurden die Truppen des Majors willmer allmählich zurück-
gedrückt, aber die durch die 5. Armee vom oberen Sarosgolf, von
der asiatischen Seite und aus den anderen Fronten herangeführten
Verstärkungen trafen rechtzeitig ein! — In schweren elftägigen
Kämpfen kam der englische Angriff zum Stehen. Alle beherrschenden
Höhen blieben in türkischer Hand! — Statt der beabsichtigten Über-
flügelung der 5. türkischen Armee hatte sich für die Engländer nur
eine etwa ft km lange Verlängerung der Ariburnufront — entlang
der Küste — ergeben.
Nach den englischen Angaben hatten die gelandeten Truppe«
in jenen Tagen gegen \5 000 Tote und H5 000 Verwundete zu ver-
zeichnen.
Gallipoli
119
viele Deutsche hatten sich in diesen Kämpfen ausgezeichnet. Zu
der im Anfange des Feldzuges so geringen Zahl waren in den Som-
mermonaten viele deutsche Artillerieoffiziere, Gffizierstelloertreter,
Geschützführer, eine deutsche Pionierabteilung und zwei Maschinen-
gewehr-Abteilungen der Marine hinzugetreten, so daß ihre Ge-
samtzahl auf zirka 500 Köpfe gestiegen war. Mancher von
ihnen hat in diesem Feldzuge an der fremden Küste, kern von der
Heimat, zur Ehre des deutschen Namens sein Leben gelassen, viele
sind verwundet worden.
viele andere sind auf den kahlen, sonnendurchglühten Kampf-
feldern ohne Baum und Strauch, auf denen oft das Wasser mangelte
und die schmale türkische Kost zu Entbehrungen zwang, von Krank-
heiten ergriffen worden. Gft hieß es hungern, wenn wieder einmal
die Verpflegungsschiffe im Marmara-Meere von den feindlichen
Unterseebooten torpediert waren, oder wenn die Kameelzüge, die die
Oerpflegungslasten von den Dardanellen-bsäfen zur Front bringen
sollten, durch das Artilleriefeuer der Schiffe oder durch Flieger-
bomben vernichtet wurden.
Die ganze schmale Halbinsel lag ja doch unter dem Feuer der
schweren englischen und französischen Schiffsgeschütze, das durch die
Fesselballons der Schiffe und durch Flieger geleitet wurde.
Eine schwüle windlose Hitze brütete den ganzen Sommer über
der Halbinsel, fast fünf Monate ohne jeden Regen, und die Tage
wollten kein Ende nehmen.
Diese beschränkte Zahl an Deutschen, unter Hunderttausenden
Türken verstreut, aber immer an gefährdeten und wichtigen Punkten
eingesetzt, haben ebenso wie unsere vordersten Kämpfer im Westen
undMsten den Ruhm deutscher Tapferkeit und Zähigkeit gegen eine
Welt von Feinden bekräftigt.
Nach der Anaforta-Landung dauerten die Kämpfe auf der
Halbinsel ohne jede Unterbrechung den ganzen Spätsommer und
gerbst bis in die zweite Hälfte des Dezember, ohne daß es dem
Feinde gelang, irgendwelche nennenswerten Fortschritte zu machen.
Die Engländer hatten erkannt, daß der Feldzug aussichtslos sei und
ungezählte Gpfer kostete. Zudem war durch den serbischen Feld-
zug der Schienenweg von den Mittelmächten zur Türkei für das bis
dahin knappe Kriegsmaterial, aber auch für aktive Hilfe, frei
geworden.
Die Engländer entschlossen sich zum Rückzüge von der Halb-
insel und damit zur Aufgabe des ganzen Gallixoli-Feldzuges, an den
sie die höchsten Hoffnungen geknüpft hatten.
In der Nacht vom \y./20. Dezember Wch in der dichter Nebe!
über der ganzen Halbinsel lag, räumten sie die Anaforta- und Ari-
burnufront und gingen auf die Schiffe, ihre gesamten Zeltlager und
ungeheures Kriegsmaterial zurücklassend. -
Liman von Sanders
Sobald in den ersten türkischen Linien erkannt wurde, daß das
Feuer aus den vordersten englischen Gräben nur vereinzelt erwidert
wurde oder ganz schwieg, gingen die Türken vor und besetzten die
zunächst liegenden englischen Verschanzungen. Allmählich kam, auf
höheren Befehl, das Vorgehen der gesamten türkischen Front gegen
das Meeresufer hin in Gang. — An vielen Stellen wurde es durch
Sperren von Stacheldraht und durch große Felder von Tretminen
aufgehalten. — Die nebelige Nacht verhinderte jede Übersicht, und
die feindliche Schiffsartillerie streute in das zu durchschreitende Ge-
lände. — So hatten auch die letzten Teile der Engländer einen Vor-
sprung gewonnen, der ihr an vielen Stellen vorbereitetes Einschiffen
ermöglichte. — Der weg zum Ufer war ja auch nur sehr kurz ge-
wesen.
In der Nacht vom 8./9. Januar \%6 räumte der Feind in ähn-
lich geschickter weise die letzte ihm verbliebene Front, die von Sed-
dulbahr, nachdem ihm ein größerer türkischer Angriff auf seinem
äußersten linken Flügel am 7. Januar noch ernste Verluste gebracht
hatte.
Auch hier hatte er die gesamten Zelt- und Baracken-Lager preis-
gegeben. und alles Kriegsmaterial, was die Einschiffung verzögern
konnte.
Nach 81/z monatlichen schweren Kämpfen war die Halbinsel
frei vom Feinde, der Feldzug war gewonnen!
Die 5. Gsmanische Armee hatte 2\8 000 Mann Verluste, dar-
unter 66 000 Tote zu verzeichnen.
Der Entente war die direkte Verbindung zu Rußland verwehrt
geblieben. So konnte Rußland später der Revolution anheimfallen.
Die Türkei aber war nicht abgesprengt worden und konnte an der
Seite der Mittelmächte weiterkämpfen!
Dies ist die weltgeschichtliche Bedeutung des Gallipoli-Fsld-
zuges.
Der versuch, die Dardanellen und Konstantinopel zu gewinnen,
ist von der Entente nicht mehr erneuert worden, bis der Waffen-
stillstand beide ihr kampflos überließ.
Gin Asppelmangriff auf England.
Don Gbsrleutnant z. S. Hans von Schiller,
im Kriegs Wachossizisr und Kommandant auf Marinslustjchifsen.
einem Marineluftschiffhafen neigte sich ein schöner Spät-
'V* sommertag dem Abend zu, als das Telegramm: „Für morgen
klarhalten" bei uns einging. Endlich nach der langen, anstrengenden
Sommeraufklärungszeit, die uns Tag und Nacht in eintönigem, an-
strengendem Dienst über die ganze Weite der Nordsee hinausgeführt
hatte, war jetzt wieder Gelegenheit gegeben, über den Feind in
seinem eigenen Lande zu kommen. Dauernd hatten drei Schiffe auf
Aufklärung draußen gelegen, jeden Augenblick gewärtig, von Flie-
gern überfallen zu werden. Mar unten auch schönster Sommertag,
so herrschte doch in den Höhen, in denen wir fahren mußten,
strengste winterkälte, zu der noch die Beschwerden des mangelnden
Sauerstoffs hinzukamen, so daß man die Höhengasapparate un-
unterbrochen gebrauchen mußte. Diese künstliche Atmung war aber
nur ein unzureichender Notbehelf, die körperliche Leistungsfähigkeit
erlahmte je länger, desto mehr, und so bedurfte es der größten
Energie der Führer, um sich selber und die Mannschaft zur vollen
Anstrengung aller Kräfte und regen Wachsamkeit gegen den Feind
anzuspornen. Unvorsichtige, die glaubten, ohne Sauerstoff durch-
kommen zu können, mußten mit schweren Ohnmachten, ja mit dem
Tode ihre Sorglosigkeit büßen.
weit über die Grenzen des Aufklärungsbereichs der Seestreit-
kräfte führten uns unsere Aufklärungsfahrten bis vor die feind-
lichen Häfen. Nur unverhältnismäßig wenige Angriffe konnten
gegen England gefahren werden, im Vergleich mit dieser großen
Zahl Aufklärungsfahrten der Marineluftschiffe, da die Aufklärung
für unsere Flotte immer unsere Haupttätigkeit bildete; waren wir
doch das Auge der Flotte. Infolge der gewaltigen Abwehr der
Feinde konnten die Schiffe nur in mondlosen dunklen Nächten fahren.
Sonst hätten sie zu große Verluste gehabt, die der Flottenaufklärung
und Minensuchsicherung Abbruch getan hätten. Schließlich konnten
wir auch in der kurzen Zeit, die uns für Angriffe zur Verfügung
stand, nur bei ganz sicherer Wetterlage fahren, die auch beschä-
digten Schiffen die Möglichkeit der Heimkehr ließ.
122
von Schiller
wenn auch bis ins Einzelne schon alles aufs Sorgfältigste vor-
bereitet war, so entfesselte das Telegramm jetzt eine rege Tätigkeit
im Luftschifftrupp, galt es doch, die Schiffe schnellstens für den
Angriff vorzubereiten, war doch mancherlei, was für dis Aufklärung
erforderlich gewesen, zu entfernen, anderes, speziell für den An-
griff Notwendiges, ins Schiff zu bringen.
Den nächsten Morgen um fO Uhr, nach Eintreffen der Wetter-
karte, fand in Nordholz, der Zentrale der Marineluftschiffahrt, beim
Führer der Marineluftschiffe, eine kurze Besprechung der Wetter-
lage an der Hand der Wetterkarte statt, an der alle in Nordholz an-
wesenden Luftschiffkommandanten teilnahmen. Zur selben Zeit
waren alle anderen Luftschiffhäfen mit Nordholz telephonisch ver-
bunden, überall waren auch die Kommandanten der Luftschiffe
versammelt; so war das Urteil eines jeden sofort zu hören. Kurz
schilderte Fregattenkapitän Strasser die Wetterlage und ihre <£nt*
Wicklungsmöglichkeit, schlug an der Hand der vorliegenden Beob-
achtungen vor, den Angriff auf Nord-, Mittel- oder Südengland
zu richten. Schwer war auch die Entscheidung, ob des Wetters
wegen ein Angriff durchgeführt werden konnte, mancherlei Um-
stände sprachen dabei mit. Die Dämmerung, die in der Höhe wesent-
lich länger andauert, Mondes Auf- und Untergänge, zu starke
Bewölkung in England, unter deren Schutz der Feind sich verbarg,
sowie eine den Rückmarsch erschwerende Windrichtung mußten
berücksichtigt werden.
Daß alles so war, wie man es sich wünschte, war naturgemäß
selten, es mußte und wurde gefahren, wenn auch dieses oder jenes
Moment ungünstig schien.
Trotzdem war für den Führer der Luftschiffe die Entscheidung
oft recht schwierig, da das Wetter auf der Nordsee einem steten
Wechsel unterliegt, der um so schwerer zu beurteilen war, als uns
die Wetternachrichten aus England, der wetterecke der Nordsee,
fehlten und auch viele Neutrale unter englischem Druck ihre Be-
obachtungen zurückhielten.
Beim jüngsten anfangend, äußerten alle Kommandanten der
Reihe nach ihre Meinung über die Angriffsaussichten, die letzte
Entscheidung lag in der Hand des Führers.
Nach Marschgeschwindigkeit, wind und Ziel wurden die Auf-
stiegzeiten für die einzelnen Plätze festgelegt und zwar so, daß alle
Schiffe zusammen gegen die englische Küste marschierten. Zm allge-
meinen leitete der Führer die Angriffe von Nordholz aus, aber
er ließ es sich nicht nehmen in jeder Angriffsperiode einen oder
mehrere Angriffe von einem mitfahrenden Schiffe aus zu leiten,
damit er stets über die Abwehr und die Bedingungen zur erfolg-
reichen Durchführung des Angriffs auf dem Laufenden bliebe. Am
6. August 19^8 führte er auf dem L 70 einen Angriff gegen England
und siel als Führer seiner Luftschiffe drüben, abgeschossen von
Zeppelinangriff
123
feindlichen Fliegern. Ihm, der schon seit Oktober 013 von den
ersten Anfängen an seine ganze Persönlichkeit für die Luftschiffrvaffs
einsetzte, verdanken wir größtenteils den ungeheuren Aufschwung
und die Entwickelung der Luftschiffahrt im Kriege. Seine nie er-
lahmende Energie übertrug sich auf die Offiziere und Mannschaften
und wurde zum Geiste der Waffe. Sein Wort: „wo gehobelt
wird, fallen Späne" half uns über manche schwere Stunde hinweg,
wenn wieder liebe Kameraden im Dienste der Luftwaffe gefallen
waren.
Auf den einzelnen Luftschiffplätzen traf nun jedes Luftschiff die
letzten Vorbereitungen. Die Bomben wurden eingehängt, etwa noch
nötiges Benzin nachgefüllt, der Trupp schickte die Sauerstoffappa-
rate, See- und Landkarten kamen an Bord, der Segelmacher des
Schiffes, zugleich proviantmeister, kam mit heißem Kaffee, Speck,
Brot und Butter angekeucht. Das ganze Schiff wurde einer letzten
eingehenden Nachschau unterzogen, in allen seinen vielen Einzel-
heiten genau untersucht, ping doch vom einwandfreien Arbeiten
auch der kleinsten Kleinigkeiten die Sicherheit des Schiffs und
damit das Leben der Besatzung ab. Nächst dem Uboot und dem
Torpedo ist wohl das Luftschiff die am schwierigsten zu behandelnde
Waffe der Marine gewesen.
Nach kurzer Mittagsmahlzeit, die für eine lange Zeit aus-
reichen muß, geht es hinaus zur Palle. Die teetore sind
aufgedreht, Paltemannschaften kommen zugweise heranmarschiert
und werden am Schiff vorn und achtern verteilt. Aus der Palle
hört man das Brummen der probelaufenden Motoren, ab und zu den
Knall einer Fehlzündung beim Anspringen eines Motors. Das
blaue Zeug der Fahrbesatzung ist gegen Lederanzüge eingetauscht;
manch einer, der sich gegen die Kälte in der pöhe gut schützen wollte,
ist unförmig dick anzusehen. Kopfschützer, Schals, Schlüpfer und
Pulswärmer in allen Farben beweisen die Zweckmäßigkeit der Liebes-
gaben aus der peimat.
Der Wachoffizier läuft in der Palle geschäftig hin und her;
Besatzung, Schiff und Maschinenanlage werden ihm klargemeldet:
Mit lauter Stimme, unter Zuhilfenahme eines Sprachrohrs ruft
er „Ballast vorn, Ballast in der Mitte, Ballast achtern!" Er wiegt
das Schiff ab, das heißt er gibt für die im Schiff mitgenommenen
Gewichte ebensoviel Wasser heraus, bis das Schiff sich von seinen
Lagerböcken hebt. Line Reihe kurzer pfiffe (Festxfeifen in der
Marinesprache) läßt die Wasserventile schließen.
Der Kommandant des Schiffes erscheint im offenen Torbogen
und nimmt vom Wachoffizier die Meldung entgegen, daß das
Schiff für die Fahrt bereit sei. Kur; besprechen die beiden noch das
Ausfahrmanöver, worauf der Führer des Schiffes in die vordere
Gondel einsteigt. Der Wachoffizier wirft einen Blick nach dem auf
der Palle befindlichen Wimpel, um sich von Richtung und Stärke
124
von Schiller
des Windes zu vergewissern und gibt, scheint es ihm günstig zu
sein, durch einen langen j)fiff das Rommando zum Ausfahren.
Die Leute ziehen an, langsam und majestätisch gleitet lautlos der
Roloß rückwärts aus der Halle.
Lange Schienen führen aus der Halle, gleichlaufend mit ihr
auf den Dlatz hinaus, auf ihnen laufen die kleinen wagen (Ratzen),
an denen das Schiff festgelegt ist; so kann es sich, wie auch der
Wind zur Hallenrichtung wehen möge, nicht seitlich bewegen. Auf
diese Weise ist das Schiff wohl seitlich festgelegt, es muß trotzdem
aber an zahlreichen Stellen, je nach Windstärke durch Haltemann--
schaften gestützt werden, um die Rräfte gleichmäßig auf die ganze
Schiffslänge zu verteilen. Wie stark oft solche Böen auf das Luft-
schiff drücken, ersieht man daraus, daß bisweilen mehrzöllige Hanf--
trossen bei einem Windstoß brachen, wodurch das Schiff gegen die
Halle geworfen wurde und schwer beschädigt, wenn nicht zerstört
wurde.
Andrerseits müssen die auf den Zeppelin einwirkenden Rräfte
in vertikaler Richtung von den Leuten an den Gondeln und beson-
ders hierfür angebrachten Ausfahrgestellen aufgefangen werden,
da bei starkem Aufsetzen des Schiffes nicht nur die Streben zwischen
Gondeln und Schiff brechen, sondern die Gondeln in das Schiff
gedrückt werden können. Bis zu (00 Mann an diesen Gestellen
und Gondeln genügen oft kaum, um das Schiff in der Gewalt
zu behalten. Ist der Bug des Schiffes genügend weit aus der Halle
heraus, so werden die achteren Ratzen losgeworfen und das Schiff
schwenkt von selber in die Windrichtung ein. Auch vorn wird nun ge-
schlippt, wie man das Loswerfen nennt. Der Zeppelin wird etwas
von der Halle weggeholt, um frei aufsteigen zu können. Auf dem Auf-
stiegsplatz angelangt klettert der Wachoffizier als letzter an Bord. Die
Maschinen springen an, alle Haltetaue sind losgeworfen und ausge-
schoren, die Leute halten nur noch an den Gondeln. Allmählich nimmt
das Schiff Fahrt auf, die vordere Gondel wixd hochgeworfen, um das
Schiff mit Schräglage nach oben in die Luft zu bekommen, wir sind
frei von der Erde. Lin herrliches Gefühl! Unter uns winken die
Rameraden uns ein frohes Wiedersehen und gutes Gelingen der
Fahrt zu. Die Lrde zieht unter uns hinweg. Linen langen Blick
werfe ich noch hinunter. Ist es doch jedesmal ein gewisser Ab-
schluß mit dem Leben, wenn man eine Rriegsfahrt antritt, von Feind
und Wetter droht uns Gefahr. Aber wir fuhren nun schon über
drei Jahre zusammen, immer dieselbe Besatzung, da fühlte man sich
so sicher, daß man nie ernstlich daran dachte, es könne uns noch
ein Unglück widerfahren. Jeder wußte genau, daß er sich auf den
anderen verlassen konnte. Wir fühlten uns wie eine Familie und
was der „Alte" befahl, wurde blindlings ausgeführt; zu ihm herrschte
ein vertrauen, genau wie bei Rindern zu ihrem Vater. Hätte der
Rommandant uns gesagt, wir wollen heute zum Nordpol fahren.
4
Zeppelinangriff
125
wir wären alle begeistert mitgegangen. — „Antenne aus!" Der
Ruf des Kommandanten läßt mich schnell wieder an meinen Dienst
zurückdenken. Die Antenne, der Luftdraht für die Funkentele-
graxhie, wird aus der Funkerkabine heruntergelassen. Sofort nehmen
wir Funkenverbindung mit der Leitstatton auf. Aber selber funken
dürfen wir nicht; wollen wir doch uns nicht dem Engländer, der
scharf unsern Funkenverkehr beobachtet, frühzeitig verraten.
In etwa sOOO in gehen wir eben über die Küste nach See zu;
links liegt Schillig Rhede mit der Flotte, ein reger Signalverkehr
mit Scheinwerfern setzt von den Schiffen ein; jeder will gern wissen,
wohin die Fahrt gehen soll, doch kurz lautet die Antwort, die wir
mit unserm Scheinwerfer geben: „Nach Westen." Mehr dürfen
wir nicht sagen, lauert doch überall die feindliche Spionage, die uns
durch Telegramme nach bjolland oder gar direkt drahtlos nach
England meldet, und so den Gegner schon früh warnt. Über See
liegt das Schiff ruhig in der Luft; man spürt nichts mehr von einer
Bewegung, während über dem Lande infolge der Sonnenerwärmung
starke Böen vorherrschen, die uns leicht hin- und Herrollen lassen.
Neue Pflichten rufen mich zu einer Ronde durch das Schiff, auf
der mich der Leser begleiten möge.
wir wollen uns erstmal kurz in der vorderen Gondel umsehen.
Ganz vorn steht der Seitensteurer, der nach dem Kompaß, oder über
Land auch nach angegebenen Richtpunkten auf der Erde, das
Schiff, ganz wie ein Seeschiff steuert. Aber auch bei diesem aus der
Seeschiffahrt übernommenen, altbewährten Instrument, haben wir
neue schlechte Seiten entdeckt, wenn nämlich bei großer Kälte
die Kompaßflüssigkeit dick geworden ist, so bleibt der einmal an-
liegende Kompaßstrich immer liegen, wie auch das Schiff sich
drehen möge. Ferner lenkt jede Wolke infolge ihrer elektrischen
Aufladung den Kompaß bei passieren um mehrere Striche ab.
Neben dem Seitensteurer, an der Backbordlängswand, steht der
Höhensteurer. vor sich hat er eine ganze Anzahl von Instrumenten,
als da sind Barograph, Thermometer für Gas und Luft, Vario-
meter oder Statoskop zum Messen der Steig- und Sinkgeschwindig-
keit, Neigungsmesser. Über ihm ist das Ballastbrett mit seinen
zahlreichen Drahtzügen zur Bedienung von Gasventilen und Wasser-
säcken, sowie der Klappen zum Ausgleich des Luftdruckes zwischen
Schiffsinnerem und Außenluft. Auf alles dies hat er zu achten,
wenn er das Schiff gut auf der vorgeschriebenen Höhe halten will.
Rechts vom Seitensteurer steht das Zielfernrohr, so angebracht,
daß es einen freien Durchblick nach unten ermöglicht. Mit diesem
Fernrohr ist es möglich, an einem Gbjekte auf dem Erdboden die
Geschwindigkeit, sowie die seitliche Abdrift festzustellen, und nun
mit den so gefundenen werten unter Berücksichttgung der Höhe
den Vorhaltwinkel zu finden, um mit den Bomben das beabsichtigte
Siel zu treffen. In bequemer Reichweite des Zielenden befinden sich
126
von Schiller
die Tasten des elektrischen Bombenabwurfapparates, der es er-
möglicht, je nach Erfordernis, die Bomben einzeln, oder auch in
Gruppen abzuwerfen. Dem Höhensteurer gegenüber, an der Steuer-
bordlängswand, sehen wir unter den Maschinentelegraphen den
Kartentisch, dicht verhüllt ihn ein schwarzer Vorhang, der in der
Gondel eine geschlossene Kabine bildet. Seitlich ist ein Schlitz, der
den Eintritt in den von einer Lampe erhellten Raum bildet, ohne
daß so Licht nach außen dringen kann. Ebenso sind Kompaß und die
Instrumente des Höhensteurers mit einer Nachtbeleuchtung ver-
sehen, die, nach unten zu abgeblendet, keinen Strahl nach außen
dringen läßt, der dem Feinde das Schiff verriete. Links und rechts
hinter Kartentisch und höhensteuer sind große, offene Fenster;
hier können wir ein Maschinengewehr, oder auch ein kleines Geschütz
anbringen. Dahinter liegt dann die „F.-T.-Bude", wie sie in der
Marinesprache genannt wird, ein kleiner schalldichter Raum, etwas
größer als eine Telephonzelle. In ihr sieht man den F.-T.-Schrank,
der eine kleine, aber weitreichende Station birgt. Auf einem Docker
neben dem Schrank sitzt der F.-T.-Maat, ständig den l)övet am
Kopf und lauscht aus Nachricht, die dem Schiff gegeben wird über
Wetter und den Feind, oder auch Richtungssignale der verschiedenen
R.-S.-Stationen, die auf drahtlosem Wege den Schiffsort zu
finden ermöglichen, wenn alle anderen Mittel versagen. Aus
Geschwindigkeit und Kurs allein, wie beim Seeschiff den Schisfs-
ort zu bestimmen ist oft nicht möglich, da der wind einen zu großen
Einfluß hat. Bei der gleichen Fahrt des Schiffes durch die Luft
macht es einmal 50, einmal 250 km, je nach der Windrichtung.
In dicht übereinandergelagerten Luftschichten ist der wind oft an
Stärke und Richtung ganz verschieden.
Die drahtlose Schiffsortbestimmung ist jedoch ein gefährlicher
Freund, kommen doch zu leicht durch atmosphärische Störungen
Abweichungen vor, die Schiffe in gefährliche Lagen bringen können.
Seitlich an ihr vorbei führt ein schmaler Gang nach der vorderen
Maschinengondel, die wie alle Maschinengondeln recht eng ist und
fast gänzlich durch den Motor ausgefüllt wird. Nur wenig Platz
ist vorhanden, daß sich gerade noch die beiden zur Bedienung
nötigen Leute darin aushalten können.
Eine Leiter, die zur Verminderung des Luftwiderstandes beim
Nichtgebrauch zusammenklappt, in die höhe müssen wir nun,
um in das Schiffsinnere zu gelangen. Beim hinaufsteigen be-
kommen wir einen Begriff von der Geschwindigkeit des Schiffes,
ein Orkan umtost uns, denn wir müssen durch die freie Luft zwischen
Gondel und Schiffskörper; doch der Windzug drückt uns fest gegen
die Leiter an, so wird ein herunterfallen verhindert.
Im Innern des Tragkärpers kommen wir nun auf den Lauf-
gang, der sich in dreieckigem Querschnitt von Bug zum Heck des
Schiffes hindurchzieht, wir stehen auf einer schmalen Laufplanke,
Zeppellnangriff
auf der gerade ein Mensch balanzieren kann, auf ihr entlang müssen
wir neben den offenen Bombenklappen vorbei gehen, durch die
wir tausende von Metern unter uns die Erde sehen, unwillkürlich
greift man nach dem dünnen, als Geländer dienenden Draht. Über
den Luken hängen die Bomben, die gerade durch Linsetzen der
Zünder scharf gemacht werden. Neben uns hängen vier manns-
hohe birnenförmige Bomben zu je 300 KZ, nach vorn und achtern
von ihnen die kleineren haben je 50 KZ Gewicht, gegenüber an
Rahmen hängen etwa 30 schwarze Zylinder in Größe einer fünf
Liter-Konservendose, es sind dies Brandgeschosse.
Alle Bomben erfordern eine sehr sorgfältige Pflege im Schiff,
da durch einen falschen Handgriff leicht eine Detonation der Bombe
hervorgerufen werden kann, die das ganze Schiff vernichten würde.
wieder müssen wir uns, wie schon ehe wir zu den Bomben-
klappen kamen, zwischen den Wassersäcken hindurchzwängcn; mit
ihren je lOOO KZ Wasserinhalt versperren sie fast den Laufgang.
Gegen das Einfrieren ist dem Wasser ein Frostschutzmittel zugesetzt,
doch muß auf der Fahrt dauernd ein Mann von Sack zu Sack gehen
und kräftig umrühren, da sich infolge des Zitterns des Schiffes
das schwerere Frostschutzmittel ausscheidet.
In der Nähe jeder Maschinengondel sehen wir große Alu-
miniumfässer, aus denen das Benzin durch Rohrleitungen den
Motoren zugeführt wird. Lin kompliziertes Rohrsystem schafft die
nötige Sicherheit gegen Betriebsstörungen.
Lin Hupensignal ruft uns ans Telefon; die Hintere Maschinen-
gondel hat einen Motor abgestellt, wir begeben uns schnellstens
dorthin. Lin Motor steht, während nun der zweite allein den
Propeller treiben muß. Nur eine kleine Ausbesserung war vor-
zunehmen, eine ventilfeder wird ausgewechselt und der Maschinist
benutzt die Gelegenheit gleichzeitig, um die verrußten Zündkerzen zu
reinigen.
Aber auch für größere Reparaturen sind die nötigen Lrsatz-
stücke an Bord vorhanden, ganze Zylinder, Kolben und sonstige
wichtige Einzelteile mitgenommen, selbst Stunden dauernde Re-
paraturen können ausgeführt werden. Die Kühler werden dann
verdeckt oder eingezogen, um ein Einfrieren des Kühlwassers bei
der niedrigen Temperatur zu vermeiden. Sollte eine Ausbesserung
eines Motors auf der Fahrt unmöglich sein, so bedeutet dies noch
keine Gefahr für das Schiff, da die Tragkraft nicht, wie beim Flug-
zeug, durch den Ausfall eines Motors herabgemindert wird.
Bei unserem weiteren Wege nach hinten verengert sich der
Laufgang immer mehr, so daß wir das letzte Stück kriechen müssen.
Nachdem wir uns zwischen einigen, sich ständig bewegenden Draht-
seilen, den Ruderleitungen hindurchgezwängt haben, erreichen wir
die hohle hinterste Spitze des Schiffes. Durch oben, unten und
seitlich angebrachte Schaulöcher können wir ins Freie hinaus und
128
von Schiller
auf die sich ständig hin- und herbewegenden Ruderflächen sehen.
Lautlos drehen sich die Seitenruder; an dem Schütteln und Beben,
das bei starkem Ruderausschlag durch das Schiff geht, können wir
ermessen, welch ungeheure Kräfte hier im Spiele sind. Der ganze
Bau ist bei äußerster Widerstandsfähigkeit so leicht wie möglich
gebaut. Hat doch unser Schiff die Abmessungen unserer großen
Kreuzer und nur das Gewicht des größten ihrer Beiboote.
Hier im Heck steht auch ein Posten, der nach hinten auf Flieger
aufzupassen hat, während gleichzeitig vorn über der vorderen
Gondel auf einer Plattform oben aus dem Schiff ein anderer Posten
nach vorn ausschaut. Um auf seinen Sitz zu gelangen muß er etwa
25 Meter in einem engen Schacht emporklimmen, keine leichte Arbeit
bei einem Luftdruck von nur 300 Millimetern.
Auf dem Rückwege zur vordergondel werfen wir noch einen
kurzen Blick in eine der Seitengondeln. Der Zugang ist schon
schwieriger. Mit aller Gewalt müssen wir uns gegen den seitlichen
Druck des Fahrtstromes an das Geländer anklammern. Der Raum
ist hier mit Rücksicht auf den Luftwiderstand aufs Äußerste beschränkt,
kaum haben die beiden für das Manöverieren mit dem Motor
nötigen Leute in der Gondel Platz.
wieder im Laufgange fühlen wir, daß das Schiff eine starke
Schräglage angenommen hat, die Gaszellen, die bislang über dem
Laufgange zusammengeschrumpft hingen, haben sich um den Lauf-
gang herumgelegt und sind prall. Lin leichtes Summen geht von
den in senkrecht nach oben führenden Schächten angebrachten Ab-
blaseventilen aus, in den Schächten sieht man das Gas flimmernd
nach oben steigen, während uns ein feiner Sprühregen, der durch
die Ausdehnung des Gases entsteht, umgibt. An den Rändern der
Ventile setzt sich Lis ab, das ab und zu entfernt werden muß, da
sonst das venttl klemmen würde.
In der Führergondel angelangt, sehen wir, daß wir nur
500 in gestiegen sind, während nach unserer Berechnung das
Schiff mit der vorgenommenen Ballastabgabe hätte s000 in steigen
sollen, es will aber nicht mehr höher. Lin Blick aufs Thermo-
meter gibt uns des Rätsels Lösung, wir sind in eine Inversions-
schicht geraten, die Temperatur, die für sOO in Steigen etwa
I/2 Grad sinken soll, ist plötzlich um ^ Grad gestiegen, ein sicheres
Zeichen herannahenden schlechten Wetters. Durch erneute Ballast-
abgabe wird das Schiff auf dis beabsichttgte Höhe gebracht.
Links und rechts vom Schiff stehen am Himmel andere Zeppeline,
von Stunde zu Stunde geht es höher; ab und zu sieht man unter
einem Schiff einen weißen Schweif, wie einen Kometenschwanz; es
wird Ballast abgeworfen, das Wasser zerstäubt in der Luft allmählich
nach unten zu und erscheint uns so als nachziehende Wolke. Alle
Zeppeline haben sich nun ziemlich dicht zusammengefunden, die Lang-
samsten sind zuerst aufgestiegen und die Schnelleren haben sie nun
Zeppelinangriff
129
eingeholt. Eben zieht der Führer der Luftschiffe vorüber auf dem
neuesten, eben aus der Friedrichshafener werft gekommenen Neubau.
Scheinwerferspruch vom Führer an alle Luftschiffe: „Wetterlage
noch günstig für Angriff Mitte, Rüste nicht vor U30 Uhr überschreiten"
meldet der wachhabende Signalmaat. Auf allen Luftschiffen sieht
man die Scheinwerfer das Signal „verstanden" geben.
Glutrot geht im Westen die Sonne unter, ein prachtvoller An-
blick. Ls ist ein Farbenspiel, wie man es nie von der Erde aus
sehen kann. Die Farben sind sehr viel kräftiger; tiefrot ist die Sonne,
grün die See und die darüberliegenden Wolken. Der Himmel wechselt
in allen diesen Farben, und vom hellblau des Tages bis zum
Dunkelblau der Nacht. Dies Durcheinanderfluten der Farben ist
geradezu wunderbar. Es kommen oft so unwahrscheinliche Töne
zustande, daß man einen Maler auslachen würde, malte er solche
Stimmung. Die Schiffe, die mit westlichem Rurse gegen die unter-
gehende Sonne fahren, glänzen anfänglich golden, bis sie mit dem
abnehmenden Lichte zu unheimlichen schwarzen Vögeln werden.
Jedesmal ergreift einen die Wucht des Anblicks dieser marschieren-
den Luftflotte wieder, wie sie, Tod und verderben in sich tragend,
scheinbar lautlos dahingleiten.
Die Nacht steigt herauf, hüllt See, Fimmel und Wolken in
grünbläuliches Dämmerlicht ein. Unten auf dem Wasser blinken
Lichter auf; ein Dampfer zieht, einen weißen Schaumstreifen hinter
sich lassend, einsam dahin. Rechts von uns, nach der Doggerbank
zu, liegen einige Fisch-Segelkutter, gerade noch im Dämmerlicht mit
dem Glase auszumachen. Zur Linken wirft in kurzen Zwischen-
räumen ein Blinkfeuer seinen Schein über die See, eins der Feuer auf
den holländischen Inseln. Rechts voraus hat sich eine Wolkenbank
am Horizont emporgeschoben; ab und zu wetterleuchtet es schon
„hoffentlich kommt nicht wieder so ein Gewitter, wie damals im
August W5" sagt der Rommandant. „Erinnern Sie sich noch?"
Gb ich mich noch erinnerte! Die Leute sagten damals, lieber wollten
sie zehn Fahrten gegen England machen, als noch eine solche Ge-
witterfahrt. L \\kam von einer Angriffsfahrt zurück, als sich uns
im Ranal eine schwere Gewitterfront entgegenstellte. Erst drehten
wir nach Süden ab, um über Belgien das Gewitter zu umfahren,
aber schon nach kurzer Zeit sah man das Geschützfeuer der Front
in so bedrohlicher Nähe blitzen, daß bei dem hier noch völlig klaren
Wetter und bei der geringen höhe, die wir nur erreichen konnten,
das Überschreiten der Front gleichbedeutend gewesen wäre mit einem
Einsatz des Schiffes. Daher also nochmals Rehrt und wieder nach
Norden. Nach einer halben Stunde kam wieder die englische Rüste
in Sicht, weiter gings in sausender Fahrt nach Norden zu. Immer
noch konnte man ein Ende der Gewitterfront nicht absehen, der
Benzinvorrat drohte schon auf die Neige zu gehen, da entschloß sich
der Rommandant einen Durchbruch zu versuchen, hinein also in die
v. Dt ckh uth-S arra ch, Im Selbe unbesiegt. 9
130
von Schiller
Regenböen. Der Empfang war gleich recht unfreundlich, fast 500 in
wurde das Schiff von einer Bö heruntergerissen, wir wähnten uns
schon im Wasser, als es ebensoschnell wieder empor ging. Der
Höhensteurer, der sonst nie die Ruhe verlor, — er machte die schwie-
rigsten Manöver mit fabelhafter Sicherheit — war einfach macht-
los. Die Regengüsse rauschten mit solcher Heftigkeit nieder, daß
das Masser am Schiff herunterlief und bis in die Gondel kam.
Unten in der Gondel stand das Wasser auf dem Bodenbelag, die
Karten weichten auf, man bekam nasse Füße, alles schimpfte in sich
hinein, dabei mußte man sich alle Augenblicke festhalten, da die
Böen mit solcher Heftigkeit einsetzten, daß sich das ganze Schiff
schüttelte. Es war eine Probe auf die Haltbarkeit des Schiffskörpers,
wie sie schärfer nicht gedacht werden kann. Doch das Schiff kam immer
wieder hoch, von der Plattform läutet es an. Durch das Sprach-
rohr rauscht und zischt es, daß wir kaum etwas verstehen können.
Endlich hat man verstanden „die Maschinengewehre brennen". Wir
können nicht begreifen was los ist. „Gehen Sie doch selber mal
hoch und sehen nach; bleiben Sie gleich oben um mir zu melden,
wo es am stärksten blitzt, damit wir um die Wolken herumfahren
können", sagt mir der Kommandant. Mben im Steigschacht an der
Plattform angelangt, war ich allerdings auch erstaunt über das
Bild, das sich mir bot. Der Posten hatte einen Heiligenschein, aus
den Maschinengewehren schossen an der, nach oben gerichteten Spitze
etwa 30 ein lange bläuliche Flammen heraus. So aus der Nähe
hatte ich noch kein Elmsfeuer gesehen. Anfänglich war es etwas un-
heimlich, denn Blitz folgte auf Blitz, es war über, neben und unter
uns. Wo die Blitze herkamen, konnte ich gar nicht sagen. Dabei
eine unheimliche Stille; man hörte nur das Rauschen des Regens
und ein zischendes Geräusch beim Aufleuchten der Blitze, nicht
einen einzigen Donner. Doch bald hatte man sich auch in die
Lage gefunden; es regte sich die Neugier. Ich hielt meine Hand hoch,
und hatte auch sofort an jedem Finger eine Flamme; spüren tat
man nichts davon, Hinten aus dem Heck schoß wie ein Kometen-
schweif eine lange blaue Flamme heraus und unten leuchtete die
Antenne wie ein blauer Flammenbogen. Wir überfuhren gerade
eine Fischerflotille, die wohl über das Gespensterschiff erstaunt ge-
wesen sein mag. So dauerte der Kampf drei Stunden lang, bis mit
den heiß ersehnten ersten Strahlen der Sonne das Gewitter sich
legte. Keiner hatte gedacht, daß wir die Nacht noch überleben
sollten. —
„Mehrere Lichter voraus in Sicht!" ruft der Ausguckposten.
Wir stehen dicht an der englischen Küste. Ein schmaler weißer
Streifen zeigt uns die Brandung, wir erkennen an ihm deutlich den
Verlauf der Küste. Schon find wir von einigen vorpostenbooten
entdeckt. Ein Scheinwerfer zuckt auf, sucht wie ein langer Finger
den Himmel ab. Man hat uns also nur gehört. Nun hat er
Zeppelinangriff
181
uns; grell blendet das weiße Licht in die Augen. Ein Blitz unten,
das wündungsfeuer eines Geschützes, kurz danach auch dicht hinter
und unter dem Schiff die Detonation eines Schrapnells. Erft
Sekunden später hört man den Knall des Geschützes. Der Funken-
maat meldet starken englischen Funkenverkehr, man warnt die Hei-
mat. „Zepp passing overhead“, „Zeppelin überfliegt uns", wieder-
holt vier-, fünfmal das vorpostenboot mit äußerster Energie. Line
Rakete steigt auf und beleuchtet für Sekunden die See und Küste
unter uns. Kurz darauf gehen die Lichter an der Küste aus. Eng-
land blendet ab. Das Wetter ist uns günstig, während es über
See fast ganz klar war, wurde es über Land jetzt leicht wolkig,
gerade etwa in unserer Fahrhöhe. In 5000 in war eine Wolken-
schicht mit großen Lächern, so daß man schnell sich in Wolken ver-
bergen konnte. Nach unten zu nur ab und zu eine Wolke, am
Boden an einigen Stellen leichte Dunstschleier. Trotzdem sah man
kaum etwas vom Lande, denn das Abblenden haben die Engländer
durch uns im Kriege gelernt. Doch da naht sich eine feurige
Schlange, ein Zug, der wohl noch nichts von der drohenden Gefahr
gehört hat. An einer auffallenden Krümmung des Bahngeleises
erkennen wir, daß wir noch auf richtigem Kurse sind. Da hält
der Zug, die Lichter verlöschen. So stockt der Zugverkehr während
der ganzen Dauer des Angriffes im gefährdeten Gebiet, bis die
Gefahr vorüber ist.
Etwas ließ sich aber doch nicht abblenden in England, das
war das Industriegebiet und dahin sollen wir nun, um die Eisen-
und Stahlwerke zu bombardieren. Schon tauchen fern einzelne Hoch-
öfen auf. Eine große Fabrikanlage, die besonders gut sich abhebt,
wird angesteuert, vor uns flammen plötzlich Scheinwerfer auf,
ein rasendes Artilleriefeuer fetzt ein, dumpfe Detonationen hört man
dazwischen. Am Himmel steht, im Scheinwerferlicht hell erleuchtet, ein
Zeppelin; einer der Kameraden zieht, ohne sich beirren zu lassen, ruhig
seine Bahn weiter. Unten zeichnet sich sein Kurs durch glimmende
Punkte auf der Erde ab. Krachend schlagen seine Bomben in die Fabrik
ein. Jetzt sind auch wir heran, schon haben uns die Scheinwerfer
erfaßt; die erste Salve Bomben ist aus dem Schiff heraus; lange
Sekunden verstreichen, schon denkt man, die Zünder hätten versagt,
als es unten grell aufleuchtet. Witten hinein hat es geschlagen,
dumpf kracht es zu uns empor, das Schiff zittert noch von der
Detonation, schnell noch eine zweite Salve nach! Doch auch von
unten ist man nicht faul. Salve auf Salve wirst man uns ent-
gegen, oft platzen die Geschosse dicht am Zeppelin, mit Hellem
Ton krepiert eine Granate dicht beben der Backbord-Seitengondel,
anscheinend auch Sprengstücke ins Schiff schleudernd. Gott sei
Dank, es hat nicht gezündet, dann ist schon alles gut, das Loch
wollen wir schon wieder flicken! Ein hell leuchtendes Pünktchen
kommt scheinbar ganz langsam von unten herauf, da noch eins,
9*
132
von Schiller
dicht am Schiff schießen sie mit einem Male an uns vorbei in die
Höhe. Jetzt wird es ungemütlich. „Weiße Mäuse" hat man die
Dinger getauft; es find Brandgranaten mit einer hell leuchtenden
Spitze. Den L fO traf ein solches Geschoß an die Gondel, hatte
aber nicht mehr die Kraft durchzuschlagen, wenige Zentimeter
nach der Seite, urid das Schiff wäre verloren gewesen, denn diese
Geschosse zündeten unfehlbar.
Die Fabrik unten steht in Hellen Flammen; wir verschwinden
schleunigst in die Wolken. Als^vir nach etwa 20 Minuten wieder
heraussehen, ist der Fimmel noch hell vom Brande erleuchtet.
Schnell einen Funkspruch nach Flause aufgegeben: „1(2 30 Uhr
Fabrikanlagen bei Sheffield", das genügte, um die zu Hause wissen
zu lassen, daß es uns gut ginge. Beim Rückmarsch über der Küste
faßte uns, gerade als wir aus einer. Wolke herauskamen, noch eine
der Küstenbatterien, wir warfen unsere letzten Bomben auf sie
ab, doch war diesmal das Treffen bei der großen Geschwindigkeit
vor dem winde nicht so leicht. So kam die Bedienungsmannschaft
wohl meist mit dem Schrecken davon, nur eine Bombe schlug in
unmittelbarer Nähe der Batterie ein, die letzten lagen schon in
der See.
Ruhig, als wäre nichts vorgefallen zieht das Schiff seine
Bahn. Alles ist froh, mal wieder am Feinde gewesen zu sein
und gegen unsere Brüder an der Westfront bestimmte Granaten und
Kriegsmaterial des Feindes schon in England vernichtet zu haben.
Im Laufgang ist ein geschäftiges Leben. Das ganze Schiff
wird abgesucht; haben wir doch einen Treffer erhalten, den abzu-
dichten nun mit allen Mitteln versucht werden soll. Bald ist der
Einschuß dichtgeklebt, ein Dreieckriß von nur ein, doch der
Ausschuß muß wesentlich größer sein, verliert doch die Zelle merklich
Gas, in zwei Stunden wird sie leer sein. An und für sich schadet
der Verlust einer Zelle nichts, wenn man die nötige Tragkraft-
reserve noch hat, das heißt nicht zu hoch mit dem Schiffe hat
angreifen müssen; die übrigen Zellen tragen noch genug. Eines
Tages kam sogar ein Schiff mit fünf leergelaufenen Zellen wieder
und wurde doch noch glatt nach Haus gebracht; eine hervorragende
Leistung des Kommandanten und der Besatzung.
Das Unangenehmste beim Suchen in der Nacht ist, daß kein
Licht gemacht werden darf, damit wir nicht von vorpostenbooten
oder draußen herumstreifenden leichten Streitkräften des Feindes
noch überrascht werden. So geht alles in tiefster Dunkelheit vor
sich. Endlich müssen wir es aufgeben. Das Loch ist Zwar gefunden;
es sitzt hoch oben nahe am First des Schiffes, aber es ist zu groß-,
um während der Fahrt geflickt zu werden. Das Gerippe und die
Verspannungen halten den Verlust schon aus.
Links neben dem Schiff gleitet ein dunkler Schatten, einer der
Kameraden, auch auf dem Rückmarsch. Mit einer kleinen Klapp-
Zeppelinangriff
133
láteme wird er angerufen und die Erlebnisse der Nacht ausgetauscht.
Er ist stark von See-Fliegern verfolgt worden, konnte sich nur durch
schnellstes Steigen retten, auch hat er gesehen, daß ein Lustschiss
durch Brandgeschosse eines Landslugzeugs getroffen brennend ab-
stürzte. Arme Kameraden!
Rechter Hand blinken freundlich wieder die Feuer der hol-
ländischen Küste, im Osten rötet sich der Fimmel, die Sonne kommt
wieder hoch, wieder dasselbe prachtvoll farbenreiche Bild, wie
gestern Abend!
Schon winkt in der Ferne die erste der deutschen Inseln.
Jedesmal, wenn wir Borkum und damit die deutsche Grenze über-
flogen, fühlte ich mich wie neu geboren; nun erst wußte man,
daß man auch sicher den Heimathafen wieder erreichen würde,
lauerte doch oft noch dicht an der Grenze, in der Nähe der hol-
ländischen Inseln, der Feind uns auf mit Kreuzern und Land-,
slugzeugen, die er von schnellen Kreuzern aufsteigen ließ, sobald er
das Geräusch des sich nähernden Zeppelins hörte.
Es wird wärmer, die Aufhängungen der Gondeln schütteln
ihre Eisstücke ab. Ab und zu wird eins vom Propeller gefaßt und
durch die Hülle geschleudert, um dort an einem besonders hierfür
angebrachten Lisfchutz abzuprallen. Ohne diesen Segeltuchschutz
würden die Eisstücke nicht nur in die Zellen Löcher schlagen, sondern
sogar aus der anderen Seite des Schiffes wieder hinausfliegen und
so das Schiff durch Leckschlagen der Zellen schwer gefährden.
In geringer lsöhe gehts üun landeinwärts dem liasen zu.
Die Sauerstoffapparate, die wir beim Übersteigen von etwa ^000 m
in Anspruch nehmen mußten, sind leer, pelze und Lederhüllen, die
wir während der Nacht noch übergezogen hatten, verschwinden,
die Sonnenstrahlen wärmen wieder. Alles wird zur Landung vor-
bereitet, schon find die Hallen in Sicht. Noch ein kurzes Abwiegen
des Schiffes, das zur Landung nicht schwer fein darf. Fast der
ganze Rest des Ballastes, den wir noch aufgespart hatten, geht
über Bord. Unten stehen schon die Leute in zwei langen Reihen
bereit, uns wahrzunehmen. Im großen Bogen über die kleine Land-
stadt, die noch schlafend daliegt, nur ab und zu öffnet sich ein Fenster
und verschlafen sieht uns jemand nach, geht es nun gerade auf den
aufgestellten Trupp zu. Langsam nähern wir uns schon dem Boden,
als plötzlich die Abwärtsbewegung schneller und schneller wird, wir
fallen durch, sind in eine warme Bodenschicht geraten. Ganz vorn
und achtern werden die letzten „Hosen", Rkomentballastsäcke in
Gosensorm ;u je 250 kg, geworfen, das Schiff fängt sich noch gerade
rechtzeitig.
Da wir nicht das Glück haben, in einer Drehhalle zu liegen, die
eine Einfahrt unabhängig von der Windrichtung gestattest so ist
das Einfahrmanöver schwierig, denn der wind steht ^ Strich zur
Halle. Das Schiff wird an die Halle gebracht und mit den vorderen
134
von Schiller
Ratzen festgelegt. Zwei Aufholleinen werden geschoren, an denen
je jOO Mann verteilt werden. Außer den schon beim Ausfahren be-
nutzten Stroppen werden noch einige mehr angebracht und mit
500 Mann gelingt es langsam das Schiff in bfallenrichtung auf-
zuholen und allmählig einzufahren. Unglücklicherweise setzt noch
eine Böe ein und drückt das Schiff nieder. Mit lautem Rrachen
brechen die Gondelstreben, doch es kommt wieder hoch und liegt
nach wenigen Minuten glücklich in der Halle.
Die Hälfte unseres Gasvorrats ist durch die Höhe verbraucht,
es muß nachgefüllt werden. Gas ist genügend auf dem Platze vor-
handen, da die Gasanstalt in ihren Hochdruckbehältern für die
Angriffperiode solche Mengen aufgespeichert hat, daß auch mehrere
Tage hintereinander beide hier stationierten Schiffe Vorrat ergänzen
können.
Sämtliche Gaszellen des Schiffs werden genau abgesucht auf
Schußlöcher und sonstige Undichtigkeiten, hierzu müssen die Segel-
macher in dem engen Baum zwischen Hülle und Zellen auf den
dünnen Trägern sich rund um das Schiff hindurchzwängen, eine
schwierige, aber notwendige Arbeit, da der Gasverlust, oder das
durch Undichtigkeiten sich verschlechternde Gas einen starken Trag-
kraftsverlust zur Folge hat.
Alle kleinen Löcher find schnell gedichtet, die angeschossene Zelle
wird außerhalb des Schiffes geflickt und neu gefüllt, Hierbei muß
noch die ganze Besatzung in Anspruch genommen werden, eine
Arbeit, der sich alle Leute gern unterziehen, gilt es doch schon den
nächsten Tag wieder für einen Angriff klar zu sein.
Diesmal waren alle Arbeiten nur gering, an den Motoren
waren keine Störungen zu beseitigen, auch hatten wir keinen erheb-
lichen Regen bekommen, der ein langwieriges Trocknen und Lüften
der Zellen erfordert hätte, da durch aufgesaugte Feuchtigkeit dem
Schiff ein Tragkraftsverlust von mehreren tausend Rilo entstehen
kann. Erst, nachdem alles wieder in «Ordnung gebracht ist, kann die
Besatzung der wohlverdienten Ruhe pflegen, während Rommandant
und lvachoffizier über Rarten und Papier sitzen und den Bericht
machen, der möglichst noch mit der nächsten Post abgesandt
werden soll!
Mit Stolz gedenken wir jener Zeiten. Jetzt dürfen wir durch
den uns auferzwungenen Friedensvertrag keine Luftschiffe mehr bei-
behalten, nicht einmal für Friedenszwecke scheint der Feind uns Zep-
peline erlauben zu wollen, weil er Angst hat, wir könnten eines
Nachts mit den Zeppelinen seine Städte bombardieren! Aber hoffen
wir, daß der Geist eines Grafen Zeppelin und eines Straffer nicht
auch mit im Zusammenbruch untergegangen ist, daß uns wenigstens
eine neue schöne Friedensluftschiffahrt aufblühen möge, dann haben
diese Pioniere der Luftfahrt nicht umsonst ihr Bestes für ihre Idee
hergegeben!
Die 43. Reserve-Division am „Toten Mann"^
21. Mai 1916.
Don Hauptmann Felix t>. Frantzius im Deichswshr-Echützsn-Lisgiment Ar. 18.
damals Hauptmann und Führer des III. Datls. Aej.-Jnf.-Äegts. Nr. 201.
(7\uf den 5üb* und Südwesthängen des Toten Mannes wurden nach
\ geschickter Artillerievorbereitung unsere Linien vorgeschoben.
3s Offiziere, s3s5 Mann wurden als Gefangene eingebracht, j6 M.G.
und 8 Geschütze sind außer anderem Material erbeutet. Lin feind-
licher Gegenstoß blieb ergebnislos."
wer in der Heimat mag beim Lesen dieses nüchternen Heeres-
berichts vom 2{. Mai i9\6 etwas anderes empfunden haben als
vielleicht Freude über den neuen deutschen Erfolg, an etwas anderes
gedacht haben als an die Verluste, die dieser Angriff gekostet haben
mag und auf etwas anderes gehofft haben als auf ein weiteres
Fortschreiten auf diesem Wege zum siegreichen Ende! wem mag vor
die Seele getreten sein das volle, mannigfaltige Bild aller der Kräfte
und Leidenschaften, die zu diesem Siege zusammenwirkten: restlose
Eingabe jedes Einzelnen, todesmutiger Lseldensinn der Stürmenden,
ruhiges Ertragen aller Entbehrungen und Anstrengungen, Über-
winden von Schrecken und Trauer, treue Pflichterfüllung bis ins
Kleinste und heilige Vaterlandsliebe bis in den Tod, feine vorbe-
reitungsarbeit Tage und Nächte hindurch, gewissenhafte Ausarbei-
tung aller Maßnahmen vom entscheidenden taktischen Entschluß bis
hinab zur Ausstattung mit Drahtschere und Seltersflasche — und
Treue und vertrauen vom Führer zum Mann und vom Mann zum
Führer.
Seit Mitte April lag unsere Division in den erst jüngst gewon-
nenen Stellungen am Toten Mann, wenn man der dürftigen Graben-
anlage überhaupt den Namen „Stellung" zuerkennen will. Ein ein-
facher Graben, nur manchmal - mit einer Sappe, ganz selten mit
vorgeschobenen Grabenstückchen versehen, schlängelte sich am Nord-
rand des Ljöhenzuges „Toter Mann" entlang nahe den französischen
Stellungen, die den Südrand säumten. Das Drahthindernis vor der
Front war durch gelegentliche spanische Reiter angedeutet; Deckung
gegen das oft mörderische feindliche Artilleriefeuer boten kleine Erd-
höhlen in der vorderen Grabenwand. Ganz seltene Stollenanlagen
konnten nur wenigen Schutz gewähren.
186
v. Frantzius
Das Schlimmste aber waren die Anmarschwege. Im Norden
begrenzte der Forgesbach und die ihn streckenweise begleitenden
sumpfigen Wiesen den Toten Mann. Die wenigen Übergangsmög-
lichkeiten kennt der Franzose und belegt sie planmäßig mit schweren
Feuerüberfällen. Da heißt es dann im Marsch-Marsch in der schweren
Graben-Ausrüstung oder mit Drahtrollen und spanischen Reitern,
mit Munition oder sonstigem Material oder mit den verwundeten
auf der Trage oder in der Zeltbahn, rasch Deckung suchend, in den
nächsten Granattrichter springen oder den glitscherig-sumpfigen Fuß-
pfad hinab und hinauf, und über den schwankenden Steg hinweg-
zueilen, mitunter noch unter dem lästigen Schutz der aufgesetzten
Gasmaske. Hut ab vor den Meldern, die oft mehrere Male bei
Tag und bei Nacht diesen Höllensumpf des Forgesbaches in todes-
mutiger Unerschrockenheit überwanden, vor den Fernsprechmannschaf-
ten, die in eiserner pflichttreue wieder und wieder den zerschossenen
Telephondraht flickten und vor den Krankenträgern und Hilfs--
krankenträgern (Regimentsmusiken), die allnächtlich den schweren
Gang nach vorn antraten, um ihren verwundeten Kameraden zu
helfen und sie zu den Hauptverbandplätzen zurückzutragen.
Wohl einen Jeden packte hier einmal das verlangen aus dieser
Windecke herauszukommen. Da tauchten Anfang Mai zum ersten-
mal Gerüchte aus, daß durch einen großangelegten Angriff der Tote
Mann ganz in unsere Hand gebracht und damit unsere Stellung ganz
wesentlich verbessert werden sollte. Mit Freuden wurden sie ge-
glaubt und verbreitet. Auch die letzten Zweifel schwanden, als die
zum Sturm bestimmten Bataillone zurückgezogen und für den An-
griff besonders vorbereitet wurden. Da lernten wir über Draht-
hindernisse, die unseren kleineren Unternehmungen nur zu oft vor
den französischen Stellungen ein Halt geboten hatten, hinweggehen,
bis Drahthindernisse keine Hindernisse mehr für uns waren. Da wur-
den Handgranaten geworfen, Flammenwerfer eingeübt und vorge-
führt, der Angriff selbst mit Führern und Unterführern bis ins Kleinste
besprochen und festgelegt. Die Artillerie schoß sich ein und versah sich
mit Munition aller Art, die in Stellung befindlichen Bataillone schanz-
ten und schanzten und schufen Bereitstellungsgräben, Deckungen, An-
näherungswege; selbst eine Teeküche wurde auf dem Nordhang
des Toten Mannes eingebaut, um später den Stürmenden rechtzeitig
Erfrischung nachschicken zu können.
Der letzte Tag der Ruhe kommt, der letzte Tag vor dem Ein-
rücken in die Stellung, vor dem Sturm, für manchen der letzte Tag
seines jungen Lebens. Das III. Bataillon des Reserve-Znfanterie-
Regiments 20s hat es sich nicht nehmen lassen, in feierlichem Gottes-
dienst und in gemeinsamem Gebet die Waffen weihen zulassen. Der
ernsten Feier folgt ein fröhlicher Ausmarsch: Die Regiments-Musik
begleitet die einzelnen Kompagnien auf ihrem Wege in die Stellung
und trägt zu der zuversichtlichen Siegesstimmung bei. Endlich ist alles
Am „Toten Mann
137
vorn, glücklicherweise sind keine Verluste eingetreten. Es beginnt das
Artillerie-Konzert.
Stundenlang schleudern unsere Kanonen ihre verderbenbringen-
den Geschosse auf die feindlichen Stellungen. Man kann nichts sehen,
alles liegt in Rauch und Staub gehüllt. Eine kurze Atempause,
und erneut bricht der Mrkan los. In immer schnellerer Reihenfolge
folgt Schuß auf Schuß, immer dichter rückt die an den rückwärtigen
feindlichen Stellungen begonnene Feuerwalze zu uns heran, um den
feindlichen Verteidigern, nachdem ihnen die rückwärtigen Unter-
schlüpfe zerschlagen sind, vorn den Garaus zu machen, dann schlag-
artig zurückzuspringen und den Stürmenden freie Bahn zu lassen.
Inzwischen ist bei uns alles nach vorn aufgeschlossen, die Stäbe
sind vorgeeilt,-alles steht bereit; da! 3 Uhr nachmittags schlägt die
erlösende Stunde. Die ersten Wellen springen auf und stürzen sich
auf die feindlichen Stellungen, die anderen Wellen folgen dicht auf.
Nicht überall geht es glatt vorwärts. Auf der eigentlichen Kuppe des
Toten Mannes ist der vorderste feindliche Graben von unserem
Artillerie-Feuer nicht gefaßt worden. Der Franzose hat sich dorthin
geflüchtet und empfängt dichtgedrängt unsere Stürmer mit verheeren-
dem Feuer. Gleichzeitig explodiert hier ein Flammenwerfer durch
eine feindliche Handgranate; mit schweren Brandwunden bricht der
Träger zusammen, gZualm und Rauch schlagen zu uns zurück. Es
stockt. Rasch heißt es hier den feindlichen widerstand brechen, daß
er nicht erst neue Kraft und neuen Mut findet. Ein Kompagnie-
führer erbittet die Erlaubnis, seine Kompagnie in die Sturmaus-
gangstellung zurücknehmen und von dort neu ansetzen zu dürfen. Er
will gewissermaßen neuen Anlauf nehmen. Aber Eile tut not. Es
wird ihm abgeschlagen. Denn schon ist ein Reserveflammenwerfer
vorgeholt und angesetzt, seine Wirkung soll ausgenutzt werden. Es
braucht nicht erst befohlen zu werden: Kaum sehen unsere Leute den
Feuerstrahl hrnüb erdringen, als sie sich von selbst mit neuem Hurra
auf den Franzosen stürzen. Er erschrickt, hebt die Hände und ergibt
sich. Hunderte strömen entwaffnet zu uns herüber, der gefährliche
widerstand ist siegreich gebrochen. Nun gibt es kein galten mehr.
Rastlos geht es weiter, weiter bis zur befohlenen Linie am Süd-
abhang. wenige Teile, die darüber hinausprellen, können rechtzeitig
angehalten werden, daß sie nicht in unser eigenes Gas hineinlaufen,
mit dem wir die französischen rückwärtigen Stellungen bedacht haben.
Das Ziel ist erreicht, schwere Arbeit ist geleistet. Aber noch
heißt es nicht ruhen. Das Gewonnene muß gehalten werden. Schnell
ordnen die Führer die durcheinander gekommenen Abteilungen; rieue
verbände werden geschaffen. Dann heißt es: „Spaten heraus",
„Eingraben". Es gilt das Leben. Denn bald werden die ersten
feindlichen Granaten uns die Unzufriedenheit der Franzosen mit
unserem Vorgehen zum Ausdruck bringen wollen. Dann werden sie
vielleicht bald selbst kommen, um uns den Toten Mann wieder zu
138
v. Frantzius
entreißen, Aber sie sollen uns gerüstet finden. Die bald herein-
brechende Dunkelheit ist uns günstig — die Angriffszeit war also
gut gewählt —. Der Franzose weiß noch nicht, wo wir sind, und
wenn er uns morgen früh, wenn es wieder hell wird, sucht, dann
sind wir längst tief in der Erde. Mit bewundernswerter Schnellig-
keit werden die Granattrichter ausgebaut, vertieft und miteinander
verbunden und schon vor Mitternacht ist ein mannstiefer Graben
fertig. So ist wenigstens etwas Deckung vorhanden, als der Fran-
zose am nächsten Morgen seine Geschosse auf den Südabhang des
Toten Mannes niederprasseln läßt und durch seine Flieger uns auf-
stöbern will. Noch immer kann er es sich nicht denken, daß wir
nicht einfach in feine alten Gräben gezogen sind. So belohnt sich
unsere Mehrarbeit, auf der die Führer bestanden, als eine neue
Stellung weiter vorwärts ausgehoben werden mußte. Denn das
bfauptfeuer der feindlichen Artillerie vereinigt sich immer wieder auf
der alten französischen Stellung und wir bekommen nur die Spritzer
ab — freilich leider noch immer zu viele. Auch die infanteristischen
Angriffe des Feindes find erfolglos und matt, viel Reserven scheint
er nicht mehr zu haben, auch scheinen sie unsere nähere Bekanntschaft
seit gestern zu scheuen und das Zeichen, daß wir noch da ünd, bringt
sie frühzeitig zur Umkehr. So kann, was am 2f. Mai genommen
ward, am 22. abends der ablösenden Truppe als fester Besitz über-
geben werden und als Sieger verlassen die Stürmer vom Toten
Mann am 23. früh das Schlachtfeld.
„Auf den Süd- Und Südwesthängen des Toten Mannes wurden
nach geschickter Artillerie-Vorbereitung unsere Linien vorgeschoben."
Noch einmal soll der Heeresbericht an unser Mhr klingen. Aus der
altpreußischen Einfachheit, die nur die Tatsache des Erfolges bucht,
tönt aber jetzt auch all das Heldentum, aller Fleiß und alle Arbeit,
Mut und Tapferkeit, Treue und Vaterlandsliebe heraus, die unsere
tapferen Truppen — Führer und Mann — in dem ungeheuren
Ringen des Weltkrieges zu ihren unvergleichlichen Erfolgen be-
fähigt haben.
Die Seeschlacht vor dem GLagerraK am 31. Mai MH.
Non Korvettenkapitän Llichard Foer st er von der Admiralität,
damals I. Artilleris-Gfstz'iec 6. M. 6. „Seydlitz".
VV\tr waren stolz auf unser Schiff, S. M. S. „Seydlitz", alle
'****' vom Kommandanten bis zum jüngsten Rekruten. Am 23. Mai
l9l3 hatten wir es in Kiel unter dem Kommando des Kapitäns
zur See Moritz von Ggidy in Dienst gestellt, damals das größte
und schönste Schiff der deutschen Flotte. Die Besatzung des außer
Dienst gestellten Panzerkreuzers „porck" wurde durch Rekruten
und Berufspersonal auf die für den mehr als doppelt so großen
Panzerkreuzer „Seydlitz" erforderliche Zahl ergänzt, und nach kurzer
Zeit angestrengtester «Lrprobungs- und Gxerzierarbeit konnte das
in allen Teilen vorzüglich gebaute und glänzend arbeitende Schiff
im Sommer f9l^ als gefechtsbereit dem verbände der Hochseeflotte
gigeführt werden.
Wir waren stolz auf unser Schiff, weil wir Flaggschiff des
Befehlshabers der Aufklärungsschiffe, des Admirals Kipper, waren.
An dem hintersten Geschützturm glänzten in goldenen Buchstaben
weithin sichtbar die Worte: „Allen voran"; sie sollten ein Ansporn
sein für die Besatzung, das höchste und beste zu leisten, in Frieden
und Krieg, sie sollten aber auch sagen, daß es für das Schiff im
Kampfe gelte, allen voran an den Feind zu gehen, an der Spitze
der gesamten Hochseeflotte.
Und wir waren stolz aus unser Schiff, weil wir bald mit ihm
im Gefecht gewesen waren und seinen Wert erkannt hatten. Zwei-
mal hatten wir die englische Küste aufgesucht und die Besatzungen
der Küstenbefestigungen überrascht; besonders am f6. Dezember
WH hatten wir ihnen arg zu schaffen gemacht. Und am 2%. Januar
J9H5 hatten wir zum ersten Mal mit unserem eigentlichsten Gegner,
den englischen Schlachtkreuzern, die Klinge gekreuzt.
Ende Mai $1*5 lagen wir auf Vorposten auf der Schilligreede;
der Admiral hatte sich auf „Lützow" für längerer Zeit eingerichtet
und hatte auch Wohl die Absicht, dieses neuere und im Bezug auf
seine Armierung stärkere Schiff zu seinem Flaggschiff zu machen.
Am 30. Mai entwickelte sich auf Schilligreede eine lebhafte
Tättgkeit; im Laufe des Tages kam ein Schiff nach dem andern,
eine Torpedobootsflotille nach der andern auf die Reede, und am
140
Foerster
Abend war die gesamte deutsche Hochseeflotte dort versammelt, ein
stolzer Anblick, die fünf Schlachtkreuzer, die drei Linienschiffsgeschwa--
der, die vielen schlanken Kleinen Kreuzer und die Unzahl von Tor-
pedobooten, alles in emsiger Bereitschaft, aus allen Schornsteinen
qualmte der Rauch, das Zeichen für „Dampf auf in allen Kesseln!"
Da wußte jeder: „Heute ist was los; es ist eine dicke Sache ge-
plant." Was los war und fein sollte, das wußten zwar nur
wenige, denn nach den Erfahrungen, die wir bis dahin gemacht
hatten, mußten die Pläne etwaiger Operationen streng geheim
gehalten werden, selbst die Kommandanten der Schiffe erfuhren
sie erst beim Auslaufen zu der Unternehmung.
Um 3 Uhr' nachts lichteten wir Panzerkreuzer als erste die
Anker und gingen in See; die übrigen verbände folgten in großen
Abständen. Zn dieser Nacht konnte ich meinen Leuten sagen:
„Heute gehts zu einer großen Unternehmung, wir sollen bis ins
Kattegat vorstoßen und dort den englisch-schwedischen Handel stören.
Wenn wir dabei sind, werden sicher in der Nähe stehende feind-
liche Streitkräfte alarmiert werden und dorthin gehen; dann wer-
den wir mit unserer ganzen Hochseeflotte dazwischen hauen und
dann gnad' ihnen Gott." Das konnten sie alle verstehen, und in
Erwartung, Hoffnung und Begeisterung ging es an die Geschütze.
Der 3s. Mai war klar und schön. Ls wehte eine frische Brise
aus Nordwest, die leider die Verwendung unserer Luftschiffe als
Aufklärer unmöglich machte. Aber unser Flottenchef, Admiral
Scheer, wollte nicht noch länger auf Luftschiffwetter warten, er
wollte „raus und rän". So fuhren wir am 3f. Mai, gesichert
durch unsere kleinen Kreuzer und Torpedoboote, nach Norden. Es
wurde Nachmittag, ohne daß wir irgend etwas vom Feinde sahen,
und die Zuversicht, daß es diesmal wirklich etwas würde, fing schon
wieder an zu wanken. Ich saß kurz vor 4! Uhr mit meiner Steuer-
bordwache in der Messe, und wir sprachen über die Möglichkeit,
daß wir nun doch wohl wieder Kehrt machen und unverrichteter
Sache nach Hause fahren würden. Da rasselte plötzlich unsere Ruder-
maschine auffällig hastig und andauernd unter uns; das hieß,
es wurde schnell hart Ruder gelegt, es mußte also irgend etwas
besonderes geschehen sein. Zch lief an Deck und sah, daß die
Panzerkreuzer nach Backbord abgedreht hatten und mit äußerster
Kraft nach Nordwest liefen. Da mußte also etwas gesichtet oder
gemeldet sein. Mit Windeseile ging es auf die Kommandobrücke; auf
dem Wege dorthin klang mir auch schon das Signal von Trommel
und Horn entgegen: „Klar Schiff zum Gefecht." Zm Nu war alles
in Bewegung und in wenigen Sekunden liefen die telephonischen
Meldungen von allen Stellen im Artilleriekommandostand ein:
„Turm A(Anna) ist klar"; „Backbordkasematte ist klar";
„Munitionstransport ist klar"; „Gefechtsreparaturstellen sind klar";
„Turm 0 (Läsar) ist klar" usw.
Skagerrak
141
Gleich darauf konnte ich dem Kommandanten die gesamte
Artillerie „Klar zum Gefecht" melden. Der Kommandant besprach
nun mit den älteren Offizieren die Lage nach den eingegangenen
Funksprüchen: Die Kleinen Kreuzer waren auf feindliche Kleine
Kreuzer gestoßen, es hatte sich ein Gefecht zwischen ihnen entwickelt;
wir liefen jetzt dorthin, um einzugreifen, von schweren englischen
Streitkräften sei noch nichts gemeldet, aber es sei wahrscheinlich,
daß sie hinter den englischen leichten Streitkräften im Anmarsch
seien. Ich ging auf meinen Posten im Artilleriekommandostand, um
mich von dem guten Arbeiten des ganzen komplizierten Artillerie-
befehlsaxparates zu überzeugen. Ls klappte alles: In technischer
Beziehung hatte der Artilleriemechaniker Nagel durch unermüdliche
Arbeit dafür gesorgt, daß die unzähligen Apparate und Apparät-
chen ihre Nücken und Tücken allmählich aufgegeben hatten und zu-
verlässig arbeiteten, in militärischer Beziehung lag das für die
Verwendung der Artilleriewaffe so überaus wichtige Befehlsüber-
mittlungspersonal bei dem Oberleutnant zur See Lsarry kjäbler
in den besten fänden. Er saß mitten, unten im Schiff in der
Artilleriezentrale, und hatte von dort aus nach allen Artillerie-
gefechtsstationen telegraphische, telephonische und Sprachrohrver-
bindung. Ich übermittelte ihm vom Kommandostand aus durch
Kopftelephon alle meine Befehle und Anordnungen und hatte die
Gewißheit, daß sie richtig verstanden und ausgeführt wurden; wir
waren durch tägliche Übungen glänzend aufeinander eingespielt.
Inzwischen waren wir mit brausender Fahrt immer näher an
die feindlichen Streitkräfte herangekommen und sichteten nun, bei
dem klaren Wetter auf noch nicht meßbare Entfernung, mehrere
feindliche Großkampfschiffe. Jetzt also war es doch Wirklichkeit
geworden, wir sollten uns wieder mit ihnen messen können. Bald
erkannten wir alte Bekannte von der Doggerbank: „Lion", „prin-
ceß Royal" usw. Auch „Tiger" schien, nach der uns wohlbekannten
Silhouette, dabei zu sein. Sollten wir uns wirklich getäuscht haben,
damals im Gefecht am 2\. Januar 1915, sollte der „Tiger" Uoch
leben? Doch zu Erwägungen war jetzt keine Zeit, mit jeder Rlinute
kamen wir einander schnell näher, da hieß es, die Nerven anspannen
in dem einen Gedanken und zu dem einen Ziel: Den Gegner ver-
nichten.
Als wir in günstiger Stellung zum Feinde waren, drehten wir
nach Süden ab, um die feindlichen Schlachtkreuzer im laufenden
Gefecht auf parallelen Kursen auf unser im Anmarsch befindliches
Gros zu ziehen, Hinter den englischen Panzerkreuzern bemerkten
wir Linienschiffe, die wir als Schiffe der „Rlalaya"-Klasse aus-
machten; wir mußten also von vornherein mit einer doppelten
Übermacht rechnen. Auf dem südlichen Kurse kamen sich beide
Panzerkreuzerlinien immer näher. Klein Entfernungsmesser mel-
dete lausend die gemessenen Entfernungen, 200 km, 190 hm, 180 hm,
1.42
Foerster
(70 hm, (60 hm; na, will denn keiner Feuer eröffnen? von unserer
Seite aus konnte ich es ja verstehen, denn uns lag daran, möglichst
nahe an den Gegner heranzukommen, da dann die Wirkung unserer
Geschosse auf den verhältnismäßig schwachen Panzer der englischen
Schiffe sicherer war, aber der Engländer war doch bisher nicht
so zurückhaltend!
(50 hm — Signal vom Flaggschiff: „Feuer eröffnen!" Noch
ein „Drauf Seydlitz!", die Schlachtparole des alten Reitergenerals,
die auch wir zu unserer Schlachtparole gemacht Hatten, dann das
Kommando „Salve feuern", und „rumms" sausen unsere 28 cm*
Granaten mit einem Ruck zugleich aus den Rohren.
Unser Ziel war, der taktischen Stellung in der eigenen Linie
entsprechend, das dritte Schiff der feindlichen Linie, das ich als die
„tlZueen Mary" erkannte. Sie war sozusagen unser englisches
Schwesterschiff: Zur selben Zeit gebaut, fast an demselben Tage
in Dienst gestellt, ungefähr gleich groß, und der Stolz der englischen
Flotte.
Unmittelbar, nachdem wir unsere erste Salve gefeuert
hatten, sah ich auch bei unsern Gegnern das Aufblitzen des Mün-
dungsfeuers, und kurz darauf kamen denn auch die ersten freund-
lichen Grüße bei uns an. Und nun ging das Toben der Schlacht los,
ein ohrenbetäubender Lärm, das Donnern des eigenen Geschütz-
feuers und das der übrigen Schiffe der eigenen Linie, vermischt mit
dem Krachen der um uns herum im Wasser zerberstenden Granaten.
Das Uleer schien in weitem Umkreise zu kochen, die Oberfläche
war aufgewühlt von dem Einschlagen der unzähligen Granat-
splitter, hin und wieder stieg eine turmhohe Wassersäule, durch ein
detonierendes schweres Geschoß aufgeworfen, senkrecht empor, wir
hatten unsern Gegner, die „Oueen Mary", schnell in der Gabel,
d. h. eine Salve weit, die nächste Salve kurz, und hielten sie nun
in schnellem Salvenfeuer fest. Da, etwa (0 Minuten nach dem
Eröffnen des Feuers, meldet mir Lsäbler durchs Telephon: „Turm
Läsar gibt keine Antwort, aus den Sprachrohren von Turm Läsar
dringt Rauch in die Artilleriezentrale." Das war wörtlich genau
dieselbe Meldung, wie ich sie am 24. Januar auf der Doggerbank
bekommen hatte, auch gleich nach Beginn des Gefechts. Ich wußte
also, was diese Meldung zu bedeuten hatte. Die Kartuschen waren
in Brand geraten, der Turm war außer Gefecht gesetzt.
Fast mechanisch gab ich den Befehl: „Kammern Turm 6
fluten", das heißt unter Wasser setzen, dann ging das Schießen
weiter. Die Salven saßen gut, wenn auch auf die Riesenentfernung
— 430 bis 440 hm (also (3—(4 hm) die Wirkung von Treffern
im einzelnen nicht zu erkennen war. plötzlich sehe ich auf unserm
Gegner im Achterschiff eine Stichflamme auflodern, sie wächst zu-
sehends, und nun bietet sich dem Auge ein Schauspiel, wie es wohl
erschüttender nicht gedacht werden kann. Zn einer ungeheuren
Skagerrak
143
Rauchwolke scheint sich das Schiff aus dem Wasser zu heben, es
zerbricht in der Mitte, Teile fliegen umher, das ganze Bild ist
eingerahmt von einem blauroten Feuerschein. In meinem Gefechts-
protokoll finde ich verzeichnet: „6^ Uhr unser Gegner fliegt in die
Luft Richtung 880, bin." Linen Augenblick stockt der Betrieb,
überallhin im Schiff geht durch Telephone und Sprachrohre die
Meldung „Unser Gegner fliegt in die Luft"; „Drauf Seydlitz" ist die
Anwort, und mit doppelter Begeisterung gehts an die Arbeit. „Ziel-
wechsel rechts auf das nächste Schiff der feindlichen Linie", kom-
mandiere ich, und der Zweikampf geht mit dem neuen Gegner weiter.
Gegen 6 30 Uhr durchbrechen die englischen Zerstörer ihre
Linien und brausen zum Angriff auf uns los; da kriegte der zweite
Artillerieoffizier Axel Löwe was zu tun für seine Mittelartillerie,
und die sinkenden und angeschossenen Zerstörer werden manche
Seydlitz-Granate geschluckt haben. Als (Quittung auf den englischen
Zerstörerangriff setzten wir einen Angriff unserer Torpedoboots; das
war eine wilde Schlacht der Boote zwischen den beiden Kreuzer-
linien, ein wunderbar schönes Bild einer modernen Seeschlacht. Doch
für Betrachtungen wird einem im Gefecht keine Zeit gelassen; plötz-
lich gibt es einen Riesenknall in unmittelbarer Nähe des Kommando-
turms, ich fliege hoch, stoße mit dem Kopf oben irgendwo gegen,
mir erscheint es rot vor den Augen; das Schiff legt sich hart nach
einer Seite über und richtet sich nur langsam wieder auf. was war
da nur passiert? Ich glaubte zunächst, eine schwere Granate hätte
den Kommandostand getroffen und mußte an die Hammel denken,
die wir im Frieden bei unseren Schießversuchen gegen Kommando-
stände an den wichtigsten Stellen der Stände, das heißt an den
Plätzen der leitenden Offiziere unterzubringen pflegten. In den Be-
richten über das Ergebnis der versuche hieß es meistens: „Be-
schädigungen so und so, der Hammel lebt", wir lebten auch, dieses
tröstliche Gefühl hatte ich, aber ich fürchtete, meinen Augen sei
etwas passiert, denn ich hatte einen scharfen Stoß in die Gegend
der Augen bekommen. Ich überzeugte mich mit einem Blick durchs
Beobachtungsglas, daß beide Augen in Ordnung waren, der rote
Schimmer stammte von Blut, das aus einer Stirnwunde gerade über
das Auge lief. Ls konnte also weitergehen. Die englischen Linien-
schiffe waren inzwischen so nahe herangekommen, daß sie in das
Gefecht eingreifen konnten; die ersten 38 em-Geschosse dieser Schiffe
sausten auf uns hernieder, wir lagen im konzentrierten Feuer der
doppelten Anzahl Schiffe mit erheblich schwererer Artillerie, es fing
an, ungemütlich zu werden. Da kam im Süden eine schnurgerade
Linie großer Schiffe in Sicht, unser Gros, das mit äußerster Kraft
zum Eingreifen in den Kampf herandampfte. Dieser Anblick ver-
anlaßte den englischen Führer, seinen verband nach Norden herum-
zuwerfen. lv ir drehten vor die Spitze unseres Gros und setzten
das Gefecht auf nördlichem Kurse fort.
144
Foerster
wie ich später erfuhr, war die Ursache des Krachs ein Tor-
pedotreffer in unser Vorschiff gewesen; er hatte uns nicht viel
geschadet, nur die äußere Bordwand war durchschlagen, die innere
wand, das sogenannte Torpedoschott, hatte die Wirkung nach dem
Schiffsinnern zu abgehalten, so daß kein Wasser eindrang; unsere
Gefechtsfähigkeit wurde nicht im geringsten beeinträchtigt.
Der Best der englischen Schlachtkreuzer — von sechs waren zwei,
„Aueen Rlary" und „Indefatigable", letztere durch das von Kor-
vettenkapitän Ulahrholz geleitete Feuer S. Ul. 5. „von der Tann",
vernichtet — lief zunächst mit äußerster, leider uns überlegener
Geschwindigkeit nach Norden und war um Uhr außerhalb des
Bereichs unserer Geschütze. Sie haben erst später wieder in das
Gefecht eingegriffen.
7 Uhr: „Gefechtspause, Verwundetentransport." Durch den
Pulverdampf der Hunderte von feuernden Geschützen und durch den
Schornsteinqualm der dauernd mit äußerster Kraft fahrenden Schiffe
und Torpedoboote war die Luft in dem von den kämpfenden Linien
passierten Gebiet völlig trübe, fast neblig geworden, so daß sich die
Gegner auf dem nördlichen Kurse, der in dieses verqualmte Gebiet
führte, sehr bald aus Sicht verloren. Die Kampfpause wurde dazu
benutzt, die verwundeten auf die Verbandsplätze zu bringen, die
Gefechtsstationen aufzuräumen und etwaige größere Gefechtsstörun-
gen zu beseitigen. Bei mir als Leiter der Artillerie liefen die Rlel-
dungen über Vorkommnisse auf den Artilleriestationen, über den
Gefechtszustand der Waffen und den Alunitionsbestand ein. Daß
Turm 6 ausgefallen war, wußte ich ja schon; ein geringer Trost
lag in der Meldung, daß bei weitem nicht alle Bedienungsmann-
schaften gefallen waren, wir hatten aus den Erfahrungen auf
der Doggerbank gelernt, und die daraufhin angeordneten Schutz-
maßnahmen hatten mehr als der Hälfte der Bedienung des Tur-
mes 6 das Leben gerettet. Besonders gut hatten sich dabei die
Gasschutzmasken bewährt, die gerade ein paar Tage vorher an Bord
gegeben worden waren. Bis auf Turm 6 war die schwere Artillerie
unbeschädigt, von der Alittelartillerie wurde gemeldet: „Steuer-
bord VI. Kasematte ausgefallen, gesamte Bedienung tot bis auf
den Pfarrer"; sonst war nirgends etwas im ganzen Schiff passiert.
was war der Steuerbord VI. Kasematte zugestoßen? Während
ich darüber nachdenke und durch telephonische Rückfragen Feststel-
lungen machen lasse, kommen zwei vermummte Gestalten auf die
Kommandobrücke, der Leutnant zur See Fließ, Kommandeur von
Turm C, und der Pfarrer. Fließ war durch den Luftdruck des im
Turm brennenden Pulvers mit einigen Leuten aus dem Turmluk
hinaus an Deck geschleudert worden. Trotz schwerer Verbren-
nung — Köpf und Hände waren völlig verbrannt ■— war er in den
Hinteren Kommandostand geklettert und hatte sich dort dem Leiter der
Torpedowaffe zur Verfügung gestellt. In der Gefechtspause hatte
Skagerrak
145
er sich dann schnell verbinden lassen und war nun auf die Kommando-
brücke geeilt, um Meldung über seinen Turm zu erstatten. Der arme
Kerl sah furchtbar aus; sein Kops glich einer großen Kegelkugel,
an der sich in der (Legend des Mundes eine trompetenartige Öff-
nung befand, die Augen sahen nur noch durch dünne Schlitze. Aber
er lebte, und hatte nur den einen Wunsch, weiter mitzuhelfen. 'In
langer Lazarettbehandlung sind später seine Brandwunden wieder
einigermaßen verheilt; von den Ghren ist nur noch die Hälfte übrig
geblieben.
„Nun, lserr Pfarrer? Diesmal hat es Sie aber persönlich
gepackt," wandte ich mich zu Fenger; der hatte auch um Kopf und
Bein dicke Verbände. Wie es gekommen war konnte er natürlich
nicht sagen: Sie hatten am Geschütz in Bereitschaft gestanden —
er hatte als alter Feldartillerist auf seinen Wunsch eine Station am
\5 ein-Geschütz bekommen — und hatten, da die Mittelartillerie auf
die großen Entfernungen noch nicht mitschießen konnte, durch Ziel-
fernrohre und Kasemattsehschlitze den Verlauf des Gefechts beobach-
tet. plötzlich gibts einen Höllenbums, die Kasematte ist mit Bauch
gefüllt, der Pfarrer fliegt, von irgendeiner Kraft unwirsch gestoßen,
in großem Bogen durch den Raum und findet sich, als er wieder
zu sich kommt, gerade vor der aufgesprungenen Ausgangstür. Mit
Granatsplittern in Backe, Nacken und Bein läuft er auf den Ge-
fechtsverbandsplatz und wird dort verarztet. Aber die Aufforderung,
sich hinzulegen, lehnt er kategorisch ab, dazu war später Zeit, jetzt
gab es wichtigeres zu tun. Mit bewundernswerter Energie und unter
Nichtachtung seiner eigenen Schmerzen hat er bis zur Beendigung
der Schlacht geholfen, die verwundeten zu verbinden, ihnen Trost
zuzusprechen, und den Sterbenden den Tod zu erleichtern. Trotz
seiner schweren Verwundung — er hat nachher wochenlang im
Lazarett gelegen — hat er sich keine Ruhe gegönnt, auch riach der
Schlacht, und als am Freitag den 2. Juni noch draußen in See ein
Lazarettschiff längsseit kam, um die Verwundeten abzuholen, da
ist er als Letzter von Bord gegangen, wobei er zu mir äußerte: „Es
ist mir bitter schmerzlich, das Schiff zu verlassen, bevor es in Wil-
helmshaven eingelaufen ist."
Nach fast eineinhalbstündigem Gefecht mit an Zahl und Kaliber-
stärke überlegenem Gegner: drei Treffer — und unsere anderen
Panzerkreuzer hatten noch weniger — dagegen beim Feinde zwei
Schiffe in die Luft geflogen, das war ein erhebendes und befrie-
digendes Ergebnis. Ich will hier nun nicht eine Schilderung des-
weiteren Verlaufs der Schlacht in ihren einzelnen Teilen geben;
das würde nur eine Wiederholung schon vorhandener Beschreibungen
der Skagerrakschlacht sein. Ich verweise hierbei den Leser in erster
Linie auf das Buch des Korvetten-Kapitäns Georg von bfafe: „Die
Zwei weißen Völker". Für mich handelt es sich darum, noch einige
Bilder herauszugreifen aus dem Innenleben des Schiffes während
o. D ickh uth-h arrach, 3™ Leide unbesiegt. I. 10
146
Foerster
der Schlacht und an ihnen zu zeigen, in welchem Geiste selbstloser
Aufopferung im willen zum Siege jeder Einzelne damals feine
Pflicht getan hat.
In dem sich aufklärenden Dunst kommen an Backbord Groß-
kampfschiffe in Sicht, Schiffe der „Malaya"-Klasse mit 38 cm»
Geschützen. Nach kurzer Kampfpause gehts wieder an die Ge-
schütze; die Beleuchtung ist sehr ungünstig für uns geworden, die
Umrisse der Schiffe sind gegen den sich allmählich verdunkelnden
Gsthimmel kaum zu erkennen, da feuern sie schon, man sieht vom
Feind fast nur das Aufblitzen des Mündungsfeuers der Geschütze,
obgleich die Entfernung jetzt erheblich geringer wird, wir kriegen
manche 38 ern-Granate aufgebrummt und können uns kaum wehren,
weil wir nicht zielen und nicht beobachten können. Ulatsch end
schlagen die schweren Geschosse dicht neben uns ins Wasser und
überschütten das Schiff mit wahren Fontänen. Immer und immer
wieder muß ich meinen Entfernungsmesser, den Obermatrosen Lange,
aus dem Kommandostand herausschicken, um die Objektive der
Meßinstrumente und Beobachtungsgläser abtrocknen zu lassen. Mit
selbstverständlicher Ruhe klettert er, unbekümmert um die rings-
herum pfeifenden und krachenden Geschosse, auf die Turmdecke
und macht, für eine Zeit lang wenigstens, die Beobachtung möglich.
Eine 38 ern-Granate durchschlägt den Panzer der Backbord
l V. Uasematte und detoniert im Raum; das Schiff zuckt und bebt unter
dem gewaltigen Aufprallen des 20 Zentner schweren Geschosses,
Decks und wände zittern wie dünnes Blech. Am Hinteren Schorn-
stein ist eine Gruppe aus Turm 6 dabei, einen Brand zu löschen,
der für das Zielen aus dem Turm lästig zu werden droht. Fähnrich
z. S. Schmidt, Bootsmannsmaat d. R. Torinth und einige Matrosen
laufen an Deck zur Kasematte, und versuchen von oben her, durch ein
Kohlenmannloch, in die Kasematte vorzudringen, denn von innen
hören sie wimmern, Stöhnen und Hilferufe. Der Deckel des Mann-
loches ist zwar durch den Detonationsdruck aufgesprungen und fort-
geschleudert; aber innen hat sich ein Blechfetzen quer vor die Öff-
nung geklemmt, sie kommen nicht durch'. Die Klagerufe der ver-
wundeten Kameraden lassen sie nicht ruhen; sie sehen über Bord,
die Granate mußte doch irgendwo die Bordwand durchschlagen
haben, vielleicht gings durch das Linschußloch. Fähnrich Schmidt
und Matrose Neumann lassen sich, mit Gasmaske versehen und
mit einer Handlaterne ausgerüstet, an der Bordwand herab, indem sie
tastend an einem Bolzen oder Haken Halt suchen. Sie erreichen
das Schußloch und kriechen in die dunkle Nacht Hinein: Im matten
Schein der Handlaterne bietet sich ihnen ein schauerliches Bild: Um
das völlig zerstörte Geschütz herum liegen entsetzlich verstümmelte
Leichen, die gesamte Geschützbedienung scheint durch die Wucht des
detonierenden Geschosses augenblicklich getötet zu sein. Aber aus
der Ecke hinter dem Geschütz klingt wieder das jämmerliche Stöh-
Skagerrak
147
neu, dort liegen vier Leute, schrver verwundet, bewegungslos, von
Granatsplittern zusammengeschleudert. So vorsichtig, wie Dunkel-
heit und Eile es zulassen, werden sie unter das Mannloch getragen,
der Blechfetzen läßt sich von unten beiseite biegen, und mit einem
Seil wird einer nach dem andern von den oben stehenden Leuten
an Deck geholt und auf den Gefechtsverbandplatz gebracht.
Eine andere Granate zerreißt einen Teil des Torpedoschutz-
netzes, es besteht die Gefahr, daß das aufgerollte Netz herunter-
fällt und zu schweren Beschädigungen der Schrauben und damit des
ganzen Schiffes führt. „Die Netzgruppe Backbord Außendeck!"
Mitten im dicksten Gefecht klettern sie auf das gefährdete Netz, jeder
Granatsplitter kann sie wegreißen, jeden Augenblick kann das Netz
mit ihnen in die Tiefe stürzen. Reine Angst, wir haben das alte
Netz schon so häufig gezurrt, im schweren Sturm bei Skagen, auf
der Doggerbank, wir werden 's auch jetzt bändigen; und sie schaffen
es, so schön, daß es später in der Werft kaum los zu kriegen ist.
»Im Kohlenbunker arbeiten schwarze Gestalten; kaum Licht,
kaum Luft ist in dem Raum, die sonst übliche Ablösung gibt es
im Gefecht nicht, denn jeder Mann wird auf seiner Station dauernd
gebraucht. Sie arbeiten im Schweiße ihres Angesichts, ein Klei-
dungsstück nach dem andern fliegt vom Leibe, die Kessel fressen
unheimlich viel Kohlen, die müssen herangeschafft werden, da gibt
es keine Müdigkeit, keine Erschöpfung. Sie sehen nichts von dem,
was draußen vor sich geht, sie wissen nicht, wie es um das Schiff
bestellt ist, sie hören nur ab und zu das Einschlagen der krachenden
Granaten und sie fühlen, wenn sich das Schiff unter dem Anprall
eines schweren Geschosses schüttelt. Aber sie sind frohen Mutes,
sie singen und pfeifen, und mit einem kräftigen „Drauf Seydlitz!"
fliegt eine Schaufel voll nach der andern in den nimmersatten
steizraum.
Es ist schon abends spät, die Schlacht tobt unaufhörlich seit
fünf Stunden, noch ist die schwere Artillerie unversehrt bis auf
den Turm 0. Da gibt es einen gewaltigen Stoß im Turm 6, die
Mannschaft taumelt durcheinander, gleich darauf dringt gelber
giftiger Oualm in den Turm. Das hatten wir besonders gut geübt;
bei jeder Gefechtsbesichtigung wurden auf geheime Weisung des
Besichtigenden an irgend welchen Stellen in der Nähe der Geschütze
kleine Pulverkartuschen abgebrannt, die das Detonieren feindlicher
Geschosse darstellen, und durch ihre Rauchentwicklung die Be-
dienungsmannschaften in Verlegenheit bringen sollten. Was bei
einer Gefechtsbesichtigung klappt, klappt im Gefecht allemal. „Rauch-
gefahr Turm 6, Turm verlassen," bestehlt der Turmkommandeur,
Oberleutnant zur See Kienitz. Wie bei der Besichtigung gehts
durch alle erdenkbaren Löcher — Einsteigeluken, ksülsenauswurf-
öffnungen, Ansetzerlöcher — aus dem Turm heraus, in wenigen Se-
kunden steht die Bedienung angetreten an Deck. Von unten aus
10*
148
Foerster
dem Deck kommt dröhnend und zischend die Zugluft durch den Turm
geblasen; der benachbarte bseizraum hat von seinem Lustüberdruck
etwas abgegeben. Im Handumdrehen ist aller Giftstoff aus dem
Turm entfernt und ebensoschnell wie raus gehts wieder rein in
den Turm. Der Geschützführer vom rechten Turm ist tot, ein
Panzerstück hat ihm die Brust eingedrückt. Aber sonst ist nur gering-
fügiger Schaden angerichtet, das Geschoß, das gegen die Stirn-
wand des Turms geschlagen ist, hat den Panzer nicht zu durch-
bohren vermocht, sondern hat ihn nur angeschlagen und ist dabei
außerhalb des Turms zerschellt.
Gegen 1/2fl Uhr wird es still um uns herum; unsere Torpedo-
boote hatten zu meinem Massenangriff auf die feindliche Linie ange-
setzt, darauf war der Feind im Dunst und in der Dämmerung ver-
schwunden. Ich klettere aus meinem Rommandoftand heraus, in
dem ich 7 Stunden lang- in begreiflicherweise nicht allzu guter
Luft zugebracht hatte, — wir waren s6 Mann in dem kleinen
Raum — und atme tief die frische schöne Abendluft, da bietet sich
mir auf der Steuerbordkommandobrücke ein trauriger, aber auch
zugleich rührender Anblick: Begraben unter seinen toten Signal-
maaten und -gasten liegt der Adjutant, Leutnant zur See witting,
seine Gefechtssignalkladde und das Geheimschlüsselbuch fest unter
den Arm geklemmt. Er hatte mit seinen Leuten während der
ganzen Schlacht auf freier Brücke neben dem Rommandostand ge-
standen, um die Signale vom Flaggschiff besser erkennen und rich-
tig weitergeben zu können. Die letzte feindliche Granate war in
unmittelbarer Nähe dieser Gruppe detoniert und hatte fürchterlich
unter den armen Leuten gewirkt. <Ls bedurfte keiner großen Unter-
suchung, um festzustellen, daß alle, bis auf witting, tot waren; sie
waren grausig verstümmelt. Als ich daran ging, witting aus seiner
jämmerlichen Lage zu befreien, und auf die bereitstehende Trans-
xorthängematte zu legen —er hielt seine Bücher immer noch krampf-
haft unter dem Arm, beide Hände waren zerfetzt, ein Bein zer-
schmettert —, da flüsterte er mir zu: „Erst die andern!"; in seiner
hilflosen Lage trotz rasender Schmerzen, wollte er doch nicht, daß
ihm vor den andern, seinem Signalpersonal, geholfen würde. Lr
ahnte nicht, daß er unter Leichen gelegen hatte, daß sie ihn viel-
leicht mit ihren Leibern vor dem sicheren Tode geschützt hatten.
Ich wandte mich ab ; die Nerven mußten gespart werden, denn
der Tanz war noch nicht zu Lude, wenn wir auch den Kurs nach
Süden gerichtet hatten, so kam doch noch ein wenn auch nicht allzu
langer Nachtmarsch, dann rechneten wir aber bestimmt damit, daß
wir unsere Gegner arn nächsten Morgen noch außerhalb Horns
Riff treffen würden, und da mußten wir zu neuem Rampfe gerüstet
sein. Ich ging zum Rommandostande, um meine allgemeinen An-
ordnungen für die Nachtbereitschaft zu geben, als der Obermatrose
Lange zu mir kommt und mich mit dem ernstesten Gesicht der Welt
Skagerrak
149
fragt: „Darf ich cherrn Kapitän verbinden?" Ich sage: „Sehr
gerne, aber wo?" Da meinte er: „bserr Kapitän haben ein großes
Loch am Roxfe." Ein kleiner Spiegel, den er mir vorhielt, über-,
raschle mich in der Tat, ich sah aus, als wenn ich einen Durchzieher
von oben nach unten durch die linke Gesichtsseite bekommen hätte.
Ich unterzog mich gern der Fürsorge des guten Lange, der nun mit
Tupfer und frischem Wasser meine wunde wusch; er wischte und
wischte, und die Wunde flog davon, es blieb nur ein ungefähr
3 cm langer Spalt über dem linken Auge, aus dem sechs Stunden
lang das Blut hemmungslos über meine Backe gerieselt und dort
angetrocknet war; denn zum Abwischen, geschweige denn Derbinden,
hatte ich bis dahin keine Zeit gehabt. Schön gereinigt und frisch
verbunden labte ich mich dann an einem Schluck Wasser aus seinem
Trinkbecher und einem Stückchen Kommißbrot, auf dessen Beschaf-
fung er unter den obwaltenden Verhältnissen besonders stolz war,
Dann kam der Nachtmarsch: Es mußte mit Zerstörerangriffen
gerechnet, also in erster Linie die Torpedobootsabwehrartillerie
für die Nacht eingerichtet werden. Da ich selber auf der Kom-
mandobrücke vollauf zu tun hatte, schickte ich meinen zweiten Ar-
tillerieoffizier zu einem Rundgang durch das Schiff, um mir über
den Zustand der einzelnen Gefechtsstationen berichten zu lassen.
Der Bericht siel nicht gerade sehr erfreulich aus: Im letzten Teil der
Schlacht hatten uns die feindlichen Geschosse doch übel mitgespielt,
beim zweimaligen „Ran an den Feind", dem Stoß der Schlacht-
kreuzer mitten in das feindliche Gros hinein, waren die Granaten
von allen Seiten auf uns hernieder gehagelt, und es schien eine
Zeit, als wenn Treffer auf Treffer in unser Schiff sauste. Die Hälfte
der Geschützrohre war beschädigt und nicht mehr verwendungsbereit,
das Vorschiff hatte besonders stark gelitten, durch große Einschuß-
löcher dicht über und in der Wasserlinie war bedenklich viel Wasser
in das Schiff eingedrungen, und bei der hohen Fahrt, die unser
verband lief, bestand die Gefahr, daß die vorderen wasserdichten
Schotten den Druck nicht aushalten und das Wasser sich weiter
nach hinten ausbreiten würde. Zwar dampfte das Schiff noch mit
S. 2TL 5. „Rkoltke" an der Spitze der Kiellinie der Geschwader;
aber sehr bald konnten wir unsere Stellung im verbände der fast
völlig unversehrten Schisse nicht mehr halten, wir mußten die
Fahrt mäßigen, und da unsere Funkentelegraxhieanlage in der
Schlacht zerstört war, wir uns also nicht bemerkbar machen konnten,
verloren wir die Fühlung mit unserem Gros. Allein, schwer be-
schädigt, Und in den Waffen erheblich geschwächt suchten wir unsern
weg durch die dunkle Nacht nach Hornsriff.
Um uns herum wurde es bald lebendig, Geschützdonner auf
allen Seiten, Scheinwerferleuchten, Aufblitzen von Ulündungsfeuern,
brennende englische Schiffe, überall Nachtgefechte, wir schienen
mitten drin in der Hölle zu sein.
150
Foerster
vorn unter der Back bei uns war Feuer: Liner der letzten
Treffer war in die Segelkoje geschlagen, wo große Vorräte an
Hängematten, Decken, Segelleinen usw. verstaut waren. Das brannte
nun lichterloh, Und trotzdem die Leute unermüdlich mit Feuerlösch-
schläuchen und Wassereimern dagegen vorgingen, war der Brand
nicht endgültig zu ersticken, immer wieder schlugen die Flammen
hoch aus der Back empor. Umgeben von Feinden, in dunkler Nacht,
war diese Leuchtfackel höchst unangenehm.
So fuhren wir eine Zeitlang mit lodernder Brandfackel durch
die finstere Nacht. Und gerade in diesen kritischen Minuten kommt
die Meldung vom Hinteren Kommandostand: „Abgeblendete Fahrzeuge
kommen Backbord achtern auf." Mit überlegener Geschwindigkeit
waren sie bald querab von uns und wir erkannten in ihnen zu
unserer grimmigen Überraschung englische Großkampfschiffe. Gegen
den schon etwas dämmerig werdenden Morgenhimmel Hoben sich> die
typischen Silhouetten deutlich ab. Da drehten wir schnell nach
Steuerbord ab. Gb uns die Engländer überhaupt gesehen hatten?
Ich glaube es beinahe nicht, die Verhältnisse lagen von ihrer Seite
aus besonders ungünstig: Wir standen gegen den dunklen West-
himmel, der Wind wehte unseren Schornsteinqualm direkt auf sie
zu und wirkte so gewissermaßen als Vorhang für uns, und schließ-
lich, die Engländer haben keine Übung im Sehen bei Nacht.
Der Zustand unseres Schiffes wurde immer bedenklicher: In
das Vorschiff drang von Stunde zu Stunde immer mehr Wasser,
wir lagen vorn fast bis an den Rand im Wasser, und die Gefahr
wurde immer größer, daß die vorderen Schotten brechen würden,
was haben unsere Leute des Lecksicherungsdienstes, unter Leitung
des Korvettenkapitäns von Alvensleben und des Marineingenieurs
der Res. Lucke, in dieser Nacht geschuftet! Man kann die unermüd-
liche, aufopfernde Tätigkeit jedes Einzelnen für das eine Ziel,
das uns noch blieb, das Schiff in den lsafen zu bringen, nicht genug
anerkennen. Besonderen Dank aber sind wir Unserem Komman-
danten schuldig, der durch feinte ruhigen, bestimmten Anordnungen
und sein glänzendes Beispiel alle Angehörigen des Schiffes die Stra-
pazen der Schlacht und die btegreifliche Müdigkeit vergessen machte
und zu immer neuen Leistungen anspornte, wir alle wollten unser
schwer beschädigtes Schiff nach ljause bringen, koste es, was es
wolle; und es gab noch manches Hindernis zu überwinden.
In der Schlacht waren fast alle unsere navigatorischen Lsilfs-
mittel zerstört, wir hatten schon seit geraumer Zeit, keine funken-
telegraphische Verbindung mehr, die Antennen waren zerschossen;
unsere Schiffsortbestimmung war nur ungenau, da wir während
der Schlacht unzählige Kringel und Kreise gemacht und häufig die
Fahrtgeschwindigkeit gewechselt hatten, wo würden wir uns woh!
bei Ljellwerden wiederfinden? Gb wir wohl das ersehnte Lsorns-
riff-Feuerschiff in Sicht bekommen werden? Und werden nicht die
Skagerrak
151
Engländer zwischen uns und unserer eigenen Flotte stehen
und uns armen, fast wehrlosen Schlachtenbummler abwürgen?
Es wird hell, ein schöner klarer -Zunimorgen; ringsum nichts
zu sehen, weder Feuerschiffe, noch eigene Schiffe noch der Feind.
Wir laufen soviel Fahrt, wie wir in unserem gebrechlichem Zu-
stande eben vertragen können.
Dem Funkentelegraphieoffizier war es in den Morgenstunden
gelungen, eine Reserve-Funkentelegraphie-Anlage betriebsklar aus-
zubringen, und so konnten wir wieder mit der Außenwelt in Ver-
bindung treten. Wir erfuhren nur wenig: Die Flotte war vor uns
und lief ein, ein Luftschiff hätte feindliche Linienschiffe nördlich
Helgolands gemeldet. Aber wir konnten nun doch von uns ein
Lebenszeichen geben und vor allem um Unterstützung für unsere
weitere Rückfahrt bitten. Da der Feind nicht in Sicht, waren „pil-
lau" und einige andere Torpedoboote ausreichend; sie wurden zu
uns geschickt und führten und begleiteten uns von nun ab getreulich.
Ls ging immer langsamer, in der Amrumbank-Passage liefen
wir schließlich in s5 in wassertiefe auf Grund, was nun? Sitzen-
bleiben?, beileibe nicht, wir wollten ja nach Haufe. Zurück, und
in tiefem Wasser bei Helgoland durch? Da konnten uns englische
U-Boote, bei unserer geringen Fahrtgeschwindigkeit und Unbeholfen-
heit die Rückfahrt erst recht versalzen; den Gefallen wollten wir
ihnen doch lieber nicht tun. "Also mit allen Mitteln versuchen, los
und weiterzukommen, „pillau" kommt ganz nahe an uns Heran,
läßt ein Boot zu Wasser und gibt damit das Ende einer dicken
Stahlleine zu uns an Bord, um uns ins Schlepp zu nehmen. Die
Leine wird befestig^ „pillau" schleppt an, die armdicke Trosse
streckt sich schnurgerade und — bing — zerreißt wie ein Zwirns-
faden; klatschend schlagen die Enden ins Wasser. Lin zweiter
versuch hat dasselbe Ergebnis, das Schleppen wird aufgegeben,
wie, wenn wir mal rückwärts versuchten? Maschinen und Ruder
waren völlig unverletzt Nnd betriebsklar, hinten hatte das Schiff
erheblich geringeren Tiefgang. Also Kehrt gemacht und rückwärts
versucht; und siehe da, langsam aber stetig hüpften wir iiber den
Sandboden der Amrumbank weg und sind wieder einen Schritt
weiter. Da kommen Torpedoboote von See aus hinter uns her,
sie werden als eigene Boote erkannt. Wie sie sich nähern, sehen
wir an Deck dicht gedrängt Hunderte von Leuten; mit drei Hurras
auf S. M. S. „Seydlitz" paffieven sie uns. Durch Winkspruch hatten
wir erfahren, daß die Boote die Besatzung S. M. 5. „Lützow" auf-
genommen hatten. „Lützow" war es im letzten Teil der Schlacht
ebenso gegangen wie uns; schwere Treffer hatten besonders das
Vorschiff stark mitgenommen, und als ich das Schiff zuletzt sah,
lag es bereits bis über die Back im Wasser. Ls war ihm nicht
mehr möglich gewesen, die Position im verbände zu halten. Zwei
Torpedoboote sind gerade in der Nähe; sie werden längsseit gerufen
152
Foerster
und nehmen die Überlebenden der „Lützow" auf. Kurz darauf ver-
sinkt der stolze Schlachtkreuzer als einziges Großkampfschiff der
deutschen Flotte in den Fluten des Meeres; für ihn sanken drei
englische Schlachtkreuzer.
Sollte uns noch dasselbe Schicksal beschieden sein? Mit jeder
Stunde wurde unsere Lage bedenklicher, ungeheuere Mengen von
Wasser hatten wir bereits im Schiff, und trotz angestrengtester
Arbeit war es nicht möglich, dem Lindringen immer neuer Wasser-
massen Einhalt zu gebieten. Zwei Pumpendampfer waren aus
Wilhelmshaven gekommen; sie legten sich an unsere Seite und
pumpten das Wasser aus dem Schiff heraus. Aber schneller, als
sie pumpen konnten, strömte das Wasser durch die zahlreichen
Löcher, die nur notdürftig gedichtet werden konnten, wieder nach.
Jeden Augenblick mußten wir damit rechnen, daß eine Katastrophe
dem Schiff ein Ende machen würde. Alles hing jetzt von dem
(Querschott im vorderen bseizraum ab; hielt das, dann war es wohl
möglich, daß wir schwimmfähig blieben, brach es, dann war
Schluß. Das wußte der I. Offizier, Korvettenkapitän v. Alvens-
leben und feine Schottmannschaften, das wußten besonders die Leute
in dem fraglichen bseizraum, und da hieß es, dieses Schott mit allen
Mitteln und allen Kräften sichern. Mit unzähligen Balken stützten
sie es nach hinten zu ab, das Wasser sickerte schon an vielen Stellen
durch, der Tod lauerte auf der anderen Seite; unbeirrt taten sie
ihre Pflicht in diesenr grausigen Raum, nur getrieben von dem
einen Gedanken, das Schiff zu retten.
Und so kamen wir denn langsam, ganz langsam unserem Ziel
näher. Kurz vor der Zademündung mußten wir Noch einen letzten,
verzweifelten Kampf mit den Elementen bestehen, das war am
Freitag vormittag. Zn der Nacht war Sturm aus Nordwest auf-
gekommen und die schwere See drohte, den todwunden Schiffskoloß
noch kurz vor dein sicheren Isafen zu zertrümmern. Nicht nur von
unten, durch die Schußlöcher, sondern nun auch von oben her stürzten
die brechenden wogen in das schwer beschädigte Schiff. Zu den
^000 Tonnen Wasser, die wir Merflüssigerweise schon im Leibe
hatten, kamen in diesen paar Stunden noch weitere JQ00 Tonnen.
Aber auch diese Prüfung überstanden wir, und am Sonnabend früh
6 Uhr kamen wir unter den brausenden Hurrarufen der dort liegen-
den Schiffe auf Wilhelmshaven-Reede an.
Am Sonntag Nachmittag, dem Zuni, vereinigten sich Ab-
ordnungen aller Schiffe und Fahrzeuge der Hochseeflotte, aller
Marineteile, und deren Angehörige auf dem Ehrenfriedhof in
Rüstringen bei Wilhelmshaven, um die in der Skagerrakschlacht
gefallenen Kameraden zur letzten Ruhe zu betten. Unter ungeheurer
Beteiligung der ganzen Bevölkerung der Zade-Städte fand diese
ernste erhebende Feier statt. Die Schulkinder aller Schulen beider
Städte hatten in den Tagen vorher das weite Feld der Grüften, die
Skagerrak
153
die Toten aufnehmen sollten, in ein Meer von Blumen verwandelt;
darin standen nun, von Kriegsflaggen bedeckt, die Särge der Ge-
fallenen, im Tode vereint, wie sie im Leben Schulter an Schulter
gekämpft hatten. Nach kurzen Ansprachen der Geistlichen krachten
die Ehrensalven über die Gräber und wir nahmen Abschied von
unseren guten Kameraden.
Zur werktagsarbeit zurück! Die beschädigten Schiffe mußten
schnell wieder instand gesetzt werden; alle deutschen Werften halfen,
dies« Arbeit in kürzester Zeit fertig zu bringen, denn jetzt kam es
darauf an, möglichst bald wieder mit der ganzen Hochseeflotte auf
der See zu erscheinen.
„Seydlitz" hat noch manche stolze Kriegsfahrt mitgemacht, die
zum Teil bis hoch hinauf in die Linie Stavanger-Shetlands führten.
Die englische Flotte sahen wir nicht wieder, bis zu jenem grauen
Novembertage H9H.8, an dem sich die deutsche Hochseeflotte, ejn
Opfer verlockender Verführungskünste der Heimat und des Aus-
landes, ihrem Gegner wehrlos auslieferte. Als im Juni 1919 die
Friedensverhandlungen über das unerhörte Auslieferungsverlangen
der Entente ins Stocken gerieten, als mit dem Abbruch der Ver-
handlungen und der Wiedereröffnung der Feindseligkeiten gerechnet
werden mußte, da beseelte wieder nur ein Gedanke die deutschen
Besatzungen: Ohre Schiffe retten-, retten vor der schlimmsten Schande,
die nun zu befürchten war: daß die Schiffe ganz in die Hände der
Feinde gerieten und von englischen Matrosen besetzt wurden. Am
2f. »Juni 1919 versank die gesamte deutsche Hochseeflotte in den Fluten
der Bücht von Scapa Flow; die deutschen Seeleute hatten ihre
Schiffe vernichtet, um sie vor der Entehrung durch den Feind zu
bewähren.
So liegt nun auch unsere gute „Seydlitz" Kiel oben, ein toter
Schiffsrumpf, auf dem Meeresboden dort oben in Scapa Flow. Der
Schiffskörper ist tot, für alle Zeiten tot; aber der Geist, der ihn
durchlebt hat, der Geist des alten Horck und Seydlitz, er lebt noch,
er lebt, des bin ich gewiß, in den Kerzen all der Männer, die in
ruhmreichen Tagen auf diesem Schiff gekämpft haben, vier lange
Jahre hindurch. Möge dieser Geist, der augenblicklich zu schlum-
mern scheint, der Geist freudiger selbstloser Aufopferung für die
Brüder, für die deutsche Sache, wieder erwachen und Eingang fin-
den in allen deutschen Herzen, um das geliebte Vaterland aus der
Erniedrigung wieder emporzuführen zu neuer Blüte und zu neuer
Achtung, vor sich selbst und vor der Welt.
„Drauf Seydlitz!"
Dies irae.
Die Sprengung des Limonsgipfels am 23. September 1916.
Don Major d. Ä. G t t o E s d I a r,
ehsm. Gsneralstabsoffizier des 8. u. ß. 11. Nrmssßommandos» Südtirol.
nachfolgende auf amtlichen Unterlagen fußende Darstellung
soll ein Bild jener kühnen Unternehmung geben, die unsere
Truppen am 23. September W6 in den Besitz des wichtigen Limone-
gipfels setzte. Ls ist dies ein Erfolg, wie er nur durch äußerste An-
spannung aller sittlichen und körperlichen Kräfte, durch größte Um-
sicht und Sorgfalt bei der Vorbereitung, mustergültiges Zusammen-
wirken seitens aller daran beteiligten Truppen ermöglicht werden
konnte, ein Erfolg, der in seiner Eigenart geradezu als Musterbeispiel
für die Anlage solcher Unternehmungen im besonderen wie für die
Eigenart des neuzeitlichen, verfeinerten Minenkrieges überhaupt
gelten kann.
Der Gipfel des Limonebergstockes, auf deutsch Lsochleite benannt,
der sich einer Schanze gleich zwischen Busen (ital. pofhta) und
Astlachtal einschiebt, war am 23. Juli von seiner Besatzung —
bloß einer Feldwache der Salzburger 5Z er — vor dem übermäch-
tigen feindlichen Geschützfeuer befehlsgemäß geräumt worden; die
Italiener hatten den Gipfel kampflos besetzt, dies aber nach
ihrer sattsam bekannten Art als großen Sieg in alle Welt ausposaunt.
Damit mußten sie sich allerdings begnügen, denn eine von den Unseren
rasch errichtete Sandsackstellung, quer über den schmalen Grat nörd-
lich des Gipfels gelegt, setzte ihrem weiteren Vordringen ein Ziel.
Diese schmale Brücke von unserer Stellung zum Limonekoxf nmßte
natürlich ein ebenso schwieriges Hindernis für einen Gegenangriff
unsererseits bilden. Diese Angriffsabsicht beschäftigte unsere Füh-
rung stets und ernstlich ; man hatte nie daran gedacht, dem Feinde
die Früchte seines Erfolges unbestritten zu überlassen.
Schon am % August hatte eine kleine Abteilung 59 er in küh-
nem Handstreich den Limonegipfel genommen, ihn aber unter dem
überaus heftig einsetzenden feindlichen Artillerie-, Maschinengewehr-
und Minenwerferfeuer räumen müssen. Das Blut der Braven war
zu kostbar, um es auf diesem verlorenen Posten zu opfern. Maß-»
gebenden Grts entschloß man sich, den Limonekopf zu sprengen.
Limonegipfe!
155
Dieser Entschluß löste umfangreiche und schwierige technische
Vorarbeiten und Studien aus, mit denen der ganze Monat August
ausgefüllt wurde.
Die Leitung der technischen Arbeiten war in guten fänden;
sie war dem von der Einnahme des Panzerwerkes Lasa Ratti rühm-
lichst bekannten und bewährten Sappeuroberleutnant Mlaker an-
vertraut worden. Lr stand vor einer schwierigen Aufgabe.
Die nach dem Aufgeben des Gipfels von uns bezogene vorderste
Stellung war vom Limonegipfel durch einen kaum 3—H m breiten
Grat mit beiderseitigem Steilabfall getrennt. In geringer Entfer-
nung vor unseren Feldwachen und von der italienischen Gipfelstellung
überhöht lag zwischen beiden Fronten eine vereinzelte höhle. Sie
sollte den Ausgangspunkt für den unterirdischen Angriff bilden.
Lin Verkehr dorthin bei Tag war ausgeschlossen, bei Nacht infolge
der großen Wachsamkeit des Gegners äußerst gefährdet. So mußte
denn zunächst schrittweise unter dem Schutze der Nacht aus Sand-
säcken ein gegen Infanteriefeuer schützender, eingedeckter Verbin-
dungsgraben vorgetrieben werden, eine zeitraubende, mühevolle
Arbeit, die zudem der Gegner wiederholt durch nächtliche Feuer-
überfälle — allerdings vergeblich — zu stören versuchte. Denn
innerhalb sO Tagen war der gesicherte Verbindungsgang zur höhle
fertig; nur drei Sappeure waren hiebei verwundet worden. Bis
auf f8 in, fast Aug in Auge, hatten sich die wackeren Sappeure an
den Feind herangearbeitet, dessen Alpenjäger noch einmal ohne
Erfolg einen Überfall versucht hatten.
Noch schwieriger sollten sich die eigentlichen Minenarbeiten
gestalten. Sorgfältige Messungen legten die erwünschte Richtung der
Stollen und die zweckmäßigste Lage der Minenkammern fest. Am
26. August konnte mit dem Bohren des Minenstollens begonnen
werden, freilich zunächst nur mühsam mit Handbetrieb, denn das
hinausschaffen der schweren Bohrmaschine in zerlegtem Zu-
stande aus dem Tal, deren Zusammensetzung und Aufstellung in der
höhle nahm einige Tage in Anspruch. Der Fertigstellung der Bohr-
anlagen stellten sich große Schwierigkeiten entgegen. Die ganze
Maschinenanlage mußte mit Rücksicht auf die ungünstigen Wegver-
hältnisse vollkommen zerlegt, die einzelnen Teile von der Mann-
schaft bis zum Aufstellungsxlatz, der etwa 200 in von der höhle
entfernt lag, getragen werden. Da auch dieser weg zum Teil in
feindlicher Sicht und im Gewehrfeuerbereich der italienischen Posten
war, mußte die Überführung, um Verluste zu vermeiden, mit größter
Vorsicht durchgeführt werden.
So zeitraubend und ermüdend das Verfahren ist, mörderisch für
Muskel und Nerven — es wäre einfach, wenn — wenn eben der
Gegner müßig bliebe. Doch er arbeitet entgegen. Lr miniert aus
seiner Linie ebenfalls — noch schiefer, noch tiefer auf den Angreifer
zu. Er lauscht in seinen Stollen dem wühlen des Gegners und
156
Sedlar
richtet danach die Achsen seiner Brunnen. Ladet der Line die Spreng-
kammern, dann zögert der Andere keinen Augenblick: Lr ladet und
sprengt selbst; die Bollwerke des Feindes, das Werk mühevoller
Wochen, sind in einer Sekunde ein Trümmerhaufen. Darum die
furchtbaren Stunden des nahen Lntgegenarbeitens, die noch schreck-
lichere Spannung vor dem Laden — Stunden, die nie enden wollen.
-----wer zündet zuerst? Ich oder der Feind? werspäter zündet,
ist unrettbar des Todes!------Raschheit ist Alles!
So war's auch hier! Am 3f. August meldete Oberleutnant
Mlaker das erstemal über gehörte feindliche Minenarbeiten. Seine
und der Unseren Arbeitskraft und Wille zum Lnderfolg erfuhren
dadurch nur eine Steigerung.
Am f. September wurde ein feindlicher Angriffsstollen fest-
gestellt, dessen Richtung auf einen Vorstoß gegen unsere Höhle
schließen ließ. Lr wurde durch einen schleunigst vorgetriebenen
Gegenstollen unschädlich gemacht. In fieberhafter Lile nahm unsere
Arbeit ihren Fortgang trotz fortgesetzter bsandgranatenangrisse des
Gegners. Am 6. September wurde der Hauptangriffsstollen genau
unterhalb der italienischen Stellung vorgeschoben, eine von nie-
manden, selbst von Oberleutnant Maker, -erhoffte Arbeitsleistung
war vollbracht; unhörbar, aber unerbittlich näherte sich das Ver-
hängnis dem Feinde.
Die taktischen Grundlagen für die eigentliche Ramps-
Handlung konnten nunmehr bis zum 18. September festgelegt wer-
den. Die Infanterie trat in den Vordergrund. Sie sollte nach der
Sprengung die feindliche Stellung beiderseits des Limonegipfels und
diesen selbst in Besitz nehmen. Dem I. Bataillon der 59 er und seinem
vielbewährten Rommandanten, Major Schad, war die Lösung des
infanteristischen Teiles der Unternehmung übertragen worden, wäh-
rend zwei Rompagnien dieses Bataillons als Rückhalt in und hinter
der Hauptstellung bereitgestellt bleiben sollten, hatte die s. Rom-
pagnie mit einigen Sappeurpatrouillen — ihrerseits wieder in drei
Staffel gegliedert — die eigentliche Angriffskolonne zu bilden.
Nur mit Munition, Verpflegung und dem nötigsten Werkzeug
versehen, hatte die Staffel, zunächst aus dem schmalen Rücken ge-
meinsam vorgehend, die feindliche Linie von beiden Flügeln aus zu
umfassen, auszurollen und das Zerstörungswerk zu vollenden.
Mehr als ein Dutzend Batterien — leichter und schwerer
Raliber — waren zur Niederhaltung des erwarteten feindlichen
Artilleriefeuers, hauptsächlich der italienischen Batterien im Raum Arz
(ital. Arsiero)-Soghe, am Laviojo, Soglio, Großeck (ital. Mt. Lengio),
in der Val di Silva bestimmt. Unauffällig hatte schon lange vorher
das Linschießen begonnen, am Tage der Unternehmung selbst sollte
sich dann das Sperrfeuer um den todgeweihten Raum legen, den
Limonegipfel und dessen Besatzung von jeglicher Hilfe abschließen.
Limonegipfel
157
Indessen nahmen die technischen Arbeiten ihren ungehinderten,
flotten Fortgang. Noch mußte die Sprengmunition herangebracht
und eingelagert, noch mußte verläßlich festgestellt werden, ob der
Sxrengstollen auch genau unter der italienischen Stellung ange-
langt sei. Die Festsetzung des Zeitpunktes für die Sprengung war
ja nur mehr von diesen Umständen abhängig.
Unter den schwierigsten Verhältnissen konnte dank der tat-
kräftigsten und opferwilligsten Mithilfe der braven 59er die Muni-
tion mit einer Raschheit herangebracht und eingelagert werden, die
auch die günstigste Zeitberechnung weit übertraf. Raschheit war
Alles! Ihr war es vor allem zu danken, daß die Sprengung am
23. September nicht allein gerade in dem für den Feind ungünstigsten
Zeitpunkte erfolgen konnte, nämlich gelegentlich der „Ablösn n g",
da die neue feindliche Besatzung kaum in ihre Stellung gelangt, un-
genügend unterrichtet, unvertraut dem moralischen Eindruck ungleich
rascher erlag, sondern daß auch die kostbare Sprengmunition vor
einer längeren Lagerung in den durch die regnerische Witterung
feucht gewordenen Kammern bewahrt wurde.
Aus letzterem Grunde und weil Gberleutnant Mlaker mit
italienischen Gegenminen rechnete, drängten sowohl er als auch
Major Schad auf baldigsten Beginn der Unternehmung.
Am U- September wurde tatsächlich entferntes Minieren vom
Südosthang vernehmbar, am \2. September der Vortrieb eines
Stollens aus dem sich nähernden Klopfen festgestellt. Rasch wurde
sicherheitshalber ein Gegenstollen vorgetrieben, um im Falle der
Annäherung dem Gegner entgegenzutreten. Aber der kam nur
sehr langsam, sehr vorsichtig entgegen. — Raschheit war Alles! —
Gefangene italienische Sappeure haben nachher ausgesagt, daß vom
Gsthang des (Limonegipfels ein Minenangriff gegen die Höhle ge-
plant war. Der Gegner kam zu spät. Er hat sich keine Klarheit über
unsere Absichten verschaffen können, er hat infolge unserer Täu-
schungsmaßnahmen das Laden der Kammern nicht bemerkt, so
wurde ihm der 23. September zum Verhängnis.
Am 20. September früh wurde unter Anwendung jeden Täu-
schungsmittels mit dem Laden der Kammern begonnen und dies
am 22. um 6 Uhr abends beendet. Tags vorher konnte Gberleutnant
Mlaker melden, daß der Sprengstollen richtig liege und die Spren-
gung am 23. erfolgen könne.
Sie wurde für diesen Tag anbefohlen, — der Feind war reif
für sein Schicksal!------
Im Dunkel der frühen Morgenstunden des 23. September be-
finden sich Abteilungen des italienischen Infanterieregiments Nr. f53
und der Alpenjäger aus der Val Leogra im Abstieg vom Timone-
gixfel ins Tal. wenige Stunden zuvor, unter dem Schutze der
Nacht, waren sie vom s. Bataillon des Infanterierregiments Nr. 2)Q,
das gerade aus Schis gekommen war, abgelöst worden. Müde und
158
Sedlar
abgespannt ziehen die Abgelösten den Ruhequartieren entgegen,
plötzlich durchbrechen zwei rasch aufeinanderfolgende Donnerschläge
von furchtbarer Gewalt die Stille des Morgens, daß die Kolonne
stockt und entsetzt aufhorcht. Ächzend und widerwillig hob und dehnte
sich der Berg oben in seinen Fugen, ein kurzer Augenblick noch und
schon durchschneiden zentnerschwere Felsblöcke in rasendem Flug die
Lüfte, schon wird das Jammergeschrei vom (Limonegipfel hörbar,
der völlig verschwunden ist und unter seinen Trümmern die italie-
nischen 2s9er begraben hat! — Ein moderner Dürer'scher Toten-
tanz im Hochgebirge! —
Planmäßig, unerbittlich genau, hatte das Zerstörungswerk ein-
gesetzt. Um 5,H5 Uhr früh hatte Oberleutnant Mlaker selbst durch
einen Druck auf den Knopf des Glühzünderapparates die Spreng-
ladung entzündet, — die Limonespitze war gewesen. Lin unge-
heurer, 22 m tiefer, zirka 50 m breiter Sprengtrichter klafft wie
eine schwere Wunde am Körper der Mutter Erde dort, wo vordem
der Gipfel weithin sichtbar aufgeragt. Ringsum ein wüstes
Trümmerfeld.
Nun hat die Infanterie das Wort. Kaum ist der Donner der
Explosion verhallt, so brechen sie schon aus den schützenden Höhlen
heraus, die 59 er, wo sie auf der Lauer gelegen, einzeln abgefallen,
entlang dem schmalen Grate dem Sprengtrichter zu, den es rasch
zu besetzen gilt. Unerwartete Hindernisse stellen sich den Stürmenden
entgegen. Noch ist die Dunkelheit der Nacht nicht gewichen und
stärker als erwünscht. Unsicher tasten auch die gut Orientierten vor-
wärts, es fehlt ja auch die Bergspitze als gewohnter Richtungs-
punkt; ihre Trümmer haben den Zugang zum Trichter fast un-
gangbar gemacht.
Doch nichts vermag die Braven aufzuhalten. Nasch ist der
Trichter erreicht, rasch ordnen sich die verbände, eine kurze Atem-
pause und schon brechen die drei Kolonnen heraus, sich fächerförmig
entfaltend zum entscheidenden, umfassenden Angriff auf den Feind,
der sich nach der ersten Betäubung aufgerafft hat und vom Südrand
des Limonestocks, an den er sich angeklammert hat, die Stürmenden
mit wütendem Feuer empfängt. Zwei von den drei Kolonnen-
kommandanten, die Leutnants Hayer und Wachtel, sterben den
Heldentod, mit ihnen manch einer der Ihrigen. Aber keine Gruppe
läßt die andere im Stich; im schwierigsten Felsgelände, noch immer
in ungewissem Dämmerlicht, kämpfend und einander unterstützend,
gelingt trotz allem die Umfassung, der Rest der feindlichen Limone-
besatzung streckt die Waffen, — eine neuerliche, glänzende Er-
probung der vielbewährten Kampfestüchtigkeit unserer 59 er.
Es ist 6 Uhr! Unsere Geschütze erheben ihre Stimme, sie
legen Sperrfeuer um den Limone. Noch schweigen des Feindes
Batterien, aber nach kaum 20 Minuten sausen bereits seine eisernen
Gegengrüße vom M. Laviojo und vom Val di Sila zum M. Limone
Limonegipfel
159
hinüber. Zu spät! Ungeachtet der Verluste durch das italienische
Artilleriefeuer hält die Infanterie zähe den gewonnenen Boden
fest, Feldwachen sichern den Rand der Hochebene, vor 7 Uhr früh
ist der Infanteriekampf abgeflaut.
Das feindliche Geschützfeuer aber hält ununterbrochen an, es
steigert sich zwischen 8—\2 Uhr vormittags und am Abend zu außer-
ordentlicher Stärke. Schwere Stunden müssen die Tapferen am
M. Timone nochmals durchleben. Doch sie halten durch. Am Abend,
schon bei einbrechender Dunkelheit, sind die lästigsten der feindlichen
Batterien zum Schweigen gebracht. Alle Feldwachen melden über-
einstimmend, daß sie — trotz aller körperlichen Erschöpfung — sich
im Verein mit der kleinen Reserve im Sprengtrichter jedem Angriff
gewachsen fühlen; aber des Gegners Infanterie wagt keinen Gegen-
angriff. Umsomehr versucht es seine Artillerie, uns den Gewinn
streitig zu machen.
Noch die ganze Nacht hindurch steht der Timonekopf unter
feindlichem Geschützfeuer. Es verhindert den Zufchub warmer Nah-
rung; nur auf ihre kalten Vorräte beschränkt harren sie dort oben
aus, die tapferen Bezwinger des Limone, nur notdürftig gedeckt
gegen den Eisen- und Steinhagel durch das wenige technische Ma-
terial, das vorgebracht werden kann. Erst der frühe Morgen des
2\. September bringt den Braven die wohlverdiente Ablösung durch
frische Abteilungen der 59 er.
Unbestritten ist unser Erfolg. Die italienische Artillerie, deren
Feuer noch den ganzen 2% September hindurch anhält, vermag
daran nichts mehr zu ändern.
Eine reiche Siegesbeute krönt die Tat. Bis zum Oktober sind
H82 Italiener — darunter s0 Offiziere —, 8 Maschinengewehre,
f Granatwerfer, 2 Minenwerfer, 2 Bohrmaschinen, l Flammen-
werfer nebst zahlreichem sonstigem Rriegsgerät eingebracht; unter
den Trümmern aber liegen wohl noch viele begraben. Das h Batail-
lon des Regiments 2$ kann als vernichtet gelten. Mit verhältnis-
mäßig geringem, eigenen Verlust ist der schöne Erfolg errungen.
Genau zwei Monate hatten sich die Italiener des Besitzes der
Limonesxitze erfreuen können. Der 23. September entreißt sie ihnen.
Dies irae, dies illa I Der Lol di Lana ist gerächt!
So sehr aber auch die schöne Ivaffentat als Beispiel eines wirk-
lich heldischen Zusammenwirkens der Infanterie, der Sappeure und
der Artillerie unvergänglich in unserer Kriegsgeschichte fortleben soll,
so sei darüber doch des reinen Menschentums nicht vergessen, das sich
trotz aller unerbittlichen Folgerichtigkeit des Krieges unwiderstehlich
durchsetzt und dem Trauerspiel vom 23. September einen milden,
versöhnlichen Abschluß verleiht.
Unter den Trümmern des gesprengten Limonegipfels waren
Hunderte von Italienern begraben worden, deren Bergung jedoch
infolge des außerordentlich heftigen feindlichen Artilleriefcuers nicht
160
Sedlar
möglich war, so herzzerreißend auch die Klagen und Hilferufe der
verschütteten zu den Unseren herüberdrangen. Nur aus rein mensch-
lichen Gründen entschloß man sich unsererseits zu einem Ersuchen an
das italienische Kommando um einen kurzen Waffenstillstand, um
das Leben der verschütteten Italiener zu retten. Die Parlamentär-
verhandlung verlief fruchtlos, das italienische Kommando lehnte ab
und überließ aus nichtigen Gründen die eigenen Landsleute, die
doch auch nur in Ausübung ihrer Pflicht ein furchtbares Verhängnis
ereilt hatte, herzlos ihrem Schicksal. Gerecht war die tiefe Ent-
rüstung, mit der diese Entscheidung der italienischen Heeresleitung
von den gefangenen Italienern aufgenommen wurde. Sie dachten
menschlicher als diese und erboten sich zur Hilfeleistung für ihre
verschütteten Kameraden.
voll Selbstverleugnung und Opfermut schritten denn die braven
59 er selbst an das Rettungswerk. Sie setzten im feindlichen Feuer
ihr eigenes Leben aufs Spiel, um das des wehrlosen, verschütteten
Feindes zu retten. Noch am 28. September — H20 Stunden nach
der Sprengung — waren Hilferufe hörbar. Bis zum 2. Oktober
waren zirka 90 Italiener — freilich vollkommen erschöpft oder
verwundet — ihrem Steingrabe entrissen.
Nicht nur im Kampf auf der Walstatt, wo im Toben der
Schlacht oft das klare Empfinden der Todesnähe fehlt, hatten sich
unsere Soldaten als Helden erwiesen, sondern auch als selbstlose
Kämpfer im Dienste der Barmherzigkeit und der Menschlichkeit. Fast
höher noch als die glänzende Waffentat steht dieses heldische Sama-
ritanertum.
„Hoch klingt das Lied vom braven MannH wie Grgelton und
Glockenklang — —!" Sie haben sich ewig in unsere Herzen ein-
gegraben und sich ein Denkmal in unserer dankbaren Erinnerung
errichtet, „aere perennius“, die tapferen Helden und die guten
Menschen vom Monte Limone!
Nicht nur der Erfolg, auch das Menschentum war unser!
')Der brave Mann, von dem Gottfr. Aug. Bürgers Lied meldet, daß er in lvelsch-Bern
(Verona) dem Brückenwärter das Leben gerettet habe, war ein deutscher Bauer aus
den sieben cimbrischen Gemeinden, in denen sich diese Kämpfe abspielten. Noch heute
lebt die deutsche Sprache in diesen Gegenden und fast alle Orte haben noch ihre alten
deutschen Namen. Anmerkung des Verlegers.
Schwere Batterie im GroMampf-
Frühjahr 191T.
Don Gbsrlsutnant Dudolf Nieter,
damals Datteriejührer im Mörjsr-Dataiilon 45.
HLnfer Mörserbataillon hatte in Douai in Ruhe gelegen, um nach
■¿4 den schweren Kämpfen an der Somme und den Anstrengungen
der Siegfried-Bewegung für das Frühjahr frisch zusammen-
geschweißt zu werden. Sogar unsere 3. Batterie, die wir seit einem
^ahr nicht mehr gesehen hatten, war aus Rumänien mit einem Troß
von Panjewagen, bulgarischen Zugochsen und einigen leibhaftigen
Türken an der Westfront eingetroffen. Nun mußte es doch endlich
mal Ernst werden!
Die Befehle für unsern Einsatz waren auch recht vielversprechend.
Tatsächlich sollte ein größeres Unternehmen bei Lens stattfinden.
So war die Stimmung der Truppe vorzüglich. Sie war gut aus-
geruht und gut ausgebildet; jeder, dem nach den letzten Verlusten
eine neue Verrichtung in der Batterie zugewiesen war, hatte sich in
seinen neuen Dienst hineinleben können; die meisten waren auf
Urlaub gewesen, der junge Ersatz in die Batterie hineingedrillt,
Pferde und Geschütze waren in bestem Zustand. Und mit dieser
Batterie nun mal endlich wieder vorwärts — das war eine Freude
für Führer und Leute.
Als Stellung wurde uns ein Bahndamm, dicht vor der Loulotte-
Brauerei angewiesen. Es war eine „Gffensivstellung"; damit ist
über ihren Kampfwert für die späteren Tage alles gesagt.
wir bezogen sie, richteten uns für vorübergehende Zeit so gut
es ging häuslich ein, schossen uns auf die zugewiesenen Ziele ein,
und warteten auf das Sturmwetter.
Große Ruhe hatte hier nie geherrscht, aber im Laufe der Tage
wurde es doch noch lebhafter, vor uns, auf einer mäßigen Höhe,
stand weithin sichtbar ein Elektrizitätswerk, und zur Hellen Freude
unserer Kanoniers schoß der Engländer zwei Tage ununter-
brochen auf dieses Unschuldige Gebäude, von allen Seiten, mit
allen Kalibern, in allen Feuerarten.
Das war aber das Zeichen, daß hier etwas anderes gespielt
werden sollte, als wir vorhatten. Denn das eigenartige Feuer gegen
diesen Steinhaufen war nichts anderes als das Einschießen großer,
p. Di«kh u th - 6« rra ch, 3m Felde »nbefiegt. v
162
Nieter
neu eingesetzter Artilleriemassen. Also wieder Abwehrschlacht? Gut,
er soll nur kommen! Hier sind wir stark, er wird sich bei uns die
Zähne ausbeißen.
Für den Batterieführer allerdings eine Sorge insofern, als die
Feuerstellung für einen mehrtägigen Artilleriekampf gegen starke
feindliche Kräfte vollständig ungeeignet war. Mir hatten uns in
den Bahndamm zwar Stollen getrieben, die aber nicht viel Deckung
gaben, und, wie der Fernsprech-Unteroffizier, ein Berliner Junge,
sehr richtig sagte, „ganz leuchtkugelsicher" waren. Sie waren als
Unterschlupf während des Schießens immerhin besser als nichts,
und als wohnraum hatten wir in der Loulotte-Brauerei, die eine
schwere Flachfeuerbatterie sich festungsartig in Beton ausgebaut hatte,
für unsere Bedienung ein „Zimmer gemietet". Sonst war in unserer
Feuerstellung, die etwa 200 Meter vor der Betonbatterie lag, alles
offen wie auf der Bühne und luftig. Die Geschütze standen auf
Holzbettungen hinter dem Bahndamm, nicht eingeschnitten, da für
das Ungetüm bei Berücksichtigung von etwas Drehungsmöglichkeii
die Ausschachtungen zu riesig und verräterisch gewesen wären.
Kein Baum oder Busch vor der Stellung, wenn wir schossen, so
blitzte das steil nach oben schießende Mündungsfeuer über den Bahn-
damm weg meilenweit ins Land hinein. Jedenfalls, wenn Tommy
hier anpackt, so hat er uns sehr bald, und das gründlich. Ls hieß
nun, die Zeit bis zum Angriff auszunützen. Geschossen wurde
fleißig; da aber Nebel war, konnte der Feind die neu eingesetzten
Batterien nicht fassen; die Stollenwände wurden verstärkt, um bei
Treffern doch etwas aushalten zu können, die Munition weit aus-
einander und in Deckungen gestapelt.
So kam das Osterfest heran. Ostersonntag recht ruhig —
aber gerade diese Ruhe wirkte beunruhigend. Die Tage vorher
hatte der Engländer die Gräben vor uns umgeharkt in einer Meise,
daß buchstäblich kein Mensch die Nase aus dem Stollen steckte. Fern-
sprechverbindungen gingen schon seit acht Tagen nur noch nachts
einige Stunden, Heute war es nun plötzlich ruhiger geworden. Stille
vor dem Sturm! Die Nacht gab es einige Gas-Feuerüberfülle und
das übliche Feuer auf die rückwärtigen Straßen, auf denen die Muni-
Lionskolonnen nach vorn kommen. Gegen 3 Uhr werde ich geweckt:
„Kolonne ist da." Die Bedienung wird geweckt zum Abladen; es
muß rasch gehen, denn solange die vielen Pferde in der Stellung
sind, darf bei einem Feuerüberfall niemand untertreten, und bei der
Gasschießerei ist es auch nötig, die Pferde möglichst schnell wieder
herauszuschicken. Das Munitionieren ist bei einer MörserbaLLerie
eine sehr anstrengende Arbeit; das was den Dienst hier schwer macht,
ist weniger die Bedienung des Geschützes — dafür sind eben mehr Leute
eingeteilt — als die Handhabung der Munition. 600 bis 000 Schuß
lagern ständig in der Stellung, in Stapeln zu je 30, diese unserem*
ander 20 bis 30 Meter entfernt. Und das Heranschleppen der
Schwere Batterie
163
Zuckerhüte beim Abladen zu den Stapeln, oder beim Schießen von
den weiteren Stapeln an die Geschütze, ist bei einem 2lein-Geschoß
keine leichte Arbeit. Lin Unterbringen dieser Riesenmassen hand-
bereit dicht beim Geschütz ist nicht möglich, und so schleppen die Ka-
noniere zu viert im Feuer im Gleichschritt die Geschosse durch das
freie Feld, oft mehrere hundert Meter weit. Dabei haben wir auch
immer die meisten Verluste gehabt.
Alles faßt hurtig zu, und ein leerer Wagen nach dem anderen
poltert in der rabenschwarzen Nacht aus der Stellung. Ls ist in-
zwischen 5 Uhr geworden. Ich lasse die Leute sich noch einmal
hinlegen, unterrichte den Sperrfeuerposten — es wird heute sicherlich
etwas geben. Gegen 6 Uhr bin ich wieder draußen. Lin regen-
feuchter Morgen, kaltes, unfreundliches Wetter, der Boden ein un-
ergründlicher Schlamm. Fahl und zögernd meldet sich im Osten
der Tag — es ist noch kein Büchsenlicht. Da... plötzlich, auf die
Sekunde gleichzeitig flammt im Westen weit und breit in zuckenden
Blitzen der bsimmel auf — kein Laut zu hören... in atemloser
Spannung stehen wir mehrere Sekunden und lassen dieses über-
wältigende Schauspiel auf uns wirken; es sieht aus, als ob der
Himmel drüben auseinanderreißt und ein Flammenmeer über die
Lrde schüttet — endlich kommt der Schall herüber, plötzlich mit
ohrenbetäubendem Donnergetöse wie eine Lawine prasselt und braust
das Trommelfeuer der Lngländer los, als ob die Hölle losgelassen
sei. — Jetzt hört man es heranpfeifen und heulen, seine Grüße
schlagen vor uns überall ein. Sehen können wir noch nichts. Jetzt
— der Krach dicht vor uns — die Einschläge... Und nun geht es
ununterbrochen weiter, ein ohrenzerreißendes Konzert: vorn die
aufsprühenden Blitze im Dunkel, hier bei uns das Krachen, das
Heulen und Brummen, pfeifen und Zischen der Geschosse und der
ferne, rollende Donner der Geschütze, unterbrochen durch den dumpfen
Knall einzelner ganz schwerer Geschütze...
„Alarm — Vernichtungsfeuer ganze Front" gellt es durch die
Batterie. Die Lindrücke dürfen wir nicht lange auf uns wirken
lassen, es heißt jetzt schießen, was die Rohre halten können, denn
der moralische Lindruck, den dieses gewaltige Losdonnern des
Trommelfeuers auf Freund und Feind macht, muß zu unseren Gunsten
abgeschwächt werden, das gibt der schwerbedrängten Infanterie und
auch unsern Kanonieren den Rückhalt. Das Kommando war nicht
nötig gewesen, wie elektrisiert waren die Geschützbedienungen auf
den Krach hin aus ihren Höhlen und Kellern herausgeschossen und
an die Geschütze gesprungen, die in flottem Tempo das Feuer gegen
die gewiß mit Sturmtruppen bereits gefüllten englischen Gräben
tabellcnmäßig aufnahmen. An Beobachtung war natürlich nicht zu
denken; einmal waren mit dem Schlage der feindlichen Feuereröff-
nung alle Fernsprechleitungen kurz und klein geschossen, dann konnte
bei dem Meer von Oualm im Infantsriegelände kein Beobachter
11»
164
Nieter
die Schüsse seiner Batterie herausfinden. Das muß deshalb auch
ganz automatisch klappen. An solchen Tagen ist der Artillerie-Be-
obachter vorn ziemlich machtlos. Er kann seiner Truppe höchstens
durch Meldegänger seine Gesamteindrücke zuschicken; das ist bei der
großen Unklarheit, die in solchen Lagen herrscht, sehr wertvoll —
wenn es glückt.
Bis es hell wird, bleibe ich in der Feuerstellung. Ich will meine
jungen Rekruten sehen, die heute ihre Feuertaufe erhalten. Ts ist
ja auch für mich noch nichts zu tun. Mein Gruppenkommandeur
halte mich gleich nach Feuereröffnung angerufen und mir befohlen,
vorläufig das Vernichtungsfeuer auf die Infanteriestellung fort-
zusetzen. Die Zielverteilung für die Bekämpfung der feindlichen
Artillerie, unsere eigentliche Aufgabe als Fernkampfgruppe, würde
mir auf Planpause durch Meldegänger zugehen.
„Flieger!" ruft der Batterieposten. Ich sehe hoch — da, kaum
200 Meter hoch sauft der Engländer mit abgestelltem Motor heran.
„Alles an die Karabiner — Standvisier — Schnellfeuer." Der ist
doch zu unverschämt! Es ist jetzt schon etwas Heller geworden, so
daß wir ihn sehen können — ich glaube aber für ihn zur Beobachtung
gegen die Erde doch noch zu dunkel. Bei dem rasenden Gefechtslärm
war vom herankommen des feindlichen Artillerie-Fliegers nichts
zu hören gewesen. Abgekriegt hat er aber wohl nichts — das wäre
auch Zufall bei seiner Geschwindigkeit. Aber für den Tag heißt es
den Posten größte Aufmerksamkeit einschärfen; denn stellt uns einer
im Feuern fest, dann sind wir erledigt. Inzwischen sollen auch un-
sere Staffeln gestartet sein. Gb es aber heute bei dem Lärm ein
Einschießen mit Luftbeobachtung geben wird, bezweifle ich.
Eben kommt der Meldegänger von der Fernkampfgruppe:
ich soll ein Batterienest bei Souchez unter Feuer nehmen. Sehr
angenehm. Ich habe hier in der Toulotte-Brauerei eine Nahbeob-
achtung für das eigene Infanterie-Kampfgelände, sie liegt ziemlich
hoch — wenn ich auch Souchez im Tale nicht sehen kann (es liegt
hinter der höhenwelle von Givenchy), so habe ich doch von hier aus
einen guten Einschießungspunkt in der Nähe von Souchez im Scheren-
fernrohr: den deutlich sichtbaren Baum auf der Lorettohöhe. Don
hier aus kann ich das Feuer verlegen, und habe das befriedigende
Bewußtsein, trotz der üblen Beobachtungsverhältnisse den Brüdern
drüben tüchtig in die Batterien pflastern zu können. Inzwischen ist
es hell und klar geworden. Starker wind zwar, der die tief flie-
genden Wolken jagt, aber er hält uns den Regen ab, darüber find
wir nicht böse.
von meiner warte aus kann ich das Feuer der Batterie gegen
mein Hilfsziel leiten, gleichzeitig ohne Telefon mit der Stimme die
unter mir feuernde Batterie kommandieren. Alles, was dort vor-
geht, sehe ich. Es ist ein Arbeiten wie im Frieden auf dem Schieß-
platz. Und ebenso ruhig und sicher arbeitet die Bedienung. Nun.
Schwere Batterie
165
so glatt und reibungslos wird es nicht den ganzen Tag weitergehen;
d>er für die jungen Kanoniere ist so ein ruhiges schulmäßiges
Schießen für den Anfang sehr wertvoll; es gewähnt sie an den
ganzen Betrieb, den man beim Exerzieren doch nie so wirklichkeits-
getreu darstellen kann.
Unser Feuer auf das Batterienest, das nach einer Fliegermeldung
an die Fernkampfgruppe gut liegen soll, fällt dem Engländer auf
die Nerven; er will uns heimleuchten. Aber von der Existenz der
Mörserbatterie an dem kahlen Bahndamm, in dieser unmöglichen
Stellung, scheint er doch trotz dem Tiefflieger von heute früh noch
nichts zu wissen. Das Streufeuer, das über die Batterie wegfegt,
stört nicht weiter. Er vermutet den Übeltäter hier in der ihm offen-
bar bekannten Stellung in der Toulotte-Brauerei. Und darauf
setzt er plötzlich einige leichte Batterien an. Ls wird hier ungemüt-
lich. Aber mehr auch nicht; die Batterie hier ist so glänzend einge-
baut, daß sie dieses Feuer ertragen kann. Nichts gibt einer Batterie
ein größeres Gefühl der Sicherheit, als der Gedanke: er meint uns
aber kriegt uns nicht zu fassen! Das nennen die Kanoniere: Tommy
lädt Munition ab! Und es ist ja auch lächerlich, wenn in rasendem
Tempo große Munitionsmassen auf die falsche Stelle gehen. Die
Mörser feuern weiter; aber nach und nach zieht der Gegner immer
mehr Batterien hierher. Erst wischen sie mit ihrem Feuer durch das
Gelände — dann aber kämmt eine unseren Bahndamm regelrecht
ab. „Decken!" Alles verschwindet, die Feuerwelle geht über die
Batterie hin. Nach einigen Minuten „weiterfeuern!" Soweit ist die
Sache noch harmlos. Die Schrapnells, die so schön herangeleitet
werden, können uns nichts anhaben! Aber wie kommt er auf den
Bahndamm? Anscheinend sieht er von der Lorettohöhe unser Mün-
dungsfeuer herüberblitzen. Und richtig: eine mittlere Batterie von
weit her beißt sich jetzt in ruhigem Tempo an uns fest. Jetzt wird es
Ernst. Er schießt mit Beobachtung, Präzision. Aber ehe das Nest
in Souchez nicht mindestens seine 200 Schuß hat, darf nicht abge-
brochen werden. Es geht weiter; liegt das Feuer auf dem linken Teil
der Batterie, feuert der rechte lebhaft, und links wird mal unter-
getreten, und umgekehrt. Das hat man schließlich im Gefühl. Einige
Verluste haben wir: ein Schuß war vor einem Stolleneingang, wenn
man diese Löcher so nennen darf, detoniert, 3 Mann sind verwundet.
Sie werden in den Sanitätskeller in die Brauerei gebracht, in der
Batterie geht es unermüdlich weiter. Das feindliche Feuer war nach
und nach vorn etwas schwächer geworden, um jetzt plötzlich zum
Orkan anzuschwellen. Gleichzeitig sehe ich, wie es sprungweise hinter
unsere Linien gelegt wird. Ein paar Minuten atemloser Spannung,
— da rattern vorn auf der Givenchy-^öhe die Maschinengewehre.
Nun schert mich die Artillerie nichts mehr; in die Kolonnen da vorn
das Feuer hinein! Zu sehen ist hinter der Oualmwand nichts, aber
das ist ja gleich, jetzt in den Vernichtungsfeuerraum hineingepfeffert,
166
Nieter
was die Rohre halten, und ein herumdrücken um feindliches Feuer
gibt es nicht, wenn jetzt die Artillerie ihre Pflicht tut, dann hält
auch die Infanterie. Aber zum pflichttun gehört, daß sie noch da
ist . . . wir, als dem Gegner unbekannte Verstärkungsbatterie, haben
bisher noch ziemlich ungestört arbeiten können; aber die Bodenstän-
digen hat er doch mit seiner Artilleriemasse erheblich zugedeckt, da
ist gewiß manche kurz und klein geschossen, und manche, die vielleicht
nur noch aus einem Rohre feuert. Tatsächlich, er scheint vorn nicht
vorwärts zu kommen. Jedenfalls verraten die unaufhörlich von
jenseits des Höhenkammes aufsteigenden Sperrfeuerleuchtkugeln, daß
unsere Infanterie noch dort liegt. Nun nicht nachlassen, Ranoniere!
Wenn es jetzt auch schon etwas ungemütlich wird, es geht jetzt ums
Ganze. Das wissen die Leute auch selber sehr wohl, und ich freue
mich über die Selbstverständlichkeit, wie sie hier im Feuer ihren
körperlich sehr anstrengenden Dienst tun. Die Stellung fängt
an, wüst auszusehen. Teile des Bahndamms sind abgerutscht; und
das 3. Geschütz ist halb verschüttet; es muß erst wieder frei gegraben
werden; eine üble Arbeit im Feuer, die, wenn es das Unglück will,
sehr viele Rlenschen kosten kann. Stapel von Munition und Leer-
material sind durcheinandergewirbelt, als seien es Rieselsteine, und
vor und hinter der Batterie liegt Trichter neben Trichter. Das ist
in einer Hinsicht ganz vorteilhaft, denn bei dem heranbrausen eines
„dicken Raffers" springen die Leute hinein und sind so leidlich gedeckt;
aber das herantragen der Geschosse auf der Geschoßtrage, die vier
Mann schleppen, wird durch diese starken Bodenunebenheiten recht
erschwert. Zu diesem Dienst gehören die kaltblütigsten Leute, wenn
alles sich decken kann, so müssen sie aufrecht im Gleichschritt über
das freie Feld mit ihrer Last marschieren — fallen lassen gibt es
nicht, etwa wie ein Maschinengewehr beim in Stellung gehen. Die
Leute stehen auch wie die Bäume, es sind kräftige Burschen; freilich
muß hier für häufige Ablösung gesorgt werden. Mit unheimlicher
Genauigkeit schießt der Engländer jetzt auf die Batterie. — ©£> ich
Das Arbeitskommando nicht doch lieber vom 3. Geschütz wegschicke?
Aber nein, wenn es auch vorläufig mit zweien geht; fällt noch eins
aus, dann muß das dritte wieder feuern können, während mir
dieser Gedanke noch durch den Ropf geht — eine ©ualmwolke
beim 3. Geschütz, ein Rrach: Eisen auf Eisen, das ist ein ganz be-
sonders harter durchdringender, scharfer Rrach — Geschrei, Fluchen,
Bewegung, ein paar Leute kaufen aus dem Geschützstand heraus, der
©ualm verzieht sich. Da sehe ich: ein Rnäuel Toter und verwun-
deter; anscheinend hat das Geschütz auch etwas abgekriegt. Ich schicke
rasch zum Sanitätskeller und laufe hinüber, schnell die verwundeten
zum verbinden geschafft, die vier Toten abseits getragen; das Ge-
schütz untersucht: Richtbogen beschädigt — das feuert heute nicht
mehr. Das alles darf das Feuer nicht aufhalten. Und es ist dringend:
während ich in der Feuerstellung bin, ruft mein Hilfsbeobachter
S-bwere Batterie
167
mich wieder dringend auf die warte. Er ist ganz aufgeregt. Zeigt
mir die vimy-höhe: „Da, er ist durchgebrochen!" Donnerwetter, das
ist sehr böse! Ich sehe durch das Scherenfernrohr eine Unterstands-
gruppe, wo bisher Reserven gelegen hatten. Dort ein eiliges hin
und her — Handgranatenkampf, und vom Westen her in dicken
Massen die erdgelben Engländer! Es ist zwar die Nachbardivision,
aber schließlich unsere eigene bedrohte Flanke, und ein Ziel, wie es
sich selten bietet! was wird die Infanterie dort aufatmen, wenn wir
ihr Luft machen! Also 'rumgeschwenkt das Feuer, Entfernung abge-
brochen, und eine Salve in diese Rasselbande gepflanzt. Augenblick-
lich steht dort kein Engländer mehr, alles liegt... so leicht dürfen
sie es nun doch nicht haben; ich Hetze durch die Artillerie-Gruppe
noch einige Kanonenbatterien mit Schrapnellfeuer auf diese Sache
— es ist die reine Hasenjagd. Das ganze spielt sich auf der höhe
wie auf einer Bühne ab. Ich kann es mir nicht versagen, von den
Geschützbedienungen einige Leute herauszurufen, daß sie sich das an-
sehen können — das belebt das Interesse. Der Artillerist sieht ja
sonst nichts vom Gefecht als die feindlichen Einschläge um ihn
herum. Der Kampf dort ist offenbar zum Stehen gekommen, denn
in dem Stützpunkt sieht man nach wie vor unsere Infanterie.
Inzwischen höre ich von der Fernkampfgruppe, daß der Tag
für uns recht unglücklich bisher verlaufen fei. Links von uns sei
der Gegner bis weit in die Artilleriestellungen eingedrungen, habe
sehr viele Batterien weggenommen, es sei fraglich, ob er heute zum
Stehen gebracht werden könne. Bei uns sei er nach dem ersten An-
lauf wieder aus der vordersten Stellung geworfen worden — aber
da unsere Flanke frei sei, müssen wir uns auf ein Zurücknehmen
der Front spätestens in der Nacht einrichten.
Das war gegen Mittag.
Ich hatte am Morgen bereits in das protzenquartier geschickt,
um für alle Fälle meine Alarmbespannung in der Nähe und nicht
2^ Kilometer hinter mir zu haben. Denn ich hatte mit einem Auf-
geben meiner für Abwehrschlacht unbrauchbaren Feuerstellung ge-
rechnet. Daß es gleich so kommen mußte, war bitter. Und die Aus-
sicht, gegebenenfalls hier am Tage beim herausziehen stundenlang
mit den Pferden herumzuwirtschaften, war auch wenig verlockend.
Aber es sollte auch für uns noch etwas schlimmer kommen. Das
bisher auf der Batterie liegende Feuer hatte zwar nicht nachgelassen,
und wenn es uns auch schon Schaden verursacht hatte, so waren wir
nun nachgerade daran gewöhnt. So wurde die Feldküche, die gerade
kam, allgemein mit Freuden begrüßt. Es wurde geschützweise Feuer-
pause gemacht zum Essen holen. Denn ein satter Soldat ist allein
schon eine halb gewonnene Schlacht.
Dieses Küchenfuhrwerk ist eine Sehenswürdigkeit und Be-
rühmtheit bei allen Divisionen gewesen, denen wir zugeteilt waren.
Jeden Mittag, ob Ruhe oder Großkampf war, kam dieses Mägel-
168
Nieter
chen mit seinen winzigen Schimmeln in wilder Fahrt angebraust.
Linen Mittag ohne rechtzeitig warme Rost gab es in der Batterie
seit Jahren nicht, und das ist bis zum Schluß so geblieben. Das
lag an dem Schneid und dem Glück des flehten Fahrers, den üb-
rigens ein Jahr später doch das Unglück traf, und an dem eifrigen
Roch. „Der dicke Dauer" hieß er in der Batterie. Rlein, kugelrund,
immer schmierig angezogen, dabei das Gesicht, wie die Berliner
sagen: „ein Fettfleck", ein martialischer Rnebelbart — so thronte
Dauer auf seiner Goulaschkanone, der Stolz und Renommierkoch der
Batterie. „Giche zur Stelle", mit dieser Meldung schob Dauer sich
zu mir in den Beobachtungsraum, holte aus seiner Mütze einige
Terminsachen, die ihm der Feldwebel mitgegeben hatte, gab mir für
das Schießen einige gute Ratschläge und ging dann wieder hinunter
zur Essenausgabe. Er stellte sich mit seinem Essenträger mitten
hinter die Batterie, 'rief sich nach seiner Liste jeden Mann heran,
und dabei war es ihm ganz gleich, was um ihn herum einschlug.
So hatten wir mal den köstlichen Anblick zu sehen, wie ihm ein
leichter Blindgänger zwischen die breitgestellten Beine fuhr, so daß
er nach vorn überschlug. Dauer balanzierte im Fallen krampfhaft
seinen Kochkessel, setzte ihn vor sich, langte mit der Rette hinein,
erhob sich dabei und kommandierte: „Kapitulanten vor", dar heißt
die Leute, die eine zweite Portion haben wollten. Dauer wirkte auch
heute wieder allein durch seine Gegenwart auf die jüngeren Krieger
äußerst beruhigend; und dann hatten sie auch alle tüchtigen Hunger.
So war die Stimmung glänzend in der Batterie. Alles saß im
Stollen, ein Geschütz feuerte zurzeit, der Gefechtslärm hatte bedeutend
nachgelassen, es schien, als ob das Gröbste überstanden sei. Mir
feuern mit den beiden noch brauchbaren Geschützen wieder auf die
Souchez-Artillerie. Das nimmt der Engländer aber gewaltig übel,
plötzlich wie aus heiterem Himmel kommen vier schwere Granaten
gesaust, schlagen vor uns ein; nach einer Minute wieder vier, hinter
uns; dann vier auf und hinter den Bahndamm, das heißt in die
Stellung. „Feuerpause, alles in Deckung!" Raum ist das Kommando
heraus, da geht es los, in rasendem Tempo 20 — 50 — f00 —
200 Schuß, das Heulen bricht überhaupt nicht ab, ein Krachen im
Marschtempo — und dann noch ein paar leichte Salven dazwischen.
Jetzt ist Schluß, er räuchert uns aus. Da hat es keinen Sinn, wenn
die Leute in diesen schwachen Stollen bleiben; bei dem Feuer weiter-
zuschießen, ist nutzloses Menschenopfer. Mir lausen hinüber, den
Leuten zu sagen, daß sie in die Brauerei kommen sollen, in die beto-
nierten „Heldenkeller". Schon ist es zu spät; ein Stollen bekommt
einen Volltreffer, wird zusammengequetscht, und alles was drinnen
ist, die ganze 8 Mann starke Bedienung ist begraben. Die Schurz-
hölzer splittern wie Streichhölzer. Ausgraben geht jetzt bei dem
wahnsinnigen Feuer nicht; wer das versucht, bleibt liegen. Ungeheure
Eisenmassen hageln über die Stellung, die zusehends ihr Aussehen
Schwere Batterie
169
Verändert und vor unseren Augen metertief geradezu umgepflügt
wird. Der Bahndamm ist als solcher nicht wiederzuerkennen. Das
tz Geschütz kriegt einen Volltreffer, Granaten detonieren stapelweise,
Rartuschen flammen auf in Hellen Stichflammen — ein toller pexen-
sabbath! Auch die Batterie in der Brauerei bekommt noch ihr Teil;
in einem Geschützstand ist die Betondecke durchschlagen. Der ganze
Rlotz bebt und wackelt; Scheiben zerklirren; es ist nicht gerade er-
hebend... „Gas!" Nichtig, auch das noch! wir Mörserknechts
sind aus unserem Quartier in der Brauerei ins Freie gegangen, um
uns die Vernichtung unserer Batterie anzusehen, wir stehen etwa
300 Meter seitwärts, und verfolgen Schuß um Schuß. Jeder Ka-
nonier wacht zärtlich über seinem Geschütz. — Ändern können wir
daran nichts. Da fährt eine Granate beim ch Geschütz unter die
Bettung, reißt sie hoch, es entsteht ein tiefes Loch, das Geschütz neigt
sich zur Seite und bleibt so liegen. Das alles ist bei dem Rauch, der
die ganze Feuerstellung einhüllt, schwer zu erkennen, wir können
kaum die Augen offen halten vor Gasschwaden, wenn wenigstens
Wasser da wäre, daß man nachher die großen Rartuschbrände löschen
könnte, denn wenn das so bleibt, dann können wir heute Nacht un-
möglich mit den Pferden hier hineinfahren. Überhaupt das Peraus-
ziehen der Geschütze wird noch ein Problem werden! Anscheinend
ist beim s. Geschütz ein Rad abgeschossen — dann muß es liegen
bleiben. Das wäre zu dumm, wenn der Tommy noch von uns ein
Geschütz bekäme!
Gegen 6 Uhr flaut das Feuer ab. wir gehen unter Gasmaske
in die Feuerstellung. Ls ist ein wilder Trümmerhaufen. Das ch Ge-
schütz hat einen Treffer auf das Rohr bekommen, das ausgebeult ist,
dann noch die Sprengstücke in den Verschluß, so daß dieser nicht zu
offnen ist. Inzwischen ist ein Rommando daran gegangen, die ver-
schütteten aus dem Stollen auszugraben. Nach einer Stunde liegt
er frei. Ls ist keiner mehr am Leben, die Granate war durch die
Decke in den Raum gefahren, dort detoniert und hat alles, was
drinnen war, buchstäblich kurz und klein gerissen. Die Leichen und
Leichenteile sehen grauenhaft aus. Sie sind nicht mehr zu erkennen.
Ls waren acht prächtige Leute. Nun heißt es die Geschütze zum Ab-
fahren fertig machen, und in der Stellung soweit aufräumen, daß
die Mörser herauskönnen.
Nach einer kurzen Besprechung mit dem Offizier von der vor-
geschobenen Beobachtung, der nach Lintritt der Dunkelheit zur Be-
richterstattung über seine Tätigkeit in die Feuerstellung gekommen
war, gehe ich mit einem Unteroffizier auf Erkundung, um uns die
nach der Rarte vorläufig bestimmte neue Stellung anzusehen.
Unterwegs treffen wir den Führer der Batterie-Munitions-
kolonne; er wollte uns in das Trümmerfeld da vorn noch zwei
Kolonnen voll Munition bringen! Ich weise ihn an, die jetzt ge-
ladene Munition gleich in die neue Stellung zu bringen und dann
mit den leeren wagen nach vorn zu kommen, um das, was dort
170
Nieter
noch brauchbar ist, zu bergen. Die zweite Ladung werden wir ja
morgen doch nicht verfeuern, da wir von unseren drei Geschützen
nur noch eins feuerbereit haben. Die beiden anderen kommen noch
heute Nacht nach Douai in die Werkstatt, und Ersatz kann doch erst
morgen abend da sein.
während unserer Abwesenheit war in der Feuerstellung schon
fieberhaft gearbeitet worden, um die Geschütze flott zu machen; und
die Stellung war soweit gangbar, daß die Gespanne hineinkonnten.
Das Feuer war fast abgeflaut, nur ab und zu kamen unbedeutende
Feuerüberfälle in die Batterie. Die Trichter wurden ausgefüllt —
natürlich nicht alle gleichzeitig. Mit Erde ging das nicht, dann
hätte kein Mörser darüberfahren können, und Steine — von denen
hätten wir einige Waggons gebraucht — die hatten wir nicht. So
hatte sich im Laufe der Zeit die Praxis herausgebildet, eine Menge
Stollenhölzer in einen Trichter zu packen, dann oben darauf ein
paar Wellblechplatten, dann konnte über diese Brücke das Geschütz
hinüber — hinterher wurde sie abgebaut und in den nächsten Trichter
eingebaut. So ging es Schritt vor Schritt langsam aber sicher.
„Sicher" war die Hauptsache. Es mußte alles sehr sorgfältig gemacht
werden. Stand auf der Brücke nämlich ein Rad einige Zentimeter
tiefer als das andere, so war es derartig belastet, daß das ganze
Geschütz sich senkte und auf die Seite neigte. Das war uns in dieser
Nacht beim h Geschütz in der Dunkelheit passiert. Nun hieß es,
mit winden das Rad heben, Bohlen unterpacken, wieder anwinden
— dann rutschte die winde auf dem schmierig-lehmigen Brett aus,
und das ganze Geschütz lag wieder schief! Also wieder von vorn an-
fangen. Das hat allein eine Verzögerung von zwei Stunden ge-
bracht. Um diese Vorarbeiten ausführen zu können, kommen jedes-
mal mit den protzen einige Wagen mit Baustoffen in die Stellung.
Ist alles vorbereitet, dann kommt die Probe aufs Exempel. Man
hofft: diesesmal muß es glatt und reibungslos gehen! Erst noch
den nächsten Feuerüberfall abwarten — die nächste „Abreibung",
wie die Kanoniere sagen —, dann wird der Troß von wagen und
Pferden in die Stellung hineingeholt. Acht Pferde sind vor der protze.
Da es unergründlich tiefer Schlamm ist, auf dem die Lafetten zu
schwimmen scheinen, kommt bei jedem Geschütz noch ein Viererzug
an die Haken der Lafettenachsen. Die Geschütze sind auch schon von
Menschen in mühevoller Arbeit an Langtauen aus ihren Ständen
herausgezogen worden. Je schwerer die Last, um so weniger mit
Pferden arbeiten. Auch jetzt, wo bereits die Pferde vorgelegt sind,
bleiben die Ranoniere an den Tauen. Auf Kommando rucken alle
60 Mann gleichzeitig an, und ist die Karre im Rollen, dann erst
legen sick' die 16 Pferde in die Sielen und mit weithin in die Nacht
hallendem Mordsradau klappert der Mörser mit seinen Radgürtel-
platten los — bis er nach einigen Metern im Schlamm versinkt...
dann geht das Spiel mit dem Losgraben, Hochwinden, Bohlen-Unter-
bauen wieder von vorn an. Für die Ranoniere eine sehr anstrengende
Schwere Batterie
171
Arbeit, da die Pferde hierbei wenig Hilfe bedeuten. Sie sind durch
die dauernde Schießerei an sich schon unruhig, und so ist das gleich-
zeitige Anfahren dieser Riesenlast bei einer so großen Zahl von
Pferden unmöglich. Für den Batterieführer sind solche Stunden
auch unendlich lang. Denn man hat dazu alles, an Menschen und
Pferden, in der Stellung. Man hofft, den richtigen Moment ab-
gepaßt zu hüben, wo das Feuer mal etwas Ruhe läßt. Nun geht es
nicht in der gewünschten weise...
Jetzt geht die Schießerei wieder los. Soll ich nicht doch lieber
alles hinausschicken und eine Stunde warten? Sitzt ein Schuß
drinnen, dann bleibt alles liegen! Aber dann nachher wieder
völlig.von vorn anfangen? lieber wage ich es. Und so wird frisch
weitergearbeitet. Man beobachtet das feindliche Feuer, ob es nicht
doch mal zu nahe einschlägt, oder gar völlig auf die Batterie zu-
wandert.— die Spannung ist erdrückend.
Da... schlägt ein Schuß in einen Munitionswagen, der bei
einem Geschoßstapel auf dem Flügel der Batterie hält. Als sich der
Aualm verzieht, stürzen wir hin: der Wagen ist zersplittert, die Ge-
schosse weit fortgeschleudert, die Pferde stehen zitternd und blutend
da, eins wälzt sich schreiend an der Erde herum — die Fahrer hatten
sich hingeworfen, einer hat eine leichte Kopfverletzung, der andere
einen Splitter durch den Stiefel bekommen, beide sind eigentlich
mit dem Schreck davongekommen. Die Kanoniere waren beide in
das Lrdloch hineingestiegen, um Granaten heraufzubringen. Das
eine Pferd, dem die Eingeweide heraushängen, muß erschossen
werden —----------. Die drei anderen werden nach Hause geführt;
es sind nur unbedeutende wunden.
Das Feuer wird stärker; glücklicherweise geht alles weiter
rückwärts in die nasse wiese, die die Schüsse unter mächtigem
Schlammaufspritzen sang- und klanglos verschluckt. „Immer schieß
man, lieber guter Tommy, dahin sOOO Stück aus einen Hausen..."
sagt Sergeant Sl. aus Gberschlesien. Ich denke: „aber wehe, wenn
dabei der Schlumpschütze 1(50 Meter zu kurz schießt!"
Endlich gegen si bv rattert der letzte Mörser aus der
Stellung. Auf der Straße dahinter wird geschützweise Halt ge-
macht, die Gürtel abgenommen von den Rädern, Rohre ausgelegt
und auf die Rohrwagen geschoben — und dann liegt alles hinter uns.
Die leichten Batterien haben es besser; sie jagen mit ihren
protzen heran, haken ihr 1-0—50 Ztr.-Geschützchen auf und eilen
davon. Hier bei diesem 180 Ztr.-Geschütz ist ein Stellungswechsel
der langwierigste und schwerste Arbeitsdienst, unter großem Menschen-
und pserdeaufgebot, ohne Deckung. Er erfordert für die Mannschaft
große Ruhe und Kaltblütigkeit, und für den Führer nicht minder, da
er für das wohl und wehe seiner ganzen Truppe hier verantwort-
lich ist.
Dann geht es weiter in die neue Stellung, — morgen ist wieder
Großkampftage
Dsv Tod von Vpern,
Herbst 1917.
Don DUlhelm Schreiner.
Flandern!
£Vy*tt hartem Meißel hat die Geschichte von neuem den Namen ins
deutsche Herz gegraben. Tausendfach verschieden ist der Akkords
m dem die Seele mitschwingt, wenn der Klang: „Flandern" an ihre
Saiten hinhaucht; von dem harten Dur stolzester siegfroher Erinnerung
bis zum schrillen und wehen und gebrochenen Klagen bittersten
Schmerzes und Leids. M Flandern, Flandern, welch breiten Trauer-
flor trägt deine Schönheit und deine Geschichte nun — für uns. Und
zugleich strahlt für den, der es erlebt hat, der Glanz trotzigster Tat,
edelsten Siegertums um diesen leidgezeichneten Namen.
Flandern!
Zweimal ward in bitterstem Ringen des Reiches Schicksal dort
von deutschem Heldentum gemeistert. Beidesmal in Herbsttagen.
3m ersten und im vierten Kriegsjahr.
Als im ersten gerbst, noch eh sich die stählerne Westmauer
schloß, zwischen Lys und pser die Bresche drohte, durch die sich der
Feind auf Brüssel zu stürzen und den ganzen Westen rücklings aufzu-
rollen und zusammenzuschmeißen hoffte, da warf notgedrungener
Entschluß die jungen Regimenter deutscher Kriegsfreiwilligen, un-
fertig ausgebildet noch, in die Niederungen Westflanderns. Damals
ward im deutschen Bewußtsein der Name „Flandern" wach. Er wird
nicht wieder daraus schwinden. Und neben ihn zugleich trat der
andere Name und begann sein rätselhaftes Raunen: „Ppern!"
Seine Geheimnisse liegen unter seinen Trümmern. Wir haben die
Stadt nie erreicht. Grade deshalb hört das Ohr aus ihrem Klang
Laute der Sehnsucht, wie wenn einer von einer Ferne spricht, die er
nicht erreichte und einer Krone, die er nie griff. Und doch, wie ward
gerungen um die breite Niederung mit der perle Westflanderns in
ihrer fruchtbaren Mitte. Und wie ward wahr gesungen: „G Ppern,
deine Mauern sind rot von Blut..."! Damals sank die Blüte der
deutschen Jugend unter dem Sensenhieb des Todes. Des Todes von
Ppern. Alte Sage lebte in dem Namen auf und schritt neu gestaltet
Ypern
173
über die opferrauchenden Gefilde. Der „Tod von Hpern" hat sein
Merk getan. Ls war abgesehen vom Ende der menschlich tragischeste
Augenblick des Krieges, damals nur von wenigen geahnt und er-
messen, als Deutschland, um zu leben, seine Zukunft, seine Jugend
in den Tod werfen mußte und es war der stolzesten deutschen
Erlebnisse eins, daß diese deutsche Jugend singend in den Tod
schritt. Begeistert, tatbereit, wie sie sangen: „Hab und Leben Dir zu
geben sind wir allesamt bereit!"
Als ich nach der Gasschlacht im Frühjahr \9\5 zum erstenmal
nach Flandern kam, hatte sich der „Tod von Hpern" in die Trümmer
der Stadt zurückgezogen, Ruhe war an der Flandernfront eingezogen.
Knapp hinter der Linie konnte man im Feld zwischen rotem Mohn und
blauer Zichorie träumen und mit den weißen Molken ostwärts treiben,
der Sehnsucht nach. So ruhig blieb es. Zwei Jahre lang. Nur
selten sprang der zuckende Blitz eines jähen Kampftags aus dem
Gleichmaß der übrigen. Auch die Ruhe freilich ward blutig, dafür
sorgte schon die Eigenart des Geländes. Und der Bogen von Hpern
blieb doch immer ein feindliches Sprungbrett.
* -j-
*
Zm Frühjahr 19!? reckte sich der „Tod von kapern" neu und jäh
empor, gespenstig, riß Hunderte aus berstenden Minenexplosionen
in seinen Arm und führte im Sturmschritt die englischen Regimenter
zum Stoß durch die deutsche Front. Trotz aller Überraschung und
Kraft vergebens! Aber es blieb nur wie ein erstes Atemholen.
Gewitterschwüle lastet über den Geländewellen, umgeistet die pappel-
gesäumten Straßen, nistet in den Unterständen und Dorftrümmern.
Und raunt ein zerrissenes Lied. Drinnen klingt's wie Tubastöße
drohender Schlachten, drinnen schluchzt es wie das Weinen von
Müttern. Die Heere halten den Atem an, gewärtig neuen Ringens
um das deutsche Schicksal.
Und während der Sommer ins Land geht und verglutet, stöhnt
die Erde Westflanderns unter der Wucht eines Granathagels ohne
Ende und bäumt sich unter dem wilden Müten des Trommelfeuers,
das sieben Schlachten einläutet, die einander von Mal zu Mal über-
bieten in Glut und Gewalt. Zum zweitenmal steht in Flandern das
Schicksal Deutschlands auf dem Spiel.
Und zugleich das Englands. Denn alle sieben, vom letzten Juli-
tag an schlug der Brite um ein Ziel: Durchbruch. Das bedeutete
strategisch: Vormarsch; einmal in der Richtung der Küste auf Brügge
und Zeebrügge — dort saß die Ubootspest —, und zum andern in
Richtung Antwerpen, Brüssel — das bedeutete Wiederaufnahme des
großen vlans vom Herbst 1$: Aufrollung der Westfront, durch Bel-
gien zum Rhein!
Dem weitgesteckten Ziel entsprachen die MittelBatterie stand
neben Batterie. Munitionsmengen lagen bereit, die täglich den-
174
Schreiner
selben verbrauch erlaubten, wie er während der Sommeschlacht in
drei Monaten war. Bis ins kleinste hinein war der Durchbruch
vorbereitet, eine Materialisierung des Rampfes von erdrückender
Rein Wunder, daß dem englischen Infanteristen erreicht llbergewalt
darum sein Anteil am Rampf als besseres Gehen einer „Tageslicht-
patrouille" hingestellt wurde; irgend etwas vortreibendes brauchte
der Tommy. Seine Führer wußten freilich, warum sie größte Massen
aufboten, um diese „Tageslichtpatrouille" zu „gehen". <Ls waren
Massen, wie sie selbst Brussilow nicht gegen die deutschen Linien
trieb. Ihre Rampfesweise lag, bis ins Linzslste geregelt, in klaren
Befehlen vor, ihr Zusammenarbeiten mit den bahnbrechenden
Kampfwagen und einer Unzahl von Fliegern war bis ins Kleinste
festgelegt, der Sturm an nachgebildeten deutschen Stellungen hinter
der englischen Front bis zur Bewußtlosigkeit geübt, ein Höchstgrad
der Mechanisierung erreicht, der die ganze Operation zum einfachen
Rechenexempel machte.
wenn nur die verfluchten Unberechenbarkeiten nicht gewesen
wären?
Die wirft der in die Wagschale, der den Geist in sich trägt.
Und das war der Gegner, war die deutsche Truppe. Zermürbt
wähnte sie die britische Berechnung, zermürbt vom Jammer dreier
Rriegsjahre unter dem ständigen seelischen Druck zunehmend schwie-
rigerer Heimatverhältnisse, zernagt von berechneter Zwietracht und
Mutlosigkeit, die mit englandfreundlichem Wasser gespeiste Mühlen
innerhalb der belagerten Burg seit Monden unter die Massen
plätscherten, wozu rollte denn das englische Pfund?! Sie waren
keine schlechten Rechner, sind's nie gewesen, die Briten; den Spiegel
der deutschen Seele trübte manche Molke und ihr reines Bild ver-
zerrte mancher Sturm. Aber noch blieb sie unter der gepeitschten
Oberfläche klar bis zur Tiefe. Bis zum Goldgrund ihres Wesens.
Den hob sie als Schild und stand und litt ohne Wanken. Und siegte.
Im Gluthauch heißester Abwehr stand sie unerschüttert und
siegte, weil sie lebte, verankert im Wesensgrund eines jeden der
Tausende, die ihren Leib dem Tode boten und ihren Rörper dem
Schmerz und ihr Gefühl dem Grauen in dem heißen Atem der Ab-
wehrschlachten. Mondelang schon wälzte sich deren feurige Glut
über die blutsätte <Lrde Flanderns, lange Wochen, aus deren Dauer-
kämpfen sich wie Firne in Weißglut brennend die sieben Großkampf-
tage hoben, ein strahlend Siebengestirn deutscher Treue, deutscher
Rraft, deutschen Heldentums. Truppen aller deutschen Stämme
teilten sich in Last und Lorbeer des Rampfes. Söhne aller deutschen
Gaue trugen ihres Herzens Schlag geistgestählt durch Feuer,
Schlamm und Hitze.
Und schlugen dem Feinde das Blatt seiner Rechnung aus der
Rrämerkralle. „Der Geist gibt den Ausschlag."
Hpern
175
Der Brite besah sich die Rechnung. Sie war quittiert. Leere
Hände aber behielt er, so oft er sie auch vorgelegt. Trichterwüsten
von einer halben Stunde Weite, Trümmerhaufen — einst hießen
sie Langemarck und St. Julien —. Und das war alles? Darum
Hunderttausende vergebens geopfert? Nein, verbissen gräbt der
Henker der britischen Divisionen das Auge in die dunstige Ferne über
den Ebenen Flanderns. Um seinen Mund steht eine starre Falte un-
gebeugten wollens. Ls ist eine weltgeschichtliche Stunde für sein
Vaterland. Noch ist keinerlei Nachlassen der harten Zange des Unter-
seekrieges zu spüren. Bleibt das so, dann bedeutet es für England
in naher Zeit den Offenbarungseid. Darum muß das Nest aus-
geräuchert, Zeebrügge erobert werden. England will es. — Und
ebenso bitter ist die zweite Aussicht: Gelingts der deutschen Tauch-
boote langsam doch Herr zu werden und der umklammerten
Gurgel Luft zu schassen, dann geht der Urieg weiter. Dann
aber nocb mindestens bis in den nächsten Sommer. Zu beenden
ist er dann nicht ohne Amerikas Hilfe. Ulit ihr aber gleitet notwendig
die Führung der Weltpolitik aus der englischen Hand. Wird aber
Amerika die Vormacht der Welt, was nutzte dann England der
Krieg? Drum muß die deutsche Front zerbrochen sein, ehe sie von
drüben zur Hilfe zu kommen brauchen. Zwei Fliegen schlägt so die
Flandernschlacht mit einer Klappe. So oder so. England will es.
Sein Schicksal steigt aus den versumpften Trichtern um Hpern. Seine
Freiheit und seine Vormacht. Nervös zucken die buschigen Brauen
des Generals: „Wenn, ja wenn aus der Flandernschlacht Sieg
wird und Vormarsch" Goddam, es muß. Muß! Muß!
Und darum wirft der Brite immer wieder die Blüte seines
Heeres, seiner Männer in die Flandernschlacht, entfacht die Glut
aufs neue mit Hekatomben nutzloser Opfer. Was kümmert's ihn,
daß nun nach sieben Schlachten noch nicht einmal das erste eng-
begrenzte U n t e r z i e l erreicht ist, nicht einmal die beherrschenden
Höhen Westflanderns zwischen Thielt und Thourout; daß er noch
immer im Hpernbogen steckt. All eins — so muß der Herbst er-
zwingen, um was der Sommer vergebens rang: Durchbruch
um jeden Preis!
Das freut den einen, dem's bei jedem Trommelfeuer wie neues
Leben durcb die Glieder rinnt; denn er gewinnt im grausen Spiel.
Und seine Augen flackern hell in den tiefen Höhlen und seine knöcher-
nen Gelenke federn. So schleicht der „Tod von Hpern" immer wieder
aus den Trümmern seiner Stadt, schweift wollüstig durch die Nie-
derungen und streichelt mit dem Blick des Schlächters die neu bereit-
gestellten britischen Divisionen. Er wittert Blut und schreitet wie
zum Tanz. *
* #
4-
176
Schreiner
3nt Hinterland vergilbt des Sommers Kleid; die letzten Purpur-
farben rafft sich der Herbst vom weg und stopft die Löcher seines
Mantels mit bunten Flicken. Und schmückt sich vor dem Sterben noch
ein letztes Mal zum Fest, verspäteter Mohn glüht noch hier und dort
am Feldrain und flammt mit dem Blättergold um die wette wie
stille Feierkerzen. Hecken und Knicks lohen bunt und satt im klaren
Licht der Sonne, schnellsegelnder Wolken kühlere Schütten laufen
hurtig über das ruhige Land, wie Wellenrauschen zieht es durch die
hohen Pappeln an den Straßen, flirrend drehen sich die astmüden
Blätter auf den Stielen, als schüttle sie das Grauen vor kommender
Talfahrt zu Moder und Fäulnis. Teiche träumen dunkel und still
um zierliche Schlösser, Windmühlen breiten die Arme und helfen das
Antlitz des Landes prägen. Ja, dort hinten, dort lebt noch das Flan-
dern von ehedem.
vorn zwischen den Trichtern zeigt die zerhackte und zerrissene
Erde kein vertrautes Gesicht mehr. Auch von des Herbstes buntem
Glanz haftet nichts mehr da vorn zwischen den Narben der Schlachten.
Kein falbes Grün am weg und Kraterrand, kein rotes Laub mehr
um Ruinen, kein Blattgelb zwischen lichten Ästen mehr. In die
Gde zerborstener Erde streut der müde König Herbst nur seine Herb-
heit, nicht seinen Schmuck; nicht lebensfrohe Farben mehr, nur
Härte und Hauch des Todes. Und wenn er selbst sich auch nicht vor-
wagt in die Trichterzone, die Batterien aus dem Hinterland, das
ihm allein noch sicher scheint, die nehmen seine Botschaft ab und
tragen sie vieltausendfach nach vorn, die Botschaft, unter der die
Erde zittert... vom Sterben... vom Sterben...
Je müder der Herbst wird, um so stärker wird ihr Brüllen.
Doch ist's nur Lcho auf den Klang der Gegenseite. — —
* *
*
Die ersten Gktobertage bringen dem Armee-Dberkommando
der beiden „Abwehrlöwen", Sixt von Armin und seines General-
stabschefs, von Loßberg, von allen Seiten übereinstimmende Mel-
dungen, daß das Unmögliche Wirklichkeit wird und des Gegners
Feuerorkan noch mehr anschwillt. Die achte Flandernschlacht wirft
ihre Schatten ins Gelände.
Der Brite zögert nicht. Denn jeder Tag kann jetzt die Schleusen
an Flanderns Himmel öffnen. Dann droht ihm wassernot; solang
er sich noch immer in die Niederungen schmiegt und nicht zum min-
desten die Bodenwelle von passchendaele erreicht, und durchstößt
wenigstens bis Roeselaere. Mit Britenzähigkeit greift wieder des
Gegners Faust nach nahem, unerreichbar fernem Sieg.
Hpern
Als der vierte Gktobertag sich den Armen der Nacht entwand,
brach das Trommelfeuer von Tausenden von Geschützen aller Kaliber
wie ein wahnwitziger Wirbel über die deutschen Stellungen. «Line
Stunde später duckten sich zwölf neue englische Divisionen zum
Sprung auf die vierzehn Kilometer breite zertrommelte Front. «Line
Viertelmillion frischer Streiter straffte die Sehnen: Durch! lvie ein
glühender Krater hob sich ein neuer Großkampftag aus Flanderns Flur.
Die Verteidiger standen wie angewurzelt, standen und sanken,
standen und siegten. Und wo der Feind zermalmend über sie hinweg-
schritt, warf ihn der Stoß der Kampfreserven.
wieder, wie noch jedesmal seit dem Sommer schälten sich schnell
aus dem Gewirr der Abschnittskämpfe die eigentlichen Brennpunkte
der Schlacht; sie blieben immer die gleichen: Im Verlauf der Straße
Ppern-Thourout bei Poelkapelle und längs der Straße Ppern-
Roeselaere bei Zonnebeke und Becelaere.
Kurze Sonnenblicke aus tiefhängenden eilenden Wolken gaben
den Spähern der Luft scharfe Sicht zwischen den Schwaden von
Dunst und Rauch, die über dem Schlachtfeld hingen und immer neu
genährt vom Boden aufstiegen. Fliegerbeobachtung brachte rasch die
Reserven an die richtigen Stellen.
wild wogten Stoß und Gegenstoß um das Dorf Poelkapelle,
wilder im Süden das Ringen im Polygonwald mit seinen granat-
zerhackten Resten. Erbittert suchte der Brite hinter Zonnebeke das
kleine Stück nach Broodseynde hinaufzukommen, wo das wegskreu;
gute Einsicht bis nach Morsleede hinauf gibt. Selbst hier im steigen-
den Gelände, selbst zwischen den Waldstücken um Becelaere und
Gheluvelt setzte er seine schwerfälligen Kampfwagen an. wie Un-
geheuer der Vorzeit brachen sie aus dem Dunst und schoben sich
über Gräben und Trichter hinüber mit den Bewegungen einer Schild-
kröte. Ihre Schnelladekanonen feuerten vernichtend auf die nahen
Ziele, denen die Abwehrwaffe fehlte.
Aber da brachen durchs Gewirr der Gräben und Granaten
einzelne deutsche Feldbatterien ein. Standen frei im freien Feld und
gaben Vernichtungsfeuer. Die Kampfwagen wendeten, wo sie
konnten. Und blieben noch im wenden liegen. In hohen Stich-
flammen zuckten die Benzinbehälter auf und wandelten die geschütz-
starrenden wagen zu Krematorien ihrer lebenden Besatzung.
Regiment um Regiment setzte der Brite neu ein. Es ging ums
Ganze. Und mit allen Rlitteln: Flammenwerfern und Minen, Ka-
nonen und Gewehren vom kleinsten zum größten Kaliber. Angriff
und Gegenangriff brandeten wild aneinander hin. Mittag war schon
vorüber. In einander verbissen rangen die Gegner mit zäher Wut
ohne Zeitgefühl und Pausen.
Die Wolken jagten schneller. Windstöße fuhren in den Dunst
über den Niederungen, kalt kam die Brise von der See, brachte Regen
und schwoll zum Sturm.
M/ o Dickhuth-Harrach, Im Felde unbesiegt
178
Schreiner
Mit ihm die Schlacht zum Höchstmaß der Erbitterung. Nicht
Regimenter, ganze Divisionen wieder warf der Feind aus Zypern
vor. Im Abendangriff wurden sie nun frontal auf das Ziel des
Tages angesetzt: auf Roeselaere. Aber nicht einmal die Voraus-
setzung für seine Einnahme, der Besitz des Höhenzuges von passchen-
daele, ward dem Briten gegeben. Schon nach dem ersten Kilometer
blieb er zweitausend Schritt vom Grt entfernt unter der Wucht der
Gegenstöße liegen und vermochte nur die westlichen Höfe von
wallemoolen zu behaupten und anschließend an den Windmühlen-'
Hügel das flache Feld von Gravens-Tafel und Rerselaerehoek.
Mit einbrechender Nacht sandte er wieder ins zwei Stunden
entfernte Roeselaere großkalibrige Grüße und legte auf passchen-
daele unerhörtes neues Sperrfeuer.
Ströme von Blut hatte ihm der Tag gekostet, der Deutsche schon
im Ansprung ihm den Fangstoß gegeben. Das Ergebnis seiner acht
Flandernschlachten blieben nach vier Monaten die wenigen Rilo-
meter, die einst im ersten Rriegsfrühling die Gasschlacht innerhalb
acht Tagen drei deutschen Divisionen in die brande gab. Nun
aber sah er die deutsche Armee unerschüttert die Linie ihrer
Stellungen vom ersten Rriegswinter halten.
Und dabei mußte er doch durch; mußte er doch heraus aus
dem Hpernbogen. Mußte stürmen! Bis zum Weißbluten.
Sir Douglas Haigh holte neue frische Divisionen heran, noch
in der Nacht erreichte die fernen der Marschbefehl.
Und wenn sie kamen, entbrannte die neunte Flandernschlacht.
Der Brite konnte nicht locker lassen, er mußte zäh sein. Es ging
ums Ganze, Haigh wußte es.
Aber auch die beiden Abwehrlöwen. Und während Regen und
Sturm übers blutende Feld fegten und die Niederungen Flanderns
in Sümpfe wandelten, setzten sich auch hinter der deutschen Front
neue Reserven in Marsch zur Abwehr kommender britischer ver-
zweiflungsschlachten.
* *
*
Deutsche Reserven I Allzuviele sind nicht mehr da. Und sie
kommen nicht wie die englischen von der heiteren Ruhe rasiger Sport-
plätze, aus Fernen, die kein Kanonendonner mehr erreicht, kommen
nicht satt und genußfroh im Blick auf eine Verpflegung, die den
deutschen Musketieren wie Schlemmerei erscheinen würde. Und sie
gehen nicht wie die englischen für zwei Tage in die Schlacht, um
nachher wieder Wochen zu ruhen und sich zu pflegen in jener sport-
reichen Ferne. Die hier, die die Gsse der Flandernschlachten uner-
müdlich verschlingt, kommen aus Schlacht und gehen in Schlacht.
Dazwischen ein kurzes Aufatmen, Atemholen, so kurz, daß es oft
kaum ins Bewußtsein dringt. <£s ist drum eine weihe der Größe
um alle die grauen Gestalten, die so immer neuen Schlachten entgegen--
sperrt
marschieren, um sie alle, die guten und die schlechten, Wer denen
ein Schicksal lastet, die ein Ziel zwingt.
Das Erleben des Einzelnen gleicht dem von Tausenden seiner
Brüder und dieses tausendfache Erleben, Leiden und Ringen läßt sich
gar nicht anders verstehen und anschaulich machen, als durch die
Darstellung des Scbicksals Einzelner; in ihrem Erleben wird das
ihrer Kameraden erkennbar. So wird's ein weg zum klaren Er-
kennen, tiefem Fühlen und stolzem Erinnern, wenn sich die Strahlen
aus dem Erleben der Tausende wie in einem Brennpunkt, im engen
Lichtkreis eines Einzelschicksals sammeln.
So gehörte zu den heranrollenden Reserveverbänden auch ein
Jägerbataillon, in dessen Geschichte der Name Flandern den brei-
testen Raum bereits einnahm. „Flandern" hieß für die Jäger Kriegs-
heimat. Aber „Flandern" trug auch für sie den schwärzesten Trauer-
rand. von jener ersten Herbstschlacht her durch zwei lange Jahre
und frisch und weh seit den letzten Junitagen.
von Jngelmünster wand sich die Marschschlange der Kompag-
nien auf Jseghem vor. Ein mühsamer Marsch, am Rand der Straße,
auf der sich ständig Kraftwagenkolonnen kreuzten auf dem Wege
von und zur Front. Die Jäger wateten im tiefen Morast und horchten
auf das nahe Brüllen der Schlacht aus der Richtung Morsleede und
passchendaele. Stumm grüßten die „alten" — es waren nicht viele
mehr — so manches Bild am Wege, längst vertraut. Fehlten ja nur
zehn Tage genau, da schritten sie vor drei Jahren... dieselbe Straße
... zur ersten Schlacht. „Lang, lang ist's her"; ja, lange, was
morgen kam da irgendwo ums alte passchendaele, die wievielte
Schlacht das wohl war? Ja, wenn's einer wüßte! Man zählt sie ja
längst nicht mehr...
Regenschauer prasselten auf die Truppe nieder. Schwer zog das
nasse Gepäck und der triefende Mantel, zäh pappte der Straßendreck
an Rock und Hose. Mit jedem Schritt war's, als wollte die fland-
rische Erde einen nimmer los lassen.
Das Bataillon bog in Jseghem auf Rumbeke ab und zog dann
quer durchs Gelände zur Bayern-Baracke bei de Ruider. Das
Marienhäuschen, das einst am Wegekreuz grüßte, lag auch nun in
Trümmern, wie doch Schritt und Tritt den vergleich erzwangen
mit „Damals".
Gerüchte flackerten auf. Die Engländer sollten am vierten bis
jum Bahnhof Morsleede durchgestoßen sein. In dieselbe Ecke gings
wohl wieder, zwischen Morsleede und passchendaele, wo man im
ersten Herbst die Feuertaufe empfing. Ahnend griff die Seele zurück
ins „einst" und aus dem Dunkel trat wieder klar wie selten, der
schwarze Tag an der Windmühle bei Wallemolen, an dem das
Bataillon in jenen harten Kämpfen des opferreichen Freiwilligen-
ansturms aufgerieben ward, heimkehrte mit neunzig Mann von
Achthundertfünfzig.
12*
180
Schreiner
Zug <£<f von der zweiten Kompagnie fand noch notdürftig Platz
in der übervollen Baracke. Der Zugführer empfing die letzten Mel-
dungen seiner Gruppen. Er suchte den Schatten des Schuppens
und Minuten der Ruhe. Mit dem wiedersehen fertig zu werden im
Ahnen kommenden flandrischen Geschicks.
Einsamwerden! Das hatte ihn Flandern bisher noch immer
gelehrt, von jenen ersten herztrauten Kameraden des herbstes
— einer nach dem andern gegangen. Tot, verwundet, gefangen,
wie oft ward er nicht bitter allein in den langen flandrischen Som-
mern darauf. Und wiederum: was an leuchtender Freundschaft der
letzte froststarre Winter in Galizien gebar — zertrommelt brach es
im wytschaetebogen, am bsollebeker Kanalknie zusammen und starb
mit den granatzerrissenen Resten letzten flandrischen Frühlings, wie-
der ward er einsam. Lserzinnerst einsam. Und aus dem sinkenden
Abend mit seinem Donnerton der nahen Schlacht auf den Stätten
schmerzstolzer Erinnerung von einst und jüngst hob sich die Sphinx
von morgen; nicht als Schreckbild, nicht als Schicksal, sondern als
Ziel des wollens, als Aufgabe und Amt. wie anders, härter, tiefer
noch, bewußter, wurden Fühlen, Denken und wollen.
Damals in Begeist'rung erster Schwertliebe —
„Drei Rosen in den Flintenlauf.
Drei Rosen um den Säbelknauf —
Unbändig und vorwogen —;
Von übermütiger Kampfeslust
Geschwellt die steggewisse Brust,
So stnd wir fortgezogen.
Längst hat die Rosen Sturm zerwühlt,
Den Übermut die Zeit gekühlt,
Wir wurden ernst und stille.
Aus jugendlicher Kampfeswut
Ward eisenharter Mannesmut
Und heiligernster Wille."
Purpur glühte im Westen über den Schatten des Landes, im
magischen Widerspiel mit den Leuchtkugeln der nahen Front um
passchendaele. Landeinwärts flammte Feuerschein aus manchem Hof,
den unter Tag das Zerstörungsfeuer englischer Geschütze sich ausge-
sucht. Auch über Roeselaere zuckten Brände und spielten gespenstig
mit dem Rauch, der über der Stadt hochstieg. Täglich schossen die
Briten hinein. Geräuschvoll schlich das Dunkel über die Felder. Auf
unsichtbaren wegen ratterten, in den Atempausen des Feuers nur
vernehmbar, die Autos, knarrten die Achsen schwerbeladener Fuhr-
werke. Nahrung für Rohr und Mann nach vorn zu bringen, ge-
stattete ja nur die Nacht.
Regen und Nebel verdüsterten den nächsten Tag. Die Jäger
waren in ständigem Aufbruch, lagen zwischen den Artilleriestellungen
Ypern
181
bei pottegemsgoed, mußten öfters den Standort wechseln, wenn
Feuerüberfälle zu nahe kamen. Dazu oft Gas, von dunklen Granaten
ausgestoßen, das in der Nässe lange an der Erde klebte. <£s goß in
Strömen. Nächtens tappte <£d mit seinem Zug zur Brauerei von
passchendaele, wo er in der Nähe die „Ruhestellung" von Jäger %
übernehmen sollte. Beim Ramxf-Truppen-Kommandeur im „hohen
Kellersaale" unter den Brauereitrümmern erster Aufschluß über die
Lage. Sie war ziemlich bescheiden. Zunächst blieb die 20. Infanterie-
Division abzulösen. Daneben tropften ständig kleinere oder größere
Trupps von Bayern nach hinten. Mb abgelöst oder nicht, war nicht
festzustellen. Andern Tags bereits wieder Umzug. In ein zerfallenes
Gehöft abseits vom Strichfeuer. Gar ein Gfen fand sich, der den
nassen Windzug im klapprigen Bau abhalten half.
<£d beobachtete unbemerkt seine Leute. Die jungen, neunzehn-
jährigen, letztgekommenen Ersatz, und die rauhen Alten: Familien-
väter, Arbeiter und Bauern; die Mannigfaltigkeit ihres Lebens-
geschicks stand deutlich vor seiner Seele, kannte er doch jeden
einzelnen von ihnen, seine Sorge wie seine Hoffnung.
Freilick, brauchte es ein scharfes Auge und ein gleichgeftaltetes
Fühlen, um durch das Netz von Gebärde und Wort die innere Einheit
ihres Geistes zu erkennen, hinter oft stumpfem Blick, hartrauhem Sol-
datenwort, knorrigem Witz und unscheinbarem zwangsläufigem Tun
glänzte es golden aus der Tiefe, glühte die deutsche Seele — in
heimatlicher Ferne mit ihrer Sehnsucht verankert, von keiner Be-
geisterung mehr wie einstens verklärt, aber bis zur Selbstentäußsrung
zusammengewachsen mit der deutschen Pflicht.
Am dritten Abend nahmen die Essenträger noch einmal Post mit.
Jeder sandte einen Gruß. Sonst blieb die Seele karg verschlossen und
bohrte einsam an der Frage der nächsten Zukunft, wann denn end-
lich?! Nur endlich, endlich einmal vor ins Feuer und schießen und
sich wehren können. Nur nicht dieses Stillehalten länger!
Durch die Ritzen pfeift der Sturm, sprüht des Nachtnebels feiner
wasserdunst. Eine einsame Kerze erstickt fast im Brodem gedrängter
Menschenfülle der Schnarcher und Schläfer. Dem einsamen Schreiber
sinken die Lider. Der Gedanke: „Morgen" stiehlt sich mit in den
unruhigen Traum. Draußen fangen die stählernen Wölfe ihr Gebell
immer lauter an. Nom nahen Einschlag zuckt mancher der Schläfer
hoch.
Nor dem ersten Dämmern schwoll draußen das Feuer zum
Orkan, wirr riß das schlagfertig einsetzende Trommelfeuer die
Schläfer auf! verflucht und zugenäht! Alles schwamm. Die ganze
Bude. Es goß die ganze Nacht. Sauerei einfach. Und erst draußen.
Allerhand! Unten Sumpf und in den Lüften das wilde Heer!!
Tommy mußte was vorhaben.
In den Aufbruch platzt ein Melder: Befehl: „Das Bataillon
begeht die Bereitschaftsstellung hart östlich passchendaele."
Schreiner
182
„In Reihe zu einem" geht Eck mit seinem Zug los. Richtung
passchendaele. Drüberhin ringen die Artillerien in brüllender Wut.
In fahlem Umriß wächst die Welt aus der Nacht im Schein ihrer
Schüsse. Bereitschaft ... . „Und kommst Du, Früh, im blut'gen
Kleid . . . . . bereit! komm' an!
* *
*
Der Morgen kam.
Ein heißer Morgen.
Aus einer Hölle von Trommelfeuer sprang einer wilden" Bestie
gleich an Blutgier und trotzverbissener Wut ein neuer Großkampftag.
Der neunte schon; der schwersten einer.
Im ersten Licht bereits gerieten die Linien ins Fluten, Hundert-
tausende brandeten an. Zehntausende stemmten sich wild der Flur
entgegen; Mann für Mann mit klarem wissen: Es geht um
alles!...
Zwischen dem Houthoulster Wald und Bahnhof Poelkapelle
ward die Lage gefährlich im Massenansturm englischer und fran-
zösischer Regimenter. Fliegerbeobachtung versagte in dem Wetter"
fast ganz. Durchs zerwühlte Gelände hetzten die Meldehunde und
bei den Divisionsstäben flatterte aus heulender Höhe wohl ein ver-
ängstet Täublein, glücklich, zurückgefunden zu haben durch das unver-
standene wüten der Lüfte. Aber die kargen Meldungen gaben doch ein
annäherndes Bild. Befehle jagten durch die noch unzerschofsenen
Drähte, die Reserven quollen aus vereinzelten verbergenden Wald-
stücken und sickerten ins Kampfgelände. Das Ringen an der Lin-
bruchstells kam vorerst zum Stehen. Schnelles Abriegeln zerschlug
dem Feind den vermeintlich schon sicheren Erfolg.
Freilich schäumte englische Übermacht auch sonstwo noch hier und
dort über ein Stück des dünnen deutschen Deichs und drang durch
schmale, engbegrenzte Bresche. Aber sie blieben liegen, überall, im
Abwehrfeuer ungebrochen ausharrender Gruppen und Maschinen-
gewehr-Nester. Die Linie hielt.
Nack raschem Tasten warf der Brite seine neuen Stöße darum
wieder einzig längs der großen Straßen vor. Auf Poelkapelle.
Und auf passchendaele. Gleichlaufend mit der großen Straße,
deren Baumstümpfe- in der wüste immer noch die besten Richtungs-
punkte blieben, steigt das Gelände von Fortuin nach dem Dorf
hinauf in flacher Senke. Zwischen Gravenstafel und der Windmühle
westlich der wallemolener Höfe sperrte nur noch eine dünne Linie
den Anstieg gegen den verbissenen Feind. Dreimal schon, sich im zagen
ersten Licht kaum vom Fimmel hebend, stürmte der Brite von Gra-
venstafel her und von Kerfelaerehoek zugleich. Immer kleiner ward
das Häuflein der Deutschen in den wassergefüllten Trichtern. Nach
jedem vergeblichen versuch des Feindes schmetterte Vernichtungs-
feuer in unablässigen Wellen über die wackeren hin. Ein Gewehs
vpern
nach dem andern verstummte. Und nur ein Maschinengewehr noch
schoß. Und hatte auch alle Augenblicke Ladehemmungen. Die nassen
Gurten klemmten immer mehr und versagten jeden Schuß, Wie oft
nicht wandten sich die Blicke nach rückwärts, wo die stumpfen Turm-
trümmer das Dorf verrieten, wenn die Schwaden des Feuers, dessen
Sperre dazwischenlag, die Sicht freigaben.
In einem halbzugeschütteten Betonunterstand am Fuße der
Grundmauer eines zerstörten Hofes hockte ein Infanterist und arbeitete
schweißtriefend an einem kleinen Erdfunkapparat. Wieder einmal
alles überholt, er wollte nicht. Unentwegt brannte die Birne weiß.
Also hinaus! Die Erdleitung verstärken! Das Bataillon muß doch
zu erreichen sein! Sonst ging ja hier vorn alles zum Teufel! Wäre
freilich schön gewesen, wenn man da hätte sitzen bleiben können in
Numero sicher, aber — ein Hundsfott ward man noch lange nicht
dem Tommy zu lieb. Also! Hart an der Erde kriechend rutschte er
die Drähte entlang, die kreuzweis draußen auslagen. Der eine war
abgeschossen. Er flickte ihn und prüfte dabei die Linie der Kameraden,
die etwa dreißig Meter nach vorn in den Trichtern saßen. Aber,
Herrgott, wo waren sie denn? Tote lagen da, halb im Wasser
oft, kaum daß sich hier und dort noch ein Arm regte und eine Büchse
auflegte. Und dazwischen spritzten in langsam zähem Wechsel immer
wieder neue Einschläge. Eine heiße Blutwelle schoß dem Erdfunker
ins Hirn, wenn noch ein Stoß kam, drang der Tommy durch. Tote
sind keine Linie. . . Im Eifer erhob er sich unvorsichtigerweise, um
schneller zu den Enden der Erdleitung zu gelangen. „Tüit, Tüit"...
„Tüit" zwitscherte sofort von rechts her ein feindliches Maschinen-
gewehr. Er machte eine wegwerfende Bewegung mit dem Kopf
und senkte die Drähte in nächste wassergefüllte Trichter. Und stieß
in trotziger Hast durch die Kse des letzten Endes sein Seitengewehr
tief in die Erde. Das war immer noch die beste Leit-Verstärkung. Nun
zurück. Aber ehe er den Unterstand erreichte, warf ihn der Druck
einer nahen Detonation ans Gemäuer. Nit zerschmettertem Arm
blieb er besinnungslos liegen. Erst das rieselnde Blut brachte ihn
wieder zu sich.
Da sah er den Feind in breiter Linie stürmen. Einsam fiel noch
hier und dort ein müder Schuß der Abwehr. Er raffte sich hoch.
Schrie auf vor Schmerz des zerrissenen rechten Arms. Schrie wieder,
nur um nicht wieder umzusinken und taumelte in den Unterstand. Das
Blut quoll so stark, als sei eine Schlagader verletzt. Er achtete es
nicht. Hastig richtete er seinen „großen Seibt" und schaltete ihn in
den Stromkreis des Sammlers ein. Verklärt leuchtete trotz Schmerz
und Schwäche sein Gesicht: Der Summer tönte und die Lampe glühte
rot. Draußen sprang hier und dort zwischen „Urrahs" das Krachen
einer Handgranate auf. Fliegend vor Eile, die blutende Rechte fest
an sich gepreßt, stellte er den Apparat auf „Senden" und suchte auf
seiner Schalttafel die redenden Quadrate: Und drückte mit der
184
Schreiner
unbeholfenen Linken den Gebeknopf . . . „d—h—o............d—a—1
. . . . d—d—p . . <£r mußte die Augen schließen. Gr sah nichts
mehr. Noch einmal versuchte er, schon im Knieen schwankend, weiter
zu melden . . . „d—" da kam die große Schwäche. Gr schlug laut-
los über seinen Apparat hin. Sekunden später dröhnen auf dem
Betonboden englische Kolben. Der Funker lächelte im Tod.-----------
„h—o . . . a—1 .... d—p . . . ." hörte mit stieren Augen der
Empfänger beim Regiment, riß die Kappe vom Kopf und machte
seinem Kommandeur sofortige Meldung. Drei bsiobsposten auf
einmal. Und eins klar: der Feind war durch. Zwischen ihm und
dem Dorf lagen keinerlei Reserven mehr. Blieb blos zu hoffen, daß
er's nicht gleich merkte, sonst gab es Schlamassel. Aber schon flitzten
die Befehle zu den Reserven. Der erste traf das Zägerbataillon,
das hart östlich passchendaele in Bereitschaft lag.
Die Jäger waren vom Feuer ziemlich verschont geblieben. Zn
aller Ruhe hatte Eck die Munitions- und chandgranatenbestände
seines Zuges nachgesehen, die Leute noch einmal essen lassen. Da kam
der Befehl zum Vorgehen.
* *
* -
Den weg durchs Dorf zu nehmen verbietet die Wucht des
Feuers, das seine Trümmer trifft. Zn vorher schon erkanntem feuer-
armem Streifen vorgehend, erreicht Ecks Zug ohne Verluste die
Straße passchendaele—westroosebeeke. von dort westlich des Dorfes
nach dem Bestimmungsort! Noch decken die letzten Reste von Mos-
selmarkt und zerschossener Busch gegen die Sicht vom Feinde her.
Aber das Feuer greift schon nach den Gruppen. Leutnant Eck wirft
seinen Zug jenseits der Straße in die Einschnitte einer alten Stellung
und längs der Straße in den Graben. Ein kurzes verschnaufen. Das
Gerücht läuft um, der Feind habe bereits den Südrand des Dorfes
erreicht. Als sich die Führer der beiden Gruppen und der zwei leichten
Maschinengewehre noch einmal mit ihrem Leutnant an der bsand der
Karte besprechen, trifft der zurückgehende Regimentsstab die Zäger.
Ein kerniges Wort noch______
Nun auf. Und vor. „Ausschwärmen!"
Zn geöffneter Ordnung erreicht Eck den Rand des Dorfes nach
der Feindseite. Die bsausreste im Grunde, auch Hügel und Felder,
auf denen per Kampf tobt, sind jetzt zu übersehen. Zerstreut sitzen
seine Leute hier und dort schon in deckenden Trichtern.
Schrille Triller. Lang und kurz. Der einzige Befehlslaut,
der sich noch volles Gehör verschafft. Aus. Zetzt gilt's. Eck winkt
die Richtung ein, seinem Zug frei voran. Nun heißt's durch die
Sperre, die der Feind vor passchendaele legt.
Schön ist's nicht. Aber ein Muß! Rechts und links Einschläge.
Erster Eindruck: sie tun uns nichts. Gut so vorerst, wenn auch erheb-
licher Zrrtum. Dritter Zug hat schon Volltreffer. Zetzt auch der
Ypern
185
eigene. Eck zu Füßen rollt ein 'Jäger, wendet sich noch einmal lang-
sam hin und her und legt sich müde zur Ruhe. Die Bewegung der
nächsten wird fahrig, hastig. Das Beispiel der Führer erzwingt
die alte Ruhe. Dem Sperrfeuer ausweichen durch Eile — das gibt's
nicht. Hier heißt's das Herz in beide Hände Nehmen. Die Seele schlägt
das Gefühl in Bann, ganz abhängig zu sein, ganz. Nicht vom
Feind, sondern von Gott. Das läßt hindurchschreiten ohne zu zittern,
kühl bis ans Herz in dem Bewußtsein: Du wirst geführt. . . „Führ'
mich zum Leben, führ' mich zum Tode . . . Herr wie Du willst, so
führe mich . . . Gott, ich erkenne Dich!"
von Zeit zu Zeit ein kurzer Halt. Deckung nehmen sofort! Und
wiederum neu voran. Bereits hat der Feind die Gegenbswegung
erkannt. Das Gelände ist ja wie abrasiert. Eiserner, eigener Hin-
gabe nur gelingt es, den Zug im Trichtergelände zusammenzuhalten,
heilige Ruhe ringt sich im Führer durch: Heut gilt's ... entweder Du
bist jetzt Führer oder nie. Deutlich fühlt er, wie feine Leute auf
ihn schauen, wie sie stocken, wenn er einmal nicht zuerst vorspringt.
Dies wissen ist Glück. Und dies wollen zugleich: Führer zu sein!
Sprung Um Sprung geht es voran. Nun schon der zweite Rilo-
meter im Sperrfeuer und Morast. So, umflattert vom Gifthauch ber-
stender Granaten, umklirrt vom Tod in tausendfacher Form stoßen
die Jäger durch die Sperre vor. Nicht alle mehr, nicht alle. Manch
einen packt der Tod, manch andern zwingt die Wunde. Die lebenden
tauchen kotbedeckt aus bergenden Trichtern und ordnen sich in der
nächsten freien Mulde. Die Sperre liegt im Rücken. Nun wartet
die Tat-
Voraus drang Schritt um Schritt der Gegner durch die Bresche.
Schon hatten seine Spitzen die Reste der Mühle am südlichen Dorfaus-
gang von passchendaele erreicht. Nun zwingt ihn jäh ein hartes
Halt rings in die Trichter. Zum Sprung bereit legen die Jäger vor
den Briten eine lebendige Sperre. Der Gegner steht.
Und der Gegenangriff von zwei Zägerkompagnien springt ihn
an. [Jn der ersten Überraschung wendet er. Hinterdrein in lichten
Trupps die stürmenden Jäger. Lassen nicht locker mehr. Aber die
flachen Stahlhelme Habens eilig. Links voraus die kleine Höhe ist
unbesetzt. Dahinauf winkt Eck seinen Zug. Ein früherer Melder
keucht mit seinem Maschinengewehr vorbei. Ein munteres Wort
seines Leutnants läßt ihn zuversichtlich brüllen: „wir tun unsere
Schuldigkeit", von neuem verschlingt der Lärm alles. Aber der
Leutnant hat ihn doch gehört, diesen knappsten Ausdruck des Helden-
tums des vierten Rriegsjahres. Da droben ist er schon und baut
sein Maschinengewehr auf. war immer ein tüchtiger Kerl, der
Schmidt. Die lichte Linie der Jäger füllt die Trichter auf der Höhe.
Gewehrfeuer flackert auf. Aus Bretterteilen einer alten Stellung
taucht ein Jäger des Schwesterbataillons und ein Unteroffizier von
233. Letzte Reste scheinbar.
186
Schreiner
Der Gegner setzt sich im nächsten Grunde. Eck reißt leine Leute
noch einmal weiter vor. Dort ist besseres Schußfeld und das lsaupt-
feuer, das sich bald auf die Stellung legt, erreicht sie weniger. Aber
die Stellung ist fatal, sobald der Feind die „Stärke" erkennt, die ihn
hier warf. Rechts liegt die Kompagnie dreihundert Meter weit Halb-
zurück, links ist gar kein Anschluß zu bekommen. Und doch ist dies
die befohlene Höhe. Also wird sie gehalten.
Und der Feind besinnt sich auch und sammelt in den Trichtern.
Schon verbessert seine Artillerie ihre schlechtliegenden Gruppen. Zu-
nehmend wird das Häuflein Jäger eingedeckt. Ls geht auf Mittag.
Eck greift zum Meldeblock: „Höhe 300 rn südwestlich Kirche
passchendaele, 9- X- 1?. UA5 Uhr VM. — Ich halte die Höhe bei
sehr starkem Artilleriefeuer. Rechts und links kein Anschluß. Zug
noch 8 Mann mit s M.G. stark. Bitte dringendst um Verstärkung.
Feind 200 in voraus. Soeben erfolgt Angriff. Eck."
Das Maschinengewehr hilft ihm noch einmal niederhalten.
„Schaub! Meldung zum Bataillon — größte Eile! Alles Gute!"
Kaum ist der Melder dreißig Schritte weg, da taumelt er im nahen
Einschlag einer der Granaten. „Schmidt!" Der Maschinengewehr-
Träger kriecht mit zerschossenen Fingern zu seinem Zugführer, emp-
fängt neue Meldung und hastet von Trichter zu Trichter zurück in
den Feuerdunst der Sperre. Die Jäger warten auf den Feind und
auf Verstärkung. Gewehrfeuer auf beiden Seiten unterbricht manch-
mal die Tatlosigkeit. Noch immer birgt sich die Sonne hinter Wolken
und Regenwänden. Am Nachmittag erst strahlt sie ab und zu zag
über das rauchende Feld. Das Feuer wird immer ungemütlicher.
Endlich kommen die andern Kompagnien rechts rückwärts den
Hang hinab vorwärts. Erlösung! Triller: „Zug Eck: Marsch!"
wieder wendet der Feind. Ohne Gegenwehr. Etwas schien nicht
sauber. Das Gelände stieg bald wieder etwas. Anschluß nach rechts
ist da, links fehlt er noch immer.
Engländer dicht voraus! „Seitengewehr pflanzt auf!" Die
Leute sind kaum zu halten. Der Stahl blitzt auf. Drüberher über den
lauernden Tommy! wie eine Welle schnellen die Jäger nach vorn.
Iäh> Erkenntnis überfällt den Führer. Mit Aufbietung aller
Mühe gelingt's, die Leute auf achtzig Meter zum galten zu bringen.
Schnell das Maschinengewehr auf den linken Flügel. Und jeden
noch nachkommenden Mann. Dort überragt der Gegner die eigene
Linie weit, wär's zum Handgemenge gekommen, er hätte die ganze
Front der Kompagnie seitwärts aufgerollt.
Nach einiger Zeit treffen zwei auf Schmidts Meldung auf den
Zugabschnitt Ecks angesetzte Verstärkungszüge ein. Nun endlich ge-
lingt der Anschluß an 233. Die Stimmung ist gehoben. Man hat
doch was geschafft!
Leutnant Eck liegt mit seinem Burschen, im Wasser bis über die
Knie, im Trichter eines 2f ers. Der jAatz ist ausgezeichnet, nach Süden
I) pern
Md Norden Sicht. Und rückwärts auf das umlohte passchendaele.
Fern brennt die Schlacht im Norden wie in Weißglut. Deutlich ist
an den Einschlägen.und Schrapnellwölkchen der Frontverlauf aus-
zumachen. Poelkapelle unter deutschem Feuer bereits. Die eigene Linie
klebt arn Südrand des Houthoulster Waldes. Ein Hexenkessel brodelt
da oben.
Eck schiebt sich vorsichtig mit dem Glas über den vorderen Rand.
Nach kurzer Umschau weiß er Bescheid. Links seitwärts fliegt zuckend
die Erde auf, längs der nahen großen Straße nach Zonnebeke—
Ppern, unter den ständigen Einschlägen zwischen den trauernden
Stümpfen der einst so stolzen Pappeln. Wie gut er die kannte. Und
hart hinter ihnen die zerfetzten Reste des Waldstrichs, wo er noch im
Juni auf blühenden blumigen Waldwiesen im Schatten alter Gipfeln
mit den toten Freunden lag. Damals — in den Tagen der Armee-
reserve kurz vor Zandvoorde. Das Glas wandert nach rechts.
Stumm und traurig nickt der Zugführer im Erkennen. Das hatte
er erwartet. Da hoben sich, nur dem vertrauten Auge noch kenntlich,
ganz nahe dort rechts voraus, die Trümmer auf dem Windmühlen-
hügel, der vor drei Jahren schon einmal die 2^ er Jäger sterben sah.
Schon einmal! Und heute lag dasselbe Bataillon nun hier im
neuen Ansprung.
Britisches Blei flatfcht in die feuchte Erde neben ihm. Eck duckt
sich wieder nieder. Die Gedanken bleiben da draußen, am Wind-
mühlenhügel. Und grüßen die Taten, von einst. Und denken der
Taten-von heute. Und morgen?
% Meldungen kommen.
Eck wirft sich und seinen Zug gegen fünf Uhr nachmittags vor,
bringt auch seine Maschinengewehre an den Feind heran. Aber rechts
scheitert der versuch, den Gegner aufzurollen. So müssen sie auch
links zurück. Auf dem Bauch. Die Briten sticht jetzt der Hafer.
Na, wartet nur!
In, Trichter von vorhin stöhnt Friedrich. Eine Schrapnellkugel
hat ihm Mund und Backe zerrissen. Aber nur Fleischwunde, wenn sie
auch stark blutet. „Geduld, Friedrich" — schreit ihm sein Leutnant
zu. „In einer Stunde gibts Gegenangriff von drei Regimentern,
sobald wir die Bande schmeißen, schaffen Sie sich zurück."
Sobald . . . Schon schwillt das deutsche Artilleriefeuer an.
Die Viertelstunden rinnen. Der Befehl läßt Ecks Zug Entschluß-
freiheit, ob er mit vor will. Allemal. Selbstverständlich. Wie selten
gab der Krieg Gelegenheit, im Angriff seinen Mann zu stehen.
Also geht's mit vor; die Gelegenheit ist günstig.
Da. Die Jäger horchen hoch auf. . . von rechts hinten. . .
Sturmsignal. .7 Die Kameraden! ... Angriffssicher und regel-
mäßig. Ein Bild, bei dem das Herz aufjauchzt. Auch an der großen
Sttaße steigen die Stürmer aus den Trichtern. Alle Fibern gespannt.
warten die Jäger auf des Führers Signal. Zu beiden Seiten lockt
der harte Rhythmus der Sturmhörner.
Schon schrillt die Augführerpfeife.
„Also Friedrich! . . . Leben Sie wohl! Und grüßen Sie ... die
Heimat!" Augenblickslang umklammern sich hart die Hände. Die
Antwort des Burschen trifft den Leutnant schon nimmer. Eck ist
feindwärts verschwunden, hinterdrein stürmen seine Jäger. In-
fanterie, 2\0 er, folgen dem Feinde dicht auf, hier und dort gemüts-
ruhig mit „Gewehr über". Zäh sucht der Schlamm die Stürmer auf-
zuhalten. weiter! weiter! von Welle zu Welle wird der Brite
zurückgeworfen. Die Bewegung kommt zum Erstarren, als der Abend
niedergeht. Der Befehl ist erfüllt, das Sturmziel erreicht. Ja, die
alte Deutsche Stellung ist stürmend überschritten.
Die vorpreschenden Züge müssen zurückgeholt werden, sie laufen
ins deutsche Artilleriefeuer hinein. Zwischen Bretterresten und
Trichterketten suchen sich die Jäger untermischt mit bald wieder aus-
scheidenden 2\0ern ihren Schlupf. Die Trichtergründe sind Wasser-
lachen. In die Mäntel gehüllt schmiegen sich die dunklen Männer
an die flachen Ränder. Rauher Sturm fegt über sie hin und kältet.
Die Zähne klappern vor Frost. Das Feuer ebbt ab. Es wird ruhiger.
Nur das Fernfeuer bleibt und über die Linien ziehen die Granaten
ihre tönende Bahn und suchen ihr errechnetes Ziel. Brände schwelen,
wo sie berstend versprühen.
Eck liegt mit dem RTÄen an die vordere wand eines Trichters
/irts ^ vn umS m »4- StA s All*
Ypern
189
Da liegen tausend, abertausend Brüder meerwärts und bis zum
Douvegrund hinunter, gleiches Erleben «in den übernächtigen Augen
und in den Seelen gleichgemünztes Gold, wie die paar Mann von
meinem Zug.
Da dehnen ungeheuer sich die Fronten in Raum und Zeit, und
überall und immer ringt in dem kleinen eignen Vorfeld stück der
Irrsinn mit dem Edelsinn des Krieges.
Der Irrsinn hämmert unbarmherzig an all den Tausenden; und
zerbricht doch die Seelen nicht. Er selbst zerbricht, ist endlich wie
die Zeit.
Der Edelsinn, der ihre deutschen Seelen demantgleich vollendet
und härtet, der hat Ewigkeit.
Und aus den Weiten feuerdurchlohter Nacht kehrt der Gedanke
wieder rückwärts zum eigenen Zug.
Eck macht sich auf und kriecht die Linie lang; Fürsorge will's.
„Seid sparsam mit der eisernen Ration." Er ahnt, aus Stunden folgen
Tage des Abgeschnittenseins. Wohl knurrt der Magen, ging's doch
fast nüchtern früh ins Feuer, doch „sparsam, Leute!"
Die Nacht geht hin. Die Jäger warten auf Befehle, die nicht
kommen, verwundete stöhnen im Vorfeld.
* *
*
Aus Kampf mit Nebeln und Nacht ringt sich die Sonne.
Infanterieflieger surren über die Trichter und stellen die Linien
fest, wie täglich fällt das Feuer rings ins Hinterland. Die Jäger
bleiben unbehelligt.
Im nüchtern klaren Licht des Morgens starrt die herbe Bitterkeit
der Sturmverluste sie schmerzend an. Und legt ins Ahnen ums eigne
Schickfsl einen dunklen Flor.
Etwa dreißig Meter rückwärts der Linie, am Fuße der Grund-
mauer eines zerstörten Hofes fanden sie einen halbverschütteten
Betonunterstand. Ein Toter lag darin, über zerschlagenen Apparaten
verblutet. Sie schafften ihm Ruh und hocken selbst bald in dem
sichern Schutz. Nur mal ungestört ein paar Stunden schlafen! Und
warm in der gedrängten Fülle.
Der Tag vergeht. Die Lage bleibt wie sie war. verzweifelt,
wenn der Tommy angriff. Er griff nicht an. Noch nicht.
Drunten um kapern aber staffelte er seine Batterien neu. Auf
dem wall am Kanal, am Bahndamm stand Rohr so dicht an Rohr,
daß sich die Achsen berührten. Ein riesiger, dreifacher Feuerring um
die Stadt. Die neuen Artilleriegruppen schossen sich ein. Und vom
Westen schoben sich frische feindliche Divisionen heran. Immer näher.
Übermorgen!
Hinter den Jägern aber wurden in der nächsten Nacht die
Nester der Maschinengewehre leer. Zwar kamen zu dem ganzen Rest
190
Schreiner
der Kompagnie von 25 Mann noch nächtens J6 Mann Verstärkung.
Tropfen warens doch nur, notdürftig konnten die Lücken der eignen
Linie gefüllt werden. Aber nicht mal nach rechts zu Jäger l.6 konnte
die Leere überbrückt werden, geschweige denn ncrch links hinüber,
auf Gravenstafel zu, wo fünfhundert Meter immer noch niemand
stand. Aber nach neunstündigem Marsch und Irrweg treffen die
treuen Essenträger ein. von Ablösung freilich keine Rede. Das ist
deutsches Soldatenlos. Die Jäger beißen die Zähne zusammen. Stahl
füllt die Adern und die deutsche Pflicht restlos ¿}trn und Herz. . .
Ein neuer Tag geistet in Nebeln über Flanderns Kampffeld
und legt für neue lange Stunden Gefühl und willen auf die Folter;
das junge Licht schält aus der fahlen Dämmerung des Morgens
hohlwangige Gesichter, die trotzig aus tiefliegender Augen Glut
die Sonne grüßen: was kann der neue Tag uns bringen! Aber die
Sonne birgt sich zag und wagt keine Antwort. Der Tag wird wie
sein Bruder, wie gestern erscheinen die Flieger. Auch ohne ausgelegte
Tücher sieht die Kamera, wo Freund, wo Feind die Trichter füllen
.... und wo die Lücken klaffen in der Linie. Auch der Feind hat
Augeir
Aber der ruhige Tag läßt hoffen, glücklich in die Nacht zu
tauchen. Dann muß ja doch Verstärkung die Lücken schließen rechts
und links. Schon ward der Tommy lebendiger, wo nur ein Zipfel
grünen Tuches vorlugt, schnattert das englische Maschinengewehr
hin, das sie links voraus im Gehöft eingebaut. In ganzen Flug-
staffeln sucht sich der Feind Einsicht in die Karten der deutschen Ver-
teidigung zu erzwingen. Aber Fokker und V.G.-Maschinen drücken
ihn immer wieder ab. Über Zandvoorde flutet eine Luftschlacht.
An achtzig Maschinen stehen dort am Himmel. Und rückwärts liegt
von Stunde zu Stunde immer stärkeres Feuer.
wie manchmal trifft sich Eck bei dem Gedanken, dem heißen
Wunsch: Stände doch einmal nur unsere Artillerie in gleicher
Materialstärke den Briten gegenüber. Dann! Dann! Aber das ist ja
die Tragik, wie des alten Fritz, so von heute; immer in materieller
Unterlegenheit zu fechten. Doppelt darum wertet das Geschick den
Geist. Er bleibt Notung in deutscher Faust. Eck wußte, wie schwer
die deutsche Artillerie im Ringen stand. Nun zunehmend mit fort-
schreitender Nacht. Und vors Auge trat ihm wieder jenes Bild von
Tagen vorher, wo er im Dämmerlicht am Rande eines Ehren-
Friedhofs die in Bereitschaft zusammengeschossene Batterie sah, deren
Kanoniere sich vor dem Regen geschützt hatten durch übergelegte
Sargbretter aus den von Granaten umgewühlten Gräbern, wie
sie faßen und lagen hatte sie der Gastod gefaßt. Dazwischen die Reste
von herausgeschleuderten Toten von einst. Nun gipfelt auch heute
wieder das Feindfeuer allmählich dem Trommeln entgegen. Hin-
durch kann keiner.
So bleibt das Häuflein Jäger wieder vorn allein. Die Nacht ist
finster, keine zwei Schritt Sicht.
sperrt
191
<£cF kriecht zu seinem Zuge vor. Die Nacht muß er ganz
bei seinen Leuten sein. Unheimlich, diese feuerlosen Tage! Und nun
die Nacht, die eine Hölle um passchendaele legt! Zhm ahnt des Fein-
des Absicht. Und der Ausgang. Lin neuer harter Herbst.
Hundekälte starrt die Glieder. Je näher der Morgen ist, desto
mehr. Aber das Herz bleibt warm, die Seele rein und stark. Un-
gebrochen wohnt das Glück in den Augen, die heute nicht nach Ster-
nen suchen gehen. Und doch wissen: sie sind da, und doch wissen:
„Der die Sterne lenket am Himmelszelt, der ist's, der unsre Fahne
hält. . ."
vergebens versucht der Wille den Gedanken neue Wege zu
weisen. Sie springen schrankenlos ins Umfeld und halten ahnend
Ausschau nach dem aufdämmernden Morgen und seiner Schickung!
Aber den Willen erschüttern sie nicht.
Die Stunden schleichen. — Lndlich zieht der Morgenwind dem
jungen Tag die Binde von den Augen . . .
Und wie ein Wirbel senkt sich plötzlich nun des Gegners Trom-
melfeuer vorn auf die Trichterstellung. Und rast und würgt
. . . wie Stunden rinnen die Minuten. . . Der Tod ist losgelassen . . .
lichter wird die dünne Linie . . . starrer . . . stiller. . .
Flammend stehen wie Fanale in der Dämmerung des Mor-
gens die Minenexplosionen und düster wie die Nacht die Granatein-
schläge zwischen den versumpften Trichtern.
Starr und still liegt die Linie. Line Stunde schon wütet der
Grkan. wie Höllenatem zittert das Feuer der Briten über den
Trichtern und über den Toten.
Und schweigt.
Und über den Rand der Bodenwelle wirft sich der Brite.
Massen brausen wie Sturmflut daher und branden an die Stellung.
Noch wehrt sich ein wunder Rest, wie Notsignale in wirbelnder
Strömung springen vereinzelte Schüsse hoch; wie Planken eines
Wracks, die die See noch einmal hochreißt, vereinzelte Hand-
granaten bersten. Aber die Flut greift um die deichlosen Flanken
und brandet ungehemmt über die Trichter und über die Toten und
schlägt zischend und erstickend über den letzten Lebendigen zusammen.
Und spritzt schäumend durch die Bresche ins Hinterland.
Auch diese Flut ist zerschellt; am Damm der ersten Reserve, die
sich vorwarf. Jede zerschellte so, solange der deutschen Seele Gold-
grund rein blieb. Und so löste in Flandern ein Großkampftag das
heiße harte Ringen des andern ab. Line Truppe die andere. Har
und härter ward der Herbst. Aber durch fein Rot leuchtete das
Gold unzerbrochener deutscher Seelenstärke, nicht wankender Treue,
ungebeugter Männer Kraft.
Und in dieses harten Herbstes Glut schrieb ehern der Griffel
Geschichte kündender Heeresberichte:
„Das Heldentum der deutschen Truppen in Flandern wird durch
nichts übertroffen."
Der Adler des Weißen Meeres
von Hauptmann a. D. Georg Heydemar<L,
damals Führer der Fliegerstaffel Drama (Vorkommando Flieger-Abteilung 30).
I. Eschwege!
/Hs-achdem ich ein Jahr an der Westfront und zwei Monate in
Südserbien geflogen war, wurde ich zum Führer der deut-
schen Fliegerstaffel bei der 2. bulgarischen Armee in Griechenland
ernannt.
Der Adjutant beim Kommandeur der Flieger wies mich in das
Feld meiner neuen Tätigkeit ein.
wir faßen über die Karte gebeugt.
„Ihre Staffel fliegt für das XX. türkische Korps und für die
fO. bulgarische Weiße-Meer-Division, Stabsquartier Drama. —
Eiter, dicht bei der Stadt, ist auch Ihr Flughafen."
Ich sah mir die Karte an: alte Schul-Trinnerungen! — Welt-
geschichte : zwischen der Stadt und dem Meere breitete sich das
Schlachtfeld von Philippi. Da, in der Ägäis, lag die Insel Thasos.
Und dort, auf dem östlichen Finger der Thalkidike, steilte sich der
Fslskegel des Vorgebirges Athos.
Oberleutnant Rittau fuhr mit der kfand über einige tausend
Quadratkilometer.
„Ihr Aufklärungsstreifen!"
Ich maß die Front aus: zu Land hatten wir vor der Struma-
front einen Streifen von rund 60 lein Luftlinie. Dazu kam noch
der Küstenabschnitt bis Zur Meßta-Mündung mit 80 km.
Ich nickte.
„Zusammen s^0 km Front für drei Aufklärer! — Tin bißchen
reichlich!"
Rittau lachte.
„Kann nichts helfen! — Mehr ist nicht da! — Außerdem
haben Sie noch einen Kamxfeinsitzer."
Ich wies auf die Karte.
„An der Landfront drei englische Flughäfen — am Meer zwei!
— Und wir haben einen Kampfeinsitzer!"
Der Adler des Weißen Meeres
193
Da lachte Rittau wieder:
„Ja! — Aber dieser eine ist Lschwege!"
* Jfc
*
Och setzte mich auf die Bahn und fuhr nach Drama. Linen
Tag brauchte ich bis Sofia. von dort aus eine Nacht und einen
Tag und wieder eine Nacht bis Drama.
Ich fuhr mit vier bulgarischen Offizieren zusammen, die ihr
Brot und ihr Fleisch und ihren Landwein mit mir teilten.
Als ich ihnen erzählte, daß ich zu den Fliegern nach Drama
ging, da strahlten sie: „Ah — zu Lschwege!"
Und dann erzählten sie mir von ihm. Gestern erst hatte der
bulgarische Heeresbericht seinen vierten Luftsieg gemeldet. Den
zweiten hatte der bulgarische Kapitän selbst mitbeobachtet. Aus-
führlich erzählte er davon.
„Lschwege — der Adler des Weißen Meeres!"
Dieser Name ist ihm dann geblieben.
* *
*
II. Ein Luftsieg über See.
Ls war im Mai.
Ich war gerade vom Flug zurückgekommen und schrieb meine
Meldung.
Da klopfte es, und Angeloff, unser Dolmetscher, trat ein.
„Line — eine g—gr—gro—große N—Neuigkeit!"
An seinem Stottern sah ich, daß er in gr—großer Aufregung
war. Denn sonst sprach er ganz leidlich deutsch. Und an seinen
strahlenden Augen sah ich, daß diese Neuigkeit gut war.
„Na, nun erzählen Sie langsam — dann gehts nämlich
schneller!"
Lr setzte noch einmal an und dann schoß er heraus:
„Lin deutsches Unterseebot!"
Ich warf meinen Bleistift auf den Tisch und sprang auf.
„Lin deutsches Unterseeboot? — Das ist fa herrlich! — Und
wo? — On Kavalla gelandet?"
(Das war nämlich unser Herzenswunsch!)
Angeloff schüttelte den Kopf.
„Nein! — Ls. ist auf dem Bahnhof!"
Om ersten Augenblick kam mir ein Lachen. Aber dann über-
legte ich: vielleicht war es auseinandergenommen und sollte nun
in Kavalla zusammengesetzt werden.
„Also nur die Stücke für ein Unterseeboot!? — Und woher
wissen Sie es denn?"
Ls kränkte mich, daß wir, die es schließlich doch auch mit an-
ging, noch nichts davon wußten.
v. Dickbuth-Harrach, Im Felde unbesiegt.
13
194
heydemarck
„Man spricht in der Stadt davon!"
Aha — die Sache war wieder so geheim, daß wir deutschen
Flieger nicht einmal etwas davon erfahren durften — aber die
ganze Stadt wußte es schon wieder! Geheimhalten schien es hier
unten auf dem Balkan überhaupt nicht zu geben.
Ich schwang mich aufs Rad und sauste zum Bahnhof. Im
Fahren überlegte ich mir: ein Unterseeboot in Ravalla zusammen-
setzen? Das war natürlich eine Ente! Das konnte unsere Marine
ja viel einfacher haben: Zersing war ja schon im vorigen Jahr
von Zeebrügge bis Ronstantinopel gefahren!
Immerhin — etwas mußte wohl an dem Gerücht fein! So
wollte ich mir wenigstens einmal die Mücke ansehen, die der Stadt-
klatsch schon in wenigen Stunden zum Elefanten hatte anwachsen
lassen.
Und: es war wirklich so!
Das Unterseeboot entpuppte sich als eine große Motorbarkasse
vom deutschen Minen-Sonder-Rommando Bulgarien.
* -ft
Im Morgengrauen des 20. Mai klang von der See her Ka-
nonendonner in unseren Schlaf. — Ich griff zum Fernsprecher, der
neben meinem Bett stand, und befragte mich.
„Line englische Flotte beschießt den Hafen von Ravalla!"
Das galt unserm deutschen Minenkommando!
„Bitte, Verbindung mit Leutnant v. Lschwege----------Morgen,
Lschwege! — Wissen Sie schon Bescheid?"
„Jawohl! — Und eben bekomme ich von der Fliegerzentrale
Nachricht, daß die Schiffsartillerie von zehn englischen Fliegern
eingeschossen wird. — Ich bin schon auf dem Platz und will
eben los, um mir die Brüder aus der Nähe anzusehen!"
Da lachte ich.
„Na, da wird wohl die Beschießung nicht lange mehr dauern!^
-ft *
*
Als ich mich fertig angezogen hatte und zum Platz hinausging^
sah ich gerade Lschweges Albatros in den fahlen Morgenhimmel
hineinsteigen.
Lr flog nicht Richtung Ravalla, sondern nahm Rurs nach
Südesten, ins Gebirge hinein.
Ich lächelte.
Schlauer Rerl! Denn die Thafosflieger würden natürlich scharf
in Richtung Drama ausspähen, um nicht von Lschwege überrascht
zu werden.
Die Sonne ging auf ....
Nach einer Viertelstunde hatte Lschwege bei Vasova Daljani
die Rüste erreicht.
Der Adler des Weißen Meeres
195
Da schräg unten im Meer kreuzte die englische Flotte und be-
schoß Ravalla. und wieder stiegen aus den Hafenspeichern
und auch aus den Straßen der.Stadt die schwarzen Explosions-
wolken der krepierenden Schiffsgranaten auf.
Armes Volk da unten!
Er flog weiter — seewärts.
Dann bog er scharf rechts um, so daß er die Sonne im Rücken
hatte und nahm Rurs auf die englischen Schiffe.
Angestrengt lugte er nach vorn, um die Zahl der englischen
Flieger auszumachen, die über der Flotte kreisten.
Der bulgarische Fernspruch war übertrieben: er zählte nicht
zehn, sondern nur acht.
(„Nur" acht!)
Das eine Flugzeug, ein Farman, leitete das Feuer. Er flog
sehr tief.
Die andern sieben, schnelle Einsitzer, kreisten einige hundert
Meter über ihm. So konnte der Beobachter in aller Ruhe auf die
Einschläge sehen — er wurde ja von sieben Rameraden behütet!
Eschwege überlegte kurz.
Nur ein Ziel kam für ihn in Frage: das Artillerieflugzeug!
Wenn er das herunterbekam, dann waren die englischen Schiffs-
artilleristen ohne Augen. Dann war an ein geleitetes Feuer nicht
mehr zu denken.
Das war lohnend.
Aber wie?
Zn dem Augenblicke, wo er gesehen wurde, hatte er die sieben
Einsitzer im Nacken.
Also: Überraschung!
wenn er den Zweisitzer faßte, ehe ihn die Einsitzer bemerkt
hatten — und wenn nicht etwa eine Ladehemmung dazwischen kam
— dann wollte er den Engländer schon zerlegen, ehe seine Schutz-
engel zur Stelle waren. Da er an tausend Meter höher war als
die englischen Einsitzer, konnte er an den Artillerieflieger heran sein,
ehe noch die überraschten Einsitzer ihn hindern würden. Ein weiterer
Vorteil war, daß er aus der Sonne kam.
Zn einer Minute war es so weit, zum Sturzfluge anzusetzen.
Blick nach unten: da zog die englische Flotte in Riellinie ihre
Bahn. f;m und wieder fuhr ein Feuerstrahl aus den Rohren —
und weiße Wölkchen kräuselten sich an den Bordwänden.
Schnelle kleine Dampfer umkreisten die schießenden Schiffe:
ll-Boot-Zäger!
Und rechts unten lag vom roten Morgensonnenlicht überflutet
Ravalla mit seinen terrassenförmig aufsteigenden Straßen, mit seinen
weißen Däusern und grünenden Gärten, bekrönt von der Mauer
der alten Türkenzitadelle.
Lin Traum ....
13*
Heydemarck
196
Die einschlagenden Granaten mahnen an die Wirklichkeit.
Lschwege späht: so, jetzt hat er den richtigen Abstand. Lin
Griff zum Gashebel — einige Zähne zurück — dann Maschine auf
den Kopf gestellt — hinunter!
Zetzr ist er schon in Höhe der Linsitzer.
Unbekümmert fliegen sie ihre Kurven.
Jetzt saust er schräg unter ihnen hin auf den Farman zu.
Heulend zerschneiden die Spanndrähte die Luft.
Noch hat er Richtung nicht auf den Zweisitzer, sondern dahinter.
Zetzt das Höhensteuer leicht zur Brust herangenommen —
nur vierhundert Meter noch ist er ab — so, jetzt hat er den LnH-
länder im visier — aber noch warten — noch nicht schießen —
in zehn Sekunden erst ist er auf hundert Meter heran — nur jetzt
ruhig Blut behalten — der Feind muß beim ersten Anlauf fallen
— zu einem zweiten würden ihm die sieben da oben keine Gelegen-
heit geben.
Unendlich lange Sekunden!
Der Beobachter scheint noch nichts gemerkt zu haben. Lr lehnt
über Bord und späht nach den Einschlägen. Seine rechte Hand ruht
auf dem Taster des Funkensenders.
So, jetzt ist er auf hundert Meter heran!
Die sieben Linsitzer sind vergessen. Sie können ihn jetzt nicht
mehr hindern.
Lin Druck auf den Hebel:
„Tackackackackackackack!"
Die Garbe sitzt.
Die Fahnen der Rauchspurgeschosse verschwinden im Boot des
Gegners.
Da — tackackackackackack! — das Knattern wird etwas lang-
samer — das linke Maschinengewehr hat Ladehemmung. Hoffent-
lich hält das andere durch------!?
Und es hält!
„Tackackackackackackack!"
Auf zwanzig Meter ist Lschwege schon heran — da! — der Far-
man kippt nach vorn über und stürzt nach unten — der Führer muß
getroffen und auf das Höhensteuer gefallen sein.
Scharfe Kurve nach rechts — Blick nach oben: die sieben Ein-
sitzer haben sich von ihrer Überraschung erholt und jagen von allen
Seiten heran.
Blick nach unten: der Farman stürzt weiter. Line weiße Rauch-
wolke zeichnet seinen Weg. Zetzt brechen die Flügel. Der Rumpf
mit dem schweren Motor saust wie ein Stein in die Tiefe. Wie
fallende Blätter torkeln die leichten Flügel langsam hinterdrein ...
Lschwege atmet auf.
Gut, daß er die Gewißheit mit nach Hause nehmen kann!
Der Adler des Weißen Meeres
197
Schnell noch einen Blick zurück: die Engländer folgen ihm —
aber der Abstand ist schon etwas größer geworden: seine Maschine
ist schneller; vor allem jetzt, wo er auf Kavalla zudrückt.
Also kann er in Ruhe den Einschlag des Motors ins Meer
beobachten.
Und da spritzt auch schon unten das Wasser auf!
Eschwege geht weiter hinunter.
Rings um die Absturzstelle ist das Meer spiegelglatt: ein großer
Älkreis breitet sich aus.
Langsam flattern die beiden Tragdecks aus der Luft herunter.
Was nun?
Weiterer Kampf mit den sieben Einsitzern?
Das wäre sinnlos!
vor allem deshalb, weil ja das linke Maschinengewehr Lade-
hemmung hat und der Gurt des rechten bis auf wenige Patronen
serschossen ist.
Also heimwärts!
Ein Blick nach hinten: die Einsitzer folgen noch ein Stück,
dann kehren sie um.
Unten schäumen mit rauchenden Schloten zwei U-Boot-Iäger
nach der Unfallstelle.
Nach Hause!
* *
*
Noch ehe Lschwege wieder gelandet war, kam aus Ravalla
die frohe Nachricht: die englische Flotte hatte nach dem Abschuß
ihres Artilleriebeobachters die Beschießung eingestellt.
Sieg!
III. Ern Luftsiag über Land.
Als ich zum Platz hinausgebummelt kam, stand Lschwege schon
neben seiner Maschine und ließ sie laufen.
„Na, wo soll die Reise heute hingehen?", fragte ich ihn.
„Ich will wieder mal an die Strumafront! — Die Thasosflieger
müssen sich erst mal ein bißchen erholen!"
Fünf Minuten später startete er.
Als er zweihundert Meter hoch war, stellte er die Maschine
noch einmal auf den Kopf und fuhr wie der Blitz auf die Flug-
zeugattrappe herunter, um sein Maschinengewehr auszuprobieren.
Das Herz schlug einem 'schneller, wenn man ihn so im steilen
Aturzflug wie einen Habicht auf ein armes Wäschen herunterstoßen
sah. wenn ich mit ihm flog, habe ich oft gedacht, wir müßten in
der nächsten Sekunde in den Boden hineinrennen, so nahe ging er
heran — aber dann nahm sein Albatros den Kopf wieder hoch —
sauste dicht über dem Ziel hin und kletterte dann steil wieder empor.
198
Heydemarck
Line Stunde lang flog Eschwege zwischen den Linien hin und
her. Nichts zu sehen!
Schade!
Das Benzin ging zur Neige — also heimwärts — so lehr auch
das Blut dagegen schrie.
Aber da — über dem Bahnhof von Angista wachsen weiße
Schrapnellwölkchen aus der Lust!
Und da sieht er aus dem Gelände neben dem Bahnhof große
Erdfontänen aufsteigen: Bombeneinschläge!
Darauf zu!
Und jetzt kommen ihm die Engländer schon entgegen.
Aufmerksam sucht Eschwege die Luft ab: wieviel sind's? Denn
jeder muß im Auge behalten werden, damit nicht einer unversehens
im Rücken sitzt.
Heute sind es nur zwei. Hundertvierzigpferdige Rritisb Ex-
perimental anscheinend. Schnelle und wendige Burschen — da kanns
einen heißen Kampf geben!
Rasend schnell wachsen sie im Aufeinanderzufliegen aus dem
Dunst heraus.
Tausend Bieter sind sie noch von ihm ab — in zehn Sekunden
wird er mit ihnen aneinander sein!
Einige hundert Bieter zuvor hat Eschwege zum Sturzflug ange-
setzt. Nun zieht er seine Bkaschine hoch und jagt dem einen der Ent-
gegenfliegenden von unten her eine Garbe hinauf.
Die Beiden haben ihn aber wohl gesehen. Während der An-
gegriffene in nervösen Kurven der Garbe auszuweichen sucht, hat
der andere seinen Apparat herumgenommen. Und ehe Eschwege
noch sein Flugzeug wieder herumreißen kann, ist er in der Geschoß-
garbe drin. Die dünnen Fäden der Rauchgeschosse flitzen rechts und
links knapp an ihm vorbei und auf einmal hört er einen metallischen
Klang — Treffer!
Gleichzeitig fühlt er einen harten Schlag gegen den rechten Arm
Gho! verwundet!!
Er hebt den Arm hoch — bewegen kann er ihn noch — also
nicht so schlimm!
Aber lange Zeit zum Nachdenken bleibt nicht — denn der Eng-
länder sitzt ihm im Nacken und folgt ihm in den Kurven.
Nur eine Rettung: abrutschen lassen!
Im Nu zieht er seinen Albatros hoch — der Engländer drückt
seine Maschine noch gerade unter ihm hindurch, um nicht mit ihm
zusammenzuprallen —- und dann rutscht Eschwege über den rechten
Flügel ab. Wie ein fallendes Blatt trudelt er erdwärts.
Nach einigen hundert Bietern fängt er wieder ab und sieht sich
von neuem nach den beiden Engländern um.
Auch sie haben an Höhe verloren und drücken nun nach dem
Tahinos-See zu, hinter dem ihr Gefechtslandeplatz liegt.
Der Adler des Weißen Meeres
199
hinterher!
Aber was ist denn das?
Der Tourenzähler kriecht immer weiter zurück — und dann
fängt der Motor an zu blubbern.
Lin Blick zum Manometer: auf dem Hauptbenzintank ist kein
Druck! So bekommt der Motor kein Benzin mehr und wird gleich
stillstehen. Anscheinend ist die j)umpe nicht mehr in Ordnung. Ach
ja — der metallische Klang während des Luftkampfes klingt ihm
im Ohr nach — da ist wahrscheinlich ein Treffer durchgegangen..
Also Handpumpe los!
Einige energische Stöße — der kleine Zeiger vom Druckmesser
rührt sich nicht: haupttank zerschossen!
Na, das schadet nichts! Denn da ist ja noch der Hilfstank!
Der langt für eine weitere halbe Stunde. Gerade Zeit genug, um
einen von den beiden zu erledigen und noch selbst gut nach Hause
zu kommen.
Lin Griff am Umstellhebel — einige Sekunden banges warten
— dann fließt wieder neues Benzin in den Vergaser — und der
schlanke Zeiger des Tourenzählers ruckt wieder nach rechts zur
Sechzehnhundert.
Lin Blick nach vorn!
Aha, da sind ja die beiden!
Auf tausend Meter ist er schon herangekommen, hoffentlich
holt er sie noch ein — denn schräg unten spiegelt schon der See.
Immer näher rückt die Front — und noch ist er so weit ab!
Sollen sie ihm entkommen? Schnell einige Schüsse heraus! Nicht
um zu treffen — dazu ist er noch zu weit ab; nur, um zu sagen:
„Ach bitte, ich bin noch hier! Ich wills mit Luch aufnehmen! Bitte
noch zu warten!"
Und wirklich — kaum haben die beiden das Knattern gehört
— da machen sie auch sofort Front, um den Kampf aufzunehmen.
Ls sind Engländer! (Und außerdem sind's ja auch zwei!!)
Sie hatten wohl gemeint, den Deutschen erledigt zu haben, als
sie ihn abtrudeln sahen. Nun war er aber doch noch da und wollte
etwas haben — gut, sollte er bekommen!
Line Viertelminute später knatterten die Maschinengewehre
wieder.
Die bulgarischen Artilleristen standen bei ihren Scherenfern-
rohren und zuckten die Achseln.
hier konnten sie nichts machen — denn da oben in der Luft war
ein solches Durcheinander, ein Steigen und Stürzen, ein wenden und
Kurven, daß man nicht wußte: wo Kreuz und wo Kokarde!
Doch halt — jetzt kam wieder etwas Ordnung in das Gewimmel!
Das eine ^Flugzeug strebte in steilem Gleitflug dem andern
Seeufer zu. Im Glas war es schnell als Engländer ausgemacht.
Ihm dicht im Nacken saß der Deutsche — Lschwege! — Anscheinend
200
Heydemarck
hatte er dem Gegner den Motor zerschossen und wollte ihm nun
den Fangschuß geben.
Aber dazu kam er nicht!
Denn der Kamerad des Angegriffenen setzte sich nun wieder
dem Deutschen ins Genick, so daß der schon nach wenigen Schüssen
abbiegen mußte.
Line weile noch kurvten die beiden in heißem Kampfe umeinan-
der herum — dann drehte der Engländer ab und flog in niedriger
tsöhe über den See seinem Landeplatz zu.
Da drehte auch Eschwege ab und flog nach Drama zurück
-j- *
*
Ich hatte ihn auf dem Platz erwartet.
Als ich sein Gesicht sah, da wußte ich schon, daß es nichts
gewesen war.
„Also denken Sie, ich habe den einen glänzend im visier gehabt
— und habe ihn mir doch nicht langen können! Und warum? weil
der andere ihn ganz glänzend sekundiert hat! — Ein famoser Bursche!
Sicher war es Oaptain Orosn! — wenn der nicht gewesen wäre,
hätte ich mir den andern schon gefaßt! Denn das war anscheinend
nur ein „Wäschen". — Aber immer, wenn ich ihn in meiner Garbe
hatte, faß mir der 6nptain im Nacken."
Er zog feine Flugjacke aus und rieb sich den Arm.
„Einen Prellschuß hat er mir auch noch verpaßt ! — Ich dachte
schon, es wäre schlimmer, so brannte das! — Und den Haupttank
hat er mir zerschossen! — — Aber eins weiß ich bestimmt: dem
Häschen habe ich auch einige saubere Treffer ins Flugzeug gesetzt!
— Ich konnte mich nur nicht mehr um ihn kümmern, weil mich der
andere annahm. — Ist noch keine Meldung von der Front da, was
aus dem Häschen geworden ist?"
Ich mußte verneinen.
So gingen wir verstimmt zum Mittagessen.
' * -r-
*
Als wir uns beim Nachmittagstee wiedertrafen, war noch immer
keine Nachricht da. Eschwege wurde nervös.
„Das ist ja zu dumm! — 3d? habe ihm doch den Motor zer-
schossen — ganz deutlich sah ich, wie sein Propeller stand! Vena
er auch noch über den See und über den Sumpf hinaus gekommen
ist — hoffentlich hat er dann wenigstens beim Landen einen sauberen
Bruch hingelegt!"
Nun saßen wir beim Abendessen. Da stürzte unser Dolmetscher
Angeloff freudevoll ins Zimmer.
„Er ist in den Sumpf gefallen!"
wir wußten sofort, wer gemeint war.
9er Adler des Weißen Meeres
201
„Also los, Angeloff, erzählen Sie der Reihe nach!"
Angeloff schnurrte seinen Bericht herunter.
„Es ist eine telephonische Meldung von den bulgarischen Flug-
abwehrkanonen am Tahinos-See da: heute morgen haben zwei
englische Flieger den Bahnhof von Angista mit Bomben belegt. Dann
haben sie Lustkampf mit dem deutschen Flieger gehabt. Und dann
ist der eine auf dem Gefechtslandeplatz bei Monuhi gelandet. Der
andere war aber anscheinend getroffen und ist nicht mehr bis an
das andere Ufer gekommen. Gr ist in den See gefallen, dort, wo es
schon sehr sumpfig ist. Etwa fünfhundert Meter vom Dorfe Ahinos.
Da steckt er noch jetzt mit der Nase nach unten. Der Schwanz ragt
hoch."
Das war ja fein!
während wir Lschwege zu seinem neuen Siege beglückwünschk-
teN, stand Angeloff noch immer steif da. Nachdem wieder Ruhe
eingetreten war, fuhr er fort:
„Heute Nachmittag sind die Engländer von der Wasserseite mit
einem Boot an das zerbrochene Flugzeug herangefahren, wahr-
scheinlich haben sie den Führer geholt, wir denken, daß sie morgen
wiederkommen werden, um auch das Flugzeug zu retten."
Ich wandte mich zu Lschwege.
„Das darf nicht sein! — wie wäre es, wenn wir beide morgen
früh gleich noch einige Bomben darauf legten?"
Lschwege war sofort dabei.
* 2
*
Am andern Morgen startete ich mit ihm als Führer nach der
Unfallstelle. Linen Zentner Bomben hatten wir an Bord.
Wir flogen sehr niedrig. — Denn die Winde waren noch nicht
aufgewacht. Böen waren nicht zu fürchten. Über dem Tahinossee
gingen wir noch tiefer herunter und nahmen Kurs auf die Hütten
des Dorfes Ahinos.
Suchend spähten wir voraus — bis Lschwege seinen Arm nach
vorn reckte und mich anlachte. Schnell hatte ich das Flugzeug er-
faßt. Die bulgarischen Artilleristen hatten richtig beobachtet: es steckte
mit der Nase im Sumpf.
Zunächst flogen wir einmal um die Unfallstelle herum und
sahen uns das Ziel von allen Seiten an.
Dann holten wir etwas aus und ich klopfte Lschwege ein.
So — jetzt hatten wir gute Richtung — nun genau einhalten!
Ich gab ihm das Zeichen und er flog an. — Da — auf einmal
tauchte das Ziel etwas rechts seitwärts unter der Tragfläche
wieder auf.
Schlecht angeflogen!
Also noch einmal!
202
heydemarck
Ich ließ Lschwege das Gas wegnehmen und gab ihm An-
weisung. In weitem Bogen flogen wir noch einmal zurück, um
das Ziel von neuem anzusteuern. Ich suchte die Luft nach feind-
lichen Fliegern ab.
Nichts zu sehen.
Sehr beruhigend war es auch, daß auf dem Flugplatz RIonuhr
die beiden Zelte noch geschlossen waren: man schlief wohl noch.
So, setzt waren wir wieder recht.
Noch einmal klopfte ich Lschwege auf den richtigen Kurs ein.
-- Gespannt hielt er die angegebene Richtung ein.
Ich beugte mich über Bord: schnell kroch das Ziel heran — wir
flogen genau Strich — gut!
So, jetzt mußte ich gleich -den richtigen Vorhaltwinkel haben.
Schnell bog ich mich ins Boot zurück und ließ mit wenigen Sekunden
Zwischenzeit meine vier Bomben los.
Dann gab ich Eschwege einen Schlag auf den Kopf: scharf«
Rurve, damit wir die Einschläge gut sehen konnten!
wenige Sekunden gespannter Aufmerksamkeit und dann —
Glück! — zwei Bomben dicht davor, zwei dicht dahinter!
vier braune Schlammfontänen stiegen zu uns empor, um
dann wieder prasselnd in den Rkurx zurückzuklackern.
Lschwege ruckte vergnügt auf seinem Sitze hin und her. Dann
stellte er unversehens die Rkaschine auf den Kopf, daß ich mich rasch
an der Bordwand festklammern mußte und rasselte eine Garbe von
hundert Schuß in das Flugzeug hinein.
Langsam nahm er unser Flugzeug wieder hoch. — Einige
Patronen mußten wir noch behalten — für die englischen Flieger?
Noch einmal umkreisten wir die Unfallstelle. Auch ich schoß
auf die Trümmer.
Selten habe ich solch ideales Schießen gehabt. Denn die ein-
schlagenden Geschoß« ließen das Sumpfwasser in lustigen Spritzern
emporsteigen, so daß ich meinen Haltepunkt genau festlegen konnte.
Fast alle Patronen verschoß ich, um die Reste des Flugzeuges mög-
lichst zu zersieben. Nur eine Trommel behielt ich zurück für den
Luftkampf.
Dann flogen wir froh nach Hause zurück.
rft *
*
Zwei Tage darnach meldeten die bulgarischen Beobachter, daß
abermals ein Boot sich durch den Schlamm zum abgestürzten Flug-
zeug durchgearbeitet hatte. Nach kurzer Zeit sei es aber wieder
zurückgefahren. Man hatte wohl nur das Trefferbild aufgenommen.
Später ist dann das Flugzeug allmählich in den Sumpf hin-
eingesackt.
Der Adler des Weißen Meeres
203
Und doch kam uns noch einmal durch einen Gefangenen frohe
Runde: unsere Bomben hatten auch noch die beim Sturz heil ge-
bliebenen Tragflächen vernichtet!
IV. Zwei Fesselballone — und ein halber.
Anfang November tauchte an der Struma-Front bei Grljak
ein Fesselballon auf.
Seitdem lief Eschwege nachdenklich umher. Und wenn einer
sagte: „Neuer Fesselballon — na, Eschwege?" — dann schüttelte
er den Kopf.
„Fesselballonangriff? — Nee, das liegt mir nicht!"
Aber eines Morgens füllte er heimlich seine Gurte mit Brand-
munition und startete. Denn eben war Nachricht von der Front ge-
kommen, daß der Ballon wieder hoch sei. — Also wollte er es wagen.
Bald nach dem Start nahm er Richtung in das Gebirge hinein,
von dort aus wollte er dann senkrecht zur Front — Sonne im
Rücken — vorstoßen.
Jetzt hat er richtigen Abstand. Drüben, weit unter ihm, schaukelt
der Ballon im Morgenwinde.
Eschwege nimmt das Gas w»g, um sich nicht durch das Motor-
geräusch vorzeitig zu verraten und stößt im Gleitflug zum Ballon
hinunter.
Noch ist er nicht gesichtet. Der Beobachter lehnt am Rorbrand
und sucht mit seinem Glas die bulgarische Stellung ab.
Auch die Abwehrbatterie hat ihn noch nicht bemerkt.. •
Noch sechshundert Meter ist er ab.
Er beugt sich nach vorn und visiert die große Hülle an.
Das ist ein Ziel! Da braucht er nicht so haarscharf zu zielen
wie ini Luftkampf — ganz grob nur braucht er hinzuhalten, um
dieses Scheunentor zu treffen.
Auf dreihundert Meter ist er jetzt heran — ein Druck auf den
Hebel — und „tackackackackack!" rasseln die beiden Maschinen-
gewehre.
Die Rauchspuren verschwinden in der Ballonhülle — gleich muß
der Ballon aufflammen.
Schießend auf zehn Meter heran — dann Höhensteuer an die
Brust — und knapp über den Ballon hinweg!
Scharfe Kurve.
Der Ballon brennt nicht!!!
Enttäuschung....
Unten rennen die Kanoniere zu ihren Geschützen. Und der
Ballonbeobachter setzt sich mit seinem Fallschirm auf den Korbrand,
um abzuspringen. Noch zögert er. Er ist wohl Neuling, der den
Sprung noch nie gewagt hat.
Neuer Angriff! Beide Gewehre schießen. Auch dieses Mal
knapp über den Ballon hinweg.
204
heydemarck
Blick nach rückwärts — der Ballon brennt noch immer nicht!
Schlimm!
Die gleiche Empfindung muß der englische Beobachter haben:
die tage ist ihm peinlich geworden; unter dem weißen Fallschirm
sieht ihn Eschwege zur Erde hinunterpendeln.
Dritter Angriff!
Und wieder keine Zündung.
von der Erde tacken die Maschinengewehre herauf. Einige
Granaten krepieren in bedrohlicher Nähe.
!vas schert ihn das! — Der Ballon muß fallen!
vierter Anflug.
Dis Geschütze schweigen, um nicht den Ballon zu gefährden.
„Tackackackackackackack!"
wieder verschwinden die Rauchwölkchen in der silbergrauen
hülle.
Und da — endlich! — zuckt eine kleine rote Flamme heraus —
wächst — und als Eschwege sein Flugzeug zum vierten Male über den
Ballon hinweghebt und sich umdreht, da sieht er den Ballon als
Riesenfackel auflohen.
Gesiegt!
Artillerie- und Maschinengewehrfeuer heult von neuem zu ihm
herauf.
Zn regellosen Kurven windet er sich hindurch — zur nahen
Front.
Einige Schrapnells singen noch hinter ihm her — zu kurz!
Sieg!
Zwei Tage später steht ein neuer Ballon an der Stelle des ab-
geschossenen.
Eschwege klingelt die Front an.
„Wie hoch steht er?"
Die Antwort ist unbefriedigend.
„Die Engländer sind vorsichtig geworden — sie haben ihn nur
auf 250 Meter gelassen!"
Eschwege runzelt die Stirn.
„Fallen muß er doch!"
Am anderen Morgen stößt er abermals aus dem Gebirge her-
aus. Auch diesmal gelingt die Überraschung. Denn auf diese Toll-
kühnheit haben sich die Engländer doch nicht gefaßt gemacht.
Da — Ladehemmung auf dem linken Gewehr.
Banges Hoffen: wenn nur das andere aushält!
Aber auch das andere läßt ihn im Stich!
Zweimal fliegt Eschwege im rasch einsetzenden Feuer der feind-
lichen Maschinengewehre um den Ballon herum und reißt an
seinen Maschinengewehren. Das eine wird er doch wenigstens
zur Vernunft bringen können!!!!
vergebens!
Der Adler des Weißen Meeres
205
Den Ballonbeöbachter faßt die Angst.
Er springt ab. Aber er hat heute weniger Glück als beim ersten
Male: der Fallschirm entfaltet sich nicht. Mit rasender Geschwindig-
keit stürzt der Körper hinab. Und als sich die plane endlich doch löst
— da ist die Geschwindigkeit schon so groß — die bsaltestricke reißen
ab — und der Körper des Engländers zerschmettert am Boden.
Noch immer umkreist Lschwege den Ballon und klopft an seinen
Gewehren herum.
Das Feuer der feindlichen Maschinengewehre und Geschütze
wird immer unangenehmer. Einige Löcher klaffen in seiner Flügel-
leinwand.
Und die Ladehemmungen sind nicht zu beseitigen.
Also bleibt nichts übrig, als umzukehren.
Auch diesmal gelingt es ihm, heil aus dem Feuer herauszu-
kommen. In kaum hundert Meter Höhe überfliegt er die englische
Front.
* *
*
Am andern Morgen kommt ein Aufklärungsflugzeug von Sa-
loniki über Lahana-Grljak zurück.
Der Beobachter spricht mit Eschwege.
„Lassen Sie den Ballon lieber zunächst in Ruhe! — Die Eng-
länder haben eine Menge Artillerie bei ihm aufgestellt. — Als
wir anflogen, haben sie ihn sofort eingezogen und uns Sperrfeuer
vorgelegt."
Eschwege lächelt.
„Das sagen Sie so leicht hin, mein Lieber: in Ruhe lassen! —
Ich wollte den Ballon schon in Ruhe lassen! — Aber mich läßt der
Ballon nicht in Ruhe!"
* -i-
*
Am \5. November klingelt Lschwege die Front an.
„Ist der Ballon heute wieder hoch?"
„Ja — aber Angriff ist heute ausgeschlossen! — Denn erstens
steht er wieder ganz niedrig und zweitens kreisen drei englische Flug-
zeuge zu seinem Schutz über Grljak!"
Eschwege geht sinnend auf den Platz.
„Und drittens hole ich ihn doch!!!"
Sein Flugzeugwart tritt zu ihm heran.
„Nehmen Herr Leutnant heute Ballonmunition oder gewöhn-
liche?".
Lschwege überlegt schnell.
„Tun Sie auf jeden Fall in den rechten Gurt Ballonmunition.
Ich weiß zwar nicht, ob ich zum Angriff komme! Aber wenn Ge-
legenheit ist — und ich habe dann keine Brandmunition, dann ärgere
ich mich ja hinterher tot."
206
Heydemarck
Line Viertelstunde später startet er.
An der Front ist kein englisches Flugzeug zu sehen.
Nur über dem Ballon ziehen einige ihre Kreise.
Da packt Lschwege das Kampfficber.
Lr fliegt ins Gebirge hinein, um dann in großer Höhe wieder
über die Front zurückzukommen. Als er richtigen Abstand hat, stellt
er seine Maschine auf den Kopf und braust im Sturzflug zwischen den
überraschten englischen Flugzeugen hindurch auf den Ballon hin-
unter.
Ls ist eine Tollkühnheit, die nur dann Lrfolg haben kann, wenn
er den Ballon beim ersten Anlauf zum Brennen bringt. Zu einem
zweiten Anflug werden ihn die englischen Flieger nicht kommen
lassen.
Und — das Glück ist ihm wieder günstig!
Nach wenigen Schüssen schon tanzt die rote Flamme auf der
Hülle. Kurve links — zur Front zurück!
Rechts und links, oben und unten, vorn und hinten krepieren
Schrapnells und Granaten.
Aber unversehrt rutscht Lschwege über die englischen Stellungen
hinweg.
Wohl stoßen ihm die Flieger nach — aber sie wagen nicht, ihm
in so geringer Höhe über die bulgarischen Gräben zu folgen.
Als Lschwege hinter der Front nach rechts abbiegt, sieht er die
Hülle des brennenden Ballons langsam zur Lrde sinken.
Der achtzehnte anerkannte Luftsieg!
* *
*
Zwei Tage danach schoß er ein englisches Flugzeug ab.
Neunzehn!
* *
*
V. Eschtveges letzter Steg.
Der graue Morgen des einundzwanzigsten Novembers wuchs
aus Osten herauf.
Eschwege stand in seinem Flugzeugzelt am Werktisch und füllte
seinen Gurt mit Brandmunition.
Erschrocken schoben seine beiden Flugzeugwarte den Einsitzer
heraus. Wollte er den Fesselballon bei Orljak zum vierten Male
angreifen? Zum vierten Male in drei Wochen?
Eschwege maß mit der Lehre nach, ob die Patronen weit genug
im Gurte steckten.
Alles in Ordnung.
„Osterwald!"
„Herr Leutnant!"
„Hier ist die Brandmunition fürs rechte Maschinengewehr!"
Der Adler des Weißen Meeres
207
Da faßte sich der Gefreite ein Herz.
„Mollen Herr Leutnant nicht lieber noch warten mit dem Ab-
schuß? — Die Bulgaren haben uns erzählt, daß die Engländer so
viele Geschütze und Maschinengewehre zur Abwehr um den Ballon
herum aufgestellt haben. — Ls ist zuviel gewagt!"
Eschwege schlug ihm lachend auf die Schulter.
„Guter Kerl, das kann nichts helfen! Ich bin jetzt gerade im
Zuge. Und wer nicht wagt, gewinnt nicht!"
Nach fünf Minuten startete er zu einem neuen Angriff auf den
Fesselballon bei Orljak...
* *
*
Der Offizier von der bulgarischen Artillerie-Beobachtungs-
Stelle in den Bergen nordwestlich von Seres löffelte gerade feine
Morgensuppe, als ein woinik in den Unterstand trat.
„was gibt's?"
Der Soldat legte die Hand an den Mützenschirm.
„Der englische Fesselballon ist wieder hoch!"
Der Beobachtungsoffizier trat ans Scherenfernrohr und sah
hinein. Er mußte die Höhenschraube drehen, denn der Ballon war
schon wieder aus dem Gesichtsfelde verschwunden: er war noch im
Steigen.
verwundert folgte ihm der Offizier.
Das hatte etwas zu bedeuten! Denn nachdem Eschwege vor
drei Wochen den ersten Ballon als Fackel seines Ruhmes entzündet
hatte, waren die englischen Luftschiffer sehr vorsichtig geworden
und hatten das große Tier nur wenige hundert Meter hochgelassen.
warum ließen sie ihn heute so hoch hinauf?
hatten sie ein Unternehmen vor und wollten nun erkunden?
wollten sie ein weittragendes Geschütz einschießen? Fürchteten sie
einen bulgarischen Angriff?
Der Offizier stellte von neuem sein Fadenkreuz auf die Gondel
des Ballons ein. Ah, jetzt stieg er nicht mehr. In großen Schwin-
gungen pendelte der Korb im jungen Morgenwinde hin und her.
Der Offizier wandte sich zu seinem Hilfsbeobachter.
„Er ist heute sehr hoch!"
Der Soldat nickte.
„wenigstens achthundert Meter! — Und heute ist auch wieder
ein Beobachter drin. — Als Eschwege vor vier Tagen den Ballon
zum zweiten Male in Brand setzte, war der Korb leer!"
Der Offizier sah noch einmal durchs Glas.
Der Soldat hatte recht: der englische Beobachter lehnte am
Uorbrand und spähte zu den bulgarischen Stellungen herüber.
„Sicher haben sie etwas vor!"
Der andere zuckte die Schultern.
„Mosche bij“ (vielleicht.)
208
kseydemarck
Dann hob er horchend den Finger hoch: ein fernes Surren klang
aus den Lüften.
„Jetzt kommen auch schon die englischen Flieger, die den Ballon
gegen Eschwege schützen sollen!"
Auch der Offizier hörte gespannt und dann lachte er.
„So hören Sie doch — das ist kein englischer Motor — das
ist ein deutscher! — Das ist Eschwege! — Und wie gut, daß er zur
Stelle ist, ehe noch die englischen Flieger ausgeschlafen haben! —
Der Adler des Weißen Meeres wird ein neues Blatt zum unsterb-
lichen Kranze seines Ruhmes brechen."
Der Soldat holte aus dem Unterstand einen Feldstecher heraus
und suchte den Himmel ab.
Der Offizier hatte Recht: es war Eschwege!
Jetzt war das kleine Flugzeug im Glase: in großer Höhe kam
es aus dem Gebirge heraus und zog in Richtung Grljak. Es war
gewiß: er wollte den Fesselballon zum vierten Male angreifen!
Der Soldat rief seine Kameraden aus den Unterständen heraus,
damit sie Zeugen des neuen Sieges sein könnten.
Jetzt starb das Rauschen des Motors. Der 'chlanke Vogel
senkte seinen Schnabel und stieß herab.
Zn atemloser Spannung standen alle.
Der Offizier starrte durchs Scherenfernrohr.
GH, wie herrlich! Die Engländer hatten Eschwege noch nicht
bemerkt! Denn beim letzten Angriff hatten sie schon ein dichtes
Sperrfeuer vor den Ballon gelegt, als Eschwege noch Kilometer
weit entfernt war.
Heute sprang kein einziges Wölkchen auf.
Auch der Ballonbeobachter lehnte noch ganz sorglos am Korb-
rand und spähte weiter zu den bulgarischen Stellungen hinüber.
wenn jetzt Eschweges Maschinengewehre nicht Ladehemmung
bekamen, dann mußte auch dieser Ballon wieder brennend zur Erde
sinken. Nach wenigen Sekunden schon mußte es sich entscheiden!
Zn bangem Schweigen standen die Bulgaren.
Noch immer schoß die englische Artillerie nicht!
Der Offizier starrte fiebernd durchs Glas.
Zetzt tauchte der Deutsche in sein Gesichtsfeld ein — jetzt stürzte
er sich wie ein Adler auf seine wehrlose Beute — jetzt schoß er
wohl. Hatte seine Brandmunition gezündet? Bald mußte sich's
zeigen! —
Zetzt war er bis auf wenige Meter heran an den Ballon —
jetzt hob das Flugzeug wieder seinen Kopf, um sich knapp über den
Ballon hinwegzuheben — und jetzt entzündete sich der Ballon.
Hurra!
Doch — das war heute etwas anderes! — Der Ballon fing
nicht mit einer kleinen Flamme an zu brennen — der Ballon
Der Adler des Weißen Meeres
209
flammte mit einem Schlage zu einer mächtigen Feuersäule auf.
Brennend torkelten die Fetzen zur Erde.
Die ungeheure Spannung der bulgarischen Soldaten machte
sich in einem brausenden Iubelgeschrei Luft.
Nur dem Offizier kam bange Ahnung, die sein Herz zittern
machte.
Wo war Eschwege?
Hatte ihn sein glückliches Geschick durch diese ungeheure Ex-
plosion wieder sicher hindurchgeleitet — so wie damals über dem
Meere bei Thasos?
3<t! — Dem Himmel fei Dank! — Er war behütet worden!
Denn jetzt sah er deutlich sein Flugzeug aus dem Rauch heraus
nach rechts abschwenken.
Aber dann — o Jammer, — — Das Flugzeug neigte sich
über den linken Flügel — jetzt rutschte es seitlich ab —- und dann
stellte es sich, bom schweren Motor gezerrt, auf den klopf und sauste
zur Erde hinab.
Das war ja furchtbar! Das war ja nicht möglich, daß Eschwege,
der angebetete Liebling des bulgarischen Heeres und des bulgarischen
Volkes nicht mehr sein sollte!
Mit aufgerissenen Augen starrte der Offizier durchs Glas.
Jetzt schien es ihm doch so, als stürzte das Flugzeug nicht, son-
dern glitte nur, um dann aufzusetzen und zu landen.
Nun war es seinen Blicken entschwunden: Gebüsch verdeckte
die Landungsstelle.
In banger Sorge wandte er sich seinen Leuten zu.
Die hatten das Unglück Eschweges nicht beobachtet. Sie hatten
nur den Ballon aufflammen sehen und lagen sich jubelnd in den
Armen.
Als er ihnen von seiner Beobachtung sagte, wich der Jubel einer
jammernden Trauer.
„Eschwege tot! Unser Eschwege tot!! Wir können es nicht
glauben!!!"
Der Offizier nickte.
„wir wollen es nicht glauben! — Und noch dürfen wir ja
hoffen, daß er nur verwundet ist! — Ja, vielleicht nicht einmal das!
— vielleicht hat nur sein Motor ausgesetzt, als er durch die Ex-
plosionswolke flog und er ist heil gelandet."
Da lebten alle Herzen wieder auf.
Weim es doch so wäre!
* *
*
Mittags klingelte mich Leutnant König von Drama an.
Seine Stimme klang so müde — da dachte ich sofort an Eschwege.
Denn wir waren alle immer in Sorge um ihn.
v. Vickhutb-Harrach, Im Felde unbesiegt. 14
! ' '
210
Heydemarck
Und dann gab er mir die Meldung von der bulgarischen Artil-
lerie-Beobachtung durch...
Das Mittagessen beim Oberkommando der Heeresgruppe war
sehr still.
Lin Fünkchen Hoffnung glühte ja noch in uns, aber es war
winzig klein. Denn aus der bulgarischen Meldung ging unzweifelhaft
hervor, daß Lschwege zur Landung gebracht worden war.
Der Lngländer hatte entweder den Ballon mit einem Gemisch
aus Wasserstoff und Luft, also mit Knallgas gefüllt. Dann mußte
der Ballon nicht, wie es die Regel war, langsam abbrennen, sondern
mit einem Schlage explodieren und Lschwege schon durch den unge-
heuren Luftdruck zum Absturz bringen.
Oder — und das war noch wahrscheinlicher — die Lngländer
hatten den Korb des Ballons mit Sprengstoff gefüllt und diesen
durch eine Zündleitung in dem Augenblick zur Lxplosion gebracht,
als Lschwege nach gelungenem Angriff dicht über den Ballon hin-
wegfliegen mußte.
Der „Beobachter" im Korb war dann nur eine Strohpuppe ge-
wesen ...
Später haben uns Gefangene diese Annahme bestätigt.
was konnte den Engländern das kostbare Ballonmaterial be-
deuten gegen die Genugtuung, einen Lschwege unschädlich gemacht
zu haben!
* *
*
wir warteten in banger Sorge.
Am Nachmittag schon ward uns traurige Gewißheit.
Lin englischer Flieger erschien über dem Flughafen in Drama.
Lr legte sich in eine weite Kurve und flog wieder zurück, ohne
Bomben zu werfen.
Gleichzeitig sahen die Flugzeugwarte einen bunten Abwurf-
wimpel herausflattern, der auf einem angrenzenden Feld zur
Lrde kam.
Zn dem sandbeschwerten Täschchen fand man einen deutsch ge-
schriebenen Brief folgenden Znhalts:
„An das bulgarisch-deutsche Fliegerkorps in Drama. Die Offi-
ziere des Königl. Fliegerkorps bedauern festzustellen, daß Leutnant
von Lschwege getötet wurde, während er den Fesselballon angriff.
Seine Privatsachen werden in den nächsten Tagen über die Linien
geworfen."
wenige Tage später 'warf ein Lngländer einen zweiten Ab-
wurfwimpel ab.
Lr enthielt die Photographien von Lschweges Begräbnis.
Zwei Bilder zeigten fein mit Kränzen geschmücktes Grab.
Das dritte zeigte das Begräbnis selbst.
211
Der Adler des Weißen Meeres
Lschwege war mit militärischen Ehren von den Engländern zur
letzten Ruhe geleitet worden.
Sechs Fliegeroffiziere trugen seinen Leib ....
* *
*
Lschwege tot!
Da faßte alle, Deutsche und Bulgaren, Schmerz und Trauer.
Und uns, die immer mit ihm zusammen waren, die ihn nicht nur
als Flieger bewundert, sondern auch als unsern guten Kameraden
geliebt hatten, uns war's, als hätten wir einen Bruder verloren.
Aber eins machte unsere Trauer stolz: wer fand einen schöneren
Fliegertod? Im Luftkamps unbesiegt ist er gefallen, als Sieger ist
er von uns gegangen: der englische Ballon lohte nicht nur als seine
Todesfackel, sondern auch als sein Siegesfeuer.
* *
*
Sein teures Blut, das für die Zukunft Deutschlands und Bul-
gariens vergossen ist, wird unsere Völker auf immer verbinden.
Ls hat uns datnals zusammengekittet, als wir noch Schulter an
Schulter gegen den Feind standen.
Unsere bseere sind geschlagen. Unsere Waffen sind zerbrochen.
Aber unsere Lserzen leben. Und Lschweges Blut bindet deutsche
Kerzen mit bulgarischen Herzen und wird sie auch in aller Zukunft
binden.
Und mit uns Deutschen werden auch die Söhne Bulgariens
immer sagen:
„Unser Lschwege!"
14*
Die Kärntner beim Sturm auf den Polouniö (Flitsch),
Oktober 1917.
Don Major Eduard Barg er,
damals Hauptmann und Kommandant des IV. Fsldbatalllons dieses Regiments.
^^iele Monate schon lagen wir im Hochgebirge an Kärntens Grenze
und verteidigten unser geliebtes Heimatland gegen welsche
Ländergier. Im feindlichen Trommelfeuer, in ständiger Abwehr der
gegnerischen Anstürme, im zähen, leider oft ohnmächtigen Ringen
gegen die Naturgewalten im Winter wurde täglich der Wunsch laut
nach den: Ende dieses nervenzermürbenden Stellungskampfss. Nun
war die Erfüllung gekommen.
An einem herrlichen Sextembertage des Jahres nahmen
wir Abschied von den heimatlichen Grenzbergen. Beim Nachtmarsche
sandten wir vom Predil-Passe die letzten Grüße ins Tal des Raib-
ler-Sees, hinüber zu den Bergspitzen, wo unsere toten Kameraden
ruhten, vorbei ging es an „Österreichs Thermopylen", den zerschosse-
nen Forts Predil und Hermann, durch den Engpaß der Flitscher-
Klause in das sagenumwobene Tal des oberen Isonzo. Am 2% Sep-
tember \9H7 bezogen wir Stellung am Berge Iavorcek, südöstlich
von Flitsch.
Das karstartig zerrissene Felsgebiet dieser Höhe fällt zu einer
schluchtartigen wasserrinne — dem Slatenik-Graben — nach Süden
steil ab. Südlich dieser Tiefenlinie erhebt sich die grandiose Fels-
wand des Polounik-Massivs mit den italienischen Stellungen. Der
Gebirgsstock ist im unteren Teile ein steiler, von zahlreichen Fels-
blöcken durchsetzter, mit Buchenwald bedeckter Hang; der Oberteil
des Bergrückens ragt als einzige 7—8 Kilometer in ost-westlicher
Richtung streichende, von Schluchten, Kacheln, Karstlöchern wild
zerklüftete, fast senkrechte Felswand in die Höhe, und ist nur mit
spärlichen Latschen bewachsen. Die wichtigsten Punkte sind: Der
veliki-vrh (\767m) und Pirhov-Vrh (s66f rn), dazwischen ein Sattel,
die Iama-Planina ({525 m hoch).
Die Italiener hatten im bewaldeten Hange eine vorgeschobene
Feldwachenstellung, knapp dahinter zwei Hauptstellungen durch zwei
Jahre mit der ihnen eigenen technischen Geschicklichkeit zu starken
Fslsbefestigungen ausgebaut. Im kahlen Oberteil lag eine dritte
Polounik
213
thauptstellung; die Rammlinie des ganzen Rückens aber Mar außer
mit Infanteriedeckungen noch mit in den Fels gehöhlten Geschütz-
ständen gespickt.
Der Angriff auf diese für unbezwinglich gehaltenen Stelhmxjen
war in der großen Offensive gegen Italien im gerbst ILs? meinem
unvergeßlichen Bataillon aufgetragen worden.
Immer und immer wieder standen meine ausgezeichneten Rom-
pagnie-Rommandanten mit mir im Schützengraben und studierten
das uns zugewiesene Angriffsgelände. Oft führte uns die rast-
lose Tätigkeit bis an die feindlichen Hindernisse. In der kurzen Zeit
bis zum Beginn der Offensive war unser ganzes Denken und han-
deln Tag und Nacht nur auf das Gelingen der großen Aufgabe ein-
gestellt. Diese Arbeit war ja gewidmet der Erhaltung des Lebens
und der Gesundheit von so vielen uns treu ergebenen Offizieren und
Mannschaften, die beieinander standen in Not und Tod.
wiederholt waren hohe Vorgesetzte bei uns im Schützengraben,
um Befehle und Weisungen zu geben. Ihre, angesichts des schwie-
rigen Angriffsfeldes besorgten Mienen hellten sich stets auf, nc. h-
dem sie sich überzeugt hatten von dem herrlichen Geiste unerschütte -
licher Siegeszuversicht, fester Mannszucht und Disziplin, unbedingte..
Vertrauens der Mannschaften zu ihren kampferprobten Führern,
der in vergangenen schwersten Stunden bewährten Treue und auf-
richtigen Kameradschaft, die das IV. Bataillon des Kärntner In-
fanterie-Regiments Graf von Rhevenhüller Nr. 7 vom Romman-
danten bis zum letzten Manne beseelte.
Am Abend des 23. Oktober war alles in Ordnung. Unser
weiteres Schicksal lag nun in Gottes Hand. Bewegten Herzens
nahmen der Regimentskommandant, die Kameraden der Artillerie
und das Besatzungsbataillon von uns Abschied. Ihre besten wünsche
begleiteten üns auf dem schweren Waffengange.
In stockfinsterer Regennacht, im schwer gangbaren Hochgebirgs-
gelände, auf wüstem Gesteinsboden, nahe den feindlichen Stellungen,
ein Bataillon von über f)00 Mann dorthin zu führen, wohin man
will, ist eine schwere Aufgabe. Die höchsten Anforderungen treten
an Führer und Truppe heran und nur eine solche von bestem Kampf-
wert kann ihnen gerecht werden. Der geringste Zwischenfall, und
wir sind entdeckt und im flankierenden Geschützfeuer im engen
Slatenik-Graben vernichtet. Ein schwerer Stein fiel uns vom Kerzen,
als wir glücklich diesen Bereitstellungsraum erreicht hatten. Noch
mußte eine harte pro&e von Gefechtsdisziplin bestanden werden: es
hieß, von U Uhr nachts bis 9 Uhr vormittags, knapp unter den
feindlichen Stellungen, mäuschenstill zu liegen und zu warten, bis
es zum befreienden „Vorwärts!" kommen konnte. Hoffnungsfreudig
sahen wir dem kommenden Tag entgegen.
Der Morgen des 2% Oktober 1$\? kam hereingekrochen in diese
Teufelsschlucht, mit Regen und frostigen Nebelschauern, die den
214
Barger
Blick auf kurze Entfernung begrenzten, schmerzlich mußten wir
darauf verzichten, von unserer Artillerie unterstützt zu werden.
Wir vertrauten auf unsere eigene Kraft. Punkt 9 Ahr30 Vormittag
erhob sich die verbündete deutsche und österreichisch-ungarische In-
fanterie zum Schlage gegen Italien. Wenige Minuten der Vor-
rückung, und ein überfallartiges Lener setzte ein. Meine prächtigen
Offiziere gaben wie immer, so auch diesmal ein glänzendes Beispiel
von aufopferungsvoller Tapferkeit. Im kühnen Handstreich wurde
die vorgeschobene Feldwachenstellung eingenommen.
In der Hauxtstellung wehrte sich der überraschte Feind zähe.
Ein wütender Handgranatenkämpf, und schon mischte sich in das
helle Geknatter der italienischen Maschinengewehre und die Explo-
sionen der schweren Minenwerfer das dumpfe Krachen unserer
Sprengladungen in den feindlichen Hindernissen. Mit nicht enden-
wollendem „Hurrah!" geschah der Einbruch in die erste Haupt-
stellung.
Leutnant Martinkovics, ein deutscher Nordböhme, sprang als
Er ster mittels einer Strickleiter in den Graben; aus vier Wunden
b.utend, kämpfte er mit Handgranate und Pistole, bis er, von
wei weiteren Schüssen durchbohrt, zusammenbrach. Sein kräf-
tiges Leben rang sich damals dem Soldatentode ab, um nach
geschlossenem Frieden der Grippe zu erliegen. Unvergänglich ehren-
des und bewunderndes Gedenken ist' dem toten Helden sicher.
Schon um s0 Uhr vormittags konnte ich meinem Regiments-
kommandanten telephonisch den errungenen raschen und vollen
Erfolg melden. Sodanü strebte ich bergan, um mit meinen braven
Kriegern die zweite Hauptstellung anzugehen. Auch diese war bald
gefallen Ein köstlicher Zufall wollte es, daß ich gerade dort ein-
gedrungen war, wo kurz vorher der feindliche Bataillons-Komman-
dant seinen Standpunkt hatte. Wie diesen unser Angriff über-
rascht hatte, zeigten die Vorbereitungen zu einem leckeren Mahle,
an dem sich nun meine getreuen Gefechtsordonnanzen gütlich taten.
Was vom Gegner nicht tot oder verwundet war, flüchtete in
heilloser Bestürzung gegen den KamNr des Gebirgsrückens. In
rastloser Verfolgung ihm nach die tapferen „Khevenhüller".
Lin hartes Stück Arbeit begann jetzt. In voller Ausrüstung,
die Maschinengewehre aus den Schultern, wurde der Aufstieg aus
dem Walde in die Felsgegend fortgesetzt. Dichtes Schneegestöber setzte
ein. Da fanden wir die dritte Linie von den Italienern bereits
geräumt, vom Gebirgsrücken bekamen wir aber starkes Infanterie-
und Maschinengewehrfeuer. Die Dämmerung brach herein und
damit die Unmöglichkeit, noch am selben Tage die Bergsxitzen zu
erreichen. Knapp unter diesen mußte genächtigt werden.
Unsere Lage war recht kritisch geworden. Über uns der noch
haltende Feind, unter uns vollbesetzte Stellungen, die nicht ange-
griffen worden waren; dazu unsichtiges Wetter, unüberwindliche
polounik
215
Geländeschwierigkeiten ohne jede Verbindung mit eigenen Komment»
den und Truppen. Rein Wunder, daß diese uns aufgerieben, ge-
fangen, verloren glaubten. Die frostige Nacht ohne Mantel und
wegen der Nähe des Feindes auch ohne Feuer durchzustehen, war
auch für abgehärtete Rrieger eine Leistung im Überwinden von
Strapazen, der keine Feder gerecht werden kann.
Der nächste Morgen sollte uns für die überstandenen Mühsale
reichlich entschädigen. In den frühen Vormittagsstunden des 25. Mkt.
wurden die Berggipfel erklommen.
Groß war der taktische Erfolg dieser tapferen Waffentat, •
unschätzbar die Beute dieses denkwürdigen Tages, Hunderte von
Gefangenen, zahlreiche Geschütze aller Raliber, Maschinengewehre,
Minenwerfer, ungeheuer wertvolles Ausrüstungs- und Sanitäts-
material und unermeßliche Verpflegsvorräte fielen in die Hände
des vierten Feldbataillons des Rärntnerregiments.
Ani größten jedoch war die Freude und die stolze Genugtuung
von uns Rommandanten über den Erfolg unserer Vorarbeit und
Führung, wodurch mit nur äußerst geringen eigenen Verlusten ein
großer Sieg erkämpft worden war.
Mit freudig begeistertem „Hurrah!" nahmen wir Besitz von
der uns früher beherrschenden feindlichen Stellung mit ihrer gewal-
tigen Artillerie, die uns so schwere Stunden bereitet hatte.
Rnaxp über uns kreisten die feindlichen Flieger über dem Schau-
platz der großen Niederlage Italiens bei „Taporetto".
Der Durchbruch von Misch,
Oktober 1917.
Non B. u. K. General der Infanterie a. D. Alfred Krauf),
damals Kommandant des k. u. B. 1. Armeekorps.
elfte als Abwehrschlacht geschlagene Isonzoschlacht hatte das
s**' Armee-Oberkommando*) in Baden zur Überzeugung gebracht,
daß das weitere Abwarten der italienischen Angriffe, die man bisher
immer ruhig vorbereiten ließ, ohne jemals mit einem Angriff in
die Vorbereitungen der Italiener hineinzufahren, dem Feinde den
vollen Erfolg bringen müßte. Trotz allem Heldenmut der Truppen
inußte ein zwölfter italienischer Angriff infolge der großen Blut-
opfer und der Einbuße an Gefangenen, die jede einfache Abwehr
solcher Angriffe mit sich brachte, den Zusammenbruch der Front des
Verteidigers herbeiführen.
In dieser Erkenntnis entschloß man sich in Baden zu einem
Angriff und erbat sich dazu die Unterstützung der Deutschen, die auch
zugesagt wurde.
Der Angriff sollte im Raume Tolmein-Flitsch erfolgen und
zwar von der (4- deutschen Armee, der auch k. u. k. Truppen zu-
gewiesen wurden, von Tolmein, von einem österreichisch-ungarischen
Korps von Flitsch her.
Zum Kommandanten dieses nördlichen Flügelkorps wurde ich
bestimmt und mit dem Korpskommando nach Kronau im Savetal
berufen. Ich hatte mich in Marburg beim Kommando der Südwest-
front (Erzherzog Eugen) zu melden. Dort erhielt ich meine Aufgabe.
Danach unterstand das Korps dem deutschen (4. Armeekommando.
Ls hatte die italienische Front bei Flitsch zu durchbrechen. Als Ziel
des Angriffs der (4!. Armee war festgesetzt Gewinnung des Randes
der Ebene bei Eividale-Gemona; wenn es gut ginge, der Taglia-
mentolinie.
Mein Hlan war sofort gefaßt. In der Überzeugung, daß ent-
gegen der Friedensgewohnheit, die Entscheidung in Gebirgskämpfen
immer auf den Höhen zu suchen, nur der Talstoß durchschlagenden
Erfolg bringen könne, war ich entschlossen, im Tal durchzubrechen.
*) Das k. u. k. Armee-Oberkommando entspricht dem deutschen Großen Haupt-
quartier.
\O^A!a/U^
Flitsch
217
f
I
I
r
<£s begann nun die mühsame und aufregende Vorbereitung des
Angriffes. Mühsam war sie für Kommando und Truppen, weil die
Straßen von den Eisenbahnendpunkten Tarvis und Kronau zur
eigenen Stellung 30 und 40 km lang waren und über zwei hohe
Gebirgssättel führten, über den (s56 m hohen j)redil und über die
(6U m hohe Mojstrovka. Der predil lag im italienischen Artillerie-
feuer, konnte daher nur nachts überschritten werden. Die Mojstrovka
war für die schwerste Artillerie unbenützbar. Diese mußte über den
predil vorgezogen werden und zum großen Teil nur 500 m hinter
der eigenen Stellung ins Soca(Zsonzo)tal hinübermarschieren. Trotz
dem großen Lärm, den die schweren Autozugwagen machten, gelang
dies in mehreren Nächten ohne Unfall. Die großen Lasten an Gütern
— Verpflegung und Munition — mußten über die Berge vorgebracht
werden, um dann vorn in mühsamer Arbeit in die hochgelegenen
Stellungen der Truppen getragen zu werden, viele Wege waren
nur bei Nacht benützbar. Tausende von Trägern, teilweise den zum
Angriff bestimmten Truppen entnommen, und viele Tragtiere mühten
sich Tag und Nacht in diesem schweren Dienst ab.
Aufregend war die Vorbereitung, weil sich bei dieser langen,
schweren Arbeit zahlosse Hindernisse, widerstände und Erschwerungen
ergaben, vor allem stellten sich schon Schwierigkeiten in der Zu-
weisung der nötigen Artillerie ein. Erst spät wurde die verlangte
Artillerie zugewiesen.
Der Eisenbahnverkehr war schleppend und nicht fest genug
geregelt. Das brachte Verzögerungen im Antransport der Truppen
und Vorräte. So kam es, daß wichtige Batterien erst im letzten
Augenblick eintrafen, die Munition nicht mehr vollzählig in die
Stellungen gebracht werden konnte. Die so wichtige Gasmunition
ging zum Beispiel erst am s7. Oktober von Budapest ab, konnte
daher bis zum 22. Oktober, dem für den Angriff bestimmten Tage,
nicht in die Stellungen vorgebracht werden. So mußte der Angriff
auf den 2% Oktober verschoben werden.
wenn auch noch am 23. abends durchaus nicht alle Vorbereitun-
gen beendet waren, mußte der Angriff am 2%. Oktober erfolgen.
Die (Jahreszeit war schon so ungünstig geworden, daß ein längeres
Zuwarten unmöglich erschien.
So standen denn am 23. Oktober abends die drei Divisionen
des Korps bereit, um am 24;. früh den Angriff zu beginnen.
Der Angriffsraum des I. Korps umfaßte das Flitscher Becken
und die beiden das Becken einschließenden Gebirgsmassive. Das
Flitscher Becken stellt den etwa l0 km langen und bis 3 km breiten
Talkessel des oberen Zsonzo dar, der tief eingebettet zwischen dem
kahlen Felsmassiv des Rombon-Laninstockes liegt und dem polounik,
einem Ausläufer des felsigen Krn-Vrsicmassivs. Das Becken wird
durchflossen von der Soca (dem oberen Isonzo) in einer etwa 20 m
tiefen Flußrinne, längs welcher am nördlichen Ufer die Straße von
Flitsch nach Saga führt. Dort wird der Isonzo durch den vor-
gelagerten, von Nordwest nach Südost streichenden, s668 in hohen
Stolrücken gezwungen, seine ost-westtiche Laufrichtung in scharfem
Knie nach Südost zu wechseln. Er fließt dann in tiefer, enger Tal-
schlucht über Rarfreit, wo der Stolrücken endet und das Tal sich
weitet, nach Tolmein.
Wenn man am Ostende des Flitscher Beckens steht, liegt es wie
eine riesige Badewanne vor dem Beschauer da. Rechts, im Norden,
steigen die kahlen Felswände des Rombon und des Tanin auf f800
bis 2\00 m über das Becken auf. Nur die 2062 in hohe prevala-
fcharte gestattet auf einem Fußsteig den Verkehr hinüber ins Nacco-
lanatal. In diesem Felsgewirr zogen sich unsere und die italienischen
Stellungen, im gelben Fels kaum erkennbar, herunter zum Orte
Flitsch, der im Besitz der Italiener war. Links, im Süden, fällt der
polounik-Rücken, schütter bewaldet, in schweren Felsplatten unge-
mein steil zum Becken ab. vom Wurzelpunkt des polounik, einem
\772 m hohen kahlen Felsklotz, zieht dann, durch eine 1270 m hohe
Tinsenkung, pi. Za Kraju, getrennt, der schmale zerklüftete Fels-
rücken des vrsic-Vrata-Rrn-Rammes parallel zum Isonzo nach Süd-
osten, so daß zwischen dem polounik, dem vrsic-Rrnrücken und einem
seiner Ausläufer ein gegen den Isonzo abfallender Ressel entsteht,
in dessen Mittelpunkt der kleine Ort Ravna liegt.
von Flitsch zog die italienische Stellung nach Süden auf den
Vrsic-Rrnrücken, so daß der ganze polounik, der {270 m hohe Sattel
Za Rraju und Ravna in italienischem Besitz waren. Im Flitscher
Becken zog etwa zwei Rilometer hinter der ersten Stellung eine
zweite italienische Stellung von den Felsabstürzen des Rombon im
Bogen zum polounik. Bei podcelom, ^ km westlich Flitsch, verengt
sich das Becken zu einem mäßig breiten Tal, das durch einen zum
Isonzo vorspringenden niederen Ouerriegel gesperrt ist. Auf diesem
Ouerriegel lag eine dritte italienische Stellung. Im Westen wird
die Badewanne des Flitscher Beckens durch den in die Wolken
aufragenden, f668 m hohen, mächtigen Stolrücken abgeschlossen,
der dort s200 m über die Talsohle aufragt. Durch den fernen
Nebeldunst schimmern die chäuser von Saga herüber.
Auch der Stolrücken trug mehrere Linien italienischer Befesti-
gungen, deren letzte den Rücken krönte.
Als ich das erstemal nach meinem Eintreffen in Rronau das
mir wohlbekannte großartige Bild des Flitscher Beckens wieder sah,
klopfte mein cherz doch bedenklich stark angesichts der schweren Aus-
gabe. Ich erkannte, daß der Talstoß nur gelingen konnte, wenn
man die Italiener überrannte, wenn man ihnen also keine Zeit
ließ, i»ie rückwärtigen Linien, vor allem den Stol, zu besetzen. Ge-
lang es den Italienern den Stol in Ordnung regelrecht zu besetzen,
dann erschien ein Aufstieg aus dem Becken wohl ausgeschlossen.
Darauf gründete sich mein plan.
Flitsch
219
Danach sollte die 22. Schützendivision, Generalmajor Rudolf
Müller, den Hauptstoß im Tale führen. Sie hatte dazu drei Re-
gimenter hintereinander zu gruppieren; das Teteregiment hatte den
Angriff zwischen Flitsch und dem Abfall des Rombon zu führen
und soweit als möglich vorzudringen. Die linke Flanke dieses An-
griffes sollte durch Vergasung der angrenzenden italienischen Stel-
lung bis zur Soca durch Gaswerfer geschützt werden. Die anderen
zwei Regimenter hatten den Angriff weiter zu tragen, wenn das
vorangegangene Regiment verbraucht war. So hatten die drei Re-
gimenter den Angriff, sich gegenseitig übergreifend, in Fluß zu halten.
Sofort nach Erreichung von Saga, des westlichen Endpunktes des
Flitscher Beckens, mußte der Stol erstiegen und erobert werden.
Für diese Aufgabe wurde eine eigene Gruppe aus zwei vorzüglichen
Gebirgsbataillonen — ein Raiserjäger- und ein Raiserschützen-
bataillon — bestimmt, die am Ende der 22. Division folgend, von
Saga ohne bsalt auf den Stol vordringen sollte. Der Talstoß hatte
in einem Zug ohne Unterbrechung bis auf den Stol zu erfolgen,
der noch am ersten Angriffstag erreicht werden sollte.
Nun galt es noch die Flanke der Armee zu sichern und zu diesem
Zweck die anschließende „Zona Tarnia" der Italiener, den Abschnitt
der Rarnischen Alpen, zusammenbrechen zu machen. Diese Rolle
fiel der Ldelweißdivision zu, die mit sechs Bataillonen dicht hinter
der Stolgruppe nach Saga zu folgen hatte, von dort sollte sie, mit
schwerster Artillerie ausgestattet, auf der angeblich bestehenden Straße
über Uccea und den Nizki-vrh nach Resiutta vordringen, in den
Rücken der in den Rarnischen Alpen stehenden Italiener.
Auf den Bergen beiderseits des Beckens sollten die Italiener
durch kräftige Angriffe gebunden werden.
Auf dem Rombon hatten vier Bataillone der Edelweißdivision
— das Salzburger 59- Inf.-Regt. und ein Raiserjägerbataillon —
die feindliche Stellung anzupacken und bis zur prevalascharte vorzu-
dringen. Zu dieser Scharte hatte nach erfolgtem Durchbruch im Tal
auch ein Raiserjägerbataillon der Edelweißdivision von Flitsch aus
aufzusteigen. Dadurch sollte auch die benachbarte \0. Armee unter-
stützt werden.
Südlich des Beckens hatte die 55. Infanterie-Division anzu-
greifen, den vrsic-vratarücken und den poIouniE zu nehmen und mit
der chauptkrast über Ravna nach Rarfreit vorzustoßen. Sie hatte
Verbindung zu halten mit der links (südlich) anschließenden k. u. k.
50. Division, die der Gruppe General von Stein angehörte.
Das Gelände und die Anhäufung der Truppen in tiefen Ro-
lonnen schlossen es aus, die Truppen durch den Nachschub ihrer
Bedürfnisse zu versorgen. Man mußte froh sein, wenn es gelang,
auf der einzigen Straße die starke Artillerie und die Truppentrains
vorzuziehen und die Munition nachzuschieben. Die Truppen wurden
daher angewiesen, nicht auf den Zuschub von Verpflegung zu rech-
220
Kräng
nen. Sie müßten von dem leben, was sie im eroberten Gebiet fänden.
Rascher Vorstoß allein werde ihnen so große Vorräte einbringen,
daß sie vorzüglich versorgt sein würden.
Die Truppen waren mit dem festen Willen zu erfüllen, die
Italiener auf der ganzen Front zu überrennen.
Links vom I. Korps hatten die anderen Gruppen der sch Armee
in gleichen! Sinne den Angriff zu führen; die ganze Armee hatte,
wie das Armeekommando in treffender Weise sagte, „in Tag und
Nacht fortgesetzten Angriffen" eine weit vorn gelegene Linie zu
erreichen. Das f. Korps hatte danach die tiefe Natisoneschlucht
westlich von Bergogna hinter sich zu bringen. Tine gewaltige Leistung
wurde mit diesem Befehle von den Truppen gefordert — sie wurde
in glänzender Weise von ihnen erfüllt.
Das l.0. Armeekommando wurde bewogen, seine geringen Kräfte
zusammenzufassen, um vom Raibler See her den Neveasattel an-
zugreifen und so die Italiener nördlich des Taninstockes wenigstens
zu binden und zu beunruhigen. Ts wurde ihm Unterstützung durch
schwere Artillerie zugesagt.
Um das Überrennen der Italiener zu erreichen, mußte eine
gründliche Vorbereitung des Dnrchbruches erfolgen. Reichliche
schwere Artillerie, schwere Minenwerfer und Gas mußten hiezu zu-
sammenwirken. Schwere Artillerie mußte mir das Armee-Gber-
kommando in Baden geben, schwere Minenwerfer und Gas, welche
Waffen wir nicht in wirksamer Form besaßen, gaben mir in reich-
lichem Maße die deutschen Brüder.
Nur nach hartem Kampfe gelang es mir, vom Armee-Gber-
kommando die unbedingt nötige Artilleriekraft zu erhalten. Da-
gegen stellte mir die sH. Armee schwere Minenwerfer in so reichem
Maße bei, daß dieses Kampfmittel allein genügte, die erste italie-
nische Stellung bei Flitsch sturmreif zu machen. Daher konnte die
weiterschießende Artillerie andere Aufgaben erhalten. Die Artillerie
hatte gleich bei Beginn des Angriffes die zweite und dritte Stellung
der Italiener im Becken unter Feuer zu nehmen und den Eingang
des Beckens bei Saga zu sperren; sie hatte die Angriffe der Höhen-
grupxen vorzubereiten. Etwa 80 Geschütze waren mit der Aufgabe
betraut, die zahlreichen italienischen in den Fels gesprengten Ge-
schützkavernen niederzuhalten.
Dieser Plan für den Angriff wurde am 28. September dem
Kommando der Südwestfront gemeldet. An diesem Tage kam der
.Kommandant der Armee, General der Infanterie Gtto von Below,
nach Kronau, um sich das Angriffsgelände zu besehen. Ich trug ihm
meinen Plan für den Durchbruch vor. Tr faßte den Grundzug
meines Planes sofort auf und kleidete ihn in die treffenden Worte:
„Ich verstehe, Sie wollen ohne bsalt auf den Stol hinauf, den
Italienern soll keine Zeit bleiben, ihre rückwärtigen Stellungen zu
besetzen." 4
Flitsch
221
Nach dieser Besprechung ging es hinaus auf einen Beobach-
tungsstand bei Koritnica.
Das gewaltige Gesichtsfeld machte sichtlich Lindruck auf den
Armeekommandanten und seine Begleitung. Es wurde ihm der
Verlauf der italienischen und unserer Stellungen gezeigt, wie sie
sich im Felsgewirr des Rombon herunterzogen bis Flitsch und quer
durch das Talbecken, um südlich davon wieder in den Felsbergen
zu verschwinden. Besonders interessierten ihn die zahlreichen, als
dunkle Flecken im Fels erscheinenden Scharten der italienischen Ge-
schützkavernen. Lr fragte, wie diese Kavernen bekämpft werden
-sollten. Ich erklärte, daß für jede Kaverne ein Geschütz bestimmt
werde, das nichts zu tun habe, als Schuß auf Schuß in die Kaverne
zu senden. Bei der großen Treffsicherheit unserer Geschütze hätten
hrobeschießen ergeben, daß unter zehn Schüssen zwei bis drei Treffer
in die Kaverne erzielt werden könnten, was hinreichen mußte, die
Kaverne außer Tätigkeit zu setzen.
Der Armeekommandant zeigte dann auf den in nebliger Ferne
bis in die Wolken ragenden massigen Stol: „Und das ist der Stol,
da wollen Sie hinauf?" Als der Armeekommandant den Beobach-
tungsstand verließ, sagte er zu mir: „Sie haben sich viel vorgenom-
men, Exzellenz, ich wünsche, daß es gelingt."
Nun folgten anstrengende und aufreibende Tage der Vorberei-
tung. Die Offiziere meines Stabes arbeiteten Tag für Tag vom
frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein, um alles auf das Beste
bereitzustellen. Ich habe alle, besonders den Generalstabschef Oberst
j)rimavesi, in ihrer unermüdlichen, aufregenden Arbeit bewundert
und bin auch heute noch voll des Lobes für diese selbstlose und von
der Öffentlichkeit so wenig anerkannte und bedankte Arbeit. Nur
dieser Arbeit war es zu danken, daß die Truppen alle Hilfsmittel
besaßen, die ihnen die Führung des Angriffes bei verhältnismäßig
geringen Verlusten ermöglichten.
Aber selbst diese aufopferungsvolle Arbeit konnte die sich tür-
menden Schwierigkeiten nicht rechtzeitig beseitigen. Am 16. Oktober
wurde es klar, daß wir bis zum 22. Oktober, dem Tag des An-
griffes, nicht fertig werden konnten, vor allem war es unmöglich,
die Artillerie und die Munition noch rechtzeitig in die Stellungen
zu schaffen. Das Armeekommando konnte sich nur schwer zu einer
Verschiebung verstehen, mußte sich aber schließlich doch entschließen,
den Angriff auf den 2\. Oktober zu verlegen.
Diese Verschiebung hatte doch ihr gutes, wie gewöhnlich vor
einem großen Angriff gab es auch jetzt Überläufer, nur daß diesmal
bei Tolmein zwei slawische Reserveoffiziere zu den Italienern über-
gingen, ihnen alle Einzelheiten des Angriffes verratend. Die
Italiener trugen den Mitteilungen dieser Überläufer Rechnung, in-
dem sie die Besatzung ihrer ersten Stellung verstärkten. So setzten
sie vox dem s. Korps eine ganze Infanteriedivision als Verstärkung
222
Krauß
ein. Ich begrüßte dies freudig. Je stärker die Italiener in der ersten
Linie waren, desto wirksamer mußte der Angriff ausfallen, desto
weniger Kräfte blieben ihnen für die rückwärtigen Stellungen.
Als nun der 22. Oktober verging, ohne daß der Angriff erfolgte,
waren die Italiener offenbar an der Nachricht irre geworden. Der
Angriff traf sie am 2\. daher doch wieder, wenn auch nur beschränkt,
überraschend.
Das Wetter war seit Anfang Oktober recht ungünstig geworden,
häufiger strömender Regen, der in den Bergen Schnee brachte, er-
schwerte Märsche und Transporte. Je näher der Angriffstag rückte,
desto ungünstiger wurde das Wetter. Alle Wasserläufe führten
schon vor dem Angriffstag hohen Wasserstand.
Am 23. Oktober wurde den Truppen folgender Befehl aus-
gegeben :
„Soldaten des I. Korps! Zum zweitenmal in diesem Kriege
geht es zum Angriff gegen Italien! Für Tuch gilt der Satz: Keine
Ruh' und keine Rast bis die Italiener zerschmettert sind. Mit Gott,
vorwärts!"
Am 23. nachmittags begab sich das Korpskommando auf seinen
am Rücken des Svinjak hoch über dem Flitscher Becken gelegenen
Gefechtsstand. Das Wetter hatte sich am 23. nachmittags aufgeheitert.
Doch schon vor Mitternacht trat wieder schlechtes Wetter ein. Um
zwei Uhr früh begann das Gasschießen und Gaswerfen. Südlich
Flitsch wurden über 800 Gaswerfer gleichzeitig abgefeuert, deren
furchtbare Geschosse den ganzen Raum zwischen dem Ort Flitsch
und dem Isonzo (£>oca) in ein weites Totenfeld verwandelten.
Die italienische Artillerie erwiderte das Feuer lebhaft und sicht-
lich nervös. Die Lichtkegel mehrerer italienischer Scheinwerfer durch-
drängen gespenstig den das Becken erfüllenden Nebel. Ihr fieber-
haftes herumfahren ließ auf die Nervosität der Italiener schließen.
Das italienische Artilleriefeuer wurde bald sichtlich schwächer —
das Gas, welches hauptsächlich der feindlichen Artillerie zugedacht
war, begann zu wirken. Zum Schluß antworteten nur mehr wenige
Geschütze. Gegen Morgen regnete es wieder ziemlich stark. Zur
festgesetzten Stunde begannen Artillerie und Minenwerfer ihre Arbeit.
Der Nebel, der die höhen ganz einhüllte, verhinderte die italienischen
Geschützkavernen an ihrer Wirkung, daher entfiel auch ihre Be-
kämpfung. Zur planmäßig festgesetzten Stunde — 9 Ahr vormittags
— gingen die Truppen zum Angriff vor. Bald danach — 9 Ahr
5 Min. — kam die erste Meldung der 22. Schützendivision „der An-
griff ist im Gange" und um 9 Ahr 30 Min., die Nachricht: „Feind-
liche Stellung unmittelbar südlich der Straße genommen, Stellung
nördlich, die nicht gesehen wird, vermutlich auch".
Der Stoß der 22. Schützendivision bei Flitsch gelang sofort und
gewann Raum. Die braven Truppen mußten sich allerdings den
Boden, der von den Italienern ausgiebig mit Maschinengewehr-
Flitsch
223
stützpunkten versehen war, schrittweise erkämpfen; das Marburger
Schützenregiment, Oberstleutnant von j)asetti, tat ganze Arbeit. Als
nun Rais«schützen sowohl südlich Flitsch vorstießen, als auch am Fuße
des Rombon auf dem sogenannten Ramelrücken vordrangen, war
die Verteidigung im Tal bald zusammengebrochen. Schon um Is Uhr
5 2TTm. nachmittags kam die Meldung, daß die ersten Abteilungen
in die zweite italienische Stellung eingedrungen seien.
Dagegen kamen ungünstigere Nachrichten von den Bergen. Dort
wütete ein heftiger Schneesturm. Die Salzburger konnten unter
diesen Umständen am Romhon nicht durchdringen. Sie mußten den
Angriff abbrechen. Hetzer bsochgebirgskundige wird es begreifen,
daß im Felsgebirge im wirbelnden Schneesturm jede Bewegung und
damit jeder Angriff unmöglich war. Line ^ochgebirgskompagnie, die
sich im Schneesturm über eine Felswand in den Rücken der Italiener
abgeseilt hatte, mußte, weil sie jede Orientierung verlor, wieder
umkehren. Der Rommandant der Rombongrupxe war trostlos. Ich
mußte ihn trösten lassen, daß seine Zeit noch kommen werde, wenn
die Talgruppe den Stol genommen habe.
Die 55. Division hatte gleich anfangs in prachtvollem Angriff
den vrsic und den Sattel {270 genommen, stieß dann aber im Schnee-
sturm auf heftigen Widerstand, der weiteres Vordringen ausschloß.
In der Nacht zum 25. wurde sie sogar am Sattel \270 von einem
starken Gegenangriff der Italiener getroffen, der nur mit Mühe
abgewehrt werden konnte. Auch für sie galt es, die richtige Zeit
abzuwarten. Nur ihre rechte Flügelgruxpe — das Rärntnerregiment
— konnte in erfolgreichem Rampfe im schweren Felsterrain des
polounik Raum gewinnen.
Die f0. Armee verlangte dringend die «versprochene Unter-
stützung, da sie sonst nicht angreifen könne. Ihr wurde geantwortet,
daß die Witterung die Artillerieunterstützung ausschließe, sie möge
nur frischen Mutes anpacken, der Stoß auf den Stol werde auch
ihr bald Luft machen.
Der 25. brachte auch Erfüllung dieser voraussagen. Die
22. Schützendivision hatte den Stoß im Tal erfolgreich fortgesetzt
und ein Bataillon von Flitsch aus gegen die j)revalafcharte in den
Rücken der Italiener am Rombon entsandt. Die Schnelligkeit des-
Vorstoßes im Tal wurde wesentlich dadurch beeinträchtigt, daß die-
Italiener alle Brücken zerstört hatten. Der unaufhörlich strömende
Regen machte alle Bäche zu schweren Hindernissen. Line gesprengte-
Brücke bei Saga konnte nur einzeln mühsam überschritten werden.
Trotzdem wurde in der Nacht zum 25. Saga am Fuße des Stol er-
reicht und sofort der schwierige Anstieg begonnen. Mehrere italie-
nische Nachhutstellungen wurden genommen. In den ersten Nach-
mittagsstunden waren die stark befestigten vorberge des Stol, Hum«
und Prvi-Hum, genommen.
224
Krauß
Der weitere Anstieg stellte an die gebirgsgewohnten Truppen
die größten Anforderungen. Nach den Meldungen der erfahrenen
Truppenkommandanten waren die Geländeschwierigkeiten für den
Angriff gegen den Stolrücken selbst ganz außerordentlich. Aber auch
diese wurden überwunden und am 25. um ss Uhr nachts der erste
Punkt des Stolrückens, der 1^50 m hohe Straßenübergang erstürmt,
wobei 200 Alpini gefangen genommen wurden. Das Bataillon,
das diesen wichtigen Erfolg errungen hatte, blieb vor Erschöpfung
liegen; es konnte seinen Erfolg nicht ausnützen. Ein frisches Ba-
taillon mußte dort eingesetzt werden. Den Anstrengungen der braven
Truppen gelang es dann in den frühen Morgenstunden des 26.,
den ganzen Rücken mit dem beherrschenden Punkte des Stol in
Besitz zu nehmen. Mehrere Stützpunkte, die der Feind hartnäckig
verteidigte, mußten erstürmt werden. Lin Brigadier mit seinem
Stab, zahlreiche Offiziere und Mannschaften wurden gefangen ge-
nommen. Mährend noch der Angriff auf den Stol im Zuge war,
wurde vom Straßenpunkt aus der Vormarsch auf Bergogna an-
getreten, wohin bereits Detachements im Marsche waren.
So hatte die 22. Schützendivision ihre Aufgabe glänzend gelöst:
Sie war in einem Zuge vom Ausgangspunkt des Angriffes bis auf
den Stol vorgedrungen und war im Vormarsch auf Bergogna. Wenn
dieser Stoß mehr Zeit brauchte, als ich im Befehl angesetzt hatte,
- so lag der Grund in der Zerstörung aller Brücken, die nicht ver-
hindert werden konnte, und in der ausnehmend schlechten Witterung.
Die Edelweißdivision, die der 22. dichtauf folgte, begann nun
ihre Aufgabe zu lösen — Vorstoß auf Resiutta in den Rücken der
Italiener, die in den Rarnischen Alpen — standen. Leider fehlte die
Straße, die unsere Rarten von Uccea über den Nizki-vrh nach Resiutta
anzeigten: Dort führte nur ein elender, beschwerlicher Saumweg.
So mußte die wirkungsvolle Verwendung schwerer Artillerie unter-
bleiben. Die Edelweißdivision, der bald die deutsche Iägerdivision
folgte, drang über Uccea vor, wo das oberösterreichische Regiments
fünf, von den Italienern tapfer verteidigte schwere Geschütze im
ksandgranatenkampf eroberte. Dieser Vorstoß der Gruppe des Ge-
neralmajors von Wieden brachte bald die ganze italienische Front
vom Rombon bis zum Plöckenpaß zum Weichen.
Der Stoß auf den Stol machte, wie vorausgesehen, seine Wir-
kung auf die beiden Lsöhenabschnitte geltend.
Auf dem Rombon begannen die Italiener schon am 25. früh
abzubauen. Die Salzburger folgten ihnen auf dem Fuße nach,
entrissen ihnen bis zum 26. mittags das ganze Gelände bis zur
Prevalascharte und bis zum Tanin. Nur die Scharte selbst blieb
noch im Besitz der Italiener, von dort feuerte noch am 26., also zur
Zeit als die 22. Schützendivision Bergogna bereits erreicht hatte,
italienische Artillerie nach Flitsch, ohne den Vormarsch unserer Ar-
tillerie und der Trains aufhalten zu können. Die Bedeutung schwer
Msch
225
gangbarer höhen im vergleich zum Talweg kann wohl nicht besser
dargetan werden, als durch dieses Beispiel.
Es soll gleich hier erwähnt werden, daß die Angriffsgruxxe
der fO. Armee, die seit dem 2\. Oktober im Angriffe war, endlich
am 28. den Neveasattel nördlich des Rombon im Sturm nahm, und
nun auch ohne Rücksicht auf die noch besetzten höhen im Tal vor-
drang. Die feindlichen Höhenbesatzungen verfielen so der Gefangen-
schaft.
Auch im Süden des Flitscher Beckens begannen die Italiener
am 25. vormittags den Rückzug. Sie mußten wohl jeden widerstand
angesichts der Tatsachen aufgeben, daß Rarfreit seit dem 2H im
Besitz der Deutschen war, und daß auch der Stol bereits erstiegen
wurde. So konnte nun auch die 55. Division den Lohn für ihre Aus-
dauer im schwierigsten Gebirgsgelände einheimsen: in der talab
führenden Verfolgung des weichenden Leindes. Reiche Beute an
Gefangenen, Geschützen, Munition und Fahrzeugen aller Art fiel
ihr in die Hände.
So hatten die Talstöße über Rarfreit und über Flitsch-Saga auf
den Stol, die mit geringen Verlusten einen durchschlagenden Erfolg
brachten, alle umfaßten hähenstellungen samt ihren Besatzungen in
die Hände der siegreichen Truppen geliefert.
Groß waren die Erfolge, welche den Truppen für ihre Aus-
dauer und Tapferkeit zufielen. Und doch mußte noch mehr gefordert
werden.
Die 50. Division, die als linke Nachbardivision der 55. mir
unterstellt worden war, und die 22. Division hatten den Vormarsch
ohne Aufenthalt in die Ebene fortzusetzen. Die 55. hatte ihnen als
Rorpsreserve zu folgen. Die 22. Schützendivision sollte noch am 29-
Gemona erreichen, die Befestigungen östlich Tarcento (Mte. S. Ber-
nadia) und bei Osoppo nehmen. Die Gruppe Wieden, Edelweiß-
division und deutsche Iägerdivision, hatte über Resiutta auf Tol-
mezzo vorzugehen und Verbindung nach Gemona aufzunehmen.
Nach notdürftiger Rast nahmen die Truppen den Vormarsch
wieder auf. Die 22. Schützendivision konnte die Wegnahme der
Befestigungen Mte. S. Bernadia schon am 28. Oktober melden trotz
einer sehr bösen Straßenzerstörung — die Italiener hatten die Straße
bei jAatischis an einer Felswand auf etwa 60 in Länge abgesprengt.
Der Angriff des Marburger Schützenregiments war so überraschend
schnell erfolgt, daß die Italiener die neu ausgehobenen Schützen-
gräben gar nicht mehr besetzen konnten. So hat auch hier rasche
Vorrückung Blut gespart.
Am 29. standen die Truppen schon in der Ebene, am Torrente
Torre vor Tarcento. Leider konnten die Brücken über den tosenden
Wildstrom nicht gerettet werden: Die Italiener sprengten sie früh-
zeitig.
v. DickhutH-Harrach, Felde unbesiegt.
15
226
Krauß
Die Truppen standen völlig durchnäßt, ermüdet, schlecht genährt
vor dem Fluß — am jenseitigen Ufer der Feind. Trotzdem gelang
es den braven Truppen noch am 29- das Hindernis und den Feind
zu überwinden: Abends war Tarcento in den Händen der Schützen.
Am 30. früh war eine Brücke über den Torrento Torrs hergestellt.
Die Truppen mußten aber weiterstürmen, denn vor uns lag
das schwere Hindernis des Tagliamento.
Die 22. Schützendivision hatte Gemona und die dort liegenden
Befestigungen zu nehmen, Verbindung mit der Gruppe Wieden her-
zustellen.
Die 50. und nördlich davon die 55. Division hatten an den
Tagliamento vorzustoßen. Detachements waren zur Besitznahme der
Brücken vorauszusenden.
Das Detachement der 55. Division, das die Lisenbahnbrücke
bei Tornino zu nehmen hatte, traf bei Majano ein Bataillon des
deutschen <53. Infanterie-Regiments, das zur Gruppe Stein gehörend,
in unseren Raum gelangt war, im Kampf mit überlegenem Feind.
Den vereinten Kräften gelang es, den Feind zu werfen.
Doch alle Anstrengungen der Infanterie, die Brücken zu retten,
waren vergebens. Als sie am Fluß anlangte, waren die Brücken
bereits gesprengt. Kavallerie, Radfahrtruppen oder Autotruppen
standen uns leider nicht zur Verfügung.
So war es aber an der ganzen Front ergangen. Auch weiter
im Süden, wo die geringeren Geländeschwierigkeiten ein rascheres
Vorgehen der Infanterie ermöglichten, gelang es nicht, eine Taglia-
mento-Brücke zu retten. Bei Todroipo, wo die Deutschen am hef-
tigsten nachdrängten, sprengten die Italiener die großen Brücken
so frühzeitig, daß Tausende von Italienern abgeschnitten der Ge-
fangenschaft verfielen.
Nun mühten sich die Truppen entlang dem ganzen Fluß, die
hochangeschwollene Torrente zu überwinden. Sie versuchten, durch
den Fluß zu kommen. Alle Mühe, den reißenden, in viele Arme
geteilten Strom zu durchwaten und zu durchschwimmen, waren ver-
gebens. Durch zwei, drei Arme kamen die Braven hindurch, am
Hauptarm aber scheiterten alle versuche, selbst der besten Schwimmer.
Am 2. November morgens ging ich vor zur Lisenbahnbrücke
von Tornino, um mir die Lage dort zu besehen. Die Brücke besteht
aus zwei, durch eine Flußinsel getrennten Teilen. Die zur Insel
führende Brücke war unserem vorstürmenden Detachement brauch-
bar in die Hände gefallen. Dagegen war beim zweiten Brückenteil
das etwa 20 in lange Mittelfeld derart an beiden Enden abgesprengt,
daß die schwere Lisenkonstruktion zwischen den beiden Brückenpfeilern
im Flusse lag. Die Brückendecke lag etwa ein bis zwei Meter über
dem Wasserspiegel und etwa vier Meter unter der Brückenbahn.
Die breiten oberen Träger der Eisenkonstruktion lagen etwa in-
gleicher Sähe mit der Brückenbahn, so daß geschickte, schwindelfreie
Flitsch
227
Männer leicht auf diesen Eisenträgern über die Brücke hinweg-
kommen konnten.
Es war daher sofort erkennbar, daß der Weg hinüber nur über
die gesprengte Brücke ginge. Hch begab mich sogleich zum Divisions-
kommando und gab dort den Befehl, die vergeblichen Versuche,
durch den Fluß zu kommen, aufzugeben, und die Brücke für den
Übergang zu benützen.
Dem Divisionskommando wurde starke Artillerie zur Verfügung
gestellt, die ganze Durchführung besprochen und 6 Uhr abends des
2. November als Zeitpunkt für den Znfanterieangriff bestimmt.
Der Plan für den Angriff wurde nach diesen Weisungen vom
Divisionär Generalmajor Felix Prinz Schwarzenberg und vom Bri-
gadier Oberst Graf Zedtwitz so gut entworfen und die Unternehmung
von ljauptmann Redl und vom p Bataillon des bosnisch-herzego-
winischen Infanterie-Regiments 4 so prachtvoll durchgeführt, daß
am Abend des 2. November die Brücke genommen und das westliche
Tagliamentoufer gewonnen war. Die stürmende Infanterie war auf
Leitern hinab auf das im Fluß liegende Brückenfeld und von dort
wieder auf Leitern auf die Brücke am Westufer gestiegen. Der erste
Stoß warf die Italiener aus der Brückenschanze. Die im Laufe der
Nacht und des 3. November folgenden Truppen der 55. Division
drängten die Italiener immer weiter zurück und säuberten das rechte
Ufer des Tagliamento bei pinzano, so daß auch dort mit der Her-
stellung der Brücke begonnen werden konnte. Die Eisenbahnbrücke
bei Tornino wurde für den Fuhrwerksverkehr hergerichtet, ohne den
Übergang der Truppen zu unterbrechen. Am -f. mittags wurde die
Brücke fertig; eine Senkung des abgesprengten Brückenseldes stellte
aber die ganze Arbeit in Frage. Erst am 5. konnte der Schaden be-
hoben werden.
Am November früh ging ein Iägerbataillon der Gruppe
Stein als erste deutsche Truppe über unsere Brücke. Das Bataillon
sollte den Schutz des Brückenbaues bei pinzano auf dem westlichen
Tagliamentoufer besorgen. Diese Brücke wurde am nachmittags
fertig, so daß der 55. Division, die bisher ohne Artillerie geblieben
war, die nötigste Artillerie nachgesendet werden konnte.
Mit dem Übergange der 55. Division bei Tornino war die
italienische Tagliamentofront gebrochen. Unsere Truppen stürmten
nun von neuem in der italienischen Tiefebene nach Westen vor.
Neue Heldentaten an rastlosem, tatkräftigem vordrängen wurden von
allen deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen geleistet. So
erbrachten diese Truppen den Beweis, daß sie auch zu Beginn des
Rriegsjahres eine unvergleichliche Stoßkraft besessen haben.
Der Durchbruch bei Tolmein-Flitsch konnte nur gelingen, wenn
er so energisch in einem Zuge erzwungen wurde, wie es tatsächlich
geschehen und gelungen ist. wurde der Durchbruch so geführt, dann
lag nach Gewinnung der Ebene durch den rechten Flügel der Isonzo-
15*
228
Kraug
front (fH. Armee) der Gedanke nahe, durch sein Einschwenken nach
links den bei Gör; stehenden rechten Flügel der Italiener — die
starke 3. Armee — an die Meeresküste zu drängen und ihr den Rück-
zug abzuschneiden. Gelang dies durch Gewinnung der Brücken am
unteren Tagliamento (bei Todroipo und Latisana), dann konnten
schwache dorthin geworfene lheereskörper der ganzen 3. italienischen
Armee den Rückzug verlegen.
Das Gelingen dieses Gedankens erforderte natürlich ein län-
geres verbleiben der italienischen 3. Armee bei Görz. Der linke
Flügel unserer Isonzofront durfte daher nicht angreifen; ja selbst
ein geschicktes Zurücknehmen dieses Flügels, um die Armee des
Herzogs von Aosta nachzuziehen, wäre gerechtfertigt gewesen. Da
man aber nicht die Vernichtung der Italiener, sondern nur ein
vorschieben der Front beabsichtigt hatte, entfiel dieser Gedankengang.
Der sehr stark gehaltene linke Flügel der Isonzofront, die beiden
Armeen der Heeresgruppe Feldmarschall Boroevic, sollte ebenso an-
greifen, wie der rechte Flügel der Front.
Aber das Glück wollte uns wohl. Die Heeresgruppe Boroevic
kam trotz ihrer großen Stärke nicht recht vorwärts. Nur ihr rechter
Flügel kam im Anschluß an die (4- Armee frühzeitig in die Ebene,
aber doch nicht, ohne daß er von den rascher vorstürmenden Deutschen
aus denr zugewiesenen vorrückungsstreifen, Udine-Todroipo, nach
Süden verdrängt wurde.
Diese Sachlage brachte uns zweimal dem großen Wurfe nahe,
die 3. italienische Armee abzufangen.
Als die deutschen Truppen über Udine vorstürmten, indes die
3. italienische Armee noch weit im Osten gegen Boroevic kämpfte,
wollte das ich Armeekommando mit einigen Divisionen nach Süden
in den Rücken der Italiener einschwenken. Boroevic verlangte nun,
daß diese deutschen Divisionen sobald sie in seinen vorrückungs-
streifen kamen, ihm unterstellt werden. Darauf wollte das (4. Armee-
kommando nicht eingehen. Daher unterblieb diese entscheidende
Unternehmung.
Aber noch ein zweitesmal war uns das Glück hold.
Die Deutschen hatten Todroipo erreicht und dort gewaltige
Beute gemacht, als der nach Süden abgedrängte rechte Flügel
der 2. Isonzoarmee, die aus zwei Divisionen bestehende Gruppe
Uosak, mit ihren vordersten Truppen die von den Italienern in
Brand gesteckte Brücke bei Madrisio, südlich von Todroixo, erreichte.
Die Brücke konnte gerettet werden. Das Glück hatte uns im gün-
stigsten Zeitpunkt eine Tagliamentobrücke in die Hände gespielt. Der
Kommandant der beiden Divisionen, Feldmarschalleutnant Ludwig
Goiginger — das Gruppenkommando war weit rückwärts abge-
blieben — erkannte die Lage ganz richtig und faßte den Entschluß,
am nächsten Tage bei Madrisio Ufer zu wechseln, diese Brücke und
die bei Latisana am westlichen Ufer zu besetzen und so der noch
Flitsch
229
im Osten stehenden Armee des Herzogs von Aosta den Rückzug zu
verlegen.
Der kam am Abend ein Genercrlstabsofsizier des bfeeresgruppen-
kommandos an, der den Befehl überbrachte, daß die Gruppe sofort
nach Lodroipo zu marschieren habe, das im Bewegungsstreifen der
Heeresgruppe liege. Feldmarschalleutnant Goiginger gab die Lage
und seinen Entschluß bekannt und sagte, daß in Godroipo die
Deutschen stünden, daß also seine Anwesenheit dort keinen Zweck
habe. Der Generalstabsoffizier betonte, daß der Befehl des Feld-
marschalls Borvevic für alle Fälle gelte, auch dann, wenn in Go-,
droipo schon deutsche Truppen stünden.
Der General ließ sich durch diesen bestimmten Befehl leider von
seinem einzig richtigen Entschluß abbringen. Die Gelegenheit zu
entscheidendem Erfolg war unwiderruflich vorüber.
Das schönste Urteil über den Durchbruch von Tolmein-Flitsch
fällt die italienische Untersuchungskommission, die die Ursachen der
Niederlage von Gaporetto erheben sollte.
Unter bs inweis auf die Tatsache, daß im Durchbruchsraum 238
italienischen Bataillonen nur l.7s deutsche und österreichisch-ungarische
gegenübergestanden sind, sagt die Untersuchungskommission:
„Die Offensive stellte sich im Einblick auf die geringe Zahl als
eine Tat äußerster Kühnheit dar" und fügt bei: „Die Genialität des
Planes, der Feuereifer, die Energie und die Kühnheit, die neuen
Methoden in Zeit, Raum und Kampfart sind anerkennenswert.
Äußerste Ausnützung des unverhofften Anfangserfolges und uner-
müdliche Verfolgung verhinderten jede Rückhaltstellung. Der Feind
führte seine bfauptkräfte mit großem strategischen Verständnisse bis
an die äußerste Grenze der Leistungsfähigkeit von Mann und
Material."
Die beiden siegreichen Armeen, die deutsche, die ihre glanzvolle
Wiedererstehung erleben wird, und die für immer versunkene alte
k. u. k. Armee, die von verständnislosen Menschen so oft falsch
beurteilt worden ist, sie können stolz sein aus dieses glänzende Lor-
beerblatt in ihrem Ehrenkranze.
D!e Armeegruppe Lklrras in dev Tank- und
Angriffsschlacht von Lambrai !m November 1917.
Don Generalleutnant z. D. Gtto v. Moser,
damals Führer der Armeegruppe Arras.
OLm November \ty\7 herrschte an der Westfront im allgemeinen
'V* Ruhe; insbesondere galten die deutschen Stellungen im Lambrai-
bogen für ungefährdet durch feindlichen Großangriff, weil sie stark
ausgebaut waren und weil der Brite sich ihnen gegenüber nicht so
nahe wie anderswo eingegraben hatte, auch artilleristisch wenig
tätig war. So waren diese Stellungen nur sehr dünn mit Infanterie
und noch dünner mit Artillerie besetzt; und zudem fast ausschließlich
mit Truppen, die an anderen Fronten, namentlich in den schweren
und blutigen Llandernschlachten, abgekämpft und abgemüdet waren
und nach großen Verlusten und unsäglichen Anstrengungen des Aus-
ruh ens bedurften.
Da setzte am 20. November 730 morgens ganz plötzlich und
völlig überraschend im ganzen Lambraibogen schlagartig ein kurzes,
feindliches Artilleriefeuer ein, und unmittelbar darauf drangen, —
noch im Morgennebel, der durch dichte, mit Nebelbomben erzeugte
Rauchwolken verstärkt wär, — begleitet von 3—400 feuerspeienden
Panzerwagen, starke Massen englischer Infanterie in die deutschen
Gräben ein, wo auf hundert Meter Breite kaum ein Schütze mit
Gewehr und Handgranate stand. Die Besatzung der vorderen Linie
ward daher glatt überrannt, getötet oder gefangen genommen, die
schwachen heraneilenden Verstärkungen und Stoßtrupps aber wurden
von den Aleingeschützen und Maschinengewehren der in solcher
Menge noch niemals aufgetretenen britischen Aamxfwagen zusam-
mengeschossen; und so stark und kräftig, vor allem aber auch so
überraschend war der diesmal besonders geschickt ausgedachte, streng
geheim gehaltene und gründlich vorbereitete feindliche Angriff, daß
nicht nur die erste und zweite deutsche Infanteriestellung, sondern
auch die vorderste Artilleriestellung genommen wurde, und daß am
Abend des 20. November schottische Infanterie bis über das Dorf
Fontaine-Notre Dame, die westliche Vorstadt von Tambrai, vorge-
drungen war, — also bis ganz nahe an die Stadt heran, die das
militärische und politische Gperationsziel des Gegners bildete. Die
Stadt Lambrai selbst war aber glücklicherweise doch noch in deut-
scher lsand geblieben; sie mußte auch weiterhin unter allen Um-
Cambrai
231
ständen behauptet werden, weil sonst von dort aus die ganze deutsche
Arrasfront vom Rücken her mit Aufrollen bedroht gewesen wäre.
Ihren unbestreitbaren und mit geringen Verlusten erkauften
Linbruchserfolg hatten die Briten noch am gleichen Tage in Lon-
don unter ungeheurem Jubel der Bevölkerung mit dem Läuten aller
Glocken gefeiert.
In den folgenden Tagen und Nächten hat der Engländer den
Frontabschnitt Pronville-Fontaine und insbesondere den Bourlonwald
unter 'massenhaftem Einsätze schwerer Artillerie und ungeheuerer Ge-
schoßmengen, mit äußerster Kraft und Wut angegriffen, um den Durch-
bruch zu erzwingen '— aber vergebens, vergebens, weil es der
deutschen Heeresleitung gelang, die nötigen Abwehrtruppen recht-
zeitig heranzuführen; vor allem aber, weil diese Truppen und ihre
Offiziere unter Anspannung des letzten Nervs Leib und Seele
daransetzten, um des übermütigen Briten wieder Herr zu werden
und um seinen Erfolg in eine Niederlage zu verwandeln. So ist
die verteidigungsschlacht und die ihr folgende Angriffsschlacht bei
Lambrai eins der schönsten Beispiele dafür geworden, daß die
Tatkraft der Führung und die Tapferkeit der Truppe auch aus
gefährlicher, ja anscheinend verzweifelter Lage herausführen können
zum vollen Siege.
An diesen beiden Schlachten haben nun Hunderttausend« von
deutschen Kriegern aller Stämme und aller Waffen teilgenommen
— und doch hat ein jeder nur einen kleinen, zeitlich und örtlich eng
begrenzten Ausschnitt davon erlebt; ja er wußte, eilends mit der
Bahn herangeführt und sogleich in die Front geworfen, vielfach
weder, uni was es sich bei seiner Kampftätigkeit eigentlich handelte,
noch was er zur Lösung der großen Kampfaufgabe beigetragen hatte.
Und noch weniger wußte und erfuhr der Mann, aber auch der
Offizier in Reih und Glied, davon, wie eigentlich die Kampfhandlung,
bei der er mitwirkte, zustande kam und durch welche geistige Trieb-
federn alle diese Truppen bewegt und schließlich zum Siege geführt
wurden, von alledem wenigstens nachträglich etwas zu hören, das
ist der Wunsch und das Recht der Mitkämpfer; davon soll also
in Nachstehendem auf Grund persönlicher Eindrücke, Erlebnisse und
Erfahrungen — als Führer des XIV. Reservekorps (Gruppe Arras)
— erzählt werden.
Auf die Nachricht von dem großen britischen Einbruch in den
Tambraibogen faßte die deutsche Oberste Heeresleitung in Kreuz-
nach unverzüglich den Entschluß, den Durchbruch unter allen Um-
ständen zu verhindern und dazu alsbald von den anderen Kampf-
fronten und aus den Heeresreserven die erforderlichen Streitkräfte
und die nötige Munition zur Stelle zu schaffen. Fernschreiber, Telex-
graph und Telephon begannen daher schon in der Nacht vom 20.
zum 2\. November nach allen Richtungen zu spielen; die Heeres-
gruppen, namentlich die Gruppe Kronprinz Rupprecht von Bayern
232
v. Moser
in Mons, zu der die Tambraifront gehörte, wurden mit Weisungen
versehen; sie benachrichtigten die Armeen, besonders die des
Tambraibogens, die 2., in Le Lateau: das Ergebnis war eine
Tag und Nacht fortdauernde Völkerwanderung von Truppen aller
Waffen mit Bahn und Fußmarsch nach der Durchbruchsfront, da»
neben ein Zuströmen gewaltiger Mengen von Geschossen aller
Kaliber und von Verpflegung jeder Art für Mann und Roß mit
Achse und Kanalschiff. Der Tambraibogen selbst aber wurde zum
Kampfe in zwei, später drei Abschnitte — Arras, Laudry und
Bufigny — geteilt, deren jeder einem Kommandierenden General als
Gruppenführer unterstellt war. Bei einer dieser drei Gruppen hat
also jeder, der an den Tambraischlachten mitbeteiligt war, den
Kampf mitgemacht.
So waren also die bis dahin so stillen Korpshauptquartiere plötz-
lich zu Taubenschlägen, die ruhige Kampffront zum Brennpunkt
der Ereignisse an der Westfront geworden, von oben trafen tele-
graphische, schriftliche und mündliche Weisungen aller Art ein;
mit den Nachbargruppen fand ein unausgesetzter Nachrichten- und
Meinungsaustausch statt; von vorn, vom Kampffelde, jagten sich
die Meldungen, Hilferufe und Anfragen — daraufhin ergingen die
Befehle der Generalkommandos nach unten auf allen Befehlswegen,
vielfach auch durch entsandte Offiziere des Stabes. Gleichzeitig
rückten auf allen Straßen und Wegen die verstärkungstrupxen mit
ihrent ungeheueren Troß herein, und meldeten sich deren Komman-
deure, sowie die Führer der Materialzüge, zur Empfangnahme
von Weisungen: vom General bis zum Leutnant löste ein Offizier
den anderen ab. Für die Kommandierenden Generale handelte es
sich zunächst darum, die Verteidigung so zu organisieren, daß trotz
des beständigen Wechsels aller Verhältnisse auf dem Kampffelde
jederzeit volle Klarheit herrschte über die Befehlsgliederung und
die Kampfaufgaben, sowie daß auf der ganzen Front der Zusam-
menhang und Anschluß gewahrt blieb. Dazu mußte jeder Division
ein fester Abschnitt und eine bestimmte Aufgabe, gleichzeitig aber
auch die nötige Anzahl von Truppen zugeteilt werden; außerdem
waren die zahlreichen schweren Batterien, die nicht den Divisionen
unterstellt werden konnten, in Kampfgruppen mit bestimmten Auf-
trägen zusammenzustellen. Daß all dies für die Stäbe keine leichte
Aufgabe war, mag folgendes Beispiel erhellen: Am 22. November
waren vom Generalkommando des ich Reservekorps vier, am
25. sechs, am 29. sieben Divisionen einzuteilen, auszurüsten, unter-
zubringen und zu verpflegen; am 25. November zweihundert, am
2% dreihundert, am 30. fünfhundert Geschütze aufzustellen und mit
Brisanz- und Gasmunition auszustatten; am 22. zwei, am 27. sieben,
am 30. elf Fliegerabteilungen mit Aufträgen zu versehen, im ganzen
waren von diesem Generalkommando 1(30000 Mann zu versorgen.
So ist es klar, daß jeder Tag, ja jede Stunde neue Arbeit, Aufgaben,
Lambrai
233
Aufregungen und Sorgen brachte; Vortrag reihte sich an Vortrag,
Entscheidung an Entscheidung. Und von der ersten bis zur letzten
Kamxfstunde, also vom 20. November bis 5. Dezember, mehr als
^ Tage lang, gab es für die Kommandierenden Generale und ihre
Stäbe keine Ablösung und keine Erleichterung in der Verantwortung
und in der Arbeit. Ganz ähnlich lagen die Dinge und die Pflichten
bei den Divisionsstäben; denn die Divisionskommandeure hatten die
Gefechtsführung ihrer zahlreichen Truppen — Infanterie, leichte
und schwere Artillerie, Pioniere, Maschinengewehr-Abteilungen, Flie-
ger, Ballons, Arbeits- und Armierungssoldaten und Kolonnen jeder
Art — in ihrem Abschnitt verantwortlickf zu leiten, vor allem aber
ihre Infanterie durch den Infanterie-Brigadekommandeur, ihre
Artillerie durch den Artilleriekommandeur dauernd mit genauen An-
weisungen für den Kampf zu versehen und ihre Truppenverbände
durch alle Krisen, Wechselfälle und Nöte der Schlacht mit fester
Hand hindurchzuführen. Dies war aber erst recht, in erhöhtem
Maße und unter den schwierigsten Verhältnissen die Aufgabe der
Regiments-, Bataillons- und Abteilungskommandeure innerhalb
ihres Befehlsbereichs: denn je weiter nach vorn, desto größer neben
der geistigen die körperliche Anstrengung und desto ernster vor allem
die Gefahr.
vor allem bei den Frontoffizieren und Frontsoldaten der vordersten
Linie! Dort standen und lagen sie während der stürmischen, kalten und
regnerischen November- und Dezembertage und während der dunklen,
langen Nächte, eng aneinander geschachtelt in feuchten und un-
fertigen Gräben und Unterständen, die nur geringen Schutz gegen
Witterung und Feuer boten, und dort hielten sie den unaufhörlich
auf sie gerichteten Hagel von Granaten, Schrapnels, Minen-, In-
fanterie- und Maschinengewehrgeschossen und Bomben trotz schwerer
Verluste standhaft aus. Dort warfen sie den bald an dieser, bald an
jener Stelle in Massen und mit großer Tapferkeit anstürmenden
Briten mit Gewehr und Handgranate und mit der blanken Waffe
zurück, gingen immer wieder zum Gegenstoß über und überließen
dem Feinde keinen Zoll ihrer Stellungen aus der ganzen Front
pronville—Moeuvres—Bourlonwald.
In diesem hochstämmigen xarkartigen Walde aber, der mit
seinen zwei Kuppen an der Südwestecke die ganze Gegend weithin
beherrschte und für den Angreifer die beste und gedeckteste Annähe-
rung an Tambrai bedeutete — in diesem Wald hatte sich der Eng-
länder schon am ersten Tage mit starker Infanterie und zahlreichen
Maschinengewehren festgesetzt und eingegraben — dort spielte sich
daher auch in den Tagen vom 23. bis 29. November ein beson-
ders schweres und hartnäckiges, hin- und herwogendes, wahrhaft
dramatisches Ringen und Kämpfen ab, das zu den heißesten und
blutigsten des ganzen Krieges gehört.
Am 23. will die britische Führung hier offenbar den Durch-
bruch erzwingen: Schützenwelle hinter Schützenwelle dringt von
234
v. Moser
Süden her in den Wald hinein, dabei zahllose Maschinengewehre;
gleichzeitig stoßen Dutzende von Panzerwagen, zum größeren Teil
entlang dem Westrande des Waldes unmittelbar auf das Dorf
Bourlon, zum anderen Teil aber auch auf den Waldwegen tief in
den Wald hinein —, ja über dessen Gstrand hinaus. Gleichzeitig
verdoppelt der Feind seine Fliegerangriffe; am Abend ist der über-
mächtige Angreifer bis an den Nordrand des Waldes und bis in das
Dorf und Schloß Bourlon vorgedrungen, in dem sich lange Monate
hindurch das Hauptquartier der Armee Fritz von Below befunden
hatte. Aber ein kraftvoller Gegenstoß der 3. Gardedivision wirft ihn
wieder bis zur Mitte des Waldes zurück und aus dem Dorfe hinaus;
das Schloß mit seiner englischen Besatzung wird rings umzingelt und
mit Maschinengewehren und Minen beschossen. Heldentaten ge-
schehen auf der ganzen Linie: im Dorfe und südlich vor dem Dorfe,
aber auch auf den schmalen, steilen Waldwegen liegen und stehen
eine Reihe zusammengeschossener und bewegungsunfähiger Panzer-
wagen in den unmöglichsten und malerischsten Stellungen, teilweise
auf deni Ropf; daneben die verbrannten und verstümmelten Leichen
der Besatzung.
Allein auch unsere Verluste und Opfer sind schwer, namentlich
ist die Infanterie stark mitgenommen. Ein Glück, daß unsere Artil-
lerie und unsere Flieger — bei diesen der ebenso bescheidene, wie
ritterlich tapfere Rittmeister Frhr. v. Richthofen mit seinem gefürch-
teten roten Geschwader — mehr und mehr die Überhand gewinnen;
sonst wäre die Lage verzweifelt. Aber in später Nacht erstürmen
trotz aller Ermüdung die xommerschen Grenadiere noch das Schloß
Bourlon und nehmen den Rest der Besatzung gefangen.
Am 2ch abends erfolgt nach schwerstem englischen Artillerie-
feuer wiederum ein großer entschlossener Angriff, der von 30 Panzer-
wagen begleitet ist und wiederum bis zum Dorfe Bourlon vordringt.
Gleichzeitig werfen die feindlichen Flieger im Hintergelände auf
die Ortschaften und Straßen zahlreiche Bomben ab, um das heran-
rücken von deutschen Verstärkungen zu verhindern. In einem neuen
Nacht- und Frühmorgenangriff wird der Engländer wieder in den
Wald hineingeworfen; Engländernester im Dorf und in alten deut-
schen Unterständen am Waldrande werden in wildem, mitleidlosem
blutigem Nahkampfe gesäubert.
Am 25. November neuer Angriff; 90 Panzerwagen werden im
Anmarsch von Süden her nach dem Bourlonwalde gemeldet. Unsere
Flieger benachrichtigten rechtzeitig die Artillerie: sie stürzt sich mit
wütenden Feuerstößen auf die willkommene Beute, zertrümmert
einen großen Teil der Kampfwagen und zwingt den Rest zur Um-
kehr. Bis zum Abend sind am Bourlonwald f0 Panzerwagen er-
beutet und 300 Gefangene gemacht.
Am 26. wiederum Nachtkämpfe und Tag und Nacht ein Höllen-
feuer der feindlichen Artillerie auf den nördlichen, unserer Artillerie
Cambrai
235
auf den südlichen Teil des Waldes, das diesen noch vollends in
ein Gewirr von zerschossenen Bäumen und Zweigen verwandelt.
Am 27. November aber, dem achten Kampftage, macht der
Brite einen letzten großen, verzweifelten Durchbruchsversuch, noch
in der Morgendämmerung mit starker, frisch eingesetzter Infanterie
und mit einer großen Anzahl neuer Panzerwagen. Unsere zu Tode
ermüdete Infanterie wird diesmal von der Übermacht bis an den
Bahndamm nordöstlich des Bonrlonwaldes zurückgedrängt: das
Gelingen des feindlichen Durchbruchs droht — damit wäre aber nicht
nur der weg auf Tambrai für den Gegner geöffnet, sondern es
wären auch fünfzig unserer Geschütze verloren gewesen, die dicht
hinter dem Bahndamm im 'Feuergefecht standen. Auch das Dorf
Fontaine geht verloren. Aber in dieser äußersten Not läßt der Kom-
mandierende General den Bourlonwald von der gesamten Artillerie
unter das stärkste Feuer nehmen und gleichzeitig unsere sämtlichen
Flieger gegen den Wald und Aber ihn hinweg, sowie auf Fontaine
vorstürmen; ans Kraftwagen werden 3 Bataillone der 22s. Divi-
sion zur Unterstützung und zum Gegenangriff vorgeschickt: und in
der Tat, bis zum Abend haben die braven Truppen der 2\%, 22s.
und 3. Garde-Division den Engländer, freilich erst nach blutigen und
verlustreichen Kämpfen, wieder tief in den Wald zurückgeworfen;
auch Fontaine ist wieder im Sturme genommen! Und ebenso tapfer
und heldenmütig haben in diesen Tagen die Truppen der 20. Infan-
terie- und der 2s. Reserve-Division den zwischen pronville und dem
Bourlonwalde immer wieder heranwogenden Ansturm des Gegners
blutig abgewiesen. Die Truppen haben fast Übermenschliches geleistet,
von den Generalkommandos und Divisionen geschieht alles Erdenk-
liche zu ihrer Erleichterung. Am 2si. rollen Kolonnen, angefüllt mit
Munition und Handgranaten, aber auch mit wein, Speck, Zucker, Brot,
Konserven, mit wollenen Decken und rasch aufstellbaren Baracken nach
vorn. Allen am Kampf beteiligten Truppen ist jedoch der schönste Lohn
ihrer Taten und Leistungen der jubelnde Widerhall aus der Heimat,
die atemlos, anfangs mit schwerer Sorge, dann aber mit immer
wachsendem Stolze auf die Kämpfer am Bourlonwalde blickte.
So war der englische Durchbruchsversuch bei Tambrai endgültig
gescheitert — inzwischen hatte aber die deutsche Heeresleitung be-
schlossen, sich nicht mit diesem negativem Ergebnis zu begnügen,
sondern dem Gegner auch die. Beute vom 20. November wieder
zu entreißen und zugleich der ganzen Welt die unerschütterte An-
griffskraft der angeblich durch den langen Stellungskrieg völlig
zermürbten deutschen Westfronttruppen vor Augen zu führen, west-
lich und südlich des Bonrlonwaldes, von Norden und von Osten
her, sollten am 30. November die drei Kampfgruppen Arras, Taudry
und Bufigny zum großen Sturmangriff vorbrechen. Bei den beiden
letztgenannten Gruppen war für den Ostangriff eine größere
Anzahl frischer Divisionen eingetroffen; bei der Gruppe Arras für
den Nordangriff nur eine ermüdete, die 4$. Reserve-Division. Daß
236
v. Moser
trotzdem auch die Infanterie der Gruppe Arras, ungeachtet der un-
geheuren Anstrengungen des zehntägigen, ohne Ablösung gegen große
Übermacht geführten Kampfes, und trotz der großen Lücken in ihren
Reihen, noch die Kraft ausbrachte, sich an dem Angriffe zu beteiligen,
das darf als bewundernswert bezeichnet werden, wesentlich trug
dazu der Gedanke bei, endlich wieder einmal aus dem auf die Dauer
furchtbaren Stellungskriege heraus zu einem der deutschen Volks-
seele mehr entsprechenden Angriff schreiten zu können und der
Wunsch, dem britischen Übermut einen kräftigen Dämpfer aufzu-
setzen — Lloyd George und die englische Presse sprachen noch immer
laut von einem Einmarsch in Tambrai vor Weihnachten!
von Neuem war so in den Tagen vom 26.—29. November
das Kriegshauptquartier der Gruppe Arras zum Taubenschlag
geworden : mitten in der verteidigungsschlacht mußten die Angriffs-
Befehle, die die Gefechtsstreifen und Ziele der Divisionen, sowie die
gänzlich anders gestalteten Aufgaben der Artillerie und der Flieger
regelten, entworfen, vervielfältigt und hinausgegeben werden; und
ebenso wurden bei den Divisionen in Tag und Nacht andauernder,
rastloser Arbeit die Vorbereitungen für die Bereitstellung und Glie-
derung der Truppen, nach vielen Geländeerkundungen und Rück-
sprachen mit den Kommandeuren, fertig gestellt.
Der 3 0. November war der große Sturmtag. Um 9 Uhr
vormittags brachen die Angriffskolonnen der Gruppen Gaudry und
Busigny, rund ein Dutzend Divisionen, in die britischen Stellungen
ein; um \2 Uhr mittags folgte der Angriff der Gruppe Arras mit
5 Divisionen westlich, einer sechsten östlich des Bourlonwaldes, wäh-
rend die siebente — die 3. Gardedivision — diesen Wald umschloß
und abriegelte. Der Angriff der Gruppe Arras wurde verdeckt durch
eine mit Rauchbomben erschossene Nebelwand, vorbereitet und
unterstützt durch das Feuer von 39O leichten und ^8 schweren Ge-
schützen und begleitet von mehr als hundert tief fliegenden, mit Ma-
schinengewehren feuernden und Bomben werfenden Fliegern. So
wie am 20. November wir, so wurde am 30. der Engländer durch
den Angriff völlig überrascht; am Abend waren die Truppen der
Gruppen Taudry und Busigny tief in die britischen Stellungen
hineingestoßen; die der Gruppe Arras hatten ihren Gegner fast einen
Kilometer weit bis nahe an die Nationalstraße zurückgeworfen, die
Nordwesthälfte des Bourlonwaldes erobert und reiche Beute an
Gefangenen und Geschützen gemacht.
Am l. Dezember wurde der Angriff erfolgreich fortgesetzt
und der Feind trotz verzweifelten Widerstandes unter schweren Ver-
lusten weiter zurückgedrängt. Die gefangenen englischen Offiziere
drückten aus freien Stücken ihre Bewunderung aus über das ein-
heitliche und schnelle Vorbrechen unserer Infanterie aus den vor-
dersten Gräben, und über das tapfere und geschickte Verhalten un-
serer Stoßtrupps beim Kampf um die Grabenstücke und Unterstände.
Sie erzählten weiter, daß die englische Führung einen Angriff von
Cambrai
237
Norden her nicht für möglich gehalten hatte, sondern an dieser Front
am 30. November selbst mit frisch eingesetzten Divisionen zum An-
griff vorgehen wollte. Daran hat sie nun unser Angriff verhindert.
Am 2. und 3. Dezember trat bei allgemeiner Erschöpfung
eine Kampfpause ein; am 4- aber wurden alle Vorbereitungen ge-
troffen, um den Engländer, der noch immer den Südostteil des
Bourlonwaldes als Sprungbrett für einen Angriff auf Tambrai
zäh behauptete, von dort zu vertreiben; vor allem wurde der Wald
Tag und Nacht unter ein furchtbares Kreuzfeuer mit Brisanz?- und
Gasgeschossen, sowie mit Minen genommen, das den Aufenthalt
im Walde zur Hölle machen mußte und den deutschen Sturm vorbe-
reitete: aber in der Nacht vom % zum 5. Dezember räumte die eng-
lische Besatzung den Bourlonwald — seit der erste freiwillige
Rückzug britischer Truppen aus einer eroberten Stellung! Unsere
Truppen stießen durch den Wald hindurch und weit nach Südwesten
bis in dis Stellungen vom 20. November nach.
So war auch die Angriffsschlacht bei Tambrai glänzend ge-
wonnen; der Engländer hatte eine schwere Schlappe erlitten und
im gesamten Lambraibogen den Geländegewinn des 20. No-
vember, außerdem aber viel Menschen und Material verloren.
Allein bei der Gruppe Arras betrug die Beute 53 Offiziere, f670
Mann, 240 Maschinengewehre, \\ Minenwerfer, 26 Geschütze und
33 Panzerwagen. Das Ansehen der britischen Waffen und Heerfüh-
rung war mit dem Jahresende stark herabgedrückt, das der
deutschen stark gehoben. Jetzt frohlockte die deutsche Heimat und
erblickte namentlich in dem erfolgreichen Angriffe bei Tambrai ein
günstiges Anzeichen für den im Frühfahr lfW allgemein erwarteten
großen und entscheidenden Angriff auf dem westlichen Kriegsschau-
plätze.
Daher darf mit stolzer Genugtuung auf diese Ehrentage zurück-
blicken ein jeder, der an den Schlachten bei Tambrai mitgestritten
und mitgewirkt hat, mit Gewehr und Handgranate, am Maschinen-
gewehr, Minenwerfer oder am Geschütz, im Flugzeug oder auf dem
Fahrrad, im Kraftwagen, am Fernsprecher oder an den Befehls-
stellen der höheren Kommandobehörden, oder auch da, wo den be-
dauernswerten Opfern des Kampfes die erste Linderung und JEjtlfe
zu teil ward. was aber diese Tage den Mitkämpfern in der Er-
innerung noch besonders teuer macht, das ist das Bewußtsein, daß
damals noch, gerade während der schwersten Kampftage, das Band
treuer und selbstloser Kameradschaft den deutschen Soldaten mit
seinen Führern, vom untersten bis zum obersten, verknüpfte, und daß
alle zusammen das Gefühl fester Gemeinschaft mit der Heimat ver-
band: ihre Sorge war auch unsere Sorge, ihre Freude und ihr Stolz
auch unserer, ihr Jubel und Dank erquickte und stärkte die Über-
lebenden und drang Hinab in die Gräber der auf dem Felde der Ehre
Gefallenen.
„LID 57"
in den Gewässern um England,
Februar 191$.
Don Korvettenkapitän Friedrich Lützow von der Admiralität, damals Ad-
miralstabsosfizier beim Befehlshaber der Unterseeboote der HochjeestreitkrSfts.
^Handelskrieg in den fjoofben und an der englischen Ostküste bzw.
nach Ermessen des Rommandanten im englischen Ranal und
in der irischen See. Auslaufen am 3h. Januar 11918. Rückkehr nach
Maßgabe der Leistungsfähigkeit und des Munitionsverbrauchs, spä-
testens nach f6 Tagen. Aus- und Einlaufen nur bei Dunkelheit, das
Gebiet der Netz- und Minensperren vor der Rüste ist möglichst bei
Hochwasser zu passieren." — So lautet der Befehl, den „UB 57"
am 30. Januar W8 vom Führer der Uboote Flandern erhält. Das
Boot liegt in der werft in Brügge, wo es die Schäden nach der
letzten Unternehmung ausgebessert, die Maschinen überholt und die
Vorräte an Treiböl, Frischwasser, Proviant usw. ergänzt hat. Das
Rommando über „UB57" hat soeben Oberleutnant zur See Löß
von Rapitänleutnant Steinbrinck übernommen. Er ist bereits er-
probt im Ubootskrieg, war seinerzeit Wachoffizier auf „U. 75",
hatte mit ihm die Minen bei den Orkney-Inseln gelegt, durch die
am 3. Juni W6 die „thampshire" mit Lord Ritchener an Bord ver-
nichtet wurde, war dann Rommandant eines kleinen Ubootes ge-
worden und soll nun eins der modernsten, mittelgroßen Uboote
führen.
Schrill klingt um Mitternacht der pfiff der Batteriepfeife über
das Deck von „UB57" hin. „Rlar zum Manöver"! Ein Teil der
Seeleute steht schon an Deck, gewärtig weiterer Befehle; der Rest
eilt durch die zwei Luken aus dem Bootsinnern nach oben. Das
Maschinenpersonal steht an Maschinen und ksilfsmaschinen. Alles
Licht an Oberdeck ist abgeblendet, nur ab und zu dringt ein schwacher
Lichtschein von unten an Deck oder an der Stelle, wo die Festmache-
leinen losgenommen werden, blitzt für Sekunden eine Taschenlampe
auf. von Süden her grollt einzelner dumpfer Donner, von der Land-
front, der gewöhnliche, vertraute Schlag der Rriegsuhr hier an der
Westfront. Seit wenigen Minuten raffelt dazu der Lärm der zahl-
losen Fliegerabwehrgeschütze aus der Richtung von Ostende.
Löß steht auf der Brücke von „UB 57". theil und Sieg zur
ersten Fahrt mit diesem Uboot! Seine Leute kennen ihn und seinen Ruf
als Führer. Auch wenn sein Gesicht in der Dunkelheit nicht zu
UB 57
239
sehen ist, wissen sie, daß auf ihm heitere, stets gleichbleibende und
feste Zuversicht zu lesen ist. „Ls gibt nichts, was nicht klar gehen
kann!" Das ist fein Wort durch all die Kriegsjahre gewesen und
dieses vertrauen, verbunden mit seiner Geistesgegenwart, mit dem
festgefügten Band, das ihn, den Führer, mit seiner Besatzung ver-
bindet, hat ihn bisher durch alle schwierigen Lagen — und es gab
deren genug — glücklich hindurchgeführt.
Lautlos gleitet „UB 57" durch den Kanal von Brügge nach
Zeebrügge, verläßt um f Uhr nachts die Schleuse und steuert an
der Mole von Zeebrügge vorbei in die freie See.
Lin Tauchen mit „UB 57" dient der Prüfung, ob alle Ver-
schlüsse wasserdicht schließen, ob die Gewichte im Boot richtig ver-
teilt sind, so daß es im Ruhezustand hin- und herpendelt wie eine feine
wage. Dann gehts aufgetaucht weiter, wir umgehen die englische
Netzsperre, die, mit kleinen Minen reich gespickt, hier in breiter Aus-
dehnung von 37 Seemeilen zum Fang von Ubooten ausgelegt ist.
Grauwolkig und dunstig hängt die Ianuarnacht über der See,
der Mond ist nicht sichtbar, er spendet der Nacht nur einen dürf-
tigen Lichtschimmer, wie Irrlichter tanzen die wellenkämme der
mäßig bewegten See im blauweißen Meerleuchten hin und her.
Der aufsteigende Morgen breitet einen dichten Nebel vor sich her;
wir lassen „UB 57" auf 33 in wassertiefe auf den Grund fallen,
um zu warten, bis er vorüber ist. Aber auch gegen Mittag ist er
noch nicht gewichen. So laßt uns weiterfahren, wir haben keine
Zeit. Lautlos ist die Fahrt. Alles ist bereit, auf ein kurzes Kom-
mando das Boot zum Tauchen zu bringen, wenn plötzlich aus dem
Nebel ein Feind herauswachsen sollte.
So müssen wir am \. Februar gegen Abend in die Nähe der
englischen Küste kommen, bei dem Industriegebiet der Tyne, wo die
Städte Sunderland, Shields, Tynemouth und Newcastle dicht bei-
einander liegen. Bei anbrechender Dämmerung verrät uns der
Feuerschein von den zahllosen Kohlenbergwerken, Hochöfen, Fa-
briken und Bahnhöfen die Lage der Städte, von der niedrigen,
gleichförmigen Küste ist im Dunst nichts zu sehen, wir stehen im
„war channel“, in der Fahrrinne dicht unter der Küste.
Um 3 Uhr morgens erscheint dicht unter Land ein Geleitzug von
3 Dampfern, gesichert durch 3 Bewacher. Ls sind kleine Dampfer
unter fOOO Tonnen Raumgehalt, sie haben nördlichen Kurs, fahren
also offenbar nach den Shetland-Inseln, um hier, mit anderen
Dampfern zu stark gesicherten Geleitzügen zusammengefaßt, nach
Norwegen geführt zu werden und von dort das unentbehrliche
Grubenholz für die englischen Kohlenbergwerke oder von Schweden
Lisenerze oder vön Dänemark Butter, Lier usw. zu holen. Lin
Angriff auf sie ist üicht möglich; ehe wir herankommen, ist der
Geleitzug in Nacht u'nd Nebel wieder verschwunden, weiter ist
auffallenderweise zurzeit hier kein Verkehr.
240
Lützow
Löß sehnt sich nach seinem alten Tätigkeitsgebiet, der Irischen
See; dort ist mehr Verkehr und dort sind immer größere, über-
seeische Dampfer von 3000, 5000, HO 000 Tonnen und mehr an-
zutreffen. So laßt uns einen schnellen Entschluß fassen, die Irische
See ist unser Ziel. Nordwärts geht der Kurs; wir wollen England
nördlich umschiffen und nicht, wie sonst gewöhnlich, durch den eng-
lischen Kanal fahren.
In der Morgendämmerung sehen wir 3 kleine Segler nahe der
Küste. Löß, dessen ritterlicher Gesinnung es widerstrebt, so kleine
hilflos aussehende Fahrzeuge ohne weiteres mit Mann und Maus zu
versenken, läßt die Besatzungen durch mehrere Gewehrschüsse auf-
fordern, von Bord zu gehen. Nachdem dies geschehen, werden zwei
von ihnen durch einige wohlgezielte Schüsse aus dem Geschütz ver-
senkt. Er fährt zum dritten: auch dieser scheint verlassen. Seine
Besatzung rudert im Rettungsboot nahe an uns vorbei; es sind
nur wenige Männer, auch ein Mensch in Frauenkleidern sieht zu uns
herüber und ein kleiner Hund bellt uns an. Das Segelschiff sieht alt
und unordentlich aus; es ist offenbar in größter Hast, aus Angst vor
dem Uboot, verlassen worden. Unser Geschütz wird gerade gerichtet
— da, zum Teufel, was ist das? — fallen an der Bordwand des
armseligen Segelschiffs ein paar Klappen herunter, 2 Geschütze mit
ihren Bedienungen werden sichtbar und schon sitzen mehrere Schüsse
in unserer Nähe! Eine Ubootsfalle!
„Alles rein ins Uboot!" „Schnelltauchen!" „Ruder hart Steuer-
bord!" „Große Fahrt voraus!"
In 3/^ Minuten ist „UB 57" unter Wasser, Hält das Boot dicht?
Kein Treffer im Druckkörper? Gott sei Dank, nein.
„Auf 4P m Tiefe gehen!"
Oben schlagen noch die Granaten ein. Dazu kommen die
Wasserbomben mit ihrer Ladung pon 2—300 kg modernsten Spreng-
stoffs, die der Segler über Bord geworfen hat. Ss—s—s— Bruch!
Donnerwetter, sind das Bomben! Vor einem Jahr waren die
Wasserbomben die reinen Knallerbsen dagegen. Mehrere Gläser
springen, in der elektrischen Lichtleitung fällt die Sicherung heraus,
es wird stichdunkel im Boot. Schnell die Notbeleuchtung anstecken!
Allmählich hören Schüsse und Wasserbomben auf; nach
HP Minuten fahren wir auf 4P m Wassertiefe weiter. Hört Ihr
auch mit dem Unterwasserschallempfänger keine Geräusche von
Schiffsschrauben in unserer Nähe? Wenn nicht, dann laßt uns auf
Sehrohrtiefe, auf \2 m, gehen, damit wir das Sehrohr über Wasser
herausstecken und einen Rundblick nehmen können. Aber vorsichtig,
womöglich ist uns die Falle gefolgt. Aber nein, wir find ihr ent-
kommen. „UB 57" hinterläßt auch keine Ölspur, die dem Feind
unseren Weg verraten könnte, wir haben Dusel gehabt! Kein Treffer
im Druckkörper, kein Glbunker getroffen oder von Wasserbomben leck
geschlagen! Kinder, das hätte auch anders auslaufen können.
UB 57
241
Grimmig lächelt Löß seiner Geschützbedienung zu. Das nächste-
mal wird nicht gewartet, auch nicht bei kleinen Seglern! Mein Gott,
wir haben es ja gewußt, wie oft ist die ritterliche und menschliche
Gesinnung von Ubootsfahrern mißbraucht worden, wieviel Raine-
raden haben schon durch Ubootsfallen den Tod gefunden! Löß sieht
schon im Geist das ernste Gesicht seines Flottillenchefs, wenn er ihm
dies Erlebnis meldet und hört den harten Vorwurf, fein Boot nicht
so dem Zufall auszusetzen.
Doch jetzt weiter. Auftauchen, Glmaschinen anstellen, halbe
Fahrt voraus.
Seht da, voraus eine Rauchwolke; ein einzelner Dampfer! Er
ist anscheinend von seinem Geleitzug abgekommen. Nur ein Be-
wacher ist bei ihm. Getaucht nähert sich „UB 57" von Osten her,
damit die aufgegangene Morgensonne dem Dampfer das Sichten des
Sehrohrs und der Blasenbahn des Torpedos erschwert, „f. Rohr
fertig — los!" Nach 35 Sekunden steigt am Dampfer eine hohe
Wassersäule empor. Der Dampfer fällt vorn tiefer, das Vordeck
wird überspült, die Maschine, die unversehrt geblieben ist, arbeitet
kurze Zeit weiter und durch die Fahrt, die der Dampfer hat, gleitet
er schräg nach vorn wie ein Uboot in die Tiefe, die ganze Besatzung
mit sich nehmend. Nach wenigen Sekunden ist er verschwunden. Es
war ein tiefbeladener Dampfer von etwa 2000 Tonnen. Der Be-
wacher wirft einige Wasserbomben, die uns aber nicht merklich
stören.
Am 3. Februar kommt nachts Land in Sicht, es ist die Nordost-
sxitze Schottlands. Das Leuchtfeuer, das sonst im Frieden nachts
ununterbrochen den weg weist, ist gelöscht.
Löß ist zum Anbruch der Morgendämmerung auf der Brücke
gewesen, um nach Angriffsobjekten, verdächtigen Fahrzeugen, feind-
lichen Ubooten, nach wind, Wetter und Rurs zu sehen. Es gibt
nichts zu tun. Er geht zur dürftigen Morgentoilette, denn Frisch-
wasser ist rar, unter Deck, plötzlich hört er von oben Rufe und
Rommandos. Im Nu ist er wieder oben. Der Wachoffizier schreit
ihm entgegen: „Sehrohr Steuerbord querab, wir gehen Äußerste
Rraft voraus, Ruder liegt hart Backbord." Da kommt schon die
Blasenbahn des feindlichen Torpedos, auf 2 m läuft sie an unserer
Seite vorbei, wir sehen das Metall des Torpedos durch das Wasser
schwimmen, „verdammig, Du Aas!" — zischt es dem Ausguckposten
durch die Zähne. Löß hat wieder sein siegesgewisses Lachen: „Es
gibt nichts, was nicht klar gehen kann."
Ani 3. Februar stehen wir vor dem Pentlandfirth, der Enge
zwischen Schottland und den Orkney-Inseln. Unter Land zieht ein
großer Dampfer vorüber, der als Lazarettschiff erkannt und deshalb
unbehelligt gelassen wird.
Abends gehts, teils getaucht, teils über Wasser durch den
pentlandfirth. Der Gezeitenstrom setzt Hier mit einer Stärke bis
v. Dickhuth-Harrach, Im Leide unbestegt. l. t.6
242
Lützow
ZU 8 SIN an dem Hauptliegehafen der englischen Flotte, an Scapa
Flow vorbei, In ihn war Oktober einmal ein llboot, nicht
achtend der mit Sicherheit zu erwartenden Netz- und Minensperren an
seinem Eingang, eingedrungen, um die englischen Großkampfschiffe,
die es am Tage vorher dort gesichtet hatte, anzugreifen. Zum
Unglück waren diese aber am Morgen aus dem Hafen ausgelausen;
„U s8" muß umkehren, wird beim Auslaufen von einem Zerstörer
gerammt und außerdem vom Strom gefaßt, gegen unterseeische
Felsenriffe geschleudert, muß auftauchen und von der Besatzung als
bewegungs- und steuerloses Wrack verlassen und versenkt werden.
So wie hier ein Uboot bis in den feindlichen frjafen vordrang, so
erschienen andere Uboote in Häfen und Reeden der Feinde, vor
Boulogne, Lherbourg, Brest, Dover, Kirkwall, Tarent, Augusta,
Larloforte, Golf von patras, Gaza Rheede; sie warfen ihre Minen
genau zwischen die Molen der Einfahrt nach Cherbourg, Shields
und anderen Häfen. Wo sind die feindlichen Uboote, die ähnliches
gegen uns unternommen hätten, in Ost- und Nordsee? Wo blieb
demgegenüber die englische Prahlerei von dem herausholen der
Ratten aus ihren Löchern?
Der Strom im pentlandfirth läuft jetzt mit uns mit und erhöht
unsere Geschwindigkeit von si auf J6 sm. Leute auf der Brücke, paßt
gut auf Bewacher auf, vor allen Dingen auf die kleinen, niedrigen
und schnellen Motorboote, die sich mit Vorliebe in solchen engen
Durchfahrten Herumtreiben. Und Du Rudergänger im Kommando-
turm, in Deiner engen Ecke am Kreiselkompaß, paß gut auf, daß
wir nicht vom Kurse abweichen; der Kompaß zeigt ihn Dir auf
Vio Grad genau an. Und Steuermann unten in der Zentrale, trage
sorgfältig unsere Kurse in die Karte ein; laß Dir, so oft nur der
Mond hinter den Wolken erscheint und uns die Küste deutlicher sicht-
bar macht, vom wachhabenden Offizier die Richtung dieses oder
jenes Vorgebirges, das wir ungefähr querab haben müssen, be-
stimmen, damit Du den Weg des Ubootes genau feststellen und
angeben kannst, wenn wir bei Kap wrath südwärts in die Minch,
das Fahrwasser zwischen der Inselgruppe der Hebriden und Schott-
land, einsteuern müssen, hier, im englischen Binnengewässer, brennen
alle Feuer; sonst wäre bei der inzwischen eingetretenen raben-
schwarzen Nacht und dem mit Stärke 8 von Süden entgegen-
stehenden Seegang ein Durchsteuern unmöglich, wir müßten sonst
außen, westwärts um die Hebriden herumfahren.
Nun fährt das Boot im englischen Wasser; ringsum englisches
Land. Die Wache oben auf der Brücke pustet und spuckt nach jeder
überkommenden See und beißt die Zähne aufeinander. Bald sind
wir im Tätigkeitsgebiet. Der Kommandant, Löß, steht auch oben.
Auch seine Gedanken richten sich, soweit Seegang und Wind und
Bootsbewegungen Zeit dazu lassen, auf England, die Seele und
das Rückgrat der Entente, das Deutschland nicht nur besiegen, sow--
UB 57
243
dern für immer unschädlich machen will, so wie es Spanier! im
J6. und Holland im \7. Jahrhundert unschädlich gemacht hat; ohne
dessen Bezwingung deshalb kein Friede, der des Namens wert wäre,
für Deutschland möglich ist. Gegen dies England ziehen die J30
deutschen Uboote zu Felde. s30 Uboote gegen Englands Weltmacht.
David gegen Goliath! war das nicht Wahnsinn? Hast Du, deut-
scher Admiralstab, bedacht, was Du tust? England und seit April
W7 Amerika dazu, von den anderen Seemächten Frankreich, Italien,
Rußland, Japan zu schweigen, werden Deine paar Uboote mit Tau-
senden von Zerstörern, Fischdampfern, Foxgloves, Ubooten, Motor-
torpedobooten, Ubootsfallen, Horchfahrzeugen, mit vielen Tausenden
von Flugzeugen und Luftschiffen, mit weiten Minenfeldern vor der
Deutschen Bucht, in der Doverstraße, zwischen Norwegen und Schott-
land, im Kattegat, mit Netzen vollständig lahm legen. Du verlangst
Unmögliches von Deinen Ubootsbesatzungen, Du mißbrauchst ihren
Todesmut und ihre Aufopferungsfreudigkeit.
Ist das die Stimmung der Besatzung von „UB 57" und ihres
Kommandanten Löß? Freunde, wahrlich nein! Sie wissen nichts von
starrer Verzweiflung oder mattem Kleinmut. Sieh Dir Löß' Ge-
sicht an. Da steht noch immer helle Zuversicht: wir schaffen es, wir
Uboote retten Deutschland von Englands Hungertod, wir lassen die
englische wirtschaft, deren Leben im überseeischen Schiffsverkehr
pulsiert, so lange zur Ader, bis England seinen mörderischen Griff
an der Kehle des deutschen Volkes aufgeben muß, wir schaffen da-
durch, daß wir Deutschland von England retten, auch anderen Völ-
kern Freiheit von dem drückenden Übergewicht der englischen See-
herrschaft in der ganzen Welt. Löß denkt zurück an die Albende im
Freundeskreise in Brügge, voll Stolz, daß er dieser heldenmütigen
Schar angehören darf, wie stark band die gemeinsame Arbeit und
Gefahr die jugendlichen Führer aneinander, wie stark und neidlos
war die Freude an jedem Erfolge, gleichgültig, ob man ihn selbst
oder der Kamerad erfochten hatte, wie beinahe übermütig klang das
Lied, das vor dem Auslaufen eines Ubootes gesungen wurde:
„Unser Laptain steigt am Borde,
Führt sein Boot in See,
Siegreich wollen wir England schlagen.
Bringen Tod und weh."
Und wie feierlich klang es, wenn Günther das Englandlied
von Löns sang und der Thor beim Kehrreim einstimmte:
„Denn wir fahren, denn wir fahren,
Denn wir fahren gegen Engelland."
Das war das Geheimnis dieser Ubootsgemeinschaft in Brügge,
die Vereinigung von leuchtender Iugendbegeisterung, von höchstem
Achwung der Seele mit dem sonnenklaren Bewußtsein des bitteren
Ernstes, der über ihrer Aufgabe lag. Oft genug hatte es ihr Führer
16*
244
Liitzow
ihnen gesagt: Herrschaften, wir stehen vor dem Riß, von uns hängt
das Schicksal des Krieges ab. Das wußten sie alle und ^ies Bewußt-
sein adelte ihre Unternehmungen zu Lseldentaten. Die ungeheuere
Schwere der Aufgabe krönte ihr Leben mit unvergänglichem Ruhm,
ob sie das Erreichen ihres Ziels erlebten oder nicht.
Früh am 5. Februar stehen wir mitten in der Bewachung des Nord-
kanals, der Enge zwischen Irland und Schottland, vier Bewacher und
ein Rüstendampfer sind in Sicht. Bald erscheinen am Westhimmel eine
Anzahl Rauchwolken. Offenbar ein Geleitzug. lhart Steuerbord das
Ruder, recht auf ihn los! Wir passieren getaucht einen Zerstörer, der
mit höchster Fahrt weit vor dem Geleitzug mit Zickzackkursen hin- und
herfährt, von Zeit zu Zeit Fahrt vermindert und einen Fesselballon
hochsteigen läßt, um die Wasseroberfläche nach Ubooten oder ihren
Sehrohren abzusuchen.
Bald ist der Geleitzug im einzelnen zu erkennen. Er besteht aus
8 Dampfern von 5000—8000 Tonnen, f0 von 3000—5000 Tonnen
und f0 von 2000—3000 Tonnen und ist gesichert durch unen Kreuzer
der Thallenger-Klasse, der den Geleitzug führt, mehrere Foxgloves,
Zerstörer und Fischdampfer. Unter den außen stehenden kleineren
Dampfern sind mehrere Tankdamxfer mit nur einem kurzen Pfahl-
mast vor dem ganz achtern stehenden Schornstein. Oben über
dem Geleitzug steht ein Luftschiff; auch Flugzeuge sind sichtbar.
Mitten in das Gewimmel von Schiffen stößt Löß von vorn
hinein. Die See steht immer noch aus Süden mit Stärke 6—7;
der Wachoffizier steht bei den Tiefenrudergängern, die in der Zen-
trale das vordere und achtere Tiefenruder bedienen. Jetzt auf-
passen! Kommt Ihr mit dem Boot zu hoch, so kommt der Turm
aus dem Wasser und wir sind vorzeitig entdeckt; kommt Ihr zu tief,
so reicht das Sehrohr nicht mehr aus dem Wasser und Löß kann
nichts sehen!
Neben dem Wachoffizier steht der Maschinistenmaat, um auf
Anweisung Wasser ins Boot zu fluten oder es herauszupumpen,
Wasser vom vorderen nach dem achteren Trimmtank oder umge-
kehrt zu pumpen, je nachdem wie der Gewichtszustand des Bootes
und seine Gleichgewichtslage es erfordert.
Alle fünf Torpedorohre sind geladen und fertig, ein Druck, auf
den Knopf im Kommandoturm genügt, um jeden Torpedo frei zu
geben und anspringen zu lassen.
Löß setzt einen Angriff auf einen Viermastdampfer von 6000 Ton-
nen an, doch wird er durch die Sonne, die direkt ins Sehrohr scheint,
kurz vor dem Schuß so geblendet, daß er nicht zielen kann und der
Schuß ausfällt. Er wird nunmehr auf den 300 Meter dahinter
fahrenden Hintermann, einen tief beladenen Dampfer von ^000 Ton-
nen, mit je einem Geschütz vorn und achtern, abgegeben, trifft und
verursacht eine auffallend starke Detonation, ksatte er teilweise
Munition geladen, die er von Amerika brachte? Lin zweiter Schuß
UB 57
245
folgt auf den nächstfolgenden Dampfer von ebenfalls etwa ^000 Ton-
nen. Tr geht vorn vorbei, wie an der Blasenbahn zu sehen. Offen-
bar hat der Dampfer nach dem Angriff des Ubootes rechtzeitig
gestoppt, wir stehen zwar noch im Geleitzug, aber Löß sieht von
weiteren Schüssen ab. Das Bild ändert sich jetzt zu schnell, als daß
ein sicherer Schuß noch möglich wäre. So muß er sich diesmal mit
dem Erfolg des einen Dampfers begnügen. Das ist jetzt, wo die
Geleitzüge eine hohe Stufe der Sicherheit und Ausbildung erreicht
haben, nichts Seltenes. Im Sommer als eben erst das Geleit-
zugswesen in England eingeführt war, kam es öfter als jetzt vor,
daß innerhalb weniger Minuten zwei, ja drei Dampfer aus ein
und demselben Geleitzug herausgeschossen wurden. Warten wir
ab, vielleicht blüht auch uns das Glück noch!
Unser Rurs führt weiter auf die Insel Man. Unser F.-T.-
(Funken-)Apparat, als dessen Antenne der vom Bug über den
Turm nach dem Heck führende Netzabweiser dient, nimmt gegen
Abend Notsignale des Dampfers „Tuxania" von 300 Tonnen auf;
wer von den Kameraden mag ihn erlegt haben?
Nachts um 2 Uhr treffen wir bei starker Dunkelheit auf einen
beladenen Viermastdampfer von 7000 Tonnen; er wird über Wasser
angegriffen und erhält einen Torpedo aus nächster Nähe (s20 m).
Die Detonation des Torpedos verursacht auch bei uns mehrere
Schäden, so an der elektrischen Rudermaschine, an der Backbord-
Hauptmaschine, an der Licht- und an der Kreiselkompaßanlage. Der
Dampfer wird gesichert durch drei Zerstörer, denen wir jetzt aus-
weichen müssen. Der Dampfer kommt dabei aus Sicht, wir finden
ihn nicht wieder. Er war beim Schuß sogleich vorn merklich tiefer
gefallen, hatte also zweifellos viel Wasser ins Schiff bekommen.
Aber sein Sinken konnte nicht beobachtet werden. Möglich, daß er
noch einen Isafen erreicht, wahrscheinlicher jedoch wegen des See-
gangs, daß er vorher untergeht.
Um Mittag gehen wir westlich der Insel Man wegen unsich-
tigen, regnerischen Wetters mit hohem Seegang, sowie um einige
Schäden auszubessern und der Besatzung einige Stunden Schlaf
zu geben, auf Grund. Mehrere ferne Detonationen, anscheinend von
Torxedotreffern mit anschließenden Wasserbomben, sind hörbar.
Ls wirken also noch ein oder mehrere andere Uboote hier in der
irischen See! Nun gut, hier ist für eine ganze Anzahl Uboote
Arbeit genug.
Um 6 Uhr nachmittags tauchen wir wieder auf und setzen den
Marsch nach der Einfahrt von Liverpool fort. Am 7. Februar nach-
mittags werden drei englische Küstendampser Limesfield ^27 Ton-
nen, Ladung Werg, Ben Rein 2\2 Tonnen, Ladung Seife und Ard-
berg 227 Tonnen, Ladung Soda, durch Artillerie versenkt.
Gegen Abend stehen wir vor der Einfahrt nach Liverpool, beim
Bar Feuerschiff, und nehmen hier Wartestellung. Aber außer für
246
Lützow
Rüstendampfer, gegen die bei dem Seegang wegen ihrer Kleinheit der
Torpedoschuß zu unsicher ist, ist anscheinend der Verkehr nach Liver-
pool zeitweise gesperrt. Zum Teufel, will uns diesmal denn nichts
glücken? Acht Tage unterwegs und 9000 Tonnen versenkt — das
ist zwar für (9(8 schon ein durchaus befriedigendes Ergebnis, aber
Löß ist mehr gewohnt und unzufrieden. Noch dazu müssen wir an
den Lseimweg denken, denn länger als (6 Tage soll die Unter-
nehmung nicht ausgedehnt werden. So steuern wir durch den St.
Georgskanal südwärts auf die Scilly-Inseln los, am westaus-
gang des englischen Kanals, wir wählen den Rückweg durch den
Kanal, weil wir da mehr Aussicht auf Angriffsobjekte haben. Dau-
ernd muß getaucht oder ausgewichen werden vor feindlichen Zer-
störern, Bewachern und Fliegern. Dazu bricht noch ein Kniegelenk
an der Kuppelung einer Lsauptmaschine. In 30 ständiger Arbeit muß
mit Bordmitteln ein Ersatzstück hergestellt werden; solange ist
„UB. 57" nur beschränkt manövrierfähig, da die eine der beiden
ksauxtmaschinen nicht verwendet werden kann.
Endlich am ((. Februar abends find wir klar. Der Kurs geht
nach Osten unter der englischen Kanalküste. Sechsmal während der
dunklen Nacht wird ein Angriff angesetzt auf Fahrzeuge, die sich
aber immer als Bewacher herausstellen. Lin Torpedoangriff auf
sie lohnt nicht. Sie sind meist so flach gebaut, daß der Torpedo unter
ihnen durchgeht, oder sie besitzen eine so vorzügliche Schottenein-
teilung, daß nur ein Torpedotreffer nicht genügt, sie zum Sinken
zu bringen. Zudem ist unser Ziel in erster Linie das Handelsschiff,
nicht die Bewachung.
Endlich um Uhr morgens am (2. Februar kommen wir zu
Schuß auf einen einzelfahrendsn Dampfer. Er sinkt fünf Minuten
nach dem Schuß. Ein Mann seiner Besatzung hat sich auf einer
Kiste gerettet, von ihm erfahren wir, daß der Dampfer „Lleanor"
hieß, i960 Tonnen groß und bewaffnet war. Der Mann zeigt auf
die vielen runden Gegenstände, die um uns herumschwimmen, und
schreit uns zu: „tdsss are all mines, thank God, if your souls
are saved.“ (Das sind alles Minen, dankt Gott, wenn ihr heil davon
kommt!) Ls waren Minen für das Mittelmeer bestimmt, wahrlich
eine wertvolle Ladung!
Der neue Tag bringt besseres Wetter, klare Luft und weniger
wind. Bald wimmelt es in der Luft von Fliegern und Luftschiffen.
Einen Küstendampfer glauben wir sicher zur Versenkung durch
Arttllerie zu haben, da schießt ein Flugzeug auf uns zu, wir müssen
tauchen und auf 40 Meter gehen. Mehrere Fliegerbomben fallen
in unsere Nähe, ohne uns etwas zu tun. Auch einige Torxedoangriffe
werden durch Flieger oder Bewacher vereitelt.
Am nächsten Morgen gegen H Uhr kommt ein Geleitzug in Sicht,
vorn ein etwa JO 000 Tonnen großer Dampfer, dahinter neben-
UB 57
247
einander vier Dampfer von 6000—10000 Tonnen. Mehrere Zer-
störer fahren in Zickzackkursen um das Geleit herum. Löß nimmt das
Spitzenschiff aufs Rorn. von einem Torpedo achtern getroffen,
bleibt es mit schwerer Schlagseite liegen, seine Maschine ist außer
Betrieb gesetzt. Drei Zerstörer bleiben bei ihm, um einen weiteren
Angriff von „UB 57" zu verhindern, die anderen Dampfer
fahren mit dem Rest der Zerstörer weiter. Löß setzt von neuem zum
Angriff an. Zn der diesigen Morgendämmerung wird der Dampfer
nicht sofort wieder gefunden. Da — da ist er! Schnell heran und
den Fangschuß gegeben, ehe weitere Bewachung und ein Schlepper
aus dem nahen Portsmouth herbeigeeilt sind. Gleich kann der Schuß
fallen, da erscheint plötzlich schräg vor uns ein Zerstörer, wir
müssen auf Tiefe gehen und abdrehen. Gleichzeitig kracht auch schon
in nächster Nähe die erste Wasserbombe vom Zerstörer, der auch uns
gesehen hat. von der ungeheuren Detonation, die das ganze Boot
aufs schwerste erschüttert, springt das vordere Luk aus seinen
Vorreibern auf, ein mächtiger Wasserschwall dringt ins Boot, wir
scheinen verloren. Aber das Luk wird zum Glück durch das Wasser
selbst wieder heruntergedrückt, vier kräfttge Männerfäuste packen
zu und ziehen die Vorreiber wieder an. Aber nun erst mal weg von
hier! Auf 4>0 Meter gehen und ablaufen vom Dampfer! S—s—s—
Bruch! wieder eine Wasserbombe, noch eine, noch eine und so fort,
jedesmal zittert das Boot von der Erschütterung, jedesmal geht
dieser oder jener Apparat zu Bruch. Aber allmählich werden die
Wasserbomben weniger laut, wir entfernen uns von ihnen. Nun
Leute, beseht Euch die Schäden, pumpt das Wasser heraus, das
durch den Wassereinbruch vorhin eingedrungen ist, zieht die locker
gewordenen Schrauben än, ersetzt die gesprungenen Gläser durch
neue, wir wollen unterdes auf Sehrohrliefe gehen und sehen, ob
uns diese verfluchten Wasserbomben einen Glbunker leck geschlagen
haben und wir eine Ml spur haben, wenn das ist, können wir keinen
Angriff mehr fahren. Zum Glück haben wir keine Glspur. Gut, dann
wird noch einmal angegriffen.
Es ist hell geworden. Durch das Sehrohr ist ringsum nichts zu
sehen. Tauchen wir auf. wir sind nach Südosten abgelaufen, also
müssen wir unseren Havaristen im Nordwesten wiederfinden, wahr-
haftig, da ist er. Aber was hat sich inzwischen um ihn gesammelt!
Zehn Zerstörer und wohl zwei Dutzend Fischdampfer bilden einen
dichten Gürtel um ihn, ein Schlepper ist beschäftigt, ihn festzu-
machen und nach Portsmouth zu bringen. Eilen wir, daß wir zum
Angriff kommen, ehe der Schleppzug sich in Bewegung setzt. Schnell-
tauchen, da stehen eine große Anzahl Flugzeuge, um nach uns zu
suchen! wir laufen große Fahrt, aber jedesmal bevor Löß das Seh-
rohr heraussteckt, um einen neuen Rundblick zu nehmen, geht er
auf kleinste Fahrt, damit „UB 57" nicht am Schaumstreifen des
durchs Wasser gleitenden Sehrohrs erkannt wird.
248
Lützow
Der äußere Gürtel der Zerstörer ist glücklich durchbrochen, wir
sind auf 1000 Meter heran. Alle Rohre sind fertig. Noch etwas
näher, dann saust aus dem ersten und gleich darauf aus dem zweiten
Bugrohr je ein Torpedo. Beide treffen das Schiff. Es bricht in der
Mitte auseinander, beide Schiffsenden stellen sich senkrecht aus dem
Wasser und versinken dann schnell in der Tiefe, Hurra, es ist ge-
glückt ! Aber schon ist die Meute hinter uns her! Auf ^0 Meter gehen,
große Fahrt voraus!
[Jm Niedergehen gibt es über uns ein Krachen und prasseln,
als bräche „UB 57" auseinander; das Boot wird herunter-
gedrückt. «Offenbar hat uns im letzten Augenblick noch ein Bewacher
gerammt. Wieder regnen die Wasserbomben, wieder folgen die
Minuten der Unsicherheit, ob das Boot standhält oder unter der
wahnsinnigen Erschütterung leck springt. Aber wir verholen uns
wieder glücklich aus dem Schlammassel.
Doch zum Teufel, da folgen uns ja sechs Fischdampfsr; was
wollen sie, woher wissen sie unseren Kurs? Haben wir eine Gl-
spur? Nein. Also ist es Horchverfolgung. Achtung! Maschinen ge-
räuschlose Fahrt gehen. Wir haben, als das Boot in Kiel Probe-
fahrten machte, an unserer eigenen Horchverfolgung genau fest-
gestellt, bei welcher Gangart der Maschinen das geringste Schraubeu-
geräusch entsteht. Unsere vordere Tiefenrudermaschine ist besonders
laut. Sie wird abgestellt, das vordere Tiefenruder wird mit der
Hand gelegt. Dagegen können die anderen Rudermaschinen ange-
stellt bleiben, vor allem aber rührt nicht am Motor für den Seh-
rohrfahrstuhl, er verrät uns am ehesten. So, und nun Glück auf!
Wir wollen eine scharfe Wendung nach Backbord, nach Land zu,
machen, vielleicht verlieren uns die Biester schon bei der Wendung,
jedenfalls kommen wir dann auf flacheres Wasser, wo wir uns
nötigenfalls auf Grund werfen können.
Die Verfolger verlieren uns nicht. Wo sind wir? chier, Wasfer-
siefe etwa 80 Meter. Schön, dann runter auf den Grund! Alle
Maschinen und Pumpen sind abgestellt, fast unmerklich surrt nur
der Kreiselkompaß, chier und da tropft ein Wassertropfen herunter
und hört sich an wie chammerschlag in der Totenstille.
jetzt hören wir durch den Unterwasserschallempfänger die
Meute oben, sie hat unsere Spur bis hierher verfolgt, hier ver-
loren und vermutet uns nun richtig auf dem Grund. Nun geht
wieder das Wasserbombentrommelfeuer los. Sie wollen uns leck
schlagen und zwingen aufzutauchen. Aber sie haben unsere Stelle
anscheinend nicht sehr genau, vielleicht erschwert auch Seegang das
positionhalten — was wissen wir hier unten, wie es oben aus-
sieht? Die Wasserbomben sind nicht in unmittelbarer Nähe von
uns. Aber trotzdem — diese Stunden des Wartens sind zum Bersten!
Eine Stunde nach der anderen vergeht, noch immer sind die Horch-
UB 57
249
Verfolger über uns. Erst gegen Abend werden ihre Schrauben-
geräusche leiser und entfernen sich.
Um sO Uhr abends, nachdem zwei Stunden lang alles still war,
tauchen wir auf. Schwerer Weststurm herrscht. Lr hat offenbar
die Fischdampfer vertrieben; darum sei er gepriesen!
Beim Morgengrauen müssen wir vor einem dieser infamen klei-
nen Motortorpedoboote tauchen, die mit Abflauen des Sturmes
während der Nacht sofort draußen erschienen sind. Fast wäre es zu
spät gewesen. Ganz vorn am Bug war der Funkengast an seiner
Antenne beschäftigt und hörte den Ruf „Schnelltauchen" nicht gleich.
Aber es wird gewartet, bis er endlich da ist. In 25 Sekunden sind
wir unten.
Bei Tage ist der Schaden, den das Rammen des Bewachers
beim letzten Angriffe verursacht hat, zu erkennen. Das Hauptsehrohr
ist verbogen, der vordere Netzabweiser gebrochen. Das wird Löß
nicht hindern, unter Benutzung des Reservesehrohrs noch bei Dunge-
neß einen bewaffneten und gesicherten Dampfer anzugreifen und
zu versenken. Er faßt etwa ^000 Tonnen und ist tief beladen. Mit
dem Hochwasser der nächsten Nacht geht es durch die Doverstraße.
Da ist ja wieder eine liebliche Illumination angesteckt! von Land
leuchten riesige Scheinwerfer nach See zu. Mehrere Feuerschiffe
im Fahrwasser sowie eine Unzahl von Zerstörern leuchten ebenfalls
mit ihren Scheinwerfern. Andere Bewacher brennen alle fünf Mi-
nuten starke Fackelfeuer ab. Stellenweise ist es taghell in der Dover-
straße. Zwischen den Gruppen von leuchtenden Fahrzeugen treiben
sich zahllose abgeblendete Bewacher und Motorboote Herum, um
das Uboot, das sich über Wasser durchschleichen will, zu rammen,
will es aber hier getaucht durchgehen, so warten seiner in jeder
wassertiefe Minen.
Löß wählt wie immer die Überwasserfahrt. Alle Augenblicke
muß er ausweichen, oft ist er hell erleuchtet, aber auch diesmal glückt
der Durchbruch.
Um 6 Uhr früh am j5. Februar läuft „UB 57" stolz und froh
in die Schleuse von Zeebrügge ein; 25 000 Tonnen versenkt, ein
guter, für W8 sogar sehr guter Erfolg. Aber mit welchen Mühen
erkauft! Freunde, wo ist hier die Rede von unwürdigem Vorgehen
gegen „wehrlose" Handelsschiffe? war das nicht ein harter Kampf
um jeden einzelnen Dampfer, fast jedesmal mit dem vollen Einsatz
des Bootes? welcher mittelgroße oder große Dampfer war nicht
stärker bewaffnet als wir? welcher kleine oder mittelgroße Dampfer,
welcher Segler war mit Sicherheit als Handelsschiff und nicht als
Ubootsfalle Zu erkennen? wo waren wir sicher vor feindlichen
Ubooten, Motorbooten, Fischdampfern mit Horchverfolgung, Minen,
Netzen, Fliegern? Man hatte eben dem Feind mehrere Jahre Zeit
gelassen, die Abwehrmittel gegen die Uboote zu vervollkommnen.
250
Liitzow
vom j6. Februar bis März liegt Co§ mit „UB 57" auf der
werft in Brügge, um das Boot zu neuer Fahrt instandzusetzen.
Dann gehts wieder in See. wieder werden 26000 Tonnen ver-
senkt. So folgt Unternehmung auf Unternehmung, bis Löß im
Hochsommer von einer Fahrt nicht zurückkehrt. Niemand weiß,
wo und wie er verloren gegangen ist, er ruht wie die übrigen
5000 Opfer des Ubootskrieges auf den 200 gesunkenen Ubooten
irgendwo in den Gewässern um England, im Uiittelmeer, im nörd-
lichen Eismeer, im Schwarzen Meer oder im weiten atlantischen
Ozean — wo wären die deutschen Uboote nicht gewesen?
war ihr Opfer vergeblich? Sie haben ihr Ziel nicht erreicht; ehe
sie es konnten, haben ihnen die eigenen Kameraden von den großen
Schiffen in wahnsinniger Verblendung, in törichtem Kinderglauben
an die englischen Einflüsterungen von der Solidarität der englischen
Matrosen die Waffe aus der Hand geschlagen. 37s Uboote hat
Deutschland bis zum Schluß des Krieges im ganzen in Dienst ge-
stellt; ihre Besatzungen zählten rund s3 000 Mann. Mit dieser
Streitmacht sind s6 Millionen Bruttoregistertonnen Schiffsraum ver-
senkt worden, ungerechnet die feindlichen Linienschiffe, Kreuzer, Zer-
störer, Uboote und sonstigen Kriegsfahrzeuge, die den Ubooten zum
Opfer gefallen sind. Dieser Verlust an Handelsschiffen genügte mehr-
mals beinahe, um England zum Frieden zu zwingen, so im Früh-
jahr \%7, als der englische Ministerpräsident Lloyd George und der
französische Ministerpräsident Ribot im Begriff standen, nach Rom
zu reisen, um mit ihrem italienischen Kollegen über die -Anleitung
von Friedensverhandlungen zu sprechen und nur durch das Bekannt-
werden der Denkschrift des österreichischen Grafen Tzernin, _ die
Österreichs Lage als verzweifelt darstellte, bewogen wurden, ihre
Absicht aufzuschieben. So zum zweiten Male im Frühjahr $18,
als die amerikanischen Truppen nicht schnell genug nach Frankreich
transportiert werden konnten, um den Siegeslauf unserer Heere auf-
zuhalten und es nur durch brutale Beschlagnahme der gesamten
holländischen Handelsschifsstonnage gelang, die Katastrophe abzu-
wenden. So endlich zum dritten Mal im gerbst $$, als nach Äuße-
rung eines englischen Kabinettsministers die Entente auf dem Land-
kriegsschauplatz am Ende ihrer Kraft war, als in Italien Kohlen-
not herrschte und in Frankreich das Transportwesen vor einer Krise
stand. Damals, als nach dem Waffenstillstand unsere Schiffe und
Uboote an England abgeliefert wurden, wurden Offiziere, Unter-
offiziere und Mannschaften mehrfach von englischen Marineange-
hörigen gefragt, warum wir Waffenstillstand geschlossen hätten; ob
wir nicht gewußt hätten, daß England im Winter $$/$ hätte
Frieden schließen müssen. Es wäre von ungeheurer Bedeutung für
das Kriegsende gewesen, wenn Löß und seine Kameraden mit ihren
Besatzungen schon zwei Jahre eher so hätten Ubootskrieg führen
können, wie sie es von $J7 ab durften, d. h. ohne Rücksicht darauf
UB 57
251
zu nehmen, ob ein Dumpfer ein Fracht- oder Passagierdampfer, ein
feindliches oder neutrales, ein bewaffnetes oder unbewaffnetes
Schiff war. Ls wäre ebenso sehr wesentlich gewesen, wenn wir $1?
statt \25 Ubooten deren 250 in der Front gehabt hätten. Gewiß.
Aber, Freunde, das Lntscheidende war beides nicht. So wie der
Siebenjährige Krieg nicht durch Friedrichs Niederlage bei Kolin oder
Hochkirch zu seinen Ungunsten entschieden ist, sondern letzten Lndes
zu seinen Gunsten durch seine unüberwindliche Standhaftigkeit und
Unbeugsamkeit, so liegt auch die Entscheidung des Weltkrieges darin,
daß das deutsche Volk nicht ausgehalten hat, daß es sich selbst und
seiner Vergangenheit untreu geworden ist, daß es fremden Völkern
mehr vertraut hat als sich selbst. Die Uboote blieben treu bis zum
Schluß, sie hätten auch weiter ihre schwere, opferreiche Aufgabe
erfüllt und hätten sie zum Heile Deutschlands gelöst, wenn ihnen
die treulosen Meuterer nicht in den Arm gefallen wären. So glänzt
neben der schmachvollen Untreue ihre Treue, die vornehmste Tuger^>
unserer Vorfahren von jeher, umso Heller. Unsterblich wird der
Ruhm bleiben, den sie sich und uns erworben haben, und es erhöht
nur den Ruhm der Ubootsleute, wenn die Entente uns alle
Uboote ohne eine einzige Ausnahme weggenommen hat, weil sie
erfahren hatte, welche ungeheuren Gefahren sie ihr gebracht hatte.
Doch laßt uns noch eins betrachten: ihr Ziel haben die Uboote
nicht erreicht, wie aber war die Wirkung ihrer Erfolge auf den
Landkrieg? General tudendorff hat bereits im Sommer W? her-
vorgehoben, wie sich die Entlastung der Westfront durch den Uboot-
krieg fühlbar machte. Die schwersten Angriffe der Entente während
des ganzen Krieges, die Flandern-Offensive Herbst galt der
Einnahme der Ubootsstützpunkte in Flandern, vom Februar bis
3j. Dezember H9H? versenkten unsere Uboote 27 Truppentransport-
dampfer und 565 Schiffe mit Kriegsmaterial, darunter 9? Schiffe
mit Munition. J3 000 Geschütze mit rund 65 000 Mann Bedienung
brauchte allein England zur Bewaffnung seiner Handelsschiffe gegen
Uboote. 22\\^0 Minen, 96^03 Wasserbomben, si 060 Torpedos,
s5 886 Kilometer Drahttauwerk für Netze, Minensuchen und -räumen
stellte England während des Krieges her — alles in erster Linie
gegen die Uboote. Zwischen 5 und s0 000 Fischdampfer und sonstige
Bewachungsfahrzeuge, mehrere hundert Zerstörer und Uboote, eben-
soviele Ubootsfallen, Tausende von Fliegern, Motorbooten waren
dauernd gegen Uboote tätig. Denkt euch alle diese Fahrzeuge, dies
Material und Personal, das die Abwehr der Uboote erforderte, an
der Westfront gebraucht, wie sehr hätte es unseren Kämpfern zu
Lande das Leben erschwert. Und weiter! Die von Ubooten ver-
senkten Schiffe mußten neu gebaut, die beschädigten repariert werden.
Der englische Minister Churchill klagt am U- Januar $18 im Unter-
haus: „Ich habe um Hunderttausende von Tonnen den Granatstahl
vermindern müssen, für dessen Verarbeitung die Fabrikanlagen bereit
262
Lützow
stehen, für den die Zünder bereit liegen, für den die Geschütze bereit
stehen, für den das Geschützpersonal bereit ist, nur aus Mangel an
Schiffen." Am Januar W? liegen Handelsschiffe im Gesamt-
raumgehalt von sOO 000 Tonnen in englischen Häfen Zur Reparatur,
am Januar W8 — infolge des Ubootskrieges — Schiffe im Ge-
samtraumgehalt von s 000 000 Tonnen. Welche ungeheuren Kräfte
an Menschen und Material band der Ubootskrieg, die sonst für den
Landkrieg von der Entente hätten verwendet werden können!
Das Bayerische Infanterie-Leib - Aegim ent stürmt
den Kemmelberg am 25. April 1918.
Non Hauptmann a. D. Hans Frsihsrrn v. pranckh,
damals Dataillonskommandsur im Snsanterie-Leib-Äegiment.
Schlacht von Armentiöres ist um die Mitte April 1918 zum
s**' Stehen gekommen, die tiefste deutsche Einbruchstelle liegt vor-
wärts der Trümmer der Stadt Bailleul. Hier hat das Alpenkorps atn
13. und 1H. April hart und blutig gekämpft. Hochländer und englische
Garden haben zähen widerstand geleistet; dann stand das Korps
einige Tage in zweiter Gefechtslinie und nun wurde es herausgezogen
und liegt bei Lille und soll am 25. April den Kemmelberg stürmen.
Die Bataillone zählen noch etwas über 500 Mann. —
Der deutsche Angriffsbefehl vom 22. April lautet: ,Die H. Armee
greift erneut an. Dem Alpenkorps fällt dabei die Wegnahme des
das Gelände weithin beherrschenden Kemmel zu." Und dann folgten
lange technische Anordnungen.
Der Tagesbefehl des Generals Breton der 15% französischen In-
fanterie-Division lautete am 22. April: „von heute dem 22. April
abends ab, fällt den Regimentern der Division die Verteidigung eines
der wichtigsten Abschnitte der Flandernfront zu: des Kemmelberges,
zusammen mit einer Division des XIV. Korps, und der Straße
Dranoutre-Neuve Eglise im Verein mit einer anderen französischen
Division, vor allem handelt es sich darum — wie bei Taurriöres, wie
bei Traonne — die ,Boches' um jeden preis daran zu hindern, auch
nur einer: Daumen breit Boden zu gewinnen, im Gegenteil, ihnen
solchen zu entreißen. Es handelt sich auch darum, soviele als möglich
von ihnen zu erschlagen, und endlich auch darum, Gefangene zu
machen, eine Aufgabe, welche erleichtert wird durch den vollkomme-
nen Mangel an Stacheldrahthindernissen und Grabensystemen beim
Feind, wir haben den Vorteil einer Stellung, aus der wir die
,Boches', die in den Sümpfen der Douve liegen, beherrschen. In
unserer physischen Verfassung sind wir dem Feind bedeutend über-
legen; unsere Feinde sind ermüdet durch harte Kampftage im schlam-
migen Gelände. Durch die Entschlossenheit und den Eifer der
Truppenteile, durch die Zähigkeit und den Opfermut aller unserer
Leute, der Infanteristen wie der Schützen und der Maschinengewehr-
254
v. pranrfJ}
Mannschaften werden wir auch fernerhin dem ,Boche' überlegen
bleiben, werden ihn vernichten." Und so ging es noch in einigen
Sätzen tönender Worte weiter, und die Unterführer suchten ihren
Soldaten ihre Überlegenheit in noch kräftigeren Worten als ihr
Divisionskommandeur zu versichern. —
Das Ergebnis: Am Mittag des 25. April ist der Remmelberg
und ein gut Stück Flandernebene dahinter genommen und an die
7000 Mann des französischen XIV. Korps sind gefangen.
Der Kemmelhügel ist weithin kenntlich; steil ragt er aus
dem Dunst der Flandernebene auf, ist an die f00 m hoch; bei Nacht
zeichnet sich sein Umriß scharf vom Mündungsfeuerschein feind-
licher Batterien ab. — Dichtes Buschwerk bedeckt seine Abhänge,
hohe Lichen ragen darüber hinaus, Wiesenflecke liegen grün ein-
gestreut im dunkleren Wald und am kleinen Kemmel stehen gar
noch ein paar Bauernhäuser mit Giebel und Dach. Nur ab und
zu stört ein erdbrauner Granattrichter das friedliche Bild. —
Über die vielfachen Verteidigungsanlagen, die die Abhänge
durchziehen und die im Innern des Berges gebaut sind, ist nur
wenig bekannt; die Erdbeobachtung aus der Ferne und die Luft-
aufklärung können die dichte Bodenbedeckung nicht durchdringen,
und mit Gewandtheit und Überlegung hat der Verteidiger sein
künstliches Deckungsmaterial eingebaut, ohne zu sparen. Wohl sind
am lsügelfuß Barackenlager aus Wellblech und Brettern zu erkennen,
und Lrdaufwürfe ziehen kreuz und quer, aber wo sind die gedeckten
Gräben und die Stacheldrahtfelder, die versenkten Beton-Räume,
die verdeckten Zugänge zu tiefen Stollen?
Es liegen wohl ein paar hundert Verteidiger bereit in den
Stollen, die man überall vermuten mag, und sie haben alle Kriegs-
mittel bei sich liegen, die Erfahrung und Technik erfinden ließen.
Aber beim Sturm wird übermächtiges Feuer vor uns Herwalzen, der
Berg wird sich in Rauch und Staub und Flammen hüllen, seine Ab-
hänge werden zerrissen und zerpflügt, und wenn wir nur der eigenen
Feuerwalze nah genug folgen, wird dem Feind alles Hindernis und
alle Kunst und Hinterlist umsonst. —
Den eigentlichen Remmelberg wird das Alpenkorps packen
in anderthalb Tausend Meter breitem Streifen; die Trümmerstätte
von Dranoutre am Südausläufer des Berges greift die 5 te baye-
rische Reserve-Division an, das Kemmeldorf im Norden fällt der
Garde-Reserve-Division zu. Die beiden Kemmelgipfel, der „große"
und der „kleine" liegen im Abschnitt des bayerischen Infanterie-
Leibregiments.
In der Abenddämmerung des 23. April marschieren die An-
griffstruppen vor. In Reihenkolonnen windet sich die Infanterie
durch die tiefe Artillerie-Zone, gerade als wieder der Feuerkampf
auflebt Es ist ein schlimmer weg, den uns da die Erkunder-
Patrouillen führen durch zertrichtertes altes Stellungsland, durch
Kemmel
255
aufgewühlten Boden, durch Sumpflöcher und verfilzte Hindernisse,
über Gebäudetrümmer und durch zerstörte Barackenlager; kleine
gelbe Flammen springen am Boden dahin, begleitet von zerreißen-
den Detonationen, Sprengstücke gellen über die Erde oder pfeifen
und schwirren durch die Luft und immer wieder das Brausen und
heulen der heranfahrenden neuen Lagen.
Keuchend und hastend folgt man dem Vordermann und achtet auf
nichts anderes, als ihm hart auf den Fersen zu bleiben; der Atem fliegt,
die Füße stolpern, aber vorwärts, rasch vorwärts, aus dem Feuer heraus.
Die schwebenden weißen Leuchtkugeln kommen immer näher und der
finstere Umriß des Kemmel deckt schon ein gut Teil des fahlen Nacht-
himmels. Dann sind wir plötzlich bei flüsternden Leuten, die aus Erd-
löchern und flachen Deckungen uns ganz leis anrufen und uns zu-
winken; es sind die, die wir ablösen sollen. — Da ist nicht viel zu
übergeben und zu übernehmen, denn die Orientierung gibt der
Feind selbst; seine Posten sind nah, oft genug lassen sie ihre Maschi-
nengewehre bellen und dann sieht man die kleinen Flämmchen
ganz deutlich zucken, 200 oder 300 m sind sie entfernt. Es ist
Mitternacht, als die Abgelösten nach rückwärts schleichen, in die
Nacht hinter uns, in der die Funken springen und die Splitter
schwirren — Die Ablösung ging gut, die Verluste blieben sehr gering.
wir liegen auf einem alten Acker, der sanft zum Kemmel an-
steigt, haben den sumpfigen Grund des Douvebaches dicht hinter
uns liegen; finster steigt der Kemmel vor uns an, häufig schweben
weiße Leuchtkugeln über seinen Abhängen, beleuchten seine Bäume
und wiesen und die noch ragenden weißen Giebel; am Kemmelfuß
zucken häufig die kleinen gelben Flammen.
Der zweite Teil der Nacht vergeht in Spatenarbeit; die Schützen-
löcher werden vertieft und vergrößert, denn in der kommenden Nacht
müssen wohl doppelt soviel Leute darin Deckung finden. Der Morgen
bringt ganz dichten Nebel und da schläft der Kampf ein, sogar das Stö-
rungsfeuer der Artillerien wird seltener. Erst um Mittag weicht
der Nebel einem fahlen Sonnenschein, und nun liegt man und starrt
zwischen Erdschollen hindurch auf den nahen Kemmel und auf sein
Gewirr aus Busch und Baum, das Hinterlist und verderben so gut
birgt, das man gerne noch erforschen möchte, bevor man morgen
darüber weg muß. Man verfolgt den Angriffsstreifen, den das
Bataillon nehmen muß, man sucht mit dem Fernglas in Gelände-
falten und allen Trichtern, in Mauertrümmern und Wellblechfetzen
und findet nichts. — Ruhig, fast friedlich liegen die Wiesenflecke
und die Halbruinen ehemaliger Bauernhäuser; keine Bewegung,
kein geringstes Anzeichen eines Verteidigers. Rauchbäume steigen
wohl ab und zu auf, oben am Kemmelrand, wenn eine neue deutsche
Batterie sich einschießt, und häufig hämmern Maschinengewehre
irgendwoher, aus dem Buschwerk.
v. vranckh
Und so wie wir hier liegen und starren und forschen, so liegen
auch drüben die Verteidiger und starren aus guter Deckung auf uns
unten im Grund, und suchen jedes Sumpfloch und jede Geländefalte
ab; sie möchten erkennen, ob wir kommen, ob wir da sind, ob wir
stürmen werden.
Als es wieder dämmert, setzt plötzlich das feindliche Artillerie-
feuer mit voller Heftigkeit ein. — Will er eine Probe halten?
Ahnt er die Stürmer? Oder will er sie schrecken? — Rote Leucht-
zeichen steigen auf, dann grüne, und dann brüllt es hinter dem
Uemmel in roter Flammenglut und heult und braust vielhundertfach
heran, schlägt in den Douvebachgrund, daß Schlammsäulen auf-
steigen, und auf den Ackerboden, daß die Feuerfunken sprühen;
Rauch und Dampf ballt sich zu Wolken, und kriecht dann langsam
über den Boden dahin. Zwei Stunden lang dauert dieses toll«
Feuer, dann läßt es allmählich nach.
Und nun sind kostbare Viertelstunden. — Heraus aus den
Deckungen und Löchern und noch ein paar Meter vorgekrochen, gegen
den Uemmel, und mit dem Spaten gewühlt und gehastet — denn wer
in den nächsten Stunden zunächst am Feinde sitzt, der ist am sichersten
vor seinem Artilleriefeuer.
Aber die Feindposten halten scharfe Wacht und haben Munition
und Gewehrgranaten genug; und während wir liegen und wühlen
und nur den Spaten führen, erleiden wir manchen schmerzlichen
Verlust im scharfen nahen postenfeuer.
Dann kommen keuchend und schwer schleppend die letzten Ver-
stärkungen an, Pioniere, Minenwerfer, Flammenwerfer. Die hatten
starken Verlust und Ausfall an Mann und Material den langen Feuer-
weg entlang. Schweigend, hastig, möglichst leis arbeitet alles an den
feuchten Schollen, bückt sich tief, wenn die Maschinengewehre
schnarren oder wenn neue Lagen heranbrausen, um kurz hinter der
Linie zu detonieren. Soviel Erfahrung hat jeder: die nächsten Stun-
den bringen noch ganz anderen Eisenhagel, und dem entgeht man
noch am besten, wenn man nah am Feind und tief im Boden ein-
gewühlt ist.
Ein blasser Mond scheint durch die diesige Luft und oft
verdecken ihn die Rauchwolken, die hinter uns aus dem Boden
steigen. Die Verluste im feindlichen postenseuer waren schwer,
nun geht es schon besser, da ein halber Meter Boden schon gut
schützt. Zn einem Grabenstück sind die verwundeten zusammen-
getragen und der Arzt verbindet schweigend in der Dunkelheit.
So wird es 3 Uhr früh. — Die deutschen Batterien, die bisher
geschwiegen haben, setzen nun mit ihrer Angriffsvorbereitung ein. —
Ein dumpfer Donner rollt hinter uns, der Himmel im Norden und
Osten rötet sich wie ferner Wetterschein im immerwährenden Mün-
dungsfeuer und dichte Lagen von Gasgranaten beginnen ohne
Kentmel
257
Unterlaß ihr leises Flüstern über uns. Leis und fast vorsichtig ver-
zischen sie auch drüben hinter dem Kemmel.
Beim Franzosen springen Leuchtsterne aller Farben empor und
wütend und hastig bricht sein Sperrfeuer los, hinter uns, in den
Douvebachgrund, auf den Bahndamm. Erdbrocken, heiße Splitter,
Staub wirbelt bis in unsere Gräben, wir liegen in den Boden ge-
drückt, über uns weg bellen die französischen Maschinengewehre
und ihre Gewehrgranaten fallen häufiger im Zwischenland.
Der Angriff hat begonnen; nun ist jede Verbindung nach rück-
wärts abgeschnitten. Das Toben des feindlichen Sperrfeuers im
Douvebachgrund wird anhalten, die Waffenwirkungen auf beiden
Seiten werden sich noch steigern in den Morgenstunden, wenn die
Infanterien den Entscheidungskampf beginnen. Gar mancher von
den Stürmern hat gute Nerven; so harte, daß er einschlafen kann
mitten im Höllenlärm der entbrannten Schlacht; oder sind sie alle
so müde, daß sie in Schlaf fallen, kaum daß die Spatenarbeit ruht? —
Die Luft erfüllt sich mit Staub und Rauch zu einem grauen
Nebel, den die Leuchtsterne kaum mehr durchdringen; der Kemmel-
abhang verschwindet in einer weißlichen Gasnebelwand, die lang-
sam gegen uns heranschleicht. Bald beginnen die Augen zu tränen
und es ist Zeit, die Gasmasken aufzunehmen. — Es will fast scheinen,
als ob das Feindfeuer nachläßt; es ist wohl die Wirkung der Gas-
granaten und man freut sich über den beginnenden Erfolg. — Der
unermeßliche Flug der deutschen Gasgranaten flüstert aber unab-
lässig über uns hinweg. — Das dauert so an die 3 Stunden; um
6 Uhr morgens ist alles grau und undurchdringlich trüb.
Da wandelt sich das Gasfeuer in Brisanzfeuer, plötzlich hört das
leise Flüstern in der Luft auf und verändert sich in das Brausen
und winseln und heulen der Brisanzgranaten. Nah voraus nun
donnerndes Krachen, Erdbrunnen, die zur Höhe fahren, Flammen,
die feurig aufzucken, Erdbrocken und schwirrende Splitter, die jetzt
von der Feindseite her über unsere Gräben pfeifen. Die wände der
Erddeckungen bröckeln und springen, Schollen lösen sich in den Er-
schütterungen, die die Erde in Stößen bewegt, der Lärm wird un-
geheuer. — Schwere und mittlere Minenwerfer haben eingegriffen.
Nun steigt kein feindlicher Leuchtstern mehr am Kemmelabhang
auf, auch das Lämmern der Maschinengewehre wird seltener. Sie
sind wohl alle in die Stollen zurückgekrochen und die Außenposten
liegen wohl hart an ihre Deckungen gedrückt. Brüllend, stampfend,
tobend wälzt sich das Vernichtungsfeuer den Abhang hinauf und dann
wieder herunter, es zerfetzt, zerschmeißt, vernichtet, es scheint über-
mächtig, es übertönt die Lagen, die der Feind jetzt wieder häufiger
in den Douvebachgrund hinter uns schmettert. — Manchmal aber
knattern noch ein oder zwei Maschinengewehre nah vor uns, hastig,
nervös. Das ist schlimmes Zeichen — denn es bedeutet, daß der
Feind noch zwischen uns und dem Vernichtungsfeuer lebt.
t». Dickhuth-Harrach, Im Felde unbesiegt.
17
258
v. prantftt
Aber es wird Zeit, sich sturmfertig zu machen; es ist noch
eine Viertelstunde bis zum Sturmbeginn. Stahlhelme lugen zwischen
den Stollen, Tornister werden gehoben und auf den Rücken ge-
schwungen, man reinigt noch einmal das Gewehr vom Lehm und
Staub, faßt nach den Handgranaten.
Dann kriechen vorn ein paar aus den Löchern, und dann springt
einer auf und hinter ihm zehn, zwanzig in lichter Schützenlinie.
Raum daß sie recht stehen und ein paar Schritte noch
gebückt vorlaufen, stürzen einzelne zu Boden und andere fallen
schwer nach vorn — und mitten im Lärm des nahen Trom-
melfeuers rast vor uns das französische Maschinengewehr. — Das
ist schlimmer Sturmbeginn. — Das ganze Bataillon hat die ersten
Schritte der ersten Welle beobachtet und den Mißerfolg.
Da ist aber schon der Führer der Minenwerfer an seinem Gerät
und hat sein Ziel erkannt, den noch ragenden Giebel, der weißlich aus
dem grauen Nebel ragt, und der Maschinengewehrführer hat schon
zwei Gewehre in Stellung und die hageln gleich los. — Es dauert
saunt Sekunden, dann fahren unsere Minen drüben in den Giebel,
daß roter Ziegeldampf in Wolken aufsteigt, und es dauert keine
Minute, da liegt das Haus in Trümmern und in diese Vernichtung
hinein rasen die Maschinengewehre mit tausendfachem Kugelhagel.
Der Kampf ist rasch entschieden.
Alle Leute sind aufgesprungen, drängen nun nach vorwärts in
den Rauch und in die graue, trübe Finsternis, der tobenden Feuer-
wand nach, die den Kemmelfuß zerpflügt. Auch nebenan hat der
Sturmbeginn schweren Verlust gebracht. Im Augenblick des An-
tretens sind ganz schwere Detonationen in die ersten Wellen ge-
fahren, zwei ganze Gruppen sind ausgefallen — waren es eigene
schwere Minen? waren es französische Granaten? —
Aber nun geht es rasch und unaufhaltsam vorwärts. — In
Haufen und in dichten Wellen ist alles aus dem Boden gesprungen,
alles hastet und drängt, nur heraus aus den Löchern und vor, nah
hinter die Feuerwelle, die uns bei der Sturmfahrt vorangeht. —
Die Führer teilen rasch die neuen „ersten Wellen" ein, eme
zweite Stürmerwelle folgt in kurzem Abstand, dann folgen in Reihen-
kolonnen schwer schleppende und tragende Gestalten, die Maschinen-
gewehrschützen und die Minenwerferleute. —
Ganz vorn, beinah am Rand der Hölle, die die Feuerwalze
schafft, schreiten die besten und härtesten Soldaten. Sie müssen im
Splitterhagel der eigenen Geschosse stehen, sie verschwinden oft im
Rauch der Granaten und das Feuerlicht der Explosionen beleuchtet
ihre ragenden Gestalten; die stürmen durch die doppelte Gefahr,
des eigenen Vernichtungsfeuers und des feindlichen Widerstandes,
auf den sie als die Ersten stoßen müssen.
Zweimal kommt es zu einem kurzen Handgranatenkampf, als
graublaue Gestalten aus halbverschütteten Stolleneingängen springen
Kemme!
259
und Maschinengewehre hinter sich herzerren wollen; einmal bringen
sie gar eins in Stellung, aber die Handgranaten der ersten Welle
zerschmeißen Waffe und Bedienung, eh noch das Werkzeug in
Feuergang kommt. Die meisten Verteidiger denken nicht mehr an
Widerstand; wenn die Feuerwelle über sie hinweggebraust ist, sind
die deutschen Stürmer schon vor ihnen, und da ist es besser, die
Hände hochzuheben. — Immer häufiger kommen die blauen Ge-
stalten aus dem Boden gekrochen, sind erdbeschmiert, haben starre
verstörte Augen, werfen rasch die Arme in die Höhe, schütteln die
Hände in der Luft, rufen wohl auch etwas dazu, aber im Lärm ver-
steht man nichts; sie laufen uns dann entgegen und traben auch dann
noch in Rudeln nach rückwärts, wenn sie die Wellen der Stürmer
durchschritten haben, die auf die Gefangenen kaum achten. Alle
Blicke hängen gespannt an der donnernden Wolkenwand, die den
Berg hinaufflammt. Erdklumpen wirbeln in der Luft, die hohen
Eichen springen oft senkrecht zur Höhe, fallen dann quer und
berstend, splittern in den Boden, häufen Äste und Vernichtungs-
gewirr, in das immer wieder neue Explosionen zerstörend fahren.
Da stirbt der Frühling am Kemmel und die grünende Erde wandelt
sich in graues, ödes Trichterland. —
Durch den Staub und Rauch dringen die Stürmer langsam
bergan, die Füße waten durch rauchende zerstampfte Schollen,
man springt über Astgewirr und windet sich durch Drahtfetzen,
es geht über Scherben und Trümmer von Wellblech und Mauer-
werk. Ls scheint ganz selbstverständlich: man schreitet bergan in
einer grauen Dämmerung, man folgt einem ungeheuren Toben, das
rastlos voranrollt, es braucht kein Kommando und es gibt nur einen
Gedanken: vorwärts. — Das ist Sturm.
von rückwärts schließt schon das Bataillon in zweiter Linie
auf; auch sie in Schützenwellen und kurzen Kolonnen, drängen
immerzu vorwärts; auch sie haben schwer gelitten. Eine Sperr-
feuerwelle des Feindes hat unter sie eingeschlagen im Augenblick
des Sturmbeginns und der Kommandeur ist gefallen, da er das
Zeichen zum Antreten gab. —
Nun haben wir fast den ganzen Kemmelhang erstiegen; die erste
Welle steht hart unter der Höhenlinie, auf der die Feuerwalze tobt.
— Der Sieg scheint nah. —
Der Morgenwind zerreißt die Rauchwand am Kamm, als die
Granatenwalze den jenseitigen Abhang hinabrollt und — da bellt
ein Maschinengewehr und gleich darauf ein zweites — das sind ja
Franzosen, die in Feuerstellung kamen, vorn bei der ersten Welle
hastige Bewegung, Handgranaten fliegen, zerplatzen, Gewehrschüsse,
ein Laufen und Drängen nach vorwärts, häufiges Stolpern, Stürzen
und der verfluchte Feuerlärm der französischen Maschinengewehre
will nicht enden. —
17*
260
v. pralle?!;
Da springen drei zusammen vor, der vorderste hält einen
roten Feuerstrahl und lenkt ihn gegen graues Gemäuer, das
knapp vor ihm aus dem Boden ragt. Ganz schwarzer Rauch
quillt mächtig auf und die drei dringen hinter der Feuerzunge in
die dunkle Wolke ein. Da fährt plötzlich der Feuerstrahl senkrecht
zur Höhe und die Flammen fallen zur Erde zurück und unter den
Flammen fallen drei brave Pioniere. Sie waren ein paar Schritte
am Sieg, und sind dann doch gefallen alle drei.
Und nun peitscht Maschinengewehrhagel die Remmelabhänge.
vorwärts zwischen Stürzenden und Fallenden und wiederaufraf-
senden und Schreienden; da ist ein Stück Hohlweg, schon dicht am
Uemmelrand, dort hinein und von dort noch rasch das letzte Ende
im offenen Gelände genommen — es sind 50 Schritt zum Hügel-
rand — aber die 50 Schritt sind hundertfacher Tod. —
Fünf halbunterirdische Betonräume liegen da, gerade den Höhen-
rand entlang, die Schußscharten hart am Boden beherrschen diese letzten
50—70 Schritt, die in sanfter Neigung uns vom Erfolg trennen; ein
Gewirr von Ast- und Drahtwerk bedeckt die Blöcke selbst und ihre
nächste Umgebung, so daß man auch jetzt aus allernächster Nähe
und nach der vernichtungsarbeit der Feuerwalze die Umrisse kaum
erkennt. Dem Trommelfeuer aber haben die panzerwände offen-
bar vollen widerstand geleistet. Aus den Schußscharten am Loden
zuckt fast unaufhörlich die tödliche kleine gelbe Stichflamme der
Maschinengewehre; Gefallene, verwundete, Sterbende liegen viel-
fach auf dem schmalen Wiesenstück, das vom Hohlwege berg-
wärts liegt.
Ein Minenwerfer und ein paar Schuß Munition sind bis in
den Hohlweg gekommen, der führende Offizier ist voraus, er
springt zum Hohlwegrand und erkundet aufrecht stehend; jetzt hat
er sein Ziel und er wendet sich zurück und ruft es hinab, und plötzlich
greifen seine Hände in die Luft — sie greifen nach dem Leben —
und er stürzt in den Hohlweg zurück.
Infanteristen kriechen zum Hohlwegrand, langsam, vorsichtig,
schieben die Gewehre vor sich her und liegen im Anschlag gegen die
Scharten — und lösen dann doch keinen Schuß mehr, da sie im An-
schlag zum Tod erstarren.
Lin Maschinengewehr mit aufgesetzter Trommel wird hochge-
worfen und hat kaum fünf Schuß getan, als der Richtschütze um-
sinkt und das Gewehr zu Scherben zerhackt wird. — Es hilft nichts.
— Das ganze Bataillon liegt im Hohlweg gedrängt und darüber
weg schnurren und pfeifen die Garben der feindlichen Gewehre.
Aber nebenan am großen Remmel, da geht es gut vorwärts.
Sein Gipfel liegt weiter nach Nordwesten zurück; donnernd wütet
da oben noch die Feuerwalze in mächtigen Rauchwolken, und dicht
darunter steigen sieghaft die weißen Leuchtsterne des vordringenden
Kemmel
261
III. Bataillons empor. Nach wenigen Minuten sind die Leuchtsterne
oben am Gipfel und dann drüben am Nordabhang — das ist Sieg
— der große Kemmel ist erstürmt, und da nebenan, im glücklicheren
Abschnitt, beginnt bereits die Verfolgung nach Westen in die Ebene.
Aber links wütet den ganzen Abhang des kleinen Kemmel ent-
lang der Nahkampf und die Verluste häufen sich grausam.
wir aber liegen wie festgenagelt im Hohlweg. Da ist noch ein
Flammenwerfer gebrauchsfähig. Ein paar Maschinengewehre
bringen wir in Stellung, und unter ihrem Schutz ein neuer versuch
zum Flammenangriff. — voraus springt der Offizier und kommt
fast Schritte aus dem Hohlweg, dann bricht er, durch den Hals
geschossen, zusammen, und die Pioniere fallen, bevor sie noch ihren
Führer erreicht haben.
Jetzt klafft schon eine breite Lücke am Berghang zwischen beiden
Bataillonen, und das erkennt der Verteidiger. Der französische
Gberst-Brigadier versuchte, seinem Divisionskommandeur noch eine
Meldung darüber durch Brieftauben zu senden.
Und der Gegenangriff kommt wirklich. Die Gräben und Trich-
ter, die bisher so leer am Abhang des großen Kemmel lagen, be-
leben sich plötzlich; blaugraue Helme lugen zwischen den Schollen
und schon schlägt Flankenfeuer in unseren Hohlweg.
wir aber werfen s0 Maschinengewehre nebeneinander und
ohne Zwischenraum in Stellung, und die hageln mit fürchterlicher
Wirkung hinüber. Der Kampf dauert kurz, kaum ein paar Minuten.
Vernichtung drüben. — Als der Hang wieder leer und leblos und
Zd im Sonnenschein liegt, enden wir unser verderbliches Feuer.
Und jetzt lastet die Kampfesstille und quält der Sonnenschein.
Über uns weg rauscht und stöhnt noch der Granatenflug und fern
aus der Ebene dröhnt der Donner der einschlagenden walze bis zu
uns; die Granaten zerstören und zerreißen da draußen umsonst,
da ihnen kein Stürmer folgt. Rauch und Dampfwolken sind ge-
wichen einem blauen Frühlingshimmel, strahlender Sonnenschein
liegt über dem zerschundenen Hügel. Im Hohlweg kauert Mann
an Mann das ganze Bataillon; Tote und Sterbende zwischen den
Lebenden. Die Toten starren mit großen offenen Augen in den
Himmel, in die Sonne und haben bleiche starre Fäuste und die Le-
benden haben forschende fragende Augen, den ernsten gespannten
Ausdruck im Gesicht, den das Ausharren gibt zwischen Sieg und
Tod. Die dreihundert Mann schweigen und reden kein unnützes
Mort, nur die Schwerverwundeten und die Sterbenden stöhnen
und die Krankenträger helfen und haben leise Worte.
So eng ist der Raum, um den die letzte Entscheidung gehen
wird, baß keine Hilfswaffe mehr wirken kann, daß es ein Waffen-
gang werden muß zwischen den Infanterien allein. Da liegen Eng-
länder und Franzosen gedrängt hinter panzermauerwerk und klam-
mern sich an einen letzten Rest von Geländevorteil und Befestigungs-
262
v. Pranckh
kunst, und gegenüber liegen die Stürmer, auch sie zusammenge-
drängt und hinter wänden aus Lehm, die ein Zufall finden ließ,
und dazwischen sind 50 Meter Land und auf dem herrscht der Tod.
Und dann gelingt es doch. Drei Mann sind kriechend und sich
windend durch Trichter, dann durch Hindernis und Buschgewirr
herangekommen an die wand des untersten Blockhauses und fanden
die eine wand eingeschlagen durch Granatenexplosion, und fanden
tote Verteidiger. Tin schmaler, sehr tiefer Graben, mit Draht-
geflecht überdeckt, führt bergan zum nächsten Blockhaus, Hier im
Graben werden Franzosen überrascht, eine Handgranate endet alle
Gegenwehr. Handgranaten fliegen in den schmalen Treppengang,
der in den zweiten Betonraum hinabführt. Rasch vorwärts drängend
können die drei noch bis zum letzten Hügelabsatz gelangen, da prallen
sie mit Franzosen zusammen, die gerade wieder zur Verstärkung der
Blockhausbesatzung eilen wollen. Zm Graben beginnt ein wütender
Kampf, die deutsche Patrouille liegt an eine panzerwand gedrängt,
die den Graben sperrt, und mit Handgranaten und Gewehrschüssen
wehren sie sich der Übermacht. „Maschinengewehr" brüllt einer
vom Höhenrand herab gegen den Hohlweg, und immer wieder das
gleiche hilfefordernde Wort, von unten war aber der kühne
Patrouillenvorstoß beobachtet worden, und ein Kompagnieführer
war gleich mit vielen Freiwilligen nachgeeilt, und da ist ein Maschi-
nengewehr vorn, und im entscheidenden Augenblick kommt es noch
in Feuerstellung und fegt in den Graben der Länge nach und erfaßt
die ersten Franzosen auf f0 Schritt Entfernung. — Aufbrüllend
stürzen die übereinander, die hintersten können noch hinter die nächste
Schulterwehr weichen. Der Hähenrand ist genommen, drei Mann
und die Maschinengewehrbedienung klammern sich ans dritte Block-
haus und haben auch da einen schweren Stand, denn der Verteidiger
hält noch die allernächsten Verteidigungsanlagen mit erbittertem
widerstand. — Aber beim Hohlweg ist Luft geschaffen.
Um die gleiche Zeit haben sich Patrouillen und kleine Ab-
teilungen aller drei Bataillone selbsttätig an den Nordabhang des
kleinen Kemmel herangearbeitet. Dort beginnt der Widerstand der
Verteidiger unsicher zu werden. Zwar versuchen Engländer einen
letzten Anlauf und versuchen einen Durchbruch nach westen, aber
die Einkreisung ist bereits vollkommen, aller Kampf bleibt aus-
sichtslos. Um die Stolleneingänge wird noch kurz und erbittert ge-
rungen; hier entscheiden Leuchtpistolenschüsse, die die Wirkung der
Flammenwerfer ersetzen müssen.
Es ist Mittag, als an die ^0 Offiziere und 500 Mann die
Waffen strecken. Ein französischer Oberst-Brigadier, der Abschnitts-
kommandant, ist unter den Gefangenen.
Ungleich glücklicher und mit rascherem, entscheidenderem Erfolg
hatte das III. Bataillon gekämpft. Hart an der Feuerwalze heran-
bleibend, hatte es den großen Kemmel in ununterbrochenem Anlauf
Ketnmel
263
genommen, hatte am Nord- und Westabhang allen widerstand
überrannt, war in die Ebene vorgedrungen, hat Batterien noch im
Feuern genommen, hat englische Reserven vernichtet und zerstreut,
die in Eile zum gefährdeten Berg heranmarschierten. Mit den
zurückflutenden Feindtruppen war es in das große Barackenlager
bei Brulooce eingedrungen und hielt erst, als die Feuerwalze als
Feuerkranz ums Tagesziel liegen blieb. Die Beute an Waffen und
Gefangenen zählte es gar nicht, es blieb immerzu im Überrennen
und im Vordringen. —
Nun klaffte eine breite Lücke in der Front der Feinde gerade an
der Stelle, die sie für die stärkste, die unangreifbarste gehalten
hatten; die Truppen der ersten Linien waren vernichtet, die Reser-
ven geworfen und zerstreut, die Geschütze ausgeschaltet, die Füh-
rung desorganisiert, die Nachrichtenverbindungen zerstört, die Ver-
wirrung war beim Feind deutlich zu erkennen.
Und dieser Sieg, diese Stunden der deutscher! Überlegenheit
mußten ungenutzt bleiben.
Da lagen die gelichteten Kompagnien der Kemmelstürmer,
sie hofften auf den Befehl und die Rlöglichkeit der weiteren Ver-
folgung, sie erwarteten die Ergänzung der Rkunition und der er-
schöpften Kampfmittel, sie blickten zurück auf den Hügel und
suchten nach den Batterien, die hätten folgen können, sie hofften auf
das Nachkommen des ganzen großen Apparats, der zum Kämpfen
und neuem Angreifen nötig ist — und das eroberte Schlachtfeld
blieb leer, entsetzlich leer. —
Und diese unwiederbringlichen Stunden des Sieges brachten
deutlicher die grausame Erkenntnis, daß der Rkangel an allen
Mitteln schon so fürchterlich ist, daß Deutschland seinen Soldaten,
die gesiegt haben, nimmer das geben kann, was sie brauchen um
weiter zu siegen. Noch einmal hatte der Deutsche Soldat gesiegt,
der Soldat, der siegreich kämpft im vierten Jahr, der aufrecht im
Feuer steht seit ^ Monaten, der kaum Rast und Ruhe erfahren hat
seit s200 Tagen, den Feuer, Hunger und Entbehrung aller Art hart
gemacht hat und der alles trägt und alles leidet und Soldat bleiben
will gegen eine Welt voll Feind — weil er allen Glauben und alle
Zuversicht im Herzen trägt: Deutschland.
Der Angriff hat die Mittel erschöpft. Der Mangel bringt
Stillstand. Und der Feind hat Ejüfe und Mittel der ganzen Welt.
Am Abend stehen Engländer und Franzosen in neuer Front.
-Zn Eile haben sie neue Reserven herangeworfen, Patrouillen fühlen
vor, Maschinengewehre hämmern und schweres Feuer schlägt in
unsere dünnen Linien, die sich zur Abwehr gegliedert haben.
Die Kompagnien zählen 30, vielleicht HO Mann. — —
Truppenverbandplatz.
Von Hans Spatz, damals Fsldhilss- und Bataillonsarzt
im Bayerischen Jnsanterie-Leib-Degiment.
e turmbereit! In den Lüften heult es und saust es, da rauscht,
singt und braust der Orkan, die stolze wilde Jagd unsres vor-
bereitungs- und Vernichtungsfeuers. Es ist wie eine Fanfare des
Jüngsten Gerichts, ein Akkord, der in allen faßbaren und unfaßbaren
Oktaven schwingt. Ringsum schwärzeste Nacht, kaum ein wetter-
leuchten zuckt auf von den Mündungen unsrer gut versteckten Bat-
terien und drüben versinkt die eiserne Meute lautlos, lichtlos hinter
dem Berge und den Bäumen, die uns decken. Erstickender pulver-
und Gasgeruch verbreitet sich, wir legen die Masken an.
Der Feind schweigt. — Mählich ahnt man die Dämmerung und
da ist auch schon Bewegung unter den Mannen, die im Grase, in
Len Wellblechbaracken umher sich noch einmal grimmig in ihre
Mäntel gerollt hatten und den Schlaf suchten, oder still hinauf-
lanschten und Gedanken, Hoffnungen, Ahnungen, Erinnerungen
in ihrem Innern auf- und niedertauchen ließen.
Kommandorufe ertönen, verworren klingts von Flintenläufen,
Stahlhelmen und Feldkesseln.. Einzelne suchen rufend ihre Gruppe
und fluchend tappen die Tragtierführer im Dunkeln, um ihren un-
gebärdigen Maultieren die schwere Last aufzupacken. — Bald ver-
schlingt der Hexensabbath der Lüfte wieder jedes irdische Geräusch,
und das neblige Dämmergrau die trotzigen Schatten der Abmar-
schierenden.
Nur der Arzt und das Häuflein seiner Gehilfen müssen zurück-
bleiben und sich rüsten, allen Jammer ruhig, gefaßt und tätig
aufzunehmen, den der Sturm da vorn notwendig mit sich bringen
wird. Es ist gut, daß es so viel Arbeit gibt, daß keine Muße zu
unfruchtbaren Grübeleien bleibt.
In den alten englischen Mellblechhütten werden Tragen als
Operationstisch aufgestellt, Verbandmittel aller Art bereitgelegt,
Spritzen ausgekocht und lange kräftige Stangen zurecht gemacht,
um mit zusammengeknüpften Zeltbahnen oder Mänteln vereint als
Nottragen zu dienen. In großen Korbflaschen herbeigeschlepptes
Wasser wird zu Getränken und Desinfektionsmitteln verarbeitet
Truppenverbandplatz
265
Bald kommen Leichtverwundete an und mit ihnen ein Gewirr
von unklaren Gerüchten über die Lage. Da sprechen die ersten
französischen Gefangenen deutlicher: es geht vorwärts! „kour nous
ln guerre est fini, camarade!“ grinsen sie und wollen ihren Marsch
nach hinten fortsetzen. So leichten Kaufs kommen sie aber nicht
davon, sie müssen alle vor dem Verbandplatz Halt machen und
warten, bis man sie mit Verwundeten-Tragen weiterschickt, Leicht-
verwundete laufen als Aufsicht nebenher.
Der Arzt steht nun ganz auf sich selbst, denn kein Mensch hat
Zeit, jetzt an ihn zu denken, ihm Berichte oder Befehle zu schicken.
Etwas Instinkt macht auch all das überflüssig, wenn die Scharen
der Gefangenen dichter werden und die Erzählungen unsrer ver-
wundeten immer bestimmter und übereinstimmender von Erfolgen
melden, dann muß er sich losreißen aus seinem Schaffen, muß alle
Tornister und Sanitätstaschen füllen und noch außerdem in Säcken
oder Bündeln soviel Verbandmittel mitschleppen, als nur möglich
und muß marschieren, dem Gewehrgeknatter zu; das Feld hinter
ihm gehört jetzt den Sanitätskompagnien.
heraus aus den schützenden Hecken! und da liegt der Berg
Kemmel, das Ziel! Breit und stattlich dehnt er sich und raucht und
dampft an allen Ecken und Enden. Nun noch über ein weites
deckungsloses Feld, wo die Schrapnellwölkchen tanzen und wir treffen
hingekauert an Wegböschungen, Bahngeleisen und Gehöften unsre
Reserven und vernehmen die frohe Kunde, daß der Kemmel unser
ist. Nach langem Hin und Her in schauerlichen Wäldern, wo man
in engen Hohlwegen buchstäblich auf Leichen schreitet, graben wir
uns am Gipfelhang des kleinen Kemmels ein, stülpen ein Wellblech-
dach darüber und hissen das rote Kreuz.
Jenseits des Berges hat sich der Angriff festgelaufen; es ist
Zeit seine Opfer zu suchen und zu bergen — und schon regt sich
drüben wieder frische Artillerie, ballt sich mehr und mehr, um einen
vergeltungshagel über die Sieger auszuschütten.
Immerhin, ein wenig Ruhe hat nun die ermattete Truppe,
sie liegen in Löchern und Gräben umher und rasten.
Nur die Krankenträger sind unablässig tätig, sie kriechen und
schleichen oft im gezielten Maschinengewehrseuer überallhin, wo
man Stöhnen und Hilferufe hört, sie legen Verbandpäckchen an,
binden die verblutenden Glieder ab und bergen unter tausend Ge-
fahren und Mühen die verwundeten. Schier übermenschlicher
Kräfte bedarf es, dis edle Last durch das tückische Gelände, durch
Löcher, Draht und Gestrüpp bergauf, bergab zu schleppen und sie
nicht von sich zu werfen, wenn rechts und links Granaten nieder-
fahren und mit körperlicher Gewalt einen zu Boden drücken wollen
in Deckung. Die wackern Krankenträger schreiten aufrecht hindurch.
Meist tragen sie ihre Bürde zu zweit wie ein wild im Zelttuch
an einer Stange. Ob auch die Schultern wund werden vom Druck
266
Spatz
des Holzes, ob die Knie wanken und der Atem keuchend geht unter
der schwülen Gasmaske, ob es auch den Kameraden niederstreckt
— ein andrer hilft — sie machen ihren weg.
So kommt Gruppe um Gruppe an, legt ihre Last dem Arzt zu
Füßen und wendet sich nach kurzem verschnaufen wieder frontwärts,
denn da und dort, an jener Hecke, in jenem Wiesengrund, an jenem
Bahndamm sah einer einen Kameraden fallen und hörte noch lange
hinter sich sein Rufen, als er weiter mußte dem fliehenden Feinde
nach. Andre wieder berichten von einzelnen Gehöften, alten Ba-
racken und Unterständen, wo man zu erstem, notdürftigem Schutze,
aber unversorgt, verwundete angesammelt hat; von verschütteten
Höhlen und Stollen wissen sie zu sagen, aus denen noch leise, fern-
her wimmern klinge. Überall unsägliche Not, unsägliches Leiden!
wer flöge nicht hin, Todgeweihte zu retten und sei er auch schlaf-
und rastlos seit langen Tagen und Nächten!
Am Verbandplatz ruht keine Hand, mit Scheren und Messern
schneidet man die mit Blut und Dreck verfilzten Kleider, das zer-
fetzte Schuhwerk auf, verbindet die Wunden, legt Schienen an, um
den Weitertransport erträglicher zu machen; man spritzt belebende
Mittel ein, die entfliehenden Lebensgeister zu bannen oder Mor-
phium, wohltätiges vergessen über den Leidenden zu breiten.
Bald staut sich die Masse der Schwerverletzten, die Seite an
Seite liegen von Mantel, Zeltbahn oder Decke verhüllt; die Träger
der Sanitätskompagnie — sie müssen den weiten weg zum Haupt-
verbandplatz zu Vieren tragen — schaffen es nicht mehr. Kein
Fußbreit Boden in unserer mangelhaften Deckung ist unbelegt, nur
mit Mühe gelangt man zu den Einzelnen und versorgt sie, so gut
es gehen mag in der fürchterlichen Enge.
Zn kurzen Abständen brausen Feuerüberfälle über uns hin,
das wimmern der Schwerverletzten erstirbt, prasselnd hageln Schauer
von Erd- und Geschoßbrocken auf unser Blechdach, Splitter singen
und zischen umher und wild drängen vorüberziehende Reserven
auf uns ein, Deckung suchend treten sie auf die hilflosen verwundeten,
deren Aufschrei sich mengt mit dem ohnmächtigen warnen und
Schimpfen der Sanitätsleute.
Ein Kassandraschicksal trägt der Arzt; er muß vielen im Geiste
das Todesurteil sprechen, muß langes Siechtum ohne Rettung, muß
ewige Verstümmelung und bitterste Not bei vielen voraussehen.
Und sie haben doch fast alle so kindliche Zuversicht und sind so
glücklich, aus der Hölle der Schlacht geborgen zu sein.
Ein braver Sanitäts-Unteroffizier kommt bleich wie der Tod
mit zerschmettertem Oberarm zu Fuß an. Obwohl der Arm nur
noch an schmaler Muskelbrücke hängt, gönnt er sich trotz allen
Zuredens nicht fünf Minuten Rast, in zäher Energie wankt er
weiter dem Hauptverbandplatz zu: „vielleicht kann man mir dort
Truppenverbandplatz
267
dock; noch helfen, operieren, wenn ich nur rasch, rasch hinkomme,
ich muß meinen rechten Arm behalten — muß!"
Auch der Oberst sucht zuweilen seine verwundeten auf, man
sieht ihm den furchtbaren Druck dieser Tage an, er spricht nicht
viel; einmal kniet er zu einem todwunden Manne hin und heftet
ihm das Kreuz an die Brust und streichelt ihm Gesicht und Haar. —
Dann wird es Nacht, der Zu- und Abtransport der verwundeten
stockt und man legt sich mitten unter sie hinein, um ein wenig zu
schlafen. Halb im Traum hört man fernher den dumpfen Abschuß
schwerer Geschütze, hört es näher und näher brausen und klingen;
es ist, als ob ein gewaltiger Geist durch ein tiefes Tal zöge, das
um und um von Wäldern eherner Lanzen starrte; und wo das
Große vorbeistreicht, da fangen die Lanzen an erzitternd mitzu-
schwingen in seinem feierlichen Rhythmus und tausendfältig mitzu-
klingen — näher und näher heran. Und dann fährts über einem
nieder, ein Titan schlägt mit wuchtigem Hammer gegen das Decken-
gebälk der Unterwelt und — Krachen, Staub und Steingeprassel
gießt sich aus.
Werden neue Opfer herbeigebracht, so muß das dürftige Licht
einer elektrischen Taschenlampe oder eines sorgfältig abgeblendeten
Kerzenstummels zu ihrer Versorgung genügen, denn in den Lüften
ziehen spähend Flieger ihre Kreise.
So wird es Tag und wieder Nacht und wieder Tag; er-
barmungslos hämmern trostlose Eindrücke von Menschenleiden,
Menschenvergehen und Menschenkleinheit auf uns ein, rastlos folgt
Feuerüberfall auf Feuerüberfall und rückt uns plastisch die Wahr-
scheinlichkeit vor Herz und Sinne, im Handumdrehen als Zerschla-
gener zu röcheln unter den Zerschlagenen rings umher. Die Nerven
spannen sich wie Stricke, man glaubt das körperlich zu empfinden,
und daß sie nicht klingend reißen, dankt man nur dem unablässigen,
voll ergriffenen Tätigsein.
Am vierten oder fünften Morgen endlich kommt Ablösung. Wir
prüfen lange den Berghang, den wir im Abmarsch überschreiten
müssen: Da scheint eine Lücke zu sein in dem Aufspringen der Ein-
schlagwolken — doch schon schließt sie eine rauchende Gruppe; oder
dort — ist das nicht die vergessene Gasse für unser Entkommen?! —
Krach! — auch da die Waberlohe!
Was hilft Überlegen und Berechnung, hier herrscht Schicksal!
Mitten hindurch! —
Durchbruch.
Don Hans Eajpar von Bobeltitz, Major a. D„ damals Hauptmann im
Generalstab und erster Generalstabsossizier der 227. Infanterie-Division.
L?^ie kurze Marschkolonne der 7. Kompagnie des Infan1erie--Aegi-
mentsq^77 schob sich Schritt für Schritt aus dem Trümmerhaufen
Beuvraines nach Süden heraus — der Front zu. Die Juninacht
dämmerte im Sternschein. Schwül, drückend und durchstaubt war die
Luft. Die Truppe war erst eine halbe Stunde unterwegs, von den
Bereitschaftsplätzen zur Bereitschaftsstellung — erst eine halbe
Stunde, und doch rann der Schweiß von aller Stirnen. Der Weg war
zerttichtert, granatendurchfetzt, — es war ein vorwärtsquälen. Alle
Augenblicke gab es ein Stocken, ein Aufeinanderprallen der Glieder
mit leisen Flüchen und kurzen Scherzworten, wie's traf.
Der Leuttrant perl führte vorn. Die beiden Unteroffiziere vom
ersten Zuge folgten, dann die Kolonne. Sie wußten alle, um was es
sich handelte, wem sie entgegenmarschierten. Die Nerven waren zum
Reißen angespannt. Line merkwürdige Stille lag über dem Feld;
nur der trockne Lehm knirschte unter den schweren Stiefeln, und Schanz-
zeug und Waffen klapperten mit dem dumpfen Geräusch, das die
Vhren der Grauen kannten. Dicht neben dem Wege stand Batterie bei
Batterie in Stellung. Die Kanoniere nahmen das Buschwerk von den
Geschützen, das Rohr und Lafette dem Flieger verborgen hatte.
Munition wurde geschleppt; still, fast lautlos, aber fieberhaft tätig,
auch hier rann der Schweiß.
Der Leutnant vorn hob die Hand: Halt! Die Unteroffiziere
hängten die Gewehre ab und kauerten sich hin. hinter ihnen die
Kolonne, „wenn wir bloß erst durch die verfluchte Artillerie durch
wären!" sagte Lange, der von Hause Fabrikarbeiter war, „wenn
sie töppern, töppern sie hierher." — „Sie schießen ja nicht!" —
„Merkwürdig genug, nach dem Radau gestern Nacht!" — „wenn
sie noch doller schießen würden wie gestern, würdest du's noch merk-
würdiger finden." Gillerts Stimme war ganz ruhig. — „Gb sie was
gemerkt haben drüben, Karl?" — „wenn schon------------" Man winkte.
Ls ging weiter.---------—
Die Siebente kam in zweite Linie, zweihundert Meter hinter den
vordersten Graben, aus dem der Angriff losbrechen sollte. Sie hatte
keinen Schuß bekommen auf dem Wege bis zu dem zerfallenen
Stellungsstück, in dem sie den Augenblick des Sturmes abwarten
sollte. Über sie weg hatte es gepfiffen, und seitwärts von ihnen hatte
Durchbruch
269
es eingeschlagen; aber vereinzelt, als ob es sagen wollte : Achtung,
ich bin da.
Der Kompagnieführer ging von Zug zu Zug, er zeigte noch ein-
mal die Angriffsrichtung: „Also — so 'rüber." Nicken antwortete:
Jawohl! Allen war es klar: So 'rüber und dann immer grade aus.
Und dazwischen lag die feindliche Stellung; und vor ihr der Draht
und in ihr die Maschinengewehre und hinter ihr die Artillerie. Aber
trotzdem: So 'rüber und immer grade aus! Angriff — jawohl!
Lange kroch zu Gillert heran, „verfluchte Geschichte," sagte ec.
Gillert, der Bauer, lag auf dem Rücken und sah in den fjtmmel;
jetzt drehte er den Kopf zu dem Freunde, mit dem er schon durch
manche dicke Sache gegangen war. „bjalt's Maul und mach nicht
flau. Ljaste Angst?" — „Das nich! Aber ob's klappt?" — „Wird
schon klappen — mußt nur an nischt denken." Lange war ein paar
Atemzüge still. „Wenn nur Fiekchen nicht erwartete", sagte er dann.
Gillert pfiff leise durch die Zähne. „An nischt denken, Paul — an
nischt denken. Ich hab auch meine Dreie zu Haus."
Line Zehnzentimeter-Kanone bellte hinter ihnen auf, scharf,
peitschend. Und dann setzte das ganze Orchester ein. Die Beiden
fuhren auf und mit ihnen die Leute um sie herum. „Köpfe runter!"
schrie Gillert. Drüben gingen die Leuchtkugeln hoch; zehn, zwanzig
zu gleicher Zeit; sie flammte:: taghell über den Gräben. Gillert sah
auf die Uhr: „Stimmt," sagte er, „zwei Uhr dreißig — in zwei
Stunden —"
Über ihnen war die Luft voll Schwirren und Sausen, hinter
ihnen dröhnten Hunderte von Abschüssen. Lange staunte: „Das
fluscht mal wieder!" — Gillert nickte: „Sie werden's sich schon
sauber ausgedacht haben."
Sie sahen rückwärts, hinein in die Linien der deutschen Artillerie.
Die Hölle schien da losgelassen. Kilometerbreit blitzte Mündungs-
feuer bei Mündungsfeuer auf, ein Helles, langes, zuckendes Band,
dessen Widerleuchten den Himmel flammend machte. Wie ein mäch-
tiges Rollen ging es durch die Luft, schütternd, dröhnend, mit maje-
stätischer Gewalt. Und von Zeit zu Zeit wurde dies Dröhnen durch-
peitscht und zerrissen von dem scharfen knalligen Schlage eines riesen-
haften Flachfeuergeschützes. Gillert wußte, es stand auf dem Schie-
nenstrang bei Rue de l'Abbaye, umgeben von einem Kranz von
Trichtern, den die feindlichen Granaten in das Erdreich gerissen.
Aber es stand trotzdem und bellte.
Der Donner schwoll an, ebbte ab und schwoll wieder; das
Konzert des Sieges. Zentnerlasten um Zentnerlasten Eisen flogen in
den Feind. Einen Augenblick dachte Lange, der Arbeiter, an all die
Abertausende von fänden, die sich daheim gemüht hatten, dies
Eisen zu gießen, zu drehen, zu bohren, das Pulver zu mengen, dis
Zünder zu feilen; dachte an die Aberhunderte von Zügen, die heran-
gerollt waren, die Massen zur Front zu bringen. Arbeit, Arbeit! —
270
von Zobeltitz
Lin Gewölbe fliegenden Stahls baute sich über der Infanterie
auf. Daß nicht Granate auf Granate schlug hoch oben, daß jede
ihren eigenen Weg fand, den weg hinein in den Feind, zermalmend,
zerschlagend, vergiftend! — Drüben erntete jetzt der Tod. wo der
Flieger mit Auge und Lichtbild eine Batterie, ein Lager, ein Graben-
stück, eine Deckung gefunden hatte, regnete es nun Lisen, floß
Franzofenblut. Bis tief hinein in das erklügelte Befestigungssystem
des Feindes griff die Lisenklaue der Artillerie, zerstörte, zündete,
warf Berechnungen über den Haufen und tötete, tötete! Vorbereitung
für den Sieg der Deutschen. Lin eiserner Wille klang durch den
Geschützdonner, hämmerte auf den Feind, hämmerte aber auch auf
die Kerzen der harrenden Infanterie, die da stürmen sollte, hämmerte
sie voll Mut und vertrauen, schlug die letzte Feigheit tot. Man
konnte nicht mehr an Daheim denken und nicht mehr an das eigene
kleine Ich; man konnte nur noch hören, wie die Geschütze donnerten,
wie die Geschosse in den Lüften sangen, nur noch denken, daß sich
drüben Wege bahnten, Wege des Sieges! „Ls fluscht!" sagte Lange
noch einmal. —
.... Knapp dreihundert Meter hinter der Siebenten stand eine
Haubitzbatterie des Feldartillerie-Regiments $2 mit heißen Rohren.
Sie schoß ihr Programm ab. Der Führer, der kleine, drahtige,
dunkle Oberleutnant Gerber saß dicht hinter den Geschützen und
kommandierte seine Schießlisten herunter. Neben ihm der Leutnant
Lppinghaus, groß, hager, wie ein Professor mit seiner Brille und
seinen immer etwas zu langen Haaren, rechnete und rechnete, ver-
glich und prüfte, änderte Zahlen und war dabei stockruhig, als ob er
am Schreibtisch säße. Lr wußte, was an diesen Zählen klebte, die
er da im Schein seiner Taschenlampe niederschrieb, denen er die
Witterungseinflüsse dieser Nacht einimpfte, damit die Granaten
richtig säßen im lebenden Ziel. Jeder Irrtum war ein Verlust, eine
Schwächung der Wirkung.
„Feuerpause!" Gerber reckte sich und mit ihm streckten die
Kanoniere den gekrümmten Rücken. Linen Augenblick ruhten alle
Hände in der Batterie. Selbst Lppinghaus sah von seiner Todesliste
auf. Dann flogen nasse Tücher über die Rohre, es dampfte. Die
hemdärmligen Kanoniere hingen sich die Röcke um die Schultern,
denn der Morgenwind ging kühl. Ls schien jetzt fast still, wo die
eigenen Geschütze schwiegen; erst nach und nach empfanden die
Ohren den Donner der anderen Batterien. Gerber stieß den Leut-
nant an: „Hören Sie!" Durch Lppinghaus' Augen ging ein Leuchten.
„Grandios!" sagte er und war schon wieder bei Tabellen, Zahlen
und Rechnen. Über seine Schulter sah Gerber in die Liste: „wie
weit sind Sie, Lppinghaus?" — „Bei 3 Uhr 55, Herr Ober-
leutnant — fast fertig." — „Das ist gut." — Ls scheint alles gut zu
gehen; der Gegner schießt fast nicht mehr wieder. Als er vorhin die
paar Dicken hinter uns setzte und den einen vor uns, hatte ich schon
Durchbruch
271
Sorge, daß wir zugedeckt würden!" — Der Leutnant sagte laut ein
paar Zahlen vor sich hin: „72, 3 — 12^0 — \260 — 72,9," dann
hob er den Kopf; „So — ich hab' nichts gemerkt; aber sie werden
drüben die Nase bald voll kriegen." — Gerber ging von Geschütz
zu Geschütz. Die Mannschaften schleppten schon wieder Munition,
plötzlich sauste es über ihnen. Alles lag platt auf dem Boden. Drei
Einschläge folgten unmittelbar, Sand spritzte, Eisenstücke flogen, es
stank. Irgendeiner in der Batterie schrie: „Gas". „Ouatsch", brüllte
Gerber. Da folgte die zweite Lage und dann die dritte mitten in die
Batterie hinein. Zwei Aufschreie gellten. Einen Augenblick Ver-
wirrung, Durcheinander. Ls sauste wieder heran, detonierte wieder,
diesmal aber hundert Meter vor den Geschützen. Gerber stand auf-
gerichtet. „An die Geschütze!" kommandierte er und zu den Mann-
schaften, die bei ihm lagen: „Los, Jungs, es ist ja nichts, sie streuen
bloß so rum." Dann lief er zu Eppinghaus. Der lag hintenüber,
hielt sich das Bein, biß sich auf die Lippen. Neben ihm hockte ein
Unteroffizier. „Was ist?" rief Gerber. Eppinghaus richtete sich
schon wieder auf. „Nichts — nur eine Schramme — der Knochen
scheint heil. Machen Herr Oberleutnant man weiter. Ich muß
bloß ein bißchen gewickelt werden, dann rechne ich gleich wieder."
— „Tut's weh?" — „Das schon — hilft nichts. — Aber daß ich
nachher nun nicht mitkann!"
Gerber hatte seine Liste wieder in der Hand. Zahlen flogen in
die Batterie. Die Rohre wurden hochgekurbelt: „Feuer!" Sie spieen!
— Das feindliche Feuer schlug wo anders in Erde und Fleisch, Hier
arbeitete der Wille weiter. Eppinghaus saß gekrümmt und rechnete:
,,^io ^350 — f370 ~ 70,8" .... und endlich ^30 Uhr „Feuer
vorverlegen!"
....Der Morgen kroch herauf und legte Nebelschwaden über
das Feld. Alles stand in grauem Dunst. Unteroffizier Siliert sah
nach der Uhr. s0 nach vier. Da brüllten dicht neben und dicht vor
der Siebenten Geschütze auf, die bisher geschwiegen. Sie wühlten
ihr Eisen in die vordersten feindlichen Gräben, rissen an den Draht-
hindernissen, machten die letzten Maschinengewehre mundtot. Sturm-
vorbereitung! Gillert kannte das bereits von der Düna her, wo er
mit einem anderen Regiment angegriffen hatte, damals, als er den
Streifschuß am Kopf erhielt. Er wußte auch, wie diese vordersten
Batterien in den letzten Nächten vor dem Sturm vorgeschafft wurden,
lautlos, Meter um Meter von Menschenkraft gezerrt; dann halb in
der Erde unter Gras und Sträuchern verdeckt; die Infanterie hatte
helfen müssen und er mit. Man atmete auf, wenn sie standen, ehe
der Tag mit seinem verratenden Licht kam, man atmete auf, wenn
der Tag verging, ohne daß sie vom Feind entdeckt wurden und mit
ihnen der ganze Gedanke des Angriffs. Aber nun spieen sie dicht
vor die eigenen Linien, daß sich die deutsche Infanterie ducken mußte
vor den Splittern, die dem Feinde galten.
272
von Zobeltitz
Noch zehn Minuten. Die Artillerie raste. Die Luft schien zu
bersten. — Nur noch einzeln fielen feindliche Granaten in die
eigenen Linien, nur noch einzeln Lackten Maschinengewehre von
drüben. Lachhaft einzeln. Das eigene Feuer hatte gute Wirkung
getan. Wie man das fühlte, empfand. Ls wird gehen; es muß
gehen! wieder wird es ein Loch geben in den feindlichen Wall, eine
Bresche wie zwischen (Lambrai und (Quentin, wie am Damenweg.
Line Bresche, durch die der deutsche Sieg eindringen kann ins feind-
liche Mark; einen Riß, der auch die verruchten Retten sprengte, die
die Heimat mit junger und Verelendung umzwängten. Ja, die
Heimat — das war der Kern, das Ziel, der Anfangs- und Schluß--
gedanke. Sie mußte frei werden, herrlich frei__wie? durch einen
Sieg, durch viele Siege. Den Weg zu diesen Siegen mußten die da
hinten wissen, errechnen, erdenken und der da oben leiten. Ja —
der da oben. Nur nicht wanken. „So 'rüber und dann immer grade
aus!" Das war das Rezept für die Heimat. Und die Artillerie
mischte die Medizin vor.
Noch fünf Minuten. Jetzt krachten die wüsten Schläge schwerer
Minen vorn auf. Die letzten Keile wurden in die feindlichen
Gräben und ihre Verdrahtung geklotzt. Rums — rums — das
rollte; der Boden zitterte, schwankte. Gut so! — Gewiß, alles
konnten sie drüben mit Artillerie und Minen nicht totschlagen. In
Stollen und Lrdlöchern, unter Lisen und Beton lebte es noch weiter
und raffte sich auf, wenn die stürmende Infanterie kam. Aus den
Trümmern krochen sie empor mit den Maschinengewehren, wie
man selbst an der Somme, in der Champagne und in Flandern aus
Dreck, Schutt und Schlamm wieder den Kopf gehoben hatte und
Feuer gegeben mit dem letzten Mut und der letzten Kraft der Nerven,
wie man selbst standgehalten hatte gegen den Sturm nach heulenden
Stunden im Trommelfeuer. Aber man war ein anderer Kerl wie
der Engländer, wie der Franzose, wie ihre farbigen Brüder, wie dies
feige, schuftige Gewimmel, das die Kugeln scheute, von denen zwei
Deutsche, zwei wahre Deutsche mit einem Maschinengewehr oft
Hunderten Halt geboten. Man war ein anderer Kerl. Man kam
drüber weg, dran vorbei, was, Lange — was, Gillert?! man —
Ihr — wir.......
Und selbst, wenn es traf. Wer dachte im Krachen jetzt an das?
an dies Letzte ? Wenige nur — einige — denen das Herz in der Hose
faß____Denen sie daheim etwas eingeblasen hatten von Freiheit,
vom Frieden um jeden s)reis, von neuen Ideen — denen sie mit weisen
Lehren das Herz aus dem Leibe geredet hatten und den Mut aus der
Seele. Aber die andern: So 'rüber und immer grade aus — jawohl,
vielleicht lag da irgendwo der Tod —oder ein Arm —oder ein Bein.
Daran dachte man jetzt nicht mehr. Der Kanonendonner hatte es
herausgehämmert. Jetzt war Freude im Herzen der Tüchtigen, daß
man auch mal mittun konnte, daß man den Schuften, den lvür-
Durchbruch
273
gern an die Gurgel kam, den Schurken, die Weib und Rind ver-
hungern ließen ohne Gnade, die Deutschland morden wollten —
unser Deutschland!
Der Zeiger rückte. Die letzten Minen krachten. Leutnant perl
stand schon aufgerichtet, Gillert und Lange sahen über ihre Gruppen.
„Gleich — gleich — alles fertig!" Die Kerzen schlugen doch. Nicht
vor Furcht — nein, aber ob es glückte! ob man das Loch riß ? wo
werden wir in einer Stunde fein? ob drüben an der Waldhöhe oder
schon drüber weg oder noch davor? wo werden wir heut Abend
sein? Mb da hinten, wo das Dorf im Tale der Matz liegen soll?
wie hieß es doch, was hat der Leutnant gesagt? Ricquebourg?
Ressons? — wie der Nebel steht, dick und düsig — keine 50 Schritt
faßt das Auge, trotzdem es fast Tag ist. wie eine wand steht er.
Da hinein! Gb wir den weg finden? wie war's doch gleich? erst
die Höhe hinan und dann etwas links in ein Trümmerdorf hinein
und dann immer das Tal entlang? wie war's doch gleich? vor-
wärts — und immer vorwärts. Und Fiekchen erwartet zuhause und
Gillert hat seine Dreie____letzte Gedanken. Da winkt Leutnant perl
und läuft los, in den Nebel hinein, und Gillert hinterher und Lange
und all die andern, und vor ihnen und neben ihnen und hinter
ihnen; überall steht's vom Boden auf und stürzt vor, eine rasende
Masse. Drüben tacken nun doch Maschinengewehre auf! Uber die
Röpfe pfeift's und um die Röpfe — egal — man hört's kaum.
vorwärts! Aber in einer Grabenecke preßt sich doch einer in den
Grund und drückt sich wie ein Hase in der Ackerfurche — Schuft! —
......vier Uhr dreißig. Die 92 er-Batterie verlegte ihr Feuer
vor. Gerber hielt noch immer die Liste in der Hand. <£t ließ seine
Granaten vor der Infanterie herlaufen. 24(50 — 2500 — 2550 —
2600! Lage um Lage sauste in den Nebel hinein, mit dem jetzt die
Sonne kämpfte.
Lxpinghaus lag lang ausgestreckt in einer Bodenrinne, einen
Fetzen Zeltbahn unter dem Ropf. <£t war blaß und schwach, fühlt«
in seinem Bein, das wie abgestorben war, jeden Pulsschlag. Gr
hörte die steigende Zahlenreihe Gerbers mit all dem artilleri-
stischen Drum und Dran: er hatte ihr die letzte Genauigkeit gegeben.
Nun ging da vorne der Tanz los — der Sturm — das vorwärts.
Gb es die Infanterie wohl schaffte, ob sie durchkam? Das Herz
klopfte ihm im Wunsche nach Gelingen. Aber eine verteufelte Auf-
gabe war es. <£r kannte das Gelände da vorn, hatte es hundertmal
und mehr mit dem Glase durchforscht, hatte die verdrahteten und
gespickten Ränder von Biermont und Manceau gesehen, die steilen,
waldgekrönten Höhen von Gury. Da hinüber, da hinauf! Line ver-
teufelte Aufgabe — und wenn nur noch der fünfte Mann drüben
am Leben geblieben war nach der Ranonade — nur der fünfte und
der feuerte, dann konnte alles liegen bleiben. Gb sie es schaffte —
die Infanterie.
v. Dickhuth-Harrach, Felde unbesiegt. I.
18
274
von Zobeltitz
„S200 — 3250 — 3300 — 3350!" wie die Zeit lies. Jetzt
mußten sie vorne schon Manceau hinter sich haben. Jetzt mußten
bald die Pferde herankommen und dann protzte die Batterie auf und
jagte der Infanterie nach, eilte an die Seite der Begleitbatterien, die
gleich mit den ersten Sturmwellen losgebrochen waren. Dann ging
es hinein in jenes unbekannte Land des freien Kampfes, hinein in
den Angriff, hinein in die Mannestat, heraus aus dem Schema des
Stellungskrieges, aus den Formeln und dem Rechnen in Bewegung
und Freiheit. Und er mußte liegen bleiben — ihn schaffte man
zurück — er lag fest in irgendeinem Lazarett, gebunden, untätig, wie
er sich gesehnt hatte einmal freizukommen von dem Zahlengewirr,
einmal wirklich zu fechten, zu kämpfen, nicht nur immer keuernd und
befeuert still zu stehen — wie er sich gesehnt hatte! Lin lsoffnungs--
dom brach zusammen.
Die Sonne warf den Nebel auseinander. Immer noch schlug
das Feuer von ein paar feindlichen Batterien in und um die deutschen
Stellungen, in und um die deutschen Geschütze. Der Franzose schoß
wie mit erblindeten Augen; er konnte die Lage wohl nicht übersehen,
wußte nicht, wo seine Infanterie, wo der Angreifer war; — aber
er schoß bis zum letzten, ja sein Feuer schwoll hier und da wieder
an, legte sich auf die Wege zur Front, seine alten Ziele, die Wege,
die die Nachstrebenden durcheilen mußten.
Fünf Uhr fünfzehn. Die Pferde kamen. Die Batterie schwieg.
Gerber rief: „Aufprotzen!" Dann trat er zu Lppinghaus und gab
ihm die Lsand. „Haben Sie Dank —und gute Besserung. Rommen Sie
bald ausgeflickt wieder zu uns — irgendwohin, wo es wieder vorwärts
geht!" — „Sind Nachrichten von vorn da, Herr Oberleutnant?"
— „Diestelhorst ist zurückgekommen; er hat nicht viel sehen können
bei dem Nebel vorhin; aber die ersten Gräben sind glatt genommen!"
— Das bebrillte Gesicht strahlte: „herrlich — und ich kann nicht
mit!" — „Das nächste Mal, Lppinghaus — und nun: Dank und auf
Wiedersehn!" — „Alles Gute da vorn für die Batterie."
Gerber saß im Sattel und winkte noch einmal. Die Batterie
rollte an. —
.....(Siliert stürzte vorwärts durch den Nebel, vor sich sah
er schattenhaft die Gestalten der vorderen Sturmwellen. Über
den ersten deutschen Graben springt er mit einem Satz, eilt durch
das zerschnittene, niedergetretene eigene Drahthindernis, findet im
feindlichen eine Lücke, durch die er sich durchwinden kann, den
anderen nach und wieder andere nach sich ziehend. Rechts sieht
er eine feldgraue Gestalt tot über die pfähle des Verhaus hängen,
zur Linken windet sich etwas am Boden, zuckt, stöhnt-----nur nicht
sehen, nicht hören — vorwärts. Der vorderste feindliche Graben ist
fast eingeebnet,____umgedreht ist das Lrdreich. Lin paar Rappen
liegen herum, Fetzen himmelblauen Tuches hier, waffenteile dort.
Mit starren, stumpfen Gesichtern, verwirrt von der Gewalt des
Durchbruch
275
Feuers, stehen einige Franzosen da — die Waffen hat man ihnen
zerbrochen — nun läßt man sie allein — man hat niemand zu
chrer Bewachung, vorn ist jeder Mann nötig.
Weiter — weiter. Nur hasten, eilen, damit der Gegner nicht
zum Besinnen kommt. Nur vorwärts, damit man die Äugeln nicht
merkt, die einen umsausen; ihrer nicht denkt. Gillert weiß nicht mehr,
wohin es geht; weiß nicht mehr, wieviel Gräben er schon über-
sprang, wieviel Hindernisse er durchkletterte. Er sieht aber vor sich
den kleinen Leutnant perl, sieht hinter sich seine Leute. Sonst Nebel,
Nebel. Aber die Sonne flimmert schon durch; ksitze drückt schon und
Schweiß rinnt.
plötzlich pfeift es von links her in Gillerts Gruppe, — hagel-
dicht. Und schon stürzt der wilke neben dem Unteroffizier lautlos
j» Boden, schlägt noch einmal mit Armen und muckst sich nicht mehr.
Noch zwanzig Schritt geht es vorwärts, dann kommt das Feuer
ihnen in den Rücken, es geht nicht mehr, es zwingt sie nieder.
Da liegen sie platt gegen den Boden gedrückt, tatenlos fest. Über
ihnen pfeift es, haarscharf über ihnen..... vorsichtig hebt Gillert
den Aopf und zählt seine Leute; ja, sie sind da — sieben noch, nur
der wilke fehlt — armer Kerl. Mitten zwischen seinen Kerls liegt
auch der Leutnant und winkt: „Ducken!" Da zerreißt die Sonne den
Nebel, und mit einem Male kann man um sich sehen, hundert Meter,
zweihundert Meter. Und Gillert erkennt die Ecke, wo der Feind sitzt,
sine Buschgruppe, in die ein Grabenstück eingeschnitten, halb rück-
wärts von ihm; drei, vier Maschinengewehre müssen in dem Nest
stecken; sie rattern nach allen Seiten; und um die Ecke herum im
Halbkreis liegt die eigne Infanterie überall auf der Nase — auch
Lange mit seiner Gruppe. Da schreit der perl plötzlich in das
peitschen des feindlichen Feuers hinein: „Liegen bleiben!", schreit's
so laut, daß es jeder hören muß und springt dann auf und stürzt
gebückt zurück; um ihn herum zischt Kugel um Kugel. Gillert ver-
folgt ihn, wie er 50 Meter läuft, sich hinwirft, wieder rennt und
sich wieder hinwirft, und denkt jetzt müssen sie ihn treffen, jetzt
muß er fallen. Aber er sieht auch die Gruppe, die da am Boden
klebt, etwas weiter zurück, um ein dunkles Etwas herum und denkt
sich, daß das der leichte Minenwerfer sein wird. Und dann ist der
Leutnant da — bei denen — und nun wibbelt und kribbelt es
dort — und schon zieht die erste Mine durch die Luft, schlägt dicht
neben dem Busch ein. Aber die Maschinengewehre tackten weiter.
„Handgranaten los," schreit Gillert, „und wenn die nächste Mine
sitzt, dann los!" Aber die nächste sitzt noch nicht — trotzdem stürzt
Gillert links seitwärts .... und mit ihm ein paar Brave, kommt
zehn Schritt näher heran an das Nest. wieder kommt eine Mine
und wieder eine, immer dicht herum um den Busch, und jedesmal
stockt drüben eine Sekunde das Feuer, und jedesmal kommen sie
zehn Schritte vor. Aber lange dauert es, unendlich lange; —
18*
276
von Zobeltitz
Stunden scheinen zu vergehen, und es sind doch nur Minuten. Bis
endlich eine Mine mitten hineinschlägt in die Ecke. Da dauert es
ein paar Atemzüge länger, bis die Franzosen den Finger wieder im
Abzug haben, und schon sind Gillert und drei seiner Gruppe über
ihnen mit Handgranaten; von den anderen Seiten stürmen sie auch
heran und schießen dazwischen. Überall kommt Bewegung in die
Linien; der Leutnant perl ist auch wieder da und winkt und gibt
die Richtung an. wirklich eine richtige Schützenlinie wird's, die
vorwärts springt, südwärts das Tal entlang. Gillert sieht sie
entlang, sieht ein paar Leute von Langes Gruppe, aber ihn nicht,
„wo ist Unteroffizier Lange?" ruft er hinüber. Sie zucken mit den
Achseln. Und Gillert denkt an das Fiekchen, das daheim ihren
Ersten erwartet. —
.....Der stürmenden Infanterie waren Pioniere gefolgt. Sie
bahnten Wege durch das Gewirr von Gräben und Draht; eine
saure Arbeit, denn noch immer streuten die Franzosen mit ihren
Batterien das Gebiet ab. Unvollkommene Wege waren es, aber auch
die Batterie Gerber gelangte auf ihnen hinüber, vorwärts in das
eroberte Gelände; langsam ging es, und die Stunden liefen
davon. Kilometerweit war die Infanterie vor, stieg schon den
Lsöhenzug hinauf, der sich beim park Sechelles quer vor den Angriff
legte. Gerber eilte mit seinem Stabe seiner Batterie voran, irgendwo
den Abteilungsstab zu finden oder den Infanterie-Kommandeur,
an den er Anschluß halten mußte. Eine Aufgabe wollte er haben,
mittun, mithelfen wollte er. Er galoppierte an, straffte sich im
Sattel, sah auf die Gefangenen herab, die jetzt in Trupps zu 20
und 30 zurückfluteten, rief einem verwundeten, der zum Verband-
platz humpelte, zu: „wie steht's denn vorn?" und erhielt die frohe
Antwort: „Gut steht's!" Line Jubelstimmung faßte Gerber, eine
Stimmung, wie er sie seit $15 nicht gekannt hatte, seit den Tagen
des Vorbrechens über den Narew. vorwärts — vorwärts; wie es
die Infanterie wieder geschafft hatte! Und dann sah er auch die
dichten Trichterlinien um die feindlichen Gräben und war stolz auf
die Arbeit seiner Waffe.
„Gerber — Gerber!" Der Ordonnanzoffizier von den $77ern
rief ihn an. Er parierte durch, „lsallo, Klugmann — wie geht's?"
— „Gut geht's, aber jetzt stoppt's da oben ein bißchen — haben Sie
Ihre Batterie ran?" — „Dicht auf!" — „Famos — da können Sie
helfen___" und Klugmann wies zu einer Buschgruppe am Secheller
Lsang: „Bis dahin etwa können Sie vor." Gerber gab einem Unter-
offizier die Weisung die Batterie nachzuziehen und sagte dann:
„Klugmann, wir kommen! Ich erkunde gleich die Stellung!" wieder
ging's im Galopp südwärts. —
..... Oben auf dem bsöhenrand empfing die Infanterie ein
ksöllenfeuer. Feindliche Schützen und Maschinengewehre lagen irgend-
wo, unerkennbar, unfaßbar im ersten Augenblick. Auch Artillerie
Durchbruch
277
Kalte der Gegner wieder — trotz der vielen eroberten Geschütze, die
im genommenen Gelände standen. Der Angriff stockte, lag fest.
Unteroffizier Gillerts Gruppe war auf fünf Mann zusammen-
geschmolzen; es hatte noch manchen Rleinkampf gesetzt auf dem
Wege bis zu dieser Höhe. Nun klemmte er sich mit seinen Leuten
hinter eine Lrdkette, dicht neben ein Maschinengewehr. Gr preßte
die Zähne zusammen, „verflucht, hier konnte man nicht vor, wenn
nicht Artillerie rankam und half!" Jetzt fing es drüben an sich zu
bewegen, zwischen Decken und Erdschollen schoben sich Menschen hin
und her, etwa ^00 Meter vor ihnen. Schon tackte das erste, deutsche
Maschinengewehr gegen das Ziel. Aber kaum hatte es das Feuer
eröffnet, als es auch von drüben losging von drei Stellen zugleich
und über sie wegpfiff und in sie hinein. Minuten verstrichen, dann
folgten Schrapnells; das deutsche Maschinengewehr schwieg. Drüben
huschte es weiter, kroch vorwärts, schob sich heran. Gillerts Blut
ging schneller. Gr fühlte, irgendetwas kam, stand dicht bevor. —
— Die Batterie Gerber kam grade noch im richtigen Augen-
blick. Durch einen Lisenhagel hatte sie sich vorgekämpft. Line
Schrapnellwand hatte die feindliche Artillerie hinter die deutschen
Schützen gelegt — durch die mußte sie durch. Und schaffte es,
wenn auch nur mit drei Geschützen, bis hinauf auf die Höhe, bis
dicht hinter die vorderste Linie, hinein in das feindliche Gewehr-
strichfeuer — eine tolle Stellung. Die Geschütze wurden rumgerissen,
die Bespannungen jagten zurück. Gerber lachte — schön war das —
wie wie bei den ersten Siegen. Mitten in der Batterie stand
er und kommandierte... Da brach es von drüben los! —
Gillert sah es 'mit einem Male aufstehen, aus dem Boden
wachsen, Mann bei Mann — Massen. „Schwarze!" brüllte einer
neben ihm wie in Angst — „Schießen" schrie er, sprang selbst auf,
lief zum Maschinengewehr, stieß den Richtschützen beiseite, schmiß
sich hin — und tack — tack — tack schlug das Lisen in die schwarzen
Franzosen.
Und gleichzeitig fuhren die Granaten der 92 er dazwischen, sie
saßen, sie rissen die Leiber auseinander, die Glieder in Fetzen.
Der Tod mähte.
Da stockte der Anprall, stand; die Schwarzen warfen sich auf
den deckungslosen Hang. Äugeln, Granaten peitschten sie wieder
auf, daß sie zurückfluteten. „Aus!" schrie Gillert, „nach!" — „Auf
— marsch — marsch" schrie Perl, der Leutnant. Da erhob sich die
ganze Linie: vorwärts, vorwärts.
Allen voran Gillert, der Bauer. „Sieg!" ruft er, „Sieg!"
Bis er plötzlich die Arme hochschlägt mitten im Lauf und zusammen-
sinkt. Und über ihn weg stürmen die andern — vorwärts, vor
wärts......
Das letzte Mal an dev 'front,
Iulî—August 1918.
Non Oberleutnant a. D. Lothar Freiherrn v. LîîchtHofen,
damals Leutnant und Führer der Jagdstaffel Mchthofsn.
(7\ m 2\. April W8 fiel Manfred.
-^»Zuerst glaubte ich es nicht; die Nachrichten in den Zeitungen
waren aber so ausführlich — es mußte wahr fein.
Ich lag im Kieferlazarett in Düsseldorf und hatte meinem
Bruder nicht geholfen! Wie oft hatten wir uns gegenseitig das Leben
gerettet — bei seinem letzten Fluge hatte ich Manfred im Stich ge-
lassen.
Meine Eltern, alle meine Verwandten und Bekannten bestürmten
mich nicht wieder raus zu gehen. Doch meinen Schwur Rache zu
nehmen mußte ich erfüllen, koste es was es wolle. Alles hatte sich
gegen mich verschworen. Der Kommandierende General der Luft-
streitkräfte bot mir im Hauptquartier eine sehr angenehme Ad-
jutantenstelle an. Meine Ärzte wollten mich nicht wieder hinaus-
lassen, sie schrieben mich nicht „K.-P.". Ehe dies bekannt wurde,
mußte ich an der Front fein, sonst wurde ich nicht zu meiner Jagd-
staffel gelassen. Der normale Weg wieder ins Feld zu kommen
dauerte Tage bis H Wochen. In wenigen Tagen mußte mein
ärztliches Attest bei meinem Ersatztruppenteil in Hannover bekannt
sein, dann war es zu spät. Fürchterlich! Ich selbst war mir nicht
ganz klar, ob mein rechtes Auge, das bei der letzten Verwundung
verletzt worden war, im Luftkampf genügen würde: das konnte kein
Mensch beurteilen, das mußte ich selbst an der Front ausprobieren.
Nun kamite ich beim Generalkommando den Herrn, der die
Personalien bearbeitete. Also antelephonieren. Erklärte, sei wieder
gesund, wollte die Staffel wieder übernehmen. „Machen wir!"
war die Antwort. Gleich auf die Bahn gesetzt und ins Haupt-
quartier gefahren, war eins. Dort meldete ich mich beim Komman-
dierenden General auf der Durchreise zur Front als vollkommen wie-
der hergestellt. Diese Lüge war nötig, denn ich wäre sonst im letzten
Augenblick noch angehalten worden. In Permets wurde ich rührend
behandelt. Bei Tisch saß ich zwischen General v. Höxpner und dem
Lhef Thomsen. Abends wurde ich im Automobil zur Bahn ge-
bracht; für die damalige Gummiknappheit, etwas Fabelhaftes,
Schlafwagen. Nächster Morgen Maubeuge. Dort bei strömendem
Das letzte Mal an der Front
279
Regen Abholung mit Flugzeug: Koffer mit in der Maschine. Nach
anderthalb Stunden in Braisne bei Laon gelandet.
Am selben Tage noch einen Frontflug gemacht, in der Hoffnung
einen Engländer zu töten. Im neuen Typ, fremdem Flugzeug mit
neuen Maschinengewehren und an einer neuen Front, natürlich
ohne Karte, war zuviel verlangt. Ich war froh, als ich nach einem
Luftkampf, in dem ich weder mit meiner Maschine fertig wurde,
noch wußte wo ich war, wieder glücklich auf unserm Flughafen lan-
dete. Zu meinem großen Kummer war ein Engländer abgeschossen
worden. Es war überhaupt eine glänzende Gelegenheit gewesen,
nur war ich meines Auges wegen, das noch sehr störte, nicht ganz
im Bilde. Ich hatte kaum Freund von Feind unterscheiden, meine
Maschine kaum steuern können, da sämtliche Bedienungshebel ver-
kehrt angebracht waren. Für gewöhnlich nämlich muß man feine
Maschine erst vollkommen neu für sich einrichten und des öfteren
einstiegen, ebenso seine Maschinengewehre einschießen. Ich war
todunglücklich, zweifelte schon an meinem Auge. Meine Eltern waren
noch nicht benachrichtigt, daß ich wieder an der Front war. Meinem
Rater hatte ich versprechen müssen nur mit gesundem Auge wieder
hinauszugehen. Ich mußte erst einen abschießen, um das zu be-
weisen, machte mich also mit Eifer an meine Maschine.
Einige Tage später hieß es: lseut ist der 300. Abschuß des
Jagdgeschwaders Richthofen fällig. Der Geschwaderführer nieinte,
der stände ihm zu, aber da er am nächsten Tage auf Urlaub fuhr,
flog er nicht mehr mit.
Ich freute mich mit meiner Staffel wieder etwas abzuschießen.
Leider war sie gar nicht einexerziert, eine Unterstützung also nicht
zu erwarten. Aber man sieht ja nicht, wer in der Maschine drinsitzt;
so mußten sie eben nur durch ihr Vorhandensein wirken.
In 3000—H000 Meter lsöhe an der Front angekommen, sehe
ich etwa sOO feindliche Flugzeuge herannahen, die äußerst geschickt
zusammenfliegen. Unsichtiges Wetter, dicker Nebel lag in der Luft,
so daß man sehr schlecht sah. Ich versuchte nun die letzten der
Feinde anzugreifen, um niemand im Rücken zu haben. Am Feinde
angelangt, sehe ich mich um, wer nicht hinter mir ist, ist die Staffel.
Sie kam wohl hinterher, jedoch zu weit, um sich an dem bevorstehen-
den Kampfe beteiligen zu können. Also werde ich es ihnen mal vor-?
machen.
Drei einzelne englische Einsitzer fliegen vor mir, über mir.
vor mir, unter mir, ein dickes, eng zusammenfliegendes französisches
Doppelfitzergeschwader: etwa 20 Maschinen. Da konnte ich nicht
allein hineinstoßen. Ich nahm mir also den Mittelsten der Oberen
aufs Korn. Gleich bei den ersten Schüssen muß ich getroffen haben.
Die Maschine stürzte und fing sich nach 50 in wieder, aber steuer-
los. Für alle Fälle verschoß ich noch meine übrigen Patronen auf
den Kerl. Er sollte brennen, tat es aber nicht, weil ich gar keine
280
v. Richthofen
Brennmunition bei mir Kalte, was ich nicht wußte. Ich beobachtete
noch den Aufschlag.
Aber halt, wo bin ich'? Orientierung verloren! Nach der Sonne
will ich zurückfliegen, da werde ich von oben von einem englischen
.Einsitzer angegriffen. Non oben ist er schon im Vorteil, außerdem
habe ich keine Patronen mehr, von meiner Staffel nichts zu sehen.
Ich muß also auf mich schießen lassen, versuchen kein sicheres Ziel
zu bieten, und mich im Kampfe nach unserer Front zu schlängeln-
um bei einem Schuß durch den Motor bei uns landen zu können.
Nachdem der Engländer etwa hundert Schuß auf mich verfeuert hat,
läßt er plötzlich aus unerklärlichen Gründen von mir ab.
Froh den Tommy los zu sein, fliege ich wieder Richtung Heimat.
Noch bin ich nicht an der Front angekommen, da greift mich
ein neuer Lord von vorn oben an. Wieder winde ich mich nach allen
Richtungen, um ihm nicht ein sicheres Ziel zu bieten. Nachdem ich
einige Treffer in die Maschine bekommen, läßt auch dieser mich uw-
gerupft davon. Ich bin nur nach der allgemeinen Himmelsrichtung
geflogen, komme aber in die Nähe meines Flughafens.
Dort angekommen, bin ich der Erste zurück. Ganz allmählich
erscheint einer nach dem andern. Zum Schluß fehlen noch drei, die
nicht mehr vor Dunkelheit eintreffen.
Nun folgt ein böser Abend und eine böse Nacht, in der ich mir
dauernd vorwürfe mache, nicht genug aufgepaßt zu haben. „Wo
gehobelt wird, da fallen Späne", tröstet mich einer meiner Kameraden.
Am nächsten Morgen erscheint einer der vermißten — er hatte
sich verflogen. Dann läutet es vom Armeeflugpark an: Da war
auch einer der versprengten gelandet. Zum Schluß fehlt noch einer
— der war int Luftkampf leicht am Bein verwundet worden. Beim
Heruntergehen muß er kurz über der Erde das Bewußtsein ver-
loren haben, wenigstens hat er sich beim Landen das Genick ge-
brochen. Schade, das war ein ordentlicher Pilot! Die Besten fallen
immer, das ist leider bei der Jagdfliegern so besonders der Fall.
Am nächsten Tag fuhr der Geschwaderführer auf Urlaub, von
da ab führte ich das Jagdgeschwader bis zu meiner letzten Verwun-
dung. Den 500. Abschuß hatte ich noch vorher zur Strecke gebracht,
zehn Minuten später schoß Loewenhardt den 50s. ab.
Nun kam der Rückzug von der Marne, der Anfang zu unserm
Ende. Die Franzosen griffen mit weit überlegenen Kräften unsere,
bei dem Vormarsch abgekämpften Divisionen an.
Kurz vorher war unser mißglückter Angriff bei Reims.
Die Franzosen hatten aus beiden vorhergehenden Angriffen etwas
gelernt. Erst ließen sie uns auf das schleunigst verlassene Vorge-
lände trommeln, dann, als wir dies Stück vorrückten, standen wir
vor einer ausgezeichneten Stellung, vor unverbrauchten Kräften
selbst im Trommelfeuer. So endete unser letzter Angriff bei Reims.
Da griffen die Franzosen an der Marne mit noch nie dagewesener
Das letzte Mal an der Front
281
Festigkeit an. Unsere Divisionen in Flandern, die dort zu einem
neuen Angriff aufgestellt waren, wurden schleunigst gegen die Fran-
zosen geholt. Lin trauriges Bild. Kompagnien in Stärke von fünf-
jtg Mann, geführt von Unteroffizieren. Die letzte Reserve! Keine
Bahnlinie war da, den kämpfenden Truppen an der Ularne Nach-
schub zu bringen. Lrst Ulunition, dann Lebensmittel mußten mit
Lastautos herangeschafft werden. Die Stellung war gegen einen
starken Angriff nicht haltbar. Der ganze Nachschub mußte Liber den
Lhemin des Dames gehen, so auch unsere sieben Sachen zur Er-
kundung eines rückwärtigen Flugplatzes.
wir kamen in Baracken auf die Pusieux-Ferme bei Laon. An
dieser Front schoß ich noch zwei Flugzeuge ab, einen Franzosen und
einen Amerikaner.
Ulittlerweile war ich bei meiner Lrsatzabteilung in der Heimat
händeringend gesucht worden. Lin Telegramm üach dem andern
wurde nach mir ausgesandt. Der Deserteur war nicht zu finden.
Man überlegte, ob Stubenarrest als Strafe genüge. Da stand ich
plötzlich mit dem 30. Luftsiege, dem 500. des Jagdgeschwaders, im
Heeresbericht. Nie wieder machten mir die Heimatbehörden Schwie-
rigkeiten. Der 30. Luftsieg war auch die erste Nachricht für meinen
Vater, daß ich wieder draußen war.
Nun zurück zu meinen letzten Abschüssen bei Laon. Beide
machten es mir sehr leicht. "Der Amerikaner war ein ganzer An-
fänger. Sie flogen zu viert, wir zu dritt. Ich war etwas höher als
der Amerikaner. Im Augenblick war ich ran, etwa 50 Schuß und
das feindliche Flugzeug stürzte steuerlos ab. Lin Herr, der mit
mir flog, meinte, er hätte den Amerikaner auch abschießen wollen.
Gerade hätte er ihn als Feind erkannt, als er mich dahinter sah,
und schon stürzte der Yankee ab. Schnelle Erfassung der Situation
bedeutet eben für den Jagdflieger das Leben. So hatte der
Amerikaner wohl überhaupt nichts von mir gemerkt, eigentlich ein
schöner Tod.
Der Franzose lebte etwas länger. Der Kerl flog mit sechs andern
pisammen und wir zu dritt. Ich war als Lrster ran, griff mir den
letzten heraus. Er versuchte in seiner Angst sich mW durch Sturz-
und Kurvenfliegen zu entziehen. Ich ließ nicht locker und schoß ihn
ab. Nicht einen Schuß verfeuerte er dabei auf mich; er kam nicht
dazu. Ich flog dabei mit zwei Anfängern, die mich beinahe rammten.
Liner davon rammte dann später wirklich jemand, und zwar Loewen-
hardt. Der andere brachte mir einige Treffer bei, weil ich zwischen
ihm und dem Franzosen flog. Er hatte in seiner Aufregung nur den
Franzosen, nicht aber mich gesehen.
Für einen erfahrenen Jagdflieger ist es das einfachste nur
Einsitzer anzugreifen. Fliegt man geschickt, kommt eben der andere
gar nicht zu Schuß. Man sitzt immer hinter dem Feind, der bloß
vornheraus schießen kann. Die meisten „Kanonen" haben immer
282
v. Richthofen
mehr Einsitzer als Doppelsitzer abgeschossen, nur Manfred miL
ich nicht. Linen Doppelsitzer anzugreifen ist sehr unangenehm, der
schießt nämlich auch hinten heraus, und von da aus greift man
immer an. Außerdem schossen die Leinde dabei mit Leuchtmunition,
so daß man beim Angriff in die sichtbare Maschinengewehrgarbe
des Gegners fliegen mußte. Rechts und links von einem sah man die
feindlichen Geschosse sausen. In dieser immerhin aufregenden Lage
ruhig bleiben und ruhig zielen konnten die wenigsten. Die es
konnten, zogen dennoch Einsitzer vor. Mein Bruder legte schriftlich
nieder, man könne Flugzeuge nur von hinten abschießen; das wird
von mir bestritten, da ich selbst fünf Engländer von vorn abschoß.
Acht Tage etwa lagen wir auf unserer Pusieux-Ferme. Durch
meine letzten Abschüsse hatte ich nun auch einen Franzosen und einen
Amerikaner erledigt, während sonst nur Engländer auf meiner Ab-
schußliste stehen. Inzwischen war der Flugbetrieb an unserem Front-
abschnitt sehr abgeflaut, wir meldeten dies, um an eine belebtere
Front zu gelangen. Man sagte uns, an der ganzen Front wäre nichts
los. Es hieß Iagdgeschwader s bezieht Winterquartiere bei der
2. Armee nahe pöronne.
Ich flog als Kommandeur des Jagdgeschwaders hin, um mir
die Sache anzusehn. Dort empfing mich der Kommandeur der
Flieger der 2. Armee, um mir den Flugplatz anzuweisen, auf den
wir übersiedeln sollten. In acht Tagen würden wir dann lsolz für
unsere Baracken bekommen. Für dieses Iahr sei es mit Flugbetrieb
und Offensiven zu Ende, außerdem sei man unterrichtet, daß der
Feind abgekämpft wäre. Iw ganzen hätte der Gegner noch zehü
unverbrauchte Divisionen. Er erzählte mir genau die augenblick-
lichen Standorte dieser Divisionen. So war anscheinend die Orientie-
rung der höchsten Stellen, wenige Tage vor dem größten feind-
lichen Angriff dieses Krieges. Der Feind hatte in der versteckten
Vorbereitung von Angriffen von uns gelernt.
Zwei Tage darauf werde ich in aller Frühe im Bett angeklingelt,
das Geschwader müsse heute noch den neuen Flugplatz bei psronne
beziehen. Das ist ohne Vorbereitung bei dem Drum und Dran einer
Staffel nicht möglich. Der neue Flugplatz lag über 60 km ab.
3<t es müsse sein, die Engländer hätten die Nacht getrommelt, sie
seien seit den Morgenstunden auf dem Abschnitt der ganzen 2. und
3. Armee in unaufhaltsamem Vorrücken. Bis weit hinten in die
Etappe hinge der ksimmel voller Engländer, die Bomben schmissen
und aufklärten. Kein einziges Flugzeug an dem Frontabschnitt sei
mehr in Ordnung. Gleich beim Morgengrauen erschienen auf jedem
dortigen Flugplatz Engländer, warfen Bomben und schossen mit
Maschinengewehren die in den fallen und draußen stehenden Flug-
zeuge unbrauchbar. Über unsern Flugplätzen hingen die Engländer,
im Falle sich doch noch ein Häschen in die Lüfte wagen könnte, um
es dann gleich über dem Platze abzuschießen.
Nette Lage! Den Tag wollte ich gerade nichts unternehmen,
weil mir hundeelend zu Mut war. Ich stand nunmehr auf und
trommelte meine Staffelführer zusammen. Loewenhardt mußte auf
den neuen Platz, um dort alles vorzubereiten. Ich fühlte mich außer-
stande zu fliegen. Um 2 Uhr nachmittags kam Loewenhardt wieder.
Er hatte einen 'abgeschossen und brauchte neue Patronen, schilderte
mir den dortigen Betrieb, wie ich es am Morgen schon erfahren
hatte. Um nhx beschlossen wir zu starten, für diesen Mords-
betrieb die Anfänger zu Hause zu lassen.
Am selben Nachmittag, von 5 Uhr ab schoß das Geschwader
noch \4< Engländer ab. Udet, Loewenhardt und ich je drei.
Ich flog mit Loewenhardt und den besten Leuten aus unseren
beiden Staffeln. Bei meiner Staffel sah es sehr schwach aus. Eigent-
lich taugte da bloß noch einer was. Bei Loewenhardts Staffel war
es ähnlich. Die Besten waren gefallen, der Nachwuchs taugte sehr
wenig.
wir starteten, zu etwa acht Maschinen. Mer die Kathedrale
von Laon ging es nach Norden über das alte Somme-Schlachtfeld
hin. N)ir waren nicht frontwärts geflogen, um uns nicht an einem
anderen Frontabschnitt in einen Kampf zu verwickeln, wodurch wir
von unserer Aufgabe abgelenkt worden wären. Mir kamen somit
von hinten auf unsere neue Front zu, und waren noch nicht in Höhe
unsrer Flughäfen, als die Luft auch schon von Engländern wimmelte.
Gerade über einem deutschen Flughafen, der sich später als der
unsrige herausstellte, stießen wir auf ein englisches Bombenge-
schwader, welches dort eben seine Eier gelegt hatte. Loewenhardt
und ich (die andern hatten das letzte Stück nicht so schnell fliegen
können) griffen den Gegner an. Die übrigen kamen erst im Laufe
des Kampfes heran. Mir flogen in etwa ¿(000 m Höhe, (00 m tiefer
war eine durchbrochene Molkenschicht. Als ich nun einen angriff,
verschwand die ganze Bande in diesem Wolkenfetzen, das heißt,
sie kamen alle Augenblicke wieder zum Vorschein, verschwanden aber
kurz darauf unter der altbewährten Tarnkappe. Altbewährt! wie
viele sind mir durch diese Wolkenschichten durch die Lappen ge-
gangen! Ich selbst chatte in entscheidenden Augenblicken nie einen
deckenden Wolkenfetzen zu nieiner Rettung.
Ich griff also einen an. Hatte mich gerade auf den Lord ein-
geschossen; bei den nächsten Schüssen mußte der Kerl fallen. Da
verschwindet mein Gegner, ein Doppelsitzer, der tüchtig hinten
heraus auf mich schießt, in einer Wolkenschicht. Eine Sekunde später
ich desgleichen. Scheußliche Lage! welches Tempo nun einschlagen,
um meinen Gegner nicht einfach zu rammen? Fliege ich zu lang-
sam, kann ich von hinten durch eigene Leute gerammt werden;
sie müssen inzwischen heran sein. Der Kampf hat begonnen, von
allen Seiten übertönt Maschinengewehrfeuer das Geräusch des
Motors. Ich wähle also ein Mittelding der Geschwindigkeit, in der
284
v. Richthofen
Hoffnung, die andern dächten ebenso. Line solche Lage ist unan-
genehmer, als ein offener Luftkampf. Loewenhardt war wenige
Meter von mir entfernt auch in der Wolke verschwunden. Der Nebe!
ist in dieser so dicht, datz man nicht einmal seine ganze Maschine
übersieht.
Lin momenthaftes bsellerwerden, und plötzlich aus der Wolke
heraus! Der erste Blick: Wo ist Freund und Feind? Das da ist mein
Gegner. Der nächste Wolkenfetzen ist diesmal sehr viel weiter ent-
fernt, Bor diesem muß ich den Lord erledigt haben. Durch die letzte
Wolke bin ich ein ganzes Stück von ihm getrennt worden, da er
natürlich mit äußerster Geschwindigkeit flog. Meine Nähe war ihstr
wohl unangenehm; wahrscheinlich hatte er schon einige Treffer
abbekommen. Nun beginnt die Hetzjagd! Gelingt es ihm den nächsten
Wolkenfetzen zu erreichen, so ist er wieder geborgen, wahrscheinlich
für immer vor mir gerettet. Dieser Zwischenraum innerhalb der
Wolkenballen ist besonders groß. Jetzt oder nie! Ich gebe also
dem Motor die äußerste Leistungsfähigkeit, krümme mich ganz in
meiner Maschine zusammen und sause hinterher. Jetzt heißt es bis
auf 50 in heran und dann Schluß machen. Bei äußerster Bean-
spruchung meines Motors gelingt es mir Meter auf Meter auf-
zuholen. Mein Gegner, der inzwischen bemerkte, daß ich die Ver-
folgung wieder aufgenommen habe, beginnt sofort das Feuer auf
mich von neuem zu eröffnen. Rechts und links von mir, an meinem
Kopf vorbei, saufen die leuchtenden Geschosse des feindlichen Be-
obachters. Ohne einen Schuß abzugeben rücke ich ihm mehr und
mehr zu Leibe. Unheimlich für ihn, daß ich nicht schoß, denn darin
kam meine feste Absicht zum Ausdruck, ihn zu erledigen. Nur auf
kurze Entfernung, wie etwa 50 in, kann man sicher treffen. Un-
heimlich für mich bei der Verfolgung war, daß der Kerl so viel
schoß. Gft waren die Geschoßgarben verdammt nah um mich herum.
Ich duckte mich noch mehr, um ihm ein möglichst kleines Ziel zu
bieten. Jedes der Geschosse, die ich alle fliegen sah, konnte den
sicheren Tod bringen. Gft kribbelte es mir in den Fingern, zu früh
mit schießen anzufangen, aber die Gefahr, mich zu verschießen, ehe
ich dicht am Feinde war, war zu groß. Außerdem wollte ich mit
meinen Patronen im Gurt noch andere Engländer erledigen. Also
sparen!
Mittlerweile bin ich auf s00 bis 50 m herangekommen. Mein
Gegner hat auch nicht einmal Ladehemmung und schießt wie ein
Blödsinniger. Flogen mir die Garben zu sehr um den Üopf, gab
ich immer einige Schreckschüsse ab. Der Lrfolg blieb niemals aus.
Jedesmal merkte ich, wie er vor Angst zu zielen vergaß. So, nun
war der Augenblick gekommen, nun war ich auf die nötige Lntfer-
nung heran. Mit eisiger Ruhe nahm ich ihn aufs Kom, nun ging
es um Sein oder Nichtsein, die Treffmöglichkeiten waren für
beide dieselben. Ls war höchste Zeit. Die rettende Wolke ist schon
Das letzte Mal an der Front
285
in erschreckender Nähe. Ich schieße. Meine Lichtspurmunition sehe
ich im Rumpf des feindlichen Flugzeugs verschwinden. Mein Feuer
übertönt das des Gegners. Die Wolke rückt immer näher. Jetzt
muß er drin verschwinden. Vielleicht fünf Meter sitze ich hinter
meinem Gegner. Er muß fallen. Da, ich sehe eine kleine Flamme
in der Mitte des Rumpfes, im nächsten Augenblick besteht das
feindliche Flugzeug aus einem Feuerballen von etwa fünf Meter
Durchmesser. Und ich? Mit knapper Not, kann ich noch gerade mein
Flugzeug darüber wegreißen. Um Haaresbreite. Die Berührung
mit dem Feuermeer hätte genügt, daß ich genau so zerplatzt wäre.
wenn ich ein Pferd, das sich in voller Karriere befindet, plötz-
lich zum Stehen bringe, so grob bildlich war das Hilfsmittel, das ich
meiner Maschine geben mußte.
Die Reste meines Engländers flatterten wie irrende Papier-
fetzen langsam der Erde zu. wunderbar, daß man in solchen Augen-
blicken nicht die Spur von Mitleid fühlte; im Gegenteil, man freute
sich; vielleicht nicht gerade an dem Anblick, aber manchmal auch
das. Man freut sich wohl mehr, durch Erledigung des Gegners
der Gefahr entronnen zu sein; denn erst bei völliger Entwaffnung
des Feindes ist man seines eigenen Lebens sicher.
Für den Augenblick hatte ich genug. Währenddessen sah ich
nach den andern. Loewenhardt war mit seinem Engländer gerade
in der Wolke verschwunden. Die übrigen hatten auch keinen er-
wischt. Keiner hatte mehr recht Lust die Jagd hinter den Kerls
fortzusetzen. Sie flogen zu geschickt in den Wolkenschichten. Es gab
an dem Tage genug andere, die herumflogen, die machten es uns
vielleicht bequemer.
wir sammelten uns denn und gingen auf Suche. Inzwischen
kamen immer dichtere Wolken und eine geschlossene Wolkendecke
in etwa H500 m ksöhe. wir fliegen an der Front auf und ab.
plötzlich sehen wir 5 Irin hinter unserer Front unsere Flugabwehr-
geschütze schießen. Die Sprengpunkte der platzenden Schrapnells
sehen wir dicht unter den Wolken, wir fliegen hin, sehen
den Engländer, wir sind noch nicht auf Schußentfernung heran,
da zieht der Lord nach oben in die Wolken und verschwindet darin,
wir bleiben darunter und erwarten, daß der Engländer mal heraus-
stößt, um sich zu orientieren. Er erscheint nicht mehr, flog wahr-
scheinlich so lange nach der Uhr nach Westen, bis er sich sagte,
über eigenem Gebiet und außer Gefahr zu sein.
plötzlich wird wieder einige Kilometer hinter unserer Front
ein einzelner Engländer, ein Einsitzer, diesmal aber in etwa 500 m
von unseren Flugabwehrgeschützen beschossen. Das war übrigens
der Haupterfolg unserer Abwehrgeschütze, daß sie dem Jagdflieger
durch ihre platzenden Schrapnells zeigten, wo sich der Feind be-
fand. Durch die Sprengwölkchen aufmerksam gemacht, eilten wir
hinzu; wir befanden uns zwischen dem Engländer und der Front.
Er mußte, wollte -er nach Hause fliegen, unfern weg kreuzen.
286 v. Richthofen
Loewenhardt und ich fliegen auf ihn zu. Versucht er rechts
Herum auszureißen, ist er mein Opfer, links herum Loewenhardts.
Zuerst hatte Loewenhardt richtig gerechnet. Denn der Lord bog
zunächst nach seiner Seite aus, verfolgt von Loewenhardt. pd?
paßte nach der andern Seite auf, daß er uns dort nicht entwiche.
Bald sah der Engländer ein, daß da kein Entrinnen sei, und
versuchte es nun nach der rechten Seite — dort war ich.
Er hatte eine sehr schnelle Maschine und wollte im Bogen
um mich herum nach seiner Front entkommen. Ich hatte den inneren
und kürzeren Bogen. Seine Maschine dagegen war in dieser
geringen Höhe schneller als die meinige. Ich hatte eine Maschine,
deren Motor in geringer Höhe nichts besonderes leistete. Dagegen
in größeren Höhen, durch Zugabe von erneutem Gas — eine da-
mals noch neue Erfindung am Vergaser — erheblich mehr leistete.
Es war ein richtiges Wettrennen, Ich hatte den kürzeren weg,
er die bessere Maschine.
Trotzdem ich Höhengas einstellte, war der Aerl mindestens
ebenso schnell. Um immer größere Geschwindigkeit aus den Ma-
schinen herauszuholen kamen wir stetig tiefer. So, jetzt war ich
durch das Abschneiden an ihn heran. In Baumhöhe jagten wir
der Front zu.
In dieser Höhe schießt es sich sehr schlecht, da man zuviel mit
der Maschine beschäftigt ist und auf jeden höheren Baum und die
Propellerböen seines Vordermannes zu sehr aufpassen muß. Die
propellerböe ist dabei das Unangenehmere, da sie nnmer ganz
unerwartet kommt. Jeder Propeller hinterläßt in der Luft einen
Wirbel. Ich bin selbst einmal, durch so einen Wirbel, man nennt es
bei uns Propellerwind, einige, das heißt reichlich f00 m senkrecht
heruntergestürzt. Dasselbe habe ich bei Manfred gesehen. Natürlich
war es in größeren Höhen, wo das weiter nichts ausmachte, nur
eine sehr große Beanspruchung der Maschine. Anders aber ist es,
wenn man höchstens in unter sich hat; man kann dann nur durch
rechtzeitiges Bemerken und richtiges Parieren der Böe vielleicht
die Maschine vor dem sonst sicheren Zerschmettern retten. Es ist
auf alle Fälle sehr ungemütlich, da man sich auch zu genauem Zielen
scharf konzentrieren muß.
In etwa KO in Höhe sause ich also hinter dem Engländer her.
Immer kann ich nur einzelne Schüsse abgeben, da ich zu sehr mit
anderem beschäftigt bin. Unten sehe ich die verschiedenartigsten
Waffen von Truppen, die erstaunt der wilden Jagd nachblicken.
Da jetzt habe ich ihn getroffen. Er schreitet zur Landung —
oder ist es bloß eine Finte? Schnell noch ein paar Schüsse darauf
gebrannt! Mit dieser wahnsinnigen Fahrt will er anscheinend lan-
den. Er saust wenigstens der Erde zu, ganz als ob er landen wolle,
und dann in den Boden. Splitter fliegen nach allen Seiten. Ich
muß wieder meine Maschine hochreißen, um nicht von den herum-
Das letzte Mal an der Front
287
stiebenden Stücken getroffen zu werden. Mit knapper Not komme
ich noch über den nächsten Baum weg, dann erst bemerke ich, daß
ich in eine tiefe Mulde geraten bin. Mühselig, mit kochendem, voll
lausendem Motor komme ich ohne die Baumspitzen zu berühren,
aus der Mulde heraus. Der Engländer war diesseits erledigt; am
Leben wird er nach diesem Aufprall kaum geblieben sein. Ich
konnte mich wenigstens nicht mehr um ihn kümmern, denn ich
mußte, um meinen Motor zu kühlen, höhere Schichten aufsuchen.
Ich habe auch nie erfahren, was aus Nr. 3^ geworden ist.
Es waren keine Meldungen in diesen Tagen von vorn zu bekommen,
die Telephonleitungen waren sämtlich zerschossen, außerdem war
alles ziemlich kopflos, denn es ging zurück, und das war die
deutsche Truppe nicht gewöhnt.
Nach dem Abschuß hatte ich für diesen Flug genug, winkte
Loewenhardt zu, er war auch mit einverstanden, wir flogen nach
Haus, das heißt auf den neuen Flugplatz, der uns zum Benzinauf-
füllen und j>atronen--Gurten zugewiesen war.
Ich war sehr froh über diesen Flug, passe auf nichts auf,
lande zunächst mit Rückenwind, dann auf einem jteuctn j)latz, es
ging ausgerechnet noch in dieser Richtung bergab, kurz uud gut
Entschuldigungen gibt es immer und gibt es noch viel mehr — ich
lande mit zuviel Fahrt, komme mit dem j>latz nicht ganz aus, rolle
noch mit einer Tragfläche gegen ein Zelt, das für meine Maschine
bereit stand, mein schöner, roter Vogel nimmt das übel, und die
Tragfläche geht entzwei. Meine Freude war zunächst etwas getrübt,
als ich nun so neben meiner treuen Maschine stand. Es war zu
dumm und ärgerlich, bei diesem Hochbetrieb. Aber man muß nicht
undankbar sein, tröstete ich mich.
wir wurden mit großem Hallo von unsern vorangeschickten
Monteuren und der dortigen Jagdstaffel empfangen. Denn sie hatten
uns ankommen sehen und mein erster Abschuß war von allen be-
obachtet worden, wir beschlossen sofort die Maschinen wieder
in Ordnung bringen zu lassen, um gleich starten zu können, während-
dessen tranken wir dort eine Tasse Tee. Die dortige Jagdstaffel 37
unter einem sehr liebenswürdigen Leutnant Meyer hatte den Tag
ganz unerwartet auch so einiges erlebt. Man war aber recht guter
Stimmung. wie sollte man auch nicht, denn jedem Jagdflieger
mußte ja das Herz im Leibe hüpfen, wenn so viele abschußreife Eng-
länder in der Luft herumschwirren.
während wir noch beim Tee sitzen, hören wir plötzlich das jedem
bekannte Geräusch, wenn Fliegerbomben herunterfallen. Dicht neben
uns, in die Nähe unserer Maschinen, fliegen einige Bomben, von
den Engländern ist nichts zu sehend, sie haben ihre Bomben durch
die Wolken fallen lassen. Es hält uns nicht länger, wir eilen auf
den Flugplatz, noch sind unsere Maschinen nicht alle fertig.
Einige davon weisen Löcher auf; da sind Bombensplitter durchs
288
v. Richthofen
gegangen, wir sind reichlich empört über diese Frechheit der Lords,
wessen Maschine fertig ist, der setzt sich rein. Ich muß mir eine
borgen. Zuerst habe ich Pech, erwische eine, da leckt der Benzin-
tank gerade im Augenblick des Startens. Schnell auf eine andere
und los. Zum ersten Akt komme ich infolgedessen zu spät. Beim
Start sehe ich noch einen brennenden Engländer zur Erde stürzen,
Ungefähr an der Front erreiche ich die übrigen. Keiner erkennt
mich; ich fliege ja die Maschine eines andern. Ich fliege denn als
Leutnant Just mit. Der Flugbetrieb hat schon gegen den vormittag
sehr abgenommen, vielleicht machen die Engländer auch bloß
Vesperpause.
Mit meiner Maschine bin ich übel reingefallen. Zunächst sitze
ich viel zu eng darin, alle Steuerhebel sind unbequem erreichbar^.
Die Verwindung kann ich nicht ganz ausschlagenj, da kein Platz in
der Maschine, kann infolgedessen auch keine ordentlichen Kurven
machen. Mit einem geschickten feindlichen Jagdflieger darf ich mich
nicht einlassen.
wir sind etwa fünf, da werden wir plötzlich aus der Sonne
von zehn feindlichen Einsitzern angegriffen. Sie fliegen sehr ge-
schickt zusammen. Ich mache eine große Kurve und bekomme gerade
den Letzten zu fassen. Der Kerl macht einen senkrechten Sturzflug,
ich hinterher. In dieser Lage treffe ich ihn wohl tödlich, denn er
behält bis in den Boden dte gleiche Flugrichtung bei.
Nunmehr ist es auch Zeit nach Hause zu fliegen, 60 km bis zur
Pusieux-Ferme. wir zählen die Abschüsse des Geschwaders zusammen,
und siehe es sind vierzehn.
Dafür bekamen wir denn auch eine Belobigung vom Kron-
prinzen für unser tatkräftiges Eingreifen.
Den nächsten Tag schossen Loewenhardt und ich wieder je zwei
Engländer ab. Mit Loewenhardt flog es sich zu schön, beinahe wie
mit Manfred, wenigstens am ersten damit zu vergleichen, wir hatten
uns in kurzer Zeit sehr gut aufeinander eingestellt und konnten uns
glänzend in der Luft verständigen. Ich war selig, seit Manfred
wieder jemanden gefunden zu haben, auf den man sich verlassen
konnte. Loewenhardt äußerte sich ähnlich über mich.
Meine Doppelsitzer brannten beide. In einem schoß ich beide
Insassen tot. Das Flugzeug hatte aber wieder die berühmten
Gummizüge und stürzte nicht ab. Diese Gummizüge waren bei den
Engländern eine Einrichtung, wodurch die Steuerhebel sich selb-
ständig in ihre Normallage richteten, sobald die Steuer in der Lust
losgelassen wurden oder wenn, wie hier, der Führer totgeschossen
wurde. Dadurch stürzte das Flugzeug nicht ab, sondern konnte sich
noch länger in der Luft halten. Nur der Brandmunition hatte ich
es zu verdanken, daß mir dieser Abschuß anerkannt wurde, denn er
fing schließlich an zu brennen. Sonst wäre die steuerlose Maschine
noch viele Kilometer vom winde weitergetrieben worden.
Vas letzte Mal an der Front
289
Am nächsten Tage fiel Loewenhardt. In dieser Gegend war
Manfreds letzter Flugplatz gewesen und ich hatte hier als Beobachter
oft meine Bomben auf feindliche Truppenlager geworfen. Loewen-
Hardt hatte sich nun den Tag vorher den Fuß verstaucht. Tags
darauf, an seinem Todestag, hatte er nun ein ganz dickes Bein.
Ich sagte ihm noch, er solle auf den wohl verdienten Urlaub fahren,
denn es war wirklich ein Unsinn, er konnte kaum stehen. Erfolg-
los. Der Flugbetrieb hatte gegen die ersten Tage schon nachgelassen,
wir starteten gegen U Uhr. Den Tag hatten wir auch alle Anfänger
mitgenommen, für die es in den ersten Tagen zu gefährlich war.
Loewenhardt führte, wir waren gegen zwölf Flugzeuge, Staffel HO
und zusammen. wie wir etwa 3—^000 m hoch an der Front waren,
sahen wir mehrere feindliche Geschwader, durchschnittlich zwanzig
Flugzeuge, sich der Front nähern.
Eins nach dem anderen überschritten sie unsere Front. Mit
allem war ich sehr einverstanden. Sie mußten ja sämtlich wieder
an uns vorbei, sobald sie nach Lsause wollten. Ein Geschwader kam
uns besonders günstig. Da hätten wir mit unsern zwölf Maschinen
ordentlich drin aufräumen können. Da kam ein einzelner Engländer
wenige '00 in unter uns durch. Loewenhardt wollte ihn wohl
schnell noch mitnehmen: die übrigen Lords hatten ja noch Zeit. Er
stellte seine Maschine rasch auf den Kopf und griff den einzelnen
Einsitzer an. Die ganze Ansängerhorde stürzte hinter Loewenhardt
her, als ob sie alle den einen Engländer abschießen wollten. Laut
schimpfend blieb ich als einziger oben. Allein die feindlichen Ge-
schwader anzugreifen, wäre Wahnsinn gewesen. Also ging ich in
langsamem Gleitflugs hinterher und besah mir das Treiben da
unten. Das Bild war folgendes: Dicht hinter dem Engländer saß
Loewenhardt in seiner knallgelben Maschine. Ich sah sofort, daß da
jeder andere überflüssig. Fünf oder vier sahen dies aber nicht, son-
dern flogen dicht hinter Loewenhardt, um sich anscheinend init an dem
Kampf zu beteiligen, wie oft konnte man da sagen, daß Einer bloß
einen abschießen kann. Nur für den Fall, daß der betreffende Lade-
hemmung hat und abbiegt, soll eingegriffen werden, plötzlich sehe
ich also, wie der Engländer, eine Rauchfahne hinter sich herziehend,
senkrecht abstürzt. Gleichzeitig fast, was ist das! hinter dem abge-
schossenen Engländer fliegt nicht mehr Loewenhardt, sondern ein
wildes Durcheinander von Tausenden von Splittern. Ich mache
sofort einen senkrechten Sturzflug, um zu sehen, was da eigentlich
los ist. Loewenhardt ist gerammt!, wird mir sofort klar. In die Nähe
gekommen, sehe ich, wie aus dem Kuddel-Muddel von Splittern
ein Fallschirm herausfällt und sich entwickelt. Ich hoffte zuerst es
sei Loewenhardt, bei näherer Betrachtung aber hatte der Betreffende
Pelzhandschuhe an, es war also nicht Loewenhardt, denn er hatte
keine solchen bei diesem Flug mitgenommen. Ich beobachte dann noch,
wo der Fallschirm landet und wo die gelbe Maschine hinfällt. Den
S. Vickhiltd-Harrach, Im Fklde «nbeflegt. tO
290
v. Richthofen
nicht abgesprungenen Loewenhardt, dessen Fallschirm sich rächt ent-
wickelt hatte, sehe ich nicht, da ich noch zu weit entfernt bin.
Dann fliegen wir nach Hause, alle sind sehr niedergedrückt.
Mit dem Automobil wird gleich nach vorn gefahren, um näheres
festzustellen. Sie bringen unverletzt den Herrn wieder, der mit
Loewenhardt zusammenstieß, von diesem selbst ist außer der Maschine
nichts zu finden. Erst acht Tage später wurde die Leiche von unserer
Infanterie geborgen.
Den Nachmittag und den nächsten Tag mußte ich einen rück-
wärtigen Flughafen aufsuchen; die Engländer rückten Schritt für
Schritt weiter vor. Dann flog ich mit Udet. Einmal greifen wir ein
größeres, englisches Doppelsitzgeschwader an. Nur er und ich sind
die Angreifer. Ich schieße denn auf größere Entfernung, wohl die
größte, auf die ich je geschossen habe, auf etwa 200 in, da ich auch
keine Lust habe, mich als einziger in das feindliche Geschwader
hinein zu begeben. Ich ziele genau, und gebe mir größte Mühe.
Zwanzig bis vierzig Maschinengewehre erwidern mein Feuer. Nach-
dem ich so fast meine ganzen Patronen verschossen habe, merke ich
plötzlich, daß mein Gegner eine andere Richtung einschlägt. Dabei
fängt er an zu rauchen. Ich mache zunächst Schluß mit Schießen,
um ihm auf nähere Entfernung den Rest zu geben. Das Flugzeug
macht eine große Kurve, platzt dann plötzlich auseinander und fängt
an zu brennen. Der Rumpf trennt sich von den Tragflächen und
stürzt wie ein Meteor zur Erde. Die Tragflächen bersten auseinander,
schwanken langsam der Erde zu.
Am nächsten Tage beziehen wir den zweiten rückwärtigen Flug-
hafen. Ls ist ein altes englisches Truppenlager, lauter Wellblech-
baracken nebeneinander aufgereiht in einer Mulde. Alle vier Staf-
feln des Geschwaders haben darin Platz. Die Engländer waren
gezwungen, sie zu bauen, als wir die Siegfriedstellung bezogen,
und auf einem Landstrich von manchmal 50 km Tiefe und einigen
s00 km Breite nicht einen Stein auf dem andern ließen. In dieser
Gegend war ich auf unserm ersten Vormarsch als Dragoner, dann
als Beobachter während der Sommeschlacht gewesen. Es waren
die schönsten Landstriche, die ich von Frankreich kennen lernte.
Selbigen Tages flog ich noch mit Just, Monicke und Vetter
Ulf (Richthofen) los. An der Front in 4(000—5000 m angekommen,
sehen wir, daß es in allen Richtungen von Engländern wimmelt.
Nur waren sie alle noch viel höher, plötzlich wurden wir von sieben
bis acht Sophis Kameles angegriffen. Linen, der besonders frech
einen meiner Begleiter angriff, bekam ich zu fassen. Nach kaum
zwanzig Schuß fing er an zu brennen und verschwand, bis auf die
Erde brennend, in der Tiefe; ebenso bekamen Just und mein Vetter
jeder einen zur Strecke. Ich sah das noch, als ich von hinten von
einem Kamel angegriffen wurde. Kurz kehrt. Nun entwickelte sich
ein längerer Kampf. Ich hatte es mit keinem Anfänger zu tun, das
Das letzte Mal an. der Front
291
merkte ich sofort. Außerdem war es ein sogenannter Wimpelmann,
d. h. er trug an beiden Tragflächen links und rechts je einen langen
Wimpel, meistens in Nationalfarben. Das betreffende Flugzeug
war immer das Führerflugzeug. Der Kerl flog außerordentlich
geschickt, so daß ich kaum einmal richtig zum Schuß kam. Sobald
ich hinter ihm saß und losschießen wollte, machte er kurz kehrt und
schoß seinerseits auf mich. Durch diesen Kurvenkampf kamen wir
immer tiefer. Dadurch war ich im Vorteil, weil wir ein ganzes Stück
diesseits waren. Nur noch 500 in hoch, versuchte er seinen letzten
Trick: mir zu entwischen. Er machte einen Sturzflug und tat als ob
er landen wolle. In so einem Falle, der gleich der Übergabe anzu-
sehen ist, pflegt man sonst seinen Gegner in Ruhe zu lassen. Ich
aber kannte meinen Pappenheimer nur zu gut, denn mir war auf
dieselbe Weise schon mal einer entronnen. Ich blieb also immer
dicht auf; und richtig, in sO m Höhe versucht er noch einmal zu ent-
kommen. Die Jagd geht also weiter, viele Patronen hatte ich nicht
mehr, also sparen. Ich gebe immer nur einzelne Schüsse ab mit dem
einen Maschinengewehr, was nur noch schießt. Dabei schieße ich
ihm, wie er mir später erzählt, dicht am Ghr vorbei, das visier
seines rechten Maschinengewehrs kaput. Darauf landet er denn.
Line Landung inmitten von Löchern und Schützengräben, wie ich
sie nicht wieder gesehen habe. Er hat auch viel Glück dabei gehabt.
5 m hinter einem alten Schützengraben steht die Maschine. Wie
er mir später erzählte, hätte er dem freiwilligen Tode die Gefangen-
schaft vorgezogen.
Ich fliege dann gleich nach Hause, setze mich dort ins Auto, um
an die Abschußstelle zu fahren. Nach einigem Suchen finde ich ihn
und nehme ihn aus unsern Flugplatz mit. Dort saß er drei Stunden,
nachdem er sich von seinen Kameraden in England getrennt hatte,
bei einer gemütlichen Tasse Tee. Er blieb bis zum nächsten Morgen
bei uns; Kapitän Summers, 27 Jahre alt. Er war drüben Ge-
schwaderführer gewesen, hatte auch schon manchen abgeschossen,
wieviel verriet er uns nicht. Kurz vor dem Abendessen erlebte er noch
seine Maschine, die mittlerweile herangeholt worden war. Er mußte
immer in seinen Pelzstiefeln herumlaufen, denn darunter trugen die
Engländer nie Schuhe, was in so einem Falle sehr unpraktisch war.
Wer weiß, wie lange er gebraucht haben wird, um in dem lederlosen
Deutschland wieder zu Schuhen zu kommen. Seine Maschine war
ganz neu, den Motor kannten wir noch nicht. Er wurde dann bei
uns geflogen, um gleich in die Heimat geschickt zu werden. So
konnte die neueste Errungenschaft drüben gleich für uns verwertet
werden. Die Maschine wies einige Treffer auf, aber keine gefähr-
lichen. Abends unterhielten wir uns mit dem Lord bei einem Glase
Wein. Sehr belustigte uns damals die Antwort auf die Frage, wie
lange der Krieg noch dauern würde? — „Nun, bis wir ihn gewonnen
haben!" — Abends sollte er eigentlich mit Lastauto nach St. Qumtrn
19*
292
v. Richthofen
geschafft werden. Da tat er mir leid, denn er hätte dann sicher die
Nacht im Freien verbringen müssen. Ich schlug ihm vor, mir sein
Ehrenwort zu geben, daß er des Nachts keinen Fluchtversuch machen
würde. Das tat er denn mit dem Bemerken: bis morgen früh um
9 Uhr. von da ab wollte er jede Gelegenheit zur Flucht benutzen.
Ich schenkte ihm zum Andenken an diesen Tag noch eine Photographie
von mir.
In der Wellblechbaracke brachte ich nur noch eine Nacht zu.
Morgens beim Aufwachen wurde mir noch klar: heute ist ja der
\3., dein pechtag, an dem du schon zweimal verwundet worden bist.
Abergläubisch darf man nicht sein. Ich wollte nun gerade fliegen,
mir die letzten Bedenken wegen des f3. zu vertreiben. Einen anderen
Tag wäre ich vielleicht gar nicht gestartet, denn ich hatte drei verschie-
dene, dringende Autofahrten zu erledigen. Aber nein, heute muß
der Bann mit dem f3. gebrochen werden. Den Tag flog Just leider
nicht mit, weil seine Maschine einen Schaden hatte. Line Menge
Engländer an der Front. Ich greife einen Doppelsitzer an; sehe in
meinem Feuer den Beobachter zusammenbrechen, in den nächsten
Sekunden muß das Flugzeug fallen. Der Führer scheint auch schon
verwundet; da sehe ich mich nach meiner Staffel um, statt dessen
verfolgen mich sechs Lords. Schnell lasse ich notgedrungen von
meinem Gpfer ab, um nun meinerseits auszureißen. Dies gelingt
auch ganz gut. Sie lassen denn auch alle von mir ab, nur einer folgt
auf mehrere sOO in Zwischenraum. Ich lasse mich zunächst verfolgen,
um ihn von den anderen zu trennen und dann mit ihm allein zu tun
zu haben. Aus etwa 600 in schießt der Kerl auf mich. Ich fliege
ruhig weiter, denn auf die Entfernung kann man ja nicht treffen,
plötzlich ein wahnsinniger Schmerz in meinem rechten Bein. Ich
hatte meinen Schuß weg. Der einzige Treffer in der ganzen Ma-
schine. Ich hatte zunächst solche Schmerzen, daß ich unfähig war,
mein Steuer zu bedienen. Mein rechtes Bein war aus dem Steuer
rausgefallen, ich konnte es nicht bewegen und hielt es mit beiden
pänden fest. Nachdem ich einige fOOO m so abgestürzt war, kam die
Erde in bedenkliche Nähe. Ich sah nach dem Höhenmesser: nur
noch 500 m hoch. Also war es Zeit, meine Maschine wieder in die
Hand zu bekommen. Dem Fallschirm traute ich nicht. Auch hatte
ich nicht mehr die Kräfte hinauszuspringen. Linen Augenblick schien
es, als verließen mich die Kräfte und Sinne. Da nahm ich mein
rechtes Bein in beide Hände und stellte es in das Seitensteuer. Nun
konnte ich meine Maschine wieder aufrichten und gradaus fliegen.
Ich landete, wo ich zufällig war. Erwischte einen Fleck im Trichter-
gelände der alten Sommeschlacht, wo die Landung möglich war.
Durch den Blutverlust war ich so geschwächt, daß ich mich keine
Minute länger mehr hätte in der Luft halten können.
Tags zuvor war ein Herr meiner Staffel durch Blutverlust mit
einer ganz leichten Verwundung tödlich abgestürzt.
Ein Ksrl.
Non Malter DIoem, im Felds Hauptmann d. A. und Bataillons-Kommandeur
im Grenadierregiment Nr.
L^erren und Ketrls... Ich habe gelesen, die deutsche Armee habe
aus Herren und Kerls bestanden; zwischen beiden habe eine
Kluft geklafft, in der schließlich der Sieg und Deutschlands Zu-
kunft versunken sei.
Wer hat das behauptet? Männer, die dabei gewesen sind?
Schwerlich.
Nein — die Herren und die Kerls haben sich ganz ausgezeichnet
vertragen — solange es Herren und Kerls vom alten Schlage gewesen
sind. Erst als die abgeschossen waren, und die grausige Not unseres
Vaterlandes uns zwang, die zusammengeschmolzenen Kompagnien
und Batterien mit deutschsprechenden Menschen männlichen Ge-
schlechtes aufzufüllen, die nie so recht gewußt haben, was ein
Herr, noch was ein Kerl ist — da ist der zur Attrappe gewordene
Riesenbau des deutschen Heeres zusammengebrochen.
Ich will von einem von den Millionen Kerls erzählen — von
einem, der ein wirklicher Kerl war. Seine Geschichte ist nicht roman-
tisch und heroisch, aber sie ist wahr.
Willy hieß dieser Kerl, Willy Elberling. Er war in Breslau
geboren, hatte in Berlin das Schlächterhandwerk erlernt und bei den
zwölften Grenadieren in Frankfurt an der Dder feine Ausbildung
zum „Kerl" erhalten — das heißt zu einem Soldaten, zu einem
deutschen, zu einem preußischen Soldaten — zu einem von jenen
Millionen Kerls, die unter Führung der „Herren" vier Jahre lang
dem Ansturm des Erdballs die Spitze geboten haben.
Als ich am zweiten Mobiimachungstage die Ehre hatte, die
Führung der zweiten Kompagnie der Zwölfer zu übernehmen, da
wurde der Reservist Willy Llberling, den ich nie gesehen hatte, mir
vom Feldwebel als geeignet für den Posten eines Kompagnieschlächters
vorgestellt. Es war ein stämmiger, untersetzter Bursch mit mäch-
tigen Schultern und einem Auge, dessen grenzenlose schlesische Gut-
mütigkeit durch einen Schuß weltstädtischer Pfiffigkeit einen höchst
angenehmen Beigeschmack bekommen hatte.
In den stolzen Wochen des Siegessturmes der Armee Kluck ist
er bei Tag und Nacht für das leibliche Wohl der zweiten Kompagnie
294
Bloem
bemüht gewesen. Gedenk' ich des Bildes, das er mir in jenen Wochen
bot, dann steht vor mir eine Gestalt in einen: von vieler „Blutarbeit"
nachgerade fleckig, speckig und dreckig gewordenen Feldwams, die
Ärmel aufgekrempelt, die sehnenstarken Arme bis über die Lllen-
bogen in die Farbe seines Handwerks getaucht und bis zum halben
Unterarm in Schweinsgekröse versenkt — schwitzenden Angesichts,
oft todmüde von unermüdlichem Schaffen, aber immer vergnügt,
immer rastlos tätig, uns zu versorgen... <£v war auch unter jener
kleinen Schar der Getreuen, die mich in das Bauernwägelchen
hoben, das den ersten Feldhauptmann der Königlichen Zweiten,
am Tage des Lrstarrens der Front, aus dem Feldlazarett im Hinter-
lande der Aisne zum Verwundetenzuge führte, in dem er heimwärts
rollen sollte — zum ersten von vielen Malen.
Dann habe ich diesen Willy erst wiedergesehen, als ich, von
einer leichten, am Njemen erwischten Verwundung und einer schweren
kserzerkrankung genesen, im Sommer (9K> beim Ersatzbataillon
meiner Grenadiere mich kriegsverwendungsfähig gemeldet hatte
und auf das Freiwerden einer Bataillonskommandeurstelle wartete.
Ich hatte durch den Adjutanten bei den Genesungskompagnien an-
fragen lassen, ob einer von meiner alten Kompagnie darunter sei,
der Lust habe, als mein Bursche wieder mit auszurücken. (Mein
Bursche vom Vormarsch war längst gefallen.)
Es klopfte eine schwere Faust an meine Lsotelzimmertür im
„Prinzen von Preußen" — und auf Mein Herein stand im Nahmen
— die wohlbekannte Gestalt meines weiland Kompagnieschlächters!
„Grenadier Llberling meldet sich als Bursche zum Herrn Haupt-
mann kommandiert!"
Die Freude des Wiedersehens kann nur ermessen, wer selber
ein „Herr" gewesen ist und solche „Kerls" unter sich gehabt hat,
wie diese zwölften Grenadiere. . .
Die stämmige Gestalt war etwas klapprig geworden, das
vierkantige Gesicht etwas schmal. Einen schweren Typhus über-
standen — jetzt aber wieder tadellos in Knochen —!
was ich damals nicht gewußt und erst zwei Jahre später durch
einen Zufall erfahren habe, ist dies: daß Willy überhaupt nicht
kriegs--, sondern nur garnisonverwendungsfähig war. Er hatte
' sich freiwillig gemeldet aus Heimweh nach feinen Kameraden und
aus Anhänglichkeit an den „sperrn" Hauptmann und war nur auf
fein dringendes Bitten überhaupt hinausgelassen worden. Und das,
obwohl der jüngste Rekrut im Ersatzbataillon wußte, daß unser
Regiment da draußen bei einem nahe bevorstehenden gewaltigen
Angriff in vorderster Linie stehen würde...
Und auch das habe ich erst viel später erfahren, daß dieser
Willy vor seinem Typhus, während des Stellungskampfes an der
Aisne, eine Sache gemacht hatte, die ihm auch der Zehnte rächt
nachmacht: Eine große Wagenkolonne war von der Front ins
Lin Kerl
295
Hintergelände gesandt worden, um Vieh beizutreiben. Rückkeh-
rend wird diese Kolonne in einem Hohlweg von schwerem Artillerie-
feuer überschüttet, zwei Pferde eines vor dem Karren der 2 hin-
trottenden Wagens werden von Granatsplittern getötet, versperren
den Hohlweg, nageln die rückwärtigen Gespanne an den Ort der
gräßlichen Gefahr fest. Willy springt vom wagen, packt — damals
noch im Vollbesitze seiner Lnakskräfte — die sterbenden Rösser und
bringt es fertig, sie die Böschung des Hohlweges hinanzustemmen
— alles inmitten der niederkrachenden französischen Granaten. Der
Weg ist frei, die Kolonne trabt an und kann ohne weitere Verluste
den Schreckenspaß hinter sich lassen.
Line Belohnung hatte der Bescheidene nicht bekommen. Ich
habe ihn noch nachträglich für diese Sache zum Kreuz eingegeben
— das er sich auch später noch mehrfach verdient hat.
Also Willy und ich zogen zusammen gen Westen. — Ls ist eine
kleine Odyssee geworden, bis wir im waldlager bei Mangiennes
vor Verdun an einem im Schneeschlamm schier versinkenden Februar-
morgen unser geliebtes Regiment wieder erreichten.
welch ein wiedersehen zwischen den zweiunddreißig noch Übrig-
gebliebenen von den Zweihundertfünfzig des Ausmarsches und ihrem
ersten Kompagnieführer! Nun, das alles werde ich vielleicht an
anderer Stelle noch einmal erzählen . . . bleiben wir bei Willy.
Lr war also nun mein Bursche. Line Mutter, eine Gattin
hätte den Lrstling, den Geliebten nicht zärtlicher umsorgen können,
als Willys derbe Schlächterfäuste seinen „fjerrn". Lr wusch meine
Wäsche in den Lehmpfützen um unser waldquartier, er stopfte ganze
Wagenladungen prächtigsten Eichenholzes in das glühende Lisen-
öfchen im Schlafzimmer meiner aus dünnen Tannenbrettern roh
zusammengehauenen „Stabsbaracke" — er knöpfte mir abends den
Schlafsack um die grauberockten, lederbehosten Knochen, als fei ich
ein Püppchen, das in Watte gewickelt werden muß...
Als wir am Morgen des zweiundzwanzigsten Februar zum
Sturm wider Verdun ausrückten, war er tief geknickt: ich hatte be-
fohlen, daß er zurückbleiben müsse und erst auf die Nachricht, daß
mein Bataillon „eingesetzt" sein würde, mit Verpflegung nachkommen
dürfte. Ls kamen die fürchterlichen Tage des Angriffs... Das
Bataillon stürmte am 23. Februar den Fosseswald und die Tham-
brettes-Ferme, am folgenden Tage zwei „Vorstellungen" vor dem
Fort Douaumont, geriet beim Ansturm auf das Fort selbst in das
Flankenfeuer des Thauffourwaldes und des feuerspeienden Dorfes
Douaumont, verlor in diesen zwei Tagen fünfhundert von acht-
hundertfünfzig Mann und mußte sich mit dem Rest am Abend,
vierhundert Meter vor den Maschinengewehrstellungen des Dorf-
randes, in den fußtief beschneiten, hartgefrorenen Boden eingraben.
Am folgenden Morgen erkannte uns die französische Artillerie und
hatte in wenigen Minuten das Bataillon bis auf hundertzehn Mann
296
Bloem
zusammengeschossen. Die zog ich, nachdem ich zehn Mimiten lang in-
mitten eines Platzregens von Granaten auf den Tod gewartet, nach
rechts vorwärts hinter die ansteigende Höhe des Thauffour-Waldes
und wurde hier am Nachmittage vom herrlich anstürmenden ersten
Bataillon des Schwesterregiments 52 abgelöst.
Das alles hatte ich erlebt — ohne Willy. Von Willy keine
Spur. Nur einmal, als wir gerade von prasselnden Maschinen-
gewehrgarben an den schneebedeckten Boden geleimt die Stunde
unserer Geburt verfluchten, kam durch das Geprassel von hinten
eine Gestalt gesprungen, warf sich neben mir zu Boden und drückte
mir eine Feldflasche kalten Kaffees in die Hand. Ls war ein mir
unbekannter Grenadier, dessen Namen ich mir sagen ließ, aber leider
im Wirbel der Ereignisse vergessen habe. Er erklärte, Elberling
sei unterwegs, um mich aufzusuchen, und habe ihn beauftragt, auf
getrenntem Wege ebenfalls nach mir auszuspähen, um mich inmitten
des Grausens der zwanzig Kilometer tief wütenden Schlacht auszu-
spähen und mir, sollte er mich erreichen, wenigstens zu trinken zu
bringen. Der Kaffee war von dicken Eisklumpen durchsetzt, aber er
war Himmelsmanna, denn ich hatte seit zwei Tagen weder einen
Tropfen zu trinken noch einen Bissen zu essen bekommen.
Nun waren wir also abgelöst und wankten, unsere Verwun-
deten ohne Ausnahme mit uns schleppend, durch Nacht und Granaten-
gebelfer zum Fosseswalde zurück, wo wir nach dem Befehl des Re-
giments „Reservestellung beziehen" sollten — wir armselig rn, ver-
schmachteten, zu Tode erschöpften Hundertzehn. Im Fosseswalde,
den wir zwei Tage früher in herrlichem Ansturm genommen — und
der heute nur noch ein unbeschreiblicher Wust von umgestürzten Bäu-
men, zersplitterten Ästen, Leichen, Leichenfetzen, haustiefen Zweiund-
vierziger-Trichtern war. In einem solchen Trichter schlug ich mein
Stabsquartier auf — und da war auf einmal — Willy.
In meiner Nervosität schnauzte ich ihn fürchterlich an — er
habe mich schmählich im Stiche gelassen. Da es stockfinster war,
konnte ich sein Gesicht nicht sehen... plötzlich hörte ich ihn bitter-
lich schluchzen, und als eine in der Nähe einschlagende Granate sein
Gesicht für einen Augenblick erhellte, sah ich die blanken Tränen
über sein hageres Gesicht laufen. Ich erkannte sofort mein Unrecht. .
und andere Burschen bestätigten ihm, daß er mich die ganzen drei
Tage und zwei Nächte, hilflos und verzweifelt auf dem Schlachtfeld
umherirrend, gesucht, gesucht, gesucht habe, fast ohne sich Rast und
Schlaf zu gönnen... Nun, ich habe ihn getröstet.
Aber der arme Junge hat am selben Abend noch einen zweiten
Anpfiff besehen.
Lin Granattrichter voll Schneewasser, mit einem toten Fran-
zosen darin, bedarf immerhin einer gewissen Zurichtung, bevor er
als Bataillonsstabsquartier mit Telephonzentrale und Schreibstube
verwendbar ist. Ls gelang mir, einige in der Nähe zwischen Baum-
Lin Kerl
297
und Menschentrümmern kampierende Pioniere zur Mitarbeit zu ver-
anlassen, und ich gesellte ihnen noch zwei, von meinen Patrouillen
gefangen genommene Siamesen bei. Der Trichter bekam ein Dach
aus den herumliegenden entwurzelten und zersplitterten Stämmen.
Es wurde mit Astwerk durchflochten, und nach einer halben Stunde
konnten wir „einziehen". Da sich das alles bei keiner anderen Be-
leuchtung als derjenigen der funkelnden Sterne, der platzenden
Granaten und der vorn ohne Unterlaß aufsteigenden Signalraketen
abspielte, entdeckte ich erst zu spät, daß mit meinen Helfern, den
Pionieren, auch meine prächtige braunwollene Schlafdecke abgerückt
war. Und da bekam Willy seinen zweiten, diesmal allerdings ver-
dienten Anpfiff, weil er nicht besser aufgepaßt hatte, wiederum
setzte es Tränen — es lagen eben drei furchtbare Schlachttage und
-Nächte und der Verlust unzähliger lieber Kameraden hinter uns,
da werden auch harte Kriegsknechte nervös. Schluchzend stotterte der
Gescholtene: „Herr Hauptmann — ick — ick — wer' schonst
'ne andre besorjen." Alsbald war er verschwunden und kam nach
einer Viertelstunde mit einer famosen fast neuen Wolldecke zurück.
Die hat zwei Jahre lang bei mir Dienst getan, bis sie in der „Kaiser-
schlacht" abhanden gekommen ist. woher er sie hatte? Na, ich habe
nicht gefragt. Gr hatte sie eben „besorjt".
Ich muß mich nun ein wenig kürzer fassen. Nach drei grau-
sigen Wochen „in der Reservestellung" wurde ich am 1,0. März durch
einen Fernspruch, der mich in einem Unterstände des Hassoule-
waldes erreichte, vom Schlachtfelds weg in den Generalstab des
Feldheeres versetzt. Nun kamen \z/± Jahre voll härtester, aufreiben-
der Arbeit, aber immerhin war es doch eine Art Etappendasein, das
meine den Fünfzig sich bedenklich nähernden Knochen nicht ganz so
stramm mitnahm als die Schlachten. Willy hatte es nun so gut,
wie er es als „g.v.-Mann" verdiente. Er hat mich auf zahllosen
hochinteressanten Reisen begleitet — an der Westfront entlang, zur
Ostfront, nach Berlin... Als Reisemarschall ist er dringend zu
empfehlen. Ich brauchte mich um nichts als um meinen Dienst zu
kümmern.
Als Leiter einer nahezu selbständigen Unterformation des Ge-
ueralstabes hatte ich sieben Offiziere und ein größeres Personal von
Schreibern, Hilfsdienstdamen und Ordonnanzen unter mir. Als Bur-
sche des Thefs schwoll Willy ein bischen an. Mir blieb er blind-
lings treu. Ich wollte ihn zum Unteroffizier eingeben und hätte ihn
dann mit Aufsichtspflichten betraut. Aber dann hätte er aufhören
müssen, mein Bursche zu sein, und darum bat er mich flehentlich, ich
möchte ihn Gefreiten bleiben lassen. — Aber die übrigen Angehöri-
gen der Formation hatten gelegentlich unter Willys gehobenem
Selbstbewußtsein — als Inhabers einer Vertrauensstellung beim Thef
— zu leiden. Und eines Tages hat sich der Gute sogar soweit ver-
gessen, einem Unteroffizier von der Schreibstube, Studenten der
298
Bloem
Philosophie in höheren Semestern, derartig grob zu kommen, daß
ich die Sache im Interesse der Disziplin nicht gütlich schlichten,
sondern dem Rechte seinen Laus lassen und blutenden Herzens meinen
Willy zu — vierzehn Tagen Arrest eingeben mußte___________ Willy
war wie vor den Kopf geschlagen. Ich glaube, das vergißt er mir
sein Leben lang nicht___Und ich? Dem alten Brutus kann es nicht
anders zu Mute gewesen sein, als er seine Söhne hinrichten ließ ...
Immerhin: er hat mich's nicht entgelten lassen, wenn er auch
schwerlich ahnte, wie viel Herzblut mich seine Bestrafung gekostet
hatte — das eine hat er sicherlich begriffen, daß ich selber erheblich
mitbestraft wurde, weil ich mich zwei Wochen mit einer Aushilfe be-
gnügen mußte. Er hatte mich zu sehr verwöhnt.
Zu Neujahr meldete ich mich wieder in die Front, und
nach etlichem Bitten wurde mir ein dreimonatiges Kommando zu
meiner alten 5. Division bewilligt. Willy war damals gesundheitlich
in sehr schlechter Verfassung. Die Rückstände seines Typhus mach-
ten ihm immer noch hart zu schaffen. Tr gehörte von Rechts wegen
in ein tfeimatfanatorium. Außerdem hatte er sich gelegentlich eine«
Urlaubs in Berlin verlobt. Ich sagte ihm also:
„Kerlchen, ich gehe wieder raus. Du aber wirst diesmal nicht
mitgenommen. Du schaffst es nicht da draußen. Du gehst zurück in
die Garnison."
Willy antwortete: „Det jloobt Herr Hauxtmann ja woll selbst
nich."
Damit war der Fall erledigt, und wir stießen zusammen wieder
zu unserm Regiment. Ich wurde zum Kommandeur des zweiten
Bataillons ernannt.
Ls zuckt mir in den Fingern, all das Erschütternde und Unge-
heure zu erzählen, das wir zusammen bei der großen Frühjahrsoffen--
five erlebt haben. Aber ich darf ja, will ja hier nur von Willy
erzählen. Und es dürfen nur die Hauptsachen sein, sonst gibt's ein
Buch und keine „Geschichte".
wir waren in der Nacht vom 20. zum 2\. März als Division
des zweiten Treffens in die Aufmarschstellung eingerückt. Am fol-
genden Morgen brach das Unwetter los: die vor uns kämpfenden
Badener überrannten die erste und zweite englische Stellung westlich
St. Quentin. wir rückten nach, wurden aber schon am Morgen
des zweiten Kampftages zwischen der 28. und der 88. Division in
die vorderste Linie eingesetzt und mit dem Feinde handgemein.
Unser Schwesterregiment 52, in Verbindung mit unserm ersten Batail-
lon, stürmte den Holnon-Wald und die dritte englische Stellung-
In der Nacht vom 22. zum 23. März lagen wir unmittelbar vor der
vierten Englischen Linie, die wir am folgenden Morgen stürmen
sollten. Im Morgengrauen hat der Engländer seine letzte Linie ge-
räumt. wir rückten in toller Angriffsstimmung nach, um möglichst
zugleich mit den feindlichen Nachhuten die Somme zu überschreiten.
Lin Kerl
299
Aber das glückte nicht. Als wir am Hügelrande des Sommetales an--
kamen, waren die Brücken bereits gesprengt, und der Feind stand
drüben, entschlossen, uns den Übergang mit allen Kräften zu wehren.
Befehl an uns: den Übergang um jeden Preis zu erzwingen.
Um's kurz zu machen: wir haben ihn erzwungen. Am 2^. März
morgens halb fünf haben das erste und zweite Bataillon als erste
Bataillone der ganzen Armee Hutier den 25 Meter breiten Somme-
kanal überschritten, obwohl der Feind am jenseitigen Ufer in end-
loser Schützenlinie aufgebaut stand, alle zwanzig Schritt ein Maschi-
nengewehr. wie wir das fertig gebracht haben? Mir ist's noch
heute ein Rätsel. Aber — wir haben's geschafft. Freilich: es hat ge-
kostet. Sogar im Hindenburgbuch ist diese Waffentat kurz erwähnt.
Und Willy? Also hört zu.
Zunächst galt es für uns, vom hohen Hügelsaum, an dem das
Dorf villecourt sich hinzog, zum anderthalb Kilometer breiten Sumpf-
gelände des Sommetales hinunter zu gelangen — den kahlen Hang
hinab, während drüben der Engländer mit Maschinengewehren stand,
bereit, uns einzeln abzuschießen. Da half nichts — wir mußten
durch. Zn rasendem Lauf sprangen-wir den Steilhang hinab, und
was durchgekommen war, fand sich eine Viertelstunde später in dem
sumpfigen, dschungelartig verschlungenen Buschwerk des Talgrundes
zusammen. Hier nahm die englische Artillerie sich unser an und beschmiß
uns mit einem Schrapnellhagel, wie ich ihn in allen meinen Schlachten
doch noch nicht erlebt hatte. Zum Glück konnte der Feind uns nicht
mehr sehen, und so sausten die Schrapnells haarscharf über unsere tief
ins triefende Moor geduckten Leiber hinweg. Mein Sohn, mit seinen
damals neunzehn Zähren auch schon ein alter Kriegsmann mit dem
E.K. I., der als mein Ordonnanzoffizier dicht neben mir lag, sah
mich von der Seite an: „Vater — so tief hab' ich doch noch nicht in
der... Tinte gesessen..."
„wo ist Willy?" fragte ich. Willy war bis zu der Rutschpartie
hangabwärts an meiner Seite gewesen.
Walter der Zunge wußte auch nicht, wo Willy hingeraten war.
Aber ein Mann von der Siebenten, der halbrechts hinter mir lag
behauptete, er habe ihn beim Bergabspringen stürzen gesehen.
Stürzen? Nun — hoffentlich nur ein purzeln . . . oder eine
Verwundung — mehr . . . durfte es nicht sein. . . Bei Gott, es
wäre schade um ihn. . .
Die Schrapnells orgelten wie toll hart über uns hin. wir durf-
ten kaum die Köpfe heben, plötzlich kommt von hinten was ge-
sprungen, plumpst hart neben mir an die Erde — ich sehe einen
Stahlhelm, darunter eine scheußliche Maske, bestehend aus wild
ums Gesicht geknoteten Gazestreifen von Verbandpäckchen, alles
von Güssen Bluts durchsickert und verklebt . . . aus der Maske
tönen lallende Laute — ich rufe zwischen Zauchzen, Mitleid und
Lachreiz:
300
Bloem
„Willy — bist du's?!"
Da bricht hinter der Maske ein klägliches Schluchzen los,
stammelnde Wortbrocken dazwischen:
„Herr Hauptm . . . janze Nase . . . kaputjefallen . .
„wenn der Ropp man janz is!" tröste ich. „Also, mein Rerl-
chen, sowie der Englischmann das Schießen aufgibt, läßt du dich
zum Verbandplatz bringen, und in drei Tagen bist du daheim bei
Brauten. Also freu' dich doch, Junge!"
Schluchzen . . . ersticktes Gegurgel . . .
„— seht doch nicht . . . wat soll Herr Hauptmann . . . an-
fangen . . . ohne mir?!"
Ja, was würde ich anfangen?!
Einstweilen schleppte der verwundete noch immer meinen schwe-
ren Rucksack, meine Wolldecke, die er vor Verdun „besorjt" hatte. ,
wer würde sie mir nun nachtragen?!
Als die Engländer anfingen sich ein wenig zu beruhigen, traf
ich Anstalt zu weiterem Eindringen in das versumpfte, von zahl-
losen Wasser und Wässerchen durchzogene Somme-Dschungel. Meines
guten Willy konnte ich mich nun nicht länger annehmen. Einer
meiner Meldeläufer mußte mein Gepäck aufladen. Willy wurde
einem Leichtverwundeten anvertraut — aber es kostete ein Donner-
wetter, ihn zum Zurückgehen zu bewegen. Mir war erbärmlich
zu Mute — wenn man tausend Mann zu führen und für sie zu
sorgen hat, braucht man schon wen, der für einen selber sorgt, wer
würde das nun machen?
Und richtig: zwei Stunden später schlug eine Granate in den
Stab ein, tötete einen Fahnenjunker und verwundete dreizehn Mann.
Da hat der Meldeläufer meine schöne Wolldecke schmählich im Sttch
gelassen.
~}n der Nacht erzwangen wir den Sommeübergang — nach
unbeschreiblichen Leiden und Schrecknissen. Drüben bauten wir uns
als „Brückenkopf" auf, des Gegenstoßes der Engländer gewärttg.
Im Morgengrauen sah ich über die kaum anderthalb Fuß breite
Brücke, die meine Pioniere über den Aanal gestoßen, eine wohlbe-
kannte Gestalt heranhumxeln — es war Willy. Er hatte sich einen
ganz manierlichen verband um seine zerknautschte Nase legen lassen
— und war nicht heimatwärts, nicht zu Brauten gefahren. Er kam
in die Schlacht zurück — durch das wütende Sperrfeuer, das der
Engländer zwischen uns, die Stürmer, und unsere Reserven legte.
Er wollte bei seinem Hauptmann bleiben. Er ist bei ihm geblieben,
in den grausigen Stunden, da wir den wütenden Gegenstoß der Eng-
länder abwehrten, bis wir in der Frühe des spät erwachten März-
morgens zum Sturm antraten und die jenseitigen Höhen nahmen.
Droben galt's noch einen weiteren starken Gegenangriff der Eng-
länder zusammenzuschießen. Inzwischen waren die Brücken in unserm
Rücken hergestellt, Verstärkungen rückten in Hellen Haufen heran,
(Ein Kerl
301
wir traten, von feindlichen Fliegern aus der Höhe mit Bomben be-
schmissen, aus den Dickichten und Mauertrümmern von englischen
Nachzüglern beknallt, den weiteren Vormarsch an, und da — da hat
mich die vierte Feindeskugel erwischt und mir das linke Kniegelenk
durchbohrt und den Oberschenkel gespalten.
Willy und Walter der Junge haben mich mit Unterstützung
von ein paar Grenadieren auf eine Leiter gelegt und ins Feldlazarett
gebracht. Willy ist alsbald auf Grund seines Gesundheitszustandes
heimgeschickt worden.
Damit ist meine und Willys Kriegslausbahn zu Ende gewesen
— und damit endet auch meine Geschichte von einein unter Millionen
— einen, Kerl, der seinem Herrn treu gewesen ist durch hundertfache
Todesschrecken hindurch. Romantisch ist sie nicht, die Geschichte,
aber sie ist wahr. Und gottlob — sie erzählt ausnahmsweise von
einem, der übriggeblieben ist. Er übt in Breslau sein Handwerk aus,
das er wie wenige versteht. Und dann und wann werden wir einan-
der im Leben noch einmal begegnen und von den größten Erlebnissen
unseres armen Erdendaseins erzählen, als die guten Kameraden, die
wir einander in vier schweren Kriegsjahren gewesen sind.
Deutsche Treue, Treue zwischen Herr und Kerl... Diese Treue
war's, die uns stark gemacht hat, der Welt das Schauspiel eines Männer-,
eines Volkstrotzes zu geben, wie sie es nie zuvor erlebt hat und
schwerlich ein zweites Mal erleben wird. Millionen haben diese
Treue gehalten, und unter diesen Millionen begehrt kaum einer, ob
„Mann" oder „Herr", für sich einen stolzeren Ehrentitel, als daß
man von ihm einst sagen möge:
Er war ein Kerl.
Deutsche LAsienKampfev 191$.
Don Generalmajor a. D. Werner v. FranLsnberg und Projchlitz,
damals Gberst und Kommandeur der Brigade Pajcha ll (Asienklorps).
^V^ir genossen in vollen Zügen die Freude des Wiedersehens in
''VS' der fjeimat in den wundervollen Apriltagen des Jahres
020. Unter uns, rings um den Balkon meiner Wohnung, wiegte
sich im lauen Winde das frische, hellgrüne Blättermeer, nur hie
und da wie zur Zier unterbrochen von Wipfeln, die mit weißen und
rosa Spitzentüchern behängen schienen. Unhörbar wehte der Blüten-
schnee zur Erde. Lin tiefblauer Himmel, wie er nordischen Tagen
so selten geschenkt wird und wie er uns beide so sehr an den Grient
erinnerte, wölbte sich über diesem freundlichen Bilde des Friedens. —
<£r sah träumerisch in die Ferne. — Etwas blaß und schmal
war er noch, mein alter, guter Schulfreund und Kriegskamerad; nur
zwei feine schmale Linien zogen sich rot über die weiße Stirn und
Schläfe.
Ls war auch ein wenig viel gewesen, erst die Ruhr und
Malaria in der Fieberebene der Palästinaküste, dann das Geschoß
des langen Inders vom pundjab, das von dem wirren Geröll
hoch über Jericho abgeirrt haarscharf die Schläfe gestreift hatte,
schließlich der Säbelhieb des australischen Reiters auf dem er-
mattenden Rückzüge zum Jordan, im weg- und wasserlosen Ge-
birge, unter erbarmungsloser, tropischer Sonnenglut und zu guter
Letzt die lange Gefangenschaft in Ägypten mit ihren seelischen Gualen
und den Rückfällen des tropischen Fiebers.
Jahrelang hatten wir an allen europäischen Fronten Seite an
Seite gefochten. Dann kam der Tag, an dem Freiwillige für das
deutsche Asienkorps aufgerufen wurden.
Wir meldeten uns beide, kannten und liebten wir doch den
Grient mit seiner strahlenden Sonne, seiner Farbenpracht und sei-
nem bunten, wechselnden, oft mühseligen und entbehrungsreichen,
niemals aber eintönigen oder gleichförmigen Leben.
Er zog hinaus, ich blieb zurück. Der russische Winter hatte
meiner Gesundheit schon damals allzusehr zugesetzt.
Deutsche Wettkämpfer
308
fjcute endlich führte uns der Friede wieder zusammen. —
Mir hatten von alter, italienischer Malerei gesprochen. Mein blasser
Freund blickte wieder auf das Kunstblatt in seiner lhand.
„Sie haben die Landschaften des Morgenlandes als Hintergrund
ihrer Madonnenbilder immer richtig gemalt, die alten Meister
des Cinquecento", sagte er sinnend, „gerade so, — ganz genau
so sahen die Berge nördlich Jerusalem zwischen Nablus und der
Küstenebene aus.
In wunderlichen, abenteuerlichen Formen hat sie einst die
Kraft der Erdbeben empor und durcheinander geworfen. Die klaf-
fenden Spalten, die jahrein, jahraus von den stürzenden Fluten der
Regenzeit mit reißenden Gebirgsströmen gefüllt werden, sind schmal
und tief ausgewaschen. Spurlos versickert die Flut, soweit sie die
Ebene und das Meer nicht erreicht, nach wenigen Tagen in unter-
irdischen Höhlungen, und trocken liegen dann diese Madis, wie sie
der Araber nennt, das ganze übrige, lange Jahr. Hoch auf den
höchsten Regeln kleben wie festumzinnte Raubritterburgen die Dörfer
der seßhaften Fellachen. — Ja so sieht das Gebirge Mittelpalästinas
aus." —
Er drehte nachdenklich eine Zigarette aus ägyptischem Tabak,
den er, weiß Gott wie, mitzubringen verstanden Hatte.
„Jetzt sind es gerade etwas über zwei Jahre", sagte er leise,
wie in der Erinnerung suchend, „daß wir in diesen Bergen den groß-
angelegten Durchbruchsversuch der Engländer abwiesen.
Heute scheint es mir schier unfaßlich, daß es uns gelang. Drüben
die ungeheure Überlegenheit an Zahl und Hilfsmitteln aller Art,
auf unserer Seite nur ein trutziges Häuflein todesmutiger Deutscher,
eingerahmt von einer, ach nur gar zu dünnen Linie zwar braver,
aber in zehnjährigen Kämpfen arg mitgenommener Anatolier!"
Er schwieg und blickte der bläulichen Rauchfahne nach, die sich
langsam über die Brüstung auf die grüne Flut senkte und zwischen
den lichten, fast durchsichtigen Blättern zerflatterte.
plötzlich flammte ein Helles Rot über seine Mangen. Er
schlug mit der geballten Faust auf den Tisch: „Ach was", rief er
lebhaft, wie in Fortsetzung eines stillen Gedankenganges, „man
kann mir sagen, was man will über den Fluch dieses Krieges. Ge-
waltige Kräfte hat er bewegt und ein deutsches Heldentum er-
stehen lassen, dessen Glanz einstmals noch zu den Sternen steigen
wird, wenn Ihr auch jetzt nichts mehr davon wissen wollt! —
Ja sie waren furchtbar, die Tage des Kampfes mit ihren Schrecken
und ihrer Not, ihrer erbarmungslosen Grausamkeit, ihren fast un-
erträglichen Entbehrungen, mit ihrem Meer von Blut und Feuer,
dem grinsenden Tod, den bleichen Krankheiten, den zuckenden
Munden!
Aber groß und hinreißend waren sie doch auch!
1
j 1
304
v. Frankenberg
Tage und Nächte lang hatten wir gerungen, — jetzt vor zwei
Jahren —, Blut und Schmutz klebte am Leibe, die Zunge ver-
dorrte im Gaumen, die Ghren sausten vom Krachen schwerer Ge-
schosse und dem Bersten der Felsplatten, vom Zischen der Spreng-
stücke und dem prasseln der Steinsplitter, vom Höllenlärm, den das
hallende Echo der Bergwände vervielfachte!
Immer näher waren sie herangekommen, Tage und Nächte
lang von allen Seiten, hinter allen Felsblöcken kauerten geduckte,
sprungbereite Gestalten.
Weiße, braune, gelbe und schwarze Gesichter lugten durch das
Blütenmeer, das in üppigster Fülle und paradiesischer Pracht die
Berghalden bedeckte.
phantastische Turbane schlanker Inder vom Ganges tauchten
immer näher auf, wie riesige Schlangenköpfe. Geschmeidig und
kraftvoll wie Pantherkatzen kletterten die stämmigen, untersetzten
Bergsöhne des Himalaya, die Gurkha's mit dem breiten Ruckri-
Messer am Gürtel heran. In dichten wellen, mit der ihnen eigenen
stolzen Verachtung jeder Gefahr arbeiteten sich die weißen Tommies
vorwärts.
Immer stiller ward es in der dünnen Linie deutscher Männer,
die an die Felsspalten geschmiegt im giftigen, gelben Aualm der
berstenden Lydditgranaten lagen.
Reiner konnte den anderen sehen, aber jeder wußte es: Rechts
und links weicht keiner! Sie sind noch alle da, die treuen deutschen
Brüder! Noch hört man den leitenden Zuruf der Führer und sieht
sie allein, der Gefahr trotzend, umherkriechen und von Felsstück
zu Felsblock laufen. — Ja, sie wichen keinen Zoll. Allesamt
sahen sie kaltblütig die woge heranrollen.
Jeder wußte, was ihm bevorstand, wenn der Anlauf den
wilden gelang, Hin und wieder sah man schon die Messer blinken,
zwischen aufgeworfene, schwarzbärtige Lippen geklemmt. So nahe
schon war das Gräßliche!"
Er strich sich mit der Hand über die Stirn, als wollte er die
Gedanken beschwichtigen.
Dann fuhr er fort: „Tage und Nächte hatten wir so gerungen,
in bleiernem wachen den Schlaf verscheuchend, auf spitzigem Geröll,
in dornigem Gestrüpp, Gewehr und Handgranate allezeit fertig,
neben uns die braven Schützen an ihrem Maschinengewehr, dessen
heißdampfenden Lauf kein Wasser kühlen konnte, — Tage und
Nächte lang und immer in der gleichen, nervenzerreißenden Spannung
Und dann kam die Entscheidung.
Die Sonne sank purpurn in die See, die grauen Schatten der
kurzen Dämmerung huschten durch die Tiefe der Wadis und krochen
langsam an den Felswänden empor. Aus allen unseren Herzen
stieg die atemberaubende, würgende Frage in die brennende Kehle:
Deutsche AsienkSmpfer
305
wer hat jetzt den letzten Mut, die höchste Energie, den eisernsten
willen, die größte Treue? —
Da — quillt es hier und da hervor zwischen den starren, grauen
Blöcken, Offiziere voran, einzelne nervige Kerle hinterher.
Noch schlägt ihnen kein Feuer entgegen, wir warten noch, es
müssen erst mehr werden. Die todesmutigen Stürmer stutzen. Sie
ahnen den unbeugsamen willen des Gegners, nicht weichen zu
wollen. Einzelne fallen, andere suchen Deckung, ein Teil zögert und
wendet sich wie ratlos und dann-----------dann fluten sie zurück, erst
einzeln, — dann mehr, — schließlich Alle, Alle — Braune und
weiße, Gelbe und Schwarze in dichten Klumpen.
Auf den Fersen sitzt ihnen jetzt das Artilleriefeuer aus allen
Feuerschlünden deutscher, österreichischer und türkischer Kanoniere!
Die wilde Angst jagt sie verzweifelnd an den steilen Klippen
empor! —
Jauchzend erheben sich mit einem Schlage aus allen Spalten
und Rissen die deutschen Männer mit den stählernen Nerven, dem
unerschütterlichen vertrauen in ihre Kraft, mit dem Glauben an
ihre gerechte Sache und der heißen Liebe für ihr fernes, fernes
Vaterland!
Offiziere und Mannschaften, alles Brüder, vom gleichen Geiste
beseelt und einer dem anderen vertrauend, Kameraden in Tod und
Schrecken, im Kampf und — jetzt irrt Sieg!
Jubelnd reißen sie die Kolben an die Backe und senden den
hastenden, kletternden, stürzenden, wilden Knäueln fliehender Feinde
ihre Todesgrüße nach.
Purpurn war die Sonne hinter Jaffa versunken. Schwarz wur-
den die Wadis und die Höhen verblaßten. Still wurde es all-
mählich hüben und drüben. Nur das wimmern Totwundsr und
das gespenstige Lachen und äffende Kichern der beutewitternden
Schakale wehte der Abendwind in der lauen Frühlingsnacht über die
phantastischen Zacken und Grate der palästinensischen Berge, über
denen die schmale feine Sichel des wachsenden Mondes mit dem
funkelnden Abendstern in der offenen Rundung schwebte, gleichwie
das heilige Wahrzeichen der Gläubigen dieses Landes und der
tapferen anatolischen Söhne der Kalifen, die treu zur Seite der
Deutschen den Ansturm der Feinde abgewehrt hatten.
Noch einmal, zweimal versuchten sie in der Nacht wiederzu-
kommen, die gefährlichen Gurkha's — ohne Schuß, ohne Laut,
wie Gewürm krochen sie heran, unheimlich und Katzen gleich, die
haarscharfen, blanken Klingen zwischen den Zähnen.
Rechneten sie auf unsere physische Erschöpfung? — vergeb-
lich auch dieser Versuch! —
Keine Übermacht im offenen Tageskamps, kein Teufelsspuk in
pechschwarzer Nacht brachte die deutsche Linie zum Wanken. Fest
in unserer Hand blieb der Berg Arara im Frühjahr W8!" — —
v. Dickhnth-Harrach, )m Felde unbesiegt, l.
20
306
v. Frankenberg
„Warum soll das alles vergessen sein", rief er, sich lebhaft
erhebend, „was Deutschlands Söhne in stiller pflichttreue und ent-
sagungsvoller Eingabe an ihr Vaterland taten?"
Schwer legte er die Lsand auf den Kopf meines -Ältesten, der
zu uns getreten war und mit großen Augen zuhörte: „Junge",
sagte er mit verschleierter Sümme, „vergeßt es nicht, Ihr, die Ihr
Deutschlands Zukunft tragt, daß Euer Volk so groß und stark war,
wie kein Volk der Erde, daß kein Zeitalter der Geschichte je ähn-
liche Tater, gesehen hat!" —
Klein Freund durchmaß mehrmals in eiligen Schritten den
engen Raum.
„Ist es nicht wert, sich an solchen Erinnerungen aufzurichten?",
fuhr er fort. „Taten erziehen und schon der Wille zur Tat schafft
schier Unmögliches! —
Ich habe es mir später vom Fernsprechtrupp am GefechtSp-
stande unseres Kommandeurs erzählen lassen, wie alles an jenem
Abend an einem H<mre hing, welche schwerwiegenden Entschlüsse
kalten Blutes und sicheren Blicks gefaßt werden mußten.
von unserer Artillerie, die uns glänzend unterstützt hatte,
war fast die gesamte Munition verschossen worden.
versucht Euch einmal vorzustellen, was es bedeutete, daß alle
deutschen und türkischen Artilleriegeschosse von Tosel-Gderhafen
in Schlesien abgerollt werden mußten über eine Strecke von 5000 Lin
Eisenbahn!
Dazu kam das Übersetzen in Schiffsgefäßen über den Bosporus
und das mehrfache Umladen an den himmelanstrebenden Gebirgen
des Taurus und Amanus, im Antilibanon und schließlich an der
Grenze Palästinas, wo die Gebirgsbahn sich in verwegenen Kurven
zum See Genezareth hinabstürzt, um dann mühselig aus der Jordan-
tiefe zur Ebene Jesreel wieder hinaufzuächzen.
Dabei keine Kohle weit und breit im ganzen Lande, nur Oliven»
holz und kümmerliche Glsteine zum heizen der Maschinenkessel t
Und schließlich brachte uns die Munition erst auf allerprimitivsten
Behelfswegen der eisenbereifte Lastkraftwagen zur Front!
Nicht besser stand es um den Transport der Geschosse für die
österreichischen Gebirgsgeschütze.
Ihr könnt Luch denken, was die Meldung für den Komman-
deur bedeutete: Die Artillerie hat sich verschossen! — 2000 bis
3000 Schuß für sämtliche Batterien zusammen war der am Lnt-
scheidungsabend vorhandene Rest.
wenn der Engländer am nächsten Morgen frische Divisionen
angesetzt und aus der überlegenen Zahl seiner Rohre wieder seine
verschwenderisch verfügbare Munition auf uns hätte niederregen
lassen, so hätte es wohl noch für einige Stunden schwächlicher Ab-
wehr gereicht, dann aber wäre unser Schicksal besiegelt gewesen.
Und was tat unser Kommandeur?
Deutsche Asienkämpfer
307
Als das erste, fahle Morgenlicht über die Bergkronen hin-
zitterte, da waren es unsere Batterien, die mit der letzten Munition
ihren Lisenhagel auf alle Versammlungsräume und Lager der
Engländer spieen, es war unser Führer, der den Reigen eröffnete
und die Initiative behielt!
Der Engländer aber schwieg, kein Geschütz antwortete, kein
Feind ließ sich sehen. Still blieb es drüben, diesen und die nächsten
Tage, bis wir wieder Kraft gesammelt und Munition herange-
schafft hatten.
Ja, schon der Mille gebiert die Tat und den Erfolg!
So sind sie ein Wahrzeichen deutscher Kraft und Helden-
größe geworden, deutscher Führung und deutschen willens, jene
ungeschlachten, grauen Bergriesen im wilden Gebirge Palästinas,
der Arara und der Scheich Subik, an deren hängen mit ihrer rissigen,
geröllbesäten, dünnen Erdkrume der arabische Bauer jetzt wieder
seine kärgliche Gerste baut.
Arara und Scheich Subik! Kein Asienkorxs-Kämpfer wird
Eurer je vergessen!
Möge auch unsere Jugend und Alle, die nach ihr kommen
werden, jederzeit ehrfürchtig der Männer gedenken, die dort im
fremden Lande dem deutschen Namen Ehre machten!" —
Er setzte sich nieder. Seine Blicke folgten dem grau-blauen
Rauch seiner Zigarette, der sich in wunderlichen Formen zusammen-
ballte und wieder auflöste, wie die Fernsichten der grauen Berge
dort in weiter Ferne. —
„Es ist leider wenig vom asiatischen Kriegschauxlatz daheim
allgemein bekannt geworden", warf ich ein.
„Das ist es ja, was mich so schmerzt", erwiderte er, „daß hier
kein Mensch zu ahnen scheint oder daß es sogar vielleicht oller Welt
herzlich gleichgültig ist, welche Wunder der Technik, welche Taten
von antiker Größe, welche gewaltigen, organisatorischen Leistungen
dort unten von Deutschen geschaffen wurden, wie stolz wären andere
Völker auf die unvergänglichen Leistungen ihrer Söhne!
Ist es denn nicht etwa eine Leistung, des Rühmens wert, daß
es der deutschen Kraft gelang, fast ohne Hilfsmittel der Technik
schon im Winter ein Heer durch die 300 Lin lange Wüsten-
strecke der Sinaihalbinsel zum Suezkanal vorzuführen?
Nie hätte der Engländer so etwas auch nur für möglich ge-
halten.
Nicht einmal die Eingeborenen kannten das Innere des men-
schenleeren Landes.
Selbst die flüchtigen Beduinen hatten sich fast ausschließlich
an die Randstraßen gehalten. Selten nur hatte ein Nomade es
gewagt, auf seinem Kamel das Innere zu durchqueren.
Und doch ritten schon im ersten Kriegswinter deutsche In-
genieure, einsam und allein, aber munter und frohgemut, nnt der
308
v. Frankenberg
selbstverständlichsten Sicherheit dort von Wasserstelle zu Wasserstelle
und schufen in wenigen Wochen mit einfachsten Mitteln eine Wasser-
versorgung, die sich als ausreichend erwies für Zehntausende von
Menschen und Tieren auf und Rückmarsch!
In flimmernder Sonnenglut tanzte die heiße, dünne Luft über
den grellgelben, öden Sandhügeln, wie eine blaue Glocke war der
wolkenlose Fimmel über dieses schweigsame Grab alles Lebens
gestülpt.
Da schiebt sich vom Horizont drohend eine dunkle, dicke wand
vorwärts, erst langsam und dann — ist sie plötzlich da! — Die
Luft wird dick und ist erfüllt von einem feinen Staubnebel.
Und nun mit einem Male pfeifen die Windstöße und peitschen
die Sandkörner hoch, daß sie dem Ramelreiter mit spitzigem Schmerz
gegen das Gesicht schlagen. Schwefelgelb ist Alles ringsumher, nicht
die Hand vor den Augen ist mehr zu sehen.
Der Sandsturm fegt über die wüste!"----------
Mein Freund erhob sich. „Laßt uns in's Zimmer gehen. <Ls
ist doch noch verdammt kühl in eurem arktischen Rlima", meinte
er lachend und fröstelnd.
„Ich wollte es Dir auch schon raten", erwiderte ich, „komm',
setze Dich in den alten Ledersessel, der Dich früher so oft aufge-
nommen hat, wenn wir einstmals bei einer guten Flasche allerlei
Fragen des Lebens ernsthaft erörterten."
Gr ließ sich mit allen Anzeichen des Behagens nieder und
blätterte in einem Prospekt der Daimler-Werke, der auf meinem
Tische lag.
„weißt Du, die Kraftfahrer waren doch ganz besondere Rerle",
rief er in ehrlicher Bewunderung aus.
„wir wissen ja alle, daß es kein Vergnügen war, mit Eisen-
bereifung und schlechtem Benzol fahren zu müssen.
was diese Menschen aber im Grient an Nerven und Ansdauer
aufgebracht haben, ist ganz erstaunlich.
Man darf nicht vergessen, daß es in ganz Vorderasien nur
einige, wenige, verschwindend kurze Strecken fester Straßen gibt.
während der Regenzeit verwandeln sich Wege und Felder
in unergründliche Moräste und in der trockenen Jahreszeit zermahlen
die Eisenräder den Boden zu fußtiefem Mehlstaub.
Für unsere Kraftfahrer aber gab es zu keiner Jahreszeit ein
Hindernis.
Sie fuhren durch die wüste der Tfchammar-Beduinen ebenso
sicher und gut, wie den Euphrat und Tigris hinunter bis Bagdad,
über den Libanon und durch die Tilicische Pforte im Taurus, über
den Amanus und die Lava-Ebene zwischen Damaskus und Tiberias,
von der Grenze zwischen Westarabien und dem heiligen Lande bis
fast zum Roten Meer, durch das Land der Kurden und bis tief in
Deutsche Astenkämpfer
309
die persischen Grenzgebirge, über die Berge Palästinas und Liber das
Armenisch-Kaukasische Hochplateau.
Sie allein machten den Verpflegungsausgleich für Armee und
Bevölkerung im weiten, großen Lande möglich, sie allein versorgten
die Truppen an all den lang ausgedehnten Fronten vom Kaukasus
bis zum Mittelmeer mit allem Nötigen zum Leben und Kämpfen.
Die Fahrer schützte kein Moskitonetz, wenn sie die Fieber-
ebenen durchzogen; ihrer viele starben hoch oben im Taurus still den
Tod treuer Pflichterfüllung.
Es war im übrigen wohl einer der schönsten und am liebe-
vollsten gepflegten deutschen Friedhöfe, der der Kraftfahrer im
Taurusgebirge.
Wer sie gesehen hat zwischen Nissibin und Mossul in der ein-
samen Wüste, wo die räuberischen Nomadenstämme mit der Büchse
in der Hand auf sie lauerten, mit kochendem Kühler in erstickender
Gluthitze sich den weg durch das dürre Steppengestrüpp bahnend
oder auf engem, steilem Gebirgsweg an schwindelnden Abgründen
vorbei mit den schärfsten Kurven sich abfindend oder im pulveri-
sierten mahlenden Staube im palästinensischen Gebirge, der kann
nicht anders, als diese Männer bewundern.
wie hundertfach blieben die wagen bis an die Achsen im Morast
der Regenzeit stecken, rutschten ab, drückten die Ränder der schwachen
Straßendecke weg und hingen zwischen Fimmel und Erde. Aber
niemals verließ die Fahrer der Mut.
Sie kamen alle ans Ziel, in Schnee und Gis, auf dem Hoch-
plateau des Antilibanon bei Rajak ebenso, wie in der höllischen
Glut der mesopotamischen Steppe, wo die flimmernde Luft dem
geblendeten Auge die Fata Morgana vorgaukelt, wie im stickigen
Kalkstaube in Judäa und umwirbelt vom Sandsturm auf xfadlosem
Wüstenboden. —
Überhaupt die technischen Formationen! was haben sie alles
vollbracht! —
wir funkten von Jerusalem nach Nauen bei Berlin, hörten die
Gespräche französischer Kreuzer vor Marseille ab und fingen die
Nachrichten des Eiffelturms in Paris auf.
Das Brennstoff-Kommando Arabien erschloß die Naphthaquellen
und Grdpechlager am Tigris zur Herstellung von Benzin für unsere
Kraftwagen und die blauen Jungen unserer damals noch so starken,
kampfesfrohen, geachteten und gefürchteten Kriegsmarine steuerten
die Scharturs sicher, wie arabische Eingeborene, durch die Strudel
und über die Untiefen des Euphrat.
Lin heiliger Stolz schwellt mein Herz, gedenke ich der zahllosen
Deutschen, deren überlegene Wissenschaft und gründliches Können,
zähe Ausdauer und praktisches handeln die unsagbaren Schwierig-
keiten eines völlig wilden Landes niederzwang.
310
v. Frankenberg
Unter den Männern der Wissenschaft seien auch die Arzte nicht
vergessen.
Gewiß konnten die Lazaretteinrichtungen nicht so fein, wie in
Europa. Die Schwierigkeiten, die sich auftürmten, waren Legion:
ein tückisches Klima mit tropischen Krankheiten, verseuchte Gewässer
und Fehlen der einfachsten sanitären Einrichtungen im Lande, Mange!
an Beleuchtung und geeigneten Räumen, Übelwollen der einheimi-
schen Behörden und widerstand der Bevölkerung und tausend an-
dere mehr.
Aber alles wurde überwunden. Unmittelbar aus der Kampf-
linie am Arara holte das Krankenauto die Leidenden und dicht hinter
dem Berge unter schattigen Olivenbäumen standen die Zelte des
Lazaretts, in denen sogar eine Zahnstation sich befand, wie sie im
Frieden den jungen Soldaten in den deutschen Kasernen nicht zur
Verfügung stand.
Freilich hat alle ärztliche Kunst und Wissenschaft, alle Für-
sorge nicht zu hindern vermocht, daß gar viele der deutschen Kame-
raden, die in eisenfester Gesundheit hinausgezogen waren, tückischer
Krankheit erlagen oder siechen Leibes nach Hause zurückkehrten.
wer dächte da nicht in erster Linie an Goltz-Pascha, den jugend-
frischen Feldmarschall, den in Bagdad der Flecktyphus auf die Toten-
bahre warf, den Liebling des osmanischen Volkes, dessen Name in
der entlegensten Bauernhütte Anatoliens mit Liebe und Ehrfurcht
genannt wurde, dessen Bild jeder einfache türkische Mann aus dem
Volke kannte, Goltz-Pascha, der einfache und bedürfnislose Soldat,
der unermüdlich tätige und pflichttreue Vorgesetzte, der klarblickende
Feldherr, der kluge Politiker und der gewinnende Kamerad, dessen
frohsinniges und humorvolles Wesen und gütiges Herz auch der
anderen Menschen Kerzen, groß und klein, alt und jung, im Fluge
gewann!
wollte doch Gott unserem Volke geben, daß es seiner eigenen
Männer Gedächtnis auch zu ehren vermöchte, wie die Muhammeda-
ner den Namen des Fremden, der in ihrem Lande wirkte und starb,
Goltz-Pascha, den sie alle liebten vom Süllen Ozean bis zum Bosporus
und vom Strande des Mittelmeeres bis zu den Bergen des Luristan!
wahrlich, ein Volk, das seine Besten ehrt, ehrt auch sich selbst!
was haben sie denn verschuldet, daß man sie heute steinigt?
Rangen sie nicht etwa auch mit und unter uns Allen um den gleichen
Preis, um die Rettung Deutschlands?--------
Aber die Stimmungen des Volkes sind wie die launischer
Kinder. Sie kreuzigen heute, dem sie gestern zugejubelt haben, ohne
sich über die Unvernunft solchen Beginnens Rechenschaft abzulegen.
Doch ich will mich nicht ereifern! Auch der Tag wird kommen, wo
man wieder singen und reden wird von den Taten deutscher Mar-
schälle und Führer!" —
wir schwiegen und hingen unseren Gedanken nach.
Deutsche AsienkLmpfer
311
„wie kam es, daß Du zweimal verwundet wurdest?", fragte
mein Junge unseren alten Freund.
„Ja, das war auch ein Tag, den ich in meiner Erinnerung
nicht missen möchte", rief er, „als mich der verflixte Pundjab-Rifle
ankratzte.
wir lagen auf der Hochebene am Jordan nördlich Jericho,
wir vom Asienkorps und Marburg er Reserve-Jäger.
Die Sommersonne hatte das Land ausgedörrt. Die Tages-
hitze war unerträglich. Wasser gab es nur wenig, vor uns lagen
drei englische Stellungen hintereinander.
Die sollten wir durchbrechen, die Deutschen in der Mitte, türkische
Regimenter rechts und links von uns.
So schwer es schien, so sehr die sengende Sonne auf dem schat-
tenlosen Gestein jede körperliche Tätigkeit lähmte, — niemand wollte
zurückbleiben.
Es gelang spielend.
[Jttt Umsehen waren die Stellungen überrannt.
Ihr hättet sie sehen sollen, unsere prachtvollen Iüngens, wie
sie hinwegstürmten über die Hindernisse und Steinwälle!
wie ein reißender Strom über die Ufer tritt und die Dämme
wegreißt, so flutete die Angriffswelle durch die englischen Verhaue,
allen voran unser von allen geliebter und verehrter Major Graß-
mann.
Freilich wendete sich das Blatt sehr bald. Die Türken konnten
nicht mit durchhalten und blieben zurück, der Engländer führte auf
Kraftwagen seine übermächtigen Reserven gar zu schnell heran,
wir mußten weichen.
Graßmann fiel.
Lin Schrei der Wut und des Schmerzes ging durch unsere
Reihen, wir suchten ihn in Sicherheit zu bringen, der uns stets ein
warmherziger, fürsorgender Führer gewesen war. Ein Sanitäter
und ich trugen den Todwunden durch das rasende Maschinengewehr-
feuer, das uns den Rückweg versperren wollte. Aber es ging über
unsere Kraft, wir betteten ihn im Schutze eines Felsblocks.
Da fühlte auch ich einen heftigen Schlag gegen den Kopf und
das sickernde Blut verdunkelte mir den Blick. Der Sanitäter brachte
mich zurück
Damals entging ich der Gefangenschaft noch um Haaresbreite
und auch — dem Tode. —
Schon nach Tagen konnte ich in das Genesungsheim pvsanti
nördlich des Taurus abfahren, um dort Schonungsdienst zu tun.
wie hatte sich dort Alles verändert!
was war in den letzten Jahren dort in unvergleichlichem wir-
ken deutscher Ingenieurkunst geleistet worden!
Die Eisenbahn über das Taurusgebirge ist eine der kühnsten
technischen Leistungen in der Welt auf diesem Gebiete.
312
v. Frankenberg
Sie durchquert auf schwindelndem Pfade die aus enger Klamm
senkrecht zum Fimmel sich aufreckenden Felsriesen in zahlreichen
Tunnels von vielen Kilometern Länge. Erst im Kriege wurde deren
längster und wichtigster durch die Berge geschlagen.
Das märchenhafte Bild muß man, wie ich, in einer Vollmond-
nacht im Frühjahr oder an einem sonnigen Wintertage unter Eis
und Schnee gesehen haben. In Worten läßt sich die unvergleichlich
schöne Wildheit des Gebirges nicht schildern, in dem die Natur
alle ihre Kraft gesammelt zu haben scheint, um dem Menschenwillen
zu trotzen.
Aber sie wurde bezwungen, trotz Mangel an Material und
Arbeitskräften, bezwungen von deutschen Ingenieuren.
wenn jetzt auch Engländer und Franzosen die Früchte deutscher
Arbeit genießen und das Werk weiterführen, so bleibt doch in alle
Zukunft bestehen, daß Deutsche es waren, die diesen Wunderbau
im Kriege schufen.
In meinem Wagen fuhr auch eine Französin aus Beirut, deren
Gatten die Mobilmachung zu den Fahnen nach Frankreich gerufen
hatte.
Die konnte nicht Worte genug finden des Staunens und Wun-
derns über die Großartigkeit der genialen Anlage. Die Ausrufe
,verblüffend, herrlich, wunderbar' kehrten immer wieder.
Da lächelte ein deutscher Gffizier, der ihr still gegenüber ge-
sessen hatte und sagte mit höflicher Verbeugung:
,wir armen Teufel, die Boches, haben diese Arbeit gemacht!'
Sie wurde rot und schwieg!
Ja es hat viel verblüffende Arbeit gegeben, die von den Boches
gemacht worden ist. Wenn sie es nur selbst wüßten, was sie ge-
konnt Haben, was sie noch heute können und immer können werden,
solange ein deutsches Hirn denken und eine deutsche Faust sich
recken kann! —"--------
„Und wie war es mit dem Säbelhieb?", forschte mein Junge
neugierig weiter.
„Das Kapitel ist traurig", sagt mein Freund ernst.
„Immer größer wurde schließlich Englands Überlegenheit, wie
in gleichem Maße schwächer unsere Abwehr. Schiffe von 10000 Ton-
nen brachten ihnen an einem Tage hart an die Front auf der Reede
von Jaffa, was wir in vielen Monaten nicht über die 5000 Irrn
lange Eisenbahnstrecke heranschaffen konnten.
Die Wasserleitung von 300—H00 km Länge von Ägypten bis
an die Palästinafront versorgte die Engländer mit Süßwasser, wäh-
rend auf unserer Seite die brakigen Zisternen und vereinzelten
Quellen leer geworden waren.
Schwärme von Fliegern stiegen drüben vom Hellen trockenen
Seestrande wie Möven auf, denen wir schließlich kaum 20 bis 30
entgegenzusetzen hatten.
Deutsche Asienkämpfer
313
3n großen Lagern ruhten unter schattigen Olivenhainen die
dicken Massen englischer Divisionen drunten in der Ebene im er-
frischenden hauche der Seebrise, während die lose, zum Zerreißen
dünne Rette der Verteidiger ohne Ablösung und Ruhe, unter Ent-
behrungen und Rrankheiten, Durst und Ungeziefer erlahmend in
Fels- und Lrdlöchern sich an ihre Stellungen anklammerte.
So mußte es kommen, wie es kam.
Lines Morgens brach das Ungewitter aus tausend Feuer-
schlünden über die Türken in der Rüstenebene herein, dicht auf folg-
ten der Feuerwalze Massen und abermals Massen englisch-indischen
Fußvolkes, in dichten Geschwadern jagte australische Reiterei, wohl
an die hundert Schwadronen stark, nordwärts zur Ebene Zesreel
und in die Seitentäler des ansteigenden Gebirges nach Osten hinein,
um uns den Rückweg zu verlegen und alle Verbindungen abzu-
schneiden.
Schon nach wenigen Stunden war das türkische Rorps rechts
von uns vom Erdboden verschwunden. Wir aber wichen und wank-
ten nicht, vergeblich stürmte der Feind gegen den deutschen Abschnitt.
Mit blutigen Röpsen schickten wir sie heim. Dann aber gaben auch
die Nachbarn links von uns nach und nun — wurde der Rückzug
unvermeidlich.
Die Tage und Nächte, die nun folgten, waren furchtbar in
ihrer Oual. Die wahnsinnige Sonnenglut verzehrte die Rräfte um
so mehr, als weit und breit kein Wasser mehr aufzutreiben war.
Fliegergeschwader warfen unaufhörlich ihre Bomben auf die müh-
selig dahinkriechende Heeresschlange. Auf halsbrecherischen Saum-
pfaden mußten wir nachts uns einen Pfad suchen, rings umstellt
an allen Gebirgsausgängen und Pässen, wie ein gehetztes wild.
Manch einen, Offizier und Mann, mußten wir liegen lassen,
zusammengebrochen vor Erschöpfung, zu ungewissem Schicksal.
Der hungrige Schakal und der habgierige, blutdürstig-grau-
same Beduine lauerten schon auf die leichte Beute.
Aber allem zum Trotz ist unsere Truppe als solche doch Heraus-
gekommen.
vergeblich suchte uns australische Reiterei den Übergang über
den Jordan zu sperren. Wir schlugen uns durch und überließen
nur Schritt für Schritt kämpfend dem Feinde den Boden.
Dort am Jordan-Übergang war es, als ich schon schwimmend
das andere Ufer gewonnen hatte, wo mich der Australier über den
Schädel hieb.
Als die Besinnung mir wiederkehrte, war es aus mit der
Freiheit. Wenige Tage später führte mich der Gefangenenzug nach
Rairo.
Die Daransetzung aller Rraft und die Aufrechterhaltung der
Disziplin, der eiserne Wille und die Rameradschaft brachten es zu
Wege, daß das deutsche Asienkorps immer noch als kampffähige
314
v. Frankenberg
Truppe aus dem völligen Zusammenbruch in Palästina zurückkehrte,
nur von gewaltiger Übermacht erdrückt. Unterordnung unter das
Ganze, eiserner Wille, brüderliche Kameradschaft und Eingabe aller
Kräfte sind die Eigenschaften, die auch das ganze deutsche Volk
herausführen können aus seinem Sturze.
Gott gebe uns allen, die wir doch einer wie der andere, — ganz
gleich welchen Stammes, welcher Bildung, welcher Gesellschafts-
schicht und welcher politischen Richtung — unser Vaterland mit
heißem lserzen lieben, daß wir die Reihen schließen lernen in solcher
Selbstzucht, solch brüderlichem Zusammenhalten und solch unbeug-
samem Millen, um uns kämpfend durchzuschlagen durch das Heer
der Bedrücker und die Not der Zeit auf das rettende Ufer einer
besseren Zukunft!
Dazu muß uns ein leuchtendes Vorbild sein und bleiben, was
wir vermocht haben in den langen Jahren des ungleichen Kampfes.
Laßt uns also nimmer die Taten vergessen oder gar gering
schätzen, die Deutsche getan in ©ft und Mest, in Nord und Süd.
Sie mögen uns und den kommenden Geschlechtern immer wieder
predigen: „Schon der Wille gebiert die Tat!"
Klein Freund schwieg. —
Lange noch saßen wir still in ernste Gedanken versunken und
sahen hinaus in die Frühlingswelt, auf das deutsche Land, das ver-
klärt von Hellem Abendrot emporwuchs in frisch ergrünendem
Sprießen zu einer, so Gott will, köstlichen Ernte. —
Die GstafrlSaner im Weltkriege 1914—1918.
Non Generalmajor a. D. v. Lettow-Norbeck,
damals Kommandeur der Echutziruppe für Deutjch-Gstafrika.
<*tn dem großen Geschehen des Weltkrieges nahm der Rolonial--
kämpf eine untergeordnete Stelle ein; verhältnismäßig Nebenfachs
lich, klein. Aber doch durfte die Kolonie nicht die Hände in den Schoß
legen und zusehen. Ts galt, der Heimat Entlastung zu bringen, und
wenn es auch nur wenig fein konnte; bei gleichen Kräften bringt das
geringste Mehr die Entscheidung. Diesem Hauptziel galt es alle Be-
strebungen unterzuordnen, nur dann kam Folgerichtigkeit in das
Denken und Klarheit in die Kriegshandlungen. Nur dann war
stetige Energie und ein gesunder Schwung der Geister möglich. Im
Weltkriege war die Kolonie nicht Selbstzweck.
Abgeschnitten von der Heimat, ganz auf sich selbst gestellt, hat
die kleine Schutztruppe von etwas über 2000 schwarzen Soldaten,
unterstützt durch eine gleich starke Polizeitruppe, den Kampf aufge-
nommen. Durch Einziehungen und Einstellung von Rekruten hat
sie einen Höchststand von 000 Soldaten erreicht. Ls gelang ihr,
nach und nach 300 000 feindliche Soldaten in Gstafrika zu fesseln,
die von mehr als lW Generalen geführt wurden. In dem ungleichen
Kampfe war es nicht möglich, das Schutzgebiet dauernd zu halten;
nach 31/4 Jahren trat die Truppe, auf 2000 Soldaten zusammenge-
schmolzen, auf portugiesisches Gebiet über, um bis zum Schluß ab-
wechselnd auf portugiesischem, deutschem und schließlich englischem
Gebiet weiter zu fechten. Die Nachricht vom Waffenstillstand traf
fie, noch J50 Europäer und 1(200 Askari stark, voll gefechtsfähig,
gut versorgt und bewaffnet im Felde. Die Beute vom Feinde hatte ihr
Waffen, Munition und allen Kriegsbedarf liefern müssen. Damals
stand ihr der Feind hundert gegen Einen gegenüber. Aber die
deutsche Schutztruppe wußte, daß sie noch lange würde kämpfen
können, sie brauchte und wollte sich nicht ergeben. Erst der Zusam-
menbruch der Heimat zwang sie, die Waffen niederzulegen.
Ausbildung und Geist der Truppe wuchsen mit dem Fortschritt
der Kriegshandlung. Einige Beispiele aus dem ersten Teile des
Krieges mögen dies erläutern.
Über ein Jahr schon wurde in Gstafrika gefochten. Alle versuche
des Feindes, in das deutsche Gebiet einzudringen, waren blutig ab--
316
v. Lettow-vorbeS
gewiesen worden, und die kleine Schutztruppe suchte den Feind zu
schädigen, wo sie konnte.
Die 8. Feldkomxagnie marschierte am westhange des Meru-
Berges entlang nach Norden. Voran die Spitze, weit ausgeschwärmt,
dann die Askari, das Gewehr auf der Schulter, mit dem Kolben nach
hinten, wie es in der Schutztruppe von jeher „ässtnri" (Mode) war.
Einzeln gingen sie hinter einander, hoch ausgerichtet, nichts entging
ihrem scharfen Auge; dazwischen Träger mit den auseinandergenorw-
menen Maschinengewehren, Munition und Sanitätsmaterial. Ver-
traulich gesellte sich zu einem der Europäer ein kleiner zwölfjähri-
ger Signalschüler, der mit noch zwei anderen die Blitzverbindung der
Kompagnie zu versehen hatte.
„Bana", sagte er, „wenn der Krieg zu Ende ist, dann möchte
ich nach Deutschland und Berlin reisen. Dann wird der Kaiser
sagen:,Guten Tag, mein Sohn', und ich werde ihm vorsignalisieren;
und die Kaiserin wird sagen: ,Guten Tag, mein Kind', und wird
mir Kuchen schenken und die Schaufenster zeigen . . . aber sieh hier,
Bana, der Draht der Fernleitung ist ja gerissen, das sind Giraffen
gewesen mit ihren langen Hälsen. Och will ihn sogleich ausbessern."
Und schnell flickte der kleine Kerl die Leitung mit Stacheldraht,
der der Einzäunung einer nahen Farm entnommen war, ersetzte
einige der umgerissenen Pfosten durch abgeschlagene Aste und be-
festigte an deren Enden Flaschenhälse als Isolatoren.
In heißem Sonnenbrand ging der Marsch nur langsam durch
die glitzernde Steppe. An einem kleinen Flüßchen, versteckt im Walde
des Meru-Hanges wurde Lager bezogen. Nicht lange dauerte es,
da war auch die „Safari" heran. Gut geschloffen marschierte sie;
die älteren Träger trugen außer ihrer Last umgehängte Lagerbüchsen
Modell (87(. Schnell waren Holzstangen und pflöcke geschlagen und
angespitzt, überall hörte man das Hämmern, das deren Einschlagen
in die Erde verursachte, und die Zeltbahnen waren aufgespannt.
Wasser und Kochholz wurde geholt, und bald züngelten die Koch-
feuer zwischen den Stämmen der Bäume in die Höhe. Ein Pflan-
zer mit schon angegrautem Haar streckte sich ermüdet auf der Erde
aus:
„Hamiß, ist das Essen noch nicht fertig?"
Eilig kam der schwarze Boy zu seinem Herrn:
„Bado (noch nicht), du hast viel verstand, aber wenig Kraft,
weil du ein alter Mann bist," setzte er nicht gerade schmeichelhaft
hinzu.
In der Nähe hockte eine Gruppe Askari am Feuer, darunter der
Sol (Feldwebel) pumila, eine hagere, rassige Sudanesen-Erschei-
nung. Seinen Namen trug er aus Anhänglichkeit an seinen ersten
Herrn, den vr. Bumüller. Später sagte der alte Veteran einmal:
Die Ostafrikaner
317
„Wir sehen ja, wenn Ihr einen Engländer tötet, so kommen
zwanzig neue wieder, und Ihr Deutschen werdet immer weniger; aber
wir sind immer bei Luch gewesen, und wir werden auch weiter für
Luch fechten bis zum Lüde."
Das war der Geist, der die ganze Rompagnie belebte. Im
Frieden war sie sorgfältig ausgebildet, hatte auf 200 m stehend
freihändig fast Ring 6 im Durchschnitt geschossen, auch nach hei-
matlichem Maßstab eine leidliche Leistung.
Man sah den Hauptmann mit einzelnen Gruppen der Askari
reden, er kam auch zu pumila.
„Oberleutnant Naumann ist zur H. Rompagnie versetzt."
„Das ist ein sehr schlechter Befehl vom Kommando", war die
Antwort.
Alle hingen an dem frischen jungen Offizier, der mit den Askari
manche schneidige Patrouille zur Uganda-Bahn gegangen war. Bei
plötzlichen Zusammenstößen im Busch waren sie ihm stets blind
gefolgt. Gemeinsame Gefahren, Entbehrungen und Lrfolge hatten
Offiziere, Unteroffiziere und Askari zusammengeschweißt. Man hatte
einander schätzen gelernt. Die Rompagnie war eine große Familie,
auch die Träger rechneten sich dazu. Vor allem die $0 alten Frie-
densträger. Die hatten Maschinengewehre und Munition schon in
manche Feuerlinie gebracht. Sie waren im Feuer erprobt und fürch-
teten den Feind nicht.
Die Rompagnie blieb längere Zeit in ihrem Lager am Gldonjo
Sambu, einem Vorberge des Meru. Die Askari-Frauen wurden von
Tabora herangeholt. Da hausten dann die Askari-Familien ganz
gemütlich. Aus Baumzweigen und Gras wurden Hütten gebaut,
auch Bettstellen und bequeme Sitze gemacht. Rleine Gärten mit
Gemüse wurden angelegt. Wie im Frieden stampften die Frauen
in großen Holzmörsern das Rorn, und der Ton dieser Stampfmörser
gab manchem Neuling, der sich im Busch verlaufen hatte, die Rich-
tung des Lagers an. Wenn nicht gerade Dienst oder eine kriegerische
Unternehmung stattfand, lebte der Askari als Familienvater mit
Weib und Rind, rauchte seinen Tabak, spielte Karten, trank seine
Pombe (Negerbier) und freute sich seines Lebens.
Außer der 8. Feldkompagnie gehörte noch die Rompagnie
Aruscha zur Abteilung. Ltwa 80 Köpfe stark, bestand ihr euro-
päisches Gerippe aus dem Bezirksamtmann von Aruscha als Führer,
einigen eingezogenen Beamten und verschiedenen europäischen Sied-
lern. Schon im Frieden hatten diese sich zu dem Verein der „Meru-
Schützen" zusammengeschlossen, unter Leitung des Farmers Thiele —
eines alten Unteroffiziers vom Augusta-Regiment — Übungen abge-
halten und kameradschaftlichen Soldatengeist gepflegt. Die Far-
bigen dieser Kompagnie waren die Polizei-Askari des Bezirksamts
und schwarze Rekruten, die nach und nach eingestellt waren. Die
Aruscha-Kompagnie sicherte hauptsächlich das Magazin in Aruscha
318
v. Lettow-Vorbeck
und den Verpflegungsnachschub von dort. Vieh an das Magazin
lieferten die umliegenden Farmer und die Massai; Weizen, Kartof-
feln, Kaffee die Europäerxflanzungen und die zahllosen sonstigen
Getreidearten die Eingeborenen des fruchtbaren Gebietes. Aber auch
aus dem Innern, von Kondoa Irangi her, brachten Gchfenwagen
und Trägerkarawanen unausgesetzt Verpflegung heran.
2m Norden des Meru und Kilima Njaro, nach der englischen
Grenze zu, wo sich die unendlich scheinenden flachen Grassteppen
ausdehnen, da umgab ein Gürtel geräumiger Farmen die beiden
Berge. Da weideten Tausende von Rindern, Schafen und Ziegen.
Die meist auf guten Pferden berittenen Farmer hatten bei Kriegs-
beginn eine Kompagnie von 60 Mann gebildet. Lin kühner Beute-
zug gegen ein englisches Lager hatte die Aufstellung einer zweiten
berittenen Kompagnie ermöglicht. Nach und nach wurden Diese
Kompagnien auf je fOO Reittiere gebracht, und auch Askari wurden
in sie eingereiht. So wurde die Umsicht und Zuverlässigkeit der Luro-
xäer durch die Findigkeit und die scharfen Sinne der Eingeborenen
sehr glücklich ergänzt. Auch einige Vierzig dieser Berittenen gehörten
zu der Abteilung von Gldonjo Sambu.
Nach Norden zu lag das Lager am letzten Wasser. Jetzt, zur
Trockenzeit, konnte man in der endlosen, feindwärts gelegenen Steppe
verdursten.
Der Posten der Kompagnie war auf einen hohen Baum ge-
klettert, sein Blick wurde durch das dürre Buschwerk kaum gehindert.
Ab und zu bemerkte er eine wandernde Staubwolke, doch sein schar-
fes Auge erkannte bald, daß es sich um eine Herde Zebras, Grvx-
antilopen oder kleine Grant- und Thomfen-Gazellen handelte, die
in Unmengen die Gegend belebten. Aber er wußte, daß auch manch-
mal englische Patrouillen erschienen, die, gestützt auf die Nachrichten
der Massai, die Gegend abstreiften. Erst kürzlich war ein an einem
Baum auffällig angebrachter Zettel gefunden worden, der den bal-
digen Einbruch des Feindes mit großer Macht und das Zerschlagen
der deutschen Herrschaft mit einem 1,000 Tonnen-Hammer ankündigte.
Für die Massai, reine Steppenbewohner und Viehzüchter, hatte das
wasserarme Land im Norden keine Schrecken. 50 und 80 km
in heißem Sonnenbrände legten die sehnigen Kerle an einem Tage
mit Leichtigkeit zurück und kannten manches in einem Affenbrotbaum
versteckte Wasser. Unsere Patrouillen hatten beobachtet, wie die
zum Erkunden entsandten Massai im englischen Lager sehr freund-
lich aufgenommen wurden. Dort wurde ihnen auch gesagt, was
sie den Deutschen berichten sollten. Jetzt hatte man in der Nähe des
deutschen Lagers auch unbekannte Eingeborene bemerkt. Es galt
aufzupassen.
<£in Europäer kletterte hinauf zum Posten und sah durchs Fern-
glas. Klar hob sich im Norden, fast zwei Tagemärfche ohne Wasser
entfernt, der Gebirgsstock des Longido-Berges schroff in die Höhe,
Die Ostafrikaner
319
dahinter der Lrok, der Lngido, und ganz ganz weit, der Llamaba-
rascha. Da hinten, am Besil-Flüßchen, fünf Tagemärsche entfernt,
war seit Langem das Hauptlager der Engländer. Einzelne Ab-
teilungen waren nach Süden vorgeschoben, und lange Zeit hatte man
auch am Südhange des Longido, am „Schwarzen Stein", die weißen
Zelts in der Sonne leuchten sehen. Dort war das nächste Wasser.
Seit einigen Tagen waren die Zelte nicht mehr festzustellen. Auch
jetzt war dort nichts zu erkennen; aber ein ganz kleines Staubwölk-
chen näherte sich von dort her dem Lager, und bald wurde eine Rei-
terpatrouille erkannt.
Sie ritt allzu harmlos durch die freie Steppe auf unser Lager zu,
es mußten Deutsche sein.
Die Patrouille bestätigte, daß das Wasser am Schwarzen Stein
vom Feinde frei war. Sie brachte eine Büchse mit Torned Bees mit
und einen Zettel: „Dear Fritz, laß es Dir schmecken gut!" Der
Hauptmann erkannte die Wichtigkeit der Meldung, hatten wir den
Schwarzen Stein in der Hand, so war das ein wertvoller Rückhalt
für unsere Fernpatrouillen. Sie brauchten dann Nicht mehr befürchten,
auf den Feind zu stoßen, wenn sie halbverschmachtet nach mehr-
tägigem Patrouillenritt Wasser schöpfen wollten. 'Aber der Feind
konnte auch eine Falle gestellt haben und in der Nähe des Schwarzen
Steins gedeckt im Gebüsch des Berghanges auf der Lauer liegen.
Man durfte keine schwache Abteilung entsenden.
Am nächsten Nachmittag rückte die 8. Feldkompagnie, 50 Ge-
wehre stark, begleitet von einigen Berittenen, unter Oberleutnant
Bauer ab. Am folgenden vormittag bezog sie Lager am Schwarzen
Stein und entsandte ihre Patrouillen weiter nach Norden. Es war
unangenehm, daß die am Berghange angelegten Verschanzungen
der Kompagnie überhöht wurden, war aber nicht zu ändern, ohne
das Wasser preiszugeben.
Schon den Morgen darauf beobachtete der deutsche Posten, wie
sich längs des Berghanges, von Osten her, indische Reiter dem
Lager näherten. Mäuschenstill duckt er sich, bis der Feind heran
ist, dann schießt er. Der Feind hat einige Verluste. Im Lager wird
man aufmerksam, alle Blicke nehmen die Richtung nach den Schüssen.
Da werden auch von der anderen Seite her Staubwolken sichtbar,
eine stärkere feindliche Abteilung hat den Berg westlich umritten und
nähert sich dem Lager.
Die Kompagnie geht in Stellung. Bei den wenigen Gewehren
ist die Besetzung unvollkommen, man liegt mit dem Rücken nach
dem Berge. Da, was ist das? piff, paff, piu, piu schlägt es in die
Kompagnie von rückwärts ein, ziemlich zahlreich. Die Schüsse kom-
men aus den dichten Büschen des Longido-Hanges. Nichts ist zu
sehen. Die Lage ist eklig, die Entfernung kaum 80 Schritte.
Der Feind hatte in der Nacht den Longido-Berg auch von Norden
überklettert und war so von oben her unbemerkt herangekommen.
320
v. Lettow-Vorbeck
Unsere Europäer und Askari deckten sich so gut es ging; Bäume,
Büsche und Klippen gab es genug. Der Wunsch lag nahe, den
berittenen Feind nicht auch noch zu nahe herankommen zu lassen.
Oberveterinär Dr. Huber hob den Karabiner gegen einen
indischen Reiter auf 300 m.
„Bana, in der 8. Kompagnie ist es nicht Mode, einen un-
sicheren Schuß abzugeben; warte bis der Feind näher heran ist!",
hörte er da seinen Nachbar ermahnen.
Erst auf ganz nahe Entfernung schossen die Askari, ganz ruhig,
nur wenn sie ein gutes Ziel hatten. Kaum 30 Patronen im Durch-
schnitt — und dazu das konzentrische Feuer des Feindes. Aber
unsere Leute blieben ruhig und hielten fest, nur ab und zu fiel ein
Schuß.
Umso lebhafter schoß der Feind dahin, woher die Schüsse kamen.
So kam es, daß unbeabsichtigt der Feind vom Berghang auf seinen
Freund in der Ebene schoß und umgekehrt. Auch Maschinengewehr-
feuer erhielten die Znder in der Ebene, und das Feuer wurde immer
stärker.
Da gab der englische Oberst Zolly das Unternehmen auf, zog
seine indischen Lancers zurück und baute ab, ziemlich schnell. Line
deutsche Patrouille verfolgte, so gut es ging.
Nun machte unsere Kompagnie Front nach dem Berge. Das
wohlgezielte Feuer wurde auch dort dem Feinde zu viel, und auch er
riß aus. Bei uns waren 2 Askaris gefallen und wenige verwundet^
unter ihnen Dr. Huber schwer; über ^0 gefallene Feinde wurden
beerdigt. Gern ließ sich der Kommandeur belehren, daß man den
Askari ausschließlich zum ganz ruhigen Schießen erziehen soll; der
Beweis war schlagend gewesen, wertvoller noch als die Beute
an Waffen und Munition war die Steigerung an Selbstvertrauen
und an kriegerischem Stolz, die der Kompagnie dieses Gefecht ein-
brachte.
Nicht immer verliefen diese Grenzscharmützel so glatt.
Die Patrouille des Oberleutnants von Schroetter war zwischen
den englischen Beobachtungen hindurch fünf Tagemärsche weit in
die Steppe gelangt, bis hinter das feindliche Besil-Lager. Die
Maultiere wurden in einer mit Busch bewachsenen Schlucht ver-
steckt, Und die abgesessenen Reiter schlichen sich auf 30 Schritt
an die feindliche Fahrstraße, versteckten sich im hohen Grase und
warteten ab, ob auf der Straße Verkehr stattfinden würde. Einige
kleine Abteilungen wurden vorbeigelassen.
Da wurde beobachtet, daß eine Abteilung, mindestens eine
Kompagnie, aus dem Lager ausrückte und Richtung auf unsere
Patrouille nahm. Nichts rührte sich. Ein Teil des Feindes ging
vorbei, ein Teil aber stieß unmittelbar auf die Unseren. Da, auf drei
Schritte, wurden diese bemerkt.
Die Ostafrikaner
321
Der Schrei, den der Inder ausstieß, zeigte solches Entsetzen, wie
ihn Schroetter nie gehört. Im nächsten Moment waren 9 Inder
gefallen.
Die Lage der Unseren aber wurde bald kritisch. Es zeigte sich,
daß sie auch auf der anderen Seite umstellt waren. Man beobacht
tete, daß die meisten Maultiere fielen, der Rest wild wurde und sich
durch den Wach-Askari nicht halten ließ. So mußte sich die Patrouille
durchschlagen und nun zu Fuß, ohne Verpflegung und ohne jede Aus-
rüstung, den Rückweg antreten. Das war nicht leicht. In der offenen
Steppe war man von den Bergen aus weit zu sehen, und der Feind
hatte Pferde. Ein großer Umweg war unvermeidlich. In einem
Massai-Kraal erhielt die Patrouille Milch und schlachtete eine Ziege;
den Requisitionsschein ließ der Massai, wie ihm geheißen, im eng-
lischen Besil-Lager einlösen.
Beim Weitermarsch wurden junger und Durst unerträglich,
und trotz des Wildreichtums wollte kein Stück zum Schuß kommen.
Endlich gelang es, einen Elefanten zu strecken; da konnte sich jeder
satt essen, aber doch für den Weitermarsch nur wenig mitnehmen.
Länger als fünf Tage dauerte der Rückmarsch, jeder war aufs
Äußerste erschöpft. Der Führer meldete sich dann beim Kommandeur
auf Bahnhof Moschi, dem Endpunkt der Tanga-Bahn. Er aß von
7—l0 Uhr und hatte anschließend nur den einen Wunsch, noch einmal
tüchtig zu essen. Er erhielt, soviel er wollte.
Anr nächsten Tage trat er einen ^tägigen Erholungsurlaub
an. Um 5 Uhr bestieg er den Zug nach gründlichem Frühstück, einen
Korb mit Verpflegung erhielt er mit auf die Reise. Nach einer halben
Stunde, auf Station Kahe an der Pangani-Brücke, brachte ihm die
Frau des Wachhabenden, eines Pflanzers der Umgegend, Kaffee,
Brot, Butter und Eier. Nach einer weiteren halben Stunde das
Gleiche auf Station Lembeni. Dann, auf Station Same, sorgte der
Führer des dortigen Rekrutendepots, der alte Schutztruxpenfeldwebel
Reinhardt, in gleicher Weise für ihn. In Makanja waren Schoko-
lade und prachtvolle Früchte bereit, und in Buiko ließ Betriebsdirek-
tor Kühlwein ein Mittagessen herantragen. Schon nach einer halben
Stunde ein zweites Mittagessen in Mombo, und auch dieses war ge-
rade fertig, sobald der Zug einlief. Da merkte unser Patrouillenmann
doch verrat und drahtete zurück: „Bitte nichts weiter bestellen, ich
kann nicht mehr!"
Alle hatten Spaß an der Verschwörung gehabt und waren gern
bereit gewesen, das Ihrige für einen abgehetzten Patrouillenmann
zu tun. So ergänzten sich Truppe und Hinterland gegenseitig!
Durch diesen Kleinkrieg wuchs die Truppe mehr und mehr in
ihre Aufgabe hinein. Führer traten hervor, Unternehmungslust und
Gefechtsausbildung stiegen immer höher, und bis zum letzten Askari
beseelte alle ein unbändiger soldatischer Stolz. Als der Feind dann
mit großen Massen, uns gewaltig überlegen, erschien, da fand er
». Diekhuth-harrach, Im Leide unbestegt, l. 2t
322
v. Lettow-Vorbeck
einen ebenbürtigen Gegner vor. Auch wir da draußen haben viel
erlebt, was erhebend und auf feine Art groß war.
Zwei Jahre später, vor den übermächtigen Verstärkungen des
Feindes wär unsere kleine Truppe in zähem Ringen nach Süden aus-
gewichen. verschiedene Teile waren abgesprengt worden und hatten
sich ergeben. Aber unerschüttert standen die beiden bsauptgruppen
im Felde: Die eine bei Mahenge und die andere in der Südostecke
des Schutzgebietes, im Bezirk Lindi. Seit Oktober <01? bestand zwischen
beiden keine Verbindung mehr, von Kilwa im Norden, von Lindi
im Osten und von Tunduru im Westen her wurde die Lindi-Gruppe
hart bedrängt; auch im Süden, längs des Rovuma-Flusses, hatte
sich stärkerer Feind zur Absperrung zusammengezogen. 0" einzelnen
wuchtigen Schlägen erlitten die feindlichen Kolonnen schwere Ver-
luste; noch im Oktober war in viertägigem Kampf bei Mahiva eine
den Unseren um das vierfache überlegene Division schwer aeschlagen
worden. Aber immer neue Truppen führte der Feind heran, unaus-
gesetzt erkundeten feine Flieger. Für einen Gefechtstag führte jedes
seiner zahlreichen Geschütze 200 Schuß; soviel wie wir in unseren
gesamten Beständen hatten. Schlimm sah es mit unseren Patronen
aus: noch 20 Schuß für das moderne Gewehr! Alles, was von alter
rauchstarker Munition noch aufgetrieben werden konnte, wurde zu-
sammengekratzt; aber es fehlte an passenden Gewehren. So konnte
immer nur der dritte Teil einer Kompagnie fechten; mit seinen Rauch^-
wolken gab er im Busch den englischen Minenwerfern ein bequemes
Aiel. Dazu die immer enger werdende feindliche Einkreisung. Der
Feind hatte gelernt; es wollte sich zu einem Teilerfolg und zum Er-
beuten von Munition keine Gelegenheit bieten.
Die Verpflegung war nahezu aufgezehrt. Die Truppe war zu
schwach, um die im Lande notgedrungen zerstreut angelegten Maga-
zine gegen Handstreich zu schützen. Eins nach dem andern war dem
Feind in die Hände gefallen oder vernichtet worden. In den wenigen
noch vorhandenen Beständen zeigte sich, daß Insekten die Körner hohl
gefressen hatten, wie sollte die Truppe, die sich mit über s0 000
Soldaten und Nichtkämpfern immer enger zusammendrängte, weiter-
hin verpflegt, wie sollte sie ärztlich versorgt werden? Noch für einen
Monat reichten die Lhininvorräte; das Verbandzeug war ziemlich
restlos aufgebraucht! In der Gegend von Thiwata lag alles, was
an Verpflegung und Material noch vorhanden war. Da lagen auch
die mehr als Tausend Kranken und die Gefangenen.
Die Mahenge-Truppen hatten Weisung, sich heranzuziehen,
vielleicht bot sich bei ihrer Annäherung noch einmal Gelegenheit
zu einem wuchtigen Schlage. Tag auf Tag verrann, sie kamen nicht.
Mitte November waren die feindlichen Kolonnen dicht heran-
gekommen. Im Norden, Westen und Süden von Thiwata bestand-
Die Ostafrikaner
323
Gefechtsfühlung. Das HO. südafrikanische Reiterregiment hatte über
Masassi weit nach Süden herumgegriffen. Das letzte Kesseltreiben
sollte losgehen. In Daressalam packten die englischen Offiziere ihre
Koffer, um zugegen zu sein. Rkit unendlicher Mühe schleppten unsere
Träger die verxflegungslasten ab nach Osten auf Nambindinga zu,
jeden Tag einige Kilometer weiter; in einer Gebirgsschlucht erklomm
ein schmaler Pfad in vierstündigem Auf und Ab die Makonde-Lsoch-
ebene. Langsam wichen auf Nambindinga die einzelnen Abteilungen:
oben auf dem Rande des Makonde-Hochlandes die Abteilung des
Generals Wahle, in der Schlucht der Hauptteil der Schutztruppe.
Der Feind drängte heftig; wir konnten ihm wenig anhaben, wir
hatten ja kaum noch Patronen. Schon drei Tage dauerte das Gefecht,
immer knapper wurde die Munition, nur ungern schossen die Askari
die rauchstarken alten Patronen. Dichter Busch in felsigem Gelände,
vielfach mußte man klettern. Scharfe Felsgrate zwangen zu zeit-
raubendem Einfädeln, immer im Feuer. Minenwerfer und schwere
Geschütze traten beim Feinde in Tätigkeit; es gab unangenehme
Spritzer in den Felsen. Einen jungen Matrosen mit fortgerissener Ge-
sichtshälfte sehe ich noch auf den Felsen liegen und zucken. Lin Über-
raschender Teilangriff, um Patronen zu erbeuten, war nicht möglich.
Dabei knallte und knallte es ununterbrochen. Unsere letzten beiden
von der Königsberg an Land gebrachten HO,5 em-Geschütze, unsere
letzte mit dem Hilfsschiff aus Deutschland gebrachte Feldhaubitze, un-
sere Beutegeschütze hatten den letzten Schuß verschossen und waren
vernichtet worden. Nur noch ein deutsches Gebirgsgefchütz und eine
portugiesische Feldkanone mit ein paar Granaten waren übrig. Es
war klar, so durfte es nicht weitergehen, sonst waren wir am nächsten
Tage ohne Munition und wehrlos inmitten des Feindes. Was war
zu tun?
In dieser Lage durften wir nicht bleiben, wir mußten weiter
marschieren. Das bedingte die Preisgabe unserer Kranken, verwun-
deten und Gefangenen, es bedingte auch die Preisgabe unserer Laza-
rette und eines großen Teiles unserer Verpflegung und Ausrüstung.
Aber auch dann war der Rest der Truppe noch nicht gebrauchsfähig.
Die geringen Mengen von Patronen und Arznei, besonders Chinin,
verlangten gebieterisch eine weitere Einschränkung der Menschenzahl.
Es half nichts: von 800 Europäern konnten nur 300 bleiben; der
Rest mußte zurückgelassen werden. Das war hart. Auch die Zahl
der Askari wurde aus Rücksicht auf die wenigen Patronen einge-
schränkt. Manch braver schwarzer Unteroffizier war unglücklich.
„Ich will nicht zu den Engländern gebracht werden; ich bin ganz
gesund und kann jeden Dienst tun", sagte einer mit einem Lungenschuß
zu mir.
Ls galt, unsere Kriegführung auf eine neue Grundlage zu stellen.
Mit 300 deutschen und H?00 schwarzen Soldaten konnte man sich
auf ein größeres Gefecht nur ausnahmsweise einlassen. Jeder Aus-
21*
324
v. Lettow-Vorbeck
fall traf die schwache Zahl besonders empfindlich. Dafür wuchs
aber die Beweglichkeit und damit die Aussicht, den unbeholfenen
Feind zu schädigen und sich ihm nach Belieben wieder zu entziehen.
Auch der Verlust unserer festen Lazarette und Magazine wies darauf
hin, in Zukunft unsere Kriegführung in ganz anderem Maße be-
weglich zu gestalten als bisher. Es galt, diesen Gedanken zu er-
fassen und auszubauen. Ganz anders noch als bisher mußten
Unternehmungslust und Entschlußfreudigkeit wachgerufen werden:
Wieder mußte einsehen, daß wir von jetzt an allen Bedarf an Muni-
tion, Arznei, Material beim Feinde erbeuten mußten. Das spornte
zum handeln an. Reine rückwärtige Verbindung mehr fesselte uns;
wo wir hielten, waren wir zu krause, vorausgesetzt, daß wir Ver-
pflegung fanden. An letzterer hatten wir noch einen Bestand von
^ Tagen; wir mußten, um diesen zu tragen, ^000 Träger mit-
nehmen. Damit wuchs unsere verpflegungsstärke auf 6000 Köpfe!
Konnte man es wagen, mit dieser großen Zahl loszuziehen in das-
unbekannte Land? würde es möglich sein, sie zusammenzuhalten
und zu verpflegen? Die Aussicht, mit 6000 hungrigen Schwallen
irgendwo in der wüste liegen zu bleiben, war nicht verlockend!
Neue schwere Zweifel.
wohin sollte der weitere Marsch gehen? Auf Verpflegung wär
in deutschem Gebiet kaum noch zu rechnen, und bis zur neuen Ernte
waren es noch vier Monate! Der Blick lenkte sich nach Süden,
über den Novuma, in's portugiesische Gebiet hinein. Der eine
Landeskenner sagte: dort gibt es auf dem Mawia-kfochland viel,
der nächste: es gibt dort gar nichts! Eine Grundlage, auf der man
einen Plan aufbauen konnte, war nicht zu schaffen. In der Gegend
des Lujenda-Flusses hatten unsere Patrouillen vor einem halben
Jahr guten Anbau festgestellt; doch seitdem hatte sich sicherlich viel
verändert.
Aber ein Entschluß mußte gefaßt werden, und zwar sofort.
Das Gefecht ging weiter, die Patronen wurden immer weniger.
Mit allen ihren Teilen im Gefecht, von allen Seiten hart bedrängt,
mußte die Truppe ihre Neuformierung durchführen. Die Kom-
pagnien wählten die Leute aus, die Zurückbleibenden sammelten
sich im Lazarett Nambindinga. Die überflüssigen Waffen wurden
vernichtet, anderes verbrannt. Mancher verlor die ruhige Über-
legung. wichtige, vom Intendanten mit größter Mühe gesammelte
und geschonte Bestände nahmen die Kompagnien ohne Erlaubnis,
fast der gesamte Zucker verschwand auf diese weise. Es war schwer,
die Ordnung aufrecht zu erhalten.
Das Kommando verbrachte die Nacht auf halber Höhe des
Makonde-Anstieges, unter uns lag das letzte Wasser im Maschineni-
gewehrfeuer des Feindes. Tüchtige Europäer, auf die ich gerechnet
hatte, waren am Ende ihrer Kraft angelangt und baten um ihr«
Entlassung. Am nächsten Morgen mußte ich mich von mehreren
Die Vstafrikaner
325
bewährten Führern verabschieden: auch sie mußten zurückbleiben.
Es war recht schwer. Aber der Abzug vollzog sich in Ordnung und
Ruhe; wir marschierten glatt durch eine Lücke der feindlichen Ein-
kreisung, nach dem See von Ritangari, wo wir noch einige Bestände
liegen hatten und unsere Organisation beendeten. Dann weiter nach
Süden über Newala zum Rovuma-Fluß. Der Feind hatte uns ganz
aus dem Auge verloren. Eine vorgelagerte feindliche Reiterabteilung
wurde schnell verjagt, eine Verpflegungskolonne erbeutet. Es gab
einiges wild. So ging es den Rovuma aufwärts.
Die Gegend war verlassen, kaum ein Eingeborener. Aber da,
wo der Lujenda in den Rovuma mündet, war schon im Frieden
à portugiesisches Fort gewesen. Manche Nachrichten deuteten da-
rauf hin, daß auch jetzt dort etwas zu holen wäre.
Nach wenigen Tagen war die Stelle erreicht, der Fluß im
Morgengrauen überschritten, das Portugiesenfort gestürmt, der
Feind, etwa 1(000 Mann, ziemlich restlos aufgerieben, wir hatten
wieder Patronen, Gewehre, Maschinengewehre, Chinin — aus dieser
Verlegenheit waren wir also heraus. Aber wir hatten nur wenig
Verpflegung erbeutet. Und auch den Lujenda aufwärts fanden wir
fast keine Eingeborenendörfer, portugiesische Truppen hatten da
gehaust, und die Bewohner waren geflüchtet. Es gab wenigstens
wild, viel wild. Meilenweit streiften die Jagdpatrouillen der Com-
pagnien. Auch mich trieb die nagende Sorge, Verpflegung zu
schaffen, immer wieder auf die Jagd. Der gepriesene Fischreichtum
der Lujenda ließ Uns im Stich. Aber die Truppe lernte. Verpfle-
gungsverstecke wurden entdeckt, im pori fand man eßbare Früchte
und Kräuter, der Honigvögel führte zu den Stöcken wilder Bienen.
Aber doch war es recht knapp, und es war ein Glück, daß wir auf
Flußpferdherden trafen, die Uns Fleisch und Schmalz lieferten. End-
lich, Ende Dezember, waren wir in dicht besiedeltem Gebiet. Ls
gab Mais, Bananen, Süßkartoffeln, Hirse, Mangos. Auf einer por-
tugiesischen Station hatte der Beamte Schweine und Weinflaschen
zurückgelassen; leider leer.
So kam die große Regenzeit, und wir mußten festsitzen. Aber
wir hatten Verpflegung, Munition und allen anderen Bedarf. Die
Truppe konnte sich von den enormen Strapazen erholen. Auf einer
Missionsstation gefundene englische Zeitungen berichteten über den
deutschen Sieg bei Cambrai. Gottlob, wir hatten nach Monaten
eine Nachricht über die Heimat: Ls stand gut! Auch wir mußten
durchhalten, durften nicht locker lassen, mußten feindliche Kräfte
fesseln.
Manches Auf und Nieder hat die Stimmung der Truppe in
diesen Monaten durchgemacht; aber der Geist blieb gut. was zuerst
unmöglich schien, war geleistet worden. So hob sich auch die
Stimmung.
326
v. Lettow-Vorbeck
fjart war es, daß die Nachricht von der Waffenstreckung un-
serer Mahenge-Truppen eintraf. Sie hatten am Rovuma unsere
Spur gekreuzt, sich dann aber wegen völligen Verpflegungsmangels
ergeben. Line Patrouille von ihnen erreichte uns und berichtete über
den Aug von Mahenge bis zum 'Rovuma. Von einer anderen Ab-
teilung, die mit Sonderauftrag entsandt war, blieb jede Nachricht
aus. Solche Ungewißheit kann auf die Nerven gehen. Aber schließ-
lich fand sich auch diese Abteilung wieder heran, und nun folgte der
Aug unserer Truppe, auf dem sie in unausgesetztem Kleinkriege
feindliche Befestigungen und Lager, Abteilungen und Magazine
überfiel und fortnahm, wo sie überlegenen Feind in verlustreiche
Gefechte verwickelte und dann auswich, ungreifbar, trotz der hundert-
fachen Überlegenheit des Feindes. Alles, was wir brauchten, nmßte
uns der Feind liefern, und er lieferte reichlich.
So ging es bis vor Porto Amelia und bis vor Tuelimane, dann
zurück nach Deutjch-Gstafrika und schließlich hinein nach Rhodesien,
ein kleiner Kaufen alter Soldaten, der nicht daran dachte, klein bei-
zugeben. Bis zum Waffensüllstande glaubten wir, daß die Heimat
standhalten würde.
3ur großen Armee.
Non Franz Schauwscker,
im Felds zuletzt Leutnant d. Ä. im Llsj.-2nf.-Dgt. Nr. 4S.
{jT\er größte Krieg der Welt ist über uns hinweggegangen und
'**' hat uns zu Boden geworfen, aber das deutsche Heer, das Heer
über allen Heeren der Völker und Zeiten, hat er nicht zu Boden
schleudern können. Das Heer ist in die Heimat zurückmarschiert,
besiegt zwar, aber ungeschlagen, im innersten Kerzen unbeugsame
Freiwilligkeit, die wortlos große Last und unerbittliche Pflicht auf
sich nahm und trug.
hinter dem heimkehrenden Heer bleiben die Millionen dev
Toten in zerrissener Erde und schlafen der Nacht entgegen, die sie
erweckt.
Die Nacht fällt herab auf die schlafenden Toten wie
eine stumme Erweckung. Sie steigen aus ihren Gräbern. Manch
einer hat nicht viel Mühe, sich hochzuringen aus der Erde, die auf
ihm liegt. Kaum eine handbreit grasigen Bodens bedeckt ihn.
Andre kämpfen und mühen sich lange Zeit, bis sie auftauchen in
die kühle Nachtluft und in das blasse Licht des runden Mondes.
Tief, tief im Schoß der Erde, in verschütteten Unterständen ruhen
sie, und haushoch lasten die Erdmassen auf ihnen. Aus kahlen
Grabhügeln erheben sich jene; das verwitterte Holzkreuz stürzt um
vor ihrem Emporstieg. Aus der Grundlosigkeit russischer Sümpfe
steigen sie empor; gelben Staub arabischer wüsten schütteln sie
aus den vergilbten Falten mürber Uniformen; Finnlands Erde rieselt
herab von ihren Schultern; Felstrümmer der Karpathen, des Bal«
kan und der Vogesen bröckeln von ihren Leibern; aus den Fluten
der Nordsee und des Kanals, des indischen Gzeans und des Mittel-
meers steigen sie triefend herauf.
von allen Richtungen der Welt kommen sie heran, von
Bergen und aus Tälern, aus Sümpfen und Flüssen, Meeren und
Ebenen, die wie Meere sind. Sie sammeln sich zu langen Zügen
und tiefen Kolonnen, und eine breite Spur bleibt hinter ihren
wandernden Scharen zurück: Spur des Staubes und der Erde,
blinkende Spuren des Schlammes und Wassers und die leuchtende
Spur des Bluts. Wie eines Königsmantels Schleppe ist dieser
glühende Streif ihres Weges.
328
Schauwecker
Ein Schicksal und ein Gedanke vereint sie alle. Bauern und
Studenten gehen Schulter an Schulter, Arbeiter und Söhne der
Fürsten schreiten Seele an Seele, Kaufleute, Schneider, Rechtsan-
wälte und Schmiede marschieren nebeneinander zu den furchtbaren
Schlachtfeldern des großen Krieges. Kein Beruf und kein Stand
der Erde ist, der nicht Tausende zu ihnen gesandt hätte. Adel des
Herzens, Adel der Geburt, Adel des Sinnes ist überall unter ihnen.
Offiziere, Unteroffiziere, Soldaten.
Sie strömen zusammen dorthin, wo die Heimat des Krieges ist,
wo das Land der Entscheidung um die Schicksale der Völker jahre-
lang unter dem dröhnenden Ansturm ihrer Leiber erbebte. Zu
Frankreichs und Belgiens Schlachtfeldern wandern ihre Scharen.
Immer neue kommen heran, unendlich find die Züge der Toten...
Millionen, die Besten des Vaterlandes. Die Felder und Hügel,
Täler und wiesen verschwinden unter den ungeheuren Massen,
die auf ihnen lagern.
Dort hebt einer das fjaupt hinein in den fahlen Glan; des
Mondes. An der Schläfe klebt schwarz das geronnene Blut des
Kugeleinschlags. Neben ihm kauert einer und wiegt die zerschmetterte
Brust und starrt in die blauen Augen eines andern, dem das Spreng--
stück die Beine zerfetzte, daß ihm in Strömen des Bluts das Leben
langsam zerrann. Jener preßt eine bestaubte Hand auf die linke
Seite der Brust, und unter den steifen Fingern schlummert das durch-
bohrte Herz. Am Hügelhang ruht einer, dem zerriß ein Splitter
der Fliegerbombe den Bauch und zermalmte das Leben mit einem
einzigen Tatzenhiebe des Stahls. Und einem geht der Atem schwer
aus der Brust; ihm zerquetschte der Einsturz schwerer Unterstands-
wölbung Lungen und Leber. Zersprungene Schädel umzackt der
blutige Riß der Wunde, seit der schwirrende Zünder ihnen das Haupt
zerbrach. Leere Augen starren, feit das Geschoß die strahlenden
Sonnen des Lichts verlöschte. Gebeugte Rücken krümmen sich, denn
ihnen zerschlug die Granate die Säule des Rückgrats, viele, un-
zählig viele Gefallene lagern und warten, bis ihre Scharen ver-
sammelt sind.
verblichene Uniformen, zermürbte Röcke, durchlöcherte Stiefel,
verbeulte Helme umhüllen ihre Leiber, voll Rost und Erde sind die
Gewehre in ihren schmutzüberkrusteten Händen.
Schrecklich ist ihr Anblick, daß das Herz erbebt und erstarrt
vor ihnen. Aber es ist kein Beben des Grauens, kein versteinert»
des Entsetzens. Zittern des Mitleids rüttelt das Herz, Starrheit der
Ehrfurcht bringt es zu schweigender Ruhe. Lauter als Schrei der
Klage und Anklage ist der Anblick der Toten des Krieges, der ge-
fallenen Besten des Vaterlandes.
Alle Schlachtfelder Frankreichs und Belgiens sind erfüllt von
ihnen, als sie alle versammelt sind für den großen Marsch zu den
Leeren der gefallenen Soldaten aller Zeiten und Völker. . .
Zur großen Armee
329
Kommandos schallen durch die Stille der blassen Nacht.
Sie treten an: Armeen und ihre Abteilungen, Divisionen, Brigaden
und Regimenter, Bataillone und Kompagnien, Batterien, Schwa-
dronen und Matrosen der Flotten und Geschwader. Zahlreich aber
über allen andern sind die Soldaten der Infanterie. Ihre breiten
Schultern haben vor allen andern die Last der Schlachten ertragen.
Unübersehbare Massen der Kompagnien reden davon.
Die Linien der Regimenter stehen. Offiziere vom Leutnant
bis zum General stehen vor den endlosen Fronten. Lautlose Reg-
losigkeit beherrscht die Wucht dieser Massen, die gleich Säulen alle
Ebenen erfüllen, ehern und starr, Mauern um die Grenzen des
Reichs, Stolz des Volkes, schweigender Ruhm des Vaterlandes.
Scharfer Schrei des Kommandos schallt. Knappe Schläge dröh-
nender Schwenkung zur Gruppenkolonne schwingen herum wie Ruck
und Blieb. Ein Schrei des Kommandos macht alle Bewegung
straff und unbeweglich. In neuer Front stehen die Regimenter. Dann
erdröhnt im lockenden Jauchzen der pfeifen und rasselnden Wirbel
der Trommeln der Marsch des Heeres. Der schmetternde Jubel der
Musik stürmt voran wie ein Adler. . .
Hoch über die versinkenden Felder der Vernichtung erhebt sich
der Marsch der Heere in die Lüfte. Me Wolkenzüge ist der Heran-
marsch des Heeres der Toten. Dröhnen und Brausen wogt im
Schritt der Füße, Sturmwind wühlt in den erzenen Klängen der
Musik. Regiment neben Regiment, Kolonne hinter Kolonne, Schwa-
dron an Schwadron, Batterie auf Batterie. Rasseln der Geschütze
grollt. Klirren der Hufe schmettert . . . Über die Städte und Dörfer,
Wälder und Äcker der Heimat, über Deutschland hinweg führt der
Weg. Unendliches Gewimmel füllt alle Räume über den Fluren der
Heimat.
Geschrei und Lärm schlägt herauf zu den Leeren über den
Wolken. Dunst des Brandes schwelt empor. Krach der Geschütze,
Knall der Gewehre schwillt und sticht hoch. Flammen des Hasses
lodern. Der Feind ist als Sieger im Lande und betrachtet lächelnd
den Wirrwarr der Rasenden.
Weltfrieden! donnern die Geschütze. Ewiger Friede! brüllen
die Minen. Völkerverbrüderung! keifen die Maschinengewehre. Liebe
von Mensch zu Mensch! knallen die Gewehre. Arbeiterherrschaft I
dröhnen die Handgranaten. Fort mit Vaterland und dem Reich!
schreien die Revolver. Sie morden die Brüder! Über dem Vater-
land steht der Wahnsinn. Gellend ist das Gelächter seines lippen-
losen Mundes. Grell ist die Glut seiner lidlosen Augen.
Langsamer wird der Marsch der unsichtbaren Heere über den
Wolken All die Augen spähen hinab, all die Ohren lauschen
hinunter zu dem Wirrwarr der Heimat.
Entsetzen faßt sie und würgt jedes wort. Die wunden brechen
auf und beginnen zu schmerzen, heiß und zerreißend wie in der Stunde
830
Schauwecker
des Todes. Die zerschossenen Häupter, die zersetzten Leiber bluten.
Die Lippen pressen sich schmerzlich. Und dann ist Schrei und Stim-
mengewirr in den Lüften, lauter als Toben Des Sturms und Lärm Des
Brudermordes. Viele Worte tönen in diesem Schrei.
„Auf Flanderns Feldern blutete uns das Haupt. Vor Arras
Toren zuckte unsre Brust. Im Kreidestaub der Lhamxagne erstarb
unsers Atems heilige Lust. Tief unter dem Spiel der Wellen ruht
unser Haupt in Schlick, Algen und Sand. In Rußlands Sümpfen
erstickten wir. Hoch aus den Lüften stürzten wir. Der Krach der
Sprengung trug uns himmelan. ... Auf unfern Stirnen strahlt das
heilige Rlal des Todes für das Vaterland."
Klageruf schallt in den Lüften.
„Uns reut der Tod für solch ein Vaterland. Kein Wort, kein
Lied und kein gebogenes Knie, das uns'rer gedenkt!"
Und Anklageruf grollt in den Lüften.
„Heimat, du vergaßest uns. Lngel sind wir, Engel deiner Zu-
kunft!"
Rastlos weiter geht der Marsch, wie er einst rastlos zum Kampf
der Front ging. Vor den Heeren wandelt einer, der im Kampf
der Front bei ihnen war, strahlend, groß, mit glänzendem Antlitz,
vor ihnen wandelt einer, der hat schneeweiße Schwingen und breitet
sie über allen, allen den Toten, der Schutzgeist des Vaterlandes....
Er führt sie sicher, wie er sie einst geführt im Kampf der Front ...
Das Strahlentor des Himmels flammt. Sie marschieren unter
seinem Bogen, der wie ein klingender Gruß ist, und sie treten ein
in lauter Licht und Glanz. ... Schimmernde Scharen drängen sich
ihnen entgegen. Das Volk des Lichtes erwartet sie. Gesang, Jubel
rauscht und schwillt, und sie leuchten in dem Glanz, der um sie ist
wie eine Umarmung.
Am Tor des Himmels steht jener Line, der sie geleitet und
geführt hat. Lr blickt hinab zur Erde, hinab zu dem Lande, das
allen Schmerz alter Wunden erweckt. Und er lächelt, weinen und
Schluchzen ist in seinem Lächeln, Gram und Weh ist in dem Lächeln
seines Mundes. Sein Herz zuckt und bebt. Mitweh, Mitleid zer-
reißt sein Herz, heiliger Grimm bebt im Schlag seines Herzens. Line
Träne des Jammers fällt aus seinen Augen. Dann breitet er die
Schwingen weit, weit wie ein Versprechen des Lichts und schwebt
hinab zu dem Land seiner Heimat.
I. F. Lehmanns Verlag. München. Vaul Heyse-Gtr. 26
Im Felde unbesiegt
Erlebnisse im Weltkrieg, erzählt von Mitkämpfern.
Herausgegeben von General der Infanterie
G. v. Dlckhuth-Harrach
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2 Bimve. Grundpreis geh. je Mk. 5.50, geb. je Mk. 7.50, $ 1.50
II. Banv
Aus dem Inhalt: Eindrücke des Weltkrieges von Generalfeldmarschall v. Macken-
sen. — Kritische Tage an Bord S.M.S. Möwe, von Korv.-Kapt. Graf zu Dohna. —
Aus den Kämpfen südöstlich Przemysl Mai 1915, von Generalmajor Hugo Kerchnawe. —
Die Freiwilligen vor Ipern im Herbst 1914, von Generalmajor a. D. Baumgarten-
Trusius. — An der Somme 1916, von Generalleutn. a. D. Balck. — Die sächs. 24. Inf.-
Div. als Stoßkeil der Armee Below, von Major a. D. Hugo Holthausen. — Streifzüge
in der Sinaiwüste, von Oberst Frhr. Kreß v. Kreßenstein. — Landgeschütz gegen Dread-
nought in den Dardanellen, von Major a. D. Lie rau. — Deutsche Gebirgsartillerie, von
Hauptm. Rüdel. — Das bayer. Res.-Jäger-Batl. Nr. 1 in Rumänien, von Oberstleutn.
Pflüget. — Fesselballons, von Hauptmann Steeg mann. — Die 24er beim Angriff auf
Verdun, von Major Haupt. — Aus dem Kriegstagebuch einer österr.-ungar. Pionier-Feld-
Komp., von Hauptmann a. D. Regele. — Der Mineur von Flandern, von Oberstleutn.
F üß lein. — An der Westfront nichts von Bedeutung, von Oberleutn. Sch urig. —
Gedenke, von Franz Schauwecker.
Das neue Nibelungenlied deutschen Heldenkampses!
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Die hier angegebenen Preise sind Grundpreise, die dem ungefähren Vorkriegs-
preis entsprechen. Sie sind mit der jeweils geltenden, in jeder Buchhandlung
oder beim Verlag zu erfragenden Teuerungszahl zu vervielfachen.
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Aus dem Inhalt: Als Kohlentrimmer von Brasilien, von Eduard Becker. —
Sechs Wochen in Gluthitze und Finsternis unter den Sojabohnen, von Heinrich Koch. —
Bei 50 Grad Hitze unter dem Kessel, von Max Leib. — Als persischer Bettler, von Heinrich
Sachs. — Auf dem Walfischfänger, von Martin Linke. — Durch Schnee und Eis der Anden.
— Im Sodatank, im Kleiderschrank, unter dem Drucklager, im Trockentank und unter den
Kesseln, von Otto Fr ick. — Im Auto durch die Urwaldnacht, von F. Metz n er. — Deutsche
Neger, von Georg Warlich. — Der Fremdenlegionär, von Max Kirsch. — Der Heizkessel
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Aus dem Inhalt: Erster Band: v. Trotha, Mit Scheer auf der Kommando-
brücke. — Prinz Heinrich von Preußen, „Blücher". — v. Waldeyer-Hartz, Vor
Antwerpen. — Looks, Maschinenpersonal in der Skagerrakschlacht. — Meurer, Be-
freiung Finnlands. — Kinzel, Die schweren Marinegeschütze. — Steinbrink, IJC 65
im engl. Kanal. — Schiwig, Der letzte Kampf S. M. S. „Leipzig." — Lützow, Ver-
senkung der „Lusitania". — Zenne, Die letzten Stunden S. M. S. „Wiesbaden". —
Prinz Sigismund v. Preußen, U-Boot gegen U-Boot. — Moll, Flieger-Erlebnisse.
— Boehmer, Skapa Flow. — Admiral Scheer, Schlußwort.
Zweiter Band: Gadow, Der erste Waffengang. — Kapitänleutnant v. Tirpitz,
Der Untergang der Mainz. — f Oberleutnant z. S. Ziegner, Eine II-Bootfalle. —
O. Wulff, Donaukämpfe. — Rolin, „Baden". — Schön, Weddigens erster Sieg. —
Rebeur-Paschwitz, Goeben und Breslau im letzten Kriegsjahr. — Chr. Linhard,
Als rechter Flügelmann der Westfront. — Minensuchfahrten in der Nordsee. — Dr. Fritz
Müller, Fliegererlebnisse aus der Nordsee. —- Neumann, Mit DO 67 im Mittelmeer.
— Gebeschuß, Der letzte Kampf S. M. S. Blücher. — Fränzel, Letzte Fahrt von
„D 153". — Lencz, Graf von Spee und sein Geschwader. — Graßmann, Die brave
alte Augsburg. — Dr. zur Verth, Auf meinem Lazarettschiff. — Dr. Firle, Meine erste
Kriegsfahrt nach Odessa. — Glüer, Eroberung der baltischen Inseln. — Dr. Eichholtz,
Bei Gibraltar.
Stunden stolzer Erinnerung, wehmütiger Andacht, neuer Hoffnung gab mir das Lesen
dieses Buches, dem ich Fortsetzung in diesem Sinne wünschen möchte. Zur heiligen Pflicht
wird es uns gemacht, diesen Geist des Opfermutes, der Kühnheit, der Entschlossenheit und
der Treue wachzuhalten, damit diese Helden uns ein Ansporn werden, an der Mitarbeit
zum Aufbau und zur Befreiung unseres darniederliegenden Vaterlandes nicht nachzulassen.
Die Erinnerung an jene stolzen Tage, als die deutsche Flotte der meerbeherrschenden eng-
lischen die Herrschaft streitig machte, als der deutsche Seemannsgeist Leistungen vollbrachte,
die die Welt in Zittern und Staunen, in Ehrfurcht und Begeisterung versetzte, läßt mir die
Hoffnung auf bessere Zeiten nicht rauben. Deutsche Mar ine-Zeitung.
Das ganze Buch zeugt von dem Geist treuester Pflichterfüllung, abenteuerlichen Er-
lebens, innigster Kameradschaft und entsagenden Opfermutes bis zum bitteren Ende. Hier
haben wir ein Volksbuch, das vor allem der deutschen Jugend Aufmunterung zu vater-
ländischem Handeln gibt. Essener Allgemeine Zeitung.
Taschenbuch der Kriegsflotten
XXI. Jahrgang 1923, herausgeg. v. Korv.-Kap. a. D. 33. Weyer
mit etwa 360 Schiffsbildern, Skizzen und 2 farbigen Flaggentafeln.
Grundpreis geb. etwa M. 8.—, $ 2.—.
Für das Ausland mit hohem Geldstand gelten die angegebenen Dollarpreise.
1 Dollar — 5 schw. Erk. — 2% holl. Gulden — 3,50 schwed. Kronen = 12% Lire
— 15 tschech. Kronen = 4 sh. 3 p. England und Kolonien.
A. A. Lehmanns Verlag. München. Vavl Hegfe-Gtr. 26
Deutschlands Heldenkampf
Der Weltkrieg 1914/18.
Von General der Kavallerie Friedrich v. Bernhard!
Mit 100 Kartenskizzen. — Grundpreis geh. Mk. 6.—, geb. Mk. 9.—, tz 3.—.
Die Darstellung erstreckt sich auf alle Kriegsschauplätze, berücksichtigt auch den Welt-
krieg und die Einwirkung der Politik. Sie ist in ihrer knappen Art ein Meisterwerk, wie
sie nur hohes schriftstellerisches und soldatisches Können, das in gleichem Maße dem Ge-
neral der Kavallerie v. Bernhardi zur Verfügung steht, zu vollbringen vermochte.
General d. Inf. Frhr. v. Frey tag-Loring Hoven.
Die große Kunst der Darstellung liegt hier in der absoluten Vollständigkeit aller
Ereignisse der fünf langen Kriegsjahre auf den getrennten und so verschiedenartigen Kriegs-
schauplätzen und daneben in der gediegen sachlichen und unerschrockenen Kritik in politischer
wie militärischer Beziehung. (Breisgauer Zeitung.)
Deutschlands Heldenkampf verdient ein Volksbuch zu werden. b Xylander
Es ist das Buch eines Mannes. Ein kerndeutsches, ein mutiges, ein kluges Buch.
(Hamburger Tageblatt.)
Die GffhierShehe
als politisches Kampfmittel und Kulturerscheinung
Von Oberstleutnant a. D. G. %.Boehm. Grundpreis geh. Mk. 1.80, $ 0.40.
Ein dankbares Feld der Betätigung für die berufsmäßigen Hetzer bieten die Führer
Deutschlands im Weltkrieg. Böhm gibt zahlreiche lehrreiche Beispiele ihrer hinterhältigen
Kampfesweise, die jedem Deutschen das Blut vor Empörung kochen lassen und die
hoffentlich noch manchem deutschen Michel zeigen werden, in welch' schändlicher Gesellschaft
er sich befand, wenn er sich den Schimpfereien über unsere Offiziere kritiklos anschloß.
Zeitschrift des Nationalverbandes Deutscher Offiziere.
Die österr.'llng. Kriegsmarine im Weltkrieg
Von Konter-Admiral a. D. Th. Winterhalöer. Grundpreis geheftet Mk. —.80, $ 0.20.
Die Arsachen unserer Niederlage
Erlnaernnaen und Arteile aus dem Weltkriege. Bon Gen. d. Inf. Alfr. Kraust. Wien
3. durchgesehene Aufl. Gruudpr. geh. Mk. 5.—, geb. Mk. 8.—, $ 1.30.
Generalfelömarschall
v. Mackensen
Don Bukarest bis Saloniki
Ein Beitrag zur deutschen Gegenliste, der die hinterhältige Rachsucht, den kleinlichen Haß
und den heimtückischen Verrat der Franzosen an unserem hochverdienten Heerführer deutlich zeigt.
Auf Grund eigenen Erlebens und amtlicher Quellen
herausgegeben von Max Luyken, Hauptmann beim
Stabe des Armeeoberkommandos. Mit 1 Bildnis.
Grundpreis geheftet Mk. 2.—, $ 0,25.
Die hier angegebenen Preise sind Grundpreise, die dem ungefähren Vorkriegs-
preis entsprechen. Sie sind mit der jeweils geltenden, in jeder Buchhandlung
oder beim Verlag zu erfragenden Teuerungszahl zu vervielfachen.
A. U. Lehmanns Verlag. München. Vaul Heyfe-Gtr. 26
Der Massenmord in der •«{«>«•
mmänifchen Gefangenenhölle Gipste geh" m!'-so, ß"o.io
^^as Erschütterndste, was bisher an Gefangenenschicksalen berichtet wurde, ist hier geschildert.
Von 17000 deutschen und österreichischen Gefangenen verließen nur 4000 lebend diese
Hölle, in denen ihre Kameraden unter furchtbarsten Qualen zu Tode gemartert wurden.
An französischer Gefangenschaft «53Äe® aff
Urteil eines Neutralen über die schmähliche Behandlung deutscher Gefangener in' Frankreich.
Vier Jahre in russischen Ketten
Eigene Erlebnisse / Von Helene Soerschelmann
Grundpreis geheftet Mk. 1.75, geb. Mk. 3.25, tz 0.60.
3n atemloser Spannung verfolgen wir den Weg der Verfasserin durch Moskaus Spitäler
und Amtsstuben, ins Gefängnis und auf der Flucht zu den deutschen Stellungen. Durch
all diese abenteuerlichen Schilderungen aber leuchtet immer die erhebende und begeisternde,
alles hintansetzende Liebe der Verfasserin zu den deutschen Brüdern und der alten Heimat.
Die stillen Leiden der armen deutschen Kriegsgefangenen, wie die aufopfernde Liebe der
baltischen Helferinnen ergreifen jedes Herz in gleicher Weise.
Warum ich aus Ser Auslieserungsliste stehe?
Von vr. phil. Ernst Zahn. Grundpreis Mk. —.80, $ 0.30.
Das Werk geht noch weit über das Persönliche hinaus. Es macht uns die wahren
Gründe der feindlichen Auslieferungsforderung klar, die darauf hinarbeitet, uns völlig zu
vernichten, indem sie unsere besten Leute, die während des Krieges treu dem Vaterland
gedient haben, unschädlich machen will. Deutschland soll seine eigenen Söhne als Ver-
brecher verurteilen, um ehrlos und wehrlos vor aller Welt gebrandmarkt dazustehen.
Die weltpolitischen Kräfte der Gegenwart
Von Ernst Berg. — Grundpreis geh. Mk. —.80, $ 0.25.
Sklaven des internationalen Geldgötzen oder freie Herren im eigenen Land? Lese
jeder diese Schrift, in der der Verfasser die „hohe Politik" der Gegenwart als infames
Börsenspiel einiger „Allgewaltiger" aufdeckt, für die die Völker die Ware und die Regie-
rungen der einzelnen Staaten die willenlosen Werkzeuge sind.
Der Zusammenbruch Ser österreichisch-
ungarischen Wehrmacht im Herbst MS
Dargestellt nach Akten des k. u.k. Armeeoberkommandos u. anderen amtl. Quellen
von Generalmaj.d.R.H.Kerchnawe(Wien).— Grundpr. geh.Mk.3.—, geb. Mk. 5.—, $ 0.90.
Das Buch bringt sachlich und unparteiisch die in den Akten der österreichisch-ungarischen
Heeresleitung enthaltenen amtlichen Meldungen, Berichte und Befehle. Es ergänzt sie
durch diplomatische Aktenstücke, Pressestimmen und Parlamentsberichte.
Für das Ausland mit hohem Geldstand gelten die angegebenen Dollarpreise.
1 Dollar — 5 schw. Frk. — 2% holl. Gulden — 3,50 schwed. Kronen — 12% Lire
= 15 tschech. Kronen — 4 sh. 3 p. England und Kolonien.
A. A. Lehmanns Verlag. München. Daul Seyse-Gtr. W
Rassenkunöe des deutschen Volkes
Von Dr. Gans Günther
Mit 409 Abbildungen und 8 Karten. Grundpreis geh. Mk. 10.—, geb. Mk. 13.—, $ 2.—.
Aus dem Inhalt: Die Rassenkunde u. d. allgemeine Bildung. — Der Begriff
Rasse. — Geschichte d. Rassenkunde. — Benennungen d. vier europ. Rassen. — Die körperl.
Merkmale d. nordischen, Westischen (mittelländischen), ostischen (alpinen) u. dinarischen Rasse.
— Die seelischen Eigenschaften der vier Rassen. — Die Verteilung d. Rassen. — Umwelt-
einflüsse, Vererbungserscheinungen. — Vorgeschichtliche Rassenerscheinungen. — Rasse und
Sprache. — Anhang: Rassenkunde des jüdischen Volkes.
erste Buch, das in streng wissenschaftlicher und dabei doch volkstümlicher Weise das Raffenproblem
behandelt. Alle auf dem Boden des Deutschen Reiches lebhaften Raffen sind nach Ursprung und Verbreitung,
geistiger, körperlicher und wirtschaftlicher Veranlagung eingehend geschildert. Durch prächtige Abbildungen
werden die Rassenmerkmale zur Darstellung gebracht.
Ritter, Tod und Teufel
Der heldische Gedanke. Von Dr. Sans Günther
Grundpreis geh. Mk. 3.—, geb. Mk. 5.—, $ 0.90.
Wie ein altes Skaldenlied — oder besser noch: wie eine wachrüttelnde Faust, ist der
Inhalt dieses Buches. Münch en--Augsb.-Abendztg.)
Man atmet die frische, reine Luft völkischer Kraft und Daseinsbejahung, wenn man
Günthers oft wuchtig und begeistert hinströmende Ausführungen auf sich wirken läßt. Aus
den stickigen Niederungen moderner Massenpsychose führt der Verfasser mit der sicheren Hand
des Geschichts- und Kulturkundigen und des Völkerpsychologen hinauf auf die sonnigen,
strahlenden Höhen heldischen Volkstums. (Dresdner Nachrichten.)
Germanische Götter u. Helden
kn christlicher Zeit
Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der deutschen Geistesform
Mit 140 Abbildungen. Von Dr. phil. E. Jung
Grundpreis geh. Mk. 7.—, geb. in Halbleinen Mk. 10.—, in Ganzleinen Mk. 12.—, H 3.—.
. . . Ein wahrer Leckerbissen für Altertumskenner, für geschichtliche Feinschmecker, ein
pikantes Gericht für vergleichende Religionsforscher. Viel davon war ja schon bekannt^
aber in dieser Vollständigkeit, in dieser Zusammenfassung des zerstreuten, weit entlegenen
Stoffes haben sich diese Erscheinungen kaum einmal dem Auge dargestellt, und sie wirken
denn auch überraschend, verblüffend, beinahe überwältigend . . .
G. Grupp-Maihingen (Augsburger Postzeitung).
Die hier angegebenen Preise sind Grundpreise, die dem ungefähren Vorkriegs-
preis entsprechen. Sie sind mit der jeweils geltenden, in jeder Buchhandlung
oder beim Verlag zu erfragenden Teuerungszahl zu vervielfachen.
A. A. Lehmanns Verlag. München, Vaul Hegse-Gtr. 2S
Deutschlands Erneuerung
Monatsschrift für das deutsche Volk
Herausgegeben von: Geh. Hofrat G. von Below, H. St. Chamberlain, H. Claß,
Prof. R. Geyer-Wien, Geh.-Rat M. v. Grub er, Prof. Erich Jung, Dr. Erich Kühn,
Prof. Dr. Dietrich Schäfer, Reg.-Präs. a. D. v. Schwerin, Geh.-Rat Prof. N. Seeberg.
Schristleitung: Dr. Erich Kühn.
Die vier Hauptziele von Deutschlands Erneuerung:
Geistiger und staatlicher Aufbau des Deutschtums
Los vom raffenfremden Internationalismus
Für die Vereinigung aller Deutschen
Befreiung vom Marxismus
Bezugspreis wird heftweise festgesetzt. Grundpreis etwa 0.60 Mk. das Heft.
Einige Urteile über Deutschlands Erneuerung:
„Aus allen Heften spricht Überzeugung zu den Lesern, nicht Phrasendrusch oder ähnliches.
Tiefempfundene Darlegungen aus allen Wissensgebieten deutschen Geistes zeigen die Reich-
haltigkeit der Zeitschrift .... Deutschlands Erneuerung ist ein großes Vorbild für alle
deutschen Zeitschriften.......Es gilt die ... . tätige Mithilfe für deutschen Geist und
deutsche Wesensart." Deutsche Zeitung, Berlin.
Die Monatsschrift „D. E." halte ich für die gegenwärtig beste, zielsicherste und zuver-
lässigste Leiterin zu einer klaren, gesicherten, deutschen Zukunft. Prof. G.
Wege ;ur politischen Macht
Von Prof. Dr. H. Freiherrn v. Liebkg
Grundpreis geheftet Mk. 2.—, gebunden Mk. 3.50, tz 0.65.
Ein hervorragendes Buch, das allen, denen die Gesundung und Wiederaufrichtuug
unseres deutschen Volkes am Herzen liegt, nicht genug empfohlen werden kann.
(Kampfbund zur Brechung der Zinsknechtschaft.)
Die Politik Bethmann Hollwegs
Von Professor Dr. Freiherrn v. Kiebig.
Das L-System vor und nach dem Kriege. Grundpr. geh. Mk. 5—, geb. Mk. 7.—, H 0.90.
......das geleseuste politische Werk Deutschlands. Bethmann Hollweg hat von ihm
gesagt, es habe auf ihn gewirkt, als habe ihn jemand mit einem Hammer auf den Kopf
geschlagen. Kurz nach seinem Erscheinen rief es eine Verschärfung der Zensurbestimmungen
hervor. (Weimarer Anzeiger.)
Der Betrug am deutschen Volt
Von Prof. Dr. Freiherrn v. Liebig. — Grundpreis geh. Mk. 4.—, geb. Mk. 6.—, $ 1.10.
. . . Die Zeit wird kommen, die v. Liebigs Schriften neben denen eines Fichte,
Treitschke und Bismarck nennen muß, als leider im Brausen der Zeit ungehört verhallte
Warnungsrufe eines treu vaterländisch gesinnten und stets klarblickenden Mannes.
(Deutschvölkische Blättech.
Die hier angegebenen Preise sind Grundpreise, die dem ungefähren Vorkriegs-
preis entsprechen. Sie sind mit der jeweils geltenden, in jeder Buchhandlung
oder beim Verlag zu erfragenden Teuerungszahl zu vervielfachen.
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