Im Uelde unbesiegt
Erlebnisse im Weltkrieg
erzählt von Mitkämpfern
Dritter Band
Oesterreich
Herausgegeben von
Hugo Kerchnawe
Generalmajor d. D.
Mit 22 Dildnijjen
% % Lehmanns Derlag- München
1923.
Urheber und Verleger behalten sich alle Rechte,
insbesondere das der Übersetzung vor.
Copyright 1923, J. F. Lehmann, München.
\ $/j? ö
Druck von Dr. F. P. Datterer L Cie., Freising.
Vorwort
Cpetne schönere und ehrendere Aufgabe hätte mir zuteil werden
können, als die, dieses Buch herausgeben und so zum Nach-
rühme jenes Heeres beitragen zu dürfen, das seit den trüben No-
vembertagen des Jahres W8 der Geschichte angehört, der ehe-
maligen österreich-ungarischen Wehrmacht. Die Nachfolgerin des
alten „kaiserlichen" Heeres der Kaiser des heiligen römischen Reiches
deutscher Nation, das im Süden und Osten Europas immer und
überall kurzweg die „Deutschen" hieß, war eine deutsche Schöpfung,
auch im Weltkriege war sie zum überwiegenden Teile (über 70°/o)
von deutschen Offizieren geführt, in deutscher Gesinnung erzogen
und von deutschem Soldatengeist erfüllt.
In den ersten Anfängen zartester Kindheit spielte bei mir
dieses alte, waffenstolze und dabei doch so bescheidene Heer die
größte, alles andere überdunkelnde Rolle, jenes Heer, dem an-
zugehören der Traum des Knaben, die Hoffnung des Jünglings,
der Stolz und die größte, alles andere überwiegende Ciefce des
Alarmes war. Den Zusammenbruch dieser Armee zu erleben, war
mir die schwerste Enttäuschung am Schlüsse einer ehrenvollen
Laufbahn.
wenn etwas geeignet gewesen war, mir über diese schwere
Zeit hinwegzuhelfen, so war es die Hoffnung, die mit diesem'Buche
teilweise in Erfüllung gehen soll, die Hoffnung, jenem Heere, für
dessen Ausbau und für dessen Zukunft ich in früherer Zeit mehr
als einmal mein ganzes Sein aufs Spiel gesetzt hatte, ein Denkmal
setzen zu können. Ich hoffte, beitragen zu dürfen, die ungeheuere
Ehrenschuld zu tilgen, welche eine undankbare Mitwelt und eine
— vorderhand noch — undankbare Nachwelt einem Heere gegen-
über auf sich geladen, welches an Treue zu Kriegsherr und Heimat
und an Opfermut wohl jedem anderen Heere gleichkam, an be-
scheidener Selbstlosigkeit aber sicher unübertroffen war.
4
Vorwort
Ich glaube im Namen aller, welche diesem Heere einst mit
Stolz angehört haben, dem völkischen Verleger dafür Dank sagen
zu dürfen, daß er, obwohl Nichtösterreicher, in der heutigen Zeit den
Wagemut aufgebracht hat, dieses Buch herausgeben zu lassen und
so einen Teil der Ehrenschuld der engeren alten Heimat zu tilgen.
Der zur Verfügung stehende Raum und die verhältnismäßige
Kürze' der verfügbar gewesenen Zeit hat es hier ebenso wie beim
deutschen Heere unmöglich gemacht, auch nur einigermaßen all der
historisch gewordenen Regimenter zu gedenken, welche in diesem
letzten Kampfe des alten Heeres neben jungen Truppenteilen und
Neuformationen, ja neben den nie für den Feldkrieg bestimmten
Abteilungen ungedienten Landsturmes frische Lorbeerreiser um die
alten Fahnen schlangen. Nicht einmal alle Truppenteile des heutigen
winzigen Österreichs konnten zum Worte kommen; und viele, die
heute nicht mehr österreichisch heißen dürfen, waren nicht minder
deutsche Truppen als diese und nicht minder brav, ja auch die
allermeisten nichtdeutschen Truppenteile haben sich ihrer Vergangen-
heit würdig gezeigt.
Trotzdem hoffe ich, daß diese Blätter ein ganz zutreffender Aus-
schnitt aus der Geschichte jenes Heeres sind, welches in Galizien
und an der Grenze des preußischen Schlesiens die russische Dampf-
walze zum Stehen gebracht, das im harten Karpathenwinter die
russische Übermacht an seiner Front verbluten sah, das zweimal
Belgrad eroberte, den anfangs achtmal stärkeren Welschen in zwölf
blutigen Isonzoschlachten mit blutigem Kopfe heimschickte, die Felsen-
festung Montenegro und das fieberglühende Albanien bezwang und
im Vereine mit dem deutschen Heere Gorlice, Svistov, Hermannstadt,
Zloczow, Flitsch, Karfreit und noch viele andere Namen auf seine
Fahnen schreiben durfte. Neben dem Führer und Feldherrn kommt
der Mann in Reih und Glied, neben dem Vertreter altberühmter
und altbewährter Regimenter der schlichte Vertreter gedienten wie
ungedienten Landsturmes zum Worte. Sie alle zeigen, welch gute,
unverwüstliche Soldaten die Reihen der Armee füllten, die mit
ihrem Blute die Versäumnisse von Politikergenerationen und von
Regierungen, die diesen Namen nicht verdienten, gut inachten.
An der Wehrmacht lag es wahrhaftig nicht, daß der Krieg so endete.
Nicht wie in anderen, glücklicheren und weitblickender regierten
Staaten war dieses Heer der verhätschelte Liebling von Regent
Vorwort
5
und Volk. Nein, ein stummes, aber stets dienst- und hilfsbereites
Aschenbrödel, das man, wenn es seine Pflicht getan, glaubte ruhig in
die Tcke stellen zu dürfen, um es dort zu vergessen. Wie immer,
so war es auch diesesmal. Jubelnd zog das Heer aus in schim-
mernden Reihen, als es nach langer tatenloser Friedenszeit sein
Kaiser aufrief in der Stunde der Gefahr. Opferfreudig und
selbstlos tat es in viereinhalb Jahren seine schwere Pflicht und
stumm, klaglos und nur zu gehorsam verschwand es vom Schau-
platz, als es sein schwach gewordener letzter Kriegsherr mit einer
zagen Geste entließ ....
Über das alte Österreich hat Klio ihr Buch geschlossen. Die
Zukunft wird erweisen, ob es wirklich nur ein „unglaubliches, zu-
sammengeheiratetes Staatswesen" war oder ob es nicht doch höhere
Notwendigkeiten waren, welche die heute „befreiten" Nationen jahr-
hundertelang unter deutscher Führung und unter deutschem Schutze
zusammengeschweißt hatten, ob die befreiten Nationen nicht diese
Führung und diesen Schutz dringend notwendig hatten, im Gegen-
satz zu jenem Teil des deutschen 70-Rkillionenvolkes, welcher unter
schweren Opfern Kern und Kitt dieses angeblichen Zwangsstaates
gewesen war.
Was aber die Zukunft nicht erst zu erweisen braucht, ist: daß
Österreich-Ungarns tapferes Heer auch in diesem, seinem letzten
Kampfe seine Pflicht getreu bis zum bitteren Ende erfüllt hat,
würdig seiner viel hundert Jahre alten ehrenvollen Geschichte.
Grein a. d. D., im August $22.
Der Herausgeber.
Inhalt.
Seite
Vorwort........................................................... 3
Ausgezogen in schimmernden Reih'n. von Leutnant i. d. R. vr.
Walther Neuwirth des Festungsartillerie-Regiments Nr. 2 . . . 8
Die österreichischen weißen Dragoner im Reitergefecht bei
Jaroslawice am 2 i. August * 9 l 4. von Generalmajor d. R.
Alfred Brosch vonFohraheim, in den Jahren *9*4— *9*7 Kom-
mandant des k. u. k. Dragoner-Regiments Nr. *5.................... 9
Aus dem Ehrenbuchs der „Schwarzen Hessen", oberösterr. Jnf.-
Rgt. „Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein" Nr. *4.
von Major a. D. Karl v. Kenzian, damals Leutnannt und Kom-
mandant der 8. Feld-Kompagnie, und Oberst Heinrich Sauer, im
Felde als Hauptmann und Major, Kommandant des 2. Feldbataillons 29
Komarow. (26. August bis 2. Sept. *9*4). von Kriegs minister a. D.
Moritz v. Auffenberg-Komarow, damals Kommdt. der 4. Armee 39
„wiener Edelknaben" mit der preußischen Garde bei Zarki.
(Nov. bis Dez. *9*4). von Oberst Josef Waldstätten-Zipperer,
damals Kommandant des III. Bataillons des k. u. k. Infanterieregiments
Hoch- und Deutschmeister Nr. 4.................................... 49
Die Grazer 6. Infanterie-Division in den Schlachten um
Lemberg. (26. bis 30. August und 8. bis **. Sept. *9*4). Von Oberst-
leutnant Chlodwig Schwarzleitner-Domonkos, damals Oberleut-
nant und Brigade-Generalstabsoffizier der k. u. k. **. Jnfanteriebrigade 55
von der Drina in das Herz Serbiens (*9*4). von Oberstleutnant
Waller Adam, damals Hauptmann und Generalstabsoffizier der
*4. kombinierten Gebirgsbrigade................................... 70
Die österreichisch-ungarische z. Infanteriedivision in der
Schlacht bei Limanowa-Lapanow im Dezember *914. von
Generaloberst Josef Frh. von Roth-Limanowa, damaligen Kom-
mandanten des österreichisch-ungarischen XIV. Korps.................... 85
Ein Nachtgefecht in den waldkarpathen, ein Erlebnis aus den
Kämpfen des IV. Bataillons des k. u. k. kärntnerischen Infanterieregiments
Graf von KhevenhillerNr. 7 (22. November *9*4)- von Oberst Gustav
Bartels-Bartberg, damals Hauptmann und Kompagniekommandant
in diesem Regimente........................................ 97
Um Stanislau. (Am 20. und 2*. Februar *9*5). von Generalmajor
Emil Greg er von Stirbul, damals Oberst und Kommandant des
k. u. k. Infanterieregiments Nr. 52 Erzherzog Friedrich....*04
Blätter aus demRnhmeskranze des k. u.k. st eirischen Infan-
terieregiments Graf von Beck Nr. 47. von Oberstleutnant
LudwigFrh. v. Vogelfang, damals Hauptmann und Kommandant
der 7. Kompagnie........................................... *23
Die österreichisch-ungarische „Edelweiß "-Division in der
Durchbruchsschlacht bei Tarnow-Gorlice am 2—3. Mai
*9*5. von Oberst des Generalstabskorps Eduard primavesi, da-
mals Oberstleutnant und Generalstabschef der 3. Infanterie-Division . *30
Inhalt.
7
Der Durchbruch bei Gorlice-Tarnow. von Generaloberst Arthur 5cte
Baron Arz v. Straußenberg, damals Kommandant des 6. Korps *37
Das Landesschützenregiment Nr. I in der 2. Isonzoschlacht.
von Oberstleutnant Ferdinand von Lützow, damals Hauptmann
und Kommandant des IU. Bataillons.................................*40
P i a v a *9*5. von Major Dr. RudolfvonIedina, damals Hauptmann
im bosnisch-herzegowinischen Infanterieregiment Nr. 2.............*5*
vor Belgrad * 9 * 5. von Oberst a. D. Anatol Mettelet, damals
Oberstleutnant und Kommandant des selbständigen III. Bataillons des
k. u. k. Infanterieregiments Nr. 74 und Kommandant der ersten Über-
schiffungsstaffel................................................ *56
Aus der Geschichte eines Land sturm-„Etappen"-Bataillons,
von Landsturm-Oberleutnant OttokarStauffv. d. March, im Felde
Zugs- u. Kompagniekommandant im k. k. Landsturmbataillon, Nr. 4* *76
Einiges vom wiener Landsturm, von KarlFriedrich Eachöe,
im Felde Feldwebel im k. k. Landsturmregiment Wien Nr. * . . . . *89
Ein Sieg der Treue. Das wiener k. k. Schützenregiment Nr. 1 in der
Schlacht bei Olyka, Juni *9*6. von Oberleutnant a. D. August
Angenetter................................................... . *97
K ärntner Gebirgsschützen in Galizien und venetien. Über
die piave bei Zenson am *2. November *9*7. von Major Josef
Gerstmann, im Alpenjägerregiment Kärnten Nr. **. — Gefecht bei
Molotkow (August *9*6). von Oberstleutnant Willibald Perko 209
„Sturmbatterie Petrovics". Line Kriegserinnerung aus Albanien,
von Oberst a. D. Diving. G. veith, damals Kommandant des Geb.-
Art.-Regts. Nr. *9 (später Nr. 5).............................22*
Orsova und Rjahov 0. (Aus der Geschichte der österreich-ungarischen
Donauflottille im Weltkriege), von Linienschiffskapitän d. R. Olaf
Wulff, damals Korvettenkapitän und Kommandant von S.M.S. „Temes"
und der I. Monitorgruppe......................................247
S. M. S. „Novara" unter Linienschiffskapitän Nikolaus Hort Hy de
NagybLnya im Seegefechte in der Straße von Otranto am *5. Mai *9*7.
von einem Seeoffizier.............................................256
„Belgien"-Infant eri e in der Iunischlacht *9*7 auf derHoch-
fläche der Sieben Gemeinden, von Oberst d. R. Hermann
Fröhlich, damals Major und Kommandant des 3. Bataillons des
Inf-Rats. 27......................................................26*
Eine alte Mörserbatterie. Am Karst bis zur *2. Isonzoschlacht.
(Spätherbst *9*7). von Dr. walther Neuwirth, Leutnant i. d. R.,
damals Feuerleitender d. k. u. k. *5 em-Mörser-Batterie (M. 80) 27/9 B . 273
vom stillenHeldentum eines Volkes, von Oberstleutnant Rud 0lf
pfersmann von Eichthal, damals k. u. k. Major und General-
stabschef der Tiroler Landesverteidigung..........................282
Muatterl, tua's Tüachl 'nein! von Oblt. i. d. R. des k. k. Inf.-Rgts.
Nr. *4 Karl Dankwart Zwerger......................................295
Nur dieses nicht, von Oblt. i. d. R. Karl Dankwart Zwerger 296
„Ausgezogen in schimmernden Reih'n."
Von Leutnant i. d. R. Dr. Walther Neuwirth
des 8estungsartillerie-Regiments Nr. 2.
Ausgezogen Ln schimmernden Reih'n
Mit klingendem Spiel-
Kameraden von einst- viel treue wandergefahrten !
weit verstreut
Ist eurer Leichen endlose Zahl-
Kameraden von einst! An ein Glück-
An bessere Tage
Haben wir alle geglaubt.
Noch klingt im Ohr mir die muntere weije-
Noch dröhnt im Ohr mir der taktharte Schritt-
Noch seh ich das winken der flatternden 8ahnen.
Noch hör ich den Iubel der taumelnden Menge.
Noch seh ich die Tranen von Mutter und Kind.
Das Zeitrad rollt . . . geschwind- geschwind!
Und die Heimat sie wartet auf männliche Tat.
Die Erde hat sich mit Toten geweiht
Und im Sturmschritt marschiert eine neue Zeit.
Eine Zeit- die den Götzen Gold stürzen will-
Die Güter der Erde verteilen will.
Ein lachender 8riede nach mordendem Kampf
Soll einziehn
In jedes Menschenherz!
Der Segen der Arbeit
Nach vereinender Tat soll einziehn
In jede Menschenbrust.
Noch seh ich die Tranen von Mutter und Kind.
Das Zeitrad rollt . . . geschwind- geschwind!
wir wurden schmählich belogen-
Um unsere Taten betrogen.
Aus „Walther Neuwirth, Das Erwachen der Heimat".
Verlag C. Vetter, Wien.
Die österreichischen weißen Dragoner im Kelter-
gesecht bei Jaroslawice am 21. August 1914.
Von Generalmajor d. R. Alfred Brosch von Fohraheim
in den Jahren 1914—1917 Kommandant des k. u. 1. Dragoner-Regiments Nr. 15?)
(7\rtt 3\. Juli gab es auch für uns f5er Dragoner „Rorps-
alarm": die drei an der russischen Grenze befindlichen k. undk.
Korps, und zwar das I. in Westgalizien, das X. in Mittelgalizien
und das XI. in Mstgalizien und der Bukowina, wurden in einen
Zustand erhöhter Kriegsbereitschaft versetzt, auch wurden zweck-
dienliche Truppenverschiebungen vorgenommen; denn die ungewisse,
aber immerhin vorauszusehende Haltung Rußlands im Konflikte
Österreich-Ungarns mit Serbien zwang die Heeresleitung zu diesen
Maßnahmen, welche die Einleitung der Mobilisierung und des
strategischen Aufmarsches bildeten.
Nach einem langen Zeitraum politischer Hochspannung waren
die Würfel endlich gefallen: die Gegensätze, die seit Jahrzehnten
zwischen der Donaumonarchie und dem Lande der Moskowiter be-
standen und zu vielen mißlichen Auswirkungen geführt hatten,
sollten anscheinend mit der Waffe ausgetragen werden. Am
6. August erfolgte denn auch von unserer Seite die Kriegserklärung
an das riesenhafte Zarenreich, das trotz seiner gewaltigen Macht
eigentlich — auf sich allein angewiesen — noch nie einen Krieg
gewonnen hatte. Ein aufrichtiger, tiefgehender Haß gegen die
Russen erfüllte uns nicht; vielleicht lebte die „Heilige Allianz"
von einst noch in uns fort oder auch der Wunsch, sie erneuert zu
sehen. Doch wir hielten uns fernab von den Fragen der hohen
Politik, für uns gab es nur die unbedingt zu erfüllende Soldaten-
pflicht: Mit Gottes Hilfe Kaiser und Vaterland zu schützen und
zu schirmen.
So flammte eine begeisterte Kampfesstimmung jäh auf, als
unser Allerhöchster Kriegsherr uns zum Waffengange aufrief. Und
Freude und Genugtuung erfüllte uns, daß wir mit Deutschlands
sieghaftem Heer den Krieg gegen Rußland führen sollten. Im
übrigen glaubten wir damals noch an einen nur kurzen siegreichen
l) Hiit Benützung einer von Gberst a. D. Egon Frh. v. Waldstätten verfaßten
kriegsgeschichtlichcn Studie „Der Kavalleriekampf beiJaroslarvice, am 21.August
10
Brosch von Lohraheim
Feldzug, an einen sogenannten „frisch-fröhlichen Krieg", der schon
aus finanziellen Gründen unmöglich lange würde dauern können.
Ls sollte freilich anders kommen. —
Nun standen wir seit drei Wochen vor dem Feinde; zu einem
größeren Zusammenstoß mit diesem war es aber bisher nicht ge-
kommen. Und doch brannten wir darauf, unsere Klingen mit jenen
des Gegners zu kreuzen: ein Wunsch, der unsere gesamte Kavallerie
vom höchsten Führer bis zum letzten Wann beseelte und der gewiß
den ritterlichen Überlieferungen deutscher Reitersleute entsprach.
Heute darf man wohl zugeben, daß ein besseres haushalten mit der
Kraft angezeigter gewesen wäre, d. h. dem Kampf mit der blanken
Waffe wäre zwar nicht auszuweichen gewesen, doch hätte er auch
nicht grundsätzlich aufgesucht werden sollen, wie es zu Beginn des
Krieges geschah.
Erste Aufgabe auch der Kavallerie-Division — der wir an-
gehörten — war es zunächst, den „Grenzschutz" und die „Sicherung
des Aufmarsches", der seitens der 3. Armee General der Kavallerie
von Brudermann und der Armeegruppe General der Infanterie
von Koeveß, im allgemeinen amDjester erfolgte, durchzuführen.
Der Entschluß, die aufmarschierenden Streitkräfte zu decken, war
selbstverständlich vollkommen berechtigt, dagegen brachte das Be-
streben keinen vaterländschen Boden, wenn auch nur vorübergehend,
aufzuopfern, keinen Kosaken über die Reichsgrenze — hier eine
militärisch bedeutungslose Linie — zu lassen, der großen Sache eher
Schaden als wirklichen Nutzen. Zu allem trat noch der Umstand,
daß man von einer Überflutung Galiziens durch große russische
Kavalleriemassen überzeugt war. Die Nerven der Kavallerieführer
sowie der innere Gehalt der Truppe wurden auf eine harte Probe
gestellt.
Tatsächlich waren die Strapazen, die sich für uns — Roß und
Reiter — ergaben, wahrlich nicht gering. Auf Grund alarmierender,
dabei meist sehr übertriebener oder gänzlich unwahrer Nachrichten
von feindlichen Einbrüchen in die Reichsgrenze ergaben sich fast
täglich kleinere oder größere Märsche, bald in dieser, bald in jener
Richtung, die, von notwendigen taktischen Erfordernissen begleitet,
im Vereine mit Wetterunbilden uns manchen Abbruch taten. Dazu
kam die ungewohnte schwere kriegsmäßige Ausrüstung von Mann
und Pferd, welch letzteres in dieser Jahreszeit die herkömmlichen
Übungen noch nicht ganz hinter sich hatte.
Aber auch die „Fernaufklärung" war unserer Kavallerie-
Division zugefallen: eine heikle Aufgabe, die zu ein und der an-
dern kühnen Unternehmung in das zaristische Gebiet führte und
doch nur verhältnismäßig geringe Ergebnisse zeitigte; denn bald
hatte sich herausgestellt, daß die Leistungsfähigkeit und die Durch-
schlagskraft der größeren Kavalleriekörper beträchtlich überschätzt
worden war. —
Die österr. weißen Dragoner.
11
Gegen den 20. August verdichteten sich die Nachrichten, daß
eine verstärkte russische Kavallerie-Division bei Zalozce ein-
gefallen sei; unser Divisionär, Generalmajor von Zaremba, ent-
schloß sich, ihr entgegenzutreten. Die in und um Suchowola lagernde
4- Kavallerie-Division wurde alarmiert und gegen podkamien in
Bewegung gesetzt. Hier stellten wir uns vorläufig bereit. Als man
im Divisions-Stabsquartier den Eindruck gewann, daß der anschei-
nend auch über ansehnliche Infanterie und viel Geschütze ver-
fügende Kavalleriekörper — es mochte wohl die russische 9- Ka-
vallarie-Division Fürst Begildejew sein — sich über Glejow
gegen Zborow gewandt, wurde der Marsch in südwestlicher Richtung
in zwei Kolonnen fortgesetzt: die beiden zugeteilten Bataillone des
k. k. Landwehr-Infanterie-Regiments „Zloczow" Nr. 35 auf
der feindwärtigen Seite, über Szyszkowce, Batkow nach Harbuzow
und j)erepelniki, die Kavallerie-Division selbst über pieniaki, Luka-
wiec nach Kruhow und Nuszcze, welche Ziele nach fast 40 km
langem anstrengendem Marsche spät abends erreicht wurden. Am
kommenden Morgen, am 2\. August, wollte Generalmajor von Za-
remba den Feind anfallen.
Da traf um Mitternacht folgender telegraphischer Befehl des
vorgesetzten XI. Korxskommandos in Lemberg ein: „Starkes ge-
mischtes feindliches Detachement mit viel Kavallerie und Geschützen
im Vorrücken über Glejow nach Zloczow. Patrouillen dieses De-
tachements waren gegen Abend 2 km von Zborow, pluhow ent-
fernt. von Brzezany früh 5 Bataillone der ff. Infanterie-Division
im Vormarsch gegen Zborow, dürften heute abends schon ein-
getroffen sein. Von Tarnopol wird eine Kavallerie-Division gegen
Zborow vorgehen. 4. Kavallerie-Division morgen zeitlich aufbrechen
und gegen Zborow in Rücken des Gegners einwirken. Wünschens-
werte Verbindung mit Tarnopol, Zborow und pluhow telephonisch
versuchen!"
Ls handelte sich also darum, ein „Kesseltreiben" auf den ein-
gebrochenen Feind zu veranstalten, wobei die ff. Infanterie-Division
aus südwestlicher, die 8. Kavallerie-Division aus südöstlicher und die
4- Kavallerie-Division aus nordwestlicher Richtung gegen den Raum
Glejow vorzustoßen hatte.
Im Stabsquartier erweckte dieser Befehl die Auffassung, daß
die festgestellte russische Kavallerie-Division am kommenden Vor-
mittage wohl schon im Raum von Zborow anzutreffen sein werde;
er bestärkte den Divisionär, die 4- Kavallerie-Division bereits um
4 Uhr vormittags südöstlich Nuszcze zu versammeln, während die
beiden Bataillone des ostgalizischen Landwehr-Infanterie-Regiments
Nr. 35 um 5 Uhr vormittags auf Höhe 396, w. f}. Gbydra
— halbwegs zwischen Nuszcze und Glejow — bereitzustehen hatten.
Im übrigen deckte sich der erhaltene Auftrag mit dem bereits ge-
faßten Entschlüsse. Daß die 8. Kavallerie-Division von Tarnopol
12
Brosch von Fohraheim
aus und die H. Infanterie-Division gleichfalls auf den eingebrochenen
Feind losgehen würden, mußte den angestrebten Erfolg durchaus
fördern. Naturgemäß hatten die beiden beweglichen Kavallerie-
körper ihr Verhalten nach der auf der Schwerlinie Zborow-Glejow-
Zalozce vorgehenden, artilleriestarken Infanterie zu richten. Der
Plan eines gemeinsamen Zusammenwirkens der drei operativen Ein-
heiten war vom Armeegruppenkommandanten General der Infan-
terie von Koeveß in Stanislau ausgegangen. Das XI. Korps-
kommando, von den erteilten Anordnungen in Kenntnis gesetzt, er-
ließ daraufhin den ergänzenden früher wiedergegebenen telegraphi-
schen Befehl an die % Kavallerie-Division.
Tatsächlich war das verfügbare Gros der k. u. k. Ich In-
fanterie-Division, 5 Bataillone, 6 Batterien, 2 Eskadronen x) unter
Feldmarschalleutnant pofor rty in Durchführung des erhaltenen
Auftrages nach einem sehr beschwerlichen Marsch von Brzezany bis
Auguftowka-Thorobrow, 8 km südwestlich Zborow, gelangt, während
die verfügbaren Teile der 8. Kavallerie-Division, 10 Eskadronen,
I Batterie, 2 Bataillone des Infanterie-Regiments Nr. 152) unter
Feldmarschalleutnant von Lehmann in ihren Quartieren nächst
Taruoxol verblieben war.
Zu einer Aussprache war es nur zwischen der ff. Infanterie-
Division und der 8. Kavallerie-Division gekommen.
So nächtigten in der Nacht auf den 2\. August die zu ein-
heitlichem handeln angesetzten drei Gruppen und zwar die 4. Ka-
vallerie-Division etwa \0 km nordwestlich, die ff. Infanterie-Di-
vision etwa 30 km südwestlich und die 8. Kavallerie-Division etwa
30 km südöstlich von Glejow.
In leichte Morgennebel gehüllt steht befehlsgemäß am 2\. August
die ch Kavallerie-Division 3) knapp südöstlich Nuszcze zum Vormarsch
bereit. Zwei zugstarke Gffiziers-Nachrichten-patrouillen werden in
der Richtung auf Glejow und Zalozce abgefertigt, ein Zug 15 er
Dragoner wird zur Aufnahme der Verbindung mit der H. In-
fanterie-Division nach Zborow entsendet. Die Disposition wird aus-
gegeben; sie besagt in ihrer Wesenheit, daß der Divisionär zunächst
die beherrschende Höhe U8 nordöstlich Wolczkowce gewinnen und
dort die Klärung der Lage abwarten will; .die beiden Landwehr-
tz Die übrigen Bataillone und Batterien standen in Tarnopol und anderen
(Drten am Sereth-Fluß, teils als Rückhalt,für die vorgeschobenen Kavalleriedivisionen,
teils zum unmittelbaren Schu^wichtiger Übergangspunkte.
tz Eine Kavallerie-Brigade mit \2 Eskadronen und zwei reitenden Batterien
war vorübergehend der k. ungar. s. Honved-Kavallcrie-Divifion zugeteilt.
tz 4. -ßavallerie-Divisions-Kommando; (8. und 21. Kavallerie-Brigade-Kom-
mando ; Dragoner-Regimenter y und ;5, Ulanen-Regimenter ; und (3; Kavalleric-
Maschinengewehr-Abteilungen der er Dragoner und s er Ulanen; Batterie ; und 3
der reitenden Artillerie-Division Nr. ;;.
Die öftere, weißen Dragoner.
13
Bataillone sollten näher herangezogen werden, sie hatten sich auf
die Höhe Zamny 416 vorzuschieben.
Um 5 Uhr vormittags wird der Vormarsch in einer mehrere
tausend Schritte langen Kolonne angetreten: man ist ja noch weitab
vom Feinde! wir f5er Dragoner sind Vorhut, ein Zug wird als
linke Seitenhut ausgeschieden.
Die Höhe U8 wird erreicht, sie gewährt eine prächtige Über-
sicht. Olejow sieht man nicht: der Grt liegt hinter dem zur Zeit
in düsterer Schattierung drohend aufragenden Zamny-Berimowka-
Rücken. vor uns, etwa 3000 Schritte entfernt, liegt das Dorf
Zaroslawice, rechts vorwärts, in der Niederung der Stryxa das
Dorf lvolczkowce, mit einem abgetrennten maierhofartigen Teil in
etwa gleicher Höhe mit uns. Zn direkt südlicher Richtung, dort,
wo der von hier aus sich erstreckende Höhenzug verläuft, vermuten
wir die kleine Stadt Zborow. Zur linken Hand haben wir noch
den Rl. £}. Lixnik.
Drei Rücken sind es, die von der Höhe U8 abzweigen. Der
östliche ist schmal, stellenweise bewaldet, er trägt die Höhen Zamny
4l6, Berimowka 426, Gstry Garb 424 und beherrscht den mitt-
leren, breiten, welligen Höhenzug, von dem ihn ein bescheidenes
Flüßchen trennt. Letzterer weist — wie schon erwähnt — die Ort-
schaft Zaroslawice auf; er wird westlich durch die Strypa begrenzt.
Jenseits dieser versumpften Tiefenlinie dehnt sich ein gleichfalls
ziemlich flacher Höhenzug aus.
Auf der Höhe 4l8 wird nun eine breitere Gruppierung an-
genommen. Alles ist etwas übernächtig. Da es schon so oft „falschen
Alarm" gegeben hat und es bisher nie zu einer ernstlichen Aus-
einandersetzung mit dem Feinde gekommen war, will niemand so
recht an einen unmittelbar bevorstehenden Kampf glauben. Die
Sattlung und Packung wird überprüft. <Lß- und Trinkbares wird
hervorgeholt, um versäumtes nachzuholen und sich zu stärken. Die
Minuten verrinnen, Vermutungen werden ausgetauscht. Man sieht
nichts vom Feinde. Noch sind von den beiden bewährten pa-
trouillen-Kommandanten Oberleutnant Graf R e s s e g u i e r und
Oberleutnant de la Renotiöre keine Meldungen eingelaufen, was
ja ganz natürlich ist. Oder sind sie in einen sozusagen „feindleeren"
Raum gestoßen? Das hieße so viel, daß die feindliche Kavallerie-
Division tatsächlich schon längst Glejow verlassen und etwa Zborow
schon passiert hat. Nun, darüber wird wohl die verbindungs--
patrouille des Oberleutnants Baron Sardagna berichten: allein
30 km wollen eben geritten sein. Also Geduld!
Da glaubt man im Divisionsstabe fernen Kanonendonner zu
hören: anscheinend ist die ff. Infanterie-Division oder schon die
8. Kavallerie-Division oder vielleicht gar beide Divisionen an den
Feind geraten?! Und Generalmajor Zaremba, ein kamxfes-
freudiger General, fürchtet nun, beim Angriff zu spät zu kommen,
14
Brosch von Fohraheim
er setzt — leider, muß man heute sagen — seine stolze Division,
ohne ein Aufklärungsergebnis der vorgesendeten Patrouillen ab-
gewartet zu haben, in südlicher Richtung gegen Iaroslawice-Zborow
in Bewegung. Es war mittlerweile 6 Uhr 30 vormittags geworden.
Bei strahlender Sonne zieht nun, in schimmernder wehr, die
farbenreiche Reitermasse in einer Art Gefechtsgruxpierung — zwei
Regimenter vorne, je eines rechts und links in Staffel, in der Mitte
die beiden Batterien — gelassen gegen Süden, Iaroslawice rechts
lassend, an Manilowka vorbei, gegen Kudobince nordöstlich Zborow.
Oberstleutnant Reichelt, der Kommandant der beiden Landwehr-
Bataillone, erhält Befehl, über Manilowka-Kudobince anzuschließen.
Längst schon ist der vermeintlich gehörte Kanonendonner verstummt.
Schon nähert sich die % Kavallerie-Division dem letztgenannten
Dorfe, als bedeutungsvolle Nachrichten eintreffen: Oberleutnant
Graf R e s s e g u i e r meldet das Vorhandensein starker feindlicher
Kavallerie mit Geschützen im Raume östlich und nördlich Olejow
und Leutnant S t ö h r vom k. k. Landwehr - Ulanen - Regiment
Nr. h der Kommandant einer von Feldmarschalleutnant pokorny
entsendeten Aufklärungspatrouille berichtet vom Anmarsche einer
feindlichen Kavallerie-Division über Rk. Ls. Lsalczyna-Dolina gegen
die Berimowka-Höhe. Zborow erwies sich vom Feinde frei; aber
auch die Truppen der sh Infanterie-Division waren dort noch nicht
eingetroffen. Nun hatte die Lage freilich an Klarheit erheblich
gewonnen. Leider zeigte es sich jetzt auch, daß die Kavallerie-
Division zu weit vorgeprellt war. Da gallopiert auch ein grüner
Dragoner heran: Leutnant Görös ist es, der vom Kommandanten
des schließenden Regiments, Obersten Kopecek feindwärts ge-
schickt, nun zurückkehrt und meldet, daß er auf der Berimowka-bsöhe
viele Reiter und feuerbereite Geschütze wahrgenommen habe. Ge-
neralmajor von Zaremba läßt vor allem die Front verkehren;
die ^ Kavallerie-Division steht nunmehr in Gefechtsgruppierung,
Front gegen Nordost, da; die beiden Batterien fahren auf. Die
Aufstellung der Kavallerie-Division ist jedoch nichts weniger als
günstig: der Gegner, gegenüber, auf dem beherrschenden bsöhenzug,
die eigene Kavallerie-Division der Feindessicht voll preisgegeben,
hinter ihr das tiefliegende Städtchen Zborow, woselbst die drei
Flüßchen zusammenströmen. Eine geringfügige Verschiebung auf
dem flachen Gelände bringt keine entsprechende Deckung. Jetzt
kommt auch Leutnant- Graf Sizzo-Noris, Ordonnanzoffizier des
Kavallerie-Divisionskommandos, herangesaust, der die Meldung vom
Vorhandensein starker feindlicher Kavalleriestreitkräfte auf der Be-
rimowka-bsöhe bestätigt und beifügt, daß die feindliche Artillerie
alsbald das Feuer eröffnen dürfte. Generalmajor von Zaremba
— den längst schon die Lsöhe U8 anlockt — entschließt sich, mit
seiner Kavallerie-Division fürs erste einen Ruck auf die immerhin
bessere taktische Verhältnisse aufweisende Lsöhenstellung südlich Ja-
Die österr. weißen Dragoner.
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roslawice zu machen. Denn ein vereinzeltes, angriffsweises direktes
Vorgehen gegen die Berimowka war ausgeschlossen, ebenso wie ein
Ausweichen nach Zborow gar nicht ratsam erschien.
Bald war die Absicht in dfe Tat umgesetzt. Die reitende Ar-
tillerie-Division fuhr ca. 500 Schritte südlich des Dorfes, östlich
der Straße auf; rechts von ihr, etwas gestaffelt, stellte sich die
Ulanen-Brigade, die Regimenter in Kolonnenlinie nebeneinander,
auf. Links hinter den beiden Batterien standen wir, die 15 er Dra-
goner und zwar in Regimentsdoppelkolonne mit Entwicklungs-
zwischenräumen. Die 9 er Dragoner strebten eben dem Gstausgang
von Iaroslawice zu. Generalmajor von Z a r e m b a beobachtete
abgesessen, mit seinem engsten Stabe, aus der Höhe der Geschütz-
linie das Vorfeld: den Feind konnte man noch nicht wahrnehmen;
aber auch von der U. Infanterie-Division oder der Kavallerie-
Division sah und hörte man nichts.
Eben wollte Generalmajor von Zaremba die Division aus
ihrer bedenklichen Lage in nördlicher Richtung auf die Höhe U8
ziehen; ein Ordonnanzoffizier ritt bereits zuGberstleutnantReichelt,
um ihm die Weisung zu überbringen, daß die beiden Bataillone sich
auf die eben genannte Höhe zurückzuziehen und den M. Ls. Lipnik
zu besetzen hätten, als unerwartete Geschehnisse eintraten.
Es ertönt plötzlich — gegen 9 Ahr vormittags — lebhafter
Kanonendonner und man sah, zu unserer nicht geringen Bestürzung,
auf die beiden Landwehr-Bataillone, welche soeben auf Grund des
seinerzeit erhaltenen Befehles von der Iamny-Höhe — wo sie ge-
rastet hatten — zum Weitermarsch in südlicher Richtung angetreten
waren, Granaten und Schrapnells niederhageln, was Wunder,
wenn die geschlossenen Reihen der vom wohlgelungenen russischen
Feuerübefall ereilten Lsaupttruppe schwere Verluste erleiden und
sich auflösen und zurückzugehen beginnen. Nur das in breiter, loser
Gefechtsformation vorgegangene Vorhut-Lsalbbataillon vermochte,
sich an das Gelände anklammernd, den freilich aussichtslosen Kampf
mit dem übermächtigen Feinde unverzagt aufzunehmen.
Allein kaum hatten wir den bösen Vorfall erfaßt, als auch
schon russische Schrapnells über den Köpfen der mehr oder weniger
noch ungedeckt dastehenden Kavallerie-Division platzten. Ein
Volltreffer schlägt in die soeben aus Iaroslawice herausfahrende
Kavallerie-Divisions-Sanitäts-Anstalt; tötet u. a. deren Komman-
danteir, einen Regimentsarzt. Bei der Ulanen-Brigade, deren Auf-
stellung gerade vom Brigadier, Generalmajor von Ruiz, berichtigt
wurde, entsteht bei Durchführung angeordneter Bewegungen einige
Unruhe. Und als bei der Maschinengewehr-Abteilung der her
Ulanen durch sich losreißende Handpferde *) eine kleine pcttttf ent-
') Die Maschinengewehre, Schutzschilde, die Munition usw. wurden bei der
österr.-ung. Kavallerie auf Tragpferden und nicht auf Fahrzeugen fortgebracht.
16
Brosch von Fohraheim
steht, gehen die im Seitenmarsch gegen Iaroslawice begriffenen
Ulanen-Regimenter, insbesonders die 1er Ulanen, in schärfere Gang-
art über; die Regimentsverbände lockern sich zwar, aber die Schwa-
dronen bleiben in sich geschlossen, bis die engen Ortsgassen von
Iaroslawice und ein hohlwegartiger nasser Graben eine vorüber-
gehende Auflösung bedingen. Doch jenseits des Dorfes bekommen
die tatkräftig eingreifenden Rommandanten aller Grade die Ab-
teilungen rasch wieder in die Hand und führen sie im Schritt und
Trab in die gute Deckung bietende Mulde östlich Wolczkowce.
Die grünen Dragoner galloxieren und traben nach. Wir,
weißen Dragoner H, führen im Trab eine Schwenkung durch und
nehmen gleichfalls Richtung auf und durch Iaroslawice. Fuhr-
werke flüchtender Landesbewohner, eingestürzte, elende polnische
Brücken und der fatale tiefe und große Wassergraben machen das
passieren des bereits an vielen Stellen in Flammen aufgehenden
Dorfes nicht leicht. Wir reiten ruhig weiter. Auch die reitende Ar-
tillerie ist gefolgt, deren eine Batterie noch rasch einige Schüsse
gegen ein auf der Berimowka-Höhe auftauchendes Reiter-Regi-
ment hatte abgeben können. Die Russen senden uns noch so manches
Schraxpnell nach: sie treffen aber nichts, was bei unseren Dra-
gonern — die der unverwüstliche wiener Humor auch jetzt nicht
verlassen hat — Witz über Witz auslöst. Die Verluste, welche die
4s Kavallerie-Division gelegentlich des eben überstandenen Zwischen-
falls erlitten, waren ganz geringfügig.
Generalmajor von Zaremba war gar nicht mehr dazu ge-
kommen, die gedachte Verschiebung planmäßig durchzuführen: er
hatte sich damit begnügen müssen, den in Betracht kommenden
„Sammelort" anzugeben.
Der Feind hatte — das muß man ihm lassen — seine Sache
gut gemacht: er hatte seine Anwesenheit geschickt zu verschleiern
gewußt und durch einen wohlgelungenen Feuerüberfall die über-
raschte, sonst bewährte Landwehr-Infanterie außer Gefecht gesetzt
sowie unsere Ravallerie-Division in die Nachhand gebracht.
Nun, für die Ravallerie-Division selbst hatten die bisherigen,
allerdings recht unliebsamen Ereignisse keine besondere Tragweite:
die Reiterei ist das flinke Auseinandergehen und rasche Sammeln
in geschlossene Ordnung gewöhnt, wir standen denn auch alsbald
wieder schlagfertig als achtunggebietende Streitmacht da. Unsere
reitende Artillerie-Division (8 Geschütze) war unterdessen, auf Be-
fehl, vor uns, auf einer kleinen Ruppe südöstlich wolozkowoe auf-
h Das k. u. k. Dragoner-Regiment Nr. ,5 — im Jahre ;89( errichtet — (erster
Inhaber war einer der Helden von Lustozza, der Militär-Maria-Theresien-Grdens-
ritter General der Kavallerie Anton Frhr. von Bechtolsheim) ergänzte sich aus Nieder-
österreich; sehr viele wiener dienten in seinen Reihen. Seit \<)\2 lag das Regiment
in Holkiew. Ls hatte auf lichtblauem Waffenrock — als einziges Reiterregiment —
weiße Kragen und Aermelaufschläge; daher die Bezeichnung „Weiße Dragoner".
Die österreichischen weißen Dragoner
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gefahren; sie hatte den Kampf mit mindestens \8 russischen Ka-
nonen, die von der Berimowka-L)öhe herüberschossen, aufgenommen.
Gut übrigens, daß die feindliche Artillerie nicht die Mulde, in
der wir uns aufhielten, unter Streufeuer nahm!
Immerhin galt es rasch und tatkräftig zu handeln. Es ist be-
greiflich, daß Generalmajor von Zaremba auch jetzt den Ge-
danken eines weiteren Zurücknehmens der Kavallerie-Division über
Wolczowce, hinter die versumpfte Strypa, verwarf, daß er dem
kühneren Entschlüsse treu blieb: die Höhe M zu gewinnen und von
dort aus, über die Iamny-Höhe, den Feind anzugehen, sobald die
Infanterie-Division sowie — gegebenenfalls — auch die 8. Ka-
vallerie-Division sich geltend machen würde.
Die erforderlichen Befehle wurden denn auch vom Divisions-
kommando ausgegeben. Sie sollten aber nicht bei allen Regimentern
zur volle?: Ausführung in der gewollten Art gelangen.
Die ^er Ulanen unter Oberst von Weiß-Schleußenburg,
rückten zwar herwärts der Strypa, an einem kleinen Wäldchen
links vorbei, nach Norden ab, stellten sich jedoch — wohl durch
Verästelungen der sumpfigen Tiefenlinie irregeführt — nicht un-
mittelbar hinter der Höhe U8, sondern nächst dem maierhofartigen
Weiler Wolczkowce (etwa 2000 Schritte nördlich des gleichnamigen
Dorfes) auf. Die 9er Dragoner wurden vom Obersten Kopecek
am jenseitigen Flußufer gleichfalls nordaufwärts geführt; sie nahmen
hinter dem Ulanen-Regiment Nr. \ Aufstellung.
wir 15 er Dragoner schlugen vorerst die gleiche Rlarschlinie
wie die ^er Ulanen ein. Unter großen Schwierigkeiten drangen wir
auf den: schmalen, von Landwehr-Infanteristen verstopften Karren-
weg vor, der links die versumpfte Niederung als Anland hat und
knapp am Fuße des das langgestreckte Wäldchen begrenzenden Steil-
hanges läuft, der mit einer „Rast" in die Höhe ^(8 übergeht. In
diesem Abschnitt war Oberstleutnant Reichelt bemüht, seine Kom-
pagnie?: zu sammeln und zu ordnen; nur geringe Teile waren beim
VTi. i}. Lipnik verblieben. Nachdem wir das Wäldchen umritten
hatten, formierten wir an der Berglehne „Kolonnenlinie". Bald
darauf gingen wir daran, die Höhenplatte selbst zu ersteigen. Eben
waren wir nach Erreichen des Höhensaumes in die „Kolonne rechts"
übergegangen und im Begriffe „links auszuschwenken", als die ^3er
Ulanen — Kommandant Oberst Graf Spannocchi — in nörd-
licher Richtung, unweit von uns, vorbeigaloppierten. Dieses Re-
giment war zur Deckung unserer Reitenden Artillerie-Division zurück-
geblieben, die durch nahezu 3/4 Stunden, offen aufgefahren, un-
erschrocken ein Duell mit ungefähr drei russischen Batterien aus-
gefochten und nun, auf den Befehl nächst dem oft erwähnten
Wäldchen eine neue Stellung zu beziehen, aufgeprotzt hatte und
zurzeit gleichfalls in Anmarsch war. Als Oberst Graf Spannocchi
Kerchnawe,Im Felde unbesiegt. III. 2
18
Brosch von Fohraheim
erfuhr, daß starke feindliche Kavallerie aus südöstlicher Richtung
gegen Lvolczkowce im Anrücken sei, gedachte er, dem Gegner durch
einen Galopp in nordöstlicher Richtung und nachheriges Aus-
schwenken die rechte Flanke abzugewinnen. Diese Absicht sollte je-
doch nicht völlig glücken: die I. Division des Regiments prellte
schließlich, durch das unübersichtliche Gelände und kleinere russische
Abteilungen verwirrt, in einen seindleeren Raum vor und nur die
II. Division unter ihrem schneidigen und tüchtigen Kommandanten,
Major vidale, warf sich unbekümmert — nur (8/4 Schwadronen
stark — ohne Zögern, mit voller Wucht auf das mittlerweile heran-
gekommene feindliche Lsaupttreffen, durchbrach es und verwickelte
es in einen aufreibenden Kampf, der den übrigen eigenen Regi-
mentern für deren Eingreifen Zeit und Gelegenheit schaffen sollte.
Unterdessen war die russische Kavallerie vom gut liegenden
Feuer der Kavallerie-Maschinengewehr-Abteilung unseres Regi-
ments (Kommandant Rittmeister Ls er zig), die 300 Schritte nördlich
der Lsöhe H(8 abgepackt hatte, scharf angefaßt worden. Kurz
darauf befanden auch wir weißen Dragoner uns im Gefecht. Das
kam so. Ungefähr zur Zeit als die reitende Artillerie. und Oberst
Graf Sxannocchi das Anrücken der russischen Reiterei wahr-
genommen hatten, waren auch beim Kavallerie-Divisions-Kom-
mando Meldungen eingelaufen, die auf einen unmittelbaren An-
griff der feindlichen Kavallerie-Division schließen ließen. Und in
der Tat: sie erschien auf dem plane, nachdem sie sich sehr rasch
durch die zahlreichen Terrainfalten herangearbeitet und ihren An-
marsch außerordentlich geschickt verschleiert hatte, fast gleichzeitig
mit der entscheidenden Meldung. Nun kündete Generalmajor von
Z a r e m b a den Feind an und ließ „Attacke" blasen. Brigadier Ge-
neralmajor von Ruiz hieß uns (5er Dragoners angreifen; unsere
Kavallerie-Maschinengewehr-Abteilung war bereits unter Bedek-
kung der halben 3. Schwadron links vorwärts vorausgeeilt, vor
der Front des Regiments ritten die Attacke mit: der tapfere Di-
visionär Generalmajor von Zaremba sowie die beiden Brigadiers
Generalmajor von Ruiz und Oberst Graf Lsuyn, alle mit ihren
Stäben. Wir haben drei aufmarschierte Schwadronen in einem
Treffen, je eine Schwadron — vorläufig noch in Kolonne — im
Staffel rechts und links (2. und 5.). Einige zurückgalopxierende (3er
Ulanen stören etwas den Aufmarsch am linken Flügel. Kaum haben
wir den l^öhenrand erreicht, uns in Schwung gesetzt, als wir uns
auf (00—200 Schritte in der Flanke des sichtlich überraschten Feindes
befinden. Mit brausendem „kfurrah", mit den Rufen: „Da sind *)
*) Schwadronskommandanten: i. Rittmeister v. Baumrucker, 2. Ritt-
meister v. Malburg, 3. Rittmeister Wagner, Rittmeister Frhr. v. Zellersperg, 5. Ritt-
meister Frhr. v. Boyneburg, 6. Rittmeister Graf Kielmansegg; Divisions-Kom-
mandanten: I. Oberstleutnant Neuster, II. Major Mein; Regiments-Adju-
tant: Oberleutnant v. Fröhlich.
Die österreichischen weißen Dragoner
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Kerle! eint! eini!" und sonstigen urwüchsigen Kraftausdrücken
werfen sich die braven weißen Dragoner — die f., % und 6. Sdivoa*
dron — auf ccx. 2—3 im Kolonnenmarsch nach Nord befindliche
russische Eskadronen, die, nach vorübergehendem Zögern, aus-
schwenken und die Attacke annehmen, wir durchstoßen stellenweise
die feindlichen Reihen, verfolgen da und dort auch „braungrüne
Reiterei mit Tellermützen und Lanzen". Alsbald ist jedwede ge-
schlossene Ordnung geschwunden. Ein erbitterter Kampf, Rkann
gegen Rkann, hebt an. Alles ist in Bewegung. Ulan wird oft gar
derb angeritten, quittiert dies unwillkürlich mit einem gewaltigen
Fluch und trachtet, sich wieder im Sattel zurecht zu setzen. .Die Russen
sind anscheinend bestrebt, uns nur paarweise oder in kleineren
Gruppen — der gegenseitigen Unterstützung wegen — entgegenzu-
treten. Aber kaltblütige weiße Dragoner fischen sich auch besondere
Gegner zum Linzelkampf heraus. Schon gibt es verwundete und
viele Gestürzte; es wird zu Fuß, vielfach mit dem Karabiner weiter-
gefochten. Knall über Knall. Auch von unseren Offizieren und
Unteroffizieren wird die Pistole viel gebraucht; denn gar bald
komnrt man zur Überzeugung, daß man mit dem Säbel meist nicht
viel — namentlich mit dem Hieb — ausrichtet. Eigenartige Bilder
bieten sich dem Auge. Da sieht man einen russischen Kavalleristen,
der offenbar durch die empfangenen Eindrücke verstört, sich damit
begnügt, auf seinem Pferde haltend, mit seiner langen Lanze Stiche
himmelwärts zu führen, die er unentwegt mit „Urra"-Gebrüll be-
gleitet. Dort sieht man einen russischen Offizier, der die Zügel
seines Pferdes zwischen die Zähne genommen hat und wie toll
aus jeder Hand Revolverschüsse abgibt, von Zeit zu Zeit entsteht
ein fürchterliches Gedränge, dem sich jedermann zu entziehen
trachtet, schon deshalb, um nicht — schwer gequetscht — aus dem
Sattel gehoben zu werden. Und stürzen, getreten und schließlich
gestochen will keiner werden! Das und Her, das Stampfen
vieler hundert Pferdehufe hat bereits mächtige Staubwolken auf-
gewirbelt, die jeden Ausblick verhindern, zeitweilig Feind und
Freund völlig einhüllen; gelegentlich tauchen gespensterartig Reiter
auf, um allsogleich wieder zu verschwinden. In das lvaffengeklirre,
das Geschrei ertönt auch das taktmäßige Geknatter der Rkaschinen-
gewehre: Gottlob, es sind die unseren, die sich so unheimlich äußern;
wir atmen auf. Aber auch Schrapnells platzen ab und zu über
unseren Häuptern; zahlreich prasseln sie aber auf unsere, am rechten
Flügel sich herumbalgende 2. Schwadron. Unser Interimsbrigadier
und Regimentskommandant, Oberst Graf Hu 711, steht plötzlich
ohne Pferd auf dem Stoppelfelds; Hauptmann des Generalstabs-
korps Bernhard von LaUer-Schmittenfels ruft: „f5er Dra-
goner! Euer Oberst hat kein Pferd!" Und schon steht, wie aus
dem Erdboden gewachsen, ein wackerer weißer Dragoner da, sitzt
wie auf dem Exerzierplatz ab und hilft seinem Obersten — ihn
2*
20
Lrosch von Fohraheim
hiemit vor Tod oder Gefangenschaft bewahrend — auf seinen
„Rommißheimer"; im nächsten Augenblick hat der Strudel alles
verschlungen. Den Namen dieses braven Mannes haben wir, trotz
eindringlichster Bemühungen, leider nie erfahren können; er hat
seine deutsche Treue wohl mit dem Leben bezahlt. Zch erhalte
einen Lanzenstich in der Herzgegend, schwanke im Sattel, verspüre
ziemlichen Schmerz; doch bald erkenne ich, daß die bösartige Spitze
meine Haut nur geritzt hat. Auch der Divisionsstab erleidet manche
Verluste: Hauptmann Syrzistie fällt nach tapferer Gegenwehr.
Der technische Referent Pionier-Mberleutnant penka wird leicht
verwundet. Der Generalstabschef Gberftleutnant von Maxon sinkt,
am Arme schwer verletzt, vom Pferde: Generalmajor von Za -
remba heißt mitten im Getümmel kaltblütig einen Dragoner ab-
sitzen und dem Stabschef fürsorglich aufs Pferd helfen, ihn so vor
sicherem verderben rettend. Rittmeister Adolf Graf Trautt-
mansdorff, dessen neuer goldstrotzender Helm der Leinde viele
anlockt, findet den Heldentod. Rittmeister Friedrich Edler von
Baum ruck er, Oberleutnant Paul Gürtler, Fähnrich Erich von
Seutter-Lötzen geraten, schwer verwundet, in russische Gefangen-
schaft. Zu den verwundeten zählen noch Rittmeister Manfred Frei-
herr von pillerstorff und Oberleutnant Schmiedl.
Besonders blutig war das Landgemenge, das die an unserem
südlichen Flügel befindliche 2. Schwadron unter Rittmeister Mal-
burg auskämpfte. Es ist interessant und gewiß erwünscht, einen
Mitkämpfer dieser Heldenschar selbst sprechen zu lassen. Er erzählt:
Als wir den Höhenkamm überschritten, sahen wir aus kaum
200 Schritte ein bis zwei feindliche Eskadronen, die sich im Flanken-
marsch nordwärts befanden; rechts vorwärts von uns hielten ca.
zwei aufmarschierte Eskadronen. Gegen diese Gruppe wandte sich
unsere 2. Schwadron allsogleich, da sie unser Haupttreffen — Oberst
von Brosch mit h, und <5. Schwadron — in der Flanke be?
drohte und die eigene Front die gegnerische überdies überflügelte,
wir führten eine tadellose Halbrechtsschwenkung durch und stürzten
uns mit ,Marsch! Marsch!' und ,Hurrahrufen' auf die beiden noch
unbeweglich haltenden Eskadronen, deren Lanzen uns igelartig ent-
gegenstarrten. Mein Zug stieß auf eine ganze Eskadron. Bei
diesem ersten Anprall mochte wohl manch braver Soldat auf unserer
Seite den Tod gefunden haben. Obwohl ich Offizier „hinter der
Front" war, hielt ich mich dennoch neben meinem Schwadrons-
kommandanten Rittmeister Malburg auf: denn es wäre ein Un-
ding gewesen, bei dem prächtigen Geiste und der jauchzenden Stim-
mung unserer trefflichen Mannschaften — vorschriftsgemäß — hinter
ihr zu reiten. Es gelang mir durchzukommen; ich wendete mein
Pferd und das Landgemenge hub an. Ich erinnere mich mit Ge-
nugtuung daran, daß die wenigen österreichischen Reiter, jeder nur
auf sich angewiesen, sich freudig mit einer fünffachen Übermacht
Die österreichischen weißen Dragoner
21
herumschlugen. Linen Dragoner sah ich fallen, der, wie fest-
gemauert, auf seinem knochigen Braunen saß, umringt von einem
Dutzend Russen, die unausgesetzt auf ihn losschlugen; er wehrte
sich unverzagt, eine Säbelschwingung nach der anderen machend,
bis er lautlos vom Pferde glitt. Mein biederer Zugsführer pol-
latschek hatte sich schlauer verhalten, wie er mir nach der Attacke
erzählte, hatte er sich im Getümmel hingestellt und — dem Bei-
spiele der russischen Offiziere folgend — seine Repetierxistole ge-
braucht. Ich fragte ihn, wieviel Feinde er erschossen hätte, und
erhielt zur Antwort: ,Neune, Herr Oberleutnant.' Und, auf meine
weitere Frage, was denn mit dem zehnten Geschoß geschehen sei,
meinte er kurz und bündig: ,Herr Oberleutnant! der Ane hat zwa
Schuß 'braucht!' Ich selbst hielt es mit unserer reiterischen Über-,
lieferung: ging jeden mit meinem guten Säbel an; freilich mußte
man flink sein, da man sich fast nie einem einzelnen Russen gegen-
über befand. Diese hatten es im allgemeinen gar nicht gerne, wenn
mein sehr aufgeregter Braun sie ansprang. Der regelrechte Kampf
von Reiter zu Reiter mochte bereits einige Minuten gedauert haben,
als es einem feindlichen Reiter gelang, mir meine beiden rechten
Zügel mit einem scharfen Säbelhieb zu durchschlagen. Jetzt ging
für mich ein Karussellreiten an. Mein Gaul war außer Rand und
Band; ich konnte ihn nur am linken Zügel halten: er lancadierte
fortwährend auf einer kleinen Tour auf der linken Hand. Die
mich umgebenden Russen hatten bald meine mißliche Lage erfaßt:
sie stellten sich nun vorsichtig mit ihren picken im Kreise um mich
auf und jeder versuchte, mir sein Lisen zwischen die Rippen zu
stoßen. Anfänglich war es gar nicht so schwierig, sich dieser Tapferen
zu erwehren; aber ich hatte im verlaufe der Attacke immerhin schon
zwei Kopfwunden und drei Lanzenstiche davongetragen, von welch
letzteren der eine im Rücken recht böse ausgefallen wäre, wenn meine
Lartouche x) die dreikantige Spitze nicht aufgefangen hätte. All-
mählich sah ich aber doch mein sicheres Lnde herannahen, da keiner
jener Melden' sich an mich herantraute und ich wiederum nicht die
Möglichkeit hatte, einen der mich Umringenden zielsicher anzugehen.
Schließlich ließ ich meinem Pferd die Zügel schießen und gab ihm
ein paar Sporen; ich fuhr mit meinem Säbel zwischen zwei mir
entgegengehaltene picken, drehte die eine dem Reiter aus der
Hand, blieb aber mit meinem Säbel infolge des angeschlagenen
schnellen Tempos so unglücklich zwischen beiden übereinander-
gedrehten Schäften hängen, daß der Säbel brach; doch der Stumpf
tat in meiner Hand noch geraume Zeit seine Schuldigkeit, bis
endlich ein Russe derartig unverhofft vor meinem lancadierenden
Pferde kreuzte, daß dieses — um nicht zu stürzen — einen Sprung
') Benennung für eine kleine lederne, mit einer silbernen Platte beschlagenen
Tasche, die über die linke Schulter gehängt getragen wurde und die einst für die
Pistolenmunition bestimmt war.
22
Brosch von Fohraheim
über den feindlichen Reiter versuchen mußte, bsiebei warf mein
verhemmter Braun den Russen samt seinem Roß zu Boden. Ich
selbst rumpelte nach vorne, auf meine Packtaschen und benötigte
geraume Zeit, um mich wieder zurechtzusetzen. Bei diesem Anlasse
bekam ich einen Lsieb über den Lselm, so daß ich diesen verlor; die
erlittene Kopfwunde war jedoch nicht erheblich. Ich griff jetzt
nach meinem Revolver; während ich dies tat, erhielt ich einen
Streifschuß am rechten Daumen, das weitergehende Geschoß ver-
wundete meinen Braun am rechten Auge. Das Pferd roulierte
wie ein Lsase, ich aber kam auf den Kopf zu stehen, brach zu-
sammen und verblieb einige Sekunden bewußtlos liegen. Dann er-
hob ich mich, nahm meinen Säbelstumpf, fiel aber abermals nieder.
Lin neuerlicher versuch aufzustehen, gelang besser. Ich fand auch
bald einen freien Karabiner, schloß mich zu Fuß etlichen unserer
Dragoner an, die in meiner Nähe waren. Mein braves Pferd hielt
ich für tot; doch am nächsten Tage bekam ich es mit einem Knochen-
schuß an der Stirne wieder . . . ."
Ich kehre zur Gefechtsgruxpe zurück, die meinen Befehlen
unterstand, ^ier wogte durch etwa fO Minuten das Handgemenge
hin und her; allgemach gewannen wir die Oberhand. Nun bewegt
sich der große Reiterknäuel langsam gegen Osten, bis anscheinend
in unserer rechten Flanke eingesetzte Reserven ihn in nordöstlicher
Richtung stetig ablenken: es ergibt sich eine Bewegungslinie im
flachen Bogen. Aber immer mehr und mehr einzelne russische
Reiter und Reitergruxpen streben von dannen, von den unsrigen
des öfteren verfolgt. Ls ist überhaupt erstaunlich, was unsere ab-
getriebenen Gäule noch für Leistungen aufweisen, Wir weißen Dra-
goner haben das berechtigte Gefühl, die Herren der Lage zu sein.
Diesen Lindruck scheint auch die feindliche höhere Führung zu
haben, denn russische Schrapnells, die uns offenbar vom hart-
bedrängten Gegner trennen sollen, explodieren jetzt über unseren
Köpfen. Line wohl zweischneidige, unbarmherzige Maßregel, die
aber den gewünschten Lrfolg hat: wir ließen vom Feinde ab.
Da hört man auch das Appell-Signal. Ist dies nicht die hoch-
gestimmtc Trompete des.Kavallerie-Divisions-Kommandos? Ls
scheint so. Allein sie ertönt aus weiter Ferne! Wir wollen nicht
glauben, daß wir das Attackefeld nach rückwärts verlassen sollen!
Wo steckt denn unsere zweite Brigade? Kein ruthenischer grüner
Dragoner und kein polnischer fer Ulan ist zu sehen!
Der Staub hat sich einigermaßen gelegt. Wir bemerken jetzt,
über Wolczkowce hinweg, jenseits der Strypa, die Regimenter
unserer Kavallerie-Division in Sammlung begriffen. Auch wir
weißen Dragoner wenden unsere Pferde dahin, streben einzeln
oder in Rudeln, im Trab, zum Appell. Unterwegs wird unserem
Obersten Graf bsuyn das Pferd unter dem Leibe erschossen: Or-
donnanzoffizier Oberleutnant i.d. R. Leo Prinz Sapieha bietet
Die österreichischen weißen Dragoner
23
ihm ritterlich das seine an. Große Schwierigkeiten bereitet das
Überschreiten der Sumpfniederung und des bachartigen, mit einem
Steilufer versehenen Strypa-Flüßchens. Ls gibt wieder viele böse
Stürze und Verluste, hinter uns hört man spärliches Kleingewehr-
feuer. Rittmeister Rtalburg war es, der, obwohl beim Anreiten
verwundet und von seinem Pferde getrennt, das Attackefeld den-
noch nicht verlassen, sondern etliche gleichfalls pferdelose Dragoner
vereinigt und mit diesen ein abwehrendes Feuergefecht vom Wäldchen
her geführt hatte.
von einem Nachfolgen von Seite des Feindes ist keine Rede:
die russische Kavallerie-Division hatte den Kampfplatz, eine östliche
Richtung einschlagend, gleichfalls geräumt. So kam es, daß die
b^öhe U8 zeitweilig nur tote und verwundete Reiter sowie Pferde
aufwies. Lrst später kehrte der russische Führer Generalleutnant
Graf Keller — als er die Lage klar übersah — auf das Ge-
fechtsfeld zurück, worauf erst die zurückgebliebenen österreichischen
Geschütze als „Beute" fortgeschafft wurden.
Und nun sei nochmals dem früheren Gewährsmanne das
wort zu schlichter und doch so beredter Schilderung erteilt:
„Das Attackefeld der 2. Lskadron war von Russen gänzlich
gesäubert, von uns waren wohl nicht mehr viele am Leben —
wir zählten nachher U Tote und verwundete, unter letzteren drei
Offiziere1). Immerhin bildeten wir eine kleine Truppe, machten
Appell feindwärts. wir hatten das Gefühl, daß unser braves,
junges Regiment gegen eine feindliche Übermacht einen unzweifel-
haften Sieg errungen hatte; wir freuten uns dieser Feuertaufe,
die wir, alten österreichischen Überlieferungen gemäß, gut und zähe
bestanden hatten. In diesem Augenblicke blies der Divisions-
trompeter, von, Gott weiß wo, rückwärts, ,Appell'. wir fluchen
und schimpfen und stehen allein auf weiter Flur: kein Russe mehr
zu sehen! Da wir also keine Verstärkung erhalten, die eigenen
hinter der Sumpflinie formierten Abteilungen feindabwärts traben,
entfernen auch wir uns, unwillig, im Schritt, vom heißerstrittenen
Schlachtfelde. Das war eine bittere Sache! Die Russen aber waren
nicht faul und schossen uns aus weiter Lntfernung, von Bäumen
herab, mit dem Karabiner sowie Maschinengewehren nach. Mir
aber hatten kein Verständnis für diese Schießerei.
Den Steilhang gegen die Strypa herunterkommend, sahen wir
dort Geschütze und protzen, die tief im Sumpfe staken. Ich fand
dort auch ein gezäumtes russisches Pferd ohne Sattel, das einen
Lungenschuß hatte. Erschöpft und vom Blutverlust geschwächt, ver-
suchte ich mich hinaufzuschwingen, was erst nach einigen vergeblichen
versuchen gelang. Das arme Pferd bekam einen flachen Sieb mit
dem Säbelstumpf: es trug mich vorwärts, bis es — nach hundert
*) Schwadronskommandant Rittmeister Friedrich Malburg, Oberleutnant 9ans
Graf Reffeguier, Leutnant i. d. R. Josef Brüll.
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Brosch von Fohraheim
Schritten — zu zittern anfing und umfiel. Unweit stand ein anderes
russisches Pferd, ebenfalls schwer verwundet, zwar mit einem Sattel,
aber ohne Zaum. Ls war nun keine Kleinigkeit, im Verfolgungs-
feuer der russischen Maschinengewehre den Zaum des toten Pferdes
auf das noch brauchbare überzuwechseln. Ls gelang. Doch nach
abermaligen hundert Schritten brach auch dieser arme Gaul, an
das Lnde seiner Kräfte gelangt, zusammen. Gottlob, hatte ich
wenigstens das am stärksten versumpfte Gelände hinter mich ge-
bracht. Linige getreue f5er Dragoner, die vorbeikamen, erkannten
mich; und jeder wollte mir sein Pferd zur Verfügung stellen. Ich
konnte selbstverständlich keines dieser Angebote annehmen und setzte
zu Fuß meinen Weg fort. Indessen eröffneten die Russen ein hef-
tiges Schrapnellfeuer; mir blieb nur mehr geringe Hoffnung, den
Abend zu erleben. Zufällig sprengte zu dieser Zeit eine Ulanen-
patrouille vorbei, ein leeres Beutepferd mit sich führend. Ich ver-
langte diesen Gaul, erhielt aber von jenen Dummköpfen zur Ant-
wort: ,Ah, ten jest nasz!‘ (®, dies ist unser!). Ich rief daraufhin
einen abseits reitenden Ulanenoffizier an, der sofort in die beute-
lustige Mannschaft hineinfuhr und mir das gewünschte Pferd über-
gab. Auf diesem Pferde machte ich bereits in recht elender Ver-
fassung — ich war jeden Augenblick gewärtig, aus dem Sattel zu
sinken — in Begleitung eines sich mir anschließenden Batterie-
kommandanten, der seine Geschütze schließlich hatte preisgeben
müssen, den Ritt bis zum Sammelplatz. Unterwegs hatte ein
guter Kamerad mein scheues russisches Pferdchen gegen sein eigenes
Beutepferd, das ruhiger ging, ausgetauscht. Diesen tüchtigen Rot-
schimmel besitze ich noch heute, er hat den ganzen Krieg mit-
gemacht, wurde zweimal verwundet: ich will ihn in Treuen halten,
hegen und pflegen bis an sein Lebensende."
Oberleutnant Hans Graf Resseguier ist es, der mir die
vorstehende Schilderung gibt; er ist immer einer unserer Besten ge-
wesen. In den Morgenstunden des Attacketages hatte er vorzüg-
liches im Aufklärungsdienste geleistet. Sein Verhalten in der Attacke
wurde von allen Mitkämpfern gerühmt. Und noch sehe ich ihn
vor mir, wie er nach letzterer zum Regiments einrückte: wie ein
Sankt Georg erschien uns Resseguier, eine hohe markante Er-
scheinung, als er auf seinem Streitroß, gelassen, um die Stirne eine
blutige weiße Binde, den abgebrochenen Säbel, wie ein kurzes
Schlachtwert, in der Faust, daherkam. Und solcher Offiziere hatten
wir in der alten Armee gar viele.
Zu einer vollständigen Sammlung der 4!. Kavallerie-Division
auf den Hängen nächst Dworzyska kam es nicht. Denn abermals
war es die zum Teile vorgezogene russische Artillerie, die unsere
bereits in sich geschlossenen und geordneten Regimenter auf mittlere
Entfernung unter punktfeuer nahm und zu fortwährendein Stel-
lungswechsel zwang. Die Regimenter suchten und fanden im nahen
ausgedehnten Waldgebiet Deckung.
Die österreichischen weißen Dragoner
25
Generalmajor von Zaremba, der einsah, daß er mit seiner
Kavallerie-Division zunächst keinen neuen Angriff machen könne —
um so mehr als ihm der Verlust von 8 Geschützen gemeldet worden
war —, mußte sich darauf beschränken, den Treffpunkt „Koltow"
bekanntzugeben.
Tatsächlich war die Batterie l des Hauptmanns von Stepski
während des Abprotzens in der nächst dem Wäldchen zu beziehenden
Stellung von russischen Lanzenreitern attackiert und nach helden-
mütigem Widerstände außer Gefecht gesetzt worden. Die Batterie 3
bes Hauptmanns Taufar, zuguterletzt angewiesen, sich auf dem
westlichen Strypa-Ufer ins Feuer zu setzen, geriet in Durchführung
dieses Befehles, gleichfalls von Rosaken angeritten, in den Sumpf,
woselbst die Geschütze und Rlunitionswagen bis zum Rohr und zur
Deichsel versanken; nur dadurch, daß der Batteriekommandant die
Zugstränge kaltblütig durchschneiden ließ, vermochte er fast alle
Kanoniere und Pferde zu retten.
Die beiden Bataillone des Landwehr-Infanterie-Regiments
Nr. 35 toaven zur Zeit der Attacke noch im Sammeln begriffen,
Oberstleutnant Reichelt schickte sich eben an, den Höhenrand zu
besetzen, als auch schon die Entscheidung gefallen war. So trat denn
auch die Landwehr-Infanterie — ein Truppenkörper, der sich in
Kämpfen vorausgegangener Tage voll bewährt hatte — den Rück-
zug an.
Daß die 9^r Dragoner und ^er Ulanen an der Attacke un-
beteiligt geblieben waren, muß auf den Umstand zurückgeführt
werden, daß diese Regimenter, rückwärts in der Tiefe stehend,
gar nicht zur Kenntnis der auf der Höhe %\8 sich so rasch ab-
spielenden Vorgänge gelangten; ein Befehl zum Eingreifen war
ihnen — da sich der Divisionär und beide Brigadiere mit ihren
Stäben leider gleich ritterlich selbst in die Attacke gestürzt hatten
— nicht zugekommen. Da sich die Attacke in wenigen Minuten ent-
schieden hatte, traten die beiden Regimenter, zu deren immerwähren-
dem, größtem Leidwesen nicht mehr in Tätigkeit.
Zum geplanten Zusammenwirken mit der Infanterie- und
der 8. Kavallerie-Division war es am 2\. August nicht gekommen.
Feldmarschalleutnant pokorny hatte den Vormarsch über Zborow
— wegen starker Ermüdung seiner Truppe — sehr spät aufgenommen;
diese hatte erst in den ersten Nachmittagsstunden die Höhen östlich der
Stadt erreicht, von wo aus ein kurzes Gefecht mit den russischen
Kräften geführt wurde. Feldmarschalleutnant von Lehmann war
gegen \\ Uhr vormittags bei Iezierna angelangt, von dort bis vor
Glejow vorgerückt, woselbst er begreiflicherweise auf das Eingreifen
der \\. Infanterie-Division wartete, das jedoch nicht im geplanten
Sinne erfolgte. Der Abend war hereingebrochen: Feind und Freund
nächtigten.
26
Brosch von Fohraheim
Die k. u. k. % Kavallerie-Division war von der russischen (0. Ka-
vallerie-Division (Kommandeur: Generalleutnant Graf Keller)
angefallen worden; doch hatte sich im Gefechtsraume auch eine
weitere, die 9- russische Kavallerie-Division (Kommandeur: Ge-
neralleutnant Fürst Begildejew) befunden.
Die russische (0. Kavallerie-Division *) hatte am 20. August,
wenige Kilometer südlich der 9- Kavallerie-Division die Reichsgrenze
bei lvertelka überschritten; sie nächtigte am 2\. August in und um
Bialoglowy. Bei Morgengrauen setzte sich die f0. Kavallerie-Di-
vision in Verfolg ihrer Aufgabe — Leindaufklärung in der all-
gemeinen Richtung über Zborow — westwärts in Bewegung. Das
Vorhandensein unserer Kavallerie-Division hatte der Feind ge-
wissermaßen gefühlt: wo wir uns aber befanden, wußte er zunächst,
trotz ausgesendeter Nachrichtenabteilungen, nicht. — Als die Vor-
hut der (0. Kavallerie-Division — das Grenburger Kosaken-Regiment
mit einer reitenden Batterie — die Lsöhe (Dftry Garb (an der Straße
Glejew-Zborow) erreichte, wurde Generalleutnant Graf Keller
der Anmarsch einer k. u. k. Kavallerie-Division gegen Iaroslawice
gemeldet, die sich nun auch durch hohe Staubwolken kundgab; auch
vermochte man etwa 2—3 österreichische Kompagnien wahrzu-
nehmen, die von der Iamny-bsöhe gegen den Aufenthaltsort des
russischen Divisionsstabes vorrückten; auch einzelne Schüsse fielen,
die in Generalleutnant Graf Keller den Glauben erweckten, daß
die Vorhut der 9- Kavallerie-Division, Fürst Begildejew, bereits
in den Kampf mit dem festgestellten Feind — es handelte sich um
die Streitkräfte des Generalmajors vonZaremba — getreten sei.
Sofort faßte Generalleutnant Graf Keller den Entschluß, mit
seiner ganzen Division nach Norden abzuschwenken, der 9-
vallerie-Division zu bsilfe zu eilen, die k. u. k. Kavallerie womöglich
in ber südlichen Flanke anzufallen. Generalleutnant Graf Keller
befahl der Vorhut, die sich langsam nähernde Infanterie anzugreifen;
dies glückte: mit Artillerie- und Maschinengewehrfeuer überfallen
und attackiert, wurde deren im Aufbruche begriffene bsaupttruppe
zu eiligem Rückzüge gezwungen, während die Vorhut — eben die
früher gesichteten zwei Kompagnien — sich an das Gelände klam-
merte und unverzagt den Kampf mit dem weitüberlegenen Gegner
aufnahm, schließlich aber, nach heldenmütigem Widerstände, über-
wältigt wurde. Indessen aber war Generalleutnant Graf Keller
zur Erkenntnis gelangt, daß die 9- Kavallerie-Division noch gar nicht
auf dem Gefechtsfelde erschienen sei, daß jedoch die k. u. k. Ka-
vallerie-Division bei Iaroslawice bereitstünde, wo auch zwei Bat-
terien aufgefahren waren und kurze Zeit gefeuert hatten. Nichts-
destoweniger beschloß Graf Keller, mit eigener Kraft allein, die
') Unter Verwertung von freundlichst zur Verfügung gestellten Mitteilungen
des russischen Generalstabsobersten A. v. Slivinsky, ehemals vom Stabe des General-
leutnants Grafen Geller.
Die österreichischen weißen Dragoner
27
k. u. k. Reiterei zu schlagen; er verständigte Generalleutnant Fürst
Begildejew von seinem Vorhaben und bat ihn, seinen Vormarsch
zu beschleunigen. Die bsaupttruppe wurde angewiesen, schleunigst
vorzukommen; die 3. Don'sche Artillerie-Division war bereits zur
Hand: sie nahm unsere H. Kavallerie-Division unter Feuer. Als die
Dragoner, Husaren und Ulanen zur Stelle waren, erhielten sie Be-
fehl, den Marsch gegen Iaroslawice verdeckt fortzusetzen; General-
leutnant Graf Keller hielt sich bei der Spitze auf. Gefechts-
Patrouillen ritten voran. Der russische Divisionsstab sah alsbald von
einer Kuppe nächst des eben genannten Dorfes, dessen Bereich
unterdessen die österreich-ungarische Kavallerie unter dem Einflüsse
des Artilleriefeuers verlassen hatte, unweit Wolczkowce zwei rei-
tende Batterien, die gegen die eigene Artillerie in Tätigkeit
traten; weiter rückwärts bemerkte man ein österreich-ungarisches
Ulanen-Regiment. Da blitzten Säbel auf. Nun gab es keinen
Zweifel mehr: die österreich-ungarische Reiterei hatte die anrückende
Haupttruppe unter Generalmajor Markow entdeckt; sie war offen-
bar gesonnen, den Kampf aufzunehmen. Jetzt ordnete General-
leutnant Graf Keller den Angriff an. Befehlsüberbringer sausen
davon; Trompeter schmettern das Attackesignal; nach endlos dün-
kenden Minuten ertönt es auch bei den Regimentern, in welche leb-
hafte Bewegung gekommen ist. Schon brechen rechts des Divisions-
stabes, als frontal anreitende Gruppe, die Nowo-Radomsker Dra-
goner und die Gdessaer Ulanen sowie links die Ingermannländischen
Husaren vor, derem Kommandeur von Generalleutnant Graf Keller
im vorbeireiten die Weisung zugerufen wird, Abstand zu halten, um
den Österreichern die rechte Flanke abzugewinnen. Auf einer Welle
rechts des Haupttreffens geht die Maschinengewehr-Abteilung in
Stellung. Die Orenburger Kosaken bekämpfen, vornehmlich „zu
Fuß", aus Wolczkowce vorbrechende österreichische Landwehr-Infan-
terie, eine ihrer Sotnien greift später selbständig in den sich seinem
Ende zuneigenden Reiterkampf ein. — Das russische Haupttreffen
prallt auf die beiden Schwadronen jZer Ulanen des Majors
v i d a l e, es bekämpft auch die im Staffel links angehängte
2. Schwadron der weißen Dragoner, welches Regiment sich auf die
russischen Husaren wirft. Nach minutenlangem erbittertem Hand-
gemenge trennen sich Freund und Feind, um sich in den Richtungen,
aus welchen sie gekommen, zurückzuziehen. Später erst kehrt die
russische JO. Kavallerie-Division wieder auf die Walstatt zurück,
nachdem diese von Generalmajor vonZaremba gänzlich und
endgültig geräumt worden war; nun werden auch die verbliebenen
acht österreich-ungarischen Geschütze geborgen und weggeführt. Zu
diesem Zeitpunkt erscheint erst die ft. Kavallerie-Division, Fürst Be-
gildejew, die — von Zalozcze kommend — bei Olsjow stehen
geblieben war: die Würfel waren schon gefallen....
Graf Keller war vorerst der Meinung gewesen, die ganze
28
Brosch von Fohraheim
4. Kavallerie-Division bekämpft zu haben. Als er erfuhr, daß es
sich kaum um (1/2 Regimenter gehandelt habe — es hatten im
Neiterkamxfe ft russische Schwadronen der drei Linien-Kavallerie-
Regimenter sowie eine Kosakensotnie gegen im gänzen 73/4 öster-
reichischen (D. (5 und (3/4 vom U. (3) gestanden und schließlich das
Attackefeld geräumt —, da äußerte er sich bewundernd unseren ver-
wundet in Gefangenschaft geratenen Offizieren gegenüber dahin,
daß die österreichischen Reiter sich wie Löwen geschlagen hätten."
Unsere braven Offiziere und unsere wackeren niederösterreichi-
schen Dragoner hatten sich auch fürwahr prächtig gehalten. „Auf
dem Attackefeld unbesiegt" waren wir geblieben; nur die Gesamt-
lage hatte unseren schließlichen Rückzug bedingt.
Nicht gering waren unsere Opfer: an 50 Tote, an 80 ver-
wundete und in Kriegsgefangenschaft Geratene.
Nur mehr 450 von 600 Reitern (Kampfstand) standen am
folgenden Morgen in unseren gelichteten Reihen.
Aber auch die (3er Ulanen hatten sich sehr gut geschlagen:
etliche Tote (darunter l Offizier), 2ft verwundete (darunter 4 Offi-
ziere), ((3 verwundet oder unverwundet in Kriegsgefangenschaft Ge-
ratene (darunter 4! Offiziere, unter ihnen Major Emil v i d a l e)
weist die Verlustliste auf. —
Reiche Anerkennung ward unserem schönen Regiments zuteil:
5 Offiziere wurden mit dem Militärverdienstkreuz 3. Klasse, 2 Offi-
ziere mit der Militärverdienstmedaille, ( Fähnrich mit der Goldenen
Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet; die Tapferkeitsmedaille 2. Klasse
erhielten ft Unteroffiziere sowie Dragoner und deren 5 wurden im
Armeekommandobefehl belobt 1).
Dankbar erinnern wir uns aller jener Braven, die da mit-
gewirkt haben, die Lhre unserer Waffen hochzuhalten und zu
mehren. Lhre dem Andenken aller jener, die ihre deutsche Treue
zu Kaiser und Reich mit ihrem Blute, mit ihrem Leben besiegelt
haben!
Das k. u. k. Dragoner-Regiment Nr. (5, die „weißen Dra-
goner", sie sind nicht mehr: aber in den Büchern der Geschichte
soll der Tag von Iaroslawice verzeichnet bleiben, zu erhebendem
Bewußtsein für die Nachfahren, die sich einst würdig zeigen sollen
den Taten ihrer Altvorderen!
') Die Rittmeister Graf Trautmannsdorff, v. Baumrucker und Herzig; Ober-
lentnant Gürtler, Gberst v. Brosch; Rittmeister Lrhr. v. Pillerstorff, (Oberleutnant
Graf Resseguier; Fähnrich Frhr. v. haerdtl. Die Wachtmeister Pawalec und Nerores,
die Zugsfnhrer Holacek und Dlapka, Beschlagmeister Zaunwirth, die Korporale Horky
und Habermüller, die Dragoner tstnoll, Roller, Mödler und Windholz. Wachtmeister
Hentschl, Beschlagmeister Reich, die Korporale Neuhauser und Nos, patrouilleführer Nißl.
Aus dem Ehrenbuchs der „Schwarzen Hessen",
oberösterv. Inf.-Agt. „GvojZhevzog Ernst Ludwig von Hessen und beiRhein"
R. 14-0
Von Major a D. Karl von Kenzian, damals Leutnant und Kommandant
der 8. Feld-Kompagnie, und Oberst Heinrich Sauer, im Felde als Äaupt-
mann und Major, Kommandant des 2. Feldbataillons.
Gegen die Russen!
(Feuertaufe und erste Schlacht.)
was auch das Schicksal noch im Zeitenschoße birgt,
Ob ew'gen Frieden oder neue Kämpfe,
wer in dem Heldenlieds blättert, mag beruhigt sein.
„Der Stamm war kernfest"
Und vom trutzigen Geschlecht der schwarzen Hessen
wird manches Lied erklingen.
der Blitz schlug der allgemeine Mobilisierungsbefehl, am
s0**** \. August ^9W/ in die so friedfertigen, aber durch jahrelange
serbische Herausforderungen bis aufs Blut gereizten deutsch-öster-
reichischen Erblande.
. Bis in die fernsten Alpentäler erhellte die in Belgrad heiß
aufzischende Stichflamme des Hasses unsere Lage.
Bon ihr unheimlich beleuchtet, erhob sich drohend, in der un-
endlichen sarmatischen Tiefebene der Alp Europas — Rußland —
als Schirmherr der Mörder von Serajewo.
Deutschland, von verzehrendem Neide umstellt, erklirrte in
Waffen, um das tödliche Netz, das seine gefürchtete Kraft lähmen
sollte — zu zerreißen.
Die dumpf vom Volk empfundene Linkreisungspolitik war
zur fürchterlichen Wahrheit geworden. Der Einzelne spürte die
tückische Schlinge, das Lasso der Westmächte, würgend am Halse.
Feinde und falsche Freunde an allen Grenzen.
Es geht um den Bestand, um die Heimat.
• - Gerechter Zorn, grimmige Begeisterung, Heldentrotz erfüllt die
deutschen Kerzen.
In vaterländischer Gpferfreudigkeit strömen 5000 Reservisten
und Landsturmmänner des Hessen-Regimentes in die Regiments-
station, den tageweise aufgebauten und ausgeklügelten Mobilisie-
rungsplan wegschwemmend.
*) Ausführlicher noch sind diese Darstellungen in dem Werke des k. u. k. In-
fanterie-Regimentes Nr. ih: „Lin Buch der Erinnerung an Große Zeiten", Druck
und Verlag von Josef Feichtingers Erben, Linz a. D., \9\9, enthalten.
30
von Aenzian und Sauer
Doch der so rührend gute Wille wirkt wie ein Zauber.
Am 7. August, bei früher erreichter Schlagfertigkeit, verläßt
unter beispielloser Begeisterung der erste Transportstaffel Linz.
Auf der Fahrt durch Altösterreich und das im Gefühlsüberschwang
siedende Ungarn bejubelt, ist das Regiment im Aufmarschraume des
(4- Korps nördlich der Karpathen — um Sambor versammelt.
Stand: ^592 Wann, 8 Maschinengewehre und 284 Pferde.
Nach langwierigen Märschen durch das gesinnungsfrostige Galizien
— nur die Landeshauptstadt macht eine rühmliche Ausnahme —
genießen die „Hessen" in Lemberg die letzten Ruhetage.
Die Nachrichten über den Feind sind hochersreulich.
Die herrlichen Erfolge der Armeen Dankl und Auffenberg,
die selbstverständlich erwarteten, xrogrammäßigen Hiebe, welche
Deutschland dem Erbfeinde hageldicht versetzt, heben Stolz und Zu-
versicht.
Am 24. August, beim Abmarsche von Lemberg, wird der erste
Kanonendonner aus dem Osten hörbar.
Aber statt der Sonne entgegen, geht es unbegreiflicherweise
nach Norden.
Das (4- (Innsbrucker) Korps, dem das Regiment, im ver-
bände der 3. Infanterie-Division und der (5. Infanterie-Brigade
angehört, ist plötzlich von der 3. Armee (Brudermann) ab-
getrennt und dem 4- Armeekommando (Auffenberg) unterstellt
worden.
Die Wege werden immer schlechter. Sand und Sumpf, drük-
kende Hitze, Wassermangel, knöcheltief-staubige Landstraßen stellen
an die durch ihr appetitliches Landl verwöhnten Gberösterreicher
schwere Anforderungen.
Aber unentwegt geht es nach Norden.
Ein verlassenes Kosakenlager erregt höchste Aufmerksamkeit.
Sinnlos vernichtete, herumliegende General- und Sxezialkarten von
Galizien, Ungarn, ja selbst von Mähren — geben Rätsel auf.
Gedrängte Unterkünfte, Alarmierungen, scharfe Sicherungs-
maßregeln, von der wohlhabenden Bevölkerung verlassene Städt-
chen, zu Tode verängstigte Juden, unkontrollierbare wilde Gerüchte,
an allen Ecken und Enden angeblich gesehene Kosaken, erzeugen
jenes nicht wiederzugebende vibrieren der Nerven, erregen jene bis
zum Reißen gesteigerte Spannung, die — mit drängender Neu-
gierde aepaart — die Entladung, die erste Schlacht herbeisehnen
läßt.
Als am 26. August, bei Mosti-wielki, auf einem Leiterwagen
schrecklich verstümmelte Husarenleichen vorbeigeführt werden, er-
faßt flammende Entrüstung, Berserkerzorn die gutmütigen ober-
österreichischen Jungen.
Rußland hat durch seine tartarischen Horden unseren Angriff
vorzüglich vorbereitet.
Aus dem Lhrenbuche der „Schwarzen Hessen
31
Das Regiment gleicht Thor's hochgeschwungenem Kammer.
Am 27. Früh wird die Divisionskommando-Abfertigung verlautbart,
welche kurz und bündig besagt:
„Feind schanzt auf den Höhen Krystynopol-Belz. Die 3. Di-
vision wird denselben am 28. August angreifen."
Nun wird es bei den Hessen lebendig, endlich also Kampf.
Die Leute, des ewigen Marschierens im Aufmarschraume müde,
sind wie elektrisiert. Sie folgen gespannt den Ergänzungen der An-
ordnung und reißen sich um die vorschriftsmäßig vor dem Gefechte
zur Verteilung gelangende Alunitionserhöhung.
Juchzer! — Diese aus germanischer Urzeit überkommenen Natur-
laute von Wohlbefinden, Bärenkraft und Rauflust, steigen wie Lerchen
zum blaßblauen Himmel. Blanke, blitzende Augen zeugen von ge-
sunder Kamxfesfreude und von Selbstvertrauen.
Doch noch hieß es ein wenig Geduld haben, noch war man
nicht heran.
Um 7 Uhr nachmittags, bei einbrechender Dämmerung, beginnt
die Bewegung. Kolonnenstauungen, die 3. Infanterie-Truppen-
Division benützt nur eine Linie, verursachen quälende Aufenthalte.
Der Weg führt über Kuliczkow-M. i}. Wladipol; als Angriffs-
raum wird das Gelände beiderseits waninow dem Regiments zu-
gewiesen.
Mühselig, im tiefen Straßenstaube watend, wird die Nacht
durchmarschiert. Aus abseits liegenden Gehöften blitzen Lichter
auf. Alles riecht hier, nahe der Grenze, förmlich nach verrat.
Sollten es Signale für den Feind sein?
Endlich graut der Morgen des 28. August. Wladipol, das
vorläufige Marschziel, ist erreicht. Im Walde wird die erste Ge-
fechtsgrupxierung im Kriege vorgenommen. Die Mattigkeit ist wie
weggeblasen. Im zähen Waldmorast drängt und hastet alles nach
vorwärts.
„III. und IV. Bataillon im ersten Treffen beiderseits des
Weges nach Gora; II. Bataillon hinter der Mitte; I. Bataillon Bri-
gadereserve. Links Tiroler Kaiserjäger 2; rechts im Anschlüsse
Infanterie-Regiment 28" so lautet der Befehl.
Mit unheimlicher Energie durchbrechen die Tausende das Dik-
kicht. Um ^ Uhr 30 vormittags verlassen die angriffsbereiten
Linien den Wald, im Manövergalopp fahren Batterien auf, alles
späht nach Norden, jetzt muß der Tanz losgehen.
Da prescht die Meldung heran: „Feind hat die gegenüber-
liegenden Höhen nördlich Belz geräumt. Kaiserjäger 2 haben den
Grt kampflos besetzt!"
Die Enttäuschung ist groß, das Regiment wird gesammelt und
rastet eine Stunde in Belz.
Die Bevölkerung ist unverhohlen feindlich. Juden erzählen zit-
ternd von Kosakenmassen, die tags vorher hier gewesen.
32
von Uenzian und Sauer
Zertrümmerte Geschäftsläden und andere Spuren barbarischer
Verwüstung beweisen mehr als das Gejammer.
Immerhin wird, ergänzt durch die eigene Aufklärung, fest-
gestellt, daß das (7. russische Korps gegenübersteht und mindestens
eine Division mit starker Artillerie am 28. August, also heute, bis
Wasylow-Przewodow vorgeschoben hat.
Bald ging es wieder nach Norden.
Der Entschluß, dem Feinde mit einem schneidigen Angriff zu-
vorzukommen, bleibt aufrecht.
Uni die Mittagszeit wird Gserdow, 6 Km nördlich Belz, erreicht.
Nach (8 ständigem Gefechtsmarsche und ständiger Todesbereit-
schaft weckt das cheranrattern der Fahrküchen, der Menage, begreif-
liches Entzücken, wie die Maulwürfe arbeiten die Hessen in den
Kartoffeläckern, um hiezu eine langentbehrte Beilage zu gewinnen.
„Alarm! — Kochkessel umdrehen!" In den Sand fliegt das
Essen, die Lsosenriemen werden noch um ein Loch enger geschnallt
und nach knappen Minuten emsigsten Durcheinanders, steht das
Regiment vergattert — in willen und Kraft geballt. Es ist 12 Uhr
mittags.
„churrah" — etwas seitab. Eine Gebirgsbatterie löst ihre ersten
Schüsse.
„Infanterie-Regiment Nr. 1,4 hat im Brigadeverbande über
Trigonometer 262 und 258 frontal anzugreifen.
1. Treffen: I. Bataillon, links davon 2 Bataillone Kaiser-
jäger 2.
Direktion linker Flügel I. Bataillon des 14- Regiments — linke
(gut sichtbare) Ecke der Waldparzelle südwestlich Przewodow.
2. Treffen: III. und IV. Bataillon des 14- Regiments.
5. Treffen: II. Bataillon des 14- Regiments als Regiments-
reserve.
Alle drei Treffen, Direktion die Mitten, das vor der Front
befindliche waldeck.
Treffendistanz: 600 Schritte."
Die Gefechtsentwicklung erfolgt so exakt und vollendet wie auf
dem Exerzierplätze und geht sofort in das vorrücken über.
Prachtvoll und herzerhebend ist der Anblick der endlosen, schnur-
geraden Infanteriewellen, die da über die Kartoffeläcker rollen.
Fern — in der linken Flanke eilen die Linien der Kaiserjäger wie
die Wiesel vorwärts.
Auf einem Ijügel westlich Gserdow, weithin sichtbar, steht der
Divisionär Exzellenz Roth mit seinem Stabe.
Knapp hinter der Infanterie, vollkommen ungedeckt, protzen
(wie vom Teufel geritten) Batterien ab. herzhafte Zurufe werden
mit den braven Artilleristen getauscht.
Da brausen die ersten feindlichen Schrapnellagen wie die wilde
Jagd einher.
Aus dem Ehrenbuchs der „Schwarzen Reffen
33
Die Rappen fliegen in die Lust, erschütternde Hurra's, hell-
klingende Jauchzer begrüßen die Boten des Todes.
Nack dem Überrennen der ersten langgestreckten Höhe westlich
Gserdow setzt starkes Granatfeuer ein. Die vorzüglich eingeschossene
russische Artillerie, welche die Entfernungen im Angriffsraume durch
harmlose Zeichen (Strohpuppen, Holzkreuze) abgesteckt hat, kann nicht
rasch genug den Aufsatz wechseln. Das sanft ansteigende, später
ebene Gelände hätte sonst zur Vernichtung führen müssen, wie
ein Sturmwetter springen die Hessen durch die aufspritzende Erde.
Derbe, dem Feinde geltende Scherzworte.fliegen als Antwort
hinüber.
Die Blumenteufel, wie der Russe, nach der ersten Bekanntschaft,
unsere mit dem zarten Edelweiß geschmückten Soldaten des Korps
nannte — sind nicht aufzuhalten.
Die Sonne brennt heiß, der Tornister drückt schmerzhaft, Durst
quält, Kameraden fallen, bluten zwischen den Ackerfurchen, aber
vorwärts treibt der herrliche Kampfgeist die Älpler.
Immer heran! näher heran! „Haar' will t' zwischen d'Händ'
Ham!" — schreit es aus der, im verengten Angriffsstreifen, immer
dichter werdenden Masse.
wetteifernd um die Ehre, zuerst an den Feind zu kommen,
übergreifen einander die Kompagnien mit gewaltigen Sprüngen.
Fast spielend wird der ^ km tiefe, nun auch von der Infanterie
mit Geschossen überschüttete Raum durchmessen. Es pfeift und
singt in der Luft in allen Tonarten. Die sommerdürre Ebene ist
mit Lausenden dünner Staubsäulen bedeckt und über die Köpfe
fauchen wie wilde Katzen die Artillerielagen.
Heldenmut schafft allerorts Heldentum.
Stehend, ihre unvermeidliche Tabakspfeife im Munde, schießen
die Leute ihre Gewehre ab, um nach kurzer Schnaufrast weiter-
zuftürmen.
Deckung gibt es keine. Aber was bekümmert das die schwarzen
Hessen! Feigheit wäre es gewesen, auf die Sicherheit seiner Haut
bedacht zu sein.
Die Wasserjacken der Maschinengewehre dampfen, weiter dringt
die Feuerwalze. Immer schwerer wird es den Offizieren, die Mann-
schaft zu einer Atempause und zum Gebrauche der Schußwaffe zu
zwingen. Tollkühn, unwiderstehlich, trotz Tod und verderben —
als wollte jeder persönlich den Ausschlag geben und ein Loch bis
Moskau in das riesige Zarenreich schlagen — geht es vorwärts.
von den vorzüglich am Waldrande eingegrabenen Russen ist
nichts zu sehen. Nur das sprühende Feuer verrät ihre Anwesenheit.
Keiner der braven Soldaten denkt an die ungeheuer schwere Auf-
gabe, an die verzweifelt schlechte eigene Lage. Sehen, anpacken,
fassen möchte man endlich den verkrochenen, unsichtbaren Feind.
Ker chn awe. Im Felde unbesiegt. HI. 3
34
von Renzian und Sauer
Lrregt werden die Linschläge der eigenen Artillerie, die nun
wie mit Riesenfäusten den Moskowiter zusammendrischt — beobachtet.
Bewegung wird drüben bemerkbar. Sie schießen auf einmal
viel zu hoch, Aufregung, hastiges Hin und Her ist unverkennbar.
Unabwendbar wie das Schicksal, unaufhaltsam naht die eigene
Linie — die unzerstörbare Mauer der Hessen.
„Schießen!" — „Sie weichen!" — Wie ein Funke springt das
Gefühl der eigenen Überlegenheit durch die Reihen.
Nun folgt Schlag auf Schlag.
Lin blutfunger Fähnrich entreißt, mit einer Handvoll Leute —
dem Gegner einen Stützpunkt.
An der Spitze seiner Dreizehnten, wie im altgermanischen Keile,
findet Oberleutnant Hermann Seif, hart an die Waldstellung
prallend, als erster Hessenoffizier den Heldentod. „vorwärts, Ka-
meraden! Sorgt euch nicht um mich!" — sind seine letzten Worte.
Line kühne Russenbatterie unweit der eroberten Stellung, tapfer
bis an die Infanterielinie herangebracht, reißt, in bewunderungs-
werter Aufopferung, noch immer Lücken in unsere Reihen.
Teile der 4!- und j4- Kompagnie stürmen mit ehrfurchtgebie-
tender Tapferkeit. 4 Geschütze, die eben herangebrachte Bespan-
nung, und 200 Mann sind die Beute. Die Regimentsreserve wird
in geschlossener Linie herangeführt. Wo die Rauchballen am dich-
testen, flattert die alte, von Kugeln zerfetzte, dem Feinde bei Ma-
genta und vejle zum letzten Male gezeigte — Fahne irrt Winde!
Die Hörner schmettern! — Bis ins Mark dringt das altöster-
reichische Sturmsignal.
Brausende Hurra's erfüllen den Raum. Der Sieg ist er-
rungen! Keuchend vor Anstrengung stehen die Unseren auf der
Brustwehr, in den leichenüberfüllten, kunstvoll mit Flankierungs-
anlagen ausgebauten feindlichen Gräben.
In überquellendem Jubel umarmen die Leute, was auf Armes-
länge unterkommt. Die Tiroler Kaiserjäger singen knieend das
Kaiserlied.
Die Gluten der untergehenden Sonne und der Flammenkranz
brennender Dörfer — beleuchten in grausamer Schönheit das
Schlachtfeld.
Stolz, stolzer wie je Tribunen im Triumphzuge der römischen
Imperatoren, führen Hessen Russentrupps nach Süden.
Feindliche Offiziere sind voll ehrlicher Bewunderung für die,
auch im japanischen Kriege nicht erlebte, unerhörte Stoßkraft des
Angriffes.
Die so unnatürliche Ruhe nach dem Getöse des Gefechtes —
wirkt beklemmend.
Line sternenklare Nacht bricht an.
Langgezogene Hilferufe noch ungeborgener verwundeter, Stöh-
nen verendender Pferde erinnern an den blutigen Preis des Tages.
Aus dem Ehrenbuchs der „Schwarzen Reffen" ZH
Der Feldgeistliche, mit dem hocherhobenen Allerheiligsten,
schreitet über die Walstatt. Tr spendet den Sterbenden Trost.
Beim Klange des silbernen Glöckleins beugen die tiefergriffenen
Truppen demütig — ihren stolzen Nacken.
„Das war die Feuertaufe der schwarzen Hessen!"
In der Nacht vom 28. auf den 29. werden die arg ver-
mischten Verbände geordnet. Versprengte herumirrende Kosaken-
patrouillen scheuchen zwar die auf ihren ersten Lorbeeren süß
ruhenden Hessen ein paarmal auf, im großen Ganzen aber, bei
gefechtsmäßiger Sicherung, herrscht erquickende Stille. Der Feind
bleibt vollkommen untätig.
Am 29. August, im Raume przewodow zum Eingriff gruppiert,
sehen die Kompagnien, mit leuchtenden Augen und grimmigem Be-
hagen, starke russische Kolonnen aller Waffengattungen, auch vom
Westen — in eiligem Rückzüge. Unsere Kanonenbatterien pfeffern,
zum Tempoverstärken, hinein.
Die Reichsgrenze wird mit Hurra passiert. Die Grenzpfähle
wandern unter Scherz und Jubel eine Weile mit. Gegen 9 Uhr
abends lagert das Regiment bei Liski. Die Sonne bescheint ein
harmlos friedliches Kriegsbild. Noch einmal gönnt das Schicksal
den Hessen eine geruhsame Nacht und einen zu gründlichen Reini-
gungsarbeiten verwendeten Vormittag.
Blitzblank, wie zu einer Feldparade, setzt am 30. \ Uhr nach-
mittags das Regiment mit der zugeteilten Feldkanonen-Division U
als eigene. Kolonne den Gefechtsmarsch fort. Rtarschlinie: Liski-
Nowosielki-Wiszniew.
„Der Feind ist, wo er sich stellt, anzugreifen!"
Wegen der erwarteten feindlichen Artilleriewirkung ist die For-
mation locker. Die Durchstreifung des menschenleeren Novosielki
mit dem nördlich davon gelegenen Wald verläuft ergebnislos.
Fern im Süden, also im Rücken, rollt dumpfer Kanondonner.
Niemand beachtet die ehernen Stimmen — es ist ja Krieg —, nur
einige Offiziere stecken über der Karte die Köpfe zusammen1).
9 Die allgemeine Lage, soweit sie bis zu den Truppen durchsickerte und von
Frontoffizieren beurteilt werden konnte, besagte: Bei der unerwarteten Abtrennung
des Korps von der 3. Armee (Brudermann) in Lemberg blieb die 44. Landwehr-
division zurück.
Mit der verbleibenden 3. und 8. Jnfanterie-Truppen-Division, nunmehr der
4. Armee (Auffenberg) ab 44. August unterstellt, unternahm Erzherzog Josef-
Ferdinand, der Kommandant des *4. Korps, den Stoß nach Norden bzw. Nord-
westen, um-als einschwenkender rechter Flügel G. d. I. Auffenbergs deffen genialen Plan,
die Einkreisung (Vernichtung) der geschlagenen Russen, zu vollenden. Scheinbar frisch
angesetzte russische Kräfte (17. russ. Korps bei Przewodow) zwangen den Erzherzog
diejen Gegner, der den Rücken Brudermanns und Auffenbergs gleichzeitig bedrohte,
zu erledigen. So kam es zu dem Risse nach Norden In die Lücke zwischen die
3. und 4. Armee war aber am 30. eine starke russische Kavallerie-Division von Osten
her bis Kamionka-Srrumilowa vorgedrungen. Ihrer Abwehr galt der gehörte
Kanonendonner. o*
36
von Renzian und Sauer
wir sind im Feindeslande. In der Ortschaft Wassilew (nicht
zu verwechseln mit dem südlich gelegenen Wasylow) beschießen Ein-
wohner hinterhältig den Train. Aus Rellerlucken und Baumkronen
krachen die verräterischen Schüsse. Da gibt es keinen Pardon! —
Strohhaufen, von der fanatischen Bevölkerung entzündet, flammen
auf, und — gut klappt die russische Regie — mit den sichtbar
werdenden Rauchwolken prasseln auch schon die Granaten in das
Dorf. Das Lumpenpack erhält so, von den eigenen Landsleuten,
den wohlverdienten Judaslohn.
Das Nest brennt lichterloh!
Das Durchsuchen der in dichten Gärten versteckten Hütten —
man darf im Rücken keine Freischärler, keine Mörder dulden —
das Ausheben von Geiseln verursachen langen Aufenthalt. Mit
Dämmerungsbeginn wird die Angriffsbewegung fortgesetzt.
Nervös und stockend geht es in das unheimliche Dunkel.
von den Truppen der 8., der westlichen Nachbar-Division,
welche mit uns auf gleicher Höhe vorrücken soll, ist nichts zu hören
und zu sehen1).
Der eigene linke Flügel hängt in der Luft. Ja! aus dieser für
völlig sicher geltenden Richtung geltenden Richtung kommt Artillerie-
feuer.
Der Vormarsch wird eingestellt. Das Regiment verbringt, Ge-
wehr im Arm, in und an dem Netrebawald — fröstelnd die Nacht.
Das Gefühl allein zu sein, zwingt zu starken Sicherungen nach allen
Seiten. Mit dem rechten Nachbarn gelingt es erst um \\ Uhr 30
nachts die langgesuchte Verbindung herzustellen. Unheil liegt über
der ganzen Gegend.
Durch die Wälder im Norden, geführt von ortskundigen
Bauern, marschieren gegen die auf nackter Erde aneinander ge-
preßten Gberösterreicher — die Legionen des weißen Zaren.
Am 3(. um ^ Uhr morgens erfüllt furchtbarer Schlachtenlärm
den Wald und seine Umgebung.
Treffsicher sitzen die Artillerielagen.
Das überraschte Regiment setzt sich wie ein verwundeter Eber
zur wehr und geht wie ein Hornissenschwarm, mit allen vier Ba-
taillonen, zum Frontalangriff über.
Im jagenden Drang nach vorwärts, mit viel zu dichten
Schwarmlinien, unter starken Verlusten, wird die dünne, heftig
feuernde Rette der gefechtsmäßigen Vorposten mitgerissen und die
erste feindliche Vorfeldstellung niedergerannt.
vor uns flache Bodensenkung, bis zum etwa 500 Schritte ent-
fernten Gegner, sanft ansteigender Hang. Es summt und surrt
um die Röpfe — unerhört heftig ist das Artilleriefeuer, vom greif- *)
*) Schuld der 8. Division war das Zurückbleiben keinesfalls. Überanstrengt
durch Gewaltmärsche, mußte ihren erstklassigen Regimentern eine Ruhepause gestaltet
werden.
Aus dem Ehrenbuchs der „Schwarzen Hessen'
37
bar nahen Gegner ist nichts zu sehen, kein Ziel, daher kein Feuer-
befehl.
Die Verluste steigen schrecklich, nicht ein Schuß fällt von den
prachtvoll Disziplin haltenden Leuten. Den erdfarbenen, bis zum
Hals eingegrabenen Russen ist nur mit der blanken Waffe beizu-
kommen. Also — drauf los! Jedem aufspringendem Schwarm
schlägt ein Bleihagel entgegen, aber der jenseitige Hang ist erreicht
— wir stehen in der engen Mensur.
Endlich!! — „Schießen! — der Ramm! — 300!" — welche
Erlösung!
3n wenigen Sekunden liegt der Hügelrücken in einer undurch-
dringlichen Staubwolke. Der Feind schießt unsicher und schwächer.
Bajonette blitzen, pfeifen schrillen, die Muskeln spannen sich
zum Sprunge, den Säbel in der Faust schnellen Offiziere vor die
Front und im gewaltigen, befreienden Sturme wird der Russe
hinweggefegt. Die flüchtigen Kaufen zerstiebt das Verfolgungs-
feuer.
Noch zittern die Glieder von der mächtigen Erregung, not-
dürftig ist Ordnung geschaffen, da wimmeln über die nördlichen
Geländewellen, auf den abgeernteten Feldern nur in der Bewegung
erkennbar, zum Gegenstoß angesetzte Massen heran.
An eine planmäßige, technische Verstärkung der Stellung ist
nicht zu denken. Riesige Strohschober auf der eroberten Rammlinie
sind ideale Einschußobjekte für die feindliche Artillerie und so deckt
denn alsbald ein Eisenhagel, der für uns unerreichbaren und daher
offen aufgefahrenen russischen Batterien — das brave Regiment.
Wie die Heuschrecken kommt nun auch die Infanterie heran-
gekrochen. Fieberhaft schießen die Hessen. Aber die Menge der
Feinde macht diese für Verluste unempfindlich, immer breiter,
wie Meereswellen im Sande, zerfließen die russischen Linien.
Längst sind wir im Westen überflügelt, doch luchsäugige Ma-
schinengewehrschützen verhindern, vom Gelände begünstigt, jeden
Umfassungsversuch. Angenagelt, innerhalb der kleinen Entfernungen,
wagt der Moskowiter keinen Anlauf.
Die uns zugeteilte Ranonen-Division hat noch keinen Schuß
abgegeben, auf dem Parkplatze um ^ Uhr früh zusammengeschossen,
bewegungsunfähig, ist sie, dem an Feuerrohren sechsfach stärkeren
Russen gegenüber, wehrlos.
Die rechte Nachbarkolonne, selbst im Vernichtungskampfe
stehend, kann die erbetene Unterstützung nicht senden.
Nun fahren auch in der offenen linken Flanke Batterien auf,
ihr enfilierendes Feuer wirkt entsetzlich.
Immer häufiger suchen die Feldstecher den südwestlichen Ho-
rizont ab. Sollen die kahlen Stoppelfelder zum Friedhöfe werden?
Stundenlang tobt der Rampf. Ein Abtransport der verletzten
ist aus Mannschaftsmangel unmöglich.
38
von Renzian und Sauer
Fast alle Offiziere sind tot oder verwundet, anderthalbtausend
Hessen sind gefallen oder außer Gefecht gesetzt.
Im Walde von Netreba, im dichten Unterholze, ist das Ge-
fecht am wildesten. Immer wieder werfen furchtlose Älpler die
herankriechenden Gegner mit dem Bajonett auf Resepektsentfernung.
Um 7 Uhr vormittags sichten die Beobachter, weit links rück-
wärts, winzige Pünktchen. Die Kaiserjäger, die Brigaden der
8. Division kommen. Für uns ist es zu spät.
Beide Flügel stehen im Kreuzfeuer. Die beiderseitige Umfassung
kann jeden Augenblick eintreten.
Die 6. Kompagnie, die letzte Reserve, wird eingesetzt, um dem
katastrophalen Munitionsmangel abzuhelfen.
Noch zwei Stunden raufen die Hessen wie die Bären — allein,
verschossen, verblutet.
Um 9 Uhr vormittags gibt Major von Kirchner, der letzte
Stabsoffizier, der Vernichtung des Regiments bei diesem sparta-
nischen Sterben vorbeugend, den Befehl, das Gefecht abzubrechen.
Mühsam und verlustreich, unter dem Schutze der heroisch sich
aufopfernden Maschinengewehre, verlassen die Kompagnien den so
tapfer behaupteten Boden. Hart greift das Zurücklassen der toten
und schwerverletzten Kameraden an das Herz.
Nur einen Streifen von ^00 Schritten geben die Oberöster-
reicher preis, zögernd und vorsichtig tastet der Russe nach.
Knapp nördlich des brennenden, mit eigenen verwundeten über-
füllten Wassilew — nehmen die Trümmer wieder Front.
Frische, ausgeruhte Truppen des Korps rücken siegesgewiß
vor. Um \2 Uhr mittags tritt das Hessen-Regiment in das Ver-
hältnis der Divisions-Reserve — und wird aus dem Gefecht gezogen.
Zwei schwache Bataillone werden gebildet. Das schöne, stolze
Regiment folgt schon am nächsten Tage, wenn auch geschwächt,
ungebrochen dem die Russen vor sich hertreibenden Korps.
Besitz stirbt,
Sippen sterben,
Du selbst — stirbst wie sie.
Nur eines weiß ich, das ewig lebt.
Der Toten Tatenruhm.
Komarow.
(26. August bis 2. September *9^.)
Von Kriegsminister a.D. Moritz v. Aussenberg-Komarow.
OsV)itte August ^9^ fand der Aufmarsch der gegen Rußland be-
stimmten österreich-ungarischen Armee am mittleren und un-
teren San und am Oberlauf des Dnjesters einschließlich des Raumes
bei Lemberg statt. Starke detachierte Gruppen sammelten sich bei
Krakau, an der östlichen, galizisch-russischen Grenze und bei Gzernowitz.
Als Hauptheeresgruppe waren bestimmt:
Die \. Armee — General der Kavallerie Dankl — am un-
teren San (Hauptquartier: Lancut);
die H. Armee — General der Infanterie von Auffenberg
— am mittleren San (Hauptquartier: Radynmo);
die 3. Armee — General der Kavallerie von Bruder mann
— am Oberlauf des Dnjester und bei Lemberg (Hauptquartier:
dortselbst);
die 2. Armee — General der Kavallerie von Böhm-Lr-
molli (Hauptquartier: anfänglich Stanislau-, dann Strji). von
dieser war jedoch vorerst nur ein Korps (das XII.) zur Stelle im
Raum bei Stanislau, während die zwei anderen Korps (IV. und
VII) sich erst im Heranrollen befanden, da sie, ursprünglich gegen
Serbien bestimmt, an der Save aufmarschiert waren.
Alles in allem waren Anfang September auf diesem Kriegs-
schauplatz an Feldtruppen etwa ^«0 Infanterie- und JO Kavallerie-
Divisionen mit einem Gefechtsstand von 750000 Gewehren, 60 000
Säbeln und 2000 Geschützen anwesend.
Die beim Armeeoberkommando einlaufenden Nachrichten waren
anfänglich ziemlich unsicher. Sie ließen aber erkennen, daß die
Russen in ihrer Mobilisierung und in ihrem Aufmarsch gegenüber
der Friedensberechnung einen Vorsprung erzielt hatten, daß sie mit
zwei Armeen gegen Ostpreußen, mit einer starken Heeresgruppe
zwischen Weichsel und Bug (Front gegen Süden) und mit einer
Gruppe, deren Stärke noch nicht erkennbar war, gegen Ostgalizien
(Front gegen Südwesten und Westen) in Versammlung begriffen
waren; ferner, daß das linke Weichselufer bis auf schwache Gruppen
geräumt wurde.
40
v. Auffenberg-Aomarow
Zur Klarstellung der Verhältnisse ordnete das Armeeoberkom-
mando i) schon am August (8. Rtobilmachungstag) das Vorgehen
fast aller Kavallerie-Divisionen an, die — wo nötig durch Infanterie-
Bataillone unterstützt — am \5. August aus ihren Sammelräumen
aufzubrechen und tunlichst bis an die großen feindlichen Infanterie-
spitzen durchzustoßen hatten.
Auf Grund der hiedurch sowie auf andere weise gewonnenen
Klärung faßte das Armeeoberkommando schon am \8. August den
bestimmten operativen Plan, den Russen angriffsweise entgegenzu-
treten, um die — taktisch noch nicht vereinten — Lsauptgruppen vor
ihrer Vereinigung entscheidend zu bekämpfen.
Gegen welche dieser beiden 'Gruppen (Nord- oder Gstgruppe)
der erste Schlag zu führen sei, blieb bis zum 22. August un-
entschieden. An diesem Tage aber entschloß sich das Armeeober-
kommando, den Schlag gegen die näher herangelangte feindliche
Nordgruppe ($. und 5. russische Armee) zu führen und hiezu die
eigene \. und % Armee, sowie die von Krakau aus vorgebrochene
Landsturmgruppe des Generals der Kavallerie Kummer anzusetzen,
während die damals noch schwächere Gstgruppe, die 3. und Teile
der 2. österreich-ungarischen Armee, die vom Osten anrückenden
feindlichen Heereskolonnen (3. und 8. russische Armee) aufzuhalten,
hiezu aber gleichfalls offensiv vorzugehen hatten.
hieraus entwickelte sich eine Reihe von Schlachten und Kämpfen,
von denen die gegen Norden geführten in den siegreichen Schlachten
von Krasnik und Komarow ihren Höhepunkt fanden. Letztere, von
der österreich-ungarischen Armee gegen die russische 5. Armee
durchgekämpfte Schlacht, soll hier skizziert werden.
Die Armee bestand vor Beginn der Schlacht aus dem
II. Korps (%., \3. Infanterie-Division, 25. österreichische Landwehr-
Infanterie-Division), dem VI. Korps (\5., 27. Infanterie-Division,
39. ungarische Landwehr-Division), dem IX. Korps ((0. Infanterie-
Division, 26. österreichische Landwehr-Division), dem XVII. Korps
03- Infanterie-Division und 3 Warsch-Brigaden) ^), der 6. und
10. Kavallerie-Division, während der Schlacht traten noch hinzu:
die Armeegruppe Erzherzog Ferdinand, bestehend aus dem XIV. Korps
(3. und 8. Infanterie-Division), der U. ungarischen Landwehr-
Division und der 2. Kavallerie-Division; dann die 9- Kavallerie-
Division. In Summe (einschließlich Warsch-Brigaden) 190 Bataillone,
IG Eskadronen, 600 Geschütze.
Die Armee war — wie erwähnt — am San im Raume von
Radymno aufmarschiert, doch fehlten ihr bei Beginn der Operationen
noch eine Anzahl von Einheiten, desgleichen die Ltappentruppen.
Entsprechend der offensiven Idee des Armeeoberkommandos und
1) „Armeeoberkommando" in Österreich-Ungarn vorgeschriebene Bezeichnung
für die „Oberste Heeresleitung" der Armee im Felde.
2) Aus mobilen Ersatztrupxen zusammengesetzte Brigaden aller Waffen.
Komarow
41
der daraus erflossenen Anordnungen wurde der Vormarsch am
22. August in breiter Front, anfänglich in östlicher Richtung, an-
getreten. Als aber am 2% August der Entschluß des Armeeober-
kommandos dahinging, den Schlag gegen die aus nördlicher Rich-
tung, aus dem Raume von Tholm, vorgehende 5. russische Armee
zu führen, wurde die Richtung auf Norden umgestellt, was
natürlich eine teilweise Schwenkung der Armeefront erheischte. In-
dessen war die — links der eigenen Armee vorgehende — \. Armee
schon am 23. und 2% August auf Teile der aus dem Raume
von Lublin vorrückenden Kolonnen der russischen % Armee gestoßen.
Angriffsweise und mit Überlegenheit angehend, warf die \. Armee
diese in den Kämpfen bei Krasnik zurück, wobei die linke Flügel-
Division der eigenen % Armee mitzuwirken vermochte. In Aus-
führung der operativen Weisungen des Armeeoberkommandos ent-
schloß ich mich am Nachmittag des 25. August mit allen erreichbaren
Kräften angriffsweise gegen die 5. russische Armee vorzugehen, um
sie zunächst zu stellen, dann aber von beiden Flügeln aus zu einem
umfassenden und entscheidenden Angriff überzugehen.
Zur Verfügung standen mir im ersten Augenblick allerdings
nur die 3 Divisionen des II. Korps, die JO. Division des IX. und
die 5 Divisionen des VI. Korps, die jedoch ihrerseits — in natür-
licher Folge der Frontveränderung — rechts rückwärts gestaffelt
waren. Die anderen Einheiten waren teilweise noch im Anrollen,
teils (die ganze Gruppe Erzherzog Josef Ferdinand) nur bedingungs-
weise unterstellt, da sie eigentlich zum verbände der 3. Armee ge-
hörte. Der Armee voraus ging die 6. Kavallerie-Division, die
nach wechselvollen Kämpfen Zamosö genommen hatte, nördlich
dieses Ortes aber auf starke, im Vorgehen gegen Süden begriffene
Kräfte gestoßen war. hiedurch, sowie durch Fliegeraufklärung wurde
festgestellt, daß sich das russische XXV. Korps (3 Divisionen) im
vorrücken gegen uns westlich Zamose befand, dann, daß sich aus dem
Raum bei ~(Bvnhies$ow (50 km östlich Zamosc) ein starker, mehrere
Divisionen zählender Heereskörper im allgemeinen in westlicher
Richtung (auf Komarow) vorbewege. Ich beschloß, die erstgenannte
Gruppe (XXV. Korps) mit dem durch die W. Division des IX. Korps
verstärkten II. Korps anzugreifen, während das VI. Korps in
breiter Front die in westlicher Richtung vorgehende russische Kolonne
zu stellen und an einer Mitwirkung beim Kampfe der anderen
Gruppe zu verhindern hatte. Entsprechend der danach ausge-
gebenen Befehle hatte die Angriffsgruppe (II. Korps und JO. Di-
visionen) über das Höhengelände westlich der Straße Tomaszov-
Zamosc vorzugehen, während das VI. Korps auf und östlich
dieser Verbindungslinie vorzurücken hatte. Zur Deckung der rechten
Armeeflanke wurde das Kavallerie-Korps verwendet, das aus der
6. und der in den Aufmarschräumen eingetroffenen JO. Kavallerie-
Division bestand.
42
v. Auffenberg-Komarow
Daraus entwickelte sich nun an der ganzen Front eine Reihe
heftiger, von uns durchwegs angriffsweise geführte Kämpfe. Das
II. Korps drängte den Feind von Stellung zu Stellung, doch ver-
mochte er sich in den Abendstunden noch am Nordrand des Lsöhen-
gebictes zu halten und daselbst einzugraben. Die Truppen, die
mit großer Tapferkeit fochten, waren durch den stundenlangen
Kampf in dem tiefsandigen Boden sehr ermüdet. Weniger günstig
verlief der Kampf beim VI. Korps. Wohl brach das Spitzen-
regiment der auf und östlich der Straße vorrückenden 39- (Lsonvöd-)
Infanterie-Division in die erste Linie des Gegners ein, es geriet
aber dann in der Höhe von Tarnawatka in einen durch die
Russen geschickt angelegten großen Feuerüberfall und mußte unter
starken Verlusten auf Tomaszow zurückgenommen werden. Glücklicher
war die Nachbar-Division rechts, die 27., die in einem gut angelegten
Angriff, bei dem sich namentlich das ober-ungarische Regiment
Nr. 851) hervortat, den Gegner auf der ganzen Linie zurückwarf,
dann aber — in Anbetracht des Zwischenfalls bei der 39- Division
—i halten mußte. Die am rechten (schwenkenden) Flügel vorgehende
ungarische l.5. Division erreichte nach äußerst anstrengendem Rkarsche
ihr Marschziel in vorgerückter Abendstunde. Rechts außerhalb der
Armeefront führte das Kavallerie-Korps (General von witt-
nl«n n) ein sehr lebhaftes, von Erfolg begleitetes Feuergefecht gegen
Kosaken und Infanterie durch, wobei namentlich die 6. Kavallerie-
Division mit großer Tapferkeit focht, während die (0. Kavallerie-
Division die äußerste rechte Flanke sicherte. Gerade dieser letzteren
Heereseinheit stieß am folgenden Tage (27. August) das Mißgeschick
zu, daß sie im Morgengrauen überfallen wurde, so daß sie für die
folgenden Kamxfestage nicht in Rechnung gestellt werden konnte.
An der Armeefront gelangte am linken Flügel an diesem Tage der
Angriff des II. Korps zur vollen Auswertung. Der Feind wurde
aus seiner verschanzten Stellung geworfen, zog sich — teilweise
fluchtartig — über das Labunkatal zurück, räumte in den Abend-
stunden auch Zamosc und büßte über 20 Geschütze ein. Gegen die
südöstlich von Zamosc streichende, namentlich Tarnawatka und den
Höhenzug südlich Komarow innehabende, verschanzte gegnerische
Front, die vom XIX. russischen Korps besetzt war, kam ein um-
fassend angelegter Angriff zur Ausführung, von Süden her durch
die beiden Divisionen 39- und 27. des VI. Korps, von Westen her
durch die nacheinander eintreffenden Staffeln der 26. Division und
von Norden her durch eine verstärkte Brigade der (0. Division. Trotz
dieser Umfassung gelang der Angriff nicht, da sich der Feind durch
nachrückende Kolonnen aus der Richtung Tholm stets verstärkte und
namentlich gegen die Teile der 26. Division immer mehr Kräfte
ansetzte. Doch wurden die Vorstöße, die er an diesem wie an den
9 ’/* Ruthenen, Vi Rumänen. — Das Regiment hielt sich auch, trotz wieder-
holter großer Verluste, im ganzen Kriege vorzüglich.
Romarow
43
beiden folgenden Kampfestagen mit der sichtlichen Absicht unter-
nahm, hier durchzustoßen, im wechselvollen, blutigen Kampfe zurück-
gewiesen. Die gegnerischen Kolonnen, die aus der Tholmer Rich-
tung nachgerückt waren, gehörten dem V. sowie Teilen des XIII.
russischen Korps an. Die eigene rechte Flügel-Division (die (5.) ge-
langte nach leichten Gefechten bis in die Höhe des Ortes Pukarzow
westlich Tyfzowice, wo sie in eng konzentrierter Form nächtigte.
Für den folgenden Tag (28. August) war auf unserer Seite
zu rechnen: a) auf das Eintreffen der letzten Staffeln der 26. Di-
vision, b) auf jenes des XVII. Korps ((9- Division und 3 Rlarsch-
Brigaden), c) auf das Anrücken der Armeegruppe des Erzherzogs
IosefFerdinand (XIV. Korps, U- Infanterie- und 2. Kavallerie-
Division), die allerdings bisher schon zweimal dem verfügungsrecht
der Armee entzogen worden war. So kam es, daß sie weit aus-
und rückwärts des rechten Armeeflügels gestaffelt und auf ihr Ein-
treffen vor den späten Nachmittagsstunden nicht zu denken war.
Diesem Umstand sowie jenem Rechnung tragend, daß nun auch aus
nordöstlicher und östlicher Richtung, von Grulieszow und Krylow her
starke Kolonnen — das russische XVIII. Korps — im Anmarsche
waren, bog ich den bisherigen rechten Armeeflügel (27. und (5. Di-
vision) derart, daß dessen Front eine nordöstliche Richtung erhielt.
Hiedurch wurde diese Gruppe näher an die heranmarschierende Ko-
lonne des XVII. Korps gebracht, diesen sowie namentlich der
Armeegruppe des Erzherzogs Josef Ferdinand die Rköglichkeit ge-
geben, von £jans aus gegen Flanke und Rücken der aus Gra-
bieszow und Krylow anrückenden russischen Kolonnen zu wirken. Es
sollte aber anders kommen. Als die (5. Division bei grauendem
Morgen in die zugewiesene Stellung abrücken wollte, wurde sie
von Osten her durch die Waldungen von Tyszowce überfallartig
angegriffen. In einem kurzen wildtobenden Kampf wurde sie unter
schweren Verlusten westwärts zurückgetrieben. Der Divisionär, der
Generalstabschef blieben tot am Platze und der größte Teil der Ar-
tillerie ging in einem Sumpf rettungslos unter. Die Russen stießen
heftig nach, gelangten an die Flanke der Nachbar-Division (27.),
wurden aber daselbst durch einen vom Gberstbrigadier von Sterz
ausgeführten Gegenstoß zum Stehen gebracht und zur Durchführung
eines regelrechten, also langsam sich abspielenden Frontalkampfss
gezwungen. Auch konnte sich unter dem Schutz dieser Kampf-
gruppe die arg hergenommene (5. Division in einem Lager bei
Tomaszow sammeln, wo dann der Korpskommandant General der
Infanterie von Boroevic deren Ordnen in die Hand nahm.
Line sehr gefährliche Krise war hiedurch zum Abschluß gebracht.
An den anderen Teilen der Front kam es zu einem Angriff
der zuletzt eingetroffenen Staffel der 26. Division, der aber erfolglos
blieb. Ansonsten machte sich nach den heftigen Kampfesaktionen der
beiden Vortage eine verhältnismäßige Ruhe geltend. Nur am linken
44
v. Auffenberg-Aomarow
Flügel der Armee war die 4- Division genötigt, in einen Kampf des
L. Korps der \. Armee einzugreifen, gegen welches sich die ein-
getroffenen gegnerischen Verstärkungen angriffsweise wandten.
Indessen langten nun am rechten Armeeflügel in den Nach-
mittag- und Abendstunden die Divisionen ($., 44-, 8., 3. und Marsch-
Brigaden) allmählich ein, die — wie früher dargelegt — zum Ein-
greifen an diesen Flügeln von außen her ausersehen waren. Be-
vor die hieraus sich entwickelnden, höchst erfolgreichen Kämpfe,
von denen das Armeekommando in Oleszice erst am späten Abend
Kenntnis erhalten konnte, skizziert werden, soll die Situation be-
sprochen werden, wie sie sich in den Nachmittagsstunden bei dieser
obersten Kommandostelle zeigte. Als Erfolg war zu buchen, daß der
Angriff des linken Armeeflügels (II. Korps und (0. Division) voll-
kommen gelungen, der gegenübergestandene Gegner weit zurück-
geworfen worden waren; dagegen durfte nicht verkannt werden, daß
die Front einen schweren Kampf kämpfte, in dem zwei Einheiten!
0(5. Infanterie- und \0. Kavallerie-Division) zusammengebrochen
waren, die anderen (die Divisionen O, 26, 39, 27) erhebliche Ver-
luste erlitten hatten. Doch im vertrauen auf die Standhaftigkeit
dieser Einheiten, dann in Berechnung, daß alle verfügbaren Heeres-
körper nunmehr auf dem Schlachtfelde eingetroffen waren oder sich
mindestens in unmittelbarer Nähe desselben befanden, gab das
Armeekommando am Abend des 28. August die endgültige Schlacht-
disposition aus. Sie war im Geiste des schon am 25. August ge-
faßten Schlachtplanes verfaßt und bezweckte die doppelte Umfassung
des Gegners, hiebei bildeten die Korps IX und VT die Frontbasis,
wobei aber ersteres seine gegen Osten gerichtete, den Gegner flan-
kierende Richtung beizubehalten hatte. Der Hauptteil des II. Korps
0(3. und 25. Division) hatte von Zamosö aus eine vollständige
Schwenkung gegen Süden zu bewirken, um den gegnerischen Flügel
vollkommen im Rücken zu umfassen. Gegen Einwirkungen von
Norden her mußte dieser Hauptteil des Korps gedeckt werden durch
die 4- Infanterie-Division und durch die von der \. Armee herüber-
gelangten 9- Kavallerie-Division. Das XVII. Korps und die Armee-
gruppe des Erzherzogs Josef Ferdinand hatten im entschlossenen An-
griff die gegenüberstehenden gegnerischen Kräfte zu werfen und
dann die Umfassung im Osten zu bewirken. Die äußere Flanke
der Armee wurde hiebei durch die 2. Kavallerie-Division gedeckt.
Ganz im Sinne dieses Entschlusses und den daraus ergossenen
Einordnungen war in den Nachmittagsstunden die herangelangte
westböhmische Infanterie-Division selbsttätig zum Angriff über-
gegangen, sobald sie auf den Gegner gestoßen war, der nun zur
Deckung seiner linken Flanke eine starke Kampffront mit der Rich-
tung nach Süden bildete. Unter brausenden Hoch-, Hurra- und
Slava-Rufen entwickelte sich die Division zum Gefecht just entlang
der Reichsgrenze und warf nach heftigem Kampfe den Gegner aus
Romarow
45
seiner Stellung. Allerdings war hinter dieser eine zweite angelegt,
die der Gegner erst in den späten Abendstunden räumte. Der Zeit
nach etwas später waren rechts (östlich) der 19- Division die Spitzen
der in mehreren Kolonnen auf gleicher Höhe heranmarschierenden
Divisionen des Erzherzogs Josef Ferdinand angelangt. Sie ent-
wickelten sich gegen den, namentlich an Artillerie sehr starken
Gegner, und im schneidigen Angriff nahmen die Tiroler, Salzburger
und oberösterreichischen Truppen bis zum Abend die gegnerische
Stellung in die Hand, wobei ganze Batteriefronten unter dem Jener
unserer Infanterie zusammenbrachen und zur Beute wurden? Erst
die tiefe Nacht setzte diesen Kämpfen ein zeitweiliges Ende.
Am folgenden Tag (2Z. August) begannen am linken Flügel der
Armee die, unter Befehl des Erzherzogs Peter Ferdinand ge-
stellte Hauptgruppe des II. Korps (13. und 25. Infanterie-Division)
ihr Einschwenkungsmanöver gegen Süden, das allerdings eine
Schwenkung von 1800 erforderte. Die als Rückendeckung zunächst
zurückbleibende 4- Infanterie-Division hatte an diesem Tage .nur
leichte Kämpfe zu bestehen.
An der Front der Armee (IX. und VI. Korps) gab es eine
Reihenfolge von Stößen und Gegenstößen, die keine Entscheidung
brachten. Das war ein Gewinn, da meinerseits in diesen Räumen
keine Entscheidung geplant war, dem Feinde aber der gewünschte
und wiederholt versuchte Durchbruch nicht gelang. Allerdings waren
die Anstrengungen ihn zu verhindern sehr groß; auch gab es mit-
unter Teilkrisen, die aber überwunden wurden.
Der rechte Armeeflügel setzte seine Angriffsbewegung fort und
wieder wurden ganze Batteriefronten erobert. Besonders eine von
26 Geschützen durch die Tiroler-Iäger-Brigade des Generalmajors
Herzfeld, der den Heldentod fand, als sich seine Truppen zum
Sturm erhoben.
Indessen langten beim Armeekommando wiederholt Rlittei-
lungen ein, welche den Stand der Dinge bei der Ostgruppe (2. und
3. Armee) als bedrohlich erscheinen ließen, indem starke Einheiten
dieser Armee in mehrfachen Kämpfen zurückgeworfen worden waren.
Auch die linke Nachbararmee (die \.) war vor Erreichen der Linie
von Lublin gebremst worden und kämpfte einen harten Kampf
gegen den sich stets verstärkenden Gegner. Die natürliche Folge
war, daß ich trachtete, mit dem mir gegenüberstehenden Gegner
um so eher fertig zu werden. Ich erwartete, daß der folgende
Tag (der 30. August) die Entscheidung bringen werde. Diese Er-
wartung erfüllte sich, jedoch nicht in jenem Rlaße als dies wünschens-
wert gewesen wäre. Wohl wurde am linken Armeeflügel die Schwen-
kung der Gruppe des Erzherzogs Peter Ferdinand beendet, so
daß am Schlüsse des Tages die beiden Divisionen 13 und 25 mit
südwärts gewandter Front vollkommen im Rücken des
Gegners standen, doch hielt der tapfere, nach allen Richtungen
46
v. Auffenberg-Komarow
verschanzte Feind den Angriffen stand. Selbst als am Abend dieses
Tages der General der Infanterie von Boroevic die wieder
gefechtsfähige \5. Infanterie-Division zum Angriff von Süden her
anwies, vermochte diese wohl den- verschanzten Grt Iwankowo
(südlich Komarow) zu nehmen; Komarow selbst aber und der un-
mittelbar anstoßende Höhenzug blieben noch in den fänden der
Russen. Allerdings hatten diese schon am Nachmittag (des
30. August) starke Gruppen aus ihrer Front gezogen und mit ihnen
den Rückweg gegen Tholm und Grubieszow angetreten. Dies stellten
sowohl Beobachtungen des sehr tätigen linken Flügeldetachements
unter Oberst Ströhr der Gruppe des Erzherzogs Peter Ferdinand
fest, als auch die außerhalb des rechten Armeeflügels bereitgestellte
2. Kavallerie-Division, die — sehr tatkräftig geführt — wieder-
holt in die Kolonnen des Gegners einbrach und 20 Ge-
schütze erbeuteten. Trotzdem hielt die Front des Gegners noch stand.
Am eigenen rechten Armeeflügel sollte nun ein zwar lehrreicher,
damals aber höchst unliebsam empfundener Zwischenfall die Tätig-
keit der bisher so erfolgreich kämpfenden Armeegruppe des Erz-
herzogs Josef Ferdinand ungünstig beeinflussen, vom Armee-
oberkommando traf nämlich die, freilich sehr bedrohlich klingende,
Mitteilung ein, daß sich — laut aufgefangener Radiodepesche —
von Sokal her ein starker Heereskörper aller Waffen in nordwest-
liche Richtung gegen den Rücken des eigenen rechten Armeeflügels
vorbewege. Daran war die Weisung geknüpft, 2 Kavallerie-Di-
visionen dagegen in Bewegung zu setzen. Ich stand dieser Nach-
richt vom ersten Augenblick an zweifelnd gegenüber, hielt sie für
Täuschung oder Bluff, als was sie sich später auch herausstellte;
desgleichen ließ ich gegen diesen gemeldeten, aber nicht festgestellten
Heereskörper statt zweier nur eine Kavallerie-Division (die 6.) mit
die Aufgabe abgehen, die Linie des Solokiga-Baches mit dem
Mittelpunkt Belz zu sperren. Was ich aber nicht zu hindern ver-
mochte war, daß hiedurch die vom Armeeoberkommando gleichfalls
unterrichtete Armeegruppe Erzherzog Josef Ferdinand beeinflußt
wurde und unter dem Eindruck einer drohenden ansehnlichen Ge-
fahr Gegenmaßregeln vorbereitete, die durch die gleichfalls irr-
tümlichen Meldungen über fliehende Trains in langgezogenen
Staubwolken eine scheinbare Berechtigung erhielten. So kam es,
daß die an den beiden Vortagen so entschieden und erfolgreich auf-
tretende Armeegruppe an den zwei folgenden Tagen nur eine
zögernde, wenig Raum gewinnende vorbewegungen unternahm.
Der noch immer Verstärkungen erhaltene Gegner nützte dies, um
sich erneut festzusetzen. Allerdings nur mehr mit der Absicht,
hier einen festen Damm zu schaffen, hinter dem er ungestört ab-
ziehen konnte.
Linen harten Kampf hatte am 30. August die am linken Armee-
flügel als Rückendeckung für die Gruppe Erzherzog Peter Ferdi-
Komarotü
47
nand nördlich Zamosc belassene 4. Infanterie-Division zu bestehen.
Gegen sie wandte sich das am 26. und 27. August geschlagene
XXV. russische Korps mit seinen drei, freilich schon wesentlich ge-
schwächten Divisionen. Der Kamps, bei dem die 4. Division noch
die Unterstützung eines gemischten Detachements erhielt, währte den
ganzen Tag, ohne daß es den Russen gelungen wäre, irgendwelche
greifbaren Vorteile zu erringen. In der Nacht zum 5\. August zogen
sie gegen Norden ab.
Am 3\. August gingen nun die beiden Divisionen f3 und 25 zum
Angriff vor. Sie gerieten aber in ein überwältigendes Artillerie-
feuer, das die eigene Artillerie nicht niederzukämpfen vermochte.
Die gleichfalls den Rücken der beiden Divisionen deckende 9. Ka-
vallerie-Division ging wohl in nördlicher Richtung gegen Grabowice
vor, ließ sich aber dann durch schwächere Abteilungen über Absicht
und Stärke des Gegners täuschen. Sie vermutete starke feindliche
Kräfte in: Vorgehen, wich in südlicher Richtung aus und veranlaßte
hiedurch auch den Erzherzog, seine ganze Gruppe in westlicher Rich-
tung zurückzubiegen. Dieses schwierige Manöver gelang anstands-
los, da eben kein oder fast kein Gegner vorhanden war, der dieses
Mannöver stören konnte; doch die mit so viel vorbedacht geschaffene
Rückensperre war dem Feinde wieder geöffnet, welchen Umstand
dieser auch nützte, um in der Nacht hier seinen schon so arg be-
drohten Rückzug fast ungehindert zu bewirken.
Komarow wurde dann in den Morgenstunden des 5\. August
durch Truppen des IX. Korps genommen und es wurde auf der
ganzen Front — mit Ausnahme des rechten Armeeflügels — der
vor- bzw. verfolgungsmarsch angetreten, der seitens des Gegners
in mehreren Aufnahmsstellungen verlangsamt wurde. Gleiches Er-
gebnis zeitigte der folgende Tag ([\. September) und in der Nacht
zum 2. September zogen sich auch die letzten, vor dem eigenen rechten
Flügel postiert gewesenen feindlichen Abteilungen fluchtartig zurück.
Die Absicht des Armeekommandos ging natürlich dahin, durch
eine allgemeine und mit Aufgebot aller Kräfte rücksichtslos durch-
geführte Verfolgung die Früchte des schwer errungenen Sieges voll
zu ernten. Doch die Ereignisse an der Ostfront und der Entschluß
des Armeeoberkommandos, eine allgemeine Entscheidung im Raume
von Grodek herbeizuführen, veranlaßten die 4. Armee, von der
Verfolgung abzulassen und mit dem Gros ihrer Kräfte (9 Infan-
terie- und 2 Kavallerie-Divisionen) sofort gegen Süden abzu-
rücken. So kam es, daß die Trophäen, die sich die 4. Armee durch
und nach dem überaus harten Ringen erwarb, sich auf jene be-
schränken mußten, die auf dem Schlachtfelde während des Kampfes
eingeheimst wurden und der Erfolg der Schlacht vornehmlich im
taktischen Sinne zu werten war. Immerhin waren die Siegeszeichen
nicht gering. 136, fast durchwegs im Feuer eroberte Ge-
schütze, die Leichenfelder und die massenweise aufgelesenen russischen
ß
im
#
48
v. Auffenberg-Komarow
verwundeten und 26000 Gefangenen zeugten von der Kraft der
österreich-ungarischen Waffen. Allerdings standen dazu die eigenen
Verluste in den — dem Wesen eines Begegnungskampfes ent-
sprechend — vornehmlich angriffsweise geführten Kampfhandlungen
im geraden Verhältnis. Sie betrugen an Toten, vermißten, ver-
wundeten und Gefangenen bei 4O000 Wann, darunter an Toten:
4 Generäle und eine beträchtliche Zahl höherer Offiziere.
Wenn die Schlacht — durch die geschilderten Umstände — auch
nicht jene taktische und namentlich operative Auswertung finden
konnte, die vom Armeekommando beabsichtigt und von den
Truppen nach überaus tapferem Ringen gegen einen nicht minder-
tapferen überlegenen Feind angebahnt war, eines bleibt unbestritten:
Komarow war der Zahl der Streiter nach die größte
Schlacht, die von den Armeen der alten Monarchie ohne Beistand
irgendwelcher Bundesgenossen siegreich durchgekämpft worden war.
„Wiener Edelknaben" mit dev preußischen Garde
bei AarKi.
(November/Dezember *9^.)
Von Oberst Josef Waldstätten-Zipperer, damals Kommandant des
in. Bataillons des k. u. k. Infanterieregiments Loch- und Deutschmeister Nr. 4.
/Liegen Mitte November war das wiener II. Korps nach mehr-
tägigem Bahntransporte aus der Schlachtfront am San kom-
mend in die neue Kampffront in Russisch-Polen eingerückt, welche
die auf das preußische schlesische Industriegebiet gerichtete russische
Dampfwalze zum Stehen gebracht hatte. In einer Ausdehnung von
^200 km hatten die deutsch-österreich-ungarischen Streitkräfte ihre
neuen Operationen begonnen; sie umfaßten Ostpreußen, Russisch-
Polen, Galizien entlang den Karpathen und die Bukowina.
Die hier geschilderten Kämpfe unseres II. Korps fanden in
einem Raume statt, welcher (etwa O km breit) 65 km nordwestlich
von Krakau und 25 km südöstlich von Lzenstochau gelegen ist. Lr ist
unter dem Namen „polnische Schweiz" bekannt. Aus mittelhohem,
gut kultiviertem Berglande ragen hier in voller Unregelmäßigkeit
kahle Felsketten auf, welche dem Gebirge das Aussehen des Alpen-
landes und Hochgebirges mit all seinen Schönheiten verleihen. t
Inmitten dieses Gebietes liegt in einem engen Tale nord-süd-
wärts streichend der ^/2 km lange Ort Rzedkowice. Dieses Dorf
war der Mittelpunkt der Kämpfe unseres Regiments. — In einem
riesigen Massengrabe ruhen am westlichen Grtsrande mehrere
hundert Deutschmeisterhelden; ein paar Meter Stacheldraht und
ein einfaches Holzkreuz kennzeichnen vielleicht noch heute diese ge-
weihte Stätte.
Zum ersten Male sollte das Feldregimentx) Deutschmeister in
nächster Nähe deutscher Kameraden aus dem Reiche kämpfen, sich
mit ihnen unter einheitlichem Befehle in der Tüchtigkeit
messen. Deutsche Garde — so wurde berichtet — stand knapp-
nördlich bei Zarki. Ls war die preußische \. Garde-Reserve-Division
am südlichen Flügel der deutschen Armeegruppe von woyrsch. Diese
stand beiderseits der großen, von Iwangorod aus dem Innern
1) „Feldregiment" zum Unterschied von „Gebirgsbataillon". Ersteres bestand
aus dem I., II. und III. Bataillon, letzteres führte die Nummer IV. Alle q. Ba-
taillone ergänzten sich größtenteils aus Wien, zum kleineren Teile aus nördlichen
und östlichen Teilen Niederösterreichs.
Kerchnawe, Im Felde unbesiegt. HI.
4
50
Waldstätten-Zipperer
Rußlands über Kielce und Lzenstochau nach Preußisch-Schlesien
führenden Bahn und Straßenlinie, im Kampfe.
Sehr frühzeitig war der Winter hereingebrochen. In der ersten
Novemberhälfte hatte es viel geregnet, dann stellte sich Schneefall
ein und am l9- November stand das Thermometer in raschem
Sinken bereits auf 9° unter Null. Uniformen und Schuhe der
Kämpfer waren noch vollkommen durchnäßt, als sie dem Frost aus-
gesetzt werden mußten: jeder Einzelne trug dann durch mehrere
Wochen einen völligen Eispanzer. Der steinige Boden war hart
gefroren und die Herstellung der notdürftigsten Deckungen bean-
spruchte die Kräfte der Mannschaft bis zur Erschöpfung. Entweder
verschärfte ein eisiger Wind diese Lage erheblich oder lagerte sich
auf dem Gelände ein dichter milchweißer Nebel. Gerade der letztere
gab dann allen Gefechten ein eigenartiges Gepräge, erschwerte aber
auch bedeutend die Gefechtsführung. Der Ausblick war fast immer
auf wenige Schritte beschränkt. Brachte ein Windstoß die Nebel-
schicht zum weichen, dann mußten oft die Vorbewegungen unter-
brochen, neue Befehle und Weisungen gegeben werden.
Am s7. November nachmittags traf auf der Höhe M, ^ km
westlich von Rzedkowice, der erste Angriffsbefehl ein. Im dichten
Nebel wurde die Vorwärtsbewegung nach Osten begonnen. Das
Regiment stand im verbände der V- Infanterie-Brigade. Links
hatte die 50. Brigade, rechts die 4k Division anzugreifen. Nördlich
im Anschlüsse an die 50. Brigade sollte die Garde-Reserve-Division
von Zarki her vorgehen.
Eine Reihe plötzlich eingetretener Zwischenfälle bedingte eine
Änderung der Anordnungen nach begonnenem Angriffe, weder die
% Division, noch die Garde-Reserve-Division hatten darum den
Angriff mitmachen können. Aber auch der größte Teil der U. Bri-
gade war auf halbem Wege in die Ausgangsstellungen zurück-
genommen worden. Nur die 50. Brigade und das unter meinem
Befehle stehende III. Bataillon des Regiments Hoch- und Deutsch-
meister Nr. 4s kämpften bis in den späten Abend und in die Nacht
hinein ganz außer Anschluß an Nachbartruxpen.
Die 50. Brigade litt schon am ersten Tage sehr schwer. Sie
kämpfte ebenso wie das III. Bataillon Deutschmeister durch viele
Stunden vereinzelt gegen die geschlossene und stark befestigte russische
Gefechtsfront auf nächster Entfernung bei Kotowice. Unser Ba-
taillon hatte dabei aber mehr Glück. Es gelangte bis an den
Westrand von Rzedkowice, fand dort einige Deckung und wurde
von den Russen bei Nacht und Nebel größtenteils überschössen. Es
konnten sogar noch zwei Kompagnien und die Maschinengewehre
zur flankierenden Unterstützung der 50. Brigade bereitgestellt werden.
Zu diesem Eingreifen kam es aber nicht mehr, der wiederholte
Rückzugsbefehl berief endlich die ganz isoliert kämpfende 50. Brigade
und auch mein Bataillon zurück.
,Wien er Edelknaben" mit der preußischen Garde bei Zarki
51
Am 18. November vormittags wurde, diesmal auf der ganzen
Front des II. Korps, der Angriff erneut angesetzt und auch die
Garde-Reserve-Division rückte im Anschluß an die 50. Brigade vor.
Dieser Tag brachte hier die ersten größeren Erfolge.
Das Gros der Armee Woyrsch wehrte in seinen Stellungen bei
und nördlich von Zarki starke russische Angriffe ab.
Die Garde-Reserve-Division trug ihren Angriff mit großem
Schwünge unter Wegfegung des russischen Frontteiles im Laufe
des Nachmittags 5—6 km nach Osten vor. Sie ordnete sich dann
in der Vorbewegung bei den Dörfern Lutowice und Rkirow und
verbrachte hier den größten Teil der Nacht.
Die 50. und V- Brigade drängten einzelne russische Bataillone
aus vorgeschobenen Stellungen rasch zurück und waren bei Anbruch
der Nacht knapp vor der russischen ^auptstellung angelangt.
Mein Bataillon war ursprünglich als Reserve der D. Brigade
ausgeschieden. Gegen Abend brach in der Nähe des Nordendes von
Rzedkowice'gegen die Lücke zwischen der 50. und H9- Brigade ein
Gegenangriff des russischen \2. Grenadier-Regiments vor, der in
seiner Auswirkung sehr bedrohlich werden konnte. Aber rasch
schwenkte mein Bataillon nach Norden auf und im forschen Angriff
wurden die Grenadiere teils zum Stehen gebracht, teils ganz zurück-
gewiesen.
Auch die H. Division und alle übrigen Heereskörper der k. u. k.
I. Armee hatten Erfolge und Raumgewinn zu verzeichnen. Schon
am Abend trafen bei den höheren Kommandostellen nur günstige
Nachrichten ein. Selbst die fast bis zur Hälfte zusammengeschossene
50. Brigade vermochte sich am Rande von Kotowice zu halten.
Alles in allem ergab sich bei den höheren Kommandos das
Bild eines durchgreifenden Sieges und wahrscheinlich auch eines
allgemeinen russischen Rückzuges.
Ich konnte diese Meinung, welche sich im Laufe der Nacht in
den eintreffenden Befehlen deutlich ausprägte, nicht teilen. Mein
Bataillon stand auf Hörweite, in gerader Richtung, mit der Front
nach Norden, vor einem viel stärkeren Gegner. Rechts und hinter
uns standen, Front nach Osten, die übrigen 6 Bataillone der D. Bri-
gade. Sie waren nach meiner Überzeugung mit den russischen Felsen-
stellungen bei Rzedkowice nicht fertig geworden. Am meisten be-
sorgt aber machte mich das Schicksal der stark gelichteten 50. Bri-
gade. Jede dorthin entsendete Verbindungsabteilung versagte, weil
der Mald zwischen meinem Bataillon und dieser Brigade mit
russischen Truppen ausgefüllt war. Eine weit westlich ausgreifende
Patrouille kam erst zurück, als die Ereignisse des 19» November
bereits in vollem Gange waren. . .
Der 19- November bildete den Mittelpunkt der Krise am
ganzen polnischen Kriegsschauplätze. Für diesen Tag faßte der
52
tvaldstätten-Zipperer
russische Oberbefehlshaber den erneuten Entschluß zum Angriff
auf der ganzen riesigen Schlachtfront. Auf die glänzenden Erfolge
der deutschen 9- Armee bei Lodz und Lowicz folgte allmählich jene
äußerst schwierige Lage der deutschen Streitkräfte, die erst am
25. November durch die unvergleichliche Heldentat der 3. Garde-
Division unter General Litzmann wieder zum Guten gewendet
wurde. — Der volle durchgreifende Gesamterfolg, wie ihn damals
Hindenburg und Ludendorff mit genialem Entwürfe erstrebten,
kam nicht zur Reife; die von der deutschen Obersten Heeresleitung
rechtzeitig erbetenen Verstärkungen kamen zu spät. — Ein halbes
Jahr mußte verstreichen, ehe wieder ein Hauptschlag gegen Rußland
geführt werden konnte.
Ein großer Sieg im Herbst MH wäre wohl von viel nach-
haltigerer Wirkung gewesen, als jener, nur aus der dringendsten
Not heraus entstandene große Erfolg bei Gorlioe-Tarnow, weil
mittlerweile das zögernde Italien sich ganz der Entente verschrieben
hatte.
Im Laufe der Nacht vom f8. auf den h). November war auf
dem Schlachtfelde von Rzedkowice volle Ruhe eingetreten. Der
Rommandant unseres Regiments war zum 50. Brigadekommando
nach Wlodowice — 2 km südwestlich — berufen worden, von dort
trafen nun um Rkitternacht die ersten Weisungen ein, welche ich als
nicht der Situation entsprechend erachtete, denn sie rechneten mit
einem völligen Siege, der doch tatsächlich noch nicht erkämpft war.
Es entspann sich in den nächsten Stunden ein Rkeinungsaustausch,
der schließlich zum bindenden Befehle führte, unverzüglich in den
Ort Rzedkowice abzurücken und dort bis zu der um 6 Uhr früh
beginnenden „Verfolgung" des Gegners zu nächtigen.
Dieser Befehl war auch direkt an einzelne meiner Abteilungen
gegangen und sie waren in dessen Befolgung nach Rzedkowice ab-
gerückt. Ls erübrigte für mich nur, aus den Resten eine dünne
Patrouillenkette in meiner bisherigen fast 2 km breiten Aufstellung
auf den Höhen westlich des Nordendes des Ortes, immer Front
nach Norden, zu postieren. Ich eilte dann selbst in den Ort mit
den: sicheren Bewußtsein, daß dort mein Eingreifen dringend ge-
worden war. Schon unterwegs fiel von Norden her schütteres
Infanteriefeuer ein.
In Rzedkowice traf ich mehr oder minder alle 7 Bataillone
der V- Brigade im südlichsten Grtsteile, auf engstem Raume lagernd.
Auch Trainteile waren eingetroffen und im schützenden Dunkel
von Nacht und Nebel kochten Fahrküchen friedlich das Frühstück.
Der anwesende Rommandant des Infanterie-Regiments 8^
teilte mir hier die eben eingetroffene Weisung mit: die „Ver-
folgung" beginnt um 6 Uhr früh mit unserem Schwesterregiment!,
den 8Hern, im ersten Treffen. Das Deutschmeister-Regiment hat
Wiener Edelknaben" mit der preußischen Garde bei Zarki
53
aus Rzedkowice um 6 Uhr 30 als Brigade-Reserve hinter dem
linken Flügel zu folgen. Alles in der Richtung Nord-Vst.
Ls war 5 Uhr früh, als ich derart orientiert wurde. Aus dem
nördlichen Grtsteile, welchen ich noch in russischem Besitze vermutete,
kam schwaches Infanteriefeuer. Ls wurde als ein Irrtum des
rechten Flügels der 50. Brigade gedeutet, welche man im vor-
dringen nach Osten vermutete. Ich stand nun vor der Wahl als
rangältester Bataillonskommandant bis zum Lintreffen meines Re-
gimentskommandanten das Regiment weisungsgemäß bereitzustellen
oder selbständig etwas anderes zu unternehmen. Bisher war ich
in meiner Beurteilung der Gesamtlage keinen Augenblick irre ge-
worden. Daraus zog ich die Folgerungen.
Rnapx nach 5 Uhr erteilte ich dem ganzen Regiment jenen
Befehl, welcher mir allein noch ausführbar erschien. Ich führte das
Regiment, noch gedeckt durch den dichten Nebel, in Rkarschkolonne
vom Südende von Rzedkowice auf Gefechtsbreite direkt nach Westen.
Als die letzte Abteilung den Grt verlassen hatte, befahl ich Front-
wechsel nach rechts und den 'Angriff in der Richtung des rasch zu-
nehmenden Gewehrfeuers. Schwerer als der gefaßte Lntschluß war
allerdings die Ausführung. Ulit zunehmendem Tageslicht hatte sich
auch der Nebel gehoben. An der ganzen Front entbrannte plötzlich
der Feuerkamxf in vollster Heftigkeit, und auch die zahlreiche
russische Artillerie tobte mit einem Schlag in ungeschwächter Uraft
auf kurze Lntfernung. Wahrhaft wie im Theater, wenn eine ge-
stellte, große Szene sich beim lheben des Vorhanges zu regen beginnt,
konnte es anmuten. Die noch in der Seitenbewegung einsetzenden
schwersten Verluste führten allerdings den bitteren Lrnst der Wirk-
lichkeit blutig vor Augen.
Zusammengehalten vom Selbstbewußtsein und der Intelligenz
jedes einzelnen Rkannes und fortgerissen vom persönlichen Beispiel
der Offiziere gelang dem „Großstadt-Regiment" Deutschmeister die
schwere Aufgabe: Im tapferen Angriff warf das Regiment die
russischen Grenadier-Regimenter ff und \2 aus ihren Stellungen,
drang noch weitere 2 lein vor und trat unter Linwirkung schwersten
Flankenfeuers aus den russischen Felsenstellungen vom Nordende von
Rzedkowice her in den stehenden Feuerkampf ein. In der in
diesem schweren Angriffe gegen doppelte Übermacht
erreichten, genau nach Norden gerichteten, über 2 km
breiten Flankenstellung hielt sich d>as Regiment bis
zum endgültigen Rückzüge der Russen hinter die Nida,
d. h. bis Rkitte Dezember. Ls gelangte dann in der nun wirk-
lichen Verfolgung in seine Winterstellung an der Nida.
Gegen die siegreiche Garde-Reserve-Division - und die schwer
mitgenommene österreichische 50. Brigade war am f9-November früh
morgens ein von langer fjcmb vorbereiteter Angriff von neun
russischen Infanterie-Divisionen der russischen 4. und 9. Armee in
64
Waldstätten-Zipperer
Bewegung gekommen, welcher als beabsichtigter Durchbruch der
Front der Verbündeten bis Tzenftochau aufgefaßt werden muß. Die
Garde-Reserve-Division mußte vor ihr schließlich wieder in ihre
Ausgangsstellungen bei Zarki-Iaworznik zurück. Unzählbare Gräber
zwischen Kotowice und Lutwiec mahnten mich im Dezember \ty\7,
als ich das alte Schlachtfeld besuchte, an die Taten der deutschen
Helden.
Die 50. Brigade war auf ein Zehntel ihres Gefechtsstandes
zusammengeschmolzen. Ihre Reste wurden im Anschluß an die Garde
gesammelt. Der Gegner aber hatte seinen Durchbruchsversuch noch
am vormittags aufgegeben und die südlichen Divisionen
der Stoßgruppe in der Richtung auf Rzedkowice zu-
sammengeschoben, wo ihm unser erfolgreicher, gegen seine
Flanke gerichteter, Angriff sehr bedrohlich erschienen war.
Dort standen die „wiener Edelknaben", das arg zusammen-
geschmolzene Infanterie-Regiment Hoch- und Deutschmeister, fest ent-
schlossen, die flankierende Stellung nicht nur zu behaupten, sondern
sofort zum Flankenangriff auszunützen, falls d.er Gegner erneut
angreifen sollte.
Hier inmitten von Russisch-Polen war aber mit den Ereignissen
des November die Schlachtfront erstarrt. ■— Nur am nörd-
lichen Flügel der deutschen 9- Armee wurde bis in den Dezember
hinein heftig weitergerungen, bis endlich der Sieg von Limanova-
Lapanow in Galizien den Rückzug der Russen in ihre Winter-
stellungen herbeiführte.
Hier aber, um Tzenstochau, war die russische „Dampfwalze",
welche sich in Ausnützung des vermeintlichen Sieges über die deutsche
9- Armee vor Warschau gegen das blühende deutsche Schlesien und
gegen Berlin heranwälzen sollte, endgültig zum Stehen gekommen.
Ganz Schlesien, ja das Herz des Deutschen Reiches, atmete er-
leichtert auf. Und wenn nun im bewahrten Schlesien auf Anord-
nung des Kaisers die Glocken läuteten und die Gläubigen riefen,
dem Herrn der Heerscharen zu danken, durften sich so die „wiener
Edelknaben" ihren vollen Anteil daran zurechnen, blühendes deut-
sches Land vom Elend des Russeneinfalls bewahrt zu haben.
Den Schreibtisch, auf welchem ich diese Zeilen niederschreibe,
ziert ein schlichtes Kreuz aus Eisen. Es ist das Andenken an jene
Waffentat unseres Regimentes in diesem Krieg und das erste von
vielen Eisernen Kreuzen, die die Deutschmeister in der Folgezeit
errangen. Ich erhielt es für die Leistungen unseres Regiments bei
Rzedkowice.
Die Grazer 6. Infanterie-Division!n den Schlachten
um Lemberg.
(26. bis 30. August und 8. bis September 19^4.)
Von Oberstleutnant Chlodwig Schwarzleitner-Domonkos, damals
Oberleutnant und Brigadegeneralstabsoffizier der k. u. k. 11. Infanteriebrigade.
(V)icht strahlende Siege, wo nach.raschen Schlägen die Truppen
Xl-t>on Erfolg zu Erfolg eilen — nein, schwere, opfervolle, aus-
sichtslos scheinende Kämpfe gegen eine gewaltige Übermacht waren
es, die für uns den Krieg an der russischen Front, besonders in
der Gegend um Lemberg, einleiteten. Ghne zu zögern, warfen sich
die österreichisch-ungarischen Bataillone den russischen Massen, die
sich über Gstgalizien zu ergießen drohten, entgegen. Zum galten
gezwungen, klammerten sich die Plänkler zähe an aufgeworfene
Ackerschollen und wenn an einer Stelle der Übermacht nicht mehr
zu widerstehen war, dann gab es ein kurzes Zurück, um dann von
Neuenl die Brust dem Feinde zu bieten.
Zn solchen Lagen tritt der wahre Gehalt einer Truppe weit
sinnfälliger zutage, als bei glänzenden Erfolgen. Um wieviel leichter
aber wird entsagungsvolle Aufopferung, stilles Heldentum ver-
vergessen, als blendender Sieg. Schon darum müssen wir Groß-
taten aus den Lemberger Schlachten in der Erinnerung festhalten.
Soldaten, wie sie kaum besser sein konnten, zogen im Sommer
ins Feld, für den Bestand der österreich-ungarischen Monarchie
zu kämpfen. Das Heer, das seine Überlieferungen bis auf Wallen-
fteins Zeiten zurückleitete, war vom herrlichsten Geiste erfüllt. Gleich-
gültig, aus welchen Völkerstämmen zusammengesetzt, überboten da-
mals, als noch die Friedenserziehung nachwirkte und schwache Re-
gierungen nicht der Verhetzung Raum gegeben hatten, die Truppen
einander an Aufopferung und Hingabe. Sollen einzelne dennoch
hervorgehoben werden, so darf der alpenländischen Formationen,
denen auch die Grazer Division, die 6. Infanterie-Division, an-
gehörte, nicht vergessen werden.
Mitte August war das 3. Korps unter Befehl des Generals
der Infanterie von Tolerus stehend, in Galizien im Raume
um Stryj versammelt, die 6. Infanterie-Division hart an den
Dnjester südlich Mikolajov herangeschoben. Der Bahnaufmarsch
führte über Ungarn. Wer diese Zeiten miterlebt, dem werden sie
unauslöschlich im Gedächtnis bleiben. Ein unbeschreiblicher Jubel
56
Schwarzleitner-Domonkos
begrüßte allerorts die durchfahrenden Truppen. Erinnert Ihr Luch
noch der Begeisterung, die uns in Gfenpest empfing? wißt Ihr
noch, wie in der oberungarischen Tiefebene des abends die Land-
bevölkerung zur Bahn zog, unsere wagen mit Feldblumen zu
schmücken? Rein Zwang konnte derartige Gefühle auslösen. Sie
kamen aus vollen Kerzen. Der Aufmarsch glich einem Triumphzuge!
wir wollen nun ein wenig die große Lage aufzeigen und die
Aufgaben, die im Rahmen des Ganzen dem 3. Korps zugefallen
waren.
von den ^8 Divisionen des österreich-ungarischen Heeres waren
anfangs f8 gegen Serbien bestimmt, während 30 in Galizien ver-
sammelt wurden. Diesen folgten noch Ende August 2 Korps vom
Balkankriegsfchauxlatz. Das 3. und das \2. Korps südlich des
Djnester unter General der Infanterie von Koeveß sollte in
den verband der von der serbischen Front heranrollenden 2. Armee
des Generals der Kavallerie von Böhm-Lrmolli (^. und
7. Korps) treten. Die 3. Armee (ff. und Korps), General der
Kavallerie von Brudermann, wurde bei Lemberg, die H. Armee
(2., 6., 9-/ und das neugebildete \7. Korps), General der Infanterie
von Auffenberg, am mittleren San bei Iaroslau, die f.Armee
(f., 5., f0. Korps), General der Kavallerie von Dankl, am un-
teren San versammelt, von Krakau aus gingen Landsturmforma-
tionen unter der Führung des Generals der Kavallerie von Kum-
mer im Anschlüsse an das schlesische Landwehrkorps des Generals
der Infanterie von woyrsch am linken weichselufer vor. Die
Kavalleriedivisionen waren an die Grenze vorgeschoben.
Über den russischen Aufmarsch und den Grad der Bereitschaft
des russischen Heeres konnte erst allmählich Klarheit gewonnen«
werden. Mitte August war die Räumung Polens westlich der
Weichsel und die Versammlung starker Kräfte zwischen Weichsel
und Bug erkannt, was hingegen im Raume um Dubno und hinter
den an die Zbruczgrenze herangeschobenen Deckungstruppen stand,
darüber herrschten Zweifel, wiewohl die Fernaufklärung schon am
f3. August begonnen hatte. Die österreich-ungarische Heeresleitung
glaubte, die feindlichen Hauptkräfte im Norden suchen zu sollen.
Die österreich-ungarischen Armeen hatten das Gros der russi-
schen Heere zu binden und festzuhalten bis das deutsche Heer, das
in raschen Schlägen die Entscheidung im Westen bringen sollte,
starke Kräfte nach dem Osten werfen konnte, um gemeinsam mit den
österreich-ungarischen Streitkräften die Russen zu schlagen. Unsere
Heeresleitung entschloß sich zur Lösung dieser Aufgabe zum An-
griffe und zwar anfangs in der Art, daß bei Sicherung des Raumes
von Lemberg gegen einen Einbruch aus östlicher Richtung die h,
‘k- und die durch das 3. Korps verstärkte 3. Armee zur Offen-
sive gegen Norden antreten sollten, während bis zum Eintreffen
des Generals der Kavallerie von Böbm-Ermolli mit seinen
Die Grazer s. Infanterie-Diviston in den Schlachten um Lemberg 57
Divisionen dem General der Infanterie von Koeveß mit 4 In-
fanterie- und 3 Kavallerie-Divisionen nördlich des Dnjester die
Sicherung Ostgaliziens, ebenfalls in offensiver weife, zugedacht war.
In dem Maße, als sich durch den Einfall der Russen in Ost-
galizien ein Überblick über die Verteilung der generischen Kräfte
gewinnen ließ, wurde der Gxerationsxlan schließlich derart um-
gebaut, daß die Generäle Dankl und von Auffenberg gegen
Norden zwischen Weichsel und Bug vorzugehen, die Armeen von
Brudermann und Böhm vorerst durch einen Offensivstoß die
in Ostgalizien eingebrochenen Russen zurückzuwerfen hatten. Und so
wurde das 3. Korps im verbände der 3. Armee am 26. August
zum Angriff gegen Zloczow vorgeführt.
Die Offensive zwischen Weichsel und Bug hatte ihre Höhe-
punkte bald in den Siegen von Kraßnik und Komarow, währen^
die 3. Armee und die Anfänge der 2. Armee nach schweren, opfer-
vollen Kämpfen bei Zloczow und przemyslany (erste Lemberger
Schlacht) starkem, überlegenem Feinde Raum geben mußten.
Die Russen ließen gegenüber Galizien von Anfang an 5 Armeen
mit über 30 Infanterie- und Kavallerie-Divisionen zum Angriff
gegen Österreich-Ungarn antreten. Dieses verfügte aber erst nach
dem Eintreffen der 2. Armee über ^0 Infanterie- und (0 Kavallerie-
Divisionen, bis zu welchem Zeitpunkte die Russen aber weitere Ver-
stärkungen herangezogen hatten. Um die gegenseitigen Kräftever-
hältnisse richtig zu beurteilen, ist dabei zu berücksichtigen, daß die
russischen Divisionen (6 Bataillone, die österreich-ungarischen im
Durchschnitt nur (3 zählten, um (0 Geschütze weniger als erstere
und nahezu gar keine schwere Artillerie — 2 schwere Lsaubitz-
Batterien eines alten Systemes auf ein Korps von 3 Divisionen
— hatten. Dabei darf nicht vergessen werden, daß die russische Ar-
tillerie den modernen Anforderungen mehr entsprach als die öster-
reich-ungarische, weil sowohl die österreichische als auch die un-
garische Volksvertretung in der ihnen eigenen Kurzsichtigkeit dem
kseere oft die allernotwendigsten Rkittel versagte *). Auch nach dem
Eintreffen der ersten Transporte der 2. Armee waren die Russen
bedeutend stärker als das österreich-ungarische kfeer und inan wird
— abgesehen von der minderen Artilleriebewaffnung — wohl ein
Zahlenverhältnis von 2:3 annehmen können. Am schärfsten trat
das Mißverhältnis in Gstgalizien zutage, wo um den 25. August
mehr als 20 russische Divisionen nur 9 österreich-unga-
rischen gegenüberstanden.
Die 6. Infanterie-Division führte Feldmarschalleutnant von
Gelb. Zur ((. Infanterie-Brigade (Generalmajor von Fabini)
gehörte das Kärntner Infanterie-Regiment 7 (Oberst Ko sch atzky)
und das bosnisch-herzegowinische Infanterie-Regiment 2 (Oberst
') Siehe den Aufsatz „von der Drina in das herz Serbiens" von Mberst-
leutnant Adam.
58
Schwarzleitner-Domonkos
Kindl); zur \2. Infanterie-Brigade (Generalmajor Kreisel), das
Krauter Infanterie-Regiment \7 (Oberst Baron Stillfried), das
Kärntner Jäger-Bataillon 8 (Oberstleutnant von Lustig), das
steirische Jäger-Bataillon 9 (Oberstleutnant Schot sch); zur 6. Feld-
artillerie-Brigade (Oberst Kratky), das Feldkanonen-Regiment 9
(Oberst von Steiner), und die I. Abteilung des Feldhaubitz-
Regiments 3 (Hauptmann F e r r a r e s). Die Divisionskavallerie
stellten die steirischen 5er Dragoner bei.
Am 2\. August früh wurde das 3. Korps zum Vormarsch über
den Dnjester alarmiert. Bei drückender Hitze auf staubigen Straßen
der erste Marsch gegen den Feind. Am Nachmittag dämpfte sich
das Licht, die Schatten wurden schwächer, der Mond, der sich vor
die Sonne stellte, legte einen düsteren Flor über die Natur. Zwei
Tage später, nach Erreichen des Raumes östlich Lemberg trat das
Korps unter den Befehl des 3. Armeekommandos. In der Nacht
zum 2$. August finden wir die 6. Infanterie-Division (3. Korps)
au dem Marsche nach podjarkow. Tags darauf (25. August) ging
es weiter an die Olszanica und auf die Höhen westlich Gologory.
Der in der Nacht zum 26. August zur Ausgabe gelangte Befehl
war mit den inhaltsschweren Worten eingeleitet: „Morgen angriffs-
weise Vorrückung Direktion Zlozcow!"
Nicht alle Truppen der Grazer Division erreichten noch vor
Mitternacht zum 26. August ihre Marschziele. Das Gros nächtigte
an der Straße Slowita-Nowosiolki. General Krasel war mit den
Kern nach Gologory gewiesen. Vorposten standen hinter der Olsza-
nica und bei Gologory. Schon während des Marsches herrschte
große Spannung. Sie steigerte sich stetig. Jeder wußte sich am
Vorabend bedeutender Ereignisse. Alle Müdigkeit schwand. Schon
fielen einzelne Schüsse. Noch war kein Feind zu sehen. Das Wetter
war schön, die Nacht klar. Bei den Stäben emsige Tätigkeit. Nach
Mitternacht erschallt plötzlich ein Alarmruf. Niemand weiß woher
er kommt, jeder gibt ihn weiter. Bald ist alles auf den Beinen.
Als Ursache stellt sich endlich ein mißverstandenes „Auf!", das bei
der Artillerie zur Fütterung wecken sollte, heraus. Indessen war die
zweite Morgenstunde vorbei und es wurde Zeit zur ersten Schlacht
aufzubrechen.
Die 6. Infanterie-Division ging südlich der Zloczower Thaussee
vor. Rechts von uns griff die Grazer 22. Landwehr-Division, links
die Laibacher 28. Infanterie-Division an.
. Feldmarschalleutnant von Gelb bildete drei Gruppen. Ge-
neralmajor Krasel mit Infanterie-Regiment (7, Jäger-Bataillon 9
und einem Bataillon des bosnisch -Herzegowinischen Infanterie-
Regiments 2 hatte bei Morgengrauen den Sattel von Gologory zu
nehmen und sich dort zum weiteren Vormarsch auf den Höhen zu
gruppieren, Generalmajor von Fabini sollte mit Infanterie-Regi-
ment 7 und 2 Batterien des Feldkanonen-Regiments 9 an und südlich
Die Grazer s. Infanterie-Division in den Schlachten um Lemberg 59
der Chaussee vorrücken. Oberst Kratky war beauftragt, sich mit
5 Batterien, dem Jäger-Bataillon 8 und einem Bataillon des bos-
nisch-herzegowinischen Infanterie-Regiments 2 nächst Gologory zur
Unterstützung eines eventuellen Angriffs und als Reserve bereitzu-
stellen. Tin Bataillon des bosnisch -herzegowinischen Infanterie-
Regiments 2 sollte das Korpskommando in Slowita sichern. Nach-
richtentrupps waren vorzutreiben, die vorderste Linie um 8 Uhr vor-
mittags zu überschreiten.
Über den Gegner war bis in die späten Abendstunden des
25. August bekannt, daß ein Korps, über Tarnoxol eingebrochen,
beiderseits der Bahn auf Krasne im Vormarsch sei, in Zloczow und
Zborow ebenfalls stärkere Kräfte stünden und endlich, daß die über
den Zbrucz vorgegangenen Divisionen zum Teil schon die Strypa
überschritten hatten.
Den Gesechtsraum der 6. Infanterie-Division füllt südlich der
Straße nach Zloczow zerrissenes, zum größten Teil bewaldetes,
unübersichtliches Bergland mit Höhenunterschieden bis zu 200 m
aus. Gegen Westen schließt ihn die Glszanicaniederung, der Sattel
von Gologory und die westliche ZlotaLipa ab. Nördlich der Straße
ist das Gelände schwach gewellt, von den bsöhen gut zu übersehen,
in den tieferen Teilen versumpft. Lsalbwegs zwischen der Glszanica
und Zloczow liegen an der Landstraße die Orte Rkaly und welky
Lackie.
Rkit Ungeduld erwarteten die Truppen, an den Feind geführt
zu werden. Schon früher als befohlen, wurden sie losgelassen und so
zogen sie an einem klaren Rkorgen der aufgehenden Sonne entgegen.
Die Iöhen östlich der Olszanica waren frei vom Gegner, ebenso
der Sattel von Gologory, den eine kleine Gruppe von 9er Jägern
besetzt hatte. Der Vormarsch der Kolonnen bot, soweit er sich über-
blicken ließ, ein herrliches Bild. Tr ging glatt und in großer
Ordnung vor sich. Flüchtende Juden, die uns auf der Straße be-
gegneten, wünschten Sieg den österreichischen Waffen und berich-
teten über die Anwesenheit starker russischer Kräfte in Zloczow.
Bald nach 7 Uhr vormittags erhielt eigene Reiterei bei der An-
näherung an Lackie Feuer. Etwas später begrüßten die ersten
russischen Schrapnells die auf der Straße und nördlich davon vor-
gehenden Truppen. Ts gab keinen Aufenthalt. Blitzschnell ent-
wickelten sich die Vorhuten und stürmten dem Feind entgegen. Ge-
neralmajor von Fabini hatte das IV. Bataillon des Infanterie-
Regiments 7 auf der Straße, 3 Bataillone auf den kföhen südlich
davon vorgezogen. Die Straßengruppe unter Major prünster warf
im ersten Anlauf schwächeren vor Lackie stehenden Feind, säuberte
den Ort von den Russen und erreichte bald dessen Ostrand. Dort
aber verwehrte ihr lebhafteste feindliche Gegenwirkung jedes
weiterkommen. Die auf den bjöhen südlich der Straße vorgehenden
Bataillone der 7er warfen ebenfalls die ersten sich ihnen entgegen-
60
Schwarzleitner-Domonkos
stellenden russischen Abteilungen und arbeiteten sich dann im Walde,
mehrfach widerstand brechend, bis zum Kirchlein auf der Höhe HO9
südöstlich Lackie vor. Generalmajor Krasel trat die Bewegung
beiderseits der von Gologory gegen Osten ziehenden Tiefenlinie an
und zwar Infanterie-Regiment \7 südlich derselben, Jäger-Bataillon
9, Jäger-Bataillon 8 und ein Bataillon des bosnisch-herzegowini-
schen Infanterie-Regiments 2 unter Befehl des Oberstleutnants von
Lustig nördlich. Auch hier dasselbe Bild. Die tapferen Truppen
rannten die vordersten feindlichen Linien über den pausen, wobei
sich die steirischen Jäger besonders hervortaten. Das Gros der
Artillerie ging westlich Gologory in Stellung, folgte aber bald der
immer weiter vorrückenden Infanterie.
Gegen Mittag waren alle Teile der Division im Gefecht, die
vordersten russischen Linien durchwegs geworfen, die Bataillone,
ohne die eigenen Verluste zu achten, kämpfend im Vordringen gegen
Osten. Das Ziel war Zloczow, vorerst sollten die Höhen von Zalesie
erreicht werden. Aber noch westlich Zalesie schlug stärkstes Feuer
den vorstürmenden Truppen entgegen, was von den russischen Bat-
terien erfaßt werden konnte, wurde zugedeckt. Im Walde stießen
unsere Schwarmlinien auf Schützengräben und Hindernisse. Ma-
schinengewehre auf Bäumen machten sich besonders unangenehm
fühlbar.
So schwand mit der Zeit der günstige Eindruck der ersten
Gefechtsstunden. Überlegener Gegner hatte unseren bisher sieg-
reichen Vorstoß zum Stehen gebracht. Die Erschöpfung der Truppen
durch die schweren Anstrengungen der vorangegangenen Tage kam
ein wenig zum Vorschein. Es war nach \ Uhr nachmittags, als der
unter sehr starkem Feuer gehaltene rechte Flügel des nördlichen
Nachbarn abzubröckeln begann und mit Teilen wich. Major prünster,
der Lackie hielt, mußte deshalb seinen eigenen linken Flügel zurück-
biegen. Feldmarschalleutnant von Gelb hatte von fjaus aus das
Hauptgewicht auf den Vorstoß über die Höhen unmittelbar südlich
der Straße gelegt. General von Fabini trachtete nun, die 3 Ba-
taillone des Infanterie-Regiments 7, die dort vorgehen mußten, in
die Hand zu bekommen. Diese waren durch die schweren Kämpfe
im Wald naturgemäß ein wenig auseinandergeraten. Nach längerem
Suchen fand erste, vermischt mit Teilen des bosnisch-herzegowinischen
Infanterie-Regiments 2, stark gelichtet gegen H Uhr nachmittags vor
der Kirchenhöhe 40() südöstlich Lackie. Die 7er hatten viel Raum
gewonnen. Die Höhe 409 sperrte ihr weiteres Vorgehen. In der
Erwartung, durch deren Wegnahme den weg nach Zalesie frei zu
zu machen, ordnete der General diese an. Inzwischen war aber ein
bedenklicher Umschwung in der eigenen Lage eingetreten. Bei der
\2. Brigade mußten vorerst die 1,7er, nachdem sie bereits sehr schwere
Verluste erlitten hatten, das Gefechtsfeld räumen und gegen Go-
logory zurückgehen. Ihr südlicher Nachbar, der den Angriffsbefehl
Die Grazer «. Infanterie-Division in den Schlachten um Lemberg ßl
erst knapp vor Tagesanbruch erhalten hatte, überschritt infolgedessen
verspätet die Zlota Lipa. Dadurch blieb die Flanke der (7er offen,
zahlreiche feindliche Batterien vereinigten ihr Feuer gegen dieses
so tapfer vordringende Regiment, so daß es zum Schluß weich »n
mußte. Links von den (7ern führte Oberstleutnant von Lustig sein
Bataillon erfolgreich vor. Der Feind wurde wiederholt geworfen,
über 500 Russen gefangen. Die eigenen Verluste in diesen auf-
lösenden Waldgefechten waren groß. Dennoch hielt sich diese Gruppe
noch mehrere Stunden über das Zurückgehen der (7er hinaus. Nach
4 Uhr nachmittags mußte sie aber auch den (7ern folgen und ging,
ohne bedrängt zu werden, gegen Gologory. Sie setzte sich dort am
Sattel erneuert fest und hielt ihn befehlsgemäß bis in die Abend-
stunden. Auch das Bataillon prünster konnte sich im Laufe des
Nachmittags vor Lackie nicht mehr behaupten, es sammelte sich
gegen Sonnenuntergang mit seinen Resten bei den an der Straße
entschlossen ausharrenden Batterien des Klagenfurter Kanonen-
Regiments. Als Generalmajor Fabini dieses Bataillon wieder
vorschicken wollte, traf um 6 Uhr 30 nachmittags der Befehl ein,
in die Ausgangsstation von früh zurückzugehen.
Hier sei die Einschaltung einer persönlichen Erinnerung gestattet.
Als Generalstabsoffizier der ((. Infanterie-Brigade erhielt ich den
Auftrag, die Gruppe des Obersten Koschatzky (3 Bataillone In-
fanterie-Regiment 7 und Teile des bosnisch-herzegowinischen In-
fanterie-Regiments 2, die das Kirchlein nehmen sollten), zurückzu-
führen. Mein weg führte an Lackie vorbei, das nachmittags zum
Teil schon von den Russen besetzt war. Fünf Dragoner hatte ich
mit. Die Thaussee meidend, ritt ich den Waldrand entlang in die
Dunkelheit hinein. Den Südrand von Lackie passierend, hörte ich
Tritte näherkommen. Es mußten Russen sein! Die Säbel flogen
aus der Scheide und im scharfen Trab gings, soweit es Finsternis
und weg erlaubten, weiter, plötzlich, um eine Ecke biegend, nahm
ich einen Trupp von 30 Mann wahr. Da löste der Ruf „Mir
sän Kaiserliche, versprengte!" die Spannung. — Die Truppen des
-Obersten Koschatzky fand ich bereits im Abstieg von der Kirchenhöhe
und führte sie über Gologory gegen Nowosiolki. Aus Gologory
schlug uns heftiges Gewehrfeuer entgegen. Unsere prachtvollen
Soldaten bewahrten eiserne Nerven. Kein Schuß fiel. Alles warf
sich zu Boden. Patrouillen gingen vor. Auch dieser Zwischenfall
klärte sich beruhigend. Teile eines aus Gologory abziehenden
Trains hielten uns anfangs für Russen. Einige Stunden nach
Mitternacht erreichten wir unser Ziel. Die Nachtruhe war kurz.
Um etwa q Uhr vormittags langte ein vom Korpskommando
knapp vor Mitternacht abgefertigter Befehl des Inhaltes ein, daß
das Korps heute (26.) auf starken Gegner gestoßen, die Entschei-
dung morgen (27.) durch Eingreifen der Divisionen des Generals
Don Koeveß von Süden aus fallen werde.
62
Schwarzleitner-Domonkos
Generalmajor von Fabini wurde zur Behauptung der Glsza-
nica-Linie bis einschließlich Gologory angewiesen. Dieser Befehl war
durch die Wirklichkeit leider schon stark überholt. Der General hatte
5 Bataillone Infanterie-Regiment 7 und ein Bataillon des bosnisch-
herzegowinischen Infanterie-Regiments 2), 5 Batterien und einige
Kompagnien versprengter gesammelt und drei Gruppen (Nowosiolki,
Tredowacz und Gologory) gebildet. Dank den blutigen Erfahrungen
des Vortages waren technische Verstärkungen bald eingerichtet und
die Abschnitte in den frühen Vormittagsstunden verteidigungsfähig.
Zum größten Erstaunen ließ sich der Tag ruhig an. vor-
geschobene Patrouillen konnten den Gegner anfangs nicht feststellen.
Der Russe war abgeblieben. Sollte ihm der Prankenhieb der Grazer
Division noch in den Gliedern gelegen sein? Ziemlich spät näherte
er sich Gologory und Tredowacz, wo es zu Gefechten kam.
Indessen blieb die von Süden erwartete Entlastung aus. Im
Gegenteil, das \2. Korps geriet nach anfangs aussichtsvoller Ent-
wicklung durch Flankeneinwirkung in eine äußerst kritische Lage. Die
allgemeine Zurücknahme der östlich Lemberg kämpfenden Divisionen
wurde unabweislich. Generalmajor von Fabini baute befehlsgemäß
und unbehelligt durch den Gegner um etwa ( Uhr nachmittags seine
Aufstellung ab, gerade als sich in der Gegend der großen Straße
an der Glszanica die ersten Russen zeigten.
Nachmittags sollte noch eine neue-Stellung beiderseits Iaktorow
bezogen werden. Als einzelne Truppen in ihre Abschnitte mar-
schierten, wurde mit Rücksicht auf ein weiteres Zurückgehen des nörd-
lichen Nachbarn die Verteidigung in die 5 à rückwärts gelegene
Linie von Lahodow verlegt. Trotz verschiedener Zwischenfälle hatte
Feldmarschalleutnant von Gelb am 28. August früh auf den Lsöhey
von Lahodow seine Bataillone zur Abwehr bereit. Es rückten auch
vom bosnisch-herzegowinischen Infanterie-Regiment 2 bei Gologory
zurückgelassene Nachhuten, die schon verloren gegeben waren, wieder
glücklich ein. Bei Lahodow plante die Führung bloß vorüber-
gehenden widerstand. Erst die Gnila Lipa km westlich) sollte
hartnäckig gehalten werden. Diesmal kamen die Russen rascher an
die Stellung heran. Sie wurde bis Rlittag behauptet und dann,
ohne gestört zu werden, die Lsauptstellung an der Gnila Lipa be-
zogen, wo der Division der Abschnitt von Turkocin und Stanimirz
zugewiesen war. Erwähnenswert aus dem Gefechte von Lahodow
ist der kühne Vorstoß einer Abteilung Bosniaken, der so weit führte,
daß sich eine russische Batterie gezwungen sah, im Galopp abzufahren.
Feldmarschalleutnant von Gelb richtete sich in Stanimirz ein und
bildete zwei Abschnitte. Der südliche war der ss. Brigade mit den
Bosniaken (später abgelöst durch Jäger-Bataillon 8 und Jäger-
Bataillon 9) und den 7ern, der nördliche, gegenüber pohorylce
vorspringend und dann gegen Turkocin scharf abbiegend, der
\2. Brigade mit Infanterie-Regiment (7 zugewiesen. Die Artillerie,
Die Grazer ü. Infanterie-Division in den Schlachten um Lemberg ßg
verstärkt durch Teile der Landwehr-Feldartillerie-Brigade war
nahe an die Infanteriestellung herangeschoben. Rechts und links
hatte die Division festen Anschluß.
Der Nachmittag des 28. August verlief ruhig. Der Russe zeigte
sich nicht mehr. Nach Einbruch der Dunkelheit begann an der
ganzen Front lebhaftes Infanteriefeuer, damals eine noch un-
gewohnte Erscheinung.
Am nächsten Tage wirkte vorerst die russische Artillerie
gegen unsere Stellungen. Besonders unangenehm machten sich ihre
„Schweren" fühlbar, die den Rkarburger Haubitzen des Haupt-
mann Ferrares empfindliche Verluste beifügten. In unserem Ab-
schnitt richteten sich die Hauxtanstrengungen der Russen gegen den
vorspringenden Winkel bei Turkocin. Sie blieben vergeblich und
scheiterten an dem unerschütterlichen widerstände der \7ev. Auch die
Infanterie-Brigade wies einen Angriff glatt ab. Ebenso blieben
tags darauf die russischen Angriffe, die an Kraft merklich nachgelassen
hatten, ergebnislos. Um so überraschender traf der Befehl vom
30. August abends die Truppen, welcher der durch die russischen
Erfolge bei Firjelow und Rohatin geschaffenen Lage durch Abbruch
der Schlacht bei przemyslany, unter welchem Namen die Kämpfe
an der Gnila Lipa zusammenzufassen sind, Rechnung trug, wir
lernten hier kennen was es hieß, gegen mehrfache Übermacht
kämpfen. Rlochte man im fünffachen Ansturm Stellung auf Stel-
lung genommen oder überlegene feindliche Angriffe siegreich ab-
gewehrt haben — irgendwo hatte die Übermacht doch eine gegen-
überstehende Truppe erdrückt oder war mit ihrem Kraftüberschuß
einfach in eine Lücke hineinmarschiert — und alle eigenen Erfolge
waren umsonst gewesen.
General der Kavallerie von Brudermann wollte seine Truppen
an der Straße Kulikow-Lemberg-Rkikolajow halten lassen. Das
Oberkommando billigte schließlich diesen Entschluß, ein Rückzug
hinter die Wereszyca hätte erst im äußersten Falle stattzufinden ge-
habt. In den späten Abendstunden des f. September rief sodann
das Oberkommando den General der Infanterie von Auffenberg mit
seiner siegreichen Armee vom Schlachtfeld von Komarow ab, um
voraussichtlich in der Richtung auf Lemberg zur Entlastung der
3. Armee vorzugehen. Die Bereitstellung des linken Flügels der
3. Armee bei Kulikow gelang aber nicht mehr. Die 3. und auch
die 2. Armee unmittelbarer einer übergroßen Belastung auszusetzen,
schien zu gewagt. Das Oberkommando sah sich daher am 2. Sep-
tember bestimmt, bei Preisgabe der feldmäßig befestigten Stadt
Lemberg den Rückzug hinter die Wereszyca anzuordnen.
Der Rückmarsch von Stanimirz und Turkocin vollzog sich in
Ordnung. Das Loslösen vom Feinde ging glatt vor sich. Um Mittag
des 1. September war die Straße Lemberg-Mikolajew erreicht. Da
langte bei der Division der Befehl ein: „Der Raum um Lemberg
64
Schwarzleitner-Vomonkos
wird gehalten!" Am 2. September früh war eine ganz gute Stel-
lung bezogen und eingerichtet. Der erwartete Angriff blieb aber
aus. Am späten Nachmittag kam die Weisung, in der Nacht zum
3. September die Truppen hinter die wereszyca zurückzuführen. Der
Nachtmarsch, zum Teil auf Feldwegen, war reich an Reibungen.
In den Nachmittagsstunden des 3. September erreichten die sehr
ermüdeten Truppen ihre Ziele. Vorposten waren bald aufgestellt.
Das Ringen östlich Lembergs, in dem die 6. Infanterie-Division
schwere Schlachttage in Ehren bestanden hatte, war zu Ende. Die
6. Division hatte wohl weichen müssen, geschlagen war sie
aber nicht.
Nur wenige Tage der Ruhe fanden die Truppen hinter der
wereszyca. Sie wurden bald zu neuen Taten gerufen.
Schon bei Abbruch der Schlacht vor Lemberg trug sich das
-Oberkommando mit der Absicht, unter Heranziehung der siegreichen
Truppen des Generals der Infanterie von Auffenberg im Kampf
um Ostgalizien noch einmal das Waffenglück anzurufen.
An die Spitze der 3. Armee war inzwischen der General der
Infanterie von Boroevic getreten, der sich bei Komarow einen
Namen gemacht hatte.
Der Grundgedanke für die zweite Lemberger Schlacht lag in
der Absicht, den der 3. Armee gegenüber befindlichen Feind um-
fassend anzugreifen. General der Infanterie von Auffenberg sollte
ihn in der nördlichen Flanke, Teile der 2. Armee in der südlichen
treffen, während aber die 3. Armee an die wereszyca zurückging,
zog das Gros der Russen auf Lemberg und von dort mehr gegen
den Raum nördlich der wereszyca. So traf es gegen die Flanke
der zur Unterstützung heraneilenden 4. Armee. Dies bedingte eine
Verschiebung der ursprünglichen Absichten dahin, daß, wie es in '
dem Befehl des Armeeoberkommandos vom 7. September 7 Uhr
nachmittags zum Ausdrucke kam, die 4- Armee den feindlichen Vor-
stoß aufzuhalten, die 3. flankierend einzugreifen haben, um ihn zum
Stehen zu bringen oder ihn zurückzuwerfen. Die 2. Armee hatte
rechts der 3. umfassend anzugreifen.
Die Grazer Division stand im Wereszyca-Abschnitt beiderseits
der Straße Grodek-Przemysl. Die Truppen hatten Ruhe und er-
holten sich zusehends von den schweren Anstrengungen der voran-
gegangenen Woche. Der Sicherungs- und Erkundungsdienst nahm
nur geringe Kräfte in Anspruch. Die Verluste waren durch Ein-
stellen von Ersatzmannschaften halbwegs ausgeglichen. Das Wetter
war gut, schöne Herbsttage. Nördlich von uns stand die Schwester-
Division, die 28., südlich General der Infanterie von Koeveß, der
> während der Schlacht zur 2. Armee gehörte, mit seinem Sieben-
bürgerkorps.
Die wereszyca, ein linkes Nebenflüßchen des Dnjesters, weist
stark versumpftes Anland auf und durchzieht das See- und Teich-
Die Grazer 6. Infanterie-Diviston in den Schlachten um Lemberg 65
gelände beiderseits Grodek. Das Gelände ist dadurch ausgesprochen
zur Verteidigung geeignet. Östlich Grodek steigt offenes, flach-
gewelltes Hügelland sanft an und erhebt sich in der Grodecka Gora
und der Höhe bei Stawczany um nicht ganz 50 m über den Spiegel
der Teichlinie. Weiter fällt das Gelände vorerst wieder ein wenig.
Waldflächen in einer Ausdehnung mehrerer (Quadratkilometer, zum
Teil versumpft, begleiten die nach Lemberg führende Straße.
Bald nach Witternacht zum 8. September wurde vom 3. Korps-
kommando der von den Truppen schon erwartete Befehl zur neuer-
lichen Offensive ausgegeben, von unserem Korps sollte anfangs
nur die 6. und die 28. Division ins Gefecht treten. Erstere beider-
seits der großen Straße Grodek-Lemberg, letztere entlang der nörd-
lich davon führenden Bahn. Links an das Grazer Korps schloß das
U. Korps, rechts die 2. Armee mit dem \2. Korps an. Die 22. Land-
wehr-Division blieb als Reserve westlich Grodek zurück. In den
Worgenstunden des 8. September stellte Feldmarschalleutnant von
Gelb, unter Sicherung der bereits vorgeschobenen Iägerbataillone,
welche die Grodecka Gora und die Höhen nächst Weierhof petevs-
walde besetzt hielten, östlich Grodek seine Truppen zum Angriff bereit.
Rechts der Straße hatte Generalmajor von Fabini mit den Bos-
niaken, den 9er Jägern und dem Kanonen-Regiment, links General-
major Krasel mit den ^7ern, 8 er Jägern und den Feldhaubitzen an-
zugreifen. Die 7er blieben Divisionsreserve.
Im Abschnitt des Generalmajors von Fabini gingen die 9 er
Iäger schon um 7 Uhr vormittags gegen den von den Russen be-
setzten Weierhof Peterswalde vor, kamen aber isoliert in eine be-
drängte Lage, in der ihnen das selbständige Eingreifen einer Kom-
pagnie von 8 er Iägern half. Trotzdem mußten sie vorübergehend
Raum geben. Erst nach Entwicklung der Bosniaken, die an Stelle
des bei Stanimirz schwer verwundeten Obersten Kindl, Wajor
von Wihalic führte, konnte der Angriff vorwärts getragen werden.
Die Truppen des Generals Krasel gingen ebenfalls bald gegen den
Feind vor, der den Wald nordöstlich der Grodecka Gora (powi-
lenski Las) und die Wilitärschießstätte besetzt hielt. Nach wirkungs-
voller Artillerieunterstützung, an der auch Batterien des General-
majors von Fabini von Süden her sich flankierend beteiligten, ge-
lang es den l7ern, stellenweise in den Wald einzudringen. Bald
nach \\ Uhr vormittags verursachte jedoch bei ihrem nördlichen
Nachbar ein entlang der Bahn angesetzter starker Gegenstoß, der
auf ins Gefecht geworfene Warschformationen traf, vorübergehend
eine rückgängige Bewegung. Die nördliche Flanke der l7er wurde
frei, hiedurch entstanden schwere Verluste, dennoch hielt das tapfere
Regiment bis über Wittag in seiner schwierigen Lage aus, dann
mußte es hinter die Grodecka Gora weichen. Dort waren bereits
zwei Bataillone der Divisionsreserve eingelangt. Inr Vereine mit
diesen besetzte es sogleich wieder die Kammlinie der Grodecka Gora.
Kerchnawe, Im Felde unbesiegt. III. 5
66
Schwarzleitner-Domonkos
Während des Zurückgehens der f7er ließ Generalmajor von Fabini
durch seine 5 Batterien die Russen am Rande des powilensky Las
niederhalten und half derart ihr Vorbrechen verhindern. Die Fort-
führung seines eigenen Angriffes, der um Mittag in der Erstürmung
des westlichen Meierhofs peterswalde einen Erfolg hatte, mußte
naturgemäß einige Verzögerung erfahren. Die Truppen des Ge-
neralmajors Krasel konnten im Laufe des Tages keine weiteren Fort-
schritte mehr erzwingen. Eie hatten unter der russischen Artillerie
schwer zu leiden. Generalmajor von Fabini, verstärkt durch ein Ba-
taillon der Divisionsreserve, setzte am Nachmittag seinen Angriff
fort. Major von Mihalic warf mit seinen Bosniaken im raschen
Sturm die Russen aus dem Walde unmittelbar südlich der Straße
und drängte sie bis über den Meierhof Heinrichshof zurück. Rechts
von ihm waren die steirischen Zäger, vermischt mit Abteilungen
des \2. Korps, darunter auch Landsturm, im erfolgreichen vor-
gehen. Das Gefecht stand günstig. Batterien galoppierten vor.
Als die Sonne im Sinken war, trat plötzlich ein Rückschlag ein.
Einzelne Plänkler, ganze Linien gingen aus. dem Walde zurück.
Auch rechts sah man die Jäger weichen. Eine zurückfahrende Bat-
terie war in dichte Staubwolken gehüllt. General von Fabini kennt
kein Zögern. Dieser tapfere Führer steigt zu Pferd, mit gezogenem
Säbel geht es im russischen Znfanteriefeuer dem Weichenden ent-
gegen. Sein Beispiel wirkt. Er bringt die Bewegung zum chalten
und ordnet die gesammelten Kompagnien nächst der am Mittag ge-
wonnenen Stellung beiderseits des westlichen Meierhofs Peterswalde.
Zn Wirklichkeit war die Lage nicht so kritisch, als sie im ersten
Augenblick aussah. Als Major von Mihalic mit seinen Kompagnien
über den Meierhof Heinrichshof hinausgeftürmt war, traf ihn ein
russischer Gegenstoß, vor dem er anfangs zurückweichen mußte.
Hauptmann Durlach, der den linken Flügel der Gruppe des Majors
von Mihalic führte, nützte entschlossen die Lage aus und stieß mit
dem Gros seines Bataillons in Flanke und Rücken der Russen, die
sich nach schweren Verlusten eilig zurückziehen mußten. Der Meiev-
hof fiel wieder in eigene Hände und wurde von mehreren, aller-
dings ziemlich mitgenommenen Kompagnien gehalten. Die Ier Zäger
waren mit Landsturm vermischt. Dieser, den auflösenden Einflüssen
des Waldkampfes mehr ausgesetzt als andere Truppen, geriet in
Anordnung und riß so die braven Zäger mit. Das letzte Bataillon
der Divisionsreserve wurde Generalmajor von Fabini zugewiesen»
Er bemühte sich vor allem für die Nacht eine abwehrfähige Front
herzustellen. Der rechte Nachbar, das bei przemyslany arg mit-
genommene, größtenteils aus Rumänen und Madjaren bestehende
siebenbürgische \2. Korps, war hingegen weiter zurückgewichen.
Das unübersichtliche Waldgelände und die ungeklärte Lage be-
stimmten den General, die vor der neuen Front stark gefährdete
Gruppe des Majors von Mihalic in diese zurückzunehmen.
67
Die Grazer 6. Infanterie-Division in den Schlachten um Lemberg
Die Nacht verlief ruhig. Für den 9. September war bei Ein-
satz der Rorpsreserve die Fortführung des Angriffes befohlen.
Zwischen der 6. Division und dem \2. Korps gelangten 8 Bataillone
der 22. Division neu in Verwendung.
Am Abend des ersten Schlachttages war die Fühlung mit
dem Gegner größtenteils verloren gegangen. Die Ermüdung der
Truppen durch die schweren Rümpfe des Tages machte eine Auf-
klärung ziemlich illusorisch. Noch vor Sonnenaufgang wurde der
Vormarsch wieder aufgenommen. Die 6. Division fand ein
geräumtes Schlachtfeld mit allen seinen Renn zeiche n
vor. Der Nüsse war in die Linie Mszana-Bartatow-Dabrowka
zurückgegangen. Das anfängliche Ausbleiben des feindlichen Ar-
tilleriefeuers ließ den Gedanken an einen weiterreichenden russischen
Rückzug nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen. Auch andere An-
zeichen sprachen dafür. Einem vom sh Znfanterie-Brigadekommando
vorausgeschickten Reiter ergaben sich in einem Gehöfte vierzig Russen.
Eine, allerdings unzutreffende Meldung berichtete über im Sumpf
steckengebliebene feindliche Geschütze. Es kam daher ein wenig über-
raschend, in dem unübersichtlichen Waldgelände ziemlich unvermittelt
auf eine starke feindliche Stellung zu stoßen. Es wurde im all-
gemeinen die Linie Stawczany-Oftrand des s)owilensk^ Las erreicht.
Da der Angriff vom Südflügel aus wirken sollte, überdies die Neu-
gruppierung der Artillerie Zeit in Anspruch nahm, kam es bei der
Division an diesem Schlachttage zu keiner weiteren Angriffshandlung
mehr. Die 8er Jäger waren aus dem verbände des Generalmajors
Rrasel in jenen des Generalmajors von Fabini getreten.
Zn der Nacht zum O. September ging es sehr lebhaft zu, das
Feuer hielt fast ununterbrochen an. Für diesen Tag war die Fort-
setzung des Angriffes im Einklang mit dem rechten Nachbarkorps
befohlen und zwar anfangs für Zs Uhr vormittags, da aber dieses
abgeblieben, mußte der Beginn auf 3 Uhr nachmittags verschoben
werden. Feldmarschalleutant von Gelb hatte Bartatow, die 22. Land-
wehr-Division Dabrowka zu nehmen. Generalmajor von Fabini sollte
sich fürs erste des Waldes südöstlich Bartatow bemächtigten, während
den Truppen des Generalmajors Rrasel Wola Bartatowska zufiel.
Die rechte Gruppe des Generalmajors von Fabini — 2 Bataillone
7er unter Major prünster — warf den ihr gegenüberstehenden.
Feind in schneidigem Angriff und drang, Gefangene machend, in
den Wald südöstlich Bartatow ein. Auch die Mittelgruppe unter
Major von Mihalio gewann Raum. Die linke, die beiden Zäger-
Bataillone unter Oberstleutnant Schotsch, hatte erst vorzugehen,
wenn die s2. Brigade über Wola Bartatowska hinaus vorgerückt war.
Befehlsgemäß führte dort Generalmajor Rrasel die 7er und s7er
vor. Nach harten, schweren Rümpfen bemächtigten sich die 7er und
einzelne Rompagnien der s7er unter Hauptmann von Gradl Wola
Bartatowska's und unter Major von Lunzer des Raumes unmittelbar
5*
68
Schwarzleitner-Domonkos
nördlich davon, weiterzukommen war aber nicht möglich, die Ver-
luste waren zu schwer. Major von Lunzer mußte vielmehr infolge
umfassenden Artillerie- und Infanteriefeuers nach Einbruch der
Dunkelheit seine Rompagnie etwas zurücknehmen. Da aber die Be-
hauptung von wola Bartatowska am nächsten Tage von seinem
Ausharren wesentlich abhing, so führte dieser entschlossene Rom-
mandant bei Morgengrauen seine Gruppe wieder vor. Sie blieb
dann den ganzen Tag ohne Verbindung nach rückwärts unter den
schwierigsten Verhältnissen in einer äußerst exponierten Lage und
war von ihren vorgesetzten Stellen schon verloren geglaubt.
In den ersten Nachtstunden war es auch der 22. Division ge-
lungen, in Dabrowka einzudringen.
waren auch die angestrebten Angriffsziele noch nicht erreicht,
so konnte die 6. Division doch auf schöne, hoffnungsvolle Anfangs-
erfolge zurückblicken. Leider mußte die Landwehr um Mitternacht
wieder aus Dabrowka heraus und im Laufe des vormittags des
\\. September in der Richtung gegen Stawczany zurückgehen. Da-
durch wurde auch die Lage bei Major grünster unhaltbar und er
führte seine Bataillone aus dem blutig erstrittenen Walde wieder
heraus.
Der Angriff konnte nicht mehr fortgesetzt werden. Die 3. Armee
hatte sich aber fest in die feindlichen Stellungen verbissen. Sie sollte
nun ausharren, bis das Eingreifen der rechts von ihr umfassend
angesetzten 2. Armee sich fühlbar machen würde.
während diese noch im erfolgreichen Vordringen war und ganze
Geschützfronten erstürmte und die Russen teilweise vor ihr abzuziehen
begannen, hatte sie doch keine Aussicht, in den allernächsten Stunden
einen ausschlaggebenden Sieg davonzutragen und so die >
Entscheidung zu bringen. Im Norden aber waren starke russische
Rräfte in den Lücken nordwestlich der Armee ein-
gedrungen und gegen deren Verbindungen in der Richtung auf
Lubaczow im Vormärsche. Sie aufzuhalten, stand kein Mann mehr
zur Verfügung. Es ist wohl keine Frage, wäre die Heeresver-
stärkung durch das neue Wehrgesetz einige Jahre vor dem Jahre
19W zustande gekommen und hätte die Oberste Heeresleitung schon
über einige Reserve-Divisionen verfügt — Österreich-Ungarn hatte
keine einzige, die anderen Großmächte deren 36—50 —, so wäre
es zu keiner solchen Lage gekommen.
Auch die Armee hatte ihr Ziel — Lublin — nicht erreichen
können, sie mußte seit dem 9- September das eroberte Gelände
langsam räumen. In dieser kritischen Lage hielt das Oberkommando
bis zur letzten Minute aus. Da aber die 2. Armee am Sudflügel
der Schlachtfront das Schicksal nicht mehr rechtzeitig wenden konnte,
mußte es schweren Herzens den Befehl zum Abbruch der Schlacht
und zum Rückzug geben. Lange nach Sonnenuntergang gelangte
dieser an die Truppen der 6. Division. Um Mitternacht zum
Die Grazer s. Infanterie-Division in den Schlachten um Lemberg 69
\2. September war die Bewegung anzutreten, Nachhuten hatten bis
Morgengrauen in den geräumten Stellungen zu halten. Das Los-
lösen vom schwer erschütterten Feinde gelang ungestört. Auch die
Nachhuten wurden nicht im geringsten bedrängt. Vollmond er-
leichterte den Rückmarsch. An der Wereszyca, an die der Feind
nur zögernd herankam, blieb eine Compagnie der s?er bis
zum Mittag des f3. September, also durch 36 Stunden.
Es war hart für die tapferen Truppen, nach wohlverdienten
Erfolgen das siegreich erkämpfte und behauptete Schlachtfeld un-
besiegt räumen zu müssen. Das Ausbleiben jeglicher Verfolgung
zeigt, wie sehr auch diesmal der Stoß des 3. Korps, das sich in
diesen Schlachten das Beiwort „das Eiserne" errungen, die Russen
getroffen hatte. Mhne von ihnen gedrängt zu werden, erreichte das
Korps am f5. September f)rzemysl, von wo es nach drei Ruhe-
tagen wieder aufbrach. Der Rückmarsch war sehr anstrengend und
nicht frei von Reibungen. Am s3. September schlug überdies das
Wetter um. Zeitweiser Regen verwandelte die galizischen Straßen
bald zu Brei und erschwerte so das Abfließen der Trains.
Den 28 österreich-ungarischen Divisionen der westlich Lemberg
kämpfenden Armeen standen 3H—35 russische gegenüber, die sich in
ihrer Mehrzahl gegen die Armee des Generals von Auffenberg
gewendet hatten. Jede einzelne der russischen Divisionen war stärker
als eine österreichische Division. Um diese Zeit hatte die J3 Di-
visionen zählende \. Armee ebenfalls allermindestens die gleiche
Anzahl russischer Divisionen vor sich und war daher um w e n i g st e n s
4>0 Bataillone und f30 Geschütze schwächer als die Russen.
Auch die zweite Lemberger Schlacht forderte schwere Gpfer auf
unserer Seite. Mit Wehmut sei der vielen Melden gedacht, die auf
der Walstatt geblieben sind. Der Truppe kam aber zum Bewußt-
sein, zu welch unglaublichen Leistungen sie die Kraft in sich hat.
Das Selbstvertrauen hob sich gewaltig. Die 6. Division kämpfte mit
Aussicht auf den Sieg. Um so unerwarteter traf sie der Befehl zum
Abbruch der Schlacht. Die Tage von Lemberg zählen aber für immer
zu ihren zahlreichen Ehrentagen!
Truppen, die kaum eine Woche nach den beispiellos schweren
Kämpfen östlich Lemberg nicht nur erneut wieder zum Angriff gegen
überlegenen Feind vorgehen, sondern ihn auch in ihrem ungestümen
Drange weit zurückwerfen, solche Truppen mußten bleiben:
„3m Felde unbesiegt!"
Von der Drrna in das Herz Serbiens.
(m«.)
Von Oberstleutnant Walter Adam, damals Äauptmann und Generalstabs-
offizier der 14. kombinierten Gebirgsbrigade.
(7% uf der Erinnerung an unsere Herbstoffensive \3W gegen Serbien
+ lastet, äußerlich und oberflächlich betrachtet, der Mißerfolg. Die
Leistungen der Armee überstiegen alle menschliche Voraussicht. Aber
in dem Augenblick, wo der Enderfolg auf des Messers Schneide
stand, war der Bogen überspannt. Die Serben holten zu einem
übermächtigen, verzweifelten Gegenstoß aus, zu dem sie den letzten
Mann heranzogen, und da trafen sie auf gelichtete Brigaden, auf
zu Tode erschöpfte Soldaten.
Mit atemloser Spannung hatte die Monarchie unseren Zug
nach Serbien verfolgt. Nun ließ das unglückliche Ende den glor-
reichen Anfang vergessen. Andere Kriegsereignisse von hoher Be-
deutung — die Karpathenschlachten, Gorlice, Görz — beschäftigten
alsbald die Herzen in der Heimat. Man hat das Gefühl, an Halb-
vergessenem zu rühren, wenn man über die Novemberschlachten in
Serbien berichtet.
Die Operationen und Kämpfe wurden noch ganz im Stile der
alten Taktik geführt. Die modernen Kampfmittel und Methoden,
mit denen die Schlachten der späteren Kriegsjahre ausgefochten
wurden, kannte man kaum. Zeigte sich einmal ein Flieger, so
wurde er als wunder angestaunt. Die Verwendung von Kampfgas
war uns noch fremd, die Tanks waren noch gar nicht erfunden.
Schwere Artillerie gab es nur in der Ausgangsstellung, — ein paar
Geschütze alten und ältesten Modells. Bei dem raschen Vorgehen
über das unwegsame Mittelgebirge blieb dann auch die Feldartillerie
zurück. Nur die Gebirgsartillerie konnte zur Not der Infanterie
folgen. Die Infanterie war fast unsere einzige Kraft und unsere
ganze Zuversicht.
Früh war der Herbst gekommen. Schon im Oktober gab es
Schnee; in den Bergen lag er knietief. Die Tage waren kurz. In
tiefster Finsternis wurde aufgebrochen. Selten kam die Sonne durch;
der Nebel lag Tag für Tag wie nasse wolle über dem Tand.
Man kam aus der schwarzen Nacht in die weiße. Die Karten waren
selbst bei guter Sicht nur als flüchtige Skizzen zu bewerten1). Da
h von Serbien gab es noch keine regelrechte Geländeaufnahme. Die wurde
erst während der österreich-ungarischen Besetzung bis durchgeführt. Die
serbischen Karten waren nur durch Aufnahmekrokis ergänzte vergrößerte alte öster-
reichische Generalkarten.
In bas Herz Serbiens
71
war eine flache Rückenlinie gezeichnet, die man leicht in 20 Ali-
nuten zu passieren hoffte; in Wirklichkeit fand man eine Schlucht,
die in vierstündiger Anstrengung durchklettert werden mußte.
Der Feind stand überall in vorbereiteten Stellungen und ver-
feuerte von dort seine unerschöpflichen Munitionsmassen durch die
Nebelwand gegen die eindeutig bestimmten, unvermeidbaren An-
marschwege. Unsere Waffen aber hatten kein Ziel. Rompaß und
Gefechtslärm gaben die allgemeine Richtung an; alles andere blieb
unsicher. Alan sah weder den Nachbar noch den Feind, vorbedachte
gegenseitige Unterstützung getrennter Kolonnen war meistens un-
möglich. Befehls- und Meldegänger irrten oft einen Tag lang
umher, ohne den Weg zu finden. Irrtümer in der Ortsbestimmung
waren regelmäßig.
Tin geordneter Nachschub an Munition und Verpflegung war
unmöglich. D'er Abschub der verwundeten stockte. Dabei waren die
Sanitätsanstalten überfüllt und nicht mehr imstande, den dauernden
Zustrom an Kranken und verwundeten zu bewältigen.
In Finsternis war man aufgebrochen, in Finsternis wurde die
Nächtigung bezogen. Ortschaften gab es nur wenige. Die Bataillone
sammelten sich und legten sich im Kot und Schnee um schwelende
Lagerfeuer zur Ruhe, karg verpflegt, todmüde. Solange die Feuer
brannten, sengten sie die Kleider und Schuhe. Nach Mitternacht
erloschen sie, der Frost kam über die Schläfer und verscheuchte den
Schlaf. And dann geht es wieder weiter, ehe der Tag anbricht.
Gestern so, heute, morgen, übermorgen und kein Tnde abzusehen.
Die Truppe bleibt unerschüttert. Kampfverluste und Krank-
heiten lichten ihre Reihen immer beängstigender. Die Leiber sind
übermüdet und übernächtig, der Frost schneidet in die Glieder, der
junger ist zu Gast, die Schuhe sind zerfetzt, die Füße wund. Und
trotzdem lebt in diesen Bataillonen nur ein Geist, ein Wille:
vorwärts!
Wenn also von den großen Taten der alten Armee erzählt
wird, dürfen diese Bataillone nicht vergessen werden.
Die folgenden Zeilen wollen keineswegs als kriegsgeschichtliche
Studie gelten. Tagebücher, Karten und Gefechtsberichte sind dem
Verfasser beim Rückzug verloren gegangen. Alle Ziffern, Daten
und Ortsangaben müßten aus den Gefechtsakten anderer verbände
rekonstruiert werden. Auf eine solche Genauigkeit kommt es aber
hier nicht an; es soll nur das Bild im Ganzen richtig sein.
Nach den siegreichen Tinleitungskämpfen im August wurden
fünf Bataillone, zwei Gebirgsbatterien und ein Roiterzug in der
Herzegowina und in der Bocche di Tattaro entbehrlich. Sie wurden
auf die Romanja planina dirigiert und dort unter dem Befehle des
tapferen Gendarmeriekommandanten von Bosnien, Generalmajor
Snjaric, zu einer „Kombinierten Gebirgsbrigade" zusammengefaßt.
72
Adam
Diese Brigade, die später die Nummer erhielt, sollte in
aller Ruhe aufgestellt und ausgerüstet werden, um dann als Reserve
des Kommandos der Balkanstreitkräfte an die Drina vorzurücken.
Da entbrannten aus den Höhen jenseits der Drina sehr heftige
Kämpfe und es war Not an Mann. Die unfertige Brigade mußte
eilig aufbrechen, bei Kostjerovo (südlich Zvornik) die Drina über-
schreiten und in die Schlacht eingreifen..
Den österreich-ungarischen Truppen gelang es, eine brücken-
kopfartige Stellung im Mittelgebirge östlich der Drina zu beziehen.
Sie führte auf einem schmalen Rücken in weitem Bogen um Zvornik,
dann nach Süden über die blutgetränkte Höhe Zagodnja wieder an
die Drina.
Ende September flaute die Kampftätigkeit immer mehr ab.
Die Serben konzentrierten ihre Streitkräfte zu dem Vorstoß auf
Serajevo und in die Romanja plania. Alle entbehrlichen Truppen
aus der Drinastellung wurden zur Abwehr dieser Offensive ver-
wendet. Ls blieb nur eine schwache Besatzung zurück, die sich jeder
aktiven Kampftätigkeit enthalten mußte.
Bald kamen gute Nachrichten von rechts und links. Die Timok-
Division war in Slavonien von Feldmarschalleutnant Alfred Krauß
vernichtet worden, der Feind in der Romanja wurde entscheidend ge-
schlagen und über die Grenze zurückgetrieben. Nun wurde es in
unseren einsamen Stellungen wieder lebendig. 'Die in Bosnien frei
gewordenen Truppen rückten in ihre alten Abschnitte oder sammelten
sich als Reserve, Lrgänzungstransporte trafen ein, die Artillerie
wurde verstärkt und die Pionierabteilungen erhielten den Befehl,
Anmarschwege für schweres Geschütz anzulegen. Da wußte man,
daß die Zeit des Wartens zu Ende geht und hoffte.
Am Allerseelentag hielten wir Abschied von den Gefallenen aus
den Septemberkämpfen. Massengrab an Massengrab lagen sie knapp
hinter der Front: Deutschmeister*), 8^er* 2), Polen, Rumänen, Un-
garn, von den fünf „selbständigen Bataillonen" der Brigade, alle
Nationen des alten Reiches. Und mehr als tausend Serben in
Gottesfrieden unter ihnen. Unzählige von denen, die in tiefer An-
dacht von Grab zu Grab gingen, hatten selbst ein namenloses Grab
gefunden, ehe ein Monat verstrichen war.
Die ersten Angriffsbefehle trafen ein. Zuerst waren die feind-
lichen Stellungen auf den gegenüberliegenden hängen zu nehmen
und die Gegend von Krupanj zu erreichen. Das konnte aber nur
ein Ziel für den Anfang sein. Wir wußten, daß Feldzeugmeister
potiorek den Feldzug noch vor Einbruch des Winters beenden wolle,
wußten also, daß ein Lntscheidungskampf bevorstehe.
*) wiener Hausregiment.
2) Niederösterr. Infanterieregiment, hauptsächlich aus der Umgebung Wiens.
In das Herz Serbiens
73
Am 7. November begann der große Angriff. Die Sichtver-
hältnisse waren leidlich, die Artillerie konnte wenigstens zeitweise
den Feind unter Feuer nehmen. Mir standen als Reserve auf der
Iagodnja und hielten Ausschau. Aber mit den Ohren war mehr
zu erfahren als mit den Augen. Der Kampflärm, der die ganze
Waldzone durchtoste, verriet deutlich, daß es vorwärts geht. Ein
paarmal wehte der Wind das Sturmsignal und das Hurrageschrei
unserer Bataillone herüber.
In der frühen Dämmerung kam ein Meldereiter von vorne.
Zerfetzt, kotbespritzt, mit einer klaffenden Schulterwunde. Er brachte
eine kurze Verständigung, daß die ersten feindlichen Stellungen ge-
nommen sind. Überall, auf der ganzen Linie. Besonders hart sei
es um die Schanze auf der höhe Sanac hergegangen. Dort stehe
jetzt das \. Brigadekommando, General Lukachich. Dann erzählte
er, daß die Waldzone zwischen der Front und den Reserven voll ver-
sprengter Serben sei, die sich in kleine Patrouillen zusammenrotten
und Leute hinter der Front überfallen.
Gegen Abend telephonierte das Korpskommando: Wir sollen bei
Tagesanbruch in die Kampflinie auf Sanac einrücken und dann bis
zur höhe Kuline vorstoßen. Im Ganzen etwa Km querfeldein.
Um 2 Uhr nachts standen die Bataillone in langer Einzelkolonne
marschbereit. Alle Lichter wurden verlöscht, viele Patrouillen zur
Flankensicherung ausgeschickt. So begann der Vormarsch ins ser-
bische Land.
Der weiche Boden war glitschig und von Baumwurzeln durch-
zogen. Die Nacht stockfinster. Langsam stolperte und rutschte die
Kolonne durch den Wald. Gewehrfeuer einmal von rechts, einmal
von links. Es verursachte nicht viel Schaden, aber beunruhigte und
verzögerte den Marsch noch mehr.
Wir stoßen auf die ersten Spuren des Kampfes: herrenlose
Tornister, Feldflaschen, Spaten und Gewehre. Und bald treffen wir
auf Tote. Die ersten sind aus dem Wege geräumt und liegen ge-
schlichtet unter Bäumen. Später liegen sie kreuz und quer durch-
einander über dem Weg.
Auf Sanac erzählte der Kommandant, daß sich die Serben am
Tage vorher bewundernswert tapfer gehalten haben. Drei Stürme
waren fruchtlos. Als der vierte gelang, fand man nur mehr
wenige lebende Verteidiger. Sie müssen sich einzeln durch Nacht und
Nebel zurückgezogen haben. Man weiß nicht wohin und wie weit.
Inzwischen sind die Bataillone zu weiterem vorgehen angetreten.
Knapp vor uns steht weiß und geschlossen die Nebelmauer. Leute,
die auf zwei Schritte aneinander vorbeigehen, sehen sich nicht. Also
Kompaß heraus. Die und die Richtung ist einzuschlagen. Ganz
langsam marschieren! Mehr läßt sich nicht befehlen.
Nach tausend Schritten bekommen wir starkes Feuer. Unbekannt
woher. Stoßen wir auf eine Kampflinie oder plänkeln zurück-
74
Adam
gebliebene Patrouillen? Im Reglement steht: In zweifelhaften
Fällen ist der kühnere Entschluß der bessere. Also keinen Aufenthalt,
vorwärts!
Die Flügelbataillone melden: Auf den hängen kommt man nicht
weiter, wir müssen alle auf die Rückenlinie hinauf. Langsam geht
die Front in eine breite Marschkolonne über.
Raum ist die Ordnung hergestellt, tritt die vorderste Abteilung
ins Gefecht, heftiges Gewehrfeuer pfeift uns über die Röpfe und
schon hört man das aufgeregte chämmern eines Maschinengewehres.
Also wieder aufmarschieren? Da hört man unser Sturmsignal. Das
Bataillon an der Spitze macht kurze Arbeit. Zehn oder fünzehn Ge-
fangene kommen vorüber, ebensoviele Tote liegen an einer Weg-
gabel. Daneben ein umgestürztes Maschinengewehr. Die Marsch-
linie ist wieder frei.
Jede Orientierung über die Länge des zurückgelegten Weges
ist bei solchem Wetter und Marschtempo unmöglich. Es ist Nach-
mittag geworden, aber wir können nur ungefähr schätzen, wo wir
sind. Bis auf Ruline dürften noch 2 km sein.
Von rechts seitwärts stößt die Spitze einer Rolonne auf das
letzte Bataillon unserer Brigade. Zur schmerzlichsten Überraschung
Aller ist es die eigene Vorhut. Sie ist auf ausgetretenen Fußpfaden
aus der Richtung gekommen und in dem Gewirr von Waldparzellen,
Rarstlöchern und Wasserissen im Rreis herumgegangen. Die Rich-
tung wird neuerlich festgelegt. Die Vorhutoffiziere bekommen die
brauchbarsten Bussolen und dazu die gemessene Weisung, sie nicht
mehr aus der b^and zu geben.
In tiefster Finsternis erreichen wir die Höhe Ruline. Das heißt:
In der Regennacht, die unserem ersten Gffensivtag folgte, wurde
viel darüber geredet, ob wir nun auf Ruline seien oder wo anders,
und keine Meinung blieb unbestritten. Im großen Ganzen waren
wir aber richtig marschiert.
Der nächste Tag glich dem vorherigen. Der Marsch war schwie-
riger, denn es ging bergauf, bergab und mehrere Wasserläufe
mußten durchfurtet werden. Dafür war aber der Nebel weniger
dick, so daß wir das Marschziel, die Höhe Drenov-Gstenfak (zwei
Wegstunden östlich Rrupanj), ohne Zweifelsqualen erreichten.
Nach langer Zeit kamen wir wieder an Däusern vorbei, ver-
lassene serbische Bauernhäuser, von denen viele weit reiner und
netter waren, als man gemeinhin geglaubt hatte. Die Nähe der
Wohnstätten hatte ihr Gutes und ihr Schlechtes. Das Gute waren
die gedörrten Pflaumen, die in meterhohen Kaufen herumlagen.
Das Schlechte war der einfach gebrannte Slivovitz, der überall
fässerweise zu finden war. Es mußte ein Verbot einsetzen, denn für
eine hungrige, durstige und frierende Rolonne ist Schnaps ein
schlimmer Feind, wenn er fässerweise zu haben ist.
In das Herz Serbiens
75
An diesem Abend erlebten wir zum ersten Male in vollem
Glanz ein Schauspiel, das vorherzusagen sich kein Taktiker getraut
hätte. Als es dunkel wurde, flammten in weitem Kranze die Lager-
feuer auf. Hüben und drüben sah man mächtige feurige Rechtecke,
die in weitem Umkreis das Firmament röteten. Dieses Schauspiel
wiederholte sich noch oft. Kälte und Nässe waren stärker als die
Bedenken gegen die Entschleierung der Marschlinien und auch stärker
als die Furcht vor Überfällen. In der Tat wurden die weithin
sichtbaren Lager fast nie belästigt.
Eine verderbliche Wirkung hatten aber die Feuer doch. Wenn
man ganz durchnäßte Schuhe am Feuer trocknet, zerfällt die Sohle
wie Zunder. Ersatz war nicht vorhanden und so sah man bald Leute,
die statt Schuhe Fetzen und Tierhäute trugen.
Am folgenden Morgen wurde ohne Wegspur der Marsch nach
Osten fortgesetzt. Es fiel kein Schuß, man sah keine Anzeichen des
Rückzuges mehr. Doch vormittags hob sich der Nebel und als es
klarer wurde hörte man von Norden, aus der Gegend von Zavlaka
Kanonendonner. Dann kamen Patrouillen: „Der ganze Höhenzug vor
uns — Bastavsko Brdo — ist stark besetzt. Serbische Kolonnen
rücken von Osten her in die Stellung."
Um Mittag begann die Schlacht.
Sie dauerte bis zum Abend des nächsten Tages und kostete
der Brigade mehr als tausend Mann. Wir mußten rein frontal
über einen steilen Hang angehen, Hoch oben hinter der Kammlinie
saß gut gedeckt der Feind und überließ den Schneider-Treuzot-
Geschützen die Arbeit.
Unsere Infanterie hatte im Augenblick nichts so notwendig wie
Artillerieunterstützung. Wir setzten also unsere ganze verfügbare
Brigade-Artillerie ein: vier alte Gebirgskanonen (M. 99), die
beim Schuß mit Stricken gehalten werden mußten, damit sie nicht
der Bedienung gefährlich wurden. Unsere Parlamente hatten ja
besser als die Militärs gewußt, ob Gebirgstruppen moderne Ge-
schütze brauchen oder nicht. Nun mußten die ersparten Kronen mit
Blut bezahlt werdenx). Allerdings nicht mit dem Blute der Ab-
geordneten.
Trotz der unzulänglichen Artillerieunterstützung gelang es im
Laufe des Nachmittags, an die feindlichen Stellungen heranzukommen
und sie an zwei Punkten zu durchstoßen. Bis abends war die ganze
Linie genommen. Wieder gab es wenig Gefangene. Der serbische
Soldat kämpfte dem österreichischen ebenbürtig und wußte zu sterben.
*) Zu Beginn des Jahres *9*4 waren folgende neueste Geschützarien nicht
nur fertig konstruiert, son)ern auch fertig truxpenerprobt: die 8 cm
Gebirgskanone M die \o cm Gebirgshaubitze M J9H; die jo cm Feldhaubitze
M H9J4:, die lange jo cm Feldkanone M J9J4, die schwere \5 cm Feld Haubitze N t9i4,
die schwere 15 cm Kanone M 13^ und der 30,5 cm Automörser M ^9^, sämtlich
76
Adam
Xlodi im Laufe der Nacht erfuhr man, daß sich der Feind auf
die Höhe Rik zurückgezogen habe und dort stehengeblieben sei. wir
hatten rechts abzumarschieren und mit Morgengrauen in südöstlicher
Richtung neuerdings anzugreifen.
So entwickelte sich der zweite Teil der Schlacht. Der Rik ist
eine beherrschende Höhe, von der fünf Rückenlinien nach allen
Richtungen ausgehen. Aus drei Richtungen — von Norden, Nord-
westen und Süden — rückten die österreich-ungarischen Brigaden
heran. Die Serben wehrten sich wie verwundete Tiger. Wieder
wurde es Abend, bevor wir den Höhenzug bekamen, wieder lag
ein großer Teil der Verteidiger tot in den Deckungen. Auch unsere
Verluste waren groß. Line moderne Schnellfeuerartillerie hätte uns
kampflos die Bahn frei gemacht, wieder mußten Blut und Beine
der Infanteristen gutmachen, was eine üble Sparsamkeit gesündigt
hatte.
Unmittelbar vom Schlachtfelde weg hatte die Brigade in der
Dämmerung noch % km über Stock und Stein vorzurücken, bis hart
heran an die Straße, die von Zavlaka über Ramenica nach val-
jevo führt.
Die zweitägigen Rümpfe hatten die Vorrückung gebremst, so
daß eine verpflegsstaffel nachkommen konnte. Dafür waren aber
die ohnehin recht primitiven Sanitätsanstalten überfüllt. Die Ver-
sorgung der verwundeten bot fortan arge Schwierigkeiten, die nur
unvollkommen überwunden werden konnten.
In später Nacht war man nach den Rümpfen zur Ruhe ge-
kommen. Im Morgengrauen ging es weiter. Der Ja dar wurde
durchfurtet und nun standen wir — gottlob — auf einer regel-
rechten Straße.
Alsbald wurde in der ganzen Rolonne gelacht und gesungen.
Erstens weil man wieder einmal ordentlich marschieren konnte,
zweitens weil die Sonne durchdrang und drittens weil die Marsch-
linie jetzt viele Spuren eines hastigen Rückzuges zeigte. Ls war
freilich nicht annähernd so arg wie \%7 in Italien, aber man sah
viele weggeworfene Waffen, Munition, Fuhrwerke, erschossenes
Rohrrücklaufgeschütze. Die Mittel zu ihrer Erzeugung konnten aber weder von den
Parlamenten und noch weniger auf eigene Verantwortung von den Regierungen
erhalten werden. — Kriegsminister General d. J. v. Auffenberg, der spätere Sieger
von Komarow, ließ dann aus Budgetersparnissen und auf Vorschuß ^ Batterien
des 30,5 cm Mörsers auf eigene Gefahr und Verantwortung herstellen. Der Mörser
zeugte dann vor Maubeuge und Namur seine sieghafte Kraft. Die anderen Geschütze
erhielt die Armee aber erst im Jahre J9*5. wieder mit durchschlagendem Erfolge,
der aber schon möglich gewesen wäre. Die Erfolge waren umso achtung-
gebietender, als die Truppe die Neubewaffnung mit einem ihr bisher un-
bekannten Geschütze in der Front vornehmen mußte. Auffenberg aber war nur
durch seine Demission einer „Ministeranklage" wegen Verschwendung von Staats-
geldern entgangen. . . So geschehen im Jahre J9^ im Zeitalter des österreich-
ungarischen „Militarismus" ! !
3« das Herz Serbiens
77
Schlachtvieh, zerstörte Telegraphenleitungen, ungenügend beschädigte
Brücken — kurz: eiligen Rückzug. Daher auch die Hoffnung: viel-
leicht kommen wir ohne weiteren Kampf an die Kolubara.
Aber noch am selben Tage stießen wir bei Kamenica auf feste,
stark befestigte Stellungen. Als die ersten sicheren Meldungen ein-
trafen, fielen auch schon die ersten Artillerieschüsse. Sprengwolken
weit im Norden und im Süden ließen erkennen, daß wir einer aus-
gedehnten Front gegenüberstehen. Das Infanterie-Divisionskom-
mando übernahm den Befehl. Die Brigaden rückten von der Straße
weg in ihre Angriffsräume und die eigene Artillerie trat ins Feuer.
Raum hatte sie die ersten Schüsse abgegeben, als es zu schneien
begann, wieder standen wir vor der weißen wand, mit schlechten
Karten und unzureichender Orientierung über die Lage.
Die Meldungen von vorne kamen dicht, aber da alle Orts-
bestimmungen fraglich waren, ergaben sie kein verläßliches Bild.
Auf der ganzen Linie hatten sich Linzelkämpfe nach Art der wald-
und Nachtgefechte entwickelt. Das eine Bataillon meldete, daß es
unter leichtem Geplänkel vorrücke, das andere hatte sich eines
Gegenangriffes zu erwehren und verlangte Hilfe. Dabei über-
schüttete die serbische Artillerie alle Anmarschwege und Tiefenlinien
mit Feuer, so daß die Standorte der Trains und Kommandos immer
wieder gewechselt werden mußten. Auf der Straße zog eine un-
unterbrochene Kolonne von verwundeten nach rückwärts. Zu allem
setzte ein Sturm ein, der uns den nassen Schnee in das Gesicht
peitschte.
So kämpften wir die Nacht durch und den ganzen folgenden
Tag. Das war am \3. November. Und als am Abend die Stellung
uns gehörte, bekamen wir schon Artilleriefeuer aus der nächsten.
Die Serben hatten im Rückzug sieben Tage wahrhaft helden-
mütig gekämpft, wir bewunderten aufrichtig die Zähigkeit dieser
Soldaten, die immer verlierend, sich stets aufs Neue stellten, immer
wieder zu Atem kamen. Jetzt war aber ihre Widerstandskraft ge-
brochen. Am November wurde die zweite Linie — etwa 2 km
hinter der ersten — verhältnismäßig leicht genommen, wir konnten
noch weit über das Kampffeld hinaus vorrücken und dann ungestört
nächtigen. Ls wurden nicht einmal Feuer angezündet, Halt —
Pyramiden ansetzen — und die Bataillone sanken um und schliefen.
In dieser stürmischen Novembernacht kam der Befehl: Der
Feind geht über Valjevo zurück. Die Stadt soll schon geräumt sein.
Die Brigade hat auf der Straße durch das Obnica-Tal nach Val-
jevo vorzurücken.
Seit zwei Wochen wußte jeder Soldat: Die Kolubara muß um
jeden Preis erreicht werden; dann kommt eine große Rast, ein langer
Stillstand. Ls endet ein Abschnitt des Feldzuges, vielleicht noch mehr.
Still und ermüdet, aber gehobenen Herzens traten wir also am
\5. November früh den Marsch nach Valjevo an.
78
Adam
Zuerst vorsichtig und abschnittsweise. Aber schon in den ersten
stunden kamen uns Weiber, Greise und Rinder von Valjevo her
entgegen. Sie hatten den Rückzug ihrer Armee mitgemacht und
wanderten jetzt in ihre verlassenen Wohnstätten zurück. Sie er-
zählten, daß die serbischen Truppen abgezogen seien, daß sie nicht
mehr weiterkämpfen wollten, daß alles zu Lnde sei. Sie fluchten
der Belgrader Regierung und baten um die Gnade der Öster-
reichischen. Als dann der Zug der Rückwanderer immer dichter
wurde, gewannen wir die Gewißheit, daß zwischen uns und der
Rolubara kein Feind mehr stehe.
Am f5. November spät abends rückten wir von Süden her in
Valjevo ein. Im nördlichen Stadtteil brannte, in hohen Flammen,
ein Magazin. Sonst lag alles in tiefster Finsternis. Niemand
begrüßte uns, niemand behinderte uns. Die ganze Rolonne —
etwa drei Gebirgsbrigaden — legte sich in den Zimmern, Gängen
und Höfen der neuen Ravalleriekaserne am Südrande der Stadt
zur Ruhe nieder.
wir durchsuchten die Räume. Lin ganzer Trakt war mit ver-
wundeten angefüllt, viele nicht einmal notdürftig verbunden. Zn
den Zimmern lagen blutige Strohsäcke und ein Runterbunt an
Waffen, Uniformen, ärztlichen Instrumenten, Ronserven und son-
stigen Dingen. - j [ ’
Die gefangenen Offiziere schwiegen in soldatischem Stolz, trotz
ihrer Wunden und Leiden. Rein Wort der Rlage oder Anklage,
kein Wort des Verrates. Nur ein Reserveleutnant aus Belgrad, der
an der wiener Universität studiert hatte, begann aufdringlich zu
politisieren und wurde frech, bis man ihm zu schweigen befahl.
Übrigens unterschieden sich die aus der städtischen Intelligenz stam-
menden Reservisten auch bei anderen Gelegenheiten sehr unvorteil-
haft von den übrigen Gefangenen, die durch würde, Verschwiegen-
heit und Zurückhaltung unsere Achtung erzwangen.
Im Laufe der Nacht traf auch das Divisionskommando in der
Ravalleriekaserne ein. Die Brigaden erhielten den Befehl, gleich
am nächsten Morgen die Höhen südlich der Rolubara in die Hand
zu nehmen, eine weitläufige vorpostenkette aufzustellen und alles
für einen längeren Aufenthalt einzurichten.
Sang- und klanglos hatten wir Valjevo genommen. In den
Zeitungen stand das bekannte Wort: „Zuerst Blumen, dann Bomben."
Dieses Abenteuer wurde in einer Schreibstube des Hinterlandes er-
funden. Ls gab keine Blumen und keine Bomben, sondern eine
todmüde Truppe, eine verängstigte Bevölkerung und viel Llend.
von den 7000 Mann der Brigade waren nur mehr 3500 in val-
jevo einmarschiert . . .
In das Herz Serbiens
79
Knapp südlich von Valjevo erhebt sich eine reichgegliederte
Bergkette, deren Gipfel die Kolubara-Niederung um ^00—500 m
überragen. Dort hinauf marschierten wir am November. Ge-
rade als wir an einem ausgedehnten, in seiner Schlichtheit er-
greifenden Soldatenfriedhof vorüberkamen, trug uns der wind von
unten die Klänge des Radetzkymarsches zu: Das XV. Korps mar-
schierte in die Stadt.
Die geringe Beschädigung der Kolubara-Brücken und viel
zurückgelassenes Gerät ließen abermals die Eile des Rückzuges
erkennen. Die wenigen zurückgebliebenen Dorfbewohner begrüßen
uns freundlich. Es schien, daß sie an eine Wendung des Kriegs-
glückes nicht mehr glaubten. Aber das Liebste und Freundlichste
war uns der Befehl, uns für einen Stillstand einzurichten.
Nun, der Stillstand dauerte nicht einmal 2$ Stunden und die
Hoffnung auf ihn noch viel kürzer. Die Brigade hatte kaum die
Höhe erreicht und die wichtigsten Kosten abgefertigt, als der Ge-
neralstabsoffizier den Befehl erhielt, alles liegen und stehen zu
lassen und mit aller Beschleunigung zum Divisionskommando nach
Valjevo hinunterzureiten.
In Valjevo ernste Gesichter. ,,Wie steht es mit der Brigade?"
„Schlecht genug. Keiner hat ganze Sohlen. Die Monturen
werden schleißig. Dazu dieses Wetter! Die Reserveverpflegung ist
aufgegessen. Von trockenen Zwetschgen kann man auf die Dauer
nicht leben. Die Mannschaft ist todmüde. Die Hälfte der Pferde
hat eiternde Satteldrücke und wird nicht mehr lange mitmachen.
Rast, Erholung — sonst ist Schlimmes zu gewärtigen."
Da hieß es: Die Armee kann hier nicht stehen bleiben. Ohne
Bahnverbindung mit dem Hinterlande kann sie nicht verpflegt
werden. Ls bleiben ja sogar die Tragtiere im Straßenkot stecken.
, Wir können an der Kolubara den serbischen Winter nicht durch-
halten. Wir müssen entweder zurück, — alle Erfolge aufgeben
und im nächsten Jahr von vorne anfangen — oder wir müssen
vorwärts.
Am Ende einer langen, manchmal mit harten Worten geführten
Unterhaltung wurde der Befehl zum weiteren Vormarsch ausgegeben.
Die Brigade bekam nicht einmal Zeit, die Vorposten einzuziehen und
Aufklärungsabteilungen vorzutreiben. Wir mußten schon am \7. No-
vember etwa 20 km weit nach Süden vorstoßen und die Mehana
Bukovska — ein kleines Straßenwirtshaus — erreichen.
Die Länge des Weges sagt nicht viel: Die ersten 3 km führten
über wegloses, zerklüftetes Waldgebiet und beanspruchten den
ganzen vormittag. — Spät abends erst erreichten wir das Marsch-
ziel. Nirgends zeigte sich ein Feind. Es waren aber auch keine
Spuren eines eiligen Rückzuges zu. sehen. War überhaupt auf
unserer Marschlinie eine Kolonne zurückgegangen, so muß sie in
Ordnung und Disziplin marschiert sein.
80
Adam
Nun waren wir ins Gebirge und damit in einen grimmigen
Winter gekommen. Line hohe Schneedecke, die jede Wegspur ver-
wischte, lag auf den hängen. Starker Frost setzte ein und machte
die Nächtigung im Freien zur Gefahr und Tual. Unterkünfte waren
nicht vorhanden.
Am \8. früh marschierten die Vorpostenkompagnien auf ihre
Plätze — in blähen von 800—fOOO m. Am nächsten Morgen mel-
deten sie die ersten Todesfälle durch Erfrierung.
Die vorgeschobenen Aufklärungsabteilungen trafen nirgends
auf Truppen. Nur selten wurde eine Patrouille gefangen, vereinzelt
meldeten sich Überläufer. Sie erzählten, daß sich das serbische Heer
bei Kraljevo und Gorni Milanovao sammle und dann den Rückzug
fortsetzen werde. Niemand denke mehr an einen Widerstand. Aber
es war auffallend, daß diese Überläufer durchwegs den ältesten
Landsturmjahrgängen angehörten und daß sie sichtlich beflissen
waren, uns den weiteren Vormarsch als ungefährlich, den ser-
bischen Rückzug als unaufhaltsam zu schildern. Ls regte sich der
verdacht, daß man uns in eine Falle locken wolle.
Am und 20. November standen wir. Line Rast war es
nicht. Starke Abteilungen versahen den aufreibenden Aufklärungs-
und Sicherungsdienst, die übrigen Leute richteten die Lager her,
besserten Wege aus und halfen beim Heranschaffen der Trains.
Bisher war die Leistungsfähigkeit der Truppe auf das höchste,
aber immer noch erträgliche Maß angespannt worden. Was nun-
mehr folgte, überschritt menschliches vermögen und führte zum
Zusammenbruch.
Am 2\. November früh hatten wir in das Bergland des
Maljen aufzubrechen.
Durch tiefen Schnee, ohne Wegspur und ohne ortskundige Führer
erklommen wir bei eisiger Kälte den WO m hohen Kraljevsto.
Zn Finsternis waren wir aufgebrochen, in Finsternis kamen wir
ans Ziel. Marschmarode, mit blutigen Füßen in den zerfetzten
Schuhen, waren in Kaufen zurückgeblieben, ein Dutzend Pferde
war unterwegs abgestürzt oder sonst verunglückt.
Zn einem Schneefeld wird aufmarschiert und ohne weiteres
genächtigt. Die feuchten Uniformen gefrieren am Leib. Truppweise
treffen die gestrigen Vorposten ein, manche erst bei Tagesanbruch.
Zm ganzen Umkreise wird geschossen, dann und wann knattert auch
ein Maschinengewehr. Kein Zweifel: Der Feind ist wieder in der
Nähe.
Zn der Morgendämmerung erhebt sich starker Gefechtslärm im
Osten, ganz nahe unserem Lager. Bald darauf kommt ein Ulane
mit der Meldung: Drei Bataillone stehen vor dem Maljen in
hartem Kampf. Man bittet dringend um Hilfe. Wir sollen in der
kürzesten Richtung angreifen.
In das Herz Serbiens
81
Das war unmöglich. Lin mehrere hundert Meter tiefes, mit
Urwald bestandenes Tal trennte uns von der feindlichen Stellung.
Da war kein Durchkommen. Jenseits des Tales ragte steil der
Maljen auf: Line kahle, schneeglitzernde Ruppe. Im obersten
Drittel wie ein Stirnreif die serbische Schanze.
£?tlfe mußte sein, wir entschlossen uns, das Tal im Norden zu
umgehen. Linzeln abgefallen kämpften sich die Bataillone durch
den Schnee. Wer nicht weiter konnte, wußte sich verloren.
Nachmittag traten wir von Norden her in das Gefecht.
Der Rampf um den Maljen dauerte zwei Tage. Lr war
infolge der Ungunst aller Verhältnisse der schwerste dieses Feld-
zugs. Der Feind dürfte nicht allzu stark gewesen sein. Aber ärger
als sonst behinderte der Nebel unsere Artillerie. Sie konnte kaum
zum Schusse kommen. Die feindlichen Schnellfeuergeschütze streuten
aber ungeheure Munitionsmassen ins Vorgelände.
Ls schneite stundenlang in dichten Flocken, verwundete wurden
eingeschneit und starben in diesem weißen Sarg. Der Zuschub von
Verpflegung und Munition war unmöglich. Man sah Leute, die
an ein gefallenes Pferd herankrochen, Fleischteile aus dem Radaver
schnitten und roh verzehrten.
Die Stellungen im Vorgelände werden rasch genommen. Aber
es scheint ein Ding der Unmöglichkeit, in tiefem Schnee den glatten
Hang hinaufzustürmen. Wird es für Augenblicke hell, so feuert
unsere schwache Gebirgsartillerie so viel die Rohre halten. Aber
die Munition wird knapp. In den Nebel hinein darf nicht ge-
schossen werden.
Am zweiten Kampftag trifft eine ^iroler Landsturm-
brigade ein. Ls ist höchste Zeit. Schon haben die Serben aus
ihren Stellungen heraus Umgehungsabteilungen vorgetrieben, die
uns in Flanke und Rücken bedrohen. Der Train eines Bataillons
ist schon verloren. Nun kann wenigstens dort Ordnung gemacht
werden.
vorne geht der Angriff nur mühselig vorwärts. Ls kommt die
Meldung, daß feindliche Verstärkungen von Süden her anmarschieren.
Wenn sie rechtzeitig eintreffen, ist der Kampf verloren. Also gilt
es, noch einmal alle Kräfte zusammenzuraffen und gegen die
Schanze zu werfen. Sturm!
Gegen H Uhr nachmittags wird die Schanze gestürmt. Nur 300
unverwundete Gefangene fallen in unsere Hand. In und hinter
den feindlichen Linien ein Bild des Grauens. In Schnee, Kot
und Blut durcheinandergewälzt unzählige Tote, verwundete und
Sterbende. Unsere Abteilungen sinken vor Müdigkeit um, wo sie
gerade stehen. Kaum daß ein paar Feuer angezündet werden. Wo
vor kurzem noch heftigster Kampflärm toste, herrscht tiefes Schweigen.
Nur die Gebete und Gesänge der sterbenden Serben klingen laut
und schaurig in die Finsternis.
Kerchnawe, Im Felde unbesiegt. Hl.
6
82
Adam
Ls war unmöglich, die Truppen der verschiedenen Brigaden
zu entwirren, geschweige sonst Ordnung zu machen. Die gefallenen
Pferde retteten die verpflegslage. Aber das Salz war zu Lüde
und der junger konnte nur im Kampf mit dem Lkel gestillt werden.
Nach wenigen Stunden der Ruhe verließen wir das Schlachtfeld
und stapften müde weiter durch den Schnee. Keine Ruhe, keine Rast.
Ls mußte alles daran gesetzt werden, aus dem wüsten, weglosen,
eisstarrenden Gebirge herauszukommen, um dem Hunger und dem
weißen Tod zu entrinnen.
wir hatten nur wenige Kilometer zurückgelegt, als vorge-
schobene Abteilungen meldeten, daß sie neuerdings auf den Feind
gestoßen sind.
Lin langer, mauerartig aufsteigender Rücken lag quer vor
unserer Rtarschlinie. Schmutziggrau im weiß des Schnees zeich-
neten sich die feindlichen Stellungen ab. Die steilen Hänge waren
unbewaldet und zum Teil so felsig, daß sie im feindlichen Feuer
unpassierbar waren. Die Schrecken des Waljen-Kampfes waren
kaum überwunden und nun stand uns dieses drohende Hindernis
im weg.
Die Truppen mußten wenigstens ein paar Stunden Ruhe haben,
wir hielten in einer dichten waldzone außerhalb der Tragweite
der Geschütze und blieben nur mit Patrouillen am Feind. Kein
Haus war in der Nähe, kein Feuer durfte brennen. In den Schnee
hineingekauert, erwarteten die Bataillone den worgen.
Am 26. November wurden im dichten Nebel und Schneetreiben
einige schwache Feldstellungen genommen. Am 27. schoben wir uns
knapp an den Fuß des Rückens heran und am 28. wurde auf
breiter Front der Angriff angesetzt.
Diesmal war uns das Wetter gnädig. Die ersten Zusammen-
stöße erfolgten noch im Nebel. Aber ganz plötzlich hob er sich. Ls
war, als ob ein Vorhang aufginge. Im klaren Sonnenlicht lag die
Stellung vor uns. Die fahrbaren Gebirgshaubitzen, die dank un-
serem Aufenthalte nachgekommen waren, konnten ein für damalige
Begriffe ganz mächtiges Feuer auf die Linbruchsstellen richten.
Der Feind war an eine derartige Artilleriewirkung nicht gewöhnt.
Unsere Infanterie kam rasch an die Stellung heran und in den
ersten Nachmittagsstunden gelang an den entscheidenden Punkten
der Sturm.
Die Widerstandskraft der Serben war merklich erschüttert, wir
machten eine verhältnismäßig große Zahl an Gefangenen und
unsere eigenen Verluste waren gering.
Das war der letzte Kampf während der Offensive von
Unsere Kräfte waren vollends aufgebraucht. Die Brigade, die
mit 7000 wann aufgebrochen war, zählte nur mehr tausend und
einige hundert.
In das Herz Serbiens
83
Stolz und Siegesbewußtsein erfüllte diesen Rest. Jeder In-
fanterist wußte, daß er unerhörte Leistungen vollbracht hat. Der
Geist der Truppen war unerschüttert, an der Disziplin war keine
Schraube gelockert. Aber die materielle Lage war zum Erbarmen.
Zerfetzte Kleider und zerfetzte Schuhe gegen die strenge Winter-
kälte. Seit Tagen keine andere Nahrung als ungesalzenes Fleisch
ohne Brot. Seit Wochen in naßkalten Uniformen, ohne Dach über
dem Raps. Und keine Aussicht auf ein Ende.
Wir hatten unmittelbar nach dem letzten Gefecht wieder auf-
zubrechen und wieder ging es drei Tage lang querfeldein nach Osten.
Am Dezember erreichten wir das Hügelland knapp nord-
westlich von Gorni Milanovac. Wir standen nur mehr wenige
Kilometer von der Stadt entfernt. Südlich vor uns lag das Königs-
schloß Takovo. Die Brigade hatte einen stark gegliederten Terrain-
streifen in einem nach Südost gerichteten Bogen von f80 0 zu be-
setzen. Etwa H km.
Wir konnten aber nur eine dünne Feldwachenlinie und da und
dort eine kleine Reserve aufstellen. Hinter der Mitte die Gebirgs-
kanonen. Die Haubitzen waren längst wieder zurückgeblieben.
Auf den Höhen jenseits des Tales sah man deutlich Truppen-
bewegungen und aufmarschierende Artillerie, die an den Ochsen-
bespannungen zu erkennen war.
Am Abend des 2. Dezember bei den Feldwachen. Belgrad soll
gefallen, die Gefahr in den Karpathen überwunden sein. Und
wir dürfen auf eine Rast hoffen; vielleicht bleiben wir eine ganze
Woche stehen. Aber man hört kein frohes Wort. Das Fürchten
haben die Tapferen längst verlernt. Aber nur mehr ein Wunsch
lebt in den müden Körpern: Ruhe!
Bei den Bataillonskommandanten. Ob wir uns halten werden?
Wenn die Leute ein paar Tage Rast bekommen, wenn die Nach-
zügler einrücken, wenn rechtzeitig eine Marschkompagnie eintrifft,
wenn Zeit ist, Stellungen auszuheben — dann werden wir uns
halten.
Es kam jetzt alles darauf an, ein paar Tage Ruhe zu haben.
Aber die Ruhe dauerte nur eine Nacht. Am dritten Dezember
früh überdeckte uns die serbische Artillerie aus drei Richtungen mit
Feuer und hinter dieser Feuerwand rückten ausgeruhte Divisionen
von Gorni Ulilanovac her zum Gegenangriff. Die Brigade endete
auf dem Boden, der ihr anvertraut war. Nur einige hundert Mann
sammelten sich in der zweiten Hälfte Dezember auf dem nördlichen
Save-Ufer.
* *
*
Es wäre töricht, an dem Zusammenbruch der allzu kühn an-
gelegten Offensive des Feldzeugmeisters potiorek zu deuteln und
den Erfolg der serbischen Armee herabzusetzen. Sie hatte physisch
6*
84
Adam
und moralisch die schwersten Schlappen erlitten und dennoch so viel
Disziplin und Kraft besessen, die Niederlage schließlich in einen
Erfolg zu verwandeln.
Aber dem Mitkämpfer drängt sich die Frage auf, ob alle Opfer
umsonst waren, ob mit unserem Rückzug hinter die Save die Akten
über den serbischen Feldzug des Jahres 1914 Zu schließen sind.
Diese Frage ist zu verneinen. Auch die feindliche Armee
hatte eine tödliche Wunde davongetragen. Schon die Verfolgung
unserer zurückgehenden Truppen war ohne Nachdruck. Dann aber
zählte Serbien in dem großen europäischen Ringen kaum mehr mit.
Schon im Winter 1914/15 konnten dreieinhalb Korps ohne Gefahr
für die Südostgrenze an die bedrohte Karpathenfront abgehen und
als uns Italien den Krieg erklärte, marschierten die letzten zurück-
gebliebenen Korps — das XV. und XVI. — an den Isonzo. Das
konnte ohne Wagnis geschehen. Zug um Zug rollte durch Mitro-
vica, aber vom anderen Ufer fiel nicht ein Schuß.
Die schwachen Formationen, Landsturm und Ersatztruppen,
welche die Beobachtung der Grenze übernahmen, blieben dauernd
unbelästigt; nicht nur hinter dem großen Stromhindernis, sondern
auch an der bosnischen Grenze. So untätig blieb der Feind, daß die
Etappengerüchte über einen Sonderfrieden nicht verstummen wollten.
Die Bedeutung dieser Situation ist nicht hoch genug ein-
zuschätzen. Das XV. und XVI. Korps, die einzigen verfügbaren
Kräfte der Donaumonarchie, kamen gerade noch zurecht, um die
Italiener am Isonzo aufzuhalten und jene eiserne Front zu bilden,
an der alle späteren Angriffe zerschellten. Unbesorgt um den
Feind im Südosten konnte die Offensive gegenRußland
und die Verteidigung gegen Italien geführt werden.
Man braucht nicht in strategische Kombinationen unterzutauchen,
um zu erkennen, daß unsere Lage im Frühjahr 1915 ver-
zweifelt gewesen wäre, wenn uns eine ungebrochene
serbische Armee im Rücken bedroht und starke Kräfte
gebunden hätte.
Ursache und Wirkung sind nach Raum und Zeit mit weiten
Maschen verknüpft. Was wir 1914 zwischen der Drina und Gorni
Milanovac vollbrachten, machte sich 1915 am Isonzo bezahlt. Aber
nicht nur hier. von dem was Serbien ins Feld stellen konnte, lag
das Beste auf den Schlachtfeldern des Jahres 1914 begraben.
Mehr als 150000 Mann — fast die Hälfte ihres Gesamtstandes —
hatte die serbische Armee in den Kämpfen und durch die nach-
folgenden Kriegsseuchen verloren. Sie konnte diese Lücken nicht
mehr voll ausfüllen und der Offensive der verbündeten im Herbst
1915, besonders nach der Einnahme von Belgrad, nicht mehr jenen
heldischen Widerstand entgegenstellen, wie im Jahre 1914!.
Das Blut unserer Balkanarmee war nicht umsonst
Die österreichisch-ungarische 3« Infanteriedivision
in der Schlacht bei Limanowa-Lapanow im
Dezember 1914?)
Von Generaloberst Josef Frh. von RoLH-Limanowa,
damaligen Kommandanten des österreichisch-ungarischen XIV. Korps.
„Felde unbesiegt", ja fürwahr, das waren sie, die braven
^ Truppen der 3. Division, die heldenmütige Schar, welche zu
befehligen, ich vom Beginne des Kriegs an das Glück hatte und
deren prächtige Eigenschaften ich daher genau kenne. Oberöster-
reicher, Salzburger, Tiroler und Vorarlberger, aber auch Böhmen,
sie wetteiferten miteinander in Treue, Eingebung, Opfermut
und Tapferkeit! Offizier und Mann zogen in diesen Krieg im
vollen Bewußtsein, daß es das Wohl und Wehe der Monarchie,
der geliebten Heimat gelte, sie zogen in den Kampf, diese ihre
Heimat, ihr Weib, ihr Kind, ihren häuslichen Herd zu schützen.
Vier Monate, vier blutige Monate waren vorübergegangen,
der Russe hatte in manchem heißem Ringen seinen Gegner kennen,
schätzen, ja fürchten gelernt. Die kecken Ceute mit dem Edelweiß
auf der Kappe, sie wurden vom Feinde „Blumenteufel" genannt!
Aber die Wechselfälle des Krieges brachten es mit sich, daß
auch das XIV. Korps, in dessen Verbände die 3. Division stand
— unbesiegt die Stätte seiner Erfolge verlassen mußte. Drei An-
griffsbewegungen mußten abgebrochen, die Armeen mußten zurück-
genommen werden.
Schweren Herzens, aber trotz allen Mißgeschickes, trotz aller mit
jedem Rückzüge verbundenen Unbilden, Opfer und Entbehrungen
ungebrochen, waren die Truppen des Korps Ende November WH
bei Krakau eingetroffen. Alles fieberte darnach, endlich volle Rache
zu nehmen, endlich mit dem Feind gründlich aufzuräumen und ihm
das £cmt> wieder zu entreißen, das wir ihm überlassen mußten.
Gelegenheit dazu wurde den braven Truppen bald gegeben; es
kam zur denkwürdigen, folgenschweren Schlacht von £imanowa,
welche das schönste Ruhmesblatt für das XIV. Korps und daher
auch für die 3. Division bildet.
tz Zur Verfolgung dieses Aufsatzes genügt im Allgemeinen ein besserer Schul-
atlas; für näheres verfolgen der Aktionen wird die Benützung des Genera lkarten-
blattes 200000) „Krakau" empfohlen.
86
Frh. von Roth-Limanowa
Die allgemeine Lage in diesem Raume des Kriegsschauplatzes
war Ende November folgende:
Unsere 2. und \. Armee standen zur Deckung der preußisch-
schlesischen Grenze im westlichsten Polen, beiläufig in der Linie
Szczercow, Lzenstochau, pilica, wolbrom, Skala gegen Krakau,
Front nach Osten, im Kampfe mit der russischen % und 9- Armee,
deren Offensive schon den Höhepunkt überschritten hatte. Die öster-
reich-ungarische % Armee stand im nördlichen und östlichen Forts-
gürtel von Krakau, dann westlich wieliczka, westlich Dobczyce,
westlich Wisniowa, im Raume südlich Krakau in der Abwehr der
Angriffe der russischen 3. Armee. In Verfolgung des Grundsatzes,
daß die beste Verteidigung der Angriff sei, faßte das Armee-Ober-
kommando den genialen, wenn auch gewagten Entschluß, die gerade
verfügbaren Kräfte auf dem rechten Flügel zu verschieben und den
mit der Front nach Westen kämpfenden Russen von Süden her in
der Flanke anzugreifen. Rtit dieser Aufgabe wurde das XIV. Korps
betraut, welches unter meinem Kommando stand. Da das Korps nur
aus drei schwachen Divisionen (3., 8. Infanterie- und \o. Landwehr-
Division) bestand, wurde es durch die deutsche H7. Reserve-Division
verstärkt. Es war das erstemal in diesem Kriege, daß reichsdeutsche
Truppen im engsten verbände mit unseren Truppen unter österreich-
ungarischem Kommando kämpften. Dieser versuch der Vermischung
von verbänden beider Armeen ist vollkommen gelungen; reichs-
deutsche und österreich-ungarische Truppen wetteiferten in Tapfer-
keit und treuer Pflichterfüllung, sie hielten die schönste Waffen-
brüderschaft. Nie wurde dieses ideale Verhältnis auch nur durch
den kleinsten wißton getrübt, hatten wir beide doch gemeinsame
Ziele, gemeinsame Aufgaben und vorläufig nur das eine brennende
verlangen, den Feind ordentlich zu schlagen. Viribus unitis!
Um den Erfolg zu gewährleisten, mußte die Verschiebung sehr
rasch, der Vorstoß überraschend erfolgen, daher rascheste Durch-
führung! Die bei Krakau befindlichen Divisionen des Korps wurden
mit der Bahn nach Süden verschoben, die anrollenden preußischen
Transporte wurden gleich weiter in den neuen Aufmarschraum ge-
leitet. Am 28. November langte der erste telegraphische Befehl
ein, am 29. schon rollten die Transporte.
Kommandant der 3. Division war der im Frieden und im
Kriege vollbewährte, hervorragend -tüchtige, um das Wohl seiner
Untergebenen stets besorgte und daher sehr beliebte Generalmajor
von Horsetzky. Die Division bestand aus 3. (Brigadier erkrankt) und
V>. (Oberst Fischer) Infanterie-Brigade. In den verband der er-
steren gehörten das Infanterie-Regiment Nr. 28 (Oberst Werten)
zu 2 und das Infanterie-Regiment Nr. 59 (Oberstleutnant Lauer)
zu 3 Bataillonen (das Bataillon war am rechten Flügel der
Front einer Kavallerie-Truppen-Division unterstellt); zur letzteren
Brigade gehörten das Infanterie-Regiment Nr. (Oberstleutnant
Die öst.-ung. 3. Inf.-Div. in der Schlacht bei Limanowa-Lapanow 87
vittorelli) zu 3 und das 2. Tiroler-Iäger-Regiment (Oberstleutnant
Schleinitz, später Major Tschan) zu 2 Bataillonen. Im ganzen
(0 Bataillone. Diese geringe Bataillonszahl erklärt sich dadurch,
daß infolge des geringen Mannschaftsstandes einige Bataillone auf-
geteilt werden mußten. Ls hatte jede Kompagnie einen ungefähren
Mannschaftsstand von (00 Mann, die ganze Division daher eine
Gefechtsstärke von ungefähr 4600 Mann. In den verband der Di-
vision gehörten ferner 2 Lskadronen Landwehr-Ulanen-Regiment
Nr. 6 unter Oberst Bichlbauer mit (4P Reitern, die 3. Feldartillerie-
Brigade (Generalmajor Seltner) und eine Sappenkompagnie. Die
Artillerie-Brigade bestand aus dem Feldkanonen-Regiment Nr. <\2
mit 23, der Feldkanonen-Division 5. (Slavik) mit (2, die Gebirgs-
Haubitzen-Division 11/(4 mit 8, endlich der schweren bsaubitzen-
Division (4 mit 8 Geschützen, daher im ganzen aus 5( Geschützen.
Daß die Gefechtsstärken der Infanterie so außerordentlich gering
waren, ist dadurch erklärlich, daß die im November nördlich Krakau
stattgehabten Kämpfe sehr verlustreich waren und die bis dahin
eingelangten Lrsatzmannschaften aufbrauchten und neue noch nicht
eingetroffen waren. Sa hat diese Division in der Schlacht von Li-
manowa wahrlich nicht durch ihre Zahl, sondern nur durch ihren
moralischen Gehalt zu wirken vermocht.
Die Division war erst am 28. November in Krakau eingetroffen
in der frohen Erwartung, nach den bisherigen schweren Leistungen
einige Ruhetage zu genießen. Dies war jedoch nicht möglich, denn
schon tags darauf, am 29., wurde sie wieder verschoben und für
die neue Aufgabe bereitgestellt. Die Fußtruppen wurden (nach der
(3. Landwehr-Truppen-Division) vom Mittag des 29. an in zwei-
stündigen Abständen mit der Bahn abtransportiert, Ausladen in
Thabowka ((0 km südöstlich Iordanow). Die Kavallerie, Artillerie
und Trains rückten mit Fußmarsch über Mogilany, Sucha, Makow,
Iordanow in den Versammlungsraum. Am 30. abends war die
Division im Raume Skomielna-Biala, Zaryte, Rabka (knapp nörd-
lich Thabowka) versammelt. Die vor ihr befindliche (3. Landwehr-
Truppen-Division war bei Mszana-dl. eingetroffen, die nach ihr
anrückende 8. Infanterie-Truppen-Division noch im Anrollen.
Ls war prachtvolles, trockenes, kaltes bserbstwetter. Bisher
hatten die alxenländischen Truppen des XIV. Korps (auch das
böhmische Infanterie-Regiment 28 war knapp vor dem Krieg
mehrere Jahre in Tirol in Garnison) in dem ebenen, sandigen oder
sumpfigen Gegenden Gstgaliziens und Russisch-j)olens sich Herum-
getrieben, in Gegenden, welche von ihrer schönen, gebirgigen bseimat
ungünstig abstachen; sie hatten sich dabei nicht recht wohl gefühlt
und ihre lieben Berge sehr vermißt. Der Tharakter der Landschaft
aber, in die sie jetzt plötzlich versetzt wurden, war ein ganz anderer.
Schöne landschaftliche Bilder sahen sie, ziemlich hohe Berge, viel
Wald, steile Sänge, und wenn auch diese Gegend einen vergleich
88
Frh. von Roth-Limanowa
mit der Heimat, mit Tirol, dem Salzkammergut, nicht aushielt, so
erinnerte sie doch daran; die Leute sahen endlich wieder Berge und
fühlten sich gleich wohler und mehr zu bsause. Das war ein Gelände,
in dem sie sich besser 'auskannten, in dem sie gewiß weit besser zu
kämpfen verstanden als die Russen; sie haben es bald bewiesen!
Dem bei Dobra befindlichen Gegner stand unserseits nur das
aus zwei ungemein schwachen Divisionen bestehende Kavalleriekorps
des Feldmarschalleutnants Nagy bei Gruszowiec gegenüber. Am
Dezember mußte daher die Sxitzendivision (1(3. Landwehr-Truppen-
Division) schon eingesetzt werden, um Luft zu machen. Die 3. Division
rückte an diesem Tage im Gefechtsmarsch nach Rkszana-dl. und
nächtigte in der Nacht auf den 2. bei diesem Orte, die 8. Division
hinter ihr gegen Lhabowka zu.
Bis jetzt war das Überraschungsmoment voll aufrecht erhalten.
Die Russen — sichtlich überrascht — gaben nach kurzem Kampfe
ihre Stellungen auf und gingen gegen Tymbark und nach Norden
zurück. Ls führte aber in den Kampfraum nur eine einzige Straße
(Lhabowka-Tymbark), auf welcher alle Truppen und Trains be-
wegt werden mußten. Dies konnte natürlich nicht lange verborgen
bleiben. Schon am kreisten über der Straße viele feindliche
Flieger, welche trotz der angeordneten Gegenmaßnahmen die langen
Kolonnen bemerkten.
In den Bergen lag tiefer Schnee, die Straße war stark vereist;
da sie überdies bergauf-bergab führt, hatten die Truppen große
Schwierigkeiten zu überwinden und die brave Infanterie mußte bei
den Geschützen und Fuhrwerken wacker mithelfen!
Um den feindlichen widerstand möglichst rasch zu brechen,
wurde die 3. Division über Gruszowiec nach Dobra vorgezogen
und rechts der (3. Landwehr-Truxxen-Division eingesetzt. Der
Feind zog sich weiter nach Tymbark zurück, verfolgt von dem
früher erwähnten Kavalleriekorps; ein Teil besetzte den nördlich
der Straße von Westen nach Osten ziehenden Höhenrücken. Die
3. Division schwenkte nun nach links ein, um noch in den Abend-
stundeit den Rücken zu nehmen. Da die eigene Artillerie noch nicht
in Stellung war und den Angriff nicht unterstützen konnte, wurde
er eingestellt, und die Division nächtigte mit der (5. Brigade bei
porabka, mit der 5. bei Dobra. Die 8. Division kam an diesem
Tage nach Gruszowiec.
Am 3. Dezember in alle Frühe griff die 3. Division den
Höhenrücken knapp nördlich der Straße an; nach heftigem, aber
kurzem Widerstande wurde die Stellung genommen, der Feind ging
nach Norden zurück.
von der bisher einzigen Vorrückungsstraße RIszana-dl., Dobra,
Tymbark, Limanowa zweigen im Kampfraum drei Straßen in
nördlicher Richtung ab; die östlichste von Tymbark über Lososina,
widoma-bsöhe gegen Bochnia, die mittlere von Dobra über wil-
Die öst.-ung. 3. Inf.-Div. in der Schlacht bei Limanowa-Laxanow 89
kowisko, Rrasne, Wola Grabska gegen Gdow, die westlichste von
porabka über Skrzydlna im oberen Stradomka-Tale, dann über
Rlierzen auch gegen Gdow. Das Erreichen der großen Straße
Dobczyce Gdow, Bochnia war das Endziel der Bewegung und
aller Anstrengungen des XIV. Rorps. Die Entfernung der Vor-
rückungsstraße R7szana-dl., Limanowa von der großen Straße be-
trägt ungefähr 25 km Luftlinie. Zwischen der Vorrückungsstraße
und der Chaussee zieht gleichlaufend mit diesen eine Querverbindung
in ungefähr 15 km Entfernung von der Vorrückungsstraße, von
Raciechowice über Lapanow, Lipnioa gegen Zakliozyn. Um einen
möglichst großen Erfolg anzubahnen, wurde die am Schluß des
Rorps anrückende preußische Reserve-Division mit ihren vollen
Rriegsstärken über Tymbark und Lososina auf der östlichsten nach
Norden führenden Straße vorgezogen, während die drei schwachen
österreichischen Divisionen links davon, in der Reihenfolge 8., 3.,
13. Landwehr-Truppen-Division eingesetzt wurden. Für den Stoß
der 3. Division war die mittlere Straße über Rrasne, bvola Grabska
nach Zagorzany die Leitlinie. Die Straße führte im Zickzack bergauf,
bergab. Das Gelände beiderseits der Straße war von vielen ziemlich
tiefen Talfurchen durchschnitten, die dazwischen liegenden Rücken und
Ruppen waren geradezu kleine Festungen, welche von den Russen
stets in überraschend kurzer Zeit feldmäßig hergerichtet und zu hart-
näckiger Verteidigung ausgenützt wurden. Daraus geht allein schor:
hervor, mit welch großen Schwierigkeiten die Division in Erfüllung
ihrer Aufgabe zu kämpfen hatte.
Die Schlacht begann am 3. Dezember. Die 3. Division machte
in den nun folgenden Tagen bis einschließlich 9- einen wahren
Siegeszug. Zwischen den beiden Divisionen 8 (rechts) und 13. Land-
wehr-Division (links) dringt die Division unaufhaltsam vorwärts,
erobert Höhe auf Höhe und bricht in ununterbrochenen, meist auch,
in der Nacht anhaltenden Rümpfen den feindlichen Widerstand.
Die hervorragende höhere und niedere Führung, die vorzügliche —
den Russen überlegene — Gefechtsausbildung, endlich die Tapfer-
keit und Zähigkeit der heldenmütigen Truppen hatten diesen glän-
zenden Erfolg ermöglicht.
Am 3. rückte Oberst Fischer mit dem 59. Regiment und dem
2. Tiroler-Iäger-Regiment als östliche, das Regiment 1^ als west-
liche Rolonne über die Höhen westlich Wilkowisko auf Ianowice-
Raciborzany vor, Regiment 28 als Divisionsreserve. Trotz starker
Belästigung durch feindliche Artillerie drang die Division siegreich
vor, das Infanterie-Regiment 1^ hatte ferner durch einen energischen
Seitenstoß gegen den an der* Vorrückungslinie der 13. Landwehr-
Truppen-Division hartnäckig festhaltenden Gegner, auch dieser Di-
vision vorwärts geholfen.
Am H. wird der Stoß fortgesetzt; rechts rückt das 2. Tiroler-
Iäger-Regiment über Lipie, Sadek auf die Höhe westlich Slupia^
90
Frh. von Roth-Limanowa
das Infanterie-Regiment 59 längs der Straße auf Krasne vor.
Dieses Regiment nimmt in heldenmütigem Angriff Rrasne, muß
den Grt aber infolge heftigen feindlichen Artilleriekreuzfeuers wieder
räumen. Nachmittags wird das Dorf wieder gestürmt und bleibt
nun im Besitze der Salzburger.
Am 5. hatte Oberst Fischer mit den Regimentern 59 und Ti-
roler-Jäger 2 längs der Straße über Lasocice und Zaroslawice,
rechts davon Infanterie-Regiment 28 über die begleitenden Höhen
vorzustoßen. Infanterie-Regiment war Reserve; ein Bataillon
wurde dem Regiment 28 nachgeschickt und dem Oberst Werten
unterstellt. Dieser nimmt nach kurzem, heftigem Kampfe die starke
feindliche Stellung Höhe $32 (Hkm östlich der Straße bei Lasocice).
Das Regiment 28 hat an diesem Tage auch den Kampf der 8. Di-
vision bei Slupia kräftig unterstützt. Der Kampf der Brigade
Fischer war abwechslungsreich; der Feind verteidigte sich hartnäckig
und zäh, machte auch Gegenstöße, wurde jedoch schließlich aus
seiner starken Stellung bei Lasocice geworfen. Tin weiteres Vor-
dringen der Division war an diesem Tage nicht mehr möglich,
schon deshalb nicht, weil sie im Verhältnis zu den Nachbar-Divisionen
vorgeprallt war. Die 8. Division kämpfte noch bei Slupia (2 km
südöstlich von Lasocice), die \3. Landwehr-Truppen-Division konnte
den heftigen feindlichen Widerstand auf der die Umgegend weit
beherrschenden Höhe Gora Sw. Jana (3 km südwestlich Krasne)
nicht brechen. Der Angriff wurde nachmittags eingestellt und die
Brigade Fischer erhielt den Auftrag, mit dem linken Flügel den
Angriff der \3. Landwehr-Truppen-Division zu unterstützen, was
auch geschah.
Am 6. wurde die Höhe von der Landwehr erstürmt. Die 3. Di-
vision setzte ihre Angriffe fort. Der Feind wurde von Höhe zu Höhe
geworfen, der ganze Raum südlich des hier nach Osten fließenden
Stradomka-Baches vom Feinde gesäubert. Über JOOO Russen wurden
gefangen, mehrere Maschinengewehre erbeutet. Die Division näch-
tigte knapp am Stradomka-Bache, rechts im Anschlüsse an die Feld-
jäger der 8. Division das Infanterie-Regiment 28 bei Grabie, in
der Mitte das Infanterie-Regiment \$, links Tiroler-Iäger-Regi-
ment 2 bei podlobomierz im Anschlüsse an das Landwehr-Infanterie-
Regiment \ der ^3. Landwehr-Truppen-Division bei Gruszow; In-
fanterie-Regiment 59 stand in Reserve bei Lasocice. Das Wetter
wurde trüb, unsichtig und milder, von podlobomierz führt zuerst in
östlicher, dann nordöstlicher Richtung längs der Stradomka-Niederung
die — früher erwähnte — mittlere Querstraße nach Lapanow.
2 km jenseits der Stradomka erhebt sich westlich die beherrschende
Höhe 320 bei wola Grabska.
Für den 7. befahl das Korpskommando der Division, in der
allgemeinen Richtung auf Sobolow vorzustoßen. An diesem Tage
gingen vorerst Infanterie-Regiment \$ als rechte Kolonne direkt auf
Die öst.-ung. 3. Inf.-Div. in der Schlacht bei Limanowa-Lapanow 91
die Lsöhe 320, die Brigade Fischer (Infanterie-Regiment 59 und
Tiroler-Iäger-Regiment 2) längs der Straße über Lubomierz vor,
Infanterie-Regiment 28 rückte direkt auf Lapanow. Unaufhaltsam
vordringend, an die Nachbar-Divisionen angeschlossen, warfen die
Truppen den Gegner zurück und drangen, ihn heftig verfolgend,
über die Straße Zagorzany-Lapanow vor. Gegen Mittag erhielt
das Divisionskommando vom XIV. Korxskommando die Mitteilung,
daß die ^7. preußische Reserve-Division (rechts der 8. Division
etwa im Raume Leszczyna-Rajbrot) sehr schwer kämpfe, das Korps*
kommando halte eine Entlastung der ^7. Division durch einen Vor-
stoß in östlicher Richtung für sehr erwünscht; die 3. Division erhielt
auch noch den Auftrag, den Marsch der dem Korpskommando neu
unterstellten 30. Division von Westen nach Laxanow zu sichern.
Die Division säuberte den Raum bis zur Raba vom Feinde und
schwenkte dann nach Osten ein. Am späten Abend, mit Teilen in
der Nacht, erreichte die Division die Stradomka. Etwa 21/2 km
östlich Lapanow biegt die Stradomka scharf nach Norden um und
fließt der Raba zu. Sie ist hier nicht überall durchwatbar und
schon ein nennenswertes Hindernis. Die beiderseitigen klänge sind
ziemlich steil, die Höhen bei 200 m über dem Tal, viel Wald.
In der Nacht wurde nach kurzer Rast an der Stradomka der Vor-
marsch fortgesetzt und zwar in der Strecke wola wieraszycka bis
wieniec an der Raba in der Reihenfolge von rechts: Infanterie-
Regiment 28, Tiroler-Iäger-Regiment 2, Infanterie-Regiment 39,
Infanterie-Regiment die Truppen waren durch die bisherigen
Kämpfe und Strapazen recht erschöpft, auch die Verpflegung ließ
zu wünschen übrig, weil die Fahrküchen nicht nachkommen konnten.
Aber höhere Zwecke verlangten die äußerste Anspannung der Kräfte,
um die Schlacht bald siegreich zu beenden.
, In dem angegebenen Raume an der unteren Stradomka war
der Gesechtszweck und das Ziel des Korps nahezu erreicht; man
stand schon an der Raba, die große Straße konnte eigene Artillerie
nun schon unter Feuer nehmen. Aber am entscheidenden Teile der
Gefechtsfront, bei der preußischen Reserve-Division, stand die Lage
nicht so günstig. Nach schönen Anfangserfolgen konnte die Di-
vision trotz sehr guter Führung und trotz größter Tapferkeit der
Truppen seit einigen Tagen nicht mehr Raum gewinnen, sa im
Gegenteil, sie konnte sich nur knapp mächtiger feindlicher Gegen-
angriffe erwehren. Das Erreichen der Ouerstraße Leszozyna-Lipnica
war hier unmöglich. Der Russe hatte in Erkenntnis der großen
Gefahr alle verfügbaren Reserven und alle eingetroffenen Ver-
stärkungen dahin geworfen. Er war sich bewußt, daß unser Stoß
über wisnicz auch für ihn den Todesstoß bedeute. Km nun die
^7. Division zu entlasten und ihr nach Möglichkeit Luft zu machen,
hat das Korxskommando die nacheinander eintreffenden Verstär-
kungen dahin geleitet und den eigenen linken Flügel beauftragt,
92
Frh. von Roth-Limanowa
nach Osten vorzustoßen. Die bisher links der 3. Division verwendete
(3. Landwehr-Truppen-Division wurde zwischen Zagorzany und La-
panow versammelt und nach rechts verschoben, nur das Landwehr-
Infanterie-Regiment verblieb im Bereiche der 3. Division.
3m Sinne der getroffenen Anordnungen (Deckung des konzen-
trischen Angriffes des Korps in der linken Flanke bei gleichzeitigem
Stoß auf pogwizdow) wurde die Vorrückung über die Stradomka
in der Nacht auf den 8. fortgesetzt. Ls gingen vor: Infanterie-
Regiment 28 über den 2TE. f}. und die Kapelle auf die Höhe zwischen
Sobolow und dem Trigonometer W, Oberst Fischer mit Infanterie-
Regiment 59 (vorne) und Tiroler-Iäger-Regiment 2 längs der Straße
auf Sobolow, Infanterie-Regiment auf Höhe 305 „zu Buczyna".
Die gesamte Artillerie war am 7. abends in Cctpcmotp eingetroffen
und wurde am 8. auf der Straße westlich der Stradomka nachgezogen.
Feindliche Gegenangriffe auf das Infanterie-Regiment 28 wur-
den abgewiesen, die Höhe südlich Sobolow genommen. Die Haupt-
kolonne, welche ein Bataillon zur Deckung der linken Flanke und
Verbindung mit dem Infanterie-Regimente auf das nördliche
Solanka-Ufer vorgeschoben hatte, erstürmte nach kurzem, sehr hef-
tigem Grtskampfe Sobolow. (500 Gefangene und 7 Maschinen-
gewehre werden eingebracht. Das Infanterie-Regiment (H traf auf
Die öst.-ung. 3. Inf.-Div. in der Schlacht bei Limanowa-Lapanow 93
unerwartete Schwierigkeiten; es konstatierte bald, daß die Höhe bei
„zu Buczyna" vom Feinde stockwerkmäßig ausgebaut und sehr
stark besetzt war; das Regiment geriet in heftiges feindliches Feuer.
Angesichts der Unmöglichkeit, mit den geringen Kräften diesen
schwierigen Frontalangriff mit Aussicht auf Erfolg durchzuführen,
verschob Oberstleutnant vitorelli das Regiment über Throstowa,
Straßenbrücke östlich davon und griff nun die Höhe von Süden
an. Die Höhe 322 nördlich Sobolow wurde nachmittags, der Ort
Buczyna spät abends genommen. Das Landwehr-Infanterie-Re-
giment (2 schwache Bataillone) kämpfte im Vereine mit dem In-
fanterie-Regiment V|.
Das Divisionskommando hatte zwar für diesen Tag noch den
weiteren Vorstoß längs der Straße auf Hogwizdow verfügt; der
heftige feindliche Widerstand, die stete feindliche Einwirkung von
Norden und die Erschöpfung der Truppen machten jedoch eine
weitere Vorwärtsbewegung unmöglich. Die Division stand in der
Nacht mit Infanterie-Regiment 28 (im Anschlüsse an das Feld-
jäger-Bataillon 27 der 8. Division) auf der Höhe (000 Schritte
südöstlich Sobolow, mit der Gruppe Fischer am Gstrande von So-
bolow, mit dem Infanterie-Regimente VI und dem Landwehr-In-
fanterie-Regimente s4 bei und südöstlich Buczyna; die Artillerie
wurde über die Stradomka nachgezogen. Die Division hatte an
diesem Tage bei 2000 Gefangene gemacht, sie hatte ziemlich be-
trächtlich Raum gewonnen, aber der Angriff war noch nicht ab-
geschlossen.
Am 9- Dezember wurde der Angriff fortgesetzt. Die gesamte
Artillerie war westlich Sobolow in Stellung gebracht worden. In-
fanterie-Regiment 28 hatte auf Zawada, Infanterie-Regiment 59
nördlicb der Solanka auf die Höhe 308 nördlich Zawada, das durch
ein Bataillon 59 er verstärkte Tiroler-Jäger-Regiment 2 auf die
Häusergrupxe nordwestlich 308, die Regimenter |4 und Landwehr-
Infanterie-Regiment V( über Grabina auf Höhe 33s vorzustoßen.
Das Divisionskommando leitete das Gefecht bei der Kirche Sobolow.
Die Höhe 364 und der Rücken über 308 bis zur Straße war vom
Gegner sehr stark verschanzt und besetzt. Der ganze Angriff ging
angesichts der feindlichen Überlegenheit nur sehr langsam vorwärts;
die eigenen Verluste waren bedeutend. Es erreichten in schweren,
abwechslungsreichen Kämpfen bis abends: Infanterie-Regiment 28
den Höhenrücken knapp westlich Zawada, das Infanterie-Regiment
59 die Höhe knapp östlich Dabie, das Tiroler-Jäger-Regiment 2 den
Nordrand von Dabie, das Infanterie-Regiment (4 Grabina und
die erstürmte Höhe 33s, das Landwehr-Infanterie-Regiment s4
Buczyna.
Der s0. Dezember war einer der kritischsten Tage der Division
im ganzen Feldzuge, wenn auch der Tag nicht erfolgreich endete,
die braven Truppen der Division hatten sich auch an diesem Tage
94
Frh. von Roth-Limanowa
mit Ruhm bedeckt, ja sie haben gerade am (0. Dezember ihrem nie
verwelkenden Lorbeerkranz das schönste Blatt eingefügt.
Im Sinne der Befehle vom 9- hatten am Morgen anzugreifen:
Infanterie-Regiment 28 in der Richtung auf Zawada, Brigade
Ascher (Infanterie-Regiment 59 rechts, Tiroler-Iäger-Regiment 2
links) auf Höhe 308, Infanterie-Regiment (4 und Landwehr-Infan-
terie-Regiment (4 auf die beherrschende Höhe 364. — Die Artillerie
hatte den Angriff von ihren Stellungen westlich Sobolow zu unter-
stützen.
Der Angriff des Infanterie-Regiments 28 auf das H. H. an
der Straße gelang nicht, der Feind geht zum Gegenangriff über;
die rechte Nachbartruppe (Feldjäger-Bataillon 27) mußte zurück-
gehen, es war ein starker feindlicher Angriff auf die 8. Division
über die Rrolowa Gora erfolgt, dem sie nicht standhalten konnte.
Feindliche Abteilungen erscheinen schon im Rücken des Regiments,
eine volle Umzingelung des ohnedies sehr schwachen und durch
starke Verluste noch mehr geschwächten Regiments war zu be-
fürchten, es bleibt nichts übrig, als mit den Resten desselben
zurückzugehen, es erreicht gegen Mittag die Höhe südöstlich Sobolow.
Infanterie-Regiment 59 beginnt früh am Tag den Angriff, der
Widerstand wird immer größer, aus der Gegend von Lj. £j. kommt
ein sehr starker Gegenangriff. Das Regiment nimmt zwar mit
Schwung die Höhe 308, gleich darauf erfolgt aber ein starker
feindlicher Gegenstoß. Die rechte Flanke ist durch das Zurückgehen
des Infanterie-Regiments 28 entblößt, ein verheerendes feindliches
Artilleriefeuer setzt ein, an eine Fortsetzung des Angriffes ist nicht
zu denken, ja mit der Zeit wird auch ein Aushalten in der eroberten
Stellung nicht möglich, das Regiment muß schließlich nach Sobolow
zurück.
Ähnlich ergeht es dem Tiroler-Iäger-Regiment 2; es wird auf
den hängen zwischen Dabie und 308 von starken feindlichen Ab-
teilungen in der Flanke gefaßt, das feindliche Feuer verstärkt sich
fortwährend, die eigenen Verluste mehren sich, das Regiment muß
auch zurück, in westlicher Richtung gegen Punkt 322.
Das Infanterie-Regiment l.4 erstürmt noch in der Nacht die Höhe
364; das Landwehr-Infanterie-Regiment (4 konnte aber infolge zu
starker feindlicher Gegenwirkung diese Höhe nicht erreichen, es wird
nach Buczyna zurückgeworfen. Der Feind verstärkt sich fortwährend
und greift dann selbst das schwache, erschöpfte Infanterie-Regiment (4
an. Ts ist erhebend, in der Geschichte dieses Regiments zu lesen,
mit welchem Heldenmut selbst die allerkleinsten verbände sich gegen
feindliche Massen wehren, wie Offizier und Mann mit wahrer
Berserkerwut kämpfen und wie die Reste des Regiments trotz ver-
heerenden Artillerie- und Infanteriefeuers in größter Ordnung
zurückgehen Beispiele von aufopfernder gegenseitiger Unterstützung
zeigen den Gehalt dieser Truppe. Das Regiment kann der dox-
Die öst.'ung. 5. Inf.-Div. in der Schlacht bei Limanowa-Lapanow 95
pelten Umzingelung nur durch den Rückzug auf Sobolow entgehen;
dort angelangt, besetzen einige Abteilungen den Friedhof, um das
Abrücken der eigenen Artillerie zu decken. Das Divisionskommando
(auf seinem Gefechtsstandpunkte bei der Kirche von Sobolow) entnahm
aus den im Laufe des vormittags eingelangten Meldungen, daß
mangels jeder Reserve und mangels irgendeines etwa auszunützen-
den örtlichen Erfolges eine Fortsetzung des Angriffes ganz aus-
geschlossen erschien, ja daß ein Halten in den gewonnenen Positionen
mit Rücksicht auf die von allen Seiten gemeldeten feindlichen An-
griffe auch kaum möglich war und befahl die Rückverlegung der
Artillerie auf das westliche Stradomka-Rfer und später auch den
Rückzug der Division dahin. Die Artillerie ging über die Brücke
bei Throstowa zurück, das Feldkanonen-Regiment Qß zuletzt. Un-
gefähr um 2 Uhr nachmittags marschierte gerade die letzte Batterie
unter dem Kommando des Hauptmanns j)eschke der Brücke zu,
als russische Infanterie über die Solanka auf die Batterie losging;
eigene Infanterie war gerade nicht zur Stelle. Die Russen waren
der Batterie schon auf 600 Schritt nahe gekommen. Da ließ der
kaltblütige Batteriekommandant auf der Straße abprotzen und er-
öffnete auf die heranstürmenden Russen „Einzelfeuer". Nach Aus-
sage von Augenzeugen geschah das Insfeuersetzen und die Abgabe
des Feuers mit einer Ruhe und einer Genauigkeit, wie bei einem
Friedensmannöver. Die Russen stutzten, kehrten um und die Batterie
setzte ihren Marsch fort. Die Batterie peschke war lange Zeit in
aller Mund.
Es konnte die gesamte Artillerie auf das westliche Ufer gebracht
werden, nur zwei Geschütze mußten zurückgelassen werden, weil
alle Besxannungsxferde gefallen waren. Die Artillerie fuhr auf
den Höhen zwischen Kamyk und Throstowa auf, um ein Nach-
drängen der Russen zu verhindern. Die Infanterie-Abteilungen
trafen im Laufe des Nachmittags bei Kamyk ein. Die Russen
drängten nicht nach. Die verbände wurden geordnet und die
Stellung zur Verteidigung hergerichtet. Die Division zählte am
Abend noch ungefähr 700 Gewehre!.
So kritisch und ungünstig dieser Tag für die Division verlief,
so hatte das energische, tapfere Verhalten der Truppen doch für
die große Sache eine außerordentliche Bedeutung. Die Division war
zweifellos auf bedeutende russische Kräfte gestoßen, welche zur Ver-
stärkung ihres schwer bedrängten rechten Flügels herangezogen
wurden; sie waren der 3. Division sicher fünffach überlegen. Aber
die Division hat durch ihr angriffsweises Verhalten diese bedeuten-
den feindlichen Kräfte gebunden und dadurch den endgültigen Sieg
der Schlacht vorbereitet und hiezu wesentlich beigetragen.
wie sehr die ungestümen Angriffe und die Tapferkeit unserer
alpenländischen Truppen dem Feinde imponiert haben, beweist ein
Ausspruch eines gefangenen russischen Stabsoffiziers, der sagte, daß.
96
Frh. von Roth-Limanowa
er solche Angriffe (wie sie die „Blumenteufel" gemacht haben) noch
nie, auch bei den Japanern nicht erlebt habe. Interessant ist es
auch, daß das feindliche Armeekommando am \0. Dezember in
einem Radiotelegramm angesichts der übermächtigen feindlichen
Angriffe (gemeint waren die Angriffe des XIV. Korps am 8.
und 9.) dringendst um Mfe bat; daß diese Angriffe der Zahl nach
nicht übermächtig waren, besonders den Russen gegenüber, welche
mit ganz anderen Zahlen rechneten als wir, ist klar.
Die 3. Division hatte selbstredend für die nächste Zeit nur die
Aufgabe, ihre augenblickliche Stellung zu behaupten. Die Truppen
besetzten den Höhenrücken beiderseits Kamyk und verstärkten ihn
technisch. Am \\. erhöhte sich der Gefechtsstand der Division durch
Einrücken versprengter auf 1600Rtann; es wurden beim Infanterie-
Regiment 59 drei, bei zwei, beim Tiroler-Iäger-Regiment 2 ein
Bataillon, bei 28 eine Kompagnie formiert. Am \\. trat die Division
aus dem verbände des XIV. Korps und damit aus meinem Befehls-
bereiche. Die Zahl der dem XIV. Korpskommando inzwischen unter-
stellten Armeekörper war nämlich so gewachsen (auf \\ Divisionen
und 2 selbständige Brigaden), daß höherorts eine Zweiteilung der
Front befohlen wurde. Während die deutsche Reserve-Division und
die rechts von ihr befindlichen Divisionen mir unterstellt blieben,
traten alle links von ihr kämpfenden Armeekörper (darunter auch
die 3. Division) unter das Kommando des Feldzeugmeisters Ljubicic.
Aber am \2. früh war die Schlacht schon gewonnen, die Russen
räumten an diesem Tage das Schlachtfeld. Die Division wurde
mir wieder unterstellt, sie erreichte in der Verfolgung am 16. De-
zember Bochnia, am 17. den Dunajeo bei Radlow.
So widme ich diese bescheidene, ungeschminkte Darstellung der
Kämpfe der 3. Division, der späteren „Edelweiß-Division" bei £V
manowa der Erinnerung an unsere gemeinsame Tätigkeit im Welt-
kriege; ich widme sie den anderen der in diesen Kämpfen helden-
mütig Gefallenen, ich widme sie allen überlebenden Mitkämpfern.
Ihnen allen schuldet das Vaterland den tiefsten Dank, denn sie haben
bei Limanowa den vordringenden Russen ein energisches ,,^alt" zu-
gerufen und unsere Heimat von der drohenden Invasion geschützt!
,0/1/vow
Ein Nachtgefecht in den Waldöarpathen,
ein Erlebnis aus den Kämpfen des IV. Bataillons des k. u. k. kärntnerischen
Infanterieregiments Graf von Khevenhiller Nr.?, 22. November *9^»
Von Oberst Gustav Bartels-Bartberg,
damals Äauplmann und Kompagniekommandant in diesem Regiments.
<jÇ\as altehrwürdige, schon seit dem Jahre ](69\ bestehende In-
fanterie-Regiment Nr. 7 hatte im Sommer und gerbst des
Jahres l9l^! die blutigen Schlachten von Lemberg, Grodek und
przemysl mit hervorragender Tapferkeit und stets erfolgreich durch-
gekämpft und war im verbände des angestammten III. Korps (Graz)
gegen Mitte November in die Waldkarpathen zurückgenommen
worden. Das IV. Bataillon hatte den Dukla-Paß durchzogen und
war am Abend des ^7. November ca. J5km südwestlich desselben in
den ungarischen Marktflecken Felsövizköz gelangt, wo es als Korps-
Referve und gleichzeitige Bedeckung des Korpskommandos einige
Tage wohlverdienter Ruhe genoß. In der Nacht auf den 20. No-
vember war starker Schneefall eingetreten, dem rasch grimmige
Aalte folgte.
Bald nach dem Mittag des 20. November gab es Alarm:
das Bataillon wurde — wieder einmal wie so oft — als Nothelfer
in die erste Linie vorbefohlen und zwar auf die Höhen östlich'
, des Dukla-Passes, wo es nach anstrengendem Tag- und Nachtmarsche
über Ladomervagasa, Also- und Felsökomarnok, Zyndranowa mar-
schierend, dem Generalmajor Josef Nemeczek, Kommandanten der
Grazer k. u. k. ^3. Landwehr-Infanterie-Brigade in Lipowice unter-
stellt wurde, um den stark überlegenen Russen das Eindringen über
die niedere Duklasenke nach Ungarn zu verwehren. Auf den öst-
lichen Begleithöhen des Dukla-Passes (502 in) war eine Reihe flüch-
tiger. Feldbefestigungen angelegt worden, welche von dem höchsten
Punkte, der breit hingelagerten Tokarnia (695 in) ausgehend, auf
dem nach Nordwesten abzweigenden Rücken über die Kuppen 652,
6^ und 687 verliefen und Front nach Nordosten machten gegen die
Täler der sich fast unter einem rechten.Winkel bei dem Hauptortje
Iasliska vereinigenden Bielcza- und Iasiolka.
Das IV. Bataillon des 7. Regiments bestand damals nur mehr
aus zwei kombinierten Kompagnien, der \% unter meinem Kom-
mando und der \5. unter Kommando des Hauptmanns Maximilian
Freiherrn von Moltke. Nach den überaus verlustreichen Kämpfen
Kerchnawe/Jm Felde unbesiegt. III. 7
98
Bartels-Bartberg
südöstlich von j)rzemysl 0(6. Oktober bis 5. November), in denen wir
unsern schneidigen Bataillonskommandanten Major Ignaz prünster
bei Blozew Gorni ((8. Oktober) verloren hatten und in welchen auch
unser verehrter Regimentskommandant Dberst Otto Koschatzky schwer
verwundet worden war (20. Oktober), hatte es nur mehr einen
Gefechtsstand von höchstens ^00 Mann, obwohl am 8. November
Teile des eben aus der Heimat eingetroffenen Marsch-Bataillons,
Rommandant Major Heinrich Ritter Schönhaber von Wengerot,
und am 2{. ein kleiner Lrsatztransport von ^0 Mann eingereiht
worden waren, von den im August hoffnungsvoll und begeistert
in das Feld gezogenen 33 Offizieren und Kadetten waren nur mehr
2 beim Bataillon — so groß war der Abgang durch Tod, Ver-
wundung und Krankheit! —, meine Wenigkeit und der tapfere Ober-
leutnant Erhard Gawalowski, der bei Rriegsbeginn als Romman-
dant meines (. Zuges in das Feld gezogen war und schon seit Grodek
nach der Verwundung des Bataillonsadjutanten dessen Dienst ver-
sah. Major von Schönhaber hatte am 8. November das Bataillons-
kommando von mir übernommen, welches ich seit Major ssrünsters
Heldentod geführt hatte. Die Mannschaft setzte sich nur zum kleinsten
Teile aus kampferprobten Soldaten zusammen, die, seit Rriegs-
beginn im Felde, alle schweren Rümpfe und oft unglaublichen
Rriegsstrapazen jener ersten drei Feldzugsmonate mitgemacht hatten,
in denen es galt, der berüchtigten russischen Dampfwalze ein kate-
gorisches Halt zu gebieten und den deutschen Bundesgenossen nach
Möglichkeit zu entlasten. Der größte Teil waren Rekruten, die erst
W Tage bzw. einen Tag in der Front, noch nie aber im feindlichen
Feuer gestanden waren, noch nie einen männermordenden Sturm
durchgeführt hatten, Hoher Schnee lag in diesem den Namen „Gst-
beskiden" tragenden Teile der waldkarxathen und die Temperaturen
erreichten einen Tiefstand von —(5°R. Winterschutzmittel waren
noch keine vorhanden und die Verpflegung gestaltete sich in den
ersten Tagen äußerst schwierig.
Das Bataillon war mit meiner Kompagnie in den noch ganz
unfertigen Stützpunkt V auf Höhe 652 zur Verstärkung der dortigen,
aus 2 Landwehrkompagnien bestehenden Besatzung verlegt worden,
wo Major von Schönhaber das Kommando übernahm. Etwa (000
Schritt nördlich dieses Stützpunktes hatte Hauptmann Baron Moltke
mit seiner Kompagnie eine Stellung bezogen, gleichzeitig die Ver-
bindung bildend mit einer auf Höhe 6(^ den nördlichen Nachbar-
stützxunkt besetzt haltenden Kompagnie des bosnisch-herzegowinischen
Infanterie-Regiments Nr. 2. 2000 Schritt nordöstlich der Tokarnia,
auf einem ebenfalls von ihr abzweigenden breiten Rücken vorge-
schoben, war ein von einer halben Landwehrkompagnie bestrittener
Sicherungsxosten auf Höhe 666, dem sich nach Osten noch andere
derartige vorgeschobene Sicherungen anreihten. Das Kommando des
Infanterie-Regiments 7, Oberst Johann Hubinger mit dem Re-
Ein Nachtgefecht in den lvaldkarpathen
99
gimentsstabe, befand sich auf der den Schlüsselpunkt der ganzen
Stellung bildenden Tokarnia.
Ls war ein sonniger, aber kalter, klarer Sonntag, als am
22. November ca. 2 Uhr nachmittags folgender Befehl des ¿(3. Land--
wehr-Infanterie-Brigade-Kommandos bei Major von Schönhaber
eintraf: „Lin russisches Bataillon greift die eigene Stellung auf
Höhe 666 an. Das IV. Bataillon des 7. Regiments hat dem an-
greifenden Gegner in die Flanke zu fallen."
Meine Kompagnie, zum Teil in Stellung im Stützpunkt 'V,
zum Teil in Reserve in der Waldschlucht westlich davon, wurde
alarmiert, ebenso die (3. Kompagnie. Schon während der Ver-
sammlung meiner Kompagnie kam sie in feindliches Schrapnell-
feuer aus nordwestlicher Richtung, während der Verschiebung gegen
die (5. Kompagnie, von deren Stellung aus die gemeinschaftliche
Vorrückung beginnen sollte, schlugen überdies einige schwere Gra-
naten von Norden her in und nächst des Lndes meiner Kom-
pagnie ein, gottlob ohne nennenswerten Schaden anzurichten. Die
Spitze der Kompagnie führend, sah ich, wie die braven Leute der
zwei Doppelreihen, durch den Luftdruck einer nichtexplodierenden
Granate auseinandergeschleudert, sich lachend sofort wieder erhoben,
rasch sammelten und der Kompagnie anschlossen, wenn ich es noch
nicht gewußt hätte, jetzt wäre es mir ganz klar geworden, mit
solcher Mannschaft kann jeder Kommandant vor dem Feinde ruhig
auch an die schwierigste kriegerische Aufgabe herantreten.
Bei der (5. Kompagnie angelangt, wurde die Gruppierung des
Halbbataillons zur Durchführung der vorliegenden Waldzone und
zur Vorrückung durch die tiefe Schlucht, die uns von der Höhe 666
trennte vorgenommen. Ich sandte zwei Züge, welche aber vorerst
noch geschlossen in Doppelreihen auf gleicher Höhe vorgingen, in
, die Schwarmlinie, ein Zug folgte als Kompagnie-Reserve im Staffel
rechts. (Da ein Zug als Bedeckung des Korpskommandos zurück-
geblieben war, bestand meine Kompagnie damals nur mehr aus drei
Zügen.) Die (5. Kompagnie entwickelte sich links von der meinen
ebenfalls mit zwei Zügen in der Schwarmlinie, zwei Züge folgten
unter Kommando des Hauptmanns Baron Moltke als Bataillons-
reserve im Staffel links. Meiner Kompagnie wurde vom Bataillons-
kommandanten die Direktion des Angriffs übertragen; als Direktions-
offizier, dem die heikle Ausgabe oblag, im völlig unbekannten Ge-
lände die angesohlene Richtung einzuhalten, bestimmte ich Leutnant
i. d. R. Dr.-Ing. Assam, der sie vorzüglich löste. Ich selbst hielt
mich mit meinen Gefechtsläufern zwischen meinen beiden vorderen
Zügen auf und überwachte die im dichten Unterholz wahrlich nicht
leichte Aufrechterhaltung des taktischen Verbandes und Einhaltung
der Angriffsrichtung, während Major von Schönhaber mit seinem
Stabe mir in einiger Lntfernung folgte.
Das vorrücken war äußerst schwierig und zeitraubend: quer
7*
100
Bartels-Bartberg
durch eine über \50 m tiefe Schlucht ohne Weg und Steg, im
dichtesten Urwald mit gefallenen Baumstämmen, zerrissenen Gräben
und verschneiten Wasserrinnen. Es mußte daher sehr planmäßig
von Abschnitt zu Abschnitt, von Haltepunkt zu Haltepunkt vorgerückt
werden, sollte nicht die gegenseitige Verbindung und die breite Front
verloren gehen oder wollte man nicht ganz unerwartet auf kürzeste
Entfernung in nicht gefechtsmäßiger Verfassung auf den Feind
stoßen. Nach Beendigung des Abstieges und Überschreitung der
Bachlinie, an der ich die verbände wieder ordnen ließ, wurde aus
Zügen auf gleicher Höhe in Schwarmlinie übergegangen und nun
begann der ziemlich steile Aufstieg dem Feinde entgegen. Unter
den geschilderten Verhältnissen war es nicht zu wundern, daß es
bereits zu dämmern begann. Geht doch in unsern Gegenden um
diese Jahreszeit die Sonne schon um 1/46 Uhr nachmittags unter.
Unter so nördlichem Breitegrad trat sie schon gegen 3/4^ Uhr nach-
mittags ihre Nachtruhe an, den dichten Wald alsbald in Dämmerung
hüllend. Glücklicherweise nahm, je mehr wir uns unserem Ziele
näherten, das Unterholz ab, so daß es leichter wurde, die taktische
Ordnung während des Vorgehens aufrecht zu halten.
Das feindliche Feuer gegen die Landwehr-Abteilungen auf
Höhe 666 wurde immer lauter, insbesondere das Tacken von Ula-
schinengewehren. Aus dem Schall entnahm ich, daß unser vor-
gehen, in der bisher anbefohlenen Richtung auf Höhe 666 fort-
gesetzt, uns gerade vor die Front der feindlichen Ulaschinengewehre
führen würde. Ich eilte daher zum Bataillonskommandanten zurück
und machte ihm den Vorschlag, die Direktion nach links zu ver-
legen, um beim Zusammenstoß mit dem Feind mehr in die Flanke
und den Rücken der gegnerischen Ulaschinengewehre zu kommen.
Ulein Vorschlag wurde mit den Worten: „Uleinetwegen, du kannst
recht haben" — die letzten Worte, die ich aus Ulajor von Schön-
habers Ulunde hören sollte — angenommen und demgemäß die
Änderung durchgeführt, was sich später als äußerst zweckmäßig
herausstellte. Ohne Schuß, mit aufgepflanztem Bajonett und mög-
lichst lautlos arbeiteten wir uns an den schlechtgesicherten, völlig
überraschten Feind heran. Zur Direktionsänderung war es in der
Tat höchste Zeit gewesen, denn bald darauf richteten die Russen
aus nächster Nähe ein lebhaftes Infanterie- und Ulaschinengewehr-
feuer auf uns — der Sachlage gemäß hauptsächlich auf meine am
rechten Flügel des Bataillons befindlichen zwei Züge, während
die ^5. Kompagnie durch die früher erwähnte Linksverschiebung
schon außerhalb der Breitenstreuung der feindlichen Ulaschinen-
gewehre war. Aus kurzer Entfernung schlug uns das feindliche
Ulündungsfeuer entgegen, ein Höllenlärm erfüllte den nächtlichen
Hochwald. Im nächsten Augenblick kam der Bataillonsadjutant
Oberleutnant Gawalowski zu mir gestürzt und meldete, daß Ulajor
von Schönhaber gleich bei den allerersten Schüssen gefallen sei.
Ein Nachtgefechl in den Waldkarpathen
101
Zwei Maschinengewehrgeschosse hatten seine Brust durchbohrt. So
sollte er seine Feuertaufe, auf die er sich so sehr gefreut hatte, nicht
überleben! Am 2% November \ Uhr nachts starb er während des
Rücktransportes in einem Bauernhaus den Heldentod und wurde
fern vom Regiments im Grtsfriedhof von Kispoläny der Mutter
Lrde übergeben.
Jetzt durfte es aber kein Zaudern geben. Ich übernahm wieder
— unter ähnlichen Verhältnissen wie am \8. Oktober im Gefecht bei
Blozew Gorni — das Bataillonskommando, welches ich genau vor
Vfc Tagen an Major von Schönhaber übergeben hatte, setzte rasch
entschlossen den Reservezug der Kompagnie an ihrem rechten
Flügel als dem kritischesten Punkte ein, wo infolge des mörderischen
feindlichen Maschinengewehr-Nahfeuers und der UnerfahrenheiL
eines Großteils der Mannschaft ein Rückschlag drohte — empfingen
doch die meisten Leute in diesem Wald- und Nachtgefechte erst ihre
Feuertaufe! — und sandte der Bataillonsreserve durch eine Or-
donnanz den Befehl zum Linsetzen und zum Sturm. Meine Kom-
pagnie-Hornisten waren schon verwundet ich konnte daher das
Sturmsignal nicht geben lassen.
Bange Minuten vergingen, die mich eine Lwigkeit dünkten;
die Krisis im Gefechte war eingetreten. Line Übersicht über den
Stand des Gefechtes zu bekommen, war bei der im Urwald bereits
herrschenden Finsternis und dem wogen des Nahkampfes unmöglich.
Immerhin tat der eingesetzte Reservezug der Kompagnie seine
Wirkung, denn mein hartbedrohter rechter Flügel hielt nunmehr
stand und erwiderte lebhaft das feindliche Feuer. Kurze Zeit darauf
hörte ich, wie das Feuergefecht links der fH. auch von der J5. Kom-
pagnie kräftig aufgenommen wurde, und endlich das Hornsignal
„Sturm!", wie es bei der Bataillonsreserve ertönte, ein Lrläsungs-
signal für den harrenden Kommandanten! Ich vermutete, es sei
dies die Ausführung meines Befehles; später erfuhr ich erst, daß
die Ordonnanz mit meinem Befehle infolge der Finsternis ihr Ziel
nicht erreicht und Hauptmann Baron Moltke selbsttätig die Ba-
taillonsreserve zur Lntlastung meiner schwer kämpfenden Kom-
pagnie eingesetzt hatte.
wir drangen nun in die feindliche Stellung unter lautem
„Hurra!" mit dem Bajonett ein und alles, was nicht floh, wurde
niedergemacht oder gefangen. Meine Kompagnie eroberte die beiden
Maschinengewehre, welche ursprünglich gegen die eigene Landwehr
auf Höhe 666, dann, rasch herumgeworfen, gegen. uns gefeuert
hatten. Deren Bedienung wehrte sich so tapfer, daß der eine russische
Vormeister noch bei der Handhabung seines Maschinengewehres von
einem Korporal meiner Kompagnie niedergestochen werden mußte.
Das IV. Bataillon des 7. Regiments rückte nun in breiter Front,
den Wald durchsuchend, bis auf die Höhe 666 vor, welche von
einen: Fähnrich mit einer Halbkompagnie des Grazer Landwehr-
102
Bartels-Bartberg
Infanterie-Regiments Nr. 3 nur noch mit Mühe gehalten worden
war. Der übermächtige, hinter Schneedeckungen sich schützende
Gegner war schon aus SO Schritte an sie herangekommen und
konnte jederzeit zum Sturm ansetzen! Daß dies schwache Häuflein
überwältigt worden wäre, war bei der zahlenmäßigen Überlegen-
heit der Russen kaum zu bezweifeln.
Alsbald ging mein kurzer "Gefechtsbericht an das ^3. Land-
wehr-Infanterie-Brigade-Kommando ab, dem um l Uhr nachts
nach unserer Rückkehr in den Stützpunkt V noch eine telephonische
Berichterstattung an Generalmajor Nemeczek, unter dem ich vor
zehn Jahren bereits einmal gedient hatte, folgte. Der Brigadier
war mit den Leistungen des Bataillons sehr zufrieden und schloß das
Telephongespräch mit den mir unvergeßlichen Worten: „Das haben
die Siebener sehr brav gemacht, das ist dir vorzüglich gelungen.
Ich danke dir."
Das Bataillon hatte — zumeist wohl durch die rechtzeitige
Verschiebung nach links — nicht allzu große Verluste. Meine Kom-
pagnie, die infolge der Gefechtsverhältnisse viel mehr gelitten hatte
als die à fS., hatte ca. 15 o/o ihres Standes an Toten und ver-
wundeten verloren. Dagegen waren die ideellen und materiellen
Erfolge nicht unbedeutend: bedrängte Kameraden, die Halbkom-
pagnie des Landwehr-Infanterie-Regiments Nr. 3 auf Höhe 666,
waren aus ihrer unhaltbaren Lage befreit, ein russischer Ober-
leutnant und 5^ Mann zu Gefangenen gemacht, 2 Maschinengewehre
erobert, überdies 28 Gewehre und einige Handgranaten erbeutet
worden. Die Gefangenen und das Kriegsmaterial wurden zum Teil
noch in der Nacht, zum Teil am nächsten Tag abtransportiert.
Am 23. vormittags ließ ich das Gefechtsfeld des Vortages nochmals
nach Toten, verwundeten und Kriegstrophäen absuchen, hiebei
wurde noch ein Russe gefangen, der sich im Walde versteckt gehalten
hatte. Er war ein sehr kluger und gut unterrichteter Bursche. Er
gab an, daß nicht — wie vermutet — ein Bataillon, sondern das
ganze russische Infanterie-Regiment Nr. 73 (3 Bataillone zu je
500 Mann) die Höhe 666 angegriffen hatte und daß die zwei Kom-
pagnien am rechten Flügel desselben durch unseren überfallsartigen
Flanken- und Rückenangriff vollkommen zersprengt worden seien,
von der einen Kompagnie seien nur etwa 20, von der andern
etwa 30 Mann übriggeblieben, das ganze Regiment aber sei auf
den Schrecken des Nachtgefechts aus dem Wald gegen Kasliska ge-
flohen. Nach dieser Angabe wäre der blutige Verlust der Russen
auf etwa 200 Mann zu berechnen und hätte unser schwaches
Häuflein von etwa 400 Mann den 1500 Mann starken Gegner
zum Rückzug gebracht.
wenn dieses Ergebnis aus des stolzen Kärntner Regiments
letzter Geschichte auch nicht zu seinen größten Leistungen zu zählen
ist, so ist sie immerhin wert, der Vergessenheit entrissen zu werden.
Lin Nachtgefecht in den Waldkarpathen
103
Zeigt sie doch, was Mut, Disziplin und vertrauen in die Führung
selbst unter schwierigen Verhältnissen im Gefechte zu leisten ver-
mögen. Sie zeigt aber auch, welcher Heldengeist den Angehörigen
dieses nach 227 jährigem Bestände nunmehr vom Schauplatz ver-
schwundenen altösterreichischen Truppenkörpers innewohnte. Nur
diesem Geiste war es zu danken, daß kaum der Rekrutenausbildung
entwachsene, junge Vaterlandsverteidiger sich wie alte, kriegserprobte
Soldaten schlugen. Zweifellos gehören sowohl Wald- als Nacht-
gefechte zu den schwierigsten militärischen Kampfhandlungen. Hier
waren beide vereint zu einem Waldgefecht in mondloser Nacht.
Und, obwohl der größte Teil der Mannschaft hier erst seine Feuer-
taufe empfing, endete dieses Gefecht mit einem vollen Erfolge.
Möge dieser Heldengeist dem deutschen Kärntnervolke auch in aller
Zukunft erhalten bleiben!
(Hm Stanislau.
(Am 20. und 24. Februar *9*5.)
Von Generalmajor Emil Greger von Stirbul, damals Oberst und
Kommandant des k. u. k. Infanterieregiments Nr. 52 Erzherzog Friedrich.
HTnsere Kolonne, Gberstbrigadier Boleslav Wolf, mit Teilen der
\5. Infanterie-Brigade, war am 20. Februar W5, ^egen
Mittag, nach Stanislau gelangt.
In harten Rümpfen hatten wir — die Armeeabteilung des Ge-
nerals der Ravallerie von Pflanzer-Baltin — die Rarpathen über-
stiegen und näherten uns dem Dnjester.
Die Stadt liegt am nordwestlichen Rande einer Ebene zwischen
der Bystrzyca Solotwinska und der Bystrzyca Nadwornianska, die
sich etwa 5 km nordöstlich von ihr vereinigen.
Beim Stadteingang erwartete eine Abordnung die Truppe mit
Salz und Brot. Ihr schloß sich eine nach Hunderten zählende Volks-
menge an, die von Minute zu Minute neuen Zuzug erhielt. Jubelnd
begleitete sie die Soldaten in die Stadt.
Der Russe, der im Verlauf des Vortages Stanislau geräumt
hatte, grub sich auf den Höhen nördlich der Stadt ein. Er sah
unseren An- und Einmarsch und dürfte auch die Regimentsmusik
gehört haben, die an der Spitze der Haupttruppe ihre rauschenden
Weisen erklingen ließ. Jeden Augenblick war ich auf seine Grüße
gefaßt. Sie blieben aus. Rechnete er so sicher mit dem Gewinn
Galiziens, daß er die Stadt schonen wollte?
Unsere Rolonne bestand aus dem I. und III. Bataillon des
Infanterie-Regiments 52 (Ungarn und nahezu die Hälfte Schwaben
aus der Baranya und der Batschka), zusammen 7 Kompagnien, dem
II. Bataillon des Infanterie-Regiments 78 (Kroaten, Serben und et-
liche Schwaben) zu ^ Kompagnien und der % Batterie des 39. Ka*
nonen-Regiments.
während die Kompagnien des Infanterie-Regiments 52 etwa
100 Mann zählten — eine Folge der Anmarschkämpfe und der Ein-
bußen durch die große Kälte (—26° R) seit dem Beginn der Kampf-
handlung (30. Januar W5) _ hatte das II. Bataillon des 78. Re-
giments vollen Kriegsstand.
Gleichzeitig mit der Kolonne des Obersten Wolf traf ein Nach-
richtendetachement — und \2. Kompagnie des stets bewährten
tapferen Kärtner Infanterie-Regiments 7 unter Hauptmann Braun
— in Stanislau ein.
Um Stanislau
105
Stanislau wurde durch Vorposten gesichert.
Das II. Bataillon des 78. Regiments hatte einen Hauptposten
an der Straßenbrücke über die Bystrzyca Nadwornianska, Straße
nach Uhorniki und einen am Nordostausgang von Stanislau gegen
wolczyniec zu unterhalten, das Detachement Braun die Eisenbahn-
brücke von Knihinin mit zwei Zügen zu besetzen, vom Infanterie-
Regiment 52 war ein Hauptposten nach Pasieczna, einer zur Ukühle,
westlich von Stanislau, befohlen.
Aber schon am Nachmittag des 20. Februar griff der Gegner
die nördlich der Stadt stehenden Vorposten an.
Seine gegen die Nord- und später auch gegen die Westfront,
mit weit überlegenen Kräften geführten Angriffe, die bis knapp
an unsere durch 4 Kompagnien des Infanterie-Regiments 52 unter-
stützten Hauptxosten herankamen, wurden unter für ihn sehr großen
Verlusten abgeschlagen.
Bemerkt muß werden, daß die Bystrzyoa Solotwinska, nirgends
ein absolutes Hindernis war. Sie wurde von den Russen, trotz des
eisigen und bis über den Gürtel reichenden Wassers, an vielen
Stellen, durchwatet.
Etwa um 8 Uhr nachmittags traf die Kolonne Oberst Bau-
kowac in Stanislau ein. Sie war aus dem I. und 3/4 des III. Ba-
taillones des Infanterie-Regiments 78 und der II. Division des Fsld-
haubitz-Regimentes Nr. f3 gebildet.
Die drei Kompagnien des III. Bataillons des Infanterie-Regi-
ments 78 wurden sofort zur Verlängerung des linken Flügels des
Infanterie-Regiments 52, an die Westfront, befohlen.
Bis in die Nacht setzte der Gegner seine hartnäckigen Angriffe
ohne Erfolg fort. Auch während des Restes der Nacht wiederholte
er vergeblich seine versuche, an einzelnen Stellen durchzudringen.
Aber nicht nur gegen die Russen hatten wir in Galizien zu
kämpfen, sondern auch gegen Spione und Verräter aus nahezu
allen Schichten der eigenen Bevölkerung, und zwar auf Schritt
und Tritt.
In der Nacht zum 2\. Februar führte mir ein Gendarmerie-
wachtmeister einen von ihm verhafteten k.u.k. Landes-
gerichtsrat vor, der sehr aufgeregt, seine Freilassung von mir
forderte. Der Gendarm beschuldigte ihn aber unter Diensteid des
Einverständnisses mit dem Feinde.
Am 2\. Februar, zwischen' H und 5 Uhr vormittags lösten wir die
den Bahnhof von Stanislau besetzt haltenden Züge der Kärntner durch
einen Zug des Infanterie-Regiments 78 ab. Das Detachement des
Kärntner-Regiments marschierte zum Schloß am Südwestausgang
der Stadt, in dessen Nähe die Kanonen-Batterie ^./39, Hauptmann
Luhn, mit Schußrichtung gegen Norden stand.
Um diese Zeit begannen sich an der Ost-, Nord- und Westfront
neue Infanteriekämpfe zu entwickeln, in welche sich um 5 Uhr vor-
106
von Gregor
mittags die feindliche Artillerie einmengte. Ihr Vorhaben, die
Stadt in Brand zu schießen, gelang ihr aber nicht.
Die Russen, die sich bereits in der Nacht zum 2\. Februar
über podluze nach Uhorniki und Mykietynce (östlich von Stanislau)
verschoben hatten, begannen bei grauendem Morgen gegen 1/26 Uhr
morgens mit dem Angriff gegen den Iauptposten (8/78) an der
q Straßenbrücke, überschritten auch die Bystrzyca Nadwornianska und
drängten dort den Isauptposten gegen die Stadt, wobei sie auch
über seinen südlichen Flügel in der Richtung gegen Westen vorstießen.
Zur selben Zeit griff der in wolczyniec versammelte Gegner den
am Nordosteingang der Stadt befindlichen zweiten Isauptposten
(7/78) und den Nordostteil des Bahnhofes von Stanislau an. Endlich
warf sich eine von Uhrynow-dl. beiderseits der Bahn vorgehende
starke feindliche Gruppe auf die, die Eisenbahnbrücke von Knihinin
— nunmehr statt der Siebenerinfanterie — festhaltende 5. Kompagnie
des 78. Infanterie-Regiments.
Diese, mit vielfach überlegenen Kräften geführten feindlichen
Angriffe hatten anfangs teilweise Erfolg.
Die am Nordostausgang der Stadt gestandene 7. Kompagnie
des 78. Regiments vollzog unter großen Verlusten ihren Rückzug
zur Bahn, dann längs des Bahnhofes gegen Lhryplin. Die 5. Kom-
pagnie des 78. Regiments zog sich von Knihinin entlang der Bahn,
in den nordwestlich des Bahnhofes gelegenen Nordteil von Stanislau
zurück. Dem überraschend vordringenden, starken Gegner konnte
die schwache Bahnhofbesatzung — ein Zug! — und die sich zurück-
ziehende 5. Kompagnie des 78. Regiments nicht widerstehen.
Der knaxx am Rande der Stadt gelegene Bahnhof und die
nächsten Isäusergruxpen wurden von den Russen genommen.
Die braven Verteidiger der Nord- und Westfront der Stadt
wiesen aber in ihren, in der Nacht ausgebauten und technisch ver-
stärkten Stellungen den im Morgengrauen angesetzten Angriff
überall ab. —
Der Verlust des Bahnhofes hatte zur Folge, daß die knapp
südlich der Stadt, nahe dem Bahnhof lagernden Trains des In-
fanterie-Regiments 52, von feindlicher Infanterie beschossen, den
Eisenbahndamm als Deckung benützend, gegen Thryplin auswichen.
Andere Teile, die noch die Frühstücksausgabe besorgten, suchten in
der Stadt Schutz.
Etwa um 6 Uhr vormittags wurde die bisher als Bataillons-
Reserve verwandte 6. Kompagnie des 78. Regiments westlich des
Bahnhofes zur Vertreibung des von Nordosten und Norden ein-
gedrungenen Gegners eingesetzt. Im Vereine mit der 5. Kompagnie
des 78. Regiments gelang es ihr nur, weitere Vorstöße des Gegners
in den Nordteil der Bahnhofanlagen abzuwehren.
Um Stanislau
107
Das 13. Brigadekommando befahl nun um etwa 1/2? Uhr vor-
mittags dem Infanterie-Regiment 78 durch zwei Kompagnien den
Bahnhof säubern und wieder besetzen zu lassen, ferner, eine Kom-
pagnie zur Deckung der linken Flanke des III. Bataillons des
78. Regiments (an der Westfront der Stadt) zu schicken.
In Durchführung dieses Befehles entwickelte sich ein harter
Kampf mit dem, tu den Bahnhof eingedrungenen Feind. Dem
Regimentskommändo 78 war zu dieser Zeit nur mehr ein Zug
als Regiments-Reserve verblieben. —
Um 6 Uhr vormittags nahm die feindliche Artillerie, deren
eine Batterie einwandfrei auf Höhe 296, nördlich pasieczna, kon-
statiert wurde, die Nord- und Westfront unter heftiges Feuer.
Lin Panzerzug des Gegners fuhr bis auf etwa 800 Schritte
an die Lisenbahnbrücke von Knihinin heran und eröffnete ein ver-
heerendes Schrägfeuer auf die vom Infanterie-Regiment 52 besetzten
Stellungen. Die braven Schwaben und Ungarn harrten aber todes-
mutig aus. Denn, nahezu zur selben Zeit (6 Uhr (5 vormittags),
gingen wieder starke feindliche Kräfte zum Angriff gegen die beiden
vorerwähnten Fronten vor und mußten geworfen werden. Sie ge-
langten bis auf 300, ja sogar auf 200 Schritte vor unsere Stel-
lungen.
Das Kommando des III. Bataillons des Infanterie-Regiments
78 setzte links der bereits entwickelten 1(. Kompagnie die (0. Kom-
pagnie und die Ulaschinengewehr-Abteilung ein. Der Gegner konnte
aber trotz seiner Überzahl und trotz aller Gxferwilligkeit seiner
braven Uluschiks dank dem überlegenen Feuer unserer Tapferen,
keinen weiteren Raum nach vorwärts gewinnen.
Unter dem Schutz des vernichtenden Feuers des Panzerzuges
und nahe eingenisteter Schützen, gelang es allerdings einer feind-
lichen Kompagnie unter starken Verlusten die Lisenbahnbrücke von
Knihinin zu überschreiten (6 Uhr H5 vormittags) und längs der
Bahnstrecke vorzukommen, von unserem Feuer gepackt, mußte sie sich
aber damit benügen, die südöstlich der erwähnten Brücke gelegenen
Häuser zu besetzen.
Das Regimentskommando verlebte in diesen Stunden span-
nungsvolle Augenblicke. Ls war etwa 6 Uhr 30 vormittags ge-
worden, als die Regimentsordonnanz, der brave Infanterist Weber,
mir die Uleldung brachte, daß der Gegner bereits in die Stadt
eingedrungen sei und man schon seine „Urrah"-Rufe höre. Im
selben Augenblick vernahm ich diese Rufe auch schon selbst.
Also hinaus mit den Kerlen. Die mir verbliebene Regiments-
Reserve der H. Kompagnie mit ganzen 90 Gewehren und die Re-
giments-Pionier-Abteilung führte ich auf den nördlichen, mit Park-
anlagen bedeckten Platz der Stadt, um von diesem Zentralpunkte aus
den eingedrungenen Gegner aus der Stadt zu werfen.
108
von Gregor
Schon auf dem Weg dorthin — war es nun Zufall, oder wurde
das feindliche Artilleriefeuer von verräterischen Elementen durch
Signale geleitet — schlugen die ersten Granaten ein. Lin Splitter
spaltete einem Infanteristen neben mir den Kopf.
Anaxp bevor die Abteilung den Platz erreicht hatte, erhielt
sie auch schon Artilleriefeuer im Rücken.
Der Augenblick war wohl kritisch — aber „bange machen gilt
nicht". Ich ordnete die Kompagnie und gab den Befehl zum
Eingriff.
Nach kurzem Feuer ließ ich das Sturmsignal blasen. Unter
lautem „k^urra" stürzte sich die brave Kompagnie auf den die vom
Rathaus kommende Straße füllenden überlegenen Gegner, warf
ihn mit denk Bajonett zurück und drängte ihn, im Verein mit den
später eingreifenden Teilen vom Infanterie-Regiment 78 wieder aus
der Stadt. An ein herausholen der Kompagnie aus diesem Kampfe
war vorläufig nicht zu denken: Rkir blieb als Regiments-Reserve
nur mehr meine Regiments-Pionier-Abteilung.
Erhebungen ergaben, daß sich der eingedrungenen feindlichen
Abteilung russische Soldaten angeschlossen hatten, die bis zu diesem
Zeitpunkt von verräterischen Einwohnern in der Stadt versteckt-
gehalten worden waren. Auch später noch wurden in Stanislau
versteckt gehaltene Russen aufgegriffen. —
Während dieser Kämpfe war ein Teil unserer Artillerie in
eine sehr kritische Lage geraten. Die Kanonen-Batterie l./öf) wirkte
seit 7 Uhr vormittags aus einer Feuerstellung nächst der Strafanstalt
gegen feindliche Artillerie nördlich pasieczna und gegen Infanterie
in Deckungen an der Landstraße dieses Ortes.
Die Feldhaubitz-Division Nr. \3 war um 6 Uhr vormittags
alarmiert worden und bezog südlich der nach Mykietynce führenden
Straße, mit dem linken Flügel an die Bahn angelehnt, eine Feuer-
stellung, Schußrichtung Norden.
Der Gefechtslärm, der von der Nord- und Westfront die ganze
Nacht zu hören war, begann sich immer mehr zu nähern und bald
schlugen Granaten und Infanteriegeschosse in die Batterien ein.
Eine zum Nordrand des Bahnhofes entsendete Aufklärer-
patrouille meldete etwa um ^7 Uhr vormittags, daß feindliche
Infanterie nur mehr einige f00 in vom Nordende des Bahnhofes
entfernt sei.
Nun wurde der Befehl zum Rückmarsch der Staffel und Trains
der Feldhaubitz-Division zur Eisenbahnstation Thryplin gegeben.
Die beiden bsauptleute, der Divisionskommandant Nova? und
der Kommandant der Batterie Weinmayer eilten auf den Be-
obachtungsstand, der auf der f000 Schritte westlich der Straßen-
Eisenbahnkreuzung gelegenen Kirche eingerichtet war. Sie erreichten
gerade das Kirchendach, als sie die Meldung erhielten: Infanterie-
Um Stamsiau
109
Regiment 78 gehe bereits zurück und der Gegner sei nur mehr
einige 1(00 Schritte entfernt.
Hauxtmann Novak erteilte nun auch den Befehl zum Rückzüge
der Feldhaubitz-Division und zwar zum Wächterhaus nächst Lhryplin.
Aber der Befehl war um diese Zeit schon schwer ausführbar, denn
nördlich der gewählten Rückzugslinie war die Lage indessen noch
bedrohlicher geworden. —
Zn dieser Zeit — zwischen 7 und 8 Uhr vormittags — nahm
der harte hin und herwogende Kampf am Bahnhöfe von Stanislau
seinen Fortgang. Schließlich gelang es noch zwei Kompagnien vom
I. Bataillon des Infanterie-Regiments 78 und der Mafchinengewehr-
Abteilung, in den Bahnhof einzudringen und den Gegner etwas
zurückzudrängen.
Dem gewesenen Hauptposten Nr. \ (8./78) war eine halbe
Kompagnie 6./78 zur Unterstützung zugeteilt worden. Durch wieder-
holte, mit starken Kräften geführte Vorstöße, versuchte der Gegner
abermals in den verloren gegangenen Teil des Bahnhofes einzu-
dringen, jedoch ohne Erfolg. Sieben Kompagnien vom Infanterie-
Regiment 78 hielten nun, im heftigsten Infanterie- und Artillerie-
feuer, den schwer errungenen Raum fest. —
Während der Kämpfe um den Bahnhof an der Ostfront, hatte
sich der Gegner an der Nord- und Westfront, dank unserer über-
legenen Feuerwirkung, auf 300—500 Schritte zurückgezogen.
Hauptmann Berki, Infanterie-Regiment 52, der nun den Ver-
lust der Eisenbahnbrücke von Knihinin bemerkte, befahl der Kom-
pagnie des Oberleutnants Szillay, die Brücke zu besetzen und dem
eingedrungenen Gegner den Rückzug über sie abzuschneiden.
Die „Urrah"-Rufe der Russen, welche um i/Z7 Uhr vormittags
in die Stadt eingedrungen — und wie wir wissen, mittlerweile
wieder hinausgeworfen waren — wurden in unseren Stellungen
gehört. Es machte sich Unruhe fühlbar, die die Bataillons-
kommandanten von Infanterie-Regiment 52 nicht zu bannen ver-
mochten, weil die Verbindung mit dem Regimentskommando unter-
brochen war.. Die Lage war für die Nordfront völlig ungeklärt,
und die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der Russe, wenn er
in der Stadt Erfolg habe, unsere südlich der Brücke von pasieczna
kämpfenden Truppen im Rücken anfalle. Hauptmann Berki ließ
die Maschinengewehr-Abteilung des Infanterie-Regiments 52 zur
Bestreichung der Straße Schußrichtung gegen die Stadt nehmen
und gegen das Regimentskominando aufklären.
Die Aufmerksamkeit der Leute wurde aber bald durch neue
Ereignisse gefesselt.
Zur Unterstützung seiner, bisher mit Mißerfolg kämpfenden,
Truppen warf der Gegner neue Abteilungen von den Höhen herab.
Eine starke Infanteriekolonne mit Kosaken und Geschützen nahm
110
von Gregor
Richtung gegen die früher von dem Lsauptposten der 52 er besetzten
Mühle.
Bald verschoben sich auch 2—3 russische Kompagnien mit Ge-
schützen am linken Ufer der Bystrzyca Solotwinska gegen Zagwozdz,
wo auch bald Signalfeuer aufflammten.
Um 7 Uhr 30 vormittags sammelten sich auch noch zwei Lsalb-
regimenter Kosaken in Zagwozdz. Sie standen demnach in unserer
linken Flanke.
Drei russische Bataillone, aus der Richtung der Höhe 38^,
wahrscheinlich über Rybno kommend, marschierten, von der Feld-
kanonen-Batterie ^/39 beschossen, gegen pacvicuv, von wo sie um
7 Uhr ^5 vormittags in zwei Kolonnen Richtung auf das 2 km
südwestlich Stanislau liegende Dorf Krechowce nahmen.
Zur Sicherung gegen den in nächster Zeit zu gewärtigenden
Angriff auf die linke Flanke der Westfront, wurde von mir die
halbe 9- Kompagnie des 78. Infanterie-Regiments und eine Ma-
schinengewehr-Abteilung zum Schloß, südwestlich Stanislau, befohlen.
Der Befehl, den Hauxtmann Nowak seiner, an der Südfront
von Stanislau stehenden Feldhaubitz-Division erteilt hatte: „Rück-
marsch zum Bahnwächterhaus westlich Thryxlin", war in diesem
Momente schon überaus schwierig durchzuführen, weil feindliche
Infanterie, zwischen den nahen Däusern gedeckt, die Batterien bereits
heftig beschoß.
Die Batterie Nr. 3 kam noch aus der Stellung. Der Batterie
Nr. % hingegen gelang der Rückzug nur mehr unter Zurücklassung
eines allerdings unbrauchbar gemachten Geschützes, ferner von
fünf protzen und vier Munitionswagen. Der Rückmarsch (längs der
Bahn) erfolgte im feindlichen Infanterie- und Maschinengewehr-
feuer unter erheblichen Verlusten. Aber auch Staffel und Trains
waren bereits gefährdet.
In das Lager der Gebirgs-Infanterie-Munitions-Kolonne
Nr. 36, beim Ziegelofen südlich von Stanislau und in jenes der
Infanterie-Divisions-Sanitäts-Anstalt Nr. 36 am Südostende der
Stadt, schlugen schon seit 7 Uhr vormittags Granaten ein. Um
8 Uhr vormittags erhielten beide Truppenteile vom (3. Infanterie-
Brigadekommando den Auftrag zum sofortigen Abmarsch am Bahn-
damm nach Thryplin. —
Mittlerweile war aber das als Rückzugsxunkt gewählte Thry-
xlin selbst gefährdet worden, Hier hatte in der Nacht zum 2\. Fe-
bruar die Kolonne des Oberstleutnants von fjitti genächtigt.
Das bei dieser eingeteilte IV. Bataillon des 52. Regiments hatte
vom 36. Divisionskommando den Befehl erhalten, durch je eine
Um Stanislau
111
Kompagnie die Übergänge über den Worona-Bach bei podluze und
bei wolczyniec zu sperren. Der Rest des Bataillons hatte, als
Korps-Reserve, bei der Eisenbahnstation Thryplin zu verbleiben.
Bevor noch der Abmarsch der Kompagnien erfolgte, bekam
die in der Eisenbahnstation Thryplin untergebrachte s3. Kompagnie
der 52 er von einem schon nahe herangerückten feindlichen Halb-
Bataillon, aus nordöstlicher Richtung, Feuer.
Die zum Abmarsch nach podluze bereitgestellte 1,5. Kompagnie
nahm östlich der Straße nach Mykietynce das Gefecht auf.
Oberstleutnant von Lsiltl entwickelte nun ein Bataillon des In-
fanterie-Regiments 53 südöstlich der Bahnstrecke; der Angriff der
Russen kam zum Stehen.
Die bei der Kolonne eingeteilte schwere Lsaubitz-Batterie Nr. 35
erhielt den Befehl, südlich der Grtskirche von Thryplin mit der
Schußrichtung gegen die Straße Stanislau-Tysmienica in Stellung
zu gehen. —
In der Zeit zwischen 8 und 9 Uhr vormittags gestaltete sich
die Situation am Bahnhöfe, mit Rücksicht auf die dreifache Über-
legenheit des Gegners, immer verzweifelter. Die Gefahr, daß der
Feind durch eine Umfassung des schwach besetzten Südteiles der
Anlage in den Bahnhof eindringe, die Stellung ausrollte und den
Verteidigern der Nord- und Westfront in den Rücken falle, wuchs
von Rkinute zu Minute.
Um die Katastrophe abzuwenden, warf ichdieletztezurver-
fügung stehende Reserve, eine halbe Sappeurkompagnie (2./13)
und die Regiments-Pionier-Abteilung des Infanterie-Regiments 52,
zum Südteil des Bahnhofes. Sappeur-Oberleutnant Schivanovits
' führte das Kommando.
Er entwickelte zwischen dem Bahnhof und dem südlich an-
schließenden Grtsrande, der nur von Train Mannschaften des In-
fanterie-Regiments 52 schwach besetzt war, die Sappeure; die In-
fanterie-Pioniere blieben vorläufig in Reserve.
Gerade in dem Augenblicke, als die vorrückenden Sappeure
die Höhe der äußeren Gebäude der Anlage erreichten, führte eine
starke russische Schwarmlinie den Angriff gegen den Grtsrand durch.
Durch das Einsetzen der Infanterie-Pioniere des Infanterie-
Regiments 52 zur Deckung der linken Flanke der Sappeure, erlitt
der Gegner aber so große Verluste, daß er im Angriffe einhalten
mußte und stellenweise sogar zurückging. —
Mittlerweile setzte an der Nord- und Westfront ein neuer über-
mächtiger russischer Angriff ein, der, vom heftigsten Artillerie- und
von Maschinengewehr-Schrägfeuer des nördlich Knihinin stehenden
russischen Panzerzuges unterstützt wurde.
112
von Greger
Dem Ansturm des etwa drei Regimenter starken Gegners
konnten wir nur 6 schwache Kompagnien 52 er (höchstens 700 Ge-
wehre!), 3 Kompagnien vom III. Bataillon der 78er und 11/2 Kom-
pagnien 7er entgegenstellen, d. h. 1800—1900 Gewehre gegen 9000
bis s2000 russische . . . ! Dabei war auch die artilleristische und
technische Unterstützung des russischen Angriffes weit überlegen.
Allein an der Straßenbrücke von pasiecna knatterten 6 russische
Maschinengewehre!
Aber unsere heldenmütigen braven Truppen hielten überall
stand. Der ungestüme russische Angriff brach in ihrem ruhigen, gut-
gezielten Feuer zusammen, bevor es noch zum Bajonettkampf ge-
kommen war.
Unterdessen war auch die bisher am wenigsten bedrohte Süd-
front, jene, welche für das herannahen von Verstärkungen wie für
den eigenen Rückzug die wichtigste war, angegriffen worden.
Gegen 8 Uhr vormittags erhielt der Kommandant derselben,
Hauptmann Braun des Infanterie-Regiments 7, von einer aus der
Richtung Krechowce einrückenden Patrouille des Infanterie-Regi-
ments 52 die Meldung, daß starke feindliche Kräfte aus Süden
(Krechowce) gegen die Stadt vorrücken und zurzeit etwa 2500
Schritte vom Rande der Stadt entfernt seien.
Hauptmann Braun orientierte zunächst die bei der Strafanstalt
stehende Kanonen-Batterie ^/39 unter Hauptmann Luhn, die auch
gleich das Feuer eröffnete.
Die Infanterie des Detachements, dann Teile des Infanterie-
Regiments 78 besetzten — mit Rücksicht auf ihre schwachen Kräfte
— sehr locker den Südrand der Stadt und eröffneten, um den Gegner
frühzeitig zur Entwicklung zu zwingen und hiedurch Zeit zu ge-
winnen, auf 1800 Schritte ein langsames Feuer.
Der Gegner, drei Bataillone, arbeitete sich in sehr breiter Front
nur sehr langsam heran.
hier standen den 3000 russischen nur etwa 370 österreichische
Gewehre gegenüber.
Die Feldkanonen-Batterie H/39 hatte den vorerwähnten, über
Rybno — Kole 381> — auf pacykow vorgehenden, von ihr auf
mindestens drei Bataillone und eine Batterie geschätzten Gegner,
durch ihr Feuer wohl zur Entwickelung und vorsichtigem Vorgehen
gezwungen, ihn ganz zum Stehen zu bringen, vermochte sie aber nicht.
Der drei Fronten von Stanislau bereits umspannende eherne
Ring des Feindes drohte durch die beiderseits von Südwest über
Krechowce und anderseits gegen die Eisenbahnbrücke und Eisen-
bahnstation Thryplin geführten Angriffe, sich nun vollends zu
schließen.
Jetzt erst entschloß sich Hauptmann Luhn, auch seine brave
Batterie halbzugsweise — ohne das Feuer zu unterbrechen — aus
ihrer gefährdeten Stellung zur Straßengabel von Gpryczowce
Um Stanislau
113
zurückzunehmen und eröffnete dort, um 9 Uhr 15 vormittags, das
Feuer gegen die von Krechowce vorgehende russische Infanterie.
Etwa um 8 Uhr vormittags hatten sich, wie früher erwähnt,
befehlsgemäß zum Rückmarsch auf den Lisenbahndamm nachThry-
plin in Bewegung gesetzt: die Feldhaubitz-Division Nr. 13, die Ge-
birgs q Infanterie - Ulunitions - Kolonne Nr. 36, die Infanterie - Di-
visions-Sanitäts-Anstalt Nr. 36 und zurückgebliebene Teile von
Truppentrains.
Der Marsch selbst erfolgte in stetem, heftigem Infanterie- nnd
Maschinengewehrfeuer, während die Feldhaubitz-Division Nr. 13, die
Infanterie-Divisionssanitätsanstalt Nr. 36 und Teile von Truppen-
trains im allgemeinen in zwei Kolonnen zurückgingen, marschierte
die Gebirgs-Infanteriemunitionskolonne Nr. 56, gegen das Feuer
gedeckt, westlich des Bahndammes.
Das Feuer des die Zurückgehenden bedrängenden russischen
Lsalb-Bataillons zog sich schließlich auf die Lisenbahnbrücke von
Lhryplin zusammen, die alle passieren mußten und die in kurzer
Zeit mit Toten, gefallenen Pferden und zum Stillstand gezwungenen
Fuhrwerken verlegt war.
Die Feldhaubitz-Batterie Nr. 3, die vor die Infanterie-Divisions-
Sanitäts-Anstalt gelangt war, kam noch mit den Geschützen und
einem Teil der Munitionsfuhrwerke — teilweise aber ohne Be-
spannung — über die Tisenbahnbrücke. Die Feldhaubitz-Batterie
Nr. 4 hingegen konnte nicht mehr über die verstopfte Lisenbahn-
brücke gelangen. Sie mußte, um wenigstens die Pferde in Sicher-
heit zu bringen, zwei Geschütze und zwei Munitionswagen, etwa
100 Schritte nördlich derselben, zurücklassen. Die Infanterie-Di-
' visions-Sanitäts-Anstalt konnte gleichfalls nicht weiter marschieren,
mußte die Fuhrwerke am Lisenbahndamm stehen lassen und trachtete
mit dem Tragtiertrain und den geretteten Zugpferden nach Lhryplin
zu gelangen.
Wesentlich glücklicher war die von Leutnant i. d. R. Scheibe!
sehr schneidig geführte Gebirgs-Infanteriemunitions-
kolonne. Als ihre Spitze bei der Lisenbahnbrücke eintraf, hatte
das feindliche Feuer den Höhepunkt erreicht. Der Kommandant der
Kolonne, Leutnant i. d. R. Scheibe!, ließ, die Unmöglichkeit des
Vorwärtskommens erkennend, seine Abteilung halten.
Zu diesem Zeitpunkt drang aber schon eine feindliche Ab-
teilung nordöstlich und östlich des Lisenbahndammes vor und war
in diesem Moment nur mehr 200—150 Schritte von unseren Truppen
entfernt.
Um die sich Stauenden vor Umzingelung zu bewahren und um
die stehengelassenen Geschütze zu retten, entwickelte Leutnant i. d. R.
Kerchnawe, Im Felde unbesiegt. III. 8
114
von Gregor
Scheibe! die Leute seiner Kolonne in Schwarmlinie längs des Gisen-
bahndammes und nahm den Gegner unter heftiges Feuer. Gleich-
zeitig ließ er von bei seiner Kolonne eingeteilten Ar-
till eri st en mit den von der Batterie Nr. 4! zurück-
gelassenen Haubitzen das Feuer eröffnen.
Während der Gegner am Bahndamm bis zu unseren zurück-
gelassenen protzen vordrang und ein feindliches Maschinengewehr
im Bahnwächterhaus aufstellte, entwickelte sich westlich des Bahn-
dammes eine, unsere westliche Flanke umfassende, nur mehr etwa
800 Schritte entfernte Schützenlinie.
Die bereits über die Brücke gelangte Feldhaubitz-Batterie Nr. 3
eröffnete nun südlich der Gisenbahnbrücke ebenfalls das Feuer und
zwar — bezeichnend für die Lage — mit jedem Geschützzuge nach
einer anderen Richtung: Nordost — Nord — Nordwest.
Den Bahndamm südlich der Lisenbahnbrücke ließ der Kom-
mandant der Feldhaubitz-Division Nr. 13 von einem Zug des In-
fanterie-Regiments 78 besetzen.
Zugleich langte südöstlich der Lisenbahnbrücke eine vom Gberst-
leunant von löiltl zugewiesene halbe Marschkompagnie des In-
fanterie-Regiments 16 an und so gelang es dem Zusammenwirken
aller, auch von eigentlich nicht zum Kampfe bestimmten Teilen —
einer Munitionskolonne! — trotz schwerster Verluste, den
Gegner auch hier zum Stehen zu bringen. -
von der Kolonne des Oberstleutnants von Hiltl hatte sich von
dem bei ihr eingeteilten IV. Bataillon des Infanterie-Regiments
52 die 16. Kompagnie auf den Gefechtslärm südlich der Eisenbahn-
station Lhryplin zum Wächterhaus verschoben, mit der Absicht,
in dieser Richtung, den Gegner flankierend, anzugreifen. Dadurch
pon einer Umfassung bedroht, zog sich der Russe nach heftigem
Feuergefechte auch tatsächlich zurück, und zwar eine seiner Kom-
pagnien gegen Mykietynce, die andere gegen Südosten zur Brücke
über den Studeniec-Bach. Gegen diese letztere nahm die 16. Kom-
pagnie der 52 er wieder das Feuer auf und drängte sie, ihr schwere
Verluste beibringend, über den Bach zurück.
Der lebhafte Gefechtslärm hatte auch die Marschkompagnie
4/VII des Infanterie-Regiments 52 der Kolonne fjiltt veranlaßt,
die Vorrückung südöstlich der vorerwähnten Kompagnie aufzunehmen.
Die schwere Haubitz-Batterie Nr. 35, die um 8 Uhr vormittags
südlich der Kirche von Thryplin feuerbereit stand, wurde, ohne dort
zum Schuß gekommen zu sein, nun infolge der Lage am eigenen
rechten Flügel, nach Tzerniejow befohlen.
Nach 8 Uhr vormittags traf der zur Verstärkung der Ver-
teidigung von Stanislau vorbefohlene Panzerzug M. A. v. I in
Thryplin ein und wurde nun vom Oberstleutnant von Hiltl an-
gewiesen, in das Gefecht bei Stanislau einzugreifen.
Um Stanislau
115
Rurz nachdem die H. Rompagnie des 52. Infanterie-Regiments
den Gegner im harten Straßenkampf aus dem Innern der Stadt
geworfen und während sie ihn unter Rümpfen verfolgte, traf ich
den Generalstabsoffizier der \5. Infanterie-Brigade, Hauptmann
Grundner, und teilte ihm unsere Lage mit. Hauptmann Grundner
unterrichtete mich, daß der Rest des Infanterie-Regiments 78 zur
Festhaltung der Eisenbahn befohlen sei.
Während der Zeit tobte der Rampf an den drei angegriffenen
Stadtfronten weiter.
Die Lage drängte zu einer Klarstellung, zu einem Entschluß.
Ich suchte daher abermals Verbindung mit dem General-
stabsoffizier, traf ihn am Südteil des schon erwähnten Platzes
und zwar mit dem Berichterstatter der 56. Infanterie-Division,
Hauptmann Hummer des Gebirgs-Artillerie-Regiments \5. Dieser
meldete mir, daß er vor 8 Uhr vormittags auf der Lhrypliner
Eisenbahnbrücke von einem Offizier des Nachrichtendetachements
des Hauptmanns Braun verständigt worden sei, daß die \5. In-
fanterie-Brigade Stanislau seit 7 Uhr vormittags geräumt habe und
sich auf Thryplin zurückziehe. Im guten Glauben an die Richtig-
keit habe Hauptmann Hummer diese Meldung an die 36. Infanterie-
Division weitergegeben.
Die neuerliche Information durch Hauptmann Grundner be-
sagte mir, da sich der Rampf auf der Eisenbahnstation für uns
nicht günstig gestalte.
Er bat mich, das Rommando der \5. Infanterie-Brigade zu
übernehmen mit der Begründung, daß er, vom Brigadier ab-
getrennt sei, dessen Aufenthalt nicht kenne, der Brigadier möglicher-
weise gefallen, verwundet oder gefangen fei1), ein Entschluß aber
gefaßt werden müsse.
Um die Fortdauer der Gefechtsführung zu sichern, übernahm ich
' etwa 8 Uhr l5 vormittags nun auch formell das Brigade-Rommando.
Das Rommando des Infanterie-Regiments 52 übernahm Haupt-
mann Schwarz, der Rommandant des I. Bataillons — Stabsoffiziere
hatten wir keine mehr.
Eine weitere Mitteilung des Hauptmanns Grundner lautete,
daß heute zwei eigene Rolonnen gegen Stanislau vorgehen würden,
und zwar die Rolonne des Oberstleutnants von Hiltl, deren Tätig-
keit hier schon erwähnt wurde, von Thryplin aus und die Rolonne
des Obersten von Luxardo über Lysiec auf pasieczna.
Der Zeitpunkt, wann die Rolonne von Luxardo einzugreifen
befähigt sein werde, war, selbst wenn sie auf keinen Gegner stoßen
sollte, nicht abzusehen.
Der Brigadier, Oberst Wolf, hatte sich mit seinem Stabe unter äußerst schwie-
rigen Verhältnissen in den Raum südlich der Stadt begeben. Den Hauptmann Grundner,
der vor dem Abgehen des Brigade-Kommandos weggegangen war, um einen Auf-
trag durchzuführen, erreichte die Verständigung, wohin er nachzukommen habe, nicht.
8*
116
von Gregor
Trotzdem die Lage der Verteidigungsgruppe von Stanislau
äußerst kritisch war und auf eine Unterstützung in nächster Zeit
durch eine der beiden Kolonnen nicht gerechnet werden konnte,
machte ich mir doch klar, daß nichts übrig blieb, als „auszuharren".
Die bisher bewiesene Tapferkeit meiner braven Schwaben,
Kärntner, Kroaten und Ungarn und ihr musterhaftes Verhalten im
Kampfe, erleichterten mir diesen Entschluß.
Line Loslösung der Infanterie von dem so nahen und so über-
legenen Gegner ohne vernichtende Verluste war undenkbar. Lin
preisgeben von Stanislau, ein Rückzug aus der augenblicklichen Lage
hätte für die, durch die vorangegangenen Nacht- und Tageskämxfe
zu Schlacken ausgebrannten schwachen Truppen, die auf mehr als
drei Fronten bereits umfaßt waren, zu einer Katastrophe geführt,
die in ihrem natürlichen Fortschreiten — Reserven waren nicht vor-
handen — die Gruppe von bsiltl in Mitleidenschaft gezogen, die
Kolonne von Luxardo aber wahrscheinlich von der 36. Infanterie-
Division abgetrennt hätte.
Zu diesem Zweck hätte der Gegner genügend Truppen frei
bekommen.
Den verzweifelten Entschluß, mich durchzuschlagen — und man
hätte ihn auch schon jetzt verzweifelt nennen können — sparte ich
für den allerletzten Augenblick auf. Für diesen Moment legte ich
mir, jedoch nur für meine Person, um Niemandes moralische Kraft
zu trüben, die entsprechenden Befehle zurecht.
Um aber die moralischen Kräfte der Truppen zu heben, ließ ich
ihnen den Anmarsch der zwei Kolonnen, von bsiltl und von Luxardo,
bekanntgeben. Mit diesem hinweise beantwortete ich jede, noch so
so dringende Bitte um Verstärkung. Mir standen damals nur noch
einige Telephonisten des Infanterie-Regiments 52 und die wenigen
Reiter des Berichterstatters der 36. Infanterie-Division zur Ver-
fügung, wirkliche Reserven hatte ich keine mehr.
Zwischen 9 und JO Uhr wogte der Kampf an der (Ostfront,
speziell am Bahnhof selbst, noch immer hin und her. Erst gegen
JO Uhr vormittags ließ der überlegene Gegner in seinen Angriffen
etwas nach. Südlich des Bahnhofes kam, infolge des flankierenden
Eingreifens der Sappeur-Ljalbkomxagnie 2/J3 der Angriff des
Gegners zum vorläufigen Stillstand; einzelne Teile dieser Angrifss-
front bröckelten sogar ab.
Zwischen 1/2JO und JO Uhr vormittags traf nun doch noch eine
Kompagnie des Infanterie-Regiments 78, unter Leutnant Hohn, mit
dem Bataillonskommandanten Hauptmann Pelikan, bei den Sap-
peuren ein. Sie wurde zwischen diesen und den Infanterie-Pionieren
des Infanterie-Regiments 52 — zugsweise — eingesetzt. In dieser
Lage machte sich von links kommendes Flankenfeuer sehr fühlbar. —
Die zähen Verteidiger der Nord- und Westfront trotzten um
diese Zeit wiederholten, sehr heftig geführten Angriffen, die aber,
Um Stamslau
117
da sie zum Glück nicht in gegenseitigen Linklang gebracht waren,
an dem ruhigen Feuer unserer tapferen Truppen zerschellten. Auch
das überaus empfindliche Schrägfeuer des feindlichen Panzerzuges
vermochte die Widerstandskraft unserer Braven nicht zu lähmen.
Endlich, gegen 34jp Uhr vormittags, trat an der Westfront eine
kurze Atempause ein.
Der Angriff der über Krechowce anmarschierten Russen gegen
den Südwestausgang von Stamslau, kam, dank der auf Täuschung
berechneten, lockeren, aber breiten Besetzung des Grtsrandes und
der vorzüglichen Wirkung der Feldkanonen-Batterie ^/39, die von
der Straßengabel von Mpryczowce ein direkt flankierendes Feuer
eröffnet hatte, nur sehr langsam vorwärts.
Hingegen gestaltete sich der Kampf an der Lisenbahnbrücke
von Thryplin immer kritischer, denn der Gegner drang dort immer
heftiger vor.
Die schwache Bedienung der zurückgebliebenen Geschütze war
schon größtenteils gefallen oder verwundet, ihre Munition ver-
schossen oder in der Hand des Gegners, so daß schon Leucht-
schrapnells — im Aufschlag — verwendet werden mußten. Aber
die brave Infanterie und die wackere Mannschaft der Gebirgs-
Infanteriemunitionskolonne Nr. 36 hielten trotz großen Verlusten
standhaft aus. —
Der Kampf bei der Kolonne von Hiltl gewann immer mehr
an Ausdehnung.
während, wie bereits erwähnt wurde, die \6. Kompagnie
des Infanterie-Regiments 52 den Gegner zurückdrängte und die
4>. Marschkompagnie des Infanterie-Regiments 52 sich derselben
östlich anschloß, brachen zwei russische Bataillone aus dem, östlich
- Thryplin gelegenen Walde, und gingen über Punkt 239 gegen ihre
Flanke vor.
Die 4. Marschkompagnie des Infanterie-Regiments 52 eröffnete
sofort das Feuer und hielt unter schwersten Verlusten für ihn das
Vorgehen des Gegners auf. Der zur Unterstützung eingesetzten Re-
serve der Kolonne Hiltl, der Kompagnie 52 er, einer Kompagnie
des Infanterie-Regiments f6 und einer Maschinengewehr-Abteilung,
gelang es aber, dem vorgehen der Gegner ein Ziel zu setzen.
Etwa um 3/4 JO Uhr traf von der 36. Infanterie-Division bei
mir der noch an Oberst Wolf gerichtete Befehl ein, „daß die Gruppe
den Raum westlich Lhryplin — Opryczowoe — Tote 28f unbedingt
zu halten habe". Dieser Befehl beruhte jedenfalls auf der ersten
Meldung des Hauptmanns Hummer, die, um 8 Uhr vormittags, auf
der Lisenbahnbrücke von »Thryplin geschrieben war und besagte,
daß sich die l.3. Infanterie-Brigade seit 7 Uhr vor-
mittags in der Richtung auf Thryplin zurückziehe^
118
von Greger
Meine und Hauptmann Kummers Meldungen mußten mittler-
weile das Divisions-Kommando über die tatsächliche Lage unter-
richtet haben.
In dieser Zeit, zwischen \0 und \{ Uhr vormittags, begann
der Gegner ein heftiges Granatfeuer auf das Stadtinnere zu richten.
Seinen Zweck, Brände zu erzeugen, erreichte er allerdings nicht und
Reserven, die er hätte schädigen können, gab es nicht mehr.
Unter dem von ihm erhofften aber nicht erfolgten Eindruck
dieses Feuers setzte der Russe seine Bemühungen gegen die Ost-
front fort und setzte mit frischen Kräften zu neuem Angriffe an.
Das von ihm angestrebte Ziel, die Gruppe Stanislau, über
deren Stärke er wohl im Klaren war, abzufangen, trat immer
deutlicher hervor. Eine Unterstützung durch die Gruppe Thryplin
war nach den derzeitigen Verhältnissen ganz ausgeschlossen. Nach
wie vor blieben wir auf uns selbst angewiesen..
Bei den wiederholt abgeschlagenen Angriffen wurden vom
Infanterie-Regiment 78 im Gegenstöße 3 russische Offiziere und
80 Mann gefangen. Für die überaus kritische Situation ist charak-
teristisch, daß mir der Regimentsadjutant des Infanterie-Regiments
78, Hauptmann Feltl, beim Einliefern der Gefangenen eindringlichst
die Begleitmannschaft (5—6 Mann) zurück erbat, weil zur Ab-
wehr des sich wieder vorbereitenden, übermächtigen Angriffes jedes
Gewehr „unbedingt und dringendst benötigt werde". Ich mußte
selbst diese Bitte abschlagen, da mir überhaupt kein Mann mehr zur
Verfügung stand, der die Bewachung der Gefangenen hätte über-
nehmen können.
Unsere Lage am Bahnhof war kritisch. Südlich desselben war
das feindliche Flankenfeuer nahezu unerträglich. Aber auch hier
erreichte der Gegner das Gegenteil seiner Absicht, Hauptmann
Pelikan des Infanterie-Regiments 78 befahl der Regiments-Pionier-
Abteilung meiner 52 er, meist brave Schwaben, sie durch Teile der
Kompagnie Hohn des Infanterie-Regiments 78 verstärkend, die
russischen Flankierungsabteilungen anzugreifen und zu vertreiben.
Und die Braven leisteten in hartem Kampfe das schier unmöglich
Scheinende: der Gegner wurde geworfen. —
An der Nord- und Westfront dauerte in dieser Zeit der Feuer-
kampf, von einzelnen Teilangriffen unterbrochen, fort. Gegen
\\ Uhr vormittags stellte der feindliche Panzerzug sein Schrägfeuer
ein, und dampfte gegen Norden ab. —
Der von Krechowce gegen den Südteil von Stanislau an-
greifende, weitaus überlegene Gegner, gewann, dank dem flan-
kierenden Artilleriefeuer von Gpryczowce nur sehr langsam, aber
trotzdem stetig an Raum nach vorwärts. —
Der Kampf an der Eisenbahnbrücke bei Thryplin stand für
uns weiter bitter ernst. Endlich gelang aber doch unseren schwachen
Kräften, den, bis zu unseren stehen gelassenen protzen, vorgedrun-
Um Stanislau
119
genen Gegner niederzukämpfen, das Vordringen der feindlichen
Schwarmlinien zum Stehen zu bringen, ja, ihn sogar teilweise zum
Rückzug zu zwingen. Schließlich zog er auch das im wächterhaus
aufgestellte Rlaschinengewehr zurück, das Gefecht flaute hier ab,
auch hier trat eine Atempause ein. Unsere Infanterie besetzte nun
den Bahndamm vor der Schwarmlinie der wackeren Gebirgs-In-
fanteriemunitionskolonne Nr. 36.
Nachdem die Russen hier weitere versuche zum vorrückeni
aufgegeben und auch das wieder aufgenommene Feuer nachgelassen
hatte, wurde endlich die Eisenbahnbrücke freigemacht. Und es ge-
lang, die stehengebliebenen drei Geschütze, die verwundeten und
fast alle Fuhrwerke der Feldhaubitz-Batterie Nr. ^/J3 am frühen
Nachmittag nach Thryplin zu schaffen, wo die Feldhaubitz-Batterie
3/13 bereits in Feuerstellung stand. Das schier unmöglich Scheinende
war auch hier erzwungen worden. Die kritische Lage der beiden
Batterien war, vor allem dank des schneidigen Eingreifens der
Gebirgs-Infanteriemunitionskolonne und dem mustergültigen Zu-
sammenwirken der schwachen Kraft in einen vollen Erfolg um-
gewandelt worden, kein Ges«chütz, kein Ulunitions-FUhr-
werk war in die Lsand des siegessicher vorgegangenem
und nun zurückgeworfenen Gegners übergegangen.
Die tapfere Ulunitionskolonne sammelte sich nun in Thryplin
und setzte den Ularsch auf Tzerniejow fort. -
Bei der Gruppe des Oberstleutnants von bsiltl in Thryplin
war der Kampf seit fl. Uhr vormittags, trotz Überlegenheit des
Gegners im allgemeinen zum Stehen gekommen.
Jetzt erst, wo die Brücke frei geworden, konnte der früher er-
wähnte, in Thryplin eingetroffene eigene Panzerzug nach Stanislau
abfahren und hier unterstützend eingreifen.
An der Ostfront hatte das heiße Ringen auch in der Zeit
zwischen \\ und \2 Uhr noch immer keine Entscheidung gebracht.
Die Lage auf dem etwa 1800 Schritte langen Bahnhof war, trotz
des Erfolges meiner braven Infanterie-Pioniere, noch immer über-
aus kritisch.
Unsere, südlich des Bahnhofes kämpfenden Truppen (Lsaupt-
mann Pelikan) arbeiteten sich bis zum östlichen Zaun des Bahn-
hofes vor.
Nun aber trat Oberleutnant Schmoll mit seinem Panzerzuge,
Ul. A. v. 1, in Tätigkeit. Um H Uhr am Bahnhöfe von Stanislau ein-
treffend, fuhr er gegen die Lhenbahnbrücke von Knihinin weiter
und griff in das Gefecht unserer nun auch schon vorrückenden
Abteilungen unterstützend, ein, hiebei bis auf 150—100 Schritte an
die vom Gegner besetzte Brücke heranfahrend.
Zugleich konnte er folgendes feststellen: der Gegner Hielt südlich
der Bystrzyca Solotwinska (also bereits auf unserem Ufer) die
Häusergruppe östlich des Bahndammes und die Eisenbahnbrücke
120
von Gregor
von Knihinin sehr stark besetzt. Das Nordufer des Baches wurde
von Infanterie mit Maschinengewehren verteidigt. Line feindliche
Haubitz-Batterie stand auf den nordöstlichen Höhen.
von unseren Truppen arbeitete sich eine schüttere Infanterie-
linie langsam vor. westlich des Bahndammes ging abgesessene Ka-
vallerie langsam gegen den Ortsrand zurück.
Der Panzerzug nahm das Feuer auf. Er beschoß mit vier Ma-
schinengewehren den Gegner auf der Eisenbahnbrücke, den in der
erwähnten Häusergruppe und die vor dieser eingerichtete Schwarm-
linie \5—20 Minuten lang.
Die übrigen Teile der Nord- und Westfront standen in dieser
Zeit ununterbrochen in schwerem Kampfe, daß es fast unglaublich
schien, daß ihre Widerstandsfähigkeit noch immer nicht erlahmte.
Der von Krechowce gegen die von den braven Kärntnern bei-
setzte Südfront von Stanislau angesetzte Angriff ging, dank des
zielsicheren Feuers der Älpler und des flankierenden Feuers der
Batterie Luhn, so langsam vorwärts, daß der Gegner erst gegen
Mittag auf (500 Schritte vor ihnen angelangt war.
Um U Uhr 45 erhielt ich den' um (0 Uhr 35 ausgefertigten
Befehl des 36. Divisions-Kommandos:
„Auf Befehl des Korps-Kommandos muß der Raum Eisen-
bahnstation Thryplin — Gpryczowce —, Höhe 28s unbedingt ge-
halten werden, damit Eingreifen der Gruppe Luxardo ermöglicht ist.
Oberstleutnant von Hiltl hält Raum bei Eisenbahnstation Thry-
plin, Oberst von Luxardo dürfte von Lysiec über pacykow in der
Richtung pasieczna eingreifen."
„werde trachten, die innehabende Stellung weiter zu halten."
Das war alles, was ich antworten konnte und was ich im festen
vertrauen auf meine tapferen Truppen auch guten Gewissens
sagen durfte.
Ich wußte zu dieser Zeit, daß auf das Eintreffen der Kolonne
Oberst von Luxardo in nächster Zeit nicht zu rechnen sei.
Trotzdem: es hatte sich in unserer Lage nichts geändert, seit
ich in den Morgenstunden den Entschluß gefaßt: „Aushalten,
bleiben..."
Auch der letzte Angriff an der Ostfront (zwischen \2 und s Uhr
nachmittags) brachte den Russen keinen Erfolg, trotzdem sie wieder
weitaus überlegene Kräfte ins Treffen geführt hatten. Sie er-
litten sehr schwere Verluste, die sie scheinbar vorläufig nicht mehr
zu ersetzen vermochten. Ihr Feuer ließ nach und gegen 2 Uhr nach-
mittags zogen sie sich auf größere Schußentfernungen zurück.
An der Nord- und Westfront ging indessen der Kampf weiter.
Zur Vertreibung des am südlichen Ufer der Bystrzyca Solotwinska
eingenisteten wurden zwei Züge des Infanterie-Regiments 78 be-
fohlen, die sich gedeckt heranarbeiteten und im Verein mit den
Um Stanislau
121
übrigen angreifenden Truppen den Gegner über die Lisenbahn-
brücke zurücktrieben.
Bei einem nach l Uhr unternommenen Vorstoß wurde eine
russische Maschinengewehr-Abteilung, die in einem Hause in Stel-
lung war, zum Schweigen gebracht.
Nur dem zähen, opfermutigen Angriffsgeist der Truppen war
es zu danken, daß sie, nach mehrstündigem, schwerem Kampfe gegen
den übermächtigen Gegner, ohne Reserven nun sogar selbst Raum
gewinnen konnten und scheinbar über ihre Kraft reichende Aufgabe
zu lösen vermochten.
An den restlichen Teilen der beiden Fronten flauten gegen
l Uhr nachmittags die Angriffe langsam ab.
Auch der mit großen Kräften, in der für den Verteidiger von
Stanislau kritischesten Richtung, unternommene Angriff gegen die
Südfront begann zu stocken *).
Um \2 Uhr ^5 traf bei mir der von der 36. Infanterie-
Division um U Uhr ^0 abgesandte Befehl ein:
„Falls Feind tatsächlich mit stärkeren Kräften auf Krechowce
vorgeht und Eingreifen der Gruppe Lüxardo sich nicht fühlbar
macht, mit linkem Flügel auf Höhe 28s, dann rechten Flügel auf
Gprvczowce zurücknehmen.
Hiltl hält noch immer Eisenbahnstation Thryxlin, von einem
eventuellen Rückzug diesen verständigen.
Soeben trifft Meldung ein, daß rechter Flügel gegen Norden
gut vorwärts kommt."
Tatsächlich hatte, wie wir wissen, der mit drei Bataillonen
über Krechowce gekommene Gegner kaum drei Kompagnien vor
sich gehabt. Es standen dort demnach etwa 3000 russischen rund
700 österreichische Gewehre gegenüber.
von unserer Seite trat zur frontalen Infanteriefeuerentwicklung
' noch die flankierende Wirkung der Feldkanonen-Batterie 4/39 hinzu
und nach \2 Uhr mittags auch jene der schweren Haubitz-Batterie
*) In den Morgenstunden hatten die Rüsten am linken Ufer der Bystrzpca
Solotwinska, etwa bei Zagwozdz, eine einer Kavalleriedivision gehörende österreichische
Kavallerie-Maschinengewehrabtcilung gefangen genommen und deren Kommandanten,
Rittmeister Lindenmaier in Krechowce ein Zimmer angewiesen, aus welchem er den
Angriff der Rüsten gegen die Südfront von Stanislau beobachten konnte. Gegen
\ Uhr nachmittags bemerkte er eine unerklärliche Unruhe bei den Rüsten, bis endlich
einige aufgeregte russische Offiziere zu ihm ins Ziniiner traten und ihn aufforderten, er
möge sag n, wie er behandelt worden wäre. Er drückte ihnen seine Zufriedenheit aus.
Nun erwiderten die Rüsten, daß es sich ereignen könnte, daß sie demnächst in öster-
reichische Gefangenichaft geraten könnten, und von ihm hoffen, daß er sich dann
für ihre anständige Behandlung einsetzt. Es glückte aber den Rüsten durchzukommen.
Der brave Offizier kam nach Sibirien, wurde durch den verrat eines jüdischen Fähn-
richs bei z Fluchtversuchen ertappt und jedesmal so mißhandelt, daß sich bei ihm
Lungenblutungen einstellten. Trotzdem unternahm er den ». Fluchtversuch, der endlich
glückte und ihn im Jahre lyt? in die Heimat, dann an die ersehnte Front und an
den Feind brachte.
122
von Greger
Nr. 35 der Kolonne hiltl, die am rechten Ufer der Bystrzyca Nad-
wornianska, bei Tzerniejow, das Feuer eröffnete.
Gegen ( Uhr nachmittags trafen nacheinander drei Meldungen
der einzelnen Fronten bei mir ein, welche bewiesen, daß die Krise
behoben war.
Oberleutnant Romanic meldete: „Infanterie-Regiment 78 be-
ginnt gegen Osten Raum zu gewinnen." — von der Nord- und
Westfront meldete Hauptmann Rauscher: „Infanterie-Regiment 52
wird sich weiter behaupten." — Der Kommandant in der Südfront,
hauxtmann Braun (Infanterie-Regiment 7), meldete: „Des Gegners
Angriff läßt nach." Tatsächlich begann er um diese Zeit den Rück-
zug anzutreten.
Diese Meldungen trafen bei mir mit Minutenunterschieden ein;
sie lieferten den Beweis, daß die in Stanislau durch vierfache Über-
macht eingeschlossenen braven Truppen nicht nur den Angriff ab-
gewehrt, sondern aus eigener Kraft den sie umspannenden eisernen
Ring gelockert hatten. Mittlerweile war der Brigadier wieder bei
der Gruppe eingetroffen, der Verbindungsoffizier meldete, daß
Oberst Wolf bei der Artillerie sei.
Ich übergab nun wieder das Brigadekommando. Die ver-
zweifelte Lage, in der die Gruppe bisher gestanden, war einer zu-
versichtlichen gewichen.
Die Gruppe hiltl in Tryplin hatte noch um ( Uhr 30 und 2 Uhr
15 nachmittags heftige Angriffe der Russen abgewiesen und konnte
vom 2\. auf den 22. Februar auf dem behaupteten Gefechtsfeld
nächtigen.
Gegen 5 Uhr nachmittags richtete der auf den höhen nördlich
Stanislau stehende Gegner sein Artilleriefeuer gegen Südwest, was
den Verteidigern der Stadt das herannahen der Kolonne Luxardo
kundgab. Der Entsatz war da, Stanislau aber war behauptet —
aus eigener Kraft.
Auch das beim Beginn des Rückzuges der Feldhaubitz-Batterie
Nr. 1/(3 von ihr zurückgelassene Geschütz konnte, dank der Behaup-
tung von Stanislau, noch am Abend des 2\.t das übrige Material,
5 protzen und 1 Munitionshinterwagen, am 22. morgens eingebracht
werden.
Durch in den nächsten Tagen eingetroffene frische Truppen
wurde der Gegner vollends geworfen und bis zum Vormärsche be-
hauptete die (3. Infanterie-Brigade ihre am 2\. Februar so rühmlich
verteidigte Stellung.
Blatter aus dem LruhmssKranzs des 8. u. 8. stei-
rischen Infanterieregiments Graf von Deck Ne. 47.
Von Oberstleutnant Ludwig Frh. v. Vogelfang,
damals Äauptmann und Kommandant der 7. Kompagnie.
I.
Der Gegenangriff der 7. Kompagnie bei Lipna
am 28. Jänner 19(5.
SXn den Morgenstunden des 28. Januar gelang es russischen
Kräften, in die Stellung eines Truppenkörpers nordöstlich Lipna
(25 km südwestlich Gorlice) in etwa Bataillonsbreite einzudringen.
Die Lage war durch das Festsetzen der Russen in einem hoch-
wichtigen Abschnitte der BHkidenfront äußerst kritisch, zudem war
als letzte Reserve nur noch das halbe II. Bataillon des Infanterie-
Regiments H7 (6. und 7. Kompagnie) verfügbar.
Gegen Mittag erhielt die 7. Kompagnie (Hauptmann Baron
Vogelfang) den Befehl, im Anschlüsse an die rechts vorrückende
% Kompagnie (Hauptmann Traun) zum Angriffe auf den in den
Verteidigungsabschnitt eingedrungenen Gegner vorzugehen. Die
6. Kompagnie (Oberleutnant Kopriva) und die Maschinengewehr-
Abteilung (Hauptmann Schobert) folgten als Reserve. Nach Kassie-
rung einer schmalen Bachniederung begann der schwierige Aufstieg
auf die dichtbewaldete, stellenweise tief verschneite, vom Gegner be-
setzte Höhe.
von links feuerte eine feindliche Patrouille, Schrapnells ex-
plodierten ober dem Walde.
An einer ausgedehnten Waldblöße angelangt, erhielt meine
Kompagnie heftiges Infanteriefeuer aus einer Entfernung von
höchstens 300 Schritten.
Das Gelände zum Gegner hin war ansteigend und vollkommen
offen. Die Russen befanden sich anscheinend in Deckungen, ins-
besonders in und nächst einer Blockhütte. Das Feuer wurde von
meiner Kompagnie sofort erwidert. Fast gleichzeitig eröffnete die
im Anschlüsse rechts noch im Wald befindliche Kompagnie Traun
gegen den ihr gegenüberliegenden Feind das Feuer.
Mit Rücksicht auf das ansteigende, stark verschneite Gelände war
die Mannschaft meiner Kompagnie gezwungen, trotz der kurzen Ent-
fernung vom Gegner knieend oder hinter Bäumen stehend zu schießen.
Es war eine Freude, zu beobachten, wie die größtenteils zum
124
Frh. v. Vogelfang
erstenmal im Feuer stehenden jungen Steirer trotz der Ungunst der
örtlichen Verhältnisse vollkommene Ruhe bewahrten und wie die
Stimmung der Mannschaft durch das schlechte Schießen der Russen,
nicht minder durch launige Bemerkungen der Dienstgrade und älteren
Leute sehr günstig und zuversichtlich beeinflußt wurde.
Gleich nach Beginn des Feuergefechtes befahl ich den Leutnant
i. d. R. Weinhardt mit einem Zug zur Deckung der eigenen linken
Flanke in den die Waldblöße links einschließenden Waldstreifen.
Nachdem auch der rechte Flügelzug zum umfassenden Angriff auf
den feindlichen linken Flügel angesetzt worden war und die Wirkung
des flankierenden Feuers dieses Zuges sich fühlbar machte, ent-
schloß ich mich, den Sturmangriff zu wagen.
Mit kräftigem „Lsurra!" ging die Kompagnie, fortgesetzt auf
russisch „bsände hoch!" rufend, durch die Schneemassen stampfend
zum Sturm vor.
Das Wagnis gelang; wie auf Kommando erhob sich die gegen-
überliegende feindliche Schwarmlinie, die Vände hochhaltend.
während des Sturmangriffes nahm das Feuer im Walde in
der eigenen linken Flanke bedrohlich zu; da warf sich der brave,
allen voranstürmende 50 jährige Kriegsfreiwillige Feldwebel bjaas
geistesgegenwärtig und aus eigenen Entschluß gegen den gefähr-
lichen Waldteil und brachte dadurch den darin befindlichen Gegner
zwischen zwei Feuer. Groß war das Erstaunen der Stürmenden,
als aus dem erwähnten Walde immer mehr und mehr Russen mit
aufgehobenen Lsänden heraustraten, es mochten schließlich gegen
einhundertfünfzig Mann gewesen sein.
Alsbald waren alle Gefangenen umringt, die Russen schienen mit
ihrem Geschick zufrieden zu sein, um so mehr, als unsere gutherzigen
Steirer in einer Anwandlung von Siegergroßmut den bisherigen
Feind mit Zigaretten und Brot beschenkten, wogegen sie die Mützen-
kokarden als Siegeszeichen, sowie die so beliebten russischen kupfernen
Teekessel eintauschten.
Noch aber war die Höhe nicht vollkommen in unseren fänden;
es mußte alle Energie aufgeboten werden, um den Handel zu be-
enden, den nur einige Meter höher liegenden Kamm der Höhe in
Besitz zu nehmen und gleichzeitig den Abtransport der Gefangenen
zu regeln.
Kaum war die Kompagnie auf der Höhenlinie angelangt, als
man zu aller Überraschung die eigentliche russische Hauptstellung
keine 200 Schritte vor sich sah. Es war dies die vom eigenen
Nachbartruppenkörper geräumte Hauptkampflinie, aus welcher nun-
mehr die Russen ein mörderisches Feuer auf meine Kompagnie er-
öffneten. Nach kurzer, kräftiger Feuererwiderung warfen sich die
braven 47er, siegestrunken von dem früheren Erfolg, begeistert durch
anfeuernde Zurufe der Offiziere und Dienstgrade, abermals todes-
mutig auf den Feind.
Das k. u. k. steirische Infanterieregiment Graf v. Beck Nr. »? 125
Der neuerliche Sturmangriff meiner Kompagnie wurde durch
die H. Kompagnie, die zur selben Zeit, nach Zurückwerfen des
Gegners, aus dem rechts der Waldblöße befindlichen Wald vor-
drangen, wesentlich unterstützt. Der Feind kam in eine Zange.
Abermals war das schneidige vorgehen der beiden Kompagnien
von Erfolg gekrönt, erneut streckten 200 Mann die Waffen.
Mit hämischer Schadenfreude zeigte mir ein Russe die Deckung,
in der sich der russische Bataillonskommandant befand. Der russische
Oberstleutnant wurde von mir persönlich gefangen genommen, über-
gab mir seinen Säbel, den ich noch heute als liebste und wertvollste
Kriegstrophäe aufbewahre.
Auf die wenigen Russen, die versuchten, aus der Deckung den
Abhang hinabzufliehen, wurde ein kräftiges Verfolgungsfeuer ab-
gegeben, wobei die Leute zur Schonung der eigenen Munition aus
russischen Gewehren nachschössen.
Kaum zehn Mann des feindlichen Bataillons dürften ent-
kommen fein. Ein Eingreifen der eigenen Bataillons-Reserve war
nicht mehr nötig. Das ganze Gefecht dauerte etwa eine Stunde
und hatte, abgesehen von der Wiedergewinnung der so bedeutungs-
vollen Höhe, durch die Vernichtung des Russen-Bataillons einen
unerwarteten Erfolg.
Die Verluste der Russen betrugen gegen fOO Tote, HO meist
Schwerverwundete und 355 Gefangene, einschließlich eines Oberst-
leutnants, eines bfauptmanns, eines Subalternoffiziers und zweier
Fähnriche; das Gefechtsfeld war bedeckt mit russischem Kriegs-
material, insbesondere war die Zahl der erbeuteten Waffen groß.
Zm Verhältnis zum Erfolg waren dis Verluste meiner Kom-
pagnie geringfügig, wir beklagten vier Tote, darunter leider auch
den allbeliebten Leutnant i. d. R. Weinhardt, der mit beispielgeben-
' der Tapferkeit seinen Leuten vorangestürmt war und hiebei den
Heldentod gefunden hatte, und verloren ferner nur vier verwundete.
Gegen Schluß des Gefechtes setzte ein eisiges Schneegestöber
ein, das sich gegen Abend so verstärkte, daß die Schützengräben
gänzlich verschneit wurden und die Mannschaft in den russischen
Unterständen Zuflucht nehmen mußte, wodurch auch ein heftiges
von H—5 Uhr nachmittags währendes Schrapnellfeuer des Gegners
wirkungslos verlief.
Gegen 2 Uhr früh wurde meine Kompagnie durch Abteilungen
des Znfanterie-Regimentes Nr. 87 abgelöst.
Die Wiedergewinnung des Verteidigungsabschnittes war von
ausschlaggebender Bedeutung für die ganze Gefechtsfront in den
Oftbeskiden und machte den vom 3. Korpskommando bereits aus-
gearbeiteten Rückzugsbefehl hinfällig.
Der Divisionär erließ noch am selben Tage einen Befehl, worin
er den 28. Jänner, auch mit Rücksicht auf Erfolge der anderen
126
Frh. v. Vogelfang
Truppenkörper und der zahlreichen Gefangenen als den bisher er-
folgreichsten der Division während des Krieges bezeichnete.
Selbst das Armeeoberkommando sprach der Division schriftlich
die Anerkennung für den entschlossenen Gegenangriff aus.
Welche Einschätzung die Leistung der 7. Kompagnie beim
3. Korpskommando fand, kommt am Besten dadurch zum Aus-
druck, daß der Kompagnie 3 silberne Tapferkeitsmedaillen Klasse
und 2\ silberne Tapferkeitsmedaillen 2. Klasse verliehen wurden,
eine für damalige Verhältnisse abnorme Anzahl für eine Kom-
pagnie in einem Gefecht. Überdies erhielt der zum Stabsfeld-
webel beförderte Kriegsfreiwillige Haas die goldene Tapferkeits-
medaille.
II.
Mein schwerster Kampftag.
In den ersten Tagen des Monats Juni \ty\5 befanden sich
das I. und II. Bataillon des Infanterie-Regiments ^7 unter dem
Kommando des Oberstleutnants.Rudolf pahs^ als Armeereserve der
7. Armee (General der Kavallerie von Pflanzer-Baltin) im Raume
südlich Kolomea in Ostgalizien.
Ab 2. Juni 7 Uhr abends wurden die beiden Bataillone in
einem 23stündigen, nur durch 5 Raststunden unterbrochenen Gewalt-
marsch nach Mlodiatyn — einem Grt \5 km westlich Kolomea —
verschoben, woselbst das Halbregiment am % Juni um 2 Uhr früh
einlangte.
Todmüde legte sich alles am Rastplatz nieder, um sogleich ein-
zuschlafen.
Die beiden Bataillone waren dem Kommando des Infanterie-
Regiments Nr. \6, welches Regiment nördlich Mlodiatyn im hef-
tigen Kampfe stand, unterstellt worden. Die Lage des schwer ringen-
den kroatischen Regiments schien äußerst kritisch zu sein, die Ver-
bindung mit der Kampftruppe war völlig unterbrochen, die Lage
gänzlich ungeklärt.
Um sich über die Verhältnisse im Kampfgebiet Klarheit zu
verschaffen, entsandte Oberstleutnant pahsy sogleich Nachrichten-
patrouillen. Kaum nach einer Stunde kam der Kommandant der
mittleren Patrouille atemlos zurückgelaufen und meldete, daß im
Walde vorne, in einem breiten Graben, sich die Russen, augen-
scheinlich mehrere Regimenter, sammeln und daß die Patrouille
nirgends mehr auf eigene Truppen stieß.
Oberstleutnant pahsy gewann hiedurch die Gewißheit, daß ein
übermächtiger Gegner eine klaffende Bresche in die eigene Kampf-
linie geschlagen hatte. Ein weiteres Vorgehen der Russen mußte
in Kürze die beiden noch ruhenden steirischen Bataillone —- hinter
welchen sich keinerlei Truppen mehr befanden — treffen, die Nach-
Das k. u. k. steirische Infanterieregiment Graf v. Beck Nr. 127
schublinien schwer gefährden und für den Fall des Durchbrechens
der Divisionsfront unabsehbare Weiterungen für den ganzen Armee-
bereich zeitigen.
In richtiger Erkenntnis der äußerst kritischen Lage entschloß
sich Oberstleutnant pahsy auf eigene Verantwortung sogleich selbst
zum Angriffe überzugehen, um den Russen — nach dem Grund-
sätze, daß der Hieb die beste Parade ist — durch den Angriff zuvor-
zukommen.
Es wurde alarmiert und hierauf das Halbregiment in Gefechts-
formation zum Gegenangriff gegliedert. Meine Kompagnie, die 7.,
befand sich in der ersten Linie.
Zunächst wurde durch eine ausgedehnte, gänzlich unübersicht-
liche, ansteigende Laubwaldzone langsam vorgerückt.
Es war gegen 6 Uhr früh, als wir auf den anscheinend in
Schützendeckungen auf nächster Entfernung befindlichen Feind stießen.
Der Russe empfing die Kompagnie mit einem intensiven Feuer;
alles warf sich sofort nieder und suchte an Grt und Stelle, so
gut es eben ging, Deckung zu finden, um sogleich das Feuer zu
erwidern.
Die Feuerlinie der Kompagnie befand sich vornehmlich am
Rande einer Waldblöße, vom eingegrabenen Gegner überhöht,
und die stark mit Laubholz bewaldete, fast ebene Fläche hinter der
Schwarmlinie bildete den reinsten Kugelfang. Die Situation der
Kompagnie war somit die denkbar ungünstigste.
Ich deckte mich mit meinem getreuen, schneidigen Ordonnanz-
unteroffizier Korporal Karl Rath — so man von Deckung über-
haupt sprechen kann — hinter einem Gebüsch, knapp über mir pfiffen
und heulten die Infanteriegeschosse, neben mir schlugen sie in die
Grasflächen ein. Besonders auf die Nerven ging der Klang der
russischen Dumdumgeschosse, der leider vorherrschte.
Bald gab es verwundete. Überaus rühmenswert, aufopferungs-
vollst und wahrhaft bewunderungswürdig benahm sich die Sanitäts-
patrouille der Kompagnie, welche ungeachtet des in den Wald
prasselnden Feuers, das eine Annäherung an die Schwarmlinie nur
unter größter Lebensgefahr ermöglichte, unausgesetzt bemüht war,
verwundete zu verbinden, Schwerverwundete zu bergen.
Gegen W Uhr vormittags erhielt ich die mich auf das Tiefste
erschütternde Nachricht, dahinein hervorragendster Zugskommandant
Leunant i. d. R. Ferdinand Seiringer — der tapfere, ehemalige
Fahnenträger des Regiments in den blutigen Schlachten bei Lem-
berg und Grodek im Jahre — gefallen sei. vier Mann seines
Zuges, welche etwas vorkrochen, um in treuer Anhänglichkeit den
Leichnam des allbeliebten Offiziers und ausgezeichneten Menschen
zu bergen, erhielten Kopfschüsse und besiegelten ihren Opfermut
durch den Tod.
128
Frh. v. Vogelfang
Schon hieraus kann annähernd die Stärke des kurz nach Kampf-
beginn immer mehr zunehmenden Feuers ermessen werden, welches
bald eine Heftigkeit annahm, wie ich sie bisher in keinem Gefechte
mitgemacht hatte.
Bald kam auch die Meldung, daß mein zweiter Zugskommandant
Fähnrich i. d. R. Krumpholz verwundet sei, aber mit Rücksicht auf
das starke Feuer nicht zurück könne.
Die Zahl der verwundeten und 'Gefallenen nahm immer mehr
und mehr zu, der Gegner'war, begünstigt durch das Terrain, auf
100 stellenweise sogar auf 20 Schritte herangekommen.
Jetzt setzte auch schweres Artilleriefeuer, f8 ein Granaten, da-
mals das schwerste im Felde 'verwendete und gefürchtetste russische
Kaliber, ein.
So wurde es Abend, ohne daß das Feuer abnahm. Das Furcht-
barste aber war die Nacht und die wollte kein Ende nehmen.
Bis 3 Uhr 30 früh hatten die beiden tapferen Bataillone acht
Angriffe des übermächtigen Gegners abgewehrt. Der Gefechtslärm
überstieg alles bisher Dagewesene, die eigenen 8 Maschinengewehre
gaben so ziemlich den Ausschlag. Lin derart rasendes Maschinen-
gewehr- und Gewehrfeuer hatte ich bisher nicht für möglich ge-
halten, dazwischen das Dröhnen und Krachen der einschlagenden
J8 cm-Granaten.
Das Gräßlichste aber war das Jammern der verwundeten, das
Rufen jener Armen nach „Sanität", die, in der vordersten Linie ver-
wundet, sich des Feuers wegen nicht rühren durften, dazu die er-
schütternde Wahrnehmung, daß die Rufe „Sanität! Sanität!" immer
schwächer wurden, um schließlich mehr und mehr zu verstummen.
Der Tod hielt reiche Lrnte unter den tapferen, heldenmütigen
Steirern.
Ls war eine Hölle auf Lrden. Nach 3 Uhr 30 früh wurde
das Feuer geringer, um gegen ^ Uhr früh wieder stärker zu werden;
gegen 5 Uhr früh konnte das feindliche Feuer als ein orkanartiges,
rasendes bezeichnet werden.
Gegen H Uhr 30 früh wurde mein hervorragender Bataillons-
kommandant Hauptmann Meergans verwundet; ich lief zum Stand-
punkte des Bataillonskommandos, um dasselbe zu übernehmen.
Nach 3 Uhr früh hörte man, von links kommend, immer stärker
werdendes Kampf- und Sturmgeschrei der Russen, immer näher-
kommende, auch schon aus rückwärtiger Richtung hertönende
„Urrah"-Rufe.
Der Russe hatte augenscheinlich die links an mein Bataillon
anschließende Gefechtsfront eines Landwehr-Bataillons italienischer
Nationalität durchbrochen. Die Gefahr, abgeschnitten und gefangen
zu werden, war riesengroß, ein augenblickliches Zurückgehen die
einzig mögliche Rettung.
Das k. u k. steirische Infanterieregiment Graf v. Beck Nr. 129
Mit den bei mir befindlichen Leuten lief ich in der Richtung
nach Mlodiatyn durch den Wald, in welchen die russischen Geschosse
bereits gleich einem ¿jaget einschlugen.
Das nach dem Gefechte am ursprünglichen Rastplatz nächst
Mlodiatyn sich sammelnde Ljalbregiment ^7 bot einen herzzerreißen-
den Anblick. Nun erst ersah man die kolossalen Verluste, von zwei
Bataillonen verblieben nur gegen 200 Rkann, 50 o/o der Offiziere,
über 75 o/o der Mannschaft fehlten. Als ich die Reste meiner tapferen,
braven Kompagnie wiedersah, traten mir 'die Tränen in die Augen.
Doch auch die Verluste der Russen mußten derartige gewesen
sein, daß sie eine Verfolgung und ihren für die allgemeine Lage
so gefährlichen Vorstoß aufgaben, wobei hervorgehoben werden
muß, daß — wie sich später herausstellte — H russische Regimenter
uns entgegengestanden waren. Die Lage war somit gerettet, der
drohende Durchbruch der Armeefront dank dem Heldentum steirischer
Krieger, wenn auch unter ungeheuren Opfern, abgewehrt, die Um-
zingelung des tapferen kroatischen Regimentes Nr. \6 durch die
Russen unmöglich gemacht worden.
Kerchnawe, Im Felde unbesiegt. III.
9
Dis österreichisch - ungarische „Edelweiß" - Division
in der Durchbruchsschlacht bei Tarnow - Gorliee
am 2.—3. Mai 1915.
Von Oberst des Generalstabskorps Eduard Primavesi,
damals Oberstleutnant und Generalstabschef der 3. Infanterie-Division.
österreich-ungarische 4. Armee (Erzherzog Joses Ferdinand),
in deren Reihen die preußische H7. Reserve-Division stand,
hatte am \2. Dezember WH nach einer Woche harter Rümpfe die
Schlacht von Limanowa-Lapanow siegreich beendet. Rkit knapper
Not war das russische X. Korps am Südostflügel der Schlachtfront
der Umklammerung entgangen. Gefangene aus seinen Reihen er-
zählten davon, wobei sie den russischen Rorxssührer, General Orlow,
in Erinnerung seines Unglückes im russisch-japanischen Kriege, den
„mandschurischen Pechvogel" nannten. Als die Verfolgung eingestellt
wurde, standen linker Flügel und Mitte der H. Armee längs des
linken Dunajec-Ufers bis östlich Zakliczyn, ihnen gegenüber durch
den Fluß getrennt die Russen, während sich der rechte Flügel, scharf
gegen Südosten abgebogen, am rechten Ufer über die Ausläufer der
Karpathen südlich Tarnow erstreckte. Dann zog die Kampflinie der
Nachbararmeen weiter gegen Südosten, teils auf dem Gebirgskamme,
teils auf dessen hängen.
Das österreich-ungarische XIV. Korps (General der Infanterie
Roth von Limanowa-Lapanow) hatte jene Frontstrecke besetzt, die
durch den Dunajec geteilt wurde. Seine 3. Infanterie-Division, die
„Edelweiß-Division", stand seit Februar (9(2 am rechten User mit
dem linken Flügel am Flusse angelehnt, mit dem rechten auf der
Lsöhe Wal südlich Tarnow, welche Stadt in etwa 20 lein Entfernung
zu sehen war. Die russische Stellung lag auf dem gegenüberliegen-
den Lsöhenzuge in wechselnder Entfernung, am rechten Flügel näher
als am linken und gegenüber dem Wal stellenweise in der Tiefe.
Sie stieg dann an und umkreiste einen großen, spitzen Lsügel, der
den Namen „Zuckerhut" erhielt und in den späteren Kämpfen eine
wichtige Rolle spielen sollte.
In: Talgrunde zwischen den beiderseitigen Stellungen lagen
einige bewohnte Bauernhäuser, die von den Patrouillen beider Par-
teien häufig besucht und zum Schaden ihrer bedauernswerten Be-
wohner Schauplätze so mancher Patrouillenkämpfe wurden. Es war
überhaupt unerklärlich, wie diese armen Leute, die den ganzen Winter
Die österreichisch-ungarische „Ldelweiß"-Division bei Tarnow-Gorlice 131
über vollkommen abgeschnitten waren, ihr Leben fristen konnten,
denn ihr Hausrat minderte sich von Tag zu Tag und man konnte
häufig Bestandteile ihrer Einrichtung, wie landwirtschaftliche Ma-
schinen und Bettstellen, des Morgens auf einem Felde stehen sehen,
von wo sie in der nächsten Nacht weggeschleppt wurden und ver-
schwunden waren.
Im Abschnitte der Division befanden sich zwei kleine Dörfer,
Ianowice am linken Flügel, Wroblowice hinter der Mitte, jedes
mit einem der typischen galizischen „Herrenhäuser", von denen das
erstere vom Kommando des linken Abschnittes, das letztere vom
Divisions-Kommando belegt war.
Der Februar und März 1915 vergingen unter kleineren Stel-
lungskämxfen in verhältnismäßiger Ruhe und emsiger Arbeit in Eis
und Schnee des harten galizischen Winters, indessen im Südosten die
Kämpfe um die Karpathenübergänge von Lupkow und Dukla tobten.
Diese „Gsterschlacht" oder „Karxathenschlacht" endete um die Mitte
April mit dem Siege der Verbündeten und war die Grundlage für
die bereits geplante und nun unverzüglich ins Werk gesetzte Offen-
sive aus dem Raume Tarnow-Gorlice. Die Front wußte hievon
allerdings zunächst nichts und erst mit den Vorboten des Frühlings
drangen zu ihr Nachrichten, die sie mit froher Hoffnung erfüllten.
So hatte ein über Zakliczyn aus dem Hinterlande einrückender
Offizier starke Kolonnen deutscher Truppen, darunter die Garde,
gesehen; vom Korpskommando war ohne nähere Erklärung der
Befehl gekommen, den Unterkunftsraum des Divisions-Trains bis
auf einen kleinen Teil zu räumen und es war das jedem Soldaten
bekannte Gefühl zu spüren, daß „etwas in der Luft lag".
Um den 20. April erschien der Korpskommandant in wroblo-
wice und gab dem Divisionskommando kurz bekannt, daß eine deutsche
, Armee unter Generalfeldmarschall von Mackensen über Gorlice und
das XIV. Korps über Tarnow am Mai angreifen werden. Den
linken Abschnitt der 3. Division werde die 8. Division übernehmen,
rechts der dritten werden die f06. Landsturm-Division und die
f0. Infanterie-Division, beide des österreich-ungarischen IX. Korps,
vorbrechen.
Die 3. Division erhielt die Aufgabe: „Die russische Stellung
zu durchbrechen und in der Richtung auf Tarnow vorzudringen."
Einige Daten über Artillerie und herzustellende Dunajec-Brücken
gaben alles, was für das Divisionskommando zunächst zu wissen
nötig war.
Jedermann, dem es beschieden war, den Weltkrieg vom An-
fange bis zum Ende mitzumachen, wird in Erinnerung sein, welche
Wandlung und Entwickelung die Angriffs- bzw. Durchbruchstechnik
durchmachte und er wird sich nicht wundern, daß bei dieser in
ihren Folgen so bedeutenden Kampfhandlung ein verfahren an-
gewendet wurde, das im vergleiche zu den Angriffsvorbereitungen
9*
132
ssrimavesi
und Kampfmitteln der späteren Kriegsjahre sozusagen in den Kinder-
schuhen steckte.
Für den Durchbruch wurde in unserem Abschnitte als taktisch
günstigster Teil der feindlichen Front jener gewählt, der gegenüber
und rechts des Wal gelegen war. Dort waren die beiderseitigen
Stellungen am nächsten, ^00—1(000 Schritt entfernt, Wald und
Gestrüpp ermöglichten größtenteils verdeckte Annäherung, die feind-
liche Linie war deutlich sichtbar und bot ein gutes Artillerieziel;
fiel der „Zuckerhut", der im Linbruchsraum gelegen war, in unsere
Sand, dann war ein Aufrollen der feindlichen Front nach beiden
Seiten durchführbar. Auch die zweite feindliche Stellung, die auf
der flachen, etwa 2 km entfernten Höhe 18s festgestellt war, konnte
günstig beschossen, der Raum bis dahin unter eigenem Feuer gehalten
und auf dem Verbindungsrücken vom Wal zur genannten Höhe
durchschritten werden.
Das Divisionskommando entschloß sich daher, den Angriff auf
die russische Stellung am „Zuckerhut" und die daran anschließenden
Teile anzusetzen. Die geschilderten Verhältnisse wären sogar für
einen Überfall günstig gewesen und ein solcher wurde ernsthaft in
Erwägung gezogen. Da aber die wichtigste Vorbedingung für sein
Gelingen, die Überraschung der Russen war und diese durch das auf
die übrigen Abschnitte der ganzen weiten Angriffsfront einsetzende
Artilleriefeuer ohnehin alarmiert sein mußten, wurde dieser Plan
fallen gelassen und der systematische Angriff vorbereitet.
Zur Verfügung standen das oberösterreichische Infanterie-Regi-
ment Nr. (Großherzog von Hessen), das Salzburger Infanterie-
Regiment Nr. 59 (Erzherzog Rainer) und das 2. Regiment der
Tiroler Kaiserjäger, jedes zu ^ Bataillonen, zusammen \2 Ba-
taillone. Sie zählten zu den besten der österreich-ungarischen Armee
und hatten in den schweren Kämpfen des Jahres WH rühmlichste
Waffentaten vollbracht; auf ihre Stammangehörigen war voll zu
rechnen. Leider waren auf Befehl des Armeeoberkommandos kurz
vorher in die Reihen des tapferen Infanterie-Regiments 59 mehrere
Hunderte Angehörige des wegen Unverläßlichkeit und verrätereien
aufgelösten tschechischen Infanterie-Regiments Nr. 36 eingeteilt
worden, die man durch diese Rkaßregel unschädlich zu machen hoffte.
Wie verfehlt dies war und welche üblen Folgen dies hatte, sollten
leider die Ereignisse beweisen.
An Artillerie waren 72 Geschütze vorhanden. Schon der Um-
stand, daß darunter 46 Feldkanonen und nur ein 30,5 ein Rkörser,
zwei 2\ cm Rkörser, zwölf (5 cm Haubitzen, der Rest (0 cm Feld-
haubitzen und \2 cm Belagerungskanonen waren,, läßt erkennen,
daß.Anzahl, Gattung und Kaliber der Angriffsartillerie weit hinter
jenen Anforderungen zurückblieben, die spätere Kriegserfahrung für
einen, in einem Divisionsabschnitte anzusetzenden Durchbruch als an-
gemessen erachtete. Trötzdem war es für österreich-ungarische
Die österreichisch-ungarische ,, Edelweiß "-Division bei Tarnow-Gorlice 1ZZ
Verhältnisse — wir hatten immer bescheiden sein müssen — der da-
maligen Zeit eine sehr ansehnliche Artilleriemasse.
Das damalige Angriffsverfahren bestand in einer mehrstündigen
Artilleriebeschießung des zum Durchbruche gewählten feindlichen
Frontteiles, wodurch man die Zerstörung der Drahthindernisse und
die Vernichtung oder moralische Erschütterung der Besatzung er-
hoffte. Eine gleichzeitige oder anschließende Beschießung der rück-
wärtigen, feindlichen Verteidigungslinien sollte das Vorgehen von
Reserven verhindern. Es war dem Divisionskommando bekannt, daß
in früheren Rümpfen durch das jeweils aufgewendete Artillerie-
feuer die Drahtverhaue nicht derart beschädigt wurden, daß die
stürmende Infanterie den weg frei gefunden hätte. Da leistungs-
fähige Rtinenwerfer damals in der Ausrüstung noch nicht vorhanden
waren, mußten Pioniere oder Sappeure in einer pause des Ar-
tilleriefeuers vorkriechen und durch Sprengladungen, die an Stangen
befestigt unter das Drahthindernis geschoben wurden, das letztere
zerstören, viele dieser Tapferen fanden hiebei den Tod, so manche
Sprengladung zündete nicht, das Verfahren war von zweifelhaftem
Erfolge, aber man kannte eben noch nichts Besseres.
Eine sorgfältige Erkundung der feindlichen Linien, der Ar-
tilleriestellungen, der Beobachtungsstände, der Standorte der höheren
Rommandos und der Reserven durch Fliegerphotographie, Schall-
meßtrupps und Abhorchapparate und die darauf gegründete plan-
mäßige Beschießung, wie sie in den folgenden Jahren mit so aus-
gezeichnetem Erfolge aufgeführt wurde, war noch nicht eingeführt
und da man auch noch keine Gasgranaten besaß, war das Un-
schädlichmachen der feindlichen Batterien, deren genaue Stellung
in den allermeisten Fällen unbekannt war, so gut wie unmöglich.
Aus dem gleichen Grunde entfiel auch die Vergasung feindlicher
Sammelräume, Reservestellungen und Anmarschwege. Ein Streu-
feuer gegen diese meist höchst unsicher ermittelten Ziele war alles,
was unternommen werden konnte und auch dieses nur dann, wenn
sich eben Batterien für diese Aufgaben verfügbar machen ließen,
was bei der zahlenmäßigen Schwäche unserer Artillerie nicht eben
allzu häufig war.
So trat denn die 3. Division mit den geschilderten Mitteln an
die große Aufgabe heran, voll Rampflust, der Wichtigkeit der
Sache bewußt und voll vertrauen zu ihrem kriegserprobten Rom-
mandanten, dem Feldmarschalleutnant Ernst von bsorsetzky.
Der linke Flügelabschnitt der Division, in dem seit Februar eine
bsonved-Ravallerie-Brigade stand, war am 27. und 28. April durch
die österreich-ungarische 8. Infanterie-Division mit ihren drei Ti-
roler-Raiserjäger-Regimentern besetzt worden. Sie sollten den in
dem Winkel zwischen Dunajec und der eigenen Stellung gelegenen
Teil der russischen Stellung nehmen. Nach rechts erstreckte sich der
Angriffsraum der 8. Division ungefähr bis zum Jägerhaus 412 in
134
Primavefi
der russischen Stellung, zu dem ein Fahrweg aus dem Dorfe Za-
nowice über den Talgrund hinführte.
Der Beginn der Artillerievorbereitung und der Zeitpunkt des
Sturmes war durch einen Befehl der ff. Armee (Generalfeldmarschall
von Mackensen) für alle angreifenden Divisionen einheitlich für den
Mai festgesetzt worden. Später wurde eine Verschiebung um
einen Tag verfügt, so daß das Artilleriefeuer am h Mai um
ff Uhr nachts beginnen und bis l. Uhr vormittags des 2. Mai mit
steigender Heftigkeit währen sollte. Dann war eine Pause von zwei
Stunden für das Sprengen der Hindernisse vorgesehen und die Fort-
setzung des Feuers von 3—5 Uhr vormittags, die letzte Stunde auf
die zweite russische Stellung. Der Sturm war für 4! Uhr vormittags
befohlen.
Ls wurde erzählt, daß Mackensen auf die Frage, an welchem
Tage er angreifen werde, erwidert habe: „Sobald ich fertig bin."
Diese Antwort gefiel uns und erhöhte unsere Zuversicht.
Zn der Nacht vom 2. zum 3. Mai hatten die Regimenter der
Division ihre Angriffsgrupxierung vorgenommen. Als Stoßgruppe
am Wal und auf dessen rechtsseitigem Bange drei Bataillone Kaiser-
jäger mit dem 3. Bataillon, Major Baron Walterskirchen, am
rechten Flügel; hinter letzterem ein Bataillon 59 er, Major Lehmann.
Diese beiden Bataillone hatten den „Zuckerhut" zu nehmen. Weiter
rückwärts standen ein Bataillon Kaiserjäger als Regiments-Reserve
und drei Bataillone 59 er als Divisions-Reserve. An die Kaiserjäger
links anschließend stand das Infanterie-Regiment fl mit drei Ba-
taillonen in erster Linie und ein Bataillon in Regiments-Reserve.
Die eigenen Drahthindernisse wurden nach Eintritt der Dunkel-
heit vorsichtig an mehreren Stellen durchschnitten, so daß die Truppen
durchpassieren konnten. Unter dem eigenen Artilleriefeuer, das um
fl. Uhr nachts begonnen hatte, rückten sie nun vor das Hindernis
und gegen die russische Linie solange vor, als sie nicht selbst ge-
fährdet wurden. Zn der Feuerpause von f—3 Uhr vormittags sollten
die feindlichen Hindernisse gesprengt werden. Die tapferen Pioniere
taten ihr Bestes, aber an mehreren Stellen, so beim Infanterien
Regiment (4! und vor dem linken Flügel der Kaiserjäger gelang das
Unternehmen nicht, die stürmenden Kompagnien konnten nicht ein-
dringen, nachdem sie tollkühn, aber erfolglos, versucht hatten, das
Hindernis zu überklettern. Dagegen glückten die Sprengungen am
Zuckerhut und mit stürmender Hand nahmen die Bataillone Wal-
terskirchen und Lehmann zwischen 4 und 5 Uhr vormittags diesen
feindlichen Stützpunkt. Wütende Gegenangriffe der Russen setzten
ein, begleitet von heftigstem Artilleriefeuer, aber er blieb in un-
serem Besitze und es schien, als ob in den späteren Vormittagsstunden
im Kampf um ihn eine Gefechtspause eingetreten wäre. Allerdings
war auch ein Vordringen von dort zunächst unmöglich, vom Ge-
fechtsstandpunkte des Divisionskommandos waren am diesseitigen
Die österreichisch-ungarische „Ldelweiß"-Division bei Tarnow-Gorlice 135
Hange Gruppen von Kaiserjägern und 5Zern zu sehen, die sich
in Granatlöchern und im früher russischen Schützengraben gedeckt
hatten, während der gegenseitige Hang der eigenen Sicht entzogen
war.
Es war etwa \\ Uhr vormittags, als man bemerkte, wie in
diese Gruppen Bewegung kam. Auf der Spitze des Zuckerhutes er-
schien plötzlich ein russischer Offizier mit erhobenem Säbel, gefolgt
von stürmenden Russen. Handgemenge, Schießen, Hin- und Her-
wogen des Kampfes, im genommenen Schützengraben treffen sich
Kämpfer beider Parteien, über den Höhenrand strömen beständig
Feinde nach und drängen die Unseren zurück, da — ein furchtbarer
Anblick — man sieht österreichische Soldaten bergauf den Russen ent-
gegengehen mit erhobenen Händen!
Der Zuckerhut war verloren!
Aber unsere Artillerie war wachsam. Kaum hatte der russische
Überfall begonnen, als auch schon rotweiße Schrapnellwolken hinter
dem Höhenkamme emporstiegen und als sich die vorhin erwähnte
Episode abspielte, sauste die volle Macht unseres Feuers auf die
Russen und ihre freiwillig Gefangenen nieder. Russen und Öster-
reicher suchen gemeinsam Deckung in Granaten- und Bombenlöchern
und der umstrittene Hügel wird leer von Liebenden. Er blieb es
auch, denn jeder weitere versuch von uns oder dem Feinde, auf ihn
Fuß zu fassen, wurde durch wütendes Artilleriefeuer der Russen oder
der Österreicher vereitelt.
Ls stellte sich bald heraus, daß die in das Regiment 59 ein-
gereihten Tschechen des aufgelösten Regiments 36 den Verlust der
eroberten Stellung verursacht hatten. Wurde nun auch sofort das
Rainer Regiment von diesen Verrätern gereinigt, so war doch damit
der schon errungene Erfolg des Tages wieder verloren gegangen.
' Es blieb nichts anderes übrig, als in der Nacht zum 3. Mai nach
kurzer Artillerievorbereitung den Sturm zu wiederholen. Die beiden
linken Bataillone Kaiserjäger und der rechte Flügel der l^er hatten
sich während der Nacht bis nahe zum russischen Hindernis heran-
gearbeitet, eine neuerliche Sprengung gelang, das Mittel-Bataillon
Kaiserjäger unter Major Baron Tordier brach um Uhr vor-
mittags in die feindliche Stellung ein, ihm schlossen sich das linke
Bataillon Kaiserjäger und das rechte der l^er an, gleichzeitig nahmen
die 59 er, die sich an den Hängen des Zuckerhutes eingenistet hatten,
diesen wieder in Besitz. Alle diese Gruppen stürmen weiter gegen
die russische zweite Stellung auf Höhe $8\ und nehmen sie, während
der Rest des Regiments die russische Stellung nach links aufrollte,
um der schwer kämpfenden 8. Division vorwärts zu helfen. Auch
jetzt kamen starke Gegenangriffe, besonders gegen den linken Flügel
der ^er, die noch eine Höhe mit einem Bildbaum nahmen. Aber
weiter reicht auch die Kraft dieses hervorragenden Regiments nicht.
136
Primavefi
Das Jägerhaus ^2 fiel erst am kampflos in die Hände der
8. Division.
Der Erfolg des 3. Alai war bei der 3. Division ein schöner,
wenn ihm auch eine operative Auswertung durch die hartnäckigen
und verlustreichen Kämpfe vorderhand versagt blieb, während
die rechte Nachbar-Division, die f06. Landsturm-Division wesentlich
leichtere Kämpfe dadurch hatte, weil auf ihren Gegner der Erfolg
Alackensens bei Gorlice unmittelbar einwirkte, leistete der vor der
3. und 8. Division stehende Feind echt russischen, zähen Widerstand.
Offenbar endete vor der I0(>. Division die Front jener russischen
Armee, die bei 'Gorlice geschlagen wurde und die den Kampfplatz
verließ, bevor die vor der 3. und 8. Division und längs des Dunajec
stehende das Feld räumen mußte. Ein schwieriges Waldgelände hatte
die 106. Division gehindert, gegen den Rücken der vor der 3. Di-
vision fechtenden Russen einzugreifen.
Die weiteren Ereignisse bewiesen auch, wie stark der russische
Westflügel war und wie fest er hatte halten müssen, sollte nicht die
Niederlage der Armee Radko Dimitriews noch größer werden. Die
Verfolgung durch die 3. Division bis an den San erfolgte unter
heftigen Kämpfen, von denen die Gefechte um die Höhe Gorskie,
dann bei Ropczyce und Debica besonders erbittert waren.
Der Durchbruch der 3. Division südlich Tarnow war ein Teilakt
der großen siegreichen Schlacht von Gorlice-Tarnow, durch welche
der Feldzug im Osten endgültig seine entscheidende Wendung erhielt.
Alit zwölf alxenländischen, fast durchwegs kerndeutschen Bataillonen
und verhältnismäßig schwacher Artillerie war an dieser Stelle ge-
leistet worden, was möglich war. Die Angriffsmittel waren unzu-
länglich und das Angriffsverfahren stand noch nicht auf jener Höhe,
wie gegen ähnlich ausgebaute feindliche Stellungen bei späteren Ak-
tionen. Aber die 3. Division hatte alles erfüllt, was man von ihr
hatte erwarten können.
Der Durchbruch bei Gorlics-Tarnotv.
Von Generaloberst Arthur Baron Arz v. Straußenberg,
damals Kommandant des 6. Korps.
etürzende Kreuze, verfallende Gräber kennzeichnen die Stätten,
an denen vor noch kurzer Zeit die Söhne aller Länder der
verbündeten Reiche gekämpft und geblutet haben, wo Melden ge-
fallen sind in treuer Erfüllung ihrer beschworenen Pflicht.
Des Lebens Alltag, die Hast und die Not der Gegenwart läßt
wenig Rtuße für die Erinnerung an vergangenes, besonders in
einer Zeit, in der alles Bestandene als schlecht negiert, alle Ein-
richtungen, die die Völker zum Reiche geeint, als verfehlt bezeichnet
und die Maßnahmen zum Schutze derselben verurteilt werden.
Doch diese Schlagworte können uns nicht irremachen; der Geist,
der uns geeint, der uns mit unseren Bundesgenossen siegreich über alle
Schlachtfelder geführt, läßt uns die bewunderungswürdigen Taten,
die die Armeen im schwierigen Ringen durch vier Jahre gegen eine
Welt von Feinden vollbrachten, nicht vergessen — sie werden fort-
leben von Generation zu Generation.
Alle Völker des in Trümmer zerfallenen Reiches haben Anteil
daran, die Erinnerung an die Heldentaten ihrer Söhne wird niemals
erlöschen.
, Im Sinne der in der ehrwürdigen alten Armee stets hoch-
gehaltenen Tradition kann der Tag des Beginnes einer der be-
deutendsten Operationen gegen Rußlands Riesenmacht — der Tag
von Gorlice-Tarnow — nicht unbeachtet bleiben, war doch dieser
Ausgangspunkt für die gewaltige Offensive, den Siegeszug Rlacken-
sens durch Galizien und Polen — ein Wendepunkt irrt Kriege gegen
das übermächtige Zarenreich.
Zn aller Stille, ohne Aufsehen wurden Österreich-Ungarns
Streitkräfte in Rtittelgalizien umgruppiert — das 6. Korps in
seinem Stellungsraume zusammengeschoben; rechts davon hinter
Gorlice das U. deutsche Reservekorps unter General der Infanterie
v. Francois, das in Ostpreußen ruhmvoll gekämpft, links vom
6. Korps die prächtigen Regimenter des Gardekorps unter Ge-
neral der Infanterie v. Plettenberg hinter Staszkowka — nördlich
davon die österreich-ungarische Armee.
vor dem 6. Korps liegt — zum mächtigen Hauptstützpunkt
ausgebaut — der steil aufsteigende, alles überragende Pusztki-Berg.
v. Arz
138
Durch überwältigendes Feuer zahlloser Geschütze aller Kaliber in
Staub und Rauch gehüllt, verschwindet er bald den Blicken der
Beobachter, die zeitlich früh den Gefechtsstand bezogen — spannend
erwarten diese den Schlag der JO. Vormittagsstunde, zu der die in
den Sturmstellungen gedeckt liegende Infanterie zum Sturme vor-
brechen soll.
Zielbewußte Feuerleitung verlegt zur Stunde das Feuer nach
rückwärts — Rauch und Staub heben sich und das Bild der in
Trümmer gelegten Stellung hält den Blick gefangen — Tod und
Sterben, so weit er reicht.
Im feindlichen Artilleriefeuer arbeiten sich unsere Truppen der
{2. Division an den Hang des Pusztki-Berges hinauf —, während
links der \2. die Regimenter der 39. Honved-Division zum Sturme
gegen die Wiatrowki-Höhe ansetzen. Schlesier und Mährer, Polen
und Ruthenen dringen stürmend in die Stellungen ein, im blutigen
Handgemenge dieselben erobernd und behauptend, allen voran Re-
giment 58 und ^00 unter ihrem tapferen Brigadier Generalmajor
v. Rietz; südlich davon durchbrechen Francois* sturmerprobte Reserve-
Regimenter die Gorlice-Stellungen, indes die Melden der Garden
Staszkowka erobern. Gehobenen Gefühles verfolgt das 6. Korps-
kommando das siegreiche Vordringen seiner tapferen Truppen —
doch welch plötzliche Wandlung! Bereits in die Gräben Einge-
drungene scheinen wieder hinausgeworfen — bald rollen ganze
Schwärme den Hang herunter, ein Rückschlag schien alle errungenen
Erfolge zunichte zu machen.
Die Zahl der als geworfen Erscheinenden wächst — bald ist
sie größer als die der Eingedrungenen und wächst immer mehr —
da klärt sich die Lage — die Herbeieilenden sind — Russen; die
ganze Besatzung, soweit sie noch am Leben geblieben, gerät in Ge-
fangenschaft — bald zählen diese nach Tausenden.
Den Gipfel der Höhe überschreitend, nimmt die \2. Division,
Feldmarschalleutnant Krestanek, die Verfolgung auf — mit dem
rechten Flügel einschwenkend und dem beim Kamienec-Wald in
Flankenfeuer geratenen Flügel des deutschen Reservekorps Luft
machend. Nun hat auch die 39- Division, Feldmarschalleutnant
Hadfy, die Höhe in Besitz und folgt im Anschlüsse der siegreich
vorstürmenden Garde.
Am Abende des 2. Mai haben, die verbündeten Truppen die
ganze russische Front in westgalizickn von nahe der ungarischen
Grenze bis zur Mündung des Dunajec in die Weichsel durchbrochen;
Hunderttausende von Gefangenen und eine unermeßliche Beute fielen
in ihre Hände.
Die österreichische \2. Division hatte den Schlüssel der feind-
lichen Stellung — den Pusztki-Berg —, die ungarische 39- Division
die anschließende Höhe erobert; das deutsche Reservekops das Tor
zum Vormärsche bei Gorlice geöffnet, die Garde die feste wand
Der Durchbruch bei Gorlice-Tarnow
139
bei Staszkowka durchbrochen — der Weg zum siegreichen Vor-
märsche war frei. Energische Verfolgung führte nun zur Rück-
eroberung przemysls und zur Befreiung Lembergs.
Volle Bewunderung müssen wir dem kühnen Schöpfer des
großzügigen Planes zollen, höchste Anerkennung aber auch der mit
der Durchführung des herrlichen Planes betrauten Leitung nicht
versagen, die in reichlichster weise alles für die den Erfolg sichernde
Vorbereitung der Offensive beschafft und zugewiesen, alles bedacht
und erwogen hat, um Verteilung der Kraft und Einklang zu ge-
währleisten.
Alles aber überbot die Tapferkeit und der Heldenmut der
Truppen, die den Angriff zu führen hatten.
Ich war Augenzeuge, mit welchem Todesmute, mit welcher
Tollkühnheit dieselben immer wieder zum Sturm ansetzten, wie un-
ermüdlich die Artillerie die vordringende Infanterie unterstützte,,,
wie technische Truppen sich mühten, den Sturmkolonnen den weg
zu bahnen, wie Flieger die feindliche Artillerie schädigten.
Ich habe dieselben Truppen — fünf mährische, schlesische, pol-
nische und vier oberungarische Regimenter — durch vier Monate
an der Seite der besten Truppen der Welt im Zuge Mackensens
durch Galizien und Polen geführt —, ihre Zähigkeit, Ausdauer,
ihre Tapferkeit und ihr Heldenmut waren stets über jedes Lob er-
haben —, der Erfolg krönte ihre Ausdauer und Kampfesfreude
und die Anerkennung des ruhmgekrönten Feldmarschalls belohnte
ihre zum Siege beitragende Haltung.
Der Geist, der diese braven Regimenter im Siegeszug von
Gorlice bis Brest-Litowsk zu bewunderungswerten Leistungen be-
fähigte, beseelte dieselben auch im weiteren verlaufe des Krieges
— bis ihnen der in Trümmer stürzende Staat die Waffen aus der
,Hand schlug.
Am Tage von Gorlice-Tarnow aber wollen wir stets all der
Helden gedenken, die dort gekämpft und geblutet haben, und jener,
die dort auf dem Felde der Ehre gefallen sind!
Das LandesschützenrsgimenL Nr. I
ln der 2. ^ZsonzoschlachL.
Von Oberstleutnant Ferdinand von Lützow,
damals Lauptmann und Kommandant des HI. Bataillons.
-^^wischen Görz und dem Nordufer des Adriatischen Meeres senkt
sich der Karst zur Ebene herab. Dessen westlichen Ausläufer
bildet die Hochfläche von Doberdo. Im Norden und Westen um-
zieht sie der Bogen des Isonzo, die tiefe Furche des vallonetal
grenzt sie östlich ab. Der 275 in hohe Monte Ban Michele im
Norden, der nur U8 in hohe Monte sei Bussi am Büdwestrande
der Hochfläche waren die wichtigsten Klippen, an welchen die feind-
lichen Angriffe zerschellten.
Lin furchtbares Kampffeld. Den Felsboden hat das Wasser
in vieltausendjähriger Arbeit gehöhlt. Line Unzahl mehr oder we-
niger seichter Vertiefungen, dort Dolmen genannt, ist so entstanden.
In diese Dolmen, von meist runder Form und wechselnder Größe,
hat der rasende Karstwind, die Bora, alle Lrdstäubchen gefegt, sie
so zum einzigen hier fruchtbringenden Boden gestaltet. Line An-
zahl solcher Dolmen stellt den Feldbesitz eines Karstbauern dar, und
er pflegt ihn mit aus Klaubsteinen geschichtetem niederem Mauer-
werk abzugrenzen. Die Hochfläche bietet sich dem Auge als ein weites
mit Geröll, Felsen und Trümmerwerk besätes, nahezu xflanzenloses
Gefilde dar, das im Winter von den eiskalten Borastürmen heim-
gesucht wurde und auf das im Bommer die Bonne mit fast tropischer
Glut vom heiteren Himmel brannte. Überpulvert vom gelben pikrin,
wie es sich nach späteren Kämpfen zeigte, schien dies Kampffeld eher
einem fremden Gestirne, wie dieser Lrde anzugehören. Zwischen
den beiderseitigen Stellungen lagen nach dem wilden Hin und Her
der Kämpfe Massen unbeerdigter Leichen, die, in der Hitze rasch
zerfließend, die Luft bis zur Unerträglichkeit verpesteten. Myriaden
von Aasfliegen bedeckten alle Btellen menschlichen Aufenthaltes.
Die k. u. k. Truppen, welche hier zwar kampferprobt, aber
durch die im Norden bestandenen schweren Kämpfe schon in ihren
Beständen geschwächt, den Hauxtangriff des frischen, bis zur Voll-
kommenheit ausgerüsteten italienischen Heeres abzuwehren hatten,
waren dem neuen Gegner der Monarchie der Zahl nach in der
fachen Minderheit. Noch ein Übelstand trat hinzu. Der unge-
heuren vom Italiener aufgestellten Artilleriemasse, welche den Mu-
Das Landesschützenregiment Nr. I in der 2. Isonzoschlacht
141
nitionsaufwand bis zur Vergeudung trieb, konnte von österreich-
ungarischer Seite weder Geschütze noch Munition in genügender
Menge gegenübergestellt werden.
Die bewährte österreich-ungarische Infanterie war gewohnt,
den Feind auch dann entschlossen anzufallen, wenn ihr hiebei die
Artillerie nur im geringen Maße ihre Unterstützung gewähren
konnte. Gegen diese Infanterie brandete die Sturmflut der feind-
lichen Lseeresmassen und während diesen eine Artillerie zur Seite
stand, die machtvoll das weite Kampffeld beherrschte, hatten unsere
Fußtruppen nahezu die ganze Last des mörderischen Ringens allein
zu tragen.
Die Karstschlachten waren Zerreibungs- und Zermürbungs-
schlachten. So wenig es auch bei Anlage dieser Großangriffe an
operativen Zielen fehlte, so war doch der vom Gegner erreichte
Bodengewinn stets so gering, daß seine Absichten selten den Kämp-
fenden in merkbare Erscheinung traten, während die italienische
Lseeresleitung auf ihren einzigen Kriegsschauplatz immer frische
Truppen werfen konnte, war es unserer mit der bsauptkraft an
den Norden gebundenen Lseeresleitung nicht Möglich, einen Aus-
tausch der am Isonzo kämpfenden Truppen herbeizuführen. So
waren es hier immer dieselben, die bis zur vollsten Erschöpfung
rangen, damit die abgekämpften verbände Zeit zu notdürftiger Auf-
füllung gewannen. Aber der heiße Wirbel der Karstschlachten ge-
stattete oft nicht einmal diesen Wechsel und dann mußten die zu-
sammengeschossenen Truppenkörxer mit ihren letzten schwachen Be-
ständen neuerlich in die Schlacht geworfen, das Unheil eines feind-
lichen Durchbruches bannen helfen.
Bei den feindlichen Großangriffen erlagen die in den vordersten
Stellungen befindlichen Teile unserer Truppen meist dem geg-
, nerischen Zerstörungsfeuer. Die kleinen Gefechtsgruxpen, welche
der verheerenden Wirkung des feindlichen Massenfeuers entgingen,
vermochten den Einbruch der in gewaltiger Tiefe gestaffelte^ italie-
nischen Infanterie nicht mehr zu verhindern. Kraftvolle Gegen-'
stöße der eigenen Reserven warfen den Gegner wieder in seine
Stellungen zurück, war dies gelungen und damit die Lage wieder
hergestellt, dann wurde nach Einbruch der Dämmerung die vorderste
Stellung in der alten weise neu besetzt. Meist wiederholte sich schon
am nächsten oder übernächsten Tage das alte Spiel. Bei solcher
Kamxfweise war ein Regiment rasch aufgebraucht. Bei den furcht-
baren Blutopfern, die dieser Felsboden, auf dem sich die Granat-
wirkung vervielfachte, forderte, war es oft nicht möglich, die Re-
gimenter rechtzeitig aus der Schlacht zu ziehen und sie durch neue
zu ersetzen. So blieb denn oft ein Regiment auf der Hochfläche bis
es 80 von l.00 seines Standes eingebüßt hatte. Für solche Truppen-
körxer wurde nun die Hochfläche zu einer Stätte sicherer grauen-
voller Vernichtung, von welcher kein weg für Lebende mehr zu
142
Lützow
führen schien. In nicht zu langer Zeit brach dort der Mensch seelisch
und körperlich zusammen. Manche packte der Wahnsinn. So konnte
ich zwei Mann des slovakischen Infanterie-Regiments 72 beobachten,
die so lange jenen Stellen, an welchen schwere Granaten einschlugen,
zuliefen, bis sie selbst zerschmettert wurden. Gin auf den ksilfsplatz
gebrachter Fähnrich des gleichen Regimentes sagte stundenlang vor
sich hin: „4;. Korps vernichtet, 5. Korps vernichtet,........" und
fing nach einer beliebigen erreichten Zahl die Aufzählung von vorne
wieder an.
Die k. u. k. Truppen hatten bei Ausbruch des Krieges mit
Italien am Rande der Hochfläche nur Stellungen der flüchtigsten
Art innegehabt. Als das Massenfeuer der feindlichen Artillerie diese
zerschlug, die Wucht des italienischen Infanterieangriffes mit immer
wiederholten Stößen die Verteidiger auf die Hochfläche selbst zurück-
drängte, fanden diese keine weiteren vorbereiteten Stellungen mehr
vor. Schutz gegen das unaufhörlich sich entladende Ungewitter des
feindlichen Geschützfeuers konnte nur noch notdürftig an den Rän-
dern der Dolmen, hinter splitterndem Fels und schon halb zer-
schlagenen Feldmauern gefunden werden. Die Verteidigungslinie
entbehrte des festen Zusammenhanges. Die starken Verluste —
800—1200 Mann an schweren Kampftagen bei einer einzigen Bri-
gade — machten das Einsetzen immer neuer verbände erforderlich;
diese vermischten sich in der Kampfzone, ohne daß es gelang, eine
einheitliche Ordnung in Bälde herzustellen. So kamen ganze Kampf-
gruppen von ihren Truppenkörpern ab und vermochten oft tage-
lang nicht die Verbindung mit denselben herzustellen, wie ehedem
das Wasser, so schien nun auch die Truppe in den Dolmen zu
versickern, in deren Labyrinth sie sich vereinzelte, so daß viele kleine
Gefechtsgruppen sich bildeten, deren Gefühl der Unsicherheit in dem
Maße wuchs, in dem sie sich abgetrennt und verlassen sahen. Jeder
dieser Teile kämpfte mehr oder weniger auf eigene Faust, wußte
wenig oder nichts von allen sonstigen Vorgängen, klammerte sich
todesmutig an das Fleckchen Erde an, das ihm anvertraut war.
Die Hochfläche wurde Tag und Nacht von Geschossen jeder
Art überfegt. Zur Nachtzeit machten die vereinzelten Schüsse der geg-
nerischen Infanterie plötzlich aufloderndes Abwehrfeuer, Feuerübsr-
fälle und das Störungsfeuer der italienischen Artillerie, das Leben
gleich unsicher wie am Tage. Die wichtigeren Zugangswege be-
fanden sich an den Kampftagen ständig unter der Einwirkung des
feindlichen Feuers. Die italienische Feldartillerie wob über diesen
wegen langgestreckte Baldachine aus Hunderten weißer Spreng-
wolken, aus welchen Feuer sprühte und Eisen sausend herabschlug.
Jeder, noch so schwach ausgetretene Pfad wurde vom Gegner be-
obachtet, mit dem Maschinengewehr abgestreut, jeder Dolinenrand
wurde von einem solchen beherrscht. In Nächten, wo dieses Feuer
erbarmungslos auf unseren Stellungen lag, vermochten die Mu-
nitions- und verpflegstragtiere die Truppe nicht zu erreichen. Ge-
Das Landesschützenregiment Nr. I in der 2. Isonzoschlacht
143
wehrmunition hatte man ja immer genügend, aber mit der Ver-
pflegung blieb auch der Kaffee und das Wasser aus. zeigte
der Wärmemesser zur Mittagszeit, in allen Kehlen brennt der Durst
und nun kein Tropfen Flüssigkeit bis zur nächsten Nacht, — und
ob in jener? Gelangten die Tragtiere zur Truppe, so war die Auf-
teilung höchst schwierig. In dem Gewirr der Dolinen, Mauern,
Trümmer, sich kreuzender Pfade, war mancher Truppenteil nicht
auffindbar. Dessen Leute griffen dann zu den Fleischbüchsen, deren
stark gewürzter Inhalt, kalt genossen, Magenkrämpfe und Durchfall
erzeugte, den Durst aber bis zu Wahnvorstellungen reizte. Dann
brachte sich der am stärksten Gepeinigte zum Opfer und suchte mit
den am Leibriemen aufgereihten Feldflaschen seiner Kameraden zum
Orte Doberdo zu gelangen, wo sich wassergefüllte Fässer befanden,
wenige dieser Melden kehrten mit dem ersehnten Naß zurück. Beim
Überschreiten der Dolinenränder wurden sie die Beute lauernder
Maschinengewehre, die durchsiebten Leiber rollten herab und bil-
deten einen warnenden wall, den der Nächste achtlos überstieg.
Nur Wasser! Lieber den Tod als die entsetzliche (Qual. Die Mann-
schaft verbrachte die endlosen Tage und Nächte hinter den sie nur,
wenig schützenden, von der Natur gegebenen Deckungen entweder in
nervenaufreibender Erwartung der schweren einfallenden Geschosse
oder, wenn diese Gefahr wich, im dumpfen Dahinbrüten, dem sie
nur der Ansturm des Feindes entriß. Je reicher der Tod bei ihnen
seine furchtbare Ernte hielt, desto mehr fraß sich in die Gehirne der
Leute der Gedanke ein, daß außer durch Tod oder Verwundung es
für sie keinen Ausweg aus dieser Hölle berstender Geschosse und
splitternden Steins mehr gebe. Jede Gefahr wuchs für sie ins
Riesenhafte, alle Vorkommnisse gelangten ins Ungeheuerlichste ent-
stellt zu ihnen und senkten neuen Schrecken in die Kerzen der aufs
härteste Geprüften. Es gehörte der ins wahrhaft Erhabene ge-
steigerte Heroismus unserer Truppenoffiziere dazu, um unter diesen
Kampfverhältnissen der Truppe jenen überlegenen Kampfgeist zu
bewahren, der sie vor dem Gegner auszeichnete.
Das Landesschützen-Regiment Nr. X1) war am 23. Juli $15
in Nabresina bei Triest ausgeladen worden und hatte dann 7 km
nördlich dieses Ortes bei Mohorini als Korps-Reserve Freilager
bezogen. Das Regiment hatte noch Anfang Juni desselben Jahres
bei Sambor in Galizien gekämpft, wurde von dort nach Tirol ab-
gezogen, um gegen den Erbfeind zu streiten, gelangte aber gegen
diesen erst zum Einsatz, als das Toben der zweiten Isonzoschlacht
die Heeresleitung veranlaßte, alle noch freien Truppen auf dieses
Schlachtfeld zu werfen.
*) Die österreichischen Landesschühenregimenler waren im hochalpinen Dienste
und im Grenzschutze hervorragend geschulte Tiroler Truppen, welche stch aber auch aus
den übrigen österreichischer: Alpenländern, Körnten und Krain ausgenommen, — die
selbst eigene Gebirgstruppen, die Gebirgsschutzregimenter Nr. \ (Kärnten) und Nr. 2
(Orain) aufstellten — ergänzten. Am 25. Jänner \y\? wurden sie von Kaiser Karl
auf Grund ihrer Bewährung im Kriege zu „Kaiserschützen" geadelt.
144
Liitzow
Am Abend des 23. Juli, unseres Eintrefftages, stand ich mit
mehreren Offizieren des, meinem Befehl unterstellten, 3. Bataillons
auf einer Felskuppe in der Nähe des Lagers und wir blickten mit
den Gläsern nach der von Dunst und Qualm überlagerten Hochfläche
Doberdo, auf deren feindwärtige Ränder der Italiener eben wieder
das Ungewitter seines Trommelfeuers entlud, wir waren dem Krieg
gegenüber wahrlich keine Kinder mehr. Bei Lemberg, Grodek,
j)rzemysl und in den Karpathen hatten wir inmitten des großen
Sterbens gestanden; diese Feuersaat hier ging uns aber doch über
alle unsere bisherigen Begriffe. Der langgestreckte Rücken des
Klonte San Klichele verschwand oft im schwarzen Rauche, den die
Granaten, die ihn zerxflügten, wütend entluden. Es war, als müsse
dort die ganze Erde unter den Qualen des Feuers aufstöhnen, das
unausgesetzt aus den Lüften fiel. Mas dort tobte, schien nicht nur
Tod, nein gänzliche Vernichtung zu sein, die jedes lebende Wesen
zum Nichts aufzehrte. Und dort sollten wir hinein. Wann? Ulorgen
schon? Welche Spanne Zeit blieb unserem Leben noch bemessen?
Über uns schien ein Schicksal zu walten, vor dem es kein Entrinnen
mehr gab. Ulöge es sein wie immer, es mußte getragen werden.
Am 25. Juli 8 Uhr nachmittags wurde das Regiment gegen
Gabrije, das unter dem Nordteile des Klonte San Klichele liegt,
in Klarsch gesetzt. Unterwegs, bei Oppachiasella, wurde es jedoch
abgedreht und nahm die Richtung auf die Ortschaft Doberdo. Die
lH. Gebirgsbrigade, welche sich nordwestlich dieses Ortes in schwerem
Kampfe befunden hatte und neue Angriffe der Italiener gewärtigte,
sollte vom Regiments gestützt werden. Der Einmarsch in den Ort
vollzog sich glatt. Das dem letzten Straßenstücke zugedachte Störungs-
feuer lag zu kurz. Im finstern Orte drängten sich die Klassen des
Regimentes in den engen Gassen. Der Ort wurde beschossen, aber
die Steinwände gaben Schutz, solange sie nicht ein Volltreffer als
Ganzes umlegte' und die sich Bergenden zermalmte.
Ich wurde zum Regimentskommandanten Oberstleutnant Florio
in ein Haus gerufen und erhielt den Befehl: „Das 3. und 2. Ba-
taillon haben sofort zur Höhe Ui am Wege Doberdo-Sagrado zu
gelangen und werden dort dem Oberstbrigadier Großmann unter-
stellt, Führer dorthin stehen bereit." Wenige Klinuten später be-
fand ich mich unter Führung eines Feldwebels mit der langen
Klarschkolonne meines Bataillons, der das 2. Bataillon folgen sollte,
auf dem bezeichneten Wege, vom Gegner wußte ich nichts, den
Frontverlauf ließen aufsteigende Leuchtraketen erraten, vom Ge-
lände vermochte ich kaum die zunächst befindlichen Teile zu er-
kennen. Nach kurzem Klarsche überfiel uns die feindliche Artillerie.
Sie schien auf diesen Weg vorzüglich eingeschossen zu sein. Es gab
nur eine Rettung: Auf dem Wege weiterzuhasten, bis man aus der
Artilleriegarbe herauskam. Dies wurde befohlen und weitergegeben.
Trotzdem riß die Kolonne ab. Die 9- Kompagnie und die Kla-
Das Landesschützenregiinent Nr. I in der 2. Jsonzoschlacht
145
schinengewehr-Abteilung (III/I) gerieten vom Wege ab und rückten
erst am Tage zur Lsöhe ((( ein. vor diesem Punkte kamen wir zwar
aus dem Artilleriefeuer heraus, dafür aber in heftiges Infanterie-
feuer hinein. Beim Kommando der (4. Gebirgsbrigade hatte man
unser Eintreffen sehnlichst erwartet. Die Brigade war aus den Stel-
lungen, die sie am Westrande der Lsochfläche gegenüber den Orten
Polazzo und Redipuglia bis zum Monte sei Busi innehatte, auf die
Lsochfläche zurückgedrängt worden, hielt aber mit ihrem linken Flügel
den Monte sei Busi noch fest. Die (0. Kompagnie (Lsauptmann
petritsch) und die sh Kompagnie (Oberleutnant Tharwat) gingen
sofort zur Verstärkung des rechten Flügels der Brigade in der Rich-
tung auf Palazzo ab. Ich sah von diesen Kompagnien nur mehr
geringe Reste, die ich am 28. Juli sammeln konnte, wieder. Die
(0. und ((. Kompagnie, unter Lsauptmann petritsch vereint, erhielten
am 26. Juli den Auftrag, durch Angriff den stark zermürbten rechten
Flügel der Brigade von der feindlichen Umschnürung zu befreien.
Die Aufgabe wurde gelöst, aber um welchen preis. Der in der
Richtung auf Polazzo scharf geführte Angriff gewann rasch Raum.
Der Zug des Fähnrichs pytel warf eine italienische Kompagnie von
der Lsöhe 92 (2000 Schritte südlich Sagrado) herab und erreichte
damit an diesem Punkte, den er gegen den Ansturm zweier feindlicher
Kompagnien hielt, wieder den Lsochflächenrand. Aber die Stoßkraft
dieser beiden Kompagnien war auf die Dauer dem tiefgestaffelten
Widerstande des Gegners nicht gewachsen. Nachdem Lsauptmann
petritsch durch Kopfschuß gefallen, Oberleutnant Tharvat und alle
Kompagnieoffiziere verwundet waren, hielt die wackere Mannschaft,
nur noch geführt von eben erst ins Feld gelangten Gffiziersasxiranten,
trotz mörderischer Verluste den erkämpften Raum bis zum Abend
fest. Die Reste dieser braven Kompagnien wurden dann befehls-
- gemäß zurückgenommen.
Ani 26. Juli, noch vor Tagesanbruch, traf die in der Nacht
während des Artilleriefeuers zurückgebliebene \2. Kompagnie (Ober-
leutnant Friedrich Ritter von Stromfeld) bei der Lsöhe ((( ein und
wurde sofort zur Verstärkung des Mittelabschnittes in die nahe-
gelegene „Gräberdoline" gesandt. Die 9- Kompagnie und die Ma-
schinengewehr-Abteilung, die erst im Laufe des vormittags eintrafen,
sollten ihr dorthin folgen. Aber der Verschiebung dieser Abteilungen
erwuchs nun in einem feindlichen Maschinengewehr, das mit Tages-
anbruch zu wirken begann und die zu überschreitenden Dolinenränder
bestrich, ein Lsindernis, dem nicht auszuweichen war. Das Kom-
mando des Mittelabschnittes der Brigade forderte immer wieder
telephonisch die Verstärkung an und ich wußte nicht, wie ich die
Leute hinbringen sollte, von den ersten fünf Mann, die sich auf
den Todesweg machten, waren gleich vier gefallen. Die Doline,
in der die beiden Abteilungen versammelt waren, lag in der Kern-
zone einer (Sein-Batterie, so daß auch hier unnützes verweilen
Kerchnawe, Im Felde unbesiegt. III. 10
146
Lützow
nicht rätlich war. Indes, wir lernten dem feindlichen Maschinen-
gewehrschützen die Augenblicke, in welchen er anderweitig be-
schäftigt war, abzulauschen, so daß die Verschiebung in der Zeit
vieler Stunden gelang.
Im Laufe des vormittags hatte ich bei der Höhe m einen
\0 m hohen Steinriegel erklettert, um nach Gelände und Gegner
auszuschauen. Dieser Punkt, auf dem der Gegner Artilleriebeobachter
wähnte, wurde zeitweise mit einer Schrapnellage bedacht. Ich sah
von hier ziemlich weit über die weißgraue Öde auf ein Trümmer-
gewirr hin, das einer steingewordenen Brandung glich, vermochte
aber weder von den eigenen Truppen, noch vom Feinde etwas zu
bemerken, so hatte sich hier alles Leben in die Poren dieses Blut-
feldes zurückgezogen.
Der Kommandant des Mittelabschnittes konnte in seiner be-
drängten Lage die vollständige Versammlung des restlichen Teiles
des Bataillons nicht abwarten und setzte gegen \\ Uhr vormittags
die \2. Kompagnie gegen den bedrohlichsten Teil des Feindes zum
Angriff an. Der Angriff zerschellte an der Übermacht des Gegners
in dessen rasendem Abwehrfeuer. Die tollkühn vorstürmende Kom-
pagnie verlor ihre sämtlichen Offiziere und deckte mit mehr als
4/ö ihres Bestandes das Schlachtfeld. Lrst am Abend konnte ein
Teil der Toten und verwundeten geborgen werden. Unter letzteren
der heldenhafte Kommandant der Kompagnie Oberleutnant Friedrich.
Um 8 Uhr abends brachte man ihn auf der Bahre zu
meinem Standpunkte in die Gräberdoline. Der Unglückliche, Ver-
lobter eines mit allen Gaben der Schönheit und eines reinen Herzens
ausgestatteten Mädchens, war erst vor wenigen Tagen mit dem
Militärverdienstkreuze ausgezeichnet worden. Auf meinen tröstenden
Zuspruch lautete seine leise Antwort: „Herr Hauptmann, ich weiß,
daß ich mit dem Leben fertig bin. Ich habe beide Lungen durch-
schossen und auch das Rückenmark ist verletzt, von hier ab" — und
damit wies er von der Mitte seines Körpers nach abwärts — „lebe
ich schon nicht mehr." Als er weggetragen wurde, erfaßte ich seine
bleiche Hand und er verabschiedete sich mit dem Ausdrucke des ge-
horsamsten Respektes. Gr hatte elf Stunden mit seinen Wunden
hilflos in der Schlacht gelegen und starb um \ Uhr nachts auf
dem Hilfsplatze. Und solcherHelden verröchelten viele an diesem Tag.
Da man ihn weggetragen hatte, fiel ich auf meinen Felsensitz
und blickte empor zu den drei großen hochragenden Grabkreuzen,
nach welchen die Doline den Namen erhielt. Noch hatten wir nicht
24 Stunden inmitten dieses tauben Gesteins verbracht und schon hatte
es fast all unser Blut getrunken, von drei Kompagnien des Ba-
taillons waren nur noch schwache Reste vorhanden, wie ein
mahnendes Golgatha standen die Kreuze vor dem in Rot getauchten
Fimmel.
Das Landesschützenregiment Nr. I in der 2. Isonzoschlacht 147
Das 2. Bataillon wurde in der Nacht auf den ganzen rechten
Flügel der Brigade verteilt. Das \. und Bataillon, war beim
Orte Doberdo verblieben.
Am Morgen des 27. Juli, um 3 Uhr vormittags, setzte ich die
Maschinengewehr-Abteilung (Hauptmann Stich) am rechten Flügel des
Mittelabschnittes, einem der gefährdetsten Punkte, ein und verstärkte
um 2 Uhr nachmittags diesen Abschnitt durch Einsatz der 9- Com-
pagnie in dessen Mitte. Der Tag brachte keinen feindlichen Angriff,
nur der Feuerorkan der italienischen Artillerie erschütterte eisen-
gewaltig mit immer neuen Feuerschlägen den zerkrachenden Fels-
boden. Nach Einbruch der Dunkelheit gruppierten sich die von Do-
berdo heranbefohlenen Bataillone \ und ^ irrt Raume von der
Gräberdoline bis zum Monte sei Busi zum Angriffe. Der Süd-
flügel der \$. Gebirgsbrigade sollte um \\ Uhr nachmittags bei
Einsatz dieser Bataillone durch überraschendes verbrechen den
Höhenrand gegenüber Redipuglia gewinnen und dadurch den schon
stark abgeschnürten Monte sei Busi entlasten, von einer Feuer-
vorbereitung seitens unserer Artillerie mußte hiebei abgesehen
werden, da hiezu weder genügend viele Batterien, noch die er-
forderliche Munitionsmenge verfügbar waren. Der nur auf die
Augenblicksüberraschung gegründete Angriff mißlang durch die
Wachsamkeit des Feindes, der zur Abwehr desselben in seinen Dek-
kungen dicht gedrängt, den wütenden Ansturm der Landesschützen
mit zusammengefaßtem Feuer aus einer Unzahl von Maschinen-
gewehren empfing, während seine Artillerie den vernichtungshagel
ihrer Geschosse in die rasch sich lichtenden Reihen schleuderte. Die
Reste der angesetzten Bataillone fluteten nach fürchterlichen Verlusten
zurück und setzten sich in den Ausgangsstellungen fest, um diese
gegen ein Nachstoßen der Italiener zu behaupten.
* Am Abend des 28. Juli, dessen Tagesstunden wie jene des
Vortages verliefen, nahm das Gebirgsbrigade-Kommando eine
Neuordnung der verbände vor und teilte den zugewiesenen Be-
setzungsraum in vier Unterabschnitte ein. Im Unterabschnitte 3, in
welchem sich zu dieser Zeit die Neste des und 3. Bataillons und
die später wieder abgegebene Marschkompagnie f/98 befanden, er-
hielt ich das Kommando. Die Kompagnie \—^ und 9, die beiden
Maschinengewehr-Abteilungen I und III befanden sich in der vor-
dersten Stellung, die aus den Überresten der \0., U- und \2. Kom-
pagnie zusammengestellte f0. Kompagnie als Reserve in der Gräber-
doline.
Am 30. Juli verlief der größere Teil des Tages in verhältnis-
mäßiger Ruhe. Es war die Ruhe vor dem Sturme, von % Uhr
nachmittags an erbebte die Erde vom Monte San Michele an-
gefangen bis zum Meere unter dem vorbereitungsfeuer der feind-
lichen Artilleriemassen, welchem um 6 Uhr nachmittags der all-
gemeine Infanterieangriff folgte. Diesmal hatte es der Italiener
10*
148
Lützow
auf einen Einbruch mit Massen in den Raum zwischen den Ab-
fällen des Monte San Michele und des Monte sei Busi abgesehen.
Da ich beim linken Flügel des Unterabschnittes 2 (meinem rechten
Nachbar) rückgängige Bewegung bemerkte, sandte ich ihm eine am
Vormittage eingetroffene Marschkompagnie des bosnisch-herzego-
winischen Infanterie-Regiments Nr. ^ zu Hilfe. Doch die schwache,
vom feindlichen Artilleriemassenfeuer fast zerschmetterte vorderste
Infanterielinie war dem feindlichen Anprall nicht gewachsen. Um
6 Uhr 30 nachmittags sah ich sie in der 2000 Schritte langen
Linie vom Monte San Michele bis zur Höhe der Gräberdoline
zurückfluten. Der linke Flügel des Unterabschnittes 2, links umfaßt,
mußte nordöstlich ausweichen. Die Lücke zwischen diesem Flügel
und meinem eigenen rechten klaffte immer weiter. Feindliche Ab-
teilungen brachen gegen die Gräberdoline vor. Ich hatte nur die
f0. Compagnie noch in Reserve.
Ich rang mit dem Entschlüsse. Das Naheliegende war, die
Kompagnie als Rückhalt zu verwenden. Ich konnte so dem an-
dringenden Gegner einen Riegel vorlegen und meinem rechten
Flügel, der mir durch Mauerwerk unsichtbar war, wenn er zerbrach,
wieder Anlehnung bieten. Doch eine andere Überlegung siegte.
Disziplin ist höchste Kameradschaft. Die Disziplin bürgt im Kampfe
dafür, daß jeder des Beistandes des andern sicher ist. Solange mein
rechter Flügel noch kämpfte, durfte er durch kein Bedenken im Stiche
gelassen werden. Ich befahl die f0. Kompagnie (Oberleutnant
Schiller) zum Angriffe auf den eingebrochenen Gegner. Die Kom-
pagnie entwickelte sich in der Doline, brach aus dieser hervor und
prallte nach hundert Schritten mit zwei Kompagnien des Gegners
zusammen, diese im wütenden Bajonettanlaufe zurückschleudernd und
vor sich herjagend.
Am eigenen rechten Flügel stand die Maschinengewehr-Abtei-
lung III/I. Fähnrich Edmund Kupnik hatte deren Kommando an
Stelle des am 27. Juli schwer verwundeten Hauptmanns Stich über-
nommen. Als der feindliche Einbruch geschah, wurde die Abteilung
sofort von einer italienischen Kompagnie in der rechten Flanke
gefaßt. Aber der Fähnrich wußte, daß man noch lange nicht ver-
loren ist, wenn man den Igel macht. Er stellte ihr ein Maschinen-
gewehr entgegen und hielt sie damit in Schach. Doch das Ver-
hängnis nahte nun in der Front. Drei Kompagnien des Ber-
sagliere-Regimentes Nr. (3, durch das zerklüftete Gelände be-
günstigt, waren auf Sturmnähe herangekommen. Rechts sah man
die eigene vorderste Gefechtslinie auf weithin im Zurückgehen.
Auch wenn man den Gegner da noch einmal abwehrte, drohte durch
gänzliche Abschneidung die Vernichtung. Daß dann keiner Schonung
erfuhr und man nur noch nutzlos sein Leben gab, schien allen mit
Ausnahme des Fähnrichs sicher. Der Mannschaft kamen Bedenken,
sie zauderte mit der Feuereröffnung. Auch den Bersaglieris wurde
Das Landesschützenregiment Nr. I in der 2. Jsonzoschlacht
149
es unheimlich vor den Mündungen dieser schweigenden Maschinen.
Lin Offizier, wie aus einem Modebilde geschnitten, sprang auf
die letzte trennende Feldmauer. Fähnrich Rupnik stürzt ihn mit
einem Pistolenschuß herab. Der Landesschütze pesendorfer schießt
mit dem Stutzen einen feindlichen Unteroffizier ab. Das rechte
Maschinengewehr beginnt zu feuern. In diesem Augenblicke sieht
man rückwärts die mit bsahnenstößen geschmückten Rappen der
Landesschützen aus den Dolmen auftauchen. Ls ist die f0. Rom-
pagnie, die den Gegner verfolgt und sich nun auf jene feindliche
Rompagnie stürzt, welche die Maschinengewehr-Abteilung in der
Flanke bedroht. Der Fähnrich schreit: „Landesschützen kommen."
Jauchzend stürzt die übrige Mannschaft an die beiden Gewehre
und feuert was die Gurten halten in die flüchtende Masse der Ber-
saglieris. ljier ist die Rrisis überwunden. Allerorts setzen nun die
Gegenstöße unserer Reserven auf die feindliche Infanteriemasse ein.
Die Italiener sind keine Freunde des Nahkampfes, vor Bajonett-
angriffen scheuen sie zurück. In Hellen Kaufen nimmt die italie-
nische Infanterie Reißaus. Am Abend ist die frühere Lage wieder
hergestellt.
Mein Adjutant, Leutnant Latzl, seines bürgerlichen Zeichens
Professor für romanische Sprachen, hat in der Nacht den Anschluß
des rechten Flügels zu überprüfen. Lr verirrt sich im Gewirr der
Dolinen, gerät bis auf 30 Schritte an den Gegner, liegt während
einer plötzlich losbrechenden wütenden Schießerei zwei Stunden lang
vor diesem und bemüht, sich — aus dem im feindlichen Graben ge-
sprochenen Dialekte den Standort des feindlichen Regimentes zu
erraten. Nach weiteren Fährnissen, und nachdem ich ihn beinahe
aufgegeben hatte, kehrte er „heim".
Am 3f. Juli wurde die Maschinengewehr-Abteilung III ge-
sondert angegriffen. Um \ Uhr nachmittags wurde sie von feind-
lichen Feld- und Gebirgsgeschützen unter Trommelfeuer genommen;
eine 28 cm-Batterie steuerte hiezu vier Granaten bei. Zum Glück
erhielt die Abteilung keinen Volltreffer. Um 2 Uhr nachmittags
setzte eine Bersagliere-Rompagnie zum Sturme an und wurde durch
Feuer aus allen Gewehren glatt umgelegt.
Um U Uhr nachmittags hatten das und 2. Bataillon des
4. Tiroler-Raiserjäger-Regimentes den am 27. Juli mißglückten An-
griff zu widerholen. An diesem Angriffe beteiligten sich alle Truppen
am linken Flügel meines Unterabschnittes und jene des Unter-
abschnittes 4!, bei letzterem auch unser 4. Bataillon d. h. was von ihm
noch übrig war. Der Angriff, überhastet vorbereitet, scheiterte an der
Wachsamkeit und überwältigenden Feuerkraft des Gegners. Der An-
griff hatte aber die Italiener derart in Schrecken versetzt, daß sie
einer Erneuerung desselben mit Bangen entgegensahen, und bis
\2 Uhr mittags unsere Stellungen mit Vernichtungsfeuer belegten.
Die Wirkung desselben war furchtbar. Die Mannschaften der vor-
dersten Gefechtslinie, wenig geschützt dem Stahl- und Steinhagel
150
Lützow
ausgesetzt, oft mit stockendem Atem das herannahen der Großkaliber
und zugleich ihre Zerfleischung erwartend, befanden sich in einer Hölle,
deren losgelassene Schrecken kein Ende zu nehmen schienen. Von
den Kämpfen der Nacht ermattet, vom Durfte gepeinigt in heißester
Sonnenglut vom Tode umrast, inmitten gedunsener verfaulender
Leichen, deren Gestank sie umwehte, daß sich im furchtbaren Ekel
die Kehle schnürte, und doch in pflichttreue auf dem Posten des
Infanterieangriffes harrend, der den letzten widerstand erdolchen
sollte, schien jeder dieser Braven einem grauenhaften Verhängnisse
preisgegeben. Die armen verstümmelten, die sich zu den Hilfs-
plätzen retten konnten, überboten sich in Schilderungen gräßlichster
Art. Nach dem, was die vom Entsetzen halbgelähmte Zunge
stammeln konnte, schien die Besatzung der Kampflinie fast zur Gänze
vom Vernichtungsfeuer erschlagen, widerstandsfähige Gruppen kaum
noch vorhanden zu fein. Ich verfügte nur mehr über eine ganz
kleine aus Meldeleuten, Dienern und Telephonisten gebildete Re-
serve. Die letzten, gegen ff Uhr vormittags, eingelangten Nach-
richten besagten, daß sehr starke feindliche Infanteriewellen gegen
unseren Frontteil in Vorrückung seien. Nun galt es, sich zum letzten
Kampfe zu rüsten. Der ganze Abschnitt schien mir in Auflösung be-
griffen zu sein. Nun war nur noch das Ende zu überstehen.
Am Mittag mäßigte sich das feindliche Artilleriefeuer, der
Infanterieangriff blieb aus. Am Nachmittage und Abend kamen
nur noch einzelne Lagen. Der Feuerorkan hatte sich ausgewütet.
Die Verluste waren beträchtlich. Auf einer Linie von 800 Schritten
waren bei beiden Bataillonen zusammen nur noch 332 Feuergewehre
und 7 Maschinengewehre verfügbar.
Mit dieser schwachen Kette gelang es noch am 2. August, ver-
suche der italienischen Infanterie vorwärtszukommen, abzuwehren.
Aber dieser Tag erschöpfte unsere letzten Kräfte.
Um $ Uhr nachmittags ging ein freudiges Aufatmen durch
unsere Linie. Der Befehl zur Ablösung war gekommen. Diese,
im Unterabschnitt 3 vom ch Bataillon des bosnisch-herzegowinischen
Infanterie-Regimentes Nr. 3 bewirkt, vollzog sich ohne neuerliche
Verluste. Das Regiment sammelte sich bei Mikoli im vallonetal.
Das Regiment war mit 2500 Gewehren in den Kampf getreten
und zählte nach der Schlacht deren nur noch 55h vier Fünftel seines
Bestandes hatte es auf der Walstatt gelassen, vom 3. Bataillon
waren 8^ Mann tot, 5^3 Mann verwundet oder vermißt, 35 gingen
krank ab, davon eine gute Anzahl mit Tholera. von den 5 Unter-
abteilungs-Kommandanten waren 2 tot, \ schwer, 2 leichter verletzt,
von den übrigen Offizieren des Bataillons blieben nur 3 unver-
wundet. von der heldenhaften \2. Kompagnie waren im Lager bei
Mikoli nur noch f6 Mann vorhanden.
Getreu seinem Wahlspruche „Sieg oder Tod" hatte das Landes-
schützen-Regiment Nr. l in der zweiten Isonzoschlacht dem Erbfeinde
der Monarchie keinen Fußbreit Boden preisgegeben.
plava 1915,
Von Major Dr. Rudolf von Iedina/)
damals Äauptmann im bosnisch-herzegowinischen Infanterieregiment Nr. 2.
fjöije von plaoa am Isonzo hatte bei der Truppe keinen
guten Ruf. Das war auch leicht erklärlich, wenn man von
einer Nachbarstellung, etwa von der am Ruk, die dreigeteilte Ruppe
von plava mit dem Fernglas unter Augenschein nahm, von den
Bäumen, die einst auf der westlichen, dem Isonzo zugewendeten,
Seite der Ruppe gestanden waren, hatte das feindliche Artillerie-
feuer früherer Isonzoschlachten mit wenig Ausnahmen nur halb-
mannshohe Stümpfe übrig gelassen. Die feindwärts etwas ab-
fallende Felsplatte, an deren unterem Rande sich die österreich-
ungarische Verteidigungsstellung hinzog, war durch Granattreffer
vielfach gesprengt und zwischen den Sprengtrichtern mit einem
wilden Gewirr von Felstrümmern, oft angekohlten Asten und ge-
stürzten Baumstämmen bedeckt. Die Stellung selbst bestand aus
während der hier nie völlig ruhenden Rümpfe zusammengeschobenen
Felsblöcken, deren schmale Zwischenräume als Schießscharten dienten
und an deren Rückseite man mit Hilfe von Steinen und Ästen ver-
sucht hatte, Traversen zu errichten. Gin Gingraben war wegen des
felsigen Geländes nur an wenigen Stellen möglich gewesen. Der
Schutz, den diese, vielfach von feindlicher Artillerie zerstörte Dek-
kung gegen die gegnerische Infanterie bot, die sich, etwa bis
20 Schritte entfernt, am oberen Ende der von hier aus zum Zsonzo
abfallenden wasserrinne eingenistet hatte, war natürlich nur ein
höchst unvollkommener, wenige Schritte vor der Deckung war ein
regelloses Gewirr zerrissener Drähte, die, bald an Baumstümpfen,
bald an Felsblöcken "befestigt, teils mit dem freien, im Sonnenlicht
glänzenden Ende in die Luft ragten, teils, durch darüber gestürzte
Leichen und Bäume festgehalten, sich am Boden hinzogen. Der
schmale Raum zwischen diesen Resten eines Drahthindernisses und
dem oberen Gnde der Wasserrinne mochte aus größerer Entfernung
wie mit zum Trocknen bestimmten Rkonturen bedeckt erscheinen.
Aus der Nähe sah man aber, daß es sich um die Leichen zahl-
l) Der Verfasser wurde am 2\. Juli also wenige Wochen nach der
geschilderten Kampfhandlung, bei Görz schwer verwundet und des Lichtes beider
Augen beraubt. Trotzdem erwarb er nach Vollendung des juridischen Studiums den
Doktorgrad
152
Jedina
reicher, in den hier häufigen Handgemengen Gefallener handelte,
die, bei späteren Gelegenheiten von den Füßen der Angreifer und
der Verteidiger im Handgemenge flach getreten, den Felsboden fast
restlos bedeckten. In allen Stadien der Verwesung begriffen, er-
füllten die Leichen die Luft ringsum mit einer Ekel erregenden
Atmosphäre, gleichzeitig die sie bedeckenden Uniformreste mit einer
Jauche tränkend, in der man von der Stellung der Verteidiger aus
die lvürmer sich bewegen sehen konnte.
So war die örtliche Lage, als in der Nacht vom 27. zum
28. Juni W5 das III. Bataillon des bosnisch-herzegowinischen
Infanterie-Regiments Nr. 2 die Stellung von Plava bezog. Jede
Unterabteilung war schon in Kenntnis des ihr zugewiesenen Raumes
und so begab sich die \2. Kompagnie gleich in die Reservestellung
hinter den die Kuppe krönenden Felsblöcken, die ff. übernahm die
Sicherung der freien Flanke der oben beschriebenen Stellung gegen
Norden, während die 9- in der Mulde von paljevo die Verbin-
dung mit der Nachbarstellung am Kuk herstellte. Die eigentliche,
oben geschilderte Verteidigungsstellung wurde von der fO. Kom-
pagnie und der Maschinengewehr-Abteilung des Bataillons be-
zogen. Trotz der Nähe des Gegners gelang es, die Ablösung der
früheren Besatzung der Stellung vom Feinde unbemerkt und somit
auch ohne Verluste durchzuführen, kleine Ausbesserungen an der
Deckung vorzunehmen und sich für die kommenden 2<{ Stunden,
nach denen das Bataillon wieder abgelöst werden sollte, häuslich
einzurichten. Sorgfältig jedes Geräusch vermeidend, schoben sich
nun die ablösenden Bosnier, am Boden kriechend, an die ihnen
zugewiesenen Plätze, während gleichzeitig die Angehörigen des ab-
gelösten Bataillons, die verwundeten des Vortages mit sich führend,
auf gleiche Weise die Stellung räumten. Rasch hatten die Komman-
danten der abgelösten jene der ablösenden Kompagnien über alles
Wissenswerte unterrichtet und als nach vollzogener Besetzung der
Kommandant der fO., sich am Boden hinschleichend, überzeugte,
daß alles seinen Weisungen gemäß durchgeführt sei, hatte er auch
die Gewißheit, daß jeder neuerliche Angriff ebenso scheitern würde,
wie es schon bei so vielen früheren der Fall gewesen war.
Die nun langsam beginnende Morgendämmerung zeigt die an
die Felsen geschmiegten Gestalten der Bosnier, die aufmerksam das
Vorgelände beobachten, um jede Bewegung des Feindes sofort zu
entdecken. Der Feind bleibt aber vorläufig noch ganz untätig und
nur selten zeigt ein Schuß an, daß ein Bosnier im Schatten der
gegenüberliegenden Felsstücke eine Bewegung gesehen. Mit dem
Wachsen des Tageslichtes werden aber diese vereinzelten Schüsse
häufiger; da ist ein Ellbogen, dort ein sich vorsichtig hinter einem
Fels hervorragender Kopf zu sehen und schließlich erscheinen,
Schatten gleich, Gestalten, die sich an die letzten Reste des Draht-
hindernisses machen wollen. Trotz des fernen Gefechtslärmes hört
placa 1915
153
mau deutlich das scharfe Klinken der Drahtscheere, trotz der tiefen
Dämmerung sieht man einige dunkle Schatten sich zum Drahtgewirr
vorschleichen. Zwei, drei Schüsse fallen, die schattengleichen Ge-
stalten stürzen zusammen und wie früher herrscht wieder tiefste Ruhe
zwischen den beiden feindlichen Stellungen. Weitere Versuche des
Gegners, die letzten Reste des Drahthindernisses zu zerstören, bleiben
ebenso ergebnislos, bis er sie mit Eintritt des vollen Tageslichtes
überhaupt aufgibt. Den Eindruck hat aber der Kommandant der
jO. Kompagnie gewonnen und gibt ihn auch telephonisch weiter:
Der Feind bereitet einen neuerlichen Angriff vor.
Im übrigen verliefen die Tagesstunden des 28. Juni Ichj an
dieser Stelle der Isonzofront ereignislos. Gewehrmunition und
Handgranaten wie auch Leuchtraketen für den Fall eines Nacht-
angriffes waren zur Genüge vorhanden, Konserven und etwas
kalten Kaffee hatte jeder Mann bei sich. Mochte der Feind nur
kommen, er würde zurückgewiesen werden. Dieser Gedanke war
aber nicht nur im Kerzen des Kommandanten der 10. Kompagnie,
eines jungen fjauptmannes, lebendig, er war es auch in allen Bos-
niern, die mit ihm die kritische Stellung besetzt hielten. Als der
erstere, die Vermutung eines feindlichen Nachtangriffes den Nächst-
liegenden mit der Weisung mitteilte, die Warnung weiterzugeben,
konnte er zu seiner Genugtuung die auf bosnisch gemachte Be-
merkung hören: „Mögen sie nur kommen!"
Auch die Nachmittagsstunden verliefen ereignislos. Die italie-
nische Artillerie hatte das Feuer gegen diesen Abschnitt eingestellt,
seit sich ihre Infanterie am oberen Ende der Wasserrinne festgesetzt
hatte, während die österreich-ungarische, vom Kuk aus beobachtend,
das Feuer ohne jede Gefährdung der eigenen Infanterie noch fort-
setzen konnte. Dafür wird in den späten Nachmittagsstunden das
Gewehrfeuer wieder lebhafter. Offenbar wollen die Italiener für
die nächste Zeit einen Sturm vorbereiten. Dafür spricht vor allem
das wiederholte Einsetzen italienischer Reserven, das, immer wieder
bemerkt, Anlaß zum verstärken des Feuers gibt, das der Feind,
allerdings fast resultatlos, lebhaft erwidert. Mit Beginn der Däm-
merung beginnt ein leichter Regen zu fallen. Fröstelnd hängt sich
der bsauptmann einen zerrissenen, am Boden liegenden Munitions-
zutragsack um die Schultern, um sich gegen den kalten Wind zu
schützen, der plötzlich über die noch von der Sonne durchglühten
Felsen dahinstreicht. Gleichzeitig gibt er den von Mann zu Mann
weiterzugebenden Befehl, das Feuer einzustellen und jetzt in der
Dämmerung nur dann zu schießen, wenn es befohlen wird oder
wenn der Feind an die Drähte kommt. Das feindliche Feuer geht
inzwischen mit unverminderter Heftigkeit weiter.
Da fühlt sich der Hauptmann plötzlich leicht am Ellbogen be-
rührt. Sich umblickend, sieht er den Kompagniehornisten Tomasevic,
der ihm mit Hilfe einer Stange seinen Wetterkragen zuschiebt. Auf
154
Iedina
den fragenden Blick des ljauptmannes ruft ihm der Hornist mit
halblauter Stimme zu, daß bei Beginn des Regens der Gffiziers-
diener Ostoja des Hauptmannes diesem den Kragen aus der Reserve-
stellung bringen wollte, jetzt aber, schwer verwundet, wenige Schritte
hinter ihnen hinter einem Felsblock liege. Wortlos hängt sich der
Hauxtmann den blutbespritzten Kragen um. „Das war überflüssig",
denkt er sich. Durch Zeichen sendet er einen Krankenträger zum
verwundeten.
Die Dunkelheit ist nun völlig hereingebrochen und mit ihr hat
das feindliche Feuer geendet. Wieder herrscht tiefste Stille über
dem Kampfplatz und jetzt kann man auch an das wegschaffen der
wenigen verwundeten und des einzigen Toten, die der Tag kostete,
des Infanteristen Rkahic, denken. Nachdem nun der Hauptmann
die letzten Weisungen wegen Verwendung von Handgranaten und
Leuchtraketen erteilt hat, beginnt jene scharfe Spannung, die sich
immer bei den Beteiligten vor dem Eintritt ernster Ereignisse ein-
stellt, und die, alle Sinne schärfend, auch dem Müdesten die Kraft
gibt, alles um sich mit der Aufmerksamkeit zu beobachten, die nötig
ist, um nicht von einem feindlichen Handstreiche überrascht zu werden,
von den Kämpfern auf plava hört jetzt keiner den Kampflärm am
nahen Monte Sabotino oder das schwere Artilleriefeuer nordwärts
bei Tanale. Aller Augen suchen aber das tiefe Dunkel zu durch-
dringen, das da vorn zwischen den Felsblöcken herrscht, und aller
Ohren suchen das kleinste Geräusch zu erfassen, das einen Rückschluß
auf feindliche Maßnahmen gestatten würde.
Jetzt, nach völligem Eintritt der Nacht, läßt der feindliche An-
griff auch nicht mehr lange auf sich warten. Erst suchen wieder
einige feindliche Hatrouilleure Drähte zu zerschneiden, einige Schüsse
verjagen sie. In der wieder eingetretenen Stille hört man aber erst
leise, später immer lauter, das Rollen von Steinen in den Wasser-
rinnen hinter der feindlichen Stellung, das von herannahenden feind-
lichen Verstärkungen verursacht sein dürfte. Italienische Kommando-
rufe werden laut und plötzlich bricht der Gegner unter den Rufen
„Avanti!", „Avanti!", „Savoya!" gegen die österreich-ungarische
Stellung vor. Kein Schuß empfängt sie. Auf Seiten der Ver-
teidiger bleibt alles ruhig bis die sich drängenden und schiebenden,
ununterbrochen von ihren Offizieren angefeuerten Angreifer mitten
im Drahtgewirr sind. Da zerstiebt plötzlich eine Leuchtrakete am
Körper eines der vordersten Stürmer und klar hört man die laute
Stimme des Hauptmannes durch die Nacht: „Schießen!" kommandiert
sie. Gleich einer Salve beginnend, peitscht nun das Feuer aus 250
bereiten Gewehren in die regellose, in den Drähten verfangene
Menschenmasse. Dicht zusammengepreßt, die vordersten zurück-
weichend, die Rückwärtigen vordrängend, stockt nun die Menschen-
masse knapp vor der Verteidigungsstellung, ein wehrloses Ziel für
die Verteidiger, deren Feuer in dem Maße schwächer wird, als
piava 19^5
155
sich die dunklen Gestalten zwischen den Drähten an Zahl vermindern,
um schließlich ganz zu verschwinden. „Avanti!" und „Savoya!" sind
verstummt, dafür hört man das Wehklagen verwundeter und das
Rollen der Steine in den Wasserrinnen zeigt an, daß Flüchtende
rasch den Zsonzo zwischen sich und den Verteidiger bringen wollen,
von verwundeten erfährt man später, daß es ein und einhalb Ba-
taillone italienischer Rtobilmiliz waren, deren Angriff von einer k.
u. k. Kompagnie aufgefangen und zurückgewiesen wurde. Da hört
man plötzlich aus einer rauhen bosnischen Kehle halblaut den Ruf:
„Zivio nas car!“1) Und donnernd, von 250 Stimmen wiederholt,
bricht sich der Schall in den Berghängen westlich des Zsonzo, vom
Lcho immer wieder wiederholt. Aber nicht nur das Lcho allein
gibt den Ruf wieder, in allen Sprachen der Monarchie, bald
lauter, wenn nahe, bald leiser härt man durch die Stille der Ge-
fechtspause: „Hoch der Kaiser, hoch die Bosnier!" Ls dauert eine
geraume Weile, bis diese Rufe, sich langsam in der Ferne verlierend,
wieder tiefster Stille weichen.
Noch vor Beginn der Morgendämmerung erfolgt die Ablösung
und wenige Stunden später ist das Bataillon wieder mit seinem
Train vereint, der in Kochkisten den freudig begrüßten heißen Kon-
servenkaffe bringt.
Am Abend des 2Z. bezieht das Bataillon ein Lager bei Gar-
garo, wo sich die vereinzelt verwendet gewesenen Teile der \2. Ge-
birgsbrigade wieder sammeln. Sobald es seine Zeit erlaubt, be-
sucht der Kommandant der \0. Kompagnie die nahe gelegene Bri-
gade-Sanitätsanstalt. Er frägt nach seinem Offiziersdiener Gstoja
Stojancio und erfährt vom diensthabenden Arzte, daß dieser einen
Schuß in den Unterleib erhalten habe, der lebenslängliche Folgen
mit sich bringen dürfte. Leicht fährt dann die Hand über die fieber-
cheißen Wangen des verwundeten. „Aber lieber Ostoja", sagt der
Hauptmann, „war es denn nötig, mir den Kragen in dem Feuer
bringen zu wollen?" „Du hast schon seit einigen Tagen schwer ge-
hustet", ist die Antwort, „und ich habe doch der MilostivaH beim
Abmarsch von Banjaluka versprochen, auf dich zu achten." VTiit
einer Träne irrt Auge wendet sich der Hauptmann den anderen
verwundeten seiner Kompagnie zu.
*) Hoch lebe unser Kaiser!
*) Gnädigen Frau.
Vor Belgrad 1915.
Von Oberst a. D. Anatol Mettel et, damals Oberstleutnant
und Kommandant des selbständigen III. Bataillons des k. u. k. Infanterie-
regimentes Nr. 74 und Kommandant der ersten Äberschiffungsstaffel.
«^Lelgrad! — welcher andere Name läßt ein österreichisches SoU
datenherz in gleichem Maße höher schlagen? — Ist nicht mit
ihm Altösterreichs höchster Soldatenruhm, seine klassische Lselden-
und Ruhmeszeit aufs innigste verknüpft, ist er nicht gewissermaßen
das Symbol jener Zeit, in der Österreichs größter Staatsmann und
Feldherr, Prinz Lugen von Savoyen, alle seine Feinde im Westen
und Osten niedergeworfen und den Ruf kaiserlicher Waffen in
Europas fernste Winkel getragen, bis er sich aufmachte, „Stadt und
Festung Belgerad" dem „Türken" zu entreißen und sie dem „Kaiser
wiederumb zu kriegen". So wenigstens verkündet es das 200 Jahre
alte Soldatenlied, unter dessen begeisternden Klängen seit zwei Jahr-
hunderten kaiserliche Soldaten gleich uns in Sieg und Tod gezogen.
Und nun galt es wieder der trotzigen Feste, der Hauptstadt
eines über die Gebühr ehrgeizigen und eroberungslüsternen, aber
auch kriegerischen und fanatisch tapferen Volkes, das uns gewiß
keine leichte Aufgabe zu lösen geben würde.
Einmal schon in diesem weltringen war sie unser gewesen, die
sogenannte „weiße Stadt" am Zusammenflüsse von Save und Donau.
Aber Ungunst der Verhältnisse, von Jahreszeit, Wetter und feind-
licher Übermacht hatten uns zum maßlosen ksohne der Serben da-
mals gezwungen, unsere Eroberung wieder preiszugeben. Die
Serben wagten freilich nicht, uns über die Save und Donau zu
folgen und den Abtransport unseres ganzen dortigen Gpe-
rationsheeres nach dem Norden und gegen den neuerstandenen
Feind im Südwesten zu stören.
Aber nun, das hofften wir zuversichtlich, sollte es endgültig
zur Abrechnung mit dem größenwahnsinnigen Störenfried im Süd-
osten kommen. Die stolze Serbenfeste, wenn sie nun zum ^7. Male
in der christlichen Zeitrechnung den Besitzer wechselte und dabei zum
fünften Male von österreichischen Waffen erobert wurde, sollte nun
auch in unseren Lsänden bleiben — zum allermindesten in diesem
Kriege. Denn diesesmal war es nicht wieder eine an Zahl weit
schwächere, mit allen modernen Kampfmitteln und besonders an
Artillerie mangelhaft ausgerüstete Armee, die in einer ungeheuer
schwierigen Gperationsrichtung Serbien anzugreifen hatte — dies-
vor Belgrad > >) : 5
157
mal hatten wir im Vereine mit den deutschen Waffenbrüdern nicht
nur eine, wenn auch bescheidene, Überlegenheit an Zahl (wohl das
allerer ft emal im Weltkriege!) zusammengebracht, sondern auch
an Kampfmittel aller Art. Schon beim Antransporte und beim
Marsche in die Unterkünfte hatten wir allerhand davon zu sehen
bekommen: unsere berühmten und bewährten 30er-Mörser, deutsche
21, er-Mörser, österreichische und deutsche schwere Haubitzen, lange,
weittragende Kanonen und am Exerzierplätze von Semlin da sollte
sogar eine der vom Gegner gefürchteten, Ulauer, Panzer und Beton
brechenden H2 er-Haubitzen stehen. 5ie stand auch wirklich dort,
wie wir dann — leider nicht in erfreulicher weise — im Kampfe
erfuhren .... Also eine Artillerie, die des Infanteristen Herz er-
freute, denn das aus den ehernen Mäulern auf den Feind ge-
schleuderte Eisen erspart Blut; und eine harte Arbeit, die solcher
Hilfe bedurfte, dürfte es werden, das war sicher. Nicht nur des
zähen und tapferen Gegners halber, den wir vom Vorjahre her
gut kannten, sondern auch darum, weil es diesmal auch galt,
mit den Gewalten der Natur zu ringen. Für uns Führer war
schon durchgesickert, daß es diesmal gelte, Save und Donau,
zwei gewaltige Hindernisse angesichts des kampfbereiten Gegners,
zu bezwingen und die zahlreichen Pioniere, die zahlreichen Brücken-
trains, gaben uns darüber bald Gewißheit. Und noch mehr ein
Blick auf die Donau in der Gegend der Patriarchenstadt Karlo-
witz i) oder des durch den Sieg des badischen „Türkenlouis"
im Jahre berühmten Szlankamen. Dort lag zahlreiches
Dampfer- und Schleppmaterial vertäut. Umsonst lagen die nicht
dort, verhältnismäßig so nah beim Gegner. Auch sie gaben uns
die Überzeugung, daß es auch an technischen Hilfsmitteln nicht fehle.
Und das war notwendig, wenn man so Gewaltiges vor sich hatte.
.Freilich, wenn es uns gelang, die mächtigen Ströme angesichts des
Gegners zu bezwingen, uns seiner Hauptstadt und der Lebensadern
seines Landes, des Morava-Tales, der Bahn zu bemächtigen,
welches dieses in der Richtung Nord-Süd durchstreicht, dann war
das Spiel so ziemlich entschieden. Die Hauptarbeit war gemacht,
auch wenn dann das erwartete Eingreifen Bulgariens nicht erfolgen
sollte, das nur mehr den Todesstoß für den waidwunden Eber
bedeuten konnte, und Generalfeldmarschall von Mackensen, der
Sieger von Gorlice, der alle österreichischen Soldatenherzen im
Sturme erobert hatte, führte uns. Das war uns ein Trumpf mehr
für glückliches Gelingen.
Leicht war's freilich trotz alledem nicht.... Donau und
Save sind gewaltige Hindernisse, schon bei normalem Wasserstande,
an den Übergangsstellen an und für sich ein bis zwei Kilometer breit,
nach längeren Regenperioden aber verwandelte sich das flache An-
') Bekannt durch den Frieden von Karlowitz im Jahre \698, durch welchen
Prinz Lugen von Savoyen Ungarn und Kroatien endgültig von den Türken befreite.
158
ITCettelet
land in einen kaum zu überblickenden See — und es regnete viel.
Dazu erheben sich im gerbst stromauf, der Save zu — daher dev
Name „Rosava" — wehende Stürme, die einen übermannshohen,
auf Flüssen sonst selten gesehenen Wellengang Hervorrufen. Sie
machen ein Übersetzen mit den Mitteln der Feldbrückentrains un-
möglich. In der Regel setzen diese Stürme gegen Mitte Oktober
oder auch früher ein — und wir standen im Anfange des Oktobers.
Und das feindliche, fast überall befestigte, mit Geschützen, Maschinen-
gewehren und Scheinwerfern gespickte Ufer überhöhte das diesseitige
um 70—p m, den Wasserspiegel und dessen Anland aber " um
90—250 m . . . Aber war es schon so vielen vor uns gelungen,
in einer Zeit, wo es noch keine über den Strom reichende Artillerie
gab, so mußte es auch uns gelingen.
Bald kam Gewißheit. Das Divisions-Rommando übermittelte
uns den Befehl zum Übergange, die Bataillone unserer 9. Gebirgs-
brigade sollten die ersten Überschiffungsstaffel bilden und auf Pon-
tons übergesetzt werden, während die anderen, nach unserem Fest-
setzen am feindlichen Ufer, auf Dampffähren — Dampfern und
Schleppschiffen — zu folgen hatten. Unser Bataillon hatte als erstes
serbisches Ufer zu betreten. Und während die Rommandanten auf
Motorbooten zu der Belgrad gegenüberliegenden Reiherinsel fuhren,
um den Übergang im einzelnen zu besprechen und die Truppen in
Alt-Banovci Linschiffungsübungen vornahmen, erhoben rings um
Belgrad nahezu ein halbes Tausend *) Geschütze ihre ehernen
Stimmen: es war der 5. Oktober geworden, das planmäßige Lin-
schießen der herangeführten Artillerie hatte begonnen, das Drama
nahm seinen Anfang.
Am frühen Nachmittage des 5. Oktober führte ich die beiden
mir unterstellten Bataillone, mein eigenes und das Bataillon der
8^ er zur Linschiffungsstelle, der „Radetzkyrampe" bei Semlin,
welche durch den halbinselartig zwischen Donau und Save vor-
springenden Teil der Stadt den Blicken des Gegners entzogen war.
Feindliche Flieger aber hatten unsere Rampfflieger und das Ar-
tilleriefeuer anscheinend verscheucht. Gleichzeitig mit uns sollten
die Untersteirer des ^.Bataillons der 87 er2) vom Süd ende der
Reiherinsel, wohin sie mit Dampffähren gebracht worden waren,
übergesetzt werden. Mein Bataillon bestand aus Deutschen und
Tschechen des Gitschinerkreises und der Südhänge des Riesen-
*) 160 Geschütze des eigenen VIII. Korps, etwa 20 in der Gegend von Semlin
ständig eingebaute leichte Geschütze, die mindestens 200 Geschütze des 3 Divisionen
starken deutschen XXII. Reservekorps und die Artillerie der Donauflotille.
2) Die Truppen des damaligen VIII. Korps waren durchweg im Frieden in
Bosnien und der Herzegowina liegende Gebirgsbrigaden mit selbständigen, von ihren
Truppenkörpern abdetachierten Bataillonen bzw. neuerrichteten Jägerbataillonen.
vor Belgrad *9*5
159
gebirges, das % Bataillon der 8^ er aus Wienern und Nieder-
österreichern. Die vier übrigen Bataillone des ersten Staffels
sollten von der unterhalb der Reiherinsel gelegenen Kozarainsel
und vom Finanzwachhause südlich von Borcsa folgen, wenn die
Pontons, die uns an's serbische Ufer zu bringen hatten, zurück-
gekehrt wären.
In tiefer Stille erreichten wir um \\ Uhr nachts die Lin-
schiffungsstelle bzw. die Kaserne, die uns aufnehmen sollte, bis die
große Stunde herangenaht ...
Am 6. Oktober brüllten tagsüber die Geschütze, welche uns
durch ihr Zerstörungsfeuer den Weg bereiten sollten. In der Abend-
dämmerung des 6. Oktober rückten wir zur Radetzkyrampe ab. Die
Fahrzeuge sollten erst in der Dunkelheit dort anlegen. Wohl manches
tapfere Männerherz mochte in der Stunde der Erwartung lauter als
gewöhnlich an die Rippen pochen und mit einem „Schau oba, Data
Radetzkys manch heiteres Wienerblut Altösterreichs Schutzgeist an-
rufen und sich dabei geloben, der Väter würdig zu sein.
Die Zeit bis zur Einschiffung wurde dazu benützt, Unterführer
und Mannschaft mit ihrer Aufgabe vertraut zu machen. Also: „Di-
rektion Savedamm unterhalb der Festung Belgrad, Bataillon III/71*
fährt rechts, IV/8H links an der Kriegsinsel vorbei. Sobald das
Ende der pontonkolonne der 7^ er den„Nebojse-Turm"— ein vom
Walle der „Unteren Festung" aufragendes, klotziges, bei Tag weit
sichtbares Ungetüm aus dem Jahrhundert, das auch modernen
schweren Feldgeschützen trotzte — „passiert hat, alles rechtsauf-
schwenken, Landung rechter Flügel beim Turme, links von uns
IV/84, mit dem linken Flügel bei den versenkten Schiffen, sodann,
von der Reiherinsel kommend, IV/87. — IV/8^ soll sofort mit
diesen: Verbindung aufnehmen — Einschiffung beginnt 2 Uhr s0
pormittags.
Die Landung soll 2 Uhr 50 beginnen. — 20 Minuten vorher
wird die eigene Artillerie ihr Feuer zu höchster Stärke steigern, um
2 Uhr H0 ihr Feuer vorverlegen und alle Scheinwerfer zur Ouer-
beleuchtung und Ablenkung der feindlichen Scheinwerfer einsetzen.
Je eine Feuerstaffel der ungarischen Landsturmbrigade Hau-
stein wird von der Kriegsinsel und vom Finanzwachhause Burma,
Bataillon III/V von der Kozarainsel, IV/s2 vom Finanzwachhause
Uj-Borcsa mit Feuer unterstützen.
Und nun mit Gott meine Herren ..."
Nun konnte es losgehen. — Trotz des gewaltigen Artillerie-
konzertes lag es doch wie eine beklemmende Stille vor uns auf der
gleichmäßig und ruhig dahinströmenden, majestätischen Wasserfläche.
Stromab, etwa in der Mitte des Stromes zwischen Kriegsinsel und
Reiherinsel zeichneten sich die Umrisse eines Ungetümes von der
durch das ständige Aufblitzen des Mündungsfeuers und die Brände
in Belgrad gespenstisch beleuchteten Wasserfläche ab. Es war ein
160
Mettelet
Scheinmonitor, der dort verankert war, um den an der Festung und
in ihrer mächtigen Umgebung hinter mächtigen, gutmaskierten
Schutzschilden eingebauten französischen und englischen \2,7 und
\5 oiu-Marinegeschützen ihr Feuer abzulocken und sie so der Be-
schießung durch unsere schwere und schwerste Artillerie preiszugeben.
Stromauf von unserer Einschiffungsstelle aber lagen gespenstisch und
dräuend, die wirklichen Monitore und ihre getreuen Begleiter,
die flinken Patrouillenboote gefechts- und dampfklar, bereit, unter-
stützend einzugreifen, wenn irgendetwas nicht klappen srllte....
Und der Teufel, die kleinen, an's Ufer klatschenden Wellen
kamen langsam aber stetig, immer näher. Ls war kein Zweifel,
das Wasser stieg, wie auch von den Pionieren gemeldet, und das
konnte das Übersetzen erschweren.
Endlich stromauf, erlösend, das ruhige taktmäßige dumpfe
„Rrrrumm-rrrumm!" der Ruderschläge einer sich ruhig nähernden
Pontonkolonne. Ein paar kurze gedämpfte Kommandorufe, ein ge-
dämpftes Anrufen, unser Schicksal war da, die braven Pioniere,
welche die nächsten Stunden auf Gedeih und Verderb, auf Sieg
oder Tod auf's innigste mit uns verbunden waren. Pauptinann
Mauser mit der s. Kompagnie des 2. Pionier-Bataillons, Lsaupt-
mann König mit der 3. Kompagnie des JO. Pionier-Bataillons,
beide durch je eine halbe Kompagnie des 7. Sappeur-Bataillons ver-
stärkt, waren bestimmt, uns mit \28 Pontons und 30 Zillen (flach -
gehende, leichtwendsame Nachen mit je \0 Ukann Fassungsraum)
an (Ort und Stelle zu bringen. Die Ruderstangen und Gabeln waren
mit Stroh oder Lappen umwunden, um das Geräusch beim Rudern
nach Rkäglichkeit zu dämpfen, in jedem Pontonteile waren acht
Rettungsgürtel zum ausschließlichen Gebrauche für die Infanterie
angebracht.
Aber noch konnte mit der Einschiffung nicht begonnen werden,
ein eben eintreffender Befehl brachte eine nicht erfreuliche Ver-
zögerung. Wir hatten sehr starke, den vorgeschriebenen Kriegsstand
übertreffende Stände, einige Bataillone hatten außerdeyr fünf oder
gar sechs Kompagnien statt deren vier, die vorhandenen Über-
schiffungsmittel reichten aber nur für die vorgeschriebenen
Stärken. Der eben eingetroffene Befehl trug dem Rechnung und
ordnete an, vom Bataillon IV/81 nur soviel mitzunehmen, als nach
der Einschiffung meines ganzen, 33 Offiziere und sj80 Mann, so-
wie 1 Maschinengewehre starken Bataillons in den Überschiffungs-
mitteln Platz hatte, den Rest aber zur Überschiffungsstelle Neu-
Banovce zu schicken. Also Neueinteilung; zwei Kompagnien 81er
blieben übrig. Gewiß nicht erfreulich beim Beginn eines so großen
und gewagten Unternehmens. Endlich waren wir in den Pontons.
— D. h., es war gar nicht so „endlich", es war sogar recht flink
gegangen, aber in der Spannung des Augenblickes schienen Minuten
zu Stunden zu werden.
vor Belgrad \y\5
161
„Stoßt ab!" — „Legt ein!" — „vorwärts!" tönten gedämpft
die Kommandos der Pionieroffiziere und der Pontonführer, die Fahr-
zeuge glitten fast lautlos hinaus in den Strom und in die Finsternis.
2 Uhr war es freilich nicht mehr. Ls ging auf 3/4 auf 5 Uhr,
in 5 Minuten hätten wir unterhalb des Nebojse-Turmes landen
sollen und kämpften doch erst mühsam der bisher deckenden Südost-
spitze von Semlin zu, denn der Wettergott war den braven Pionieren
nicht hold. Die Save stieg in viel stärkerem Maße wie die Donau
und verursachte in dieser dadurch eine Rückstauung, stromauf-
wehender Wind setzte ein und erschwerte durch den erzeugten
Wellengang zusammen mit der Rückstauung das Rudern, ein leichter
Regen fiel, machte das Dunkel noch unsichtiger und zwang zur
Vorsicht, um Zusammenstöße zu vermeiden. Unsere Artillerie hatte
wohl schon längst das Feuer vorverlegt, während wir noch mühsam,
fern vom feindlichen Ufer, gegen Strom und Wind kämpften. Aber
was auch immer noch sein mochte, es gab für uns nichts anderes
mehr als: „vorwärts!"
Endlich hatten wir die Landspitze von Semlin passiert und
bogen in den zur Savemündung, westlich an der Kriegsinsel vorbei-
führenden Donauarm ein. Gb uns die pontonkolonne mit den 8Hern
folgte oder ob sie befehlsgemäß in den Hauptarm zwischen Kriegs-
insel und Kozara weiter ruderte — niemand vermochte dies in der
herrschenden Finsternis festzustellen. Das Geschützfeuer begann all-
mählich abzuflauen, da traten wir — es mochte H Ahr morgens sein
— etwa halbwegs zwischen Semlin und Belgrad in den Lichtkreis
der die Umgegend Belgrads fast taghell erleuchtenden Brände.
Seit fast \5 Monaten — ausgenommen die ^3 tägige Unter-
brechung, während der Belgrad bereits einmal in unserem Besitze
gewesen, lagen österreich-ungarische Truppen vor Belgrad, un-
zählige Male mögen seit den ersten Schüssen vor Belgrad am
Abende des 28. Juli Brände den Umkreis der Stadt erleuchtet
haben und doch war infolge des durch ^unsere Minderzahl bedingten
steten Wechsels der Truppen niemand da, der die Stäbe auf die
Gefahr dieses Schauspiels aufmerksam gemacht hätte. Denn ein Un-
entdecktbleiben und damit eine Überraschung war in diesem Lichte aus-
geschlossen. Wie flüssige Lava erglänzte der Strom im Widerscheine
zahlloser Brände, erhaben schaurig war der Anblick der brennenden
Serbenstadt, in deren Schoß soviel Unheil ausgebrütet, von der so-
viel Unheil ausgezogen — aber jetzt war keine Zeit zu Betrachtungen
irgendwelcher Art.
Dem Häuflein von etlichen hundert tapferen, bis in den
Tod getreuen Männern, die sich auf schwanken, zerbrechlichen
Schiffchen durch die wabernde Lohe, gegen Strom und Wind,
langsam an die Serbenburg herankämpfte, standen Hunderte von
Geschützen und Maschinengewehren und Tausende von beherzten
Kerchnawe, Im Felde unbesiegt. III. H
162
Mettelet
Männern zu blutigem Empfange bereit. Das Unterfangen erschien
selbst dem tapferen Gegner so kühn und verwegen, daß er es auch
dann noch für eine Demonstration hielt, als wir schon am
Eisenbahndamme entlang der unteren Festung auf J5 Schritte Ent-
fernung mit ihm im Kampfe lagen1). Nun aber setzten alle Kräfte
zur Vernichtung der verwegenen ein.
Die unter dem wirksamen Artilleriefeuer der Verbündeten ge-
räumten und teilweise zerstörten Deckungen am Lisenbahndamme,
sowie die nicht minder zerschossenen Wälle der fb—20 Schritte da-
hinterliegenden „Unteren Festung" selbst wurden besetzt, Maschinen-
gewehre wieder in Stellung gebracht und bald verrieten uns das
in mehreren Stockwerken aufblitzende Gewehrfeuer und die uns wie
ein Bienenschwarm umschwirrenden Geschosse, daß die Verteidiger
auf ihrem Posten waren. Aber auch die feindliche Artillerie, welche
dem überwältigenden eigenen Feuer gegenüber geschwiegen hatte,
setzte nun mit voller Lebhaftigkeit ein. Die beiderseits des Nebojse-
Turmes, teilweise in betonierten Kasematten eingebauten kleinen
Schnellfeuerkanonen und Feldgeschütze, die in der Festung und seit-
wärts von ihr, ferner in der Ziegelei südlich des Schlachthauses,
und auf den die Donau 200 m überhöhenden Höhen östlich von
Belgrad aufgestellten, teilweise in verschwindungslafetten einge-
bauten Feld- und großkalibrigen Marineschnellfeuergeschütze über-
schütteten uns, teils frontal, teils flankierend, mit einem Hagel von
Granaten und Schrapnells aller Kaliber. Und damit das Tohu-
wabohu voll werde, vermutete auch der als Feuerstaffel auf der
Kriegsinsel eingenistete ungarische Landsturm in unserer Ponton-
kolonne einen feindlichen Angriff und bedachte uns mit einem hef-
tigen Abwehrfeuer aus Gewehren und Maschinengewehren, das
glücklicherweise allergrößten Teiles zu hoch ging.
Aber weiter! — Während die die Nordseite der Kriegsinsel
umfahrende Pontonkolonne der 84s er den Schlagschatten der Insel
ausnützen und in ihm gedeckt weiterfahren konnte, mußten wir im
vollen Lichte unseren Weg fortsetzen. Wohl mehrten sich die Ver-
luste, die Pontons begannen sich mit Toten und verwundeten zu
füllen, die Rudermannschaften lichteten sich in immer bedenklicherer
Weise, so daß da oder dort ein Ponton abzutreiben begann, einige
der Fahrzeuge sanken auch, von Volltreffern oder von gar zu vielen
Gewchrgeschossen oder Schrapnellkugeln getroffen, aber unbeirrt
ruderte das Gros, nun entlang der Südseite der Insel, weiter.
Endlich schien es so weit, daß das Ende der Kolonne mit dem
finster herüberdrohenden „Fürchte nichts"-Turme auf gleicher Höhe
*) Mitteilung des späteren Generalstabschefs des Militär-General-Gouvernements
Serbien, General (damals Oberst) Hugo Fierchnawe. — Nach Aussage angesehener
Serben antwortete das Serbische Kommando, als in den ersten Morgenstunden des
7. Oktober die Belgrader Gemeindeverwaltung anfragen ließ, ob sie nicht die Stadt
verlassen solle: „Nein, es handelt sich nur um eine feindliche Demonstration."
vor Belgrad (9(5
163
sei. Lin paar Leuchtkugeln gehen hoch: „Rechts ausschwenken!"
— Ls war eine Erlösung! Nicht mehr als Zielscheibe an dem
feuerrasenden Feinde vorüber, sondern drauf auf ihn, drauf und dran!
Die Fahrzeuge wenden nach rechts, freilich nicht mehr schön
ausgerichtet, wie auf dem Übungsplätze in Linz oder sonstwo und
mit einem letzten Aufgebote der Kräfte geht es auf den Feind . . .
Ejeute, bei kühler Überlegung, kann ich es mir wohl vorstellen,
daß dieses verwegene Beginnen von den kriegserfahrenen, mit
allen Kriegslisten vertrauten Serben nur als Demonstration ge-
deutet wurden was vermochten diese blechernen Nußschalen mit
ihrer Esandvoll, zum großen Teile schon blutender Eselden gegen
sie, die da hinter Wall und Mauern ihnen einen Regen von Eisen
und Blei entgegensandten.
Und doch, die Kerle in den Nußschalen kommen immer näher,
nur mehr ein Zwischenraum von (0—(5 Schritten trennt sie vom
Serbenufer, da beginnen die Fahrzeuge zu stocken . . .
Das steigende Wasser hat die der Schützenstellung am ^Eisen-
bahndamm vorgelegten Hindernisse überflutet und unsere Pontons
und Zillen sind nun auf diesen festgefahren. Aber jetzt hält uns
kein Teufel mehr. Ein Feuerkampf mit dem völlig gedeckt liegenden
Gegner auf diese Entfernung ist. für uns völlig Ungedeckte Unsinn.
Wohl hatte auch unser Artilleriefeuer wieder eingesetzt, aber es
konnte, ohne uns zu gefährden, nicht auf die uns zunächst Liegenden
gerichtet werden. Dafür aber bedachten uns vier schwere feindliche
Minenwerfer mit ihren Gaben. Auch Hand- und Gewehrgranaten
flogen herüber. . . !
heraus aus den Pontons — „Bajonett auf!" — „Sturm!"
Da oder dort beginnt ein heilgebliebenes Signalhorn den alten
Sturmruf, ein hundertstimmiges „Ejurra!" antwortet, alles springt
ins Wasser oder auf den Ufersand, Sappeure zerschneiden die Hin-
dernisse, Bajonett, Drahtschere, Kolben und Spaten helfen nach
und nun draus auf die „Brates" (Brüder). Zm Nu sind sie im
Handgemenge überwältigt, der Eisenbahndamm ist unser, die „De-
monstration", die uns blutigster Ernst war, ist gelungen.
Aber die Serben sind kein Gegner, der so ohne weiteres ihm
Entrissenes in feindlichen Händen läßt. Schließlich unsere Lage war
ja einladend genug für sie, den versuch zu machen, uns das Ge-
wonnene wieder zu entreissen. Alsbald setzt Gegenangriff auf Gegen-
angriff ein. Sie werden mit Gewehr, Handgranaten und Bajonett
abgewiesen, der Damm bleibt unser . . .
Unsere vom Feinde als „Demonstration" gedeutete Unter-
nehmung war nicht ohne die guten Folgen einer solchen geblieben.
Links von uns flackerte kurzes, heftiges Gewehr- und Ma-
schinengewehrfeuer auf, ein österreichisches Sturmsignal ertönte, ein
österreichisches „Ejurra".
11*
164
Mettelet
Nach links entsendete Verbindungspatrouillen meldeten, daß
neben uns Abteilungen der 84 er lägen und noch weiter das Ba-
taillon des Oberstleutnants Peter — IV/87 — befehlsgemäß ge-
landet sei und den dort weiter vom Wasser gelegenen Lisenbahn-
damm genommen habe . . .
Die uns folgende Pontonkolonne der 84! er war an der Gstecke
der Kriegsinsel ebenfalls in den Licht- und Feuerkreis der Kriegs-
insel gelangt. Den ersten drei Zügen der /4- Kompagnie gelang
es noch, weiter zu kommen, die nachfolgenden Abteilungen wurden
durch die Scheinwerfer geblendet, sie trieben ab und landeten
schließlich mit ganz erschöpften Rudermannschaften an der Kozara-
insel. Offenbar waren ihre Ruderer den Flößern und Schissern
von der Traun, Enns und oberen Donau vom 2. Pionier-Bataillon,
die uns übergesetzt hatten, nicht ganz gewachsen. Die gelandeten
drei Züge der 84 er setzten sich, wie bereits mitgeteilt, an unserem
linken Flügel fest.
während sich derart die ganze Aufmerksamkeit des Feindes auf
uns vereinigte, war die Einschiffung und Verschiffung des Ba-
taillons IV/87 von der Kozarainsel völlig unbelästigt vonstatten
gegangen. Ohne einen Schuß zu erhalten, landete das Bataillon
oberhalb der versenkten Schiffe. Erst dann flackerten etliche ver-
lorene Schüsse auf. Nach kurzem Ordnen der verbände führte
Oberstleutnant Peter sein Bataillon um 1/28 Uhr morgens zum
Sturm auf den Bahndamm, der nach kurzem Kampfe den Unter-
steirern in die Hände fiel, die dem völlig überraschten Gegner auch
noch 2 Offiziere und 70 Rkann an Gefangenen abnahmen.
Die Fahrzeuge, welche die 87er übergesetzt hatten, vermochten
nach ihrer Rückkehr auch noch das Jäger-Bataillon an das
serbische Ufer zu bringen und unterhalb der 87er zu landen.
Als es dämmerte, vermochte man die Lage einigermaßen zu
überblicken.
Entlang dem Bahndamms,- der seiner Länge nach von der östlich
Belgrad stehenden leichten und schweren Artillerie bestrichen war,
lagen meine braven Leute, und hatten sich mit den Spaten Schützen-
deckungen geschaffen, wenige Schritte hinter ihnen das stetig wach-
sende Wasser des steigenden Stromes. Rechts von mir hätte sich
das zum Schluffe zu überschiffende Bataillon III/49, mit dem linken
Flügel beim Nebojse-Turme, befinden sollen. Aber die Kräfte der
Pioniere, die uns überschifft hatten und der kurze Rest der Nacht
hatte nicht mehr ausgereicht, auch dieses Bataillon überzusetzen.
Oberhalb des Turmes, aus dessen oberen Scharten sechs, unsere
Linie bestreichende, Maschinengewehre dräuten, befand sich nur eine
halbe Kompagnie meines Bataillons. Dort war der brave Ober-
leutnant Schlemmer mit der halben \2. Kompagnie gelandet, weil
die gelandeten Rudermannschaften die vollen pontone gegen die
vor Belgrad *9*5
165
mächtige Rückstauung in dem feindlichen ^öllenfeuer nicht mehr
weiter bringen konnten. Knapp unterhalb des Turmes waren meine
Maschinengewehre gelandet. Dann folgte der Rest des Bataillons,
von dem aber eine und eine halbe Kompagnien fehlten. Sie waren
abgetrieben worden und dann auf der Kriegsinsel gelandet.
So waren denn alles in allem hier etwa \2 Kompagnien und
3 Maschinengewehr-Abteilungen am serbischen Ufer, über die ich
als der rangälteste Kommandant das Kommando übernahm.
Ich richtete mich in einem verlassenen Laufgraben, beim wracke
eines gesunkenen serbischen Baggers ein, neben mir lag mein schwer
verwundeter Bataillonsadjutant Leutnant i. d. R. Scholz, der un-
mittelbar nach der Landung knapp neben mir durch Maschinen-
gewehrgeschosse niedergestreckt worden war. An eine Bergung war
bei ihm ebensowenig zu denken, wie bei irgendeinem anderen ver-
wundeten. wir waren völlig isoliert und auf uns selbst gestellt.
Erst in der dritten Nacht, die wir am Save-Donaudamme und dann
in Belgrad selbst festgekrallt zubrachten, war es möglich geworden,
alle verwundeten zurückzubringen.
Am Damme selbst lag unsere Schwarmlinie, durch diesen und
durch selbst hergestellte flüchtige Kopfdeckungen gegen frontales
Gewehrfeuer so ziemlich gesichert. Um uns gegen das flankierende
Geschützfeuer zu sichern, wurden Pflasterung, Verkleidung und Ober-
teil teilweise im feindlichen Feuer aufgerissen und von fünf zu fünf
Metern Schulterwehren hergestellt und so einigermaßen Schutz gegen
das flankierende Feuer geschaffen. Kleine Reserven wurden aus-
geschieden — beim Jäger-Bataillon sogar ganze zwei Kompagnien
— und knapp hinter der Schützenlinie am Fuße des Dammes oder
auf höchstens JO—^5 Schritte dahinter in Sprengtrichtern oder ehe-
maligen serbischen Laufgräben untergebracht. Und bald hatten auch
,die braven Telephonisten alle Abteilungen untereinander und mit
meinem Standpunkte verbunden. Line Verbindung mit dem anderen
Ufer sollte sich als unmöglich erweisen. Der mächtige Wasserdruck
riß alle Drähte und Feldkabel und das Signalisieren vom Damme
aus machten die feindlichen Schützen unmöglich, von unten aber
wurde es anscheinend vom anderen Ufer aus nicht gesehen. Nur
mit der Flottille gelang es uns im Laufe der Zeit Flaggenverbindung
herzustellen.
So war alles geschehen, was in unserer Lage möglich war.
Die Hauptsache aber mußte die Tapferkeit und die pflichttreue des
Einzelnen machen.
In derselben Nacht, in welcher wir am serbischen Ufer gelandet
waren, hatten auch noch an verschiedenen anderen Stellen die An-
greifer festen Fuß gefaßt.
Im Rahmen der Kämpfe um Belgrad hatte aufwärts der
Save-Rtündung das II. deutsche Reservekorps überzugehen. Dort
166
Mettelet
hatten, sich unter ähnlichen Schwierigkeiten wie bei uns, sechs Kom-
pagnien des Reserve-Infanterie-Regimentes 207 — Freiwillige aus
dem Jahre I9W und alte Pxernkämpfer — nach hartem Kampfe
und unter ansehnlichen Verlusten auf der großen Zigeunerinsel fest-
gesetzt, nachdem sie dem Gegner einen Streifen der an 8000 Schritte
langen Insel in erbittertem Bajonettkampfe abgerungen.
Noch weiter aufwärts, oberhalb der Kolubara-Rkündung bei
Zabrez-Obrenovac, hatte das ebenfalls zur III. Armee gehörige
österreich-ungarische XIX. Korps, donauabwärts bei der alten Türken-
festung Semendria und bei der ehemaligen serbischen Königsburg
Ran gegenüber Bazias, die deutsche ff. Armee unter General der
Artillerie von Gallwitz den Übergang begonnen. Das Unheil für
den fveltbrandstifter ging seinen Gang. Im Laufe des 7. Oktober
wird es der serbischen Führung bald klar geworden sein, daß es
diesmal keine Demonstration war, sondern furchtbarster Ernst . ..
Und meine braven Gitschinerburschen waren, allen voran, die ersten
gewesen.
Für uns an Save und Donaudamm war es allerdings trotz
alledem auch allerfurchtbarster Ernst. Wir konnten hier zugrunde
gehen, bevor alle diese anderen Angriffe dem Gegner an das Leben
griffen.
Lin trüber, grauer Rkorgen kroch am 7. Oktober herauf. Mit
Büchsenlicht setzte auch das abgeflaute serbische Feuer aus allen
Kalibern gegen uns ein. Und bald auch wieder die Gegenangriffe.
Besonders auf die einigermaßen isolierte, mit ihrer rechten Flanke
völlig ungedeckt in der Luft hängende bsalbkompagnie Schlemmer
oberhalb des Nebojse-Turmes hatten es die Serben abgesehen.
Angriff auf Angriff stürmte gegen sie vor. Doch heldenhaft wehrte
sich das immer mehr zusammenschmelzende Häuflein.
Allerdings, auch wir blieben nicht müßig, trotz unserer wenig
beneidenswerten Lage. Zwischen uns und der Gruppe Peter hatte
sich eine serbische Abteilung in einem Schützengraben und in einem
krause eingenistet. Ihr gegenüber lag ein Zug meines Bataillons,
der der Übermacht gegenüber nicht Raum gewinnen konnte.
Eine kurze Verabredung und ein kombinierter Angriff der mit
ihrem linken Flügel gegen das Ufer abgebogenen 8Her, des rechten
Flügelauges der 87er und des eben erwähnten Zuges meines Ba-
taillons, und die Serben waren draußen. Sie ließen dabei wieder
50 Gefangene in den fänden der Angreifer, unter sotanen Verhält-
nissen nur eine Verlegenheit für solche „Barbaren" wie wir; unsere
von Humanität triefenden Herrn Feinde hätten sich allerdings rasch
von dieser Verlegenheit zu „befreien" gewußt.
Bei Tagesanbruch waren noch zwei Kompagnien 60 er herüber-
gelangt und einstweilen am linken Flügel der ganzen Linie als
vor Belgrad
167
Reserve bereitgestellt worden. Doch bald sollte der Einsatz ihres
größten Teiles notwendig werden.
Die Jäger, welche zuletzt gelandet waren, hatten sich ihre
Stellung noch nicht so Herrichten können, wie die 87er, sie hatten auch
durch das immer mehr steigende und ihre Gräben süllende Lsoch-
wasser am meisten zu leiden. Bald erkannte der Gegner ihre Lage
und machte die ernstesten Anstrengungen, sie aus ihren Stellungen
hinauszuwerfen. Er war bis an die andere Seite des Bahndammes
gelangt, hatte auch ein diesen überhöhendes Häuschen besetzt, und
fügte ihnen durch Handgranaten ernstliche Verluste zu, die Hand-
granaten sogar teilweise durch einen Durchlaß im Bahndamm
werfend.
Eine Artillerieunterstützung war des unsichtigen Wetters halber
bis zur Mittagszeit nicht möglich. Auch irgendeine sonstige Unter-
stützung nicht. Und wenn uns die notwendige Munition ausging,
dann blieb uns nichts übrig als Bajonett und Kolben, denn weder
Munition noch Verpflegung konnte bei Tageslicht im Nahfeuer des
Gegners über die beiden mächtigen Ströme nachgeschoben werden.
So wurden bald die ganzen Reserven des Jäger-Bataillons
aufgebraucht und auch der größte Teil der zwei 60 er-Kompagnien
mußte eingesetzt werden. Die findigen Jägeb waren allerdings auf
eine weitere Aushilfe gekommen, die aber Zeit erforderte: Sie
gruben einen Stollen durch den Damm, durch welchen sie, nach einem
kurzen Feuerüberfall aus ihren Maschinengewehren, überraschend
vorstürmen und die Serben aus ihren Nestern vertreiben wollten.
Als sich gegen Mittag das Wetter aufzuhellen begann, ver-
suchte auch die Artillerie unterstützend einzugreifen. Infolge der
tiefen Lage der Beobachtungsstände der Gruppen am linken Donau-
ufer, war dies nur von den Gruppen am linken Saveufer möglich,
d. h. im allgemeinen nur beim rechten Flügel meines Bataillons.
'Die Nähe des Gegners machte aber auch hier eine direkte Unter-
stützung gegen den nächsten und unangenehmsten Gegner unmöglich.
Am besten vermochten dies noch die alten f8 ein-Haubitzen
M. 80, von welchen drei Batterien unter Hauptmann Lhytil in den
Semliner Gärten standen. Mit ihrem präzisen, steilen Bogenschuß
und ihrer ansehnlichen Geschoßwirkung, versuchten sie auch auf
Grund von Weitschüssen, sich von rückwärts an die feindliche Feuer-
linie heranzuschießen, um uns zu helfen. Und hie und da droscht
auch wirklich so eine wuchtige Granate in die gelben Gestalten uns
gegenüber und ließ sie auseinanderstieben. Aber sie waren bald
wieder da. Und weiter prallte der feindliche Feuerschauer übep
uns hinweg, wuchteten die feindlichen Granaten über uns. Und
immer von neuem versuchten die Serben, uns in kurzen Gegenstößen
in die Fluten zu werfen, vergeblich.
Auch die Donauflotille unterstützte uns wacker, sobald der sich
hebende Nebel ein Erkennen der Ziele zuließ. Besonders gelang es
168
Mettelet
den Monitoren „Körös" und „Leitha", welche das feindliche Flach-
bahnfeuer unterliefen — wobei „Körös" einen Treffer erhielt —
sich in dessen totem Raume mit uns durch Flaggensignale verstän-
digend, uns nach Kräften zu helfen. Die ältere, flachergehende
„Leitha" näherte sich den 87ern dabei sogar auf Rufweite. Bis
zum Einbrüche der Dunkelheit blieben die tapferen Schiffe auf
ihren Posten.
In unseren Linien häuften sich trotzdem die Verluste; noch
konnten andere Leute an ihre Stelle treten. Noch leichter aber und
öfter vermochte der Gegner die Lücken zu schließen, die wir ihm
verursachten. Die Saufen von ausgeschossenen Magazinen, Patronen-
hülsen und Maschinengewehrgurten, die sich bald neben unseren
Kämpfern schichteten, die vermochten wir vor Einbruch der Nacht
nicht zu ersetzen und ob dann? Das blieb vorderhand ein großes
Fragezeichen. . .
Und mit Zunehmender Stunde meldeten sich noch andere Feinde
dazu: Hunger, Durst, Kälte. Den Hunger mußten kalte Konserven
oder Zwieback stillen — Feuermachen war unmöglich — den Durst
Save- oder Donauwasser, mochte es auch Blut getrunken haben
und Leichen führen, kochen konnte man es nicht. Und wem im
kalten Regen, Nebel und Abendschauer der nasse Mantel nicht ge-
nügte oder das Zeltblatt, der mußte eben frieren.
Immer schwächer aber wurde der Gefechtslärm bei dem helden-
mütigen kleinen Häuflein oberhalb des Nebojse-Turmes und endlich
schwieg er ganz . . . Unmöglich war es, um den feuersprühenden
Turm herum, etwas vom Schicksal der Kompagnie Schlemmer zu
erfahren. Wir haben von ihr in diesem Kampfe nichts mehr ge-
hört und nachher fanden wir nichts als eine Anzahl teilweise un-
kenntlicher und zerrissener Leichen, von dem braven Führer von
Oberleutnant Schlemmer hörten wir niemals wieder . . . Erft nach
langer, langer Zeit erfuhr ich des Rätsels Lösung. Einstweilen
ließ ich durch einige verfügbare Leute mit Maschinengewehren gegen
den furchtbaren Turm hin abriegeln.
Was war dort geschehen? — Die Artilleriebeobachter am an-
deren Ufer hatten die schlimme Lage des immer spärlicher werden-
den Heldenhäufleins und seine Wichtigkeit für uns erkannt und
suchten zu helfen. Verschiedene schwere Haubitz-Batterien, vor allem
die drei alten f8 ein-Haubitz-Batterien versuchten dies. Aber es
schien rasche Hilfe notzutun, denn immer neue Serbentrupps ver-
suchten den Sturm.
Da sollte etwas Großes helfen.
Der Kommandant der ^2 er sollte mit seinen mächtigen Riesen-
geschossen fjiife bringen. Die erste Riesengranate saust heran. Sie
schmettert ein Magazin unterhalb der oberen Festung fast ganz in
den Grund. Eine Korrektur — die zweite Riesin kommt. Da
öffnet sich unweit des alten Turmes, oberhalb am Bahndamms, ein
vor Belgrad J9J5
169
Krater, aus welchem Eisenbahnschienen, Steintrümmer und zerrissene
Rkenschenleiber in die Luft fliegen.
Der Rauch verzieht sich. Ungerührt steht der alte Turm. Linen
Steinwurf von ihm gähnt im Bahndamme eine Lücke. Dort hat
der $2 er eingeschlagen, Feind und Freund, die letzten 20 oder 30
der halben \2. Kompagnie des k. u. k. Infanterie-Regimentes Nr. 71»
unter sich begrabend. Sie starben wo sie gefochten und wo sie das
Feindesufer betreten hatten.
Und weiter rast der Kampf, weiter sprüht der unheilvolle Turm,
aus dessen oberstem Stockwerk sechs Maschinengewehre unsere Stel-
lung bestreichen, sein Feuer. Der Kommandant der ^8 er-Haubitzen
macht sich an ihn heran. Jetzt, wo meine halbe \2. nicht mehr
besteht und an ihrer Stelle wieder Serben stehen, scheint es leichter,
ihm von der einen Seite beizukommen. Die Genauigkeit der braven
Uchatinshaubitzen und das gute Schießen der österreichischen Ka-
noniere versagt auch hier nicht. Zwei Volltreffer reißen dem Turm
die rechte obere Lcke ab. Aber er steht und trutzt weiter. Und das
Feuer noch weiter nach links verlegen? Da geht es vielleicht
wieder in die eigenen Leute. Und weiter trotzt der uralte graue Turm
des Despoten Georg Bankovio und sprüht ans den allermodernsten
Kriegsmaschinchen immer neue, kleine Spitzgeschosse in unsere Linien.
Aber deren letzte Stunde, wenn auch nicht die des alten Turmes, ist
doch gekommen. Die beiden 7 em-Landungsgeschütze des über den
\8 em-Batterien am Semliner Steilrande eingebauten ständigen Ge-
schützposten versuchen auf 3500 Schritte Lntfernung die Rla-
schinengewehre durch direkte Schartentreffer außer Gefecht zu setzen.
Und das gelingt. Als die ersten 7 em-Granaten durch die Scharten
hindurchsausend im Turminnern platzen, stellen die Rtaschinen-
gewehre ihr Feuer ein.
Und auch die Donaumonitore leisteten uns wirksame Unter-
stützung. Sie kreuzten bis in den ersten Vormittagsstunden in
Gruppen von zwei oder drei Schiffen abwechslungsweise zwischen
Kriegs- und Kozarainsel, um das feindliche Feuer auf sich zu ziehen
und die für sie sichtbaren Batterien zu bekämpfen. Das gelang
ihnen auch so ziemlich. Die Serben überschütteten sie mit znsammen-
. gefaßten Lagen und Infanteriesalven.
hiebei zeichnete sich besonders die „Körös" aus, die, obwohl
von mehreren feindlichen Volltreffern getroffen, tapfer in der Ge-
fechtslinie ausharrte 1). Zwei gleichfalls schwer getroffene Motor-
boote gelang es hinter der Kozarainsel zu bergen.
*) Die Panzerung dieser Fahrzeuge machte sie für den Flachbahnschuß leichter
Feldartillerie unverwundbar. Aber auch Volltreffer älterer oder leichterer Oaliber
der Mittelartillerie vermochten sie nicht außer Gefecht zu setzen. Nur das Steilfeuer
von jo cm aufwärts und Volltreffer schwerer Kaliber vermochten sie ernstlich zu
gefährden. Aber für die ersteren scheinen den Serben entweder die entsprechenden
Richtmittel oder die Schießfertigkeil gegen sich rasch bewegende Ziele gefehlt zu haben.
170
Mettelet
Am Nachmittage waren die Jäger mit ihrem Stollen fertig.
Nach einer Lsandgranatensalve und einer Lage aus zwei Maschinen-
gewehren stürzten sie sich mit Bajonett und Handgranate auf die
überraschten Serben, entrissen ihnen das Isaus am Bahndamme,
welches auch einiges von den Monitoren abbekommen hatte und die
anliegenden Schützengräben. Damit und nach der Vernichtung der
heldenmütigen Valbkompagiiie Schlemmer, flauten die serbischen
Gegenstöße etwas ab. Sei es, daß sich mit letzterer ihr Rache-
gefühl oder ihre Gffensivkraft augenblicklich erschöpft hatte, sei es,
daß die vernichtende Wirkung der H2 er-Granaten doch einen so
mächtigen Eindruck auf sie gemacht hattet oder wollten auch sie
die Nacht abwarten — einerlei, wir konnten ein wenig zu Atem
kommen, denn auch wir erwarteten sehnsüchtig die Nacht, sie erst
konnte uns Hilfe bringen.
In Anbetracht der Verluste an Überschiffungsmitteln und der
Aufmerksamkeit der serbischen Artillerie, war es unmöglich, bei
Tageslicht die Überschiffung fortzusetzen, wollte man es nicht darauf
ankommen lassen, den Rest der Überschiffungsmittel einzubüßen und
so das Übersetzen von Truppen vor dem Brückenschläge einstellen
zu müssen. Die Lage der Truppen, die uns nachfolgen sollten, war
«inzwischen auf den Inseln auch keine rosige. Auch dort stieg die
Flut und setzte die Schutzgräben unter Wasser. Auch die Verluste
durch das feindliche Artilleriefeuer waren nicht unbeträchtlich. So
verlor das unfern des Finanzwachhauses Üj-Borcfa bereitstehende
26. Jäger-Bataillon in kurzer Zeit 2 Tote und 25 Verwundete, und
auch unser tapferer Divisionär, Feldmarschalleutnant Snjaric, wurde
durch ein Gewehrgeschoß verwundet. Allerdings vermochte das
serbische Geschoß den Sohn der alten Grenze nur auf einen und
einen halben Tag außer Gefecht zu setzen — es war ja „nur" ein
Steckschuß in der Bauchdecke . . .
Nach Einbruch der Dunkelheit wurde die Überschiffung und
zwar durchwegs von der Reiher- und Kozarainsel und von Borcsa
aus fortgesetzt. Auch unsere, auf die Kriegsinsel abgetriebenen V-/2
Kompagnien gelangten als willkommene Verstärkung wieder zum
Bataillon. Außerdem wurden im Laufe der Nacht das Gros des
Bataillons IV/8H, der Rest des Bataillons 11/60, das ganze Ba-
taillon IV/f2, das Gros des 5. Jäger-Bataillons und eine Kom-
pagnie und die Maschinengewehr-Abteilung des Bataillons III/49
übergesetzt. Alle die Schwierigkeiten, welche bei unserer Über-
schiffung störend gewirkt, wiederholten sich im Laufe dieser Nacht.
Der Trichter am Eisenbahndamm war so gewaltig, daß die österreichisch-
ungarische Gouvernementsverwaltung es später vorzog, die Stelle zu überbrücken,
statt den Damm wieder herstellen zu lasten.
2) kroatisch-slavonische Militärgrenze. — Gebiete von Kroatien, Slavonien
und Südungarn, die bis ^872/3 unter Militärverwaltung standen, auf Verlangen
Ungarns aber in diesen Jahren aufgelöst wurde.
Vor Belgrad (9 (5
171
Auch war die Zahl der Fahrzeuge schon erheblich zusammen-
geschmolzen — nur daß die Landung nicht erst erzwungen werden
mußte. Besonders die letztgenannte Abteilung der U er, die rechts
von uns landen sollte, um an die Stelle der bsalbkompagnie
Schlemmer zu treten, kam wieder in einen derartigen Feuerwirbel,
daß etwa ein Zug auf die Krieg sin sel abgetrieben wurde.
Aber trotzdem waren bis zum Morgen des 8. Oktober I.31/2
frische Kompagnien der 9- Gebirgsbrigade übergesetzt, Munition
nachgebracht und 500 verwundete in den leeren Pontons zurück-
gebracht worden. Besonders meinem Bataillon hatte ein von mir
zurückgesandter Ordonnanzoffizier 60 Geschoßverschläge gebracht.
Noch immer war ich der rangälteste Truxpenführer am Serben-
ufer und übernahm als solcher hier das Brigadekommando.
Und auch die Zigeunerinsel war in den bsänden der Deutschen,
die außerdem oberhalb derselben durch ein Häuflein von 150 Frei-
willigen des braunschweigischen Reserve-Znfanterie-Regimentes 208
am südlichen Saveufer festen Fuß gefaßt und die serbische Floßbrücke
bei der Zigeunerinsel, den fliehenden Serben scharf nachdrängend,
unbeschädigt in ihren Besitz gebracht hatten.
Wohl mochte uns noch Schweres bevorstehen — aber trotzdem,
das Schwerste hatten wir sicher hinter uns. Wir hatten uns
am serbischen Ufer festgebissen, die Serbenhauptstadt mußte unser
werden.
Am schwierigsten war bei Tagesanbruch die Lage am linken
Flügel, beim 15. Jäger-Bataillon. Einerseits bedrohte die steigende
Donau die Jäger immer mehr im Rücken, anderseits hatten die
Serben erkannt, daß dort immer neue Verstärkungen herangekommen
waren und waren daher schon im Laufe der Nacht eifrigst bestrebt,
hier den Gegner wieder in den Strom zu werfen. — Es gelang
' ihnen nicht, obwohl das steigende Wasser bereits den Hilfsplatz
erreichte und teilweise überschwemmte und, mangels an Raum,
weiter vorne kein Platz für ihn war.
Für uns am rechten Flügel, für meine braven 7^ er, ließ sich
die Nacht und der anbrechende Morgen des 8. Oktober etwas
ruhiger an — woraus aber beileibe nicht geschlossen werden soll,
daß sie etwa ruhig verliefen. Und da unsere rechte Flanke durch
die gelandete Kompagnie wieder sicher war, so konnten wir
auch hier den kommenden Ereignissen ruhig entgegenblicken, von
denen wir an jenem nebligen Oktobermorgen, trotz der günstiger
gewordenen Lage, noch nicht erwarten durften, daß sie schon die
Entscheidung bringen würden. Wie oft im Kriege hat man in
schwieriger Lage, die schier unerträglich schien, viele Tage, ja
wochen- und monatelang ausharren müssen — allerdings nicht mit
einem steigenden Riesenstrome im Rücken, auf den spärlichen Nach-
schub auf gebrechlichen Pontons angewiesen, die ihre Fahrten ganz
172
Mettelet
einstellen mußten, falls sich die verwünschte Rosava, der gefürchtete
Donausturmwind, erheben sollte.
Der Morgen und Vormittag des 8. Oktober war trüb und
neblig wie sein Vorgänger. Lrst gegen Mittag wurde das Wetter
wieder sichtiger — und unsere Artillerie setzte wieder mit voller
Rrafi ein.
Im Laufe des Vormittags gelang es unseren Winkern, eine
Flaggenverbindung mit den Monitoren herzustellen, welche unsere
Beobachtungen oder Feueranforderungen mit ihren drahtlosen Sta-
tionen weiterzugeben vermochten. Damit wurde die Wirksamkeit
des Feuers gewaltig erhöht.
Bis zu dem Augenblicke, an welchem die Landartillerie wieder
einsetzte, hatten die Monitore die ganze Wucht des Artilleriekamxfes
allein zu tragen. Sie erlitten dabei schwere Verluste, da es der
schweren Artillerie des Gegners endlich gelang, sich aus sie einzu-
schießen und ihnen wirksame Treffer beizubringen. „Maros" be-
gann zu brennen, blieb aber in der Gefechtslinie, „Lnns" und
„Temes" wurden leckgeschossen und erlitten ansehnliche Mannschafts-
verluste. Aber auch sie verließen ihren Platz erst, als die Land-
artillerie sie wirksam zu ersetzen vermochte.
Gegen Mittag setzte diese mit vollster Wucht ein. Bald glich
die Festung vor uns einem rauchenden Trümmerhaufen. Die feind-
lichen Geschütze begannen da und dort ihr Feuer einzustellen, das
Infanteriefeuer aus den zerschossenen Festungstrümmern wurde
immer matter, setzte in immer größeren Pausen aus. Nur gegen
die Mitte und den linken Flügel unserer ganzen Aufstellung setzte
der Feind nicht nur sein Feuer fort, sondern schritt aus den gegen^
überliegenden kfäusern immer wieder zum Gegenangriffe. Besonders
ein den 87 mt gegenüberliegendes, auch mit Maschinengewehren
besetztes größeres, gelbes bsaus, diente ihm hier als Stützpunkt.
Doch nun, da die Verbindung mit den Monitoren hergestellt
war, sollte dies bald ein Ende haben. „Rörös" legte sich, un-
bekümmert um das feindliche Geschützfeuer, dem gelben ksause auf
wenige hundert Meter gegenüber. „Leitha" nahm andere Teile
der serbischen Stellung zum Ziele, der Lisenbahndamm wurde in
einer Ausdehnung von 150 m von den 87 ern geräumt, damit sie
von den flachgehenden Geschossen der s2 oin-Ranonen nicht ge-
fährdet würden, vom Land aus von Oberstleutnant Peter be-
obachtet und mit Flaggensignalen korrigiert, saß bald Schuß auf
Schuß mit furchtbarer Genauigkeit in den Häusern, die sich schnell
in Trümmerhaufen verwandelten.
Während die Serben ihre Bollwerke zusammensinken sahen,
waren unsere Leute nicht mehr in den Deckungen zu halten. Jubelnd
steigen sie, um besser sehen zu können, auf den Damm und werfen
die Mützen in die Luft, bei den Serben beginnen einzelne Leute
Reißaus zu nehmen. Die Lage muß man ausnützen.
Vor Belgrad (9 ;5
173
„Feuer einstellen!" — „vorwärts! Sturm!"
Oberstleutnant Peter springt auf den Damm, jubelnd springt
das Bataillon auf, stürmt ihm unter lautem „Hurra" nach, drauf
auf den Feind, der dem plötzlichen, schwungvollen Anpralle nicht
stand hält, ein wink, ein kurzer Befehl, die 8^ er und der linke
Flügel meines Bataillons schließen sich an, in kurzem aber heftigem
Straßenkampfe wird dem Gegner Häuserzeile auf Häuserzeile ent-
rissen, die linke Flügelkompagnie der 87 er biegt links ab und be-
ginnt die den ^5 er Wägern gegenüberliegende serbische Stellung
aufzurollen, die Jäger dadurch aus ihrer peinlichen Lage befreiend,
wenn sie auch des flankierenden feindlichen Artilleriefeuers wegen
noch nicht selbst zum Angriffe übergehen können. . .
wir erreichen eine breite, auffällige Häuserzeile, einzelne Ab-
teilungen prellen über sie hinaus.
„Car Dusan ulice!“, die Gasse des großen Serbenzaren, stellt
einer fest. Sie ist das im Divisionsbefehl als erster Abschnitt be-
zeichnete Ziel, in welcher das Überschiffen des Gros der Division
abzuwarten befohlen ist. Also „Halt". Der Angriffseifer wird ge-
zügelt, die vorgeprellten Abteilungen werden zurückgenommen. —
Ls mochte etwa ^ Uhr nachmittags sein.
Der erreichte Abschnitt wird verbarrikadiert, wir sind nicht
nur in Belgrad — Belgrad ist so gut wie genommen, denn auch
vom anderen Flügel aus waren die Serben etwa um dieselbe Zeit
in die Zange genommen worden.
Bald neigt sich der Sonnenball dem Ende seiner Bahn zu
und versinkt blutigrot in den stets steigenden Fluten der Save, sie
für eine Viertelstunde in eine purpurglänzende Fläche verwandelnd ..
Es war wie ein Symbol. — Das Blut vieler Tapferer war ge-^
geflossen um die oft und auch heute wieder heißumstrittene Serben-
burg, aber der Purpurmantel des Sieges hüllte die tapferen Scharen
ein, welche durch ^8 Stunden nicht nur dem Feinde, sondern auch
der Tücke der Elemente getrotzt und sie schließlich beide bezwungen
hatten.
Was nun noch folgte, ist bald erzählt. Am gleichen Tage hatte
das in Braunschweig seinerzeit aufgestellte Reserve-Znfanterie-Regi-
ment Nr. 208 durch einen überraschenden Angriff über die oberhalb
der Zigeunerinsel gelegene versumpfte Rtakis-Ebene hinweg den den
serbischen linken Flügel beherrschenden Banovo Brdo (Bannwald-
hügel) i) erstürmt, und gegen alle Gegenangriffe behauptet. Bis zum
Abend waren hinter den bisher gelandeten deutschen Truppen mehr
als vier Regimenter des XXII. Reservekorps übergegangen, hinter
uns setzte bis zum Tagesanbruch unsere ganze Division auf Dampf-
fähren über samt einem Teil der Gebirgsartillerie. Mehr als zwei *)
*) (Er trägt heute den deutschen Heldenfriedhof und das Regimentsdenkmal
des Ref.-Inf.-Regts. Nr. 208.
174
Mettelet
verbündete Divisionen standen damit am serbischen Ufer und setzten
bei Tagesanbruch des 9- Oktober den Angriff fort.
Auf unserem rechten Flügel drangen die Qßev in die nur mehr
von schwachen Nachhuten verteidigte Festung ein und pflanzten dort
das österreichische Banner auf. Unsere Truppen, mein arg ge-
lichtetes Bataillon nun in der Reserve, drangen im Kampfe mit
serbischen Nachhuten — das Gros hatte in der Nacht Stadt und
Festung geräumt — von der einen Seite, das deutsche Reserve-
Regiment Nr. 203 von der anderen Seite in die Stadt ein, bei
der Königsburg, beim Konak, reichten sie sich die Hände.
Line Kompagnie dieses Regimentes, unter demselben Haupt-
mann, welcher die deutsche Fahne auch in der eroberten Russen-
festung Brest-Litowsk aufgepflanzt hatte, von der einen, zwei Kom-
pagnien 87 er von der anderen, nahmen die Unglücksburg von
zwei Seiten, und bald verkündeten die sich im winde bauschenden,
Banner der beiden Reiche:
„Belgrad ist unser!"
* *
*
Am Abende des 9. Oktober war ganz Belgrad und die un-
mittelbar anschließenden Höhen in unserem Besitze, am \7. war
dem Feinde auch die letzte befestigte Höhenlinie beiderseits des
überhöhenden herrlichen Avallah entrissen, wobei mein Bataillon,
ebenso wie auch noch später in diesem Feldzuge, noch manche ernste
blutige Arbeit tun mußte. Keine aber kam den Tagen und stunden
an: Savedamm vor Belgrad gleich.
Mit 33 Offizieren und ^80 Kämpfern hatten wir uns am
Abende des 6. Oktober eingeschifft. \2 Offiziere und ^75 Mann
fehlten, als ich, nachdem ich das Brigadekommando wieder über-
geben, am 9. Oktober mein Bataillon in Reserve sammelte. Zwei
Offiziere und 88 Mann konnten gleich sicher als tot festgestellt
werden, vier Offiziere und $7 Mann waren vermißt. Man sah
und hörte bis auf wenige, die man tot aus den Fluten zog, nie
mehr etwas von ihnen. Sie alle haben in den Fluten der Donau
ein namenloses Heldengrab gefunden. Ein Massengrab von zwei
Offizieren und 95 Mann in der Unteren Festung, knapp neben dem
berühmten letzten barocken Festungstore aus der j)rinz Eugen-Zeit
mit den Initialen des deutschen Kaisers Karl VI., gab. Zeugnis
von dem Heldenmuts des Bataillons, bis die Toten von hier in den
großen österreichischen Soldatenfriedhof am Ostausgange von Belgrad
übertragen wurden, wo sie einer besseren Zeit entgegenharren. . .
Die alte österreichische Armee besteht nicht mehr und darum
gehört auch unser 7% Regiment — eines ihrer jüngeren Regi-
Por Belgrad
175
menter — nur mehr der Geschichte an. Denn was jetzt im hei-
mischen Ergänzungsbezirke um Gitschin und Reichenberg an Truppen
neu aufgestellt wird, darf, entsprechend dem Gebote der dortigen
Machthaber von heute, die ruhmreiche alte Tradition nicht fortsetzen.
Und trotzdem! Heldentum, Mannesmut, und opferfreudige
Fahnentreue werden wieder und weiter noch hoch in Ehren stehen,
wenn der Gernegroße von heute kein Mensch mehr gedenkt.
Und darum wird auch der Heldenmut meiner Braven, die am
Savedamme unter meinem Kommando kämpften, einerlei, ob sie
Deutsche, Slaven oder Ungarn waren, immer unvergessen bleiben,
solange es brave, tapfere Soldaten, ja solange es nur tapfere
Männer gibt.
Denn was sie dort geleistet, eingeklemmt zwischen einen fana-
tischen, erbitterten und überlegenen Feind und die Macht der Ele-
mente, das können die allerbesten Truppen der Welt wohl er-
reichen, nie aber übertreffen.
„Unbesiegt und unübertroffen!" Das kann jeder, der diese
Tage überlebt, mitnehmen in seinen Lebensabend als seine stolzeste
Erinnerung.
Aus dev Geschichte eines Landsturm-„Etappen"-
Dataillons.
Von Landsturm-Oberleutnant Ottokar Stauff v. d. March,
im Felde Zugs- und Kompagniekommandant im k.k. Landsturmbataillon Nr. 41
CTruppe, von der hier die Rede sein soll, ist das mährische
Landsturm-Bataillon Nr. das vom Landsturmbezirk
Rremsier i. ZYl. aufgestellt und in der Folge aus dem Landsturm-
bezirk Znaim i. 2TE. ergänzt wurde. Ls hatte wohl ursprünglich die
Bestimmung, den Dienst in der Ltappe zu versehen, kam jedoch
schon sehr bald, da infolge des italienischen Verrates Not an Mann
war, in die Front, ja in die Feuerlinie, wie so manches andere
Landsturm-Bataillon. Dieses Landsturm-Bataillon nun bestand in
der Mehrzahl aus Mannschaften älterer Jahrgänge und nur der
kleinere Teil der Leute hatte vordem überhaupt gedient.
Aktive Offiziere, ja selbst nur ehemalige Berufsoffiziere waren beim
Landsturm und gar bei zum Ltappendienst bestimmten Bataillonen
eine Seltenheit. Das muß man sich immer vor Augen
halten, um recht zu ermessen, was der österreichische Landsturm
geleistet hat, unter Verhältnissen, die selbst an junge, gediente
und wohlgedrillte Mannschaft so bedeutende Anforderungen stellten.
Daß trotzdem der Landsturm die ihm gestellten Aufgaben in ge-
radezu glänzender weise gelöst und sich wacker gehalten hat,
sowohl gegen die wilden Naturgewalten, wie auch gegen den nicht
weniger wilden Feind, beweist klar und deutlich, wie kernhaft
selbst die älteren und ungedienten Soldaten Österreichs waren. An
ihnen lag's — bei Gott! — nicht, daß das Unheil eintrat! —
Der Vollständigkeit halber sei noch bemerkt, daß unser Land-
sturm-Bataillon U überwiegend aus mährischen Deutschen und
aus solchen Tschechen bestand, die alle, bis auf ganz wenige Aus-
nahmen, ihrer Pflicht redlich und genau nachgekommen sind.
Landstürmers Rriegswinter in den Alpen.
Als wir die Schulbank drückten, flößte uns Hannibals Über-
gang über die Alpen gar gewaltige Hochachtung ein. Zu jener
Zeit, da die Natur auch in den Alpen weit rauher war, mit berg-
ungewohnten Mannschaften in schweren Rüstungen, mit zahllosem
Troß, von den Reittieren und den ungeschlachten Uriegselefanten
Aus der Geschichte eines Landsturm ,, Etappen "-Bataillons
177
ganz zu schweigen, war solch ein Übergang ein ungeheures Wagnis.
Was aber sind fünfzehn Tage gegen sechs Monate! Lsannibal
hatte den Vorteil für sich, über dieLsindernisse, die ihm die
Natur entgegenstellte, hinwegziehen zu können, wir aber, in den
karnisch-julischen Alpen waren festgebannt an Grt und Stelle, wir
mußten die wilden Gewalten anunsundüberuns vorüberziehen
lassen.
Schon im September $^5 waren die Vorpatrouillen des
Winters in Gestalt heftiger Schneeschauer vorgestoßen. Mit An-
fang November setzten sie sich fest, begünstigt durch dichte Nebel-
schwaden, die ihr Vorhaben gleichsam verschleierten, weißlicher
Dunst erfüllte die Gegend ringsumher, immer höher und höher
steigend und zugleich sich verdichtend, bis es aussah, als ständen
wir am Ufer eines ungeheuren Sees, dessen Wellen zu uns hinauf-
leckten. Und schon begann es zu schneien, zuerst langsam, dann immer
heftiger und heftiger, und im Handumdrehen lag alles in wunder-
barem, weichem Weiß da. Dichter und schwerer fiel der Nebel
ein, und dann fiel der Schnee in Massen herab, als würden dort
oben ein paar Säcke zerrissen. Und es schneit weiter, schneit bei
Tage, schneit bei Nacht, ohne Unterlaß, ja ohne Pause, daß man
sich wundern muß über die ungeheuren Vorräte, die in den Höben
Magazinen über uns vorhanden zu sein scheinen.
Felsen und Bäume, Schluchten und Wege — kurz alles ist wie
verschwunden, nur die hohen Richtstangen, die wir beim ersten
Schneefall einrammten, lassen ahnen, wo die Pfade führten und nur
am aufsteigenden Rauch, aus kaum merkbaren Schloten, merkt man,
daß hier Menschen Hausen. Die Verbindung nach oben, wie nach
unten ist unterbrochen. Zwar der Eingang zu den Schützengräben
ist, weil mit Bohlen überdeckt, vollkommen gangbar. Aber
die Stellungen selbst! Der Graben bis an den Rand voll Schnee,
'die Schießscharten somit vollständig verstopft und die Mauer selbst
bildet nach außen infolge der Anwehungen mit dem Bergeshange
eine einzige schiefe Ebene. Also: Alle Mann an Bord! Wege und
Gräben freilegen, neue Schießstände im Schnee und aus Schnee über
den alten errichten, da ja doch an ein Wegschaufeln unter keinen
Umständen zu denken ist. Damit fertig, geht's an die Arbeit in den
Stellungen. Die während des Sommers und des Herbstes her-
gestellten Drahthindernisse — fünf, sechs Reihen in Manneshöhe,
miteinander dicht versponnen und verwoben — mitsamt den schweren
„spanischen Reitern" sind natürlich im Schnee versunken. So gilt's
denn neue verhaue über den alten herzustellen. Oft genug sinken
die Leute bei dieser Arbeit bis über die Brust ein, indessen: diese
Arbeit muß getan werden und wird auch getan. Raum ist sie
halbwegs zu Ende, heißt es „fassen" gehen! Mit Schaufeln und
Stricken ausgerüstet zieht die Mannschaft los, soweit sie nicht Wach-
dienst zu versehen hat. Schritt vor Schritt brechen sie sich Bahn durch
Kerchnawe, Im Uelde unbesiegt. IH. 12
178
Staufs o. d. March
den Schnee und klimmen aufwärts, um schwerbeladen wiederzu-
kommen und sodann wieder hinaufzukriechen, denn nunmehr erhalten
wir die laufende Verpflegung für vier Tage. Line weitere, für
noch längere Zeit, falls unvorhergesehene Ereignisse eintreten und
uns von der Welt absperren sollten, haben wir bereits in unserm
„Höhenmagazin" aufgestapelt. Doch all das hinauf und Hinab ist
trotz aller Mühsale bisher ein Kinderspiel, wenn aber, wie gegen
Ende Dezember, Stürme losbrechen und die „Melusine" pfeift,
gröhlt, brüllt, heult und an Felsen, Bäumen und Unterkünften
rüttelt und reißt, daß man glaubt, jetzt müsse alles hinunter ins
Bodenlose sausen, wenn die Windsbraut, jauchzend vor wilder Lust,
den Staubschnee auf dem Berggipfel emxorwirbelt und dann mit
vollen Händen boshafterweise über den Hang hinabwirft — dann
ist das „Fassengehen," eine furchtbare Anstrengung, der eine Be-
schießung schier vorzuziehen wäre. Schon an und für sich steil, wird
der weg durch das viele Beschreiten glitschig und infolge der Ge-
walt des Sturmes noch gefährlicher. Um so mehr, als ja gar kein
Haltpunkt vorhanden ist, denn das neue Geländer, das wir angelegt
haben, steckt auch schon unterm Schnee. Dazu verschiebt die schwere
Belastung das Gleichgewicht des Hinabklimmenden. Unter solchen
Umständen kann es sehr leicht geschehen, daß ein Mann auf der
schiefen Ebene zur Schlucht abfährt, vielleicht auf Nimmerwieder-
sehen! Und selbst wenn der wütende Sturmwind sich beruhigt —
die Lage ändert sich nicht sonderlich. Im Gegenteil sogar! Die
wohltat der Sonne macht den weg noch um ein Gutteil gefähr-
licher! Dann beginnt der Neuschnee vom eisenhart gefrorenen
Grunde des Steilhanges abzurutschen, ballt sich während des Ab-
rollens zu Kugeln, die immer größer werden und kollert endlich als
Masse über unsere an den Felsen gleichsam angeklebten Unterkünfte
in die Schlucht hinab.
Pfade und Stellungen sind wieder hergestellt — da beginnt
es auf's Neue zu schneien, und schneit und schneit, was Zeugs hält.
Dazu weht ein scharfer wind aus Norden, der den Schnee vom
Berggipfel auf uns herabweht, was wir in zwei Tagen mühsam
geschaffen haben, ist in einem halben verschüttet. So fangen wir
denn cuj, uns einzugraben wie Dachse, wir bohren uns Gänge
durch den Schnee, aus denen allgemach Tunnels entstehen. In den
Schützengräben wird der Schnee festgestampft und teils zu Auftritten,
teils zur Verstärkung der Schießstände verwendet.
Die halbverschneiten Drahthindernisse werden mit neuen dar-
über verflochten und versponnen. Nicht weniger als viermal wurde
das während des ganzen winters also hergerichtet! — Da die Ver-
bindung mittelst Fernsprecher unterbrochen ist, gehen Telephon-
patrouillen ab, um die vom Sturm und sonstwie zerrissenen Lei-
tungen wiederherzustellen.
So arbeitet die Mannschaft oft schon vom ersten Schimmern
Aus der Geschichte eines Landsturm-,, Ltapxen"-Bataillons
179
des Tages bis tief in die Nacht hinein, um dann todmüde auf's
Lager zu sinken. Um zu schlafen? Ja, wer das könnte! wenn
nicht alarmiert wird, was oft genug geschieht, stört etwas anderes
die Müden auf. Einmal rollen ein paar mächtige Wächten über
die Buden mit einem Donnergepolter, daß man schier glaubt, der
halbe Berg wolle zu Tal, und bei dieser schönen Gelegenheit die
Unterkünfte mit Mann und Maus — der letzteren haben wir über-
genug — mitzunehmen. Ein andermal polterts kurz nach Mitter-
nacht an der Tür: die Wachmannschaft ist in einer Stellung von
einer kleinen Lawine verschüttet, wir trampeln uns durch den Schnee
dorthin — wo die wachthütte stand, breitet sich ein weißes Feld,
unter dem verworrenes Stimmengemurmel hervordringt. Keuchend
und in Schweiß gebadet schaufeln die Leute, emsiger als je zuvor,
endlich wird die Tür frei und die Wachmannschaft halb erstickt
vom schwelenden Rauch des Schwarmöfchens, geblendet vom jähen
Wechsel der tiefen Finsternis mit dem gleißenden Schneelicht, stürzt
hervor, wieder ein andermal überrascht eine Wächte einen porch-
posten am Berghange. Sein Kamerad, der unweit wache hält,
eilt zu bsilfe und ruft zugleich den Wachkommandanten an. Die
gesamte wache springt bei und befreit die beiden.
Nicht viel weniger unangenehm als das Postenstehen ist das
visitieren zu solcher Zeit. Solange es hell und windstill ist, mag
es angehen, obzwar man gut tut, eine Schaufel mitzunehmen, um
sich einen weg zu bahnen, denn wie oft geschieht es, daß der von
der Mannschaft abends ausgeschaufelte Pfad, den du rüstig hin-
schrittest, bei deiner Rückkehr nicht mehr vorhanden ist, und zwar so,
als wäre er niemals da gewesen; inzwischen hat es wieder mal
geschneit oder Schnee vom Gipfel abgeweht oder es ist eine Wächte
abgerutscht. Da heißt's dann ausschaufeln, so du mit trockenem
Schuhwerk fortkommen willst, oder durchwaten, wenn dir's so mehr
^xaß macht. Unter solchen Umständen ist es noch immer erträgliche
wenn aber dunkle Nächte eintreten und Schneetreiben einsetzt, dann
wird einem so eine visitierung recht sauer, zumal wenn es gilt,
einen Raum von fast 2000 Schritten' hin und ebensoviel zurück zu
durchschreiten. Linen Berghang aufwärts zu klimmen bei einer
Nacht, in der du die pand vor den Augen nicht siehst, in-'knie-
tiefem Neuschnee, umgraust vom eiskalten wind, der Eisnadeln
in dein Gesicht wirft, dir die Kapuze abreißt, um in deinen bsals-
kragen ein gerüttelt Maß von Flocken zu schütten, daß es dich bis
ins Perzinnerste durchschauert! wenn man höher kommt, nicht weit
vom Sattel, wo wind und Wetter größere Macht haben — da
lernt man erst spüren die Gewalt des Schneesturmes. „Pui! Pu-i-ih!"
juchzt es gellend in deinem Ohr und schon hast du deinen Stoß
weg, der dich wie ein Kartenblatt zu Boden wirft. Du sammelst
dich und krqmpelst weiter, gebückt, den Kopf vor, wie ein Stier,
der seinen Gegner anrennen will oder dessen Anlauf erwartet.
12*
180
Staust o. d. March
Und wieder juchzt es boshaft-zornig in den Lüften und im Augen-
blick wankst du unter der Gewalt des wilden Ansturms. Und so
geht's weiter: Anlauf, Abwehr, heftiges Ringen ohne Aufhören.
Die letzten zehn Schritte muß man kriechend zurücklegen, da
der Schneesturm mit verdoppelter U)ut tobt und der Weg wegen
der Wächten am gefährlichsten ist. Du dampfst wie ein siedender
Kochkessel — recht die Gelegenheit zu einer ausgewachsenen Lungen-
entzündung — dein Bart starrt von Liszäxfchen und deine bsände
in den platschnassen Handschuhen sind klamm, desgleichen Ghren
und Nase, und die Zehen ganz gefühllos, wie völlig abgestorben.
— Unter solchen Umständen soll der Satan selbst visitieren oder — der
Kriegswucherer, denn zu solch einem Teufelswetter paßt einer wie
der andere am besten.
Die Tunnels sind auch fertig geworden. Jene längs des Berg-
hanges ins Land hinab erscheinen sogar sehenswert, sie sind ge-
räumig, mit Nischen versehen zum Ausweichen der einander Be-
gegnenden, schier wie Klostergänge anzusehen, nur noch etwas
düsterer.
Aber die Überraschungen werden nicht alle! Du öffnest am
Morgen die Haustür und eine ungeheuerliche Schneemasse rollt
herein — die Bude ist nämlich bis zum Dach verschüttet. Line
andere Überraschung bietet ein bsochgewitter. Fahlblaue Blitze
zucken durch die ägyptische Finsternis und lassen den Schnee grell
aufleuchten. Der Donner kracht unheimlich, durch den lang hin-
hallenden Widerhall in den tausend und abertausend Schlünden
und Gründen noch unheimlicher wirkend. Da kommt der Diener
hereingestürzt, sonst ein sehr würdevoller, gemessener Mann, jetzt
kreidebleich, an allen Gliedern schlotternd und mit verstörten Mienen,
als hätte er nicht einen, sondern ein Bataillon Geister gesehen.
Nachdem er Luft geschnappt hat, drückt er mühevoll heraus: „Ich
bitt' g'horsamst, was is' denn mit mir? Bin ich noch bei verstand?"
— Der arme Kerl ist nämlich „elektrifiziert". Und wie seine bsaare,
so leuchten auch die Gewehrläufe und Bajonette der Posten im
Elmsfeuer, und über den Drahthindernissen tanzen ab und zu ma-
gische Flämmchen wie Irrwische über'm Moor. Schön anzusehen
ist diese Naturerscheinung, wir sind aber herzlich froh, wenn das
herrliche Schauspiel vorüber ist.
So sieht ein Kriegswinter im Hochgebirge aus! Aber wir
haben ihn doch bestanden und gut bestanden. Und mit gutem
bsumor, fast immer bei Laune und frohen Mutes. Was hälf' es
auch, Trübsal zu blasen? Man erbläst sich ja nichts, höchstens einen
Blähhals!
Kommt da unversehens eine Wächte vom Felsgrat, an den sich
eine Unterkunft anschmiegt, rollt über deren Dach und nimmt herab-
fallend einen am Bergeshang eben schaufelnden Landsturmmann
mit. Er hat gar keine Zeit, einen Ruf auszustoßen, schon geht's
Aus der Geschichte eines Landsturm-„Etappen""Bataillons
181
holterdipolter in die Schlucht hinab. Aber Kameraden haben die
unfreiwillige Abfahrt bemerkt, sofort wird eine Schar entschlossener,
schwindelfreier Leute mit Schaufeln, Stricken und einer Tragbahre
abgefertigt. Eine Zeit vergeht. Endlich brüllt's von unten her:
„Mir hab'n ihn!" — „Lebend?" — „Iawoll!" — Noch eine Zeit
vergeht und sie bringen ihn, das heißt, der Totgeglaubte marschiert
wohlgemut an der Spitze seiner Retter. Außer tüchtiger Durch-
rüttelung und -schüttelung samt ein paar Schrammen und Schrunden,
den Schreck miteingerechnet, hat er nichts abgekriegt. Auf die Frage,
wie es ihm zu Mute gewesen, als es mit Blitzzugsgeschwindigkeit
hinabging, antwortet er: „So wie an, der im Auto fahrt und an
b'soffenen Thauffeur hat." Als der „Reisende" endlich festsaß und
demnach vermutete, jetzt sei es wohl an der Zeit, auszusteigen, be-
gann er in seiner Herzensfreudigkeit zu jauchzen und zu jodeln, so
daß die Leute der Feldwache, die über der Schlucht ihren Standort
hatte, höchst verwundert zusammenliefen. Seither hieß diese Rutsch-
bahn allgemein: „unsere kürzeste und beste Verbindung mit dem
Hinterlande." Ist's da ein Wunder, daß uns der Humor nicht
ausgeht? Za, er verdichtet sich zum Übermut. Da schlägt ein
Teil der Mannschaft heftige Schneeballschlachten und auch das
Alter beteiligt sich daran nicht weniger leidenschaftlich, oft sogar
noch leidenschaftlicher. Mancher unserer vierzig- und mehrjährigen
steckt einen, dessen Vater er sein könnte, in die Tasche. Andere er-
zeugen Schneemänner und stellen sie am liebsten dort auf, wo sie
von den welschen gut gesehen werden. Zum Ärger der Nachbarn
kriegt der Schneemann einen Alpinihelm samt Mantellino und
Karabiner, deren wir ja genug haben und die große Inschrift:
Annunzio, was die drüben nicht wenig giftet — aus dem herüber-
schallenden Rufen können wir's erkennen — worüber sich die Unsern
,freuen wie Schneekönige. Eines Tages hatten sie etwas ganz Be-
sonderes ausgeheckt. Just in der Stellung mit Nachprüfen des
Ausschusses beschäftigt, höre ich wiederholt Maschinengewehrschüsse
fallen und zwar aus welschem Gewehr. Da die Schießerei kein
Ende nahm, erklomm ich einen Felsblock und suchte mit dem Glas
die Gegend ab. Und da sah ich, — einen Infanteristen, einen
Alpenstock in der Hand, auf dem Hange gegen die Schlucht unten
der feindlichen Stellung hinunterfahren, und zwar sacht, behaglich,
als wenn er die Fahrerei recht genießen wolle. Die Frechheit, am
hellichten Tage, an vollkommen eingesehener Stelle so frank und
frei, mit einer schier märchenhaften Gelassenheit herumzuskien, schien
die Welschen nicht mit Unrecht aufzuregen. Jetzt blieb er gar stehen.
Da: Krak, krak-krak-krak-krak! Das Maschinengewehr hat ihn auf's
Korn genommen. Tatsächlich, er ist getroffen und jetzt fällt er auch.
Die drüben schreien jubelnd auf, die Unsern schreien auch, nicht
weniger jubelnd, aber dabei mit Hohn. Und sieh' da! Der Ge-
fallene schiebt sich aufwärts zum Graben und da wird mir alles
182 Staufs v. d. March
klar! Das war eine Puppe, die irgendein Mechanikus auf sinn-
reicher Vorrichtung herabgelassen hat, um die welschen zu utzen,
was ihm denn auch gelungen ist. Jetzt ziehen sie den verwundeten
Schneeschuhläufer herauf — man sieht die Seile ganz deutlich und
die Unsern schreien hinüber: „©es walischen Teppen überanander!
Laßt's euch hamgeigen! mit enkerer G'scheitheit!"
Ja, da wir schon beim Feinde sind, — was tut er die Zeit
über? Beunruhigt er uns nicht? Nicht im geringsten, außer wir
werden gar zu keck. Die welschen sind eben auch mit allen möglichen
Arbeiten beschäftigt, um des Schnees verr zu werden und ihre
Stellungen gegen einen Angriff zu sichern, wie wir am Hellen
Tage bei unserm Drahtverhau schaufeln auch sie oft ruhig bei dem
ihren — es ist, als wenn uns beiderseits ein Waffenstillstand auf-
gedrungen worden wäre.
So munter, wie sich die Mannschaft des Landsturms bei Be-
schießungen verhielt, ebenso erwies sie sich auch gegenüber den Ge-
fahren und Mühsalen des Alxenwinters.
So zeigte sich denn der Landsturm als vollauf gewachsen den
Anforderungen, obgleich er zumeist aus älteren Jahrgängen be-
stand, überdies vielfach auch aus Männern, deren lheimat und stän-
diger Aufenthalt ansonst das flache Land ist. Die Geschichte unseres
heldenhaften Krieges um Sein oder Nichtsein, Sieg oder Untergang,
wird auf ihren ruhmvollen Blättern freudig anerkennen müssen,
wie wacker auch der österreichische Landsturm sich in jeglicher Ein-
sicht gehalten hat im Dienste des Vaterlandes und wird den Worten
des deutschen Dichters aus den Befreiungskriegen vor 100 Zähren,
zu welcher Zeit sich ja der Landsturm, dazumal eine ganz neue
Schöpfung, ebenfalls glänzend bewährt hat, vollkommen und freudig
beipflichten:
Oer Landsturm! Oer Landsturm!
wer hat das schöne Wort erdacht?
Das Wort, das donnert, blitzt und kracht,
Oas einem 's Herz im Leibe lacht,
wenn ganz ein Land im Sturm erwacht,
wer hat den Landsturm aufgebracht?
Oer Landsturm! Oer Landsturm!
Oer Feind, der wicht, ist taub und blind,
Und feine Schlachten sind ein wind,
Er weiß ja nicht, wofür sie sind. ^
Ich hab' im Rücken Weib und Rind,
Ich weiß, wofür die Schlachten sind.
Oer Landsturm! Oer Landsturm!
Aus der Geschichte eines Landsturm-„Etappen "-Bataillons
183
Landstürmers Rriegssommer 191^-
wir konnten nicht mehr zweifeln: der Lenz war da. Nach sechs-
monatlicher Winterszeit! Zwar hatten wir schon zu Anfang des
Hornungs Hoffnung geschöpft, nun werde sich alles, alles wenden.
Das Blatt wendete sich auch, aber auf die andere Seite, von neuem
begann das Schneetreiben und im Handumdrehen saßen wir wieder
bis zum Halse im Schnee. Zumal der kalendermäßige erste Früh-
lingstag spottete jeder Beschreibung. Endlich gen Ende des Reim-
monats blieben die Nebel ganz aus, die Sonne ließ sich schon früh-
zeitig blicken und der bisher in unbestimmtes Grau gekleidete
Himmel begann eine zart bläuliche Färbung anzunehmen. Das
ungeheuerlich massige Hochgebirge wurde unmerklich zum Mittel-
gebirge, und endlich zum Hügelland, das unzählige Wasserläufe
zu Tal sandte. Das bisherige feierliche Schweigen machte einem
unaufhörlichen plätschern und Rinnen Platz.
Merkwürdig, wie es geschehen konnte, daß solche Massen von
hinnen gegangen sind, ohne uns Schaden zu tun. Denn auf den
gegenüberliegenden Felsbergen geht es mehr als einmal nicht ge-
heuer zu. Zn den ersten Nachmittagsstunden, wenn die Sonne sich
so recht anstemmt, dröhnte es plötzlich ohrenbetäubend — eine La-
wine tritt ihre Wanderung an. Und schon sieht man sie auch. —
Es ist, als laufe der Berg, eine ungeheure Menge Schneestaübes
emporwirbelnd. Hoch von der Felsspitze hat sich die Lawine los-
gerissen — man sieht den Bruch — und wälzt sich unaufhaltsam
hinab über den jähen Hang. Ein Wald verlegt ihr den weg.
Aber schon ist er verschwunden, die Lawine ging über die riesigen
Stämme weg, wie über Gänseblümchen. Dort, wo der Wald stand,
sieht man noch hie und da einen Rnorren emporragen, alle anderen
Bäume sind begraben, zumeist zerbrochen, zerknickt, wie Strohhalme.
'Und die Lawine eilt weiter über den Hang, hinab ins Tal, wo
sie noch ein paar Rilometer weit läuft. Za, es wurde beobachtet,
daß sie nicht nur weit ins Tal hinabging, sondern das Tal über-
querend, noch ein gut Stück den gegenüberliegenden Berg hinan-
rannte!
Es ist also wirklich Lenz geworden. Die sechsmonatliche Trübsal
ist endlich zu Ende, von Tag zu Tag verliert sich der Schnee, nur
auf den höchsten Spitzen der Berge, dann in den Runsen, Mulden
und verschatteten Schründen liegt er noch fest, unbeweglich und
trotzt den Strahlen der Sonne. Da stellt sich eines Abends ein
linder, warmer Regen ein. Am nächsten Morgen ist der Schnee
beinahe um die Hälfte zusammengeschrumpft.
von Tag zu Tag gewinnt die Welt ein anderes Gesicht. Und
schon legt auch der bisher graubraune, verstaubte Rasen eine neue
Gewandung an. Auch hier ist es zuerst ein leichter, grünlicher
Hauch, der sich mehr und mehr verdichtet, bis er wirklich das ist.
184
Staust v. d. March
was man unter Wasen oder Rasen versteht. Nicht lange und sein
Grün belebt sich durch Stickereien in verschiedenen Farben. Da ist
der lichtgelbe petergstamm, der die Felsblöcke üppig umwuchert,
das weiße Buschwindröschen, der rosenrote Almenrausch und das
zartblaue Bergvergißmeinnicht. Damit ist's aber noch lange nicht
alle mit unseren Blumen. Hahnenfuß gelb und blaurot, Enzian,
Bergthymian, Steinklee, Sternniere, Schafgarbe. Endlich die kost-
barste der Blumen überhaupt, die unter den Lsochgebirgsblumen das
ist, was der Demant in der Kaiserkrone: das Edelweiß. Zugleich-
mit den Blumen erwacht auch unterschiedlich Getier zum Leben.
Der feingliedrige Bockkäfer, das Siebenpünktchen, allerhand Lauf-
käfer, Spinner, Eichhörnchen, Bergsxerlinge und Meisen. Ab und
zu kreist ein weih oder ein Adler über uns, in großer Entfernung
von einem Flieger kaum zu unterscheiden. Aber auch unangenehme
Tiere kommen zum Vorschein. Die allgetreuen Haus- ja sogar Bett-
genossen: die Mäuse: Berg- und Haselmäuse und vereinzelte Ratten,
abgerechnet Sandvixern und Skorpione, Hie und da zeigen sich auch
Gemsen auf den Felsgraten und in der Nacht ächzt das Käuzchen,
mit großen Augen von einem pflock des Drahthindernisses herunter-
äugend.
Nun brechen wirklich gottgesegnete Tage für uns an. Freilich,
für's erste gibt es noch genug zu arbeiten. Die Mauern der Stel-
lungen, zumeist auf hängen errichtet, zeigen infolge des unter-
waschenen Erdreiches eine bedenkliche Neigung nach außen, es
gilt also, Stützmauern zu bauen, zum Teil müssen sie abgetragen
und neu getürmt werden, bei welcher Gelegenheit wir sie tunlichst
verdichten. Der abrollende Schnee hat Steine und Holzabfälle mit-
genommen und vor den Drahthindernissen aufgestapelt. Das muß
weggeschafft werden, dabei verstärken wir auch die Hindernisse,
neuen Draht verflechtend. Auch die lvachthütten und Beobach-
tungsstände bedürfen des Herrichtens. Manch eine dieser Arbeiten
kann nur bei Nacht oder Nebel hergestellt werden, da sie dem
feindlichen Feuer ausgesetzt sind. Auch sonst gibt es mancherlei
zu tun. Stellungen für den Rückhalt (— Reserve), solche zwecks
Seitenfeuers, Anbau von neuen Maschinengewehrständen, Flammen-
werfern und Minenwerfern u. dgl.
Und die Welt wird schöner von Tag zu Tag. Köstlich sind
die frühen Morgenstunden, von der mächtigen Zirbelföhre vor
meiner Bude schmettert eine Amsel ihr Morgenlied in die klaren,
von Harz durchdufteten Lüfte. Nur schwach merkbar heben sich
die Berggipfel vom fahlgrauen Fimmel ab und in tiefem, starrem
Dunkel liegen ihre Waldungen. Da wird der Himmel lichter,. an
Stelle der fahlen Färbung tritt ein zartes Blau — „Vergißmeinnicht
in Milch gekocht", sagen wir Nordmährer. Einen Augenblick dar-
nach fliegt es wie ein rosiger Schimmer darüberhin. Stärker und
stärker wird das Rot, jetzt leuchtender Scharlach und jetzt wieder
Aus der Geschichte eines Landsturm-,,Etappen"-Bataillons
185
flammender Purpur. Im Widerschein schimmern die Felsgipfel auf,
scharf hebt sich ihr Schnee ab und glimmert wie rinnendes Blut.
Jetzt übergießt das Morgenrot auch den Wald. Das Fahle ver-
wandelt sich in ein tiefes Blau. Stellenweise rötlich schimmernd.
Die Felsen stehen da, wie durchflutet vom Purpur. Es ist, als
stünde eine Welt in Flammen.
Berg an Berg und Brand an Brand
Lodern hier zusammen,
welch ein Glühen! ^a, so stand
Troja einst in Flammen!
Langsam steigt die Sonne empor, sieghaft blitzen ihre Strahlen
über die Welt — langsam verlischt das Rot des Alpenglühens und
ein goldiges Netz umspannt das All. Da horch — ein ratterndes,
surrendes Brummen irgendwo in den Lüften — immer stärker und
stärker, da entdeckt das Auge durch das Feldglas die Ursache —
einen Flieger, eben aus einem Wölkchen auftauchend, wie ein un-
geheurer Drache schwebt er hoch über uns. Deckem, decken! erschallt
ein Ruf, denn noch wissen wir nicht, ob Freund oder Feind durch
die Lüfte segelt und ob es ein bewaffneter oder ein unbewaffneter
Flieger ist. Aber im Augenblick darauf wissen wir es: es ist ein
feindlicher Laproni! Unsere Abwehrgeschütze beginnen im Verein
mit den Maschinengewehren zu spielen. Schuß um Schuß geben
jene ab, Salven um Salven ratschen diese herunter. Nochmals:
Decken, decken! Denn auch die Abwehr kann gefährlich werden in-
folge der Sprengstücke der Schrapnells, die mit drohendem, surrendem
Singen niederfahren. Zahlreiche rot-weiße Wölkchen von Schrap-
nells erscheinen vor und hinter dem Flieger, ihn umschwärmend,
wie ein gereizter Bienenschwarm, dem er, zornig surrend, durch
allerhand Bewegungen zu entgehen sucht. Da surrt es wieder
^ irgendwo — ein zweiter Flieger taucht auf, ein Freund, wie wir
' an seinen Abzeichen an den Flügeln erkennen. Jetzt hat er den
Gegner gesichtet und strebt auf ihn zu. Die Unserigen stellen das
Feuern ein. Gin Luftkampf — welch eine Abwechslung! Unser
Flieger sucht den Gegner zu überhöhen, dieser will das gleiche.
Das geht so eine weile. Endlich gelingt es unserem Luftfahrer.
Und nun plappert sein Maschinengewehr mit ganz kurzen pausen,
gleichsam zum Atemholen. Was ist das? Der welsche beginnt zu
schwanken, leicht, aber doch! Hat er etwas abgekriegt? Und jetzt
wendet er und surrt mit auffallender Schnelligkeit in gerader Rich-
tung nach welschland zu. Unser tapferer Luftkamerad folgt ihm
getreulich, stets über ihm und spricht abermals mit seinem Ma-
schinengewehr ein sehr vernehmliches Deutsch. Vielleicht auch ein
furchtbares, denn unsere Gegner müssen fühlen, ordentlich fühlen,
ehe sie verstehen. Die beiden Luftkämpfer verschwinden in der
Ferne. (Später hörten wir, daß der Welsche, merkbar beschädigt,
innerhalb der feindlichen Linien niederging, unser Flieger aber trotz
186
Staust v. d. March
rasendem Abwehrfeuer nur wenig verletzt zu seinem Flugplatz
zurückkehrte.)
Unterdes nähert sich die Sonne dem Scheitelpunkt ihrer Bahn.
Es ist furchtbar heiß, die Lüfte zittern sichtbar, irgendwo in un-
meßbarer Ferne grollt es dumpf. Der ijall von einem wirklichen
d. i. himmlischen oder von einem künstlichen, irdischen Donner?
Gewitter oder Geschützfeuer? Während die Mannschaft, ihr Eß-
geschirr reinigend, darüber ihre Meinungen austauscht, ertönt ur-
plötzlich in die Feierstille der toten Stunde ein dumpfer Unall,
in den Lüften juchzt es auf und singend fährt ein Schrapnell ins
Tal hinab auf die Stellungen der Nachbarkompagnie. Dann schallt
es in der Luft und schüttet ein Füllhorn von Füllkugeln und Spreng-
stücken über die Kameraden aus. Das geht so eine Zeitlang.
Dann aber — Teufel nochmal! — dann scheinen die Schrapnells
näher an uns heranzurücken! Nein, es ist keine Täuschung, er
pirscht sich an uns — ja vielleicht war die Beschießung der Nach-
barn überhaupt nur eine Finte. Nicht unwahrscheinlich, denn jetzt
platzt ein Schrapnell just über uns, ein zweites, ein drittes! Alarm!
Zu den Waffen! Alles wirft den mit Patronen gefüllten Brotsack
um, ergreift Gewehr und Handgranate und hastet in die Kavernen
der Stellungen, um bei der Hand zu sein. Zu rechter Zeit, denn
kaum ist die Mannschaft in der Grotte, als eine Granate auf
unserem Berge einschlägt, daß er zittert. Und nun tobt es draußen,
als wäre die Hölle losgelassen worden und müßte die Alpe mit
der Wurzel austilgen. Granate um Granate keucht heiser heran,
Schrapnell um Schrapnell juchzt markdurchdringend, schwer kracht
das gewichtige Geschoß der einen, zischend schlagen die Spreng-
stücke der andern ein. Hier werden weite Trichter in die Erde
gebohrt, dort poltern Steintrümmer vom Felsblock ab. Die Luft
riecht brenzlich von verbranntem Pulver, der Berg zittert in
seinen Grundfesten und das Rollen des Widerhalls will — scheint's
— gar kein Ende nehmen. Die Mannschaft, der all das gilt, sitzt
wohlgeborgen tief im Berge gleich dem Heerbann des Rotbart im
Kyffhäuser und unterhält sich über das und jenes, ab und zu den
Lärmen der Geschosse draußen nachahmend und mit guten und
schlechten Witzen begleitend. Mögen sie immerhin. Die Beobach-
tungsposten draußen in der Stellung in schrapnellsicheren Schützen-
ständen passen gut auf und werden die Kameraden schon zu rechter
Zeit herbeirufen.
Wird das feindliche Feuer schwächer oder scheint es nur so?
Zn der Tat, unser Berg erzittert nicht mehr so stark wie früher
und doch dauert das Feuern fort. Da meldet der Wachkomman-
dant, das Feuer sei nach rückwärts, hinter uns, verlegt worden.
Das bedeutet: das feindliche Fußvolk -wird vorrücken. Also raus
aus der „Heldenhöhle", wie die Mannschaft die Kaverne spöttisch
heißt, raus und- in die Stellungen. Auch zur rechten Stunde! Der
Beobachtungsxosten drunten im Walde feuert eben drei Schüsse ab
Aus der Geschichte eines Landsturm-,,Ltappen"-Bataillons
187
und der Lärmposten im Graben reißt auch schon am Glockenstrange:
Alarm! Die Handgranatenwerfer eilen auf ihre Posten, die Mann-
schaft an die Schießscharten — im Walde vor den Drahthindernissen
ist eine Bewegung merkbar und schon schlängeln sich die ersten
Bersaglieri heran, wie Indianer in den Lederstrumpsgeschichten,
um unsere Hindernisse zu zerstören, während der zweistündigen Be-
schießung hatten sie sich im dichten Walde drunten gesammelt, um
einen Überfall zu versuchen.
Langsames plänklerfeuer! „Gut zielen!" — „Mit Hand-
granaten drauf!"
Gleich darauf krachen einige Schüsse, zwei, drei Handgranaten
fliegen, explodieren und streuen ihre Bescheerung über die welschen
Grasschliefer. Gin paar wilde Schreie, von Schüssen erstickt. Und
nun geth's hinüber und herüber, Schuß um Schuß, Granate um
Granate. Maschinengewehre mischen sich von beiden Seiten hinein,
Minen brausen heran — ein Heidenlärm allenthalben, Ausrufe,
teils Verwünschungen, teils Schmerzensschreie, Kommandoruse, Rauch,
Blitz, Explosionen, kreischende Gellerschüsse — ein wildes Durch-
einander, das immer wilder und wilder wird. Aus dem Walde
wimmelt es hervor, die Federn auf den Hüten der welschen flattern,
die Gefechtsdegen ihrer Offiziere blinken. Wieder kracht es und
immer wieder. Neuer Schießbedarf, neue Handgranaten werden
herzugeschlexpt. Einige verwegene Bersaglieri beginnen schon die
Drahthindernisse zu zerschneiden. Man hört das Knacken der Draht-
scheren, das Kreischen des Drahtes. Ein paar wohlgezielte Gra-
naten verjagen sie. vorläufig, denn andere treten an ihre Stelle.
So geht es wild und wüst weiter, eine Stunde, zwei Stunden.
Immer wieder wirft der welsche frische Kräfte ins Gefecht, immer
wieder ohne sonderlichen Erfolg. Unsere starken Drahthindernisse
,(7—8 Reihen, mit starken spanischen Reitern verdichtet) halten ihn
'auf. Unsere Gewehre sind wie eine heiße Gfenxlatte anzufühlen
und wie sie, glüht auch die Mannschaft. Aber auch ihr Mut, ihre
Kampflust ist heiß geworden, angesichts der vergeblichen Anstren-
gungen der Feinde, wie auch der geringfügigen Schäden, die sie
uns zufügten.
„Herrgott! Jetzt raus und den wallischen an die Gurgeln!
Sakra, das wär' a G'spaß!" ruft manch Einer zähneknirschend.
Aber es muß bei dem frommen Wunsche bleiben! Ein paar
leichte Verwundungen durch Schüsse, zumeist Geller, sowie einige
Schrammen durch abspringendes Gestein — wir haben eben Glück
gehabt! Indes loben wir den Tag nicht vor dem Abend, denn
der Angriff ist noch nicht zu Ende. Und nochmals fluten die Feder-
büsche gegen uns heran — noch eine Stunde währt das Lärmen,
dann verebbt es allgemach. Noch hie und da ein vereinzelter Schuß
und die Bersaglieri verschwinden hinter den waldbäumen. Der
Angriff ist abgeschlagen.
188
Staust v. d. March
Demgegenüber vergehen andere Tage vollständig als Idyll in
Sonnenglast, mit Vogelgesang, Fliegengesumm und Pummelbrummen,
erfüllt von parzduft und dem Ausatmen unserer bescheidenen Blumen.
An andern Tagen hinwieder unterhält sich unsere Artillerie mit der
des Feindes in mehr oder minder grober Weise. Daneben ruht
die Arbeit keineswegs. Immer wird an den Stellungen verbessert,
die Drahthindernisse verstärkt, das Vorfeld gelichtet, neue Stel-
lungen gebaut, Verbindungsgräben ausgehoben, die alten cher-
gerichtet, ebenso die Unterkünfte usw. Dazwischen gibt's Fassungen
zu holen: Lebensmittel, Baubedarf aller Art. Des Trinkwassers
nicht zu vergessen, denn wir leben in einer sehr wasserarmen Gegend.
Der gegen 2000 m hohe Berg hat nur zwei (Quellen, die eine
aber ist viel zu weit von uns entfernt, um benützt werden zu
können, die andere gibt nur spärlich Wasser, überdies nicht trinkbar,
sondern nur zum Waschen verwendbar. So müssen wir denn aus
dem Tale versorgt werden und die Wasserfässer von der Drahtseil-
bahn abholen. Auch polz gilt es herbeizuschaffen, sei's zum Rochen
und peizen, sei's zum Bauen.
Unter solchen Beschäftigungen wird es Abend. Purpurn be-
ginnen die Alpen zu erglühen und über den dunkelbläulichen Wäl-
dern der gegenüberliegenden Berge liegt ein Schleier aus feinem,
rosafarbenem Gespinst, von den Päuptern aber der Urriesen,
die Jahrtausende an sich vorüberziehen sahen, erstrahlt in wunder-
hehrem Glanze gleichsam als Rronreif der Winterschnee. Die Sonne
versinkt, die Farben verlöschen und die Welt verstummt, bis auf
den wildbach, der weit unten rauschend ins Tal hinunterstürmt.
Pin und wieder unterbrechen Anrufe von Posten das versonnene
Schweigen der Nacht. Am samtblauen, von Sternen durchstickten
Pimmel zieht der Mond herauf und übergießt mit magischem Nebel-
glanz die Landschaft und irgendwo aus der Ferne ertönen die Klänge
einer Mundharmonika:
In der Heimat, in der Heimat
Da ist es wunder-wunderschön.
wie schön und herrlich ist dann dieses Stück Gotteswelt! Be-
greiflich, daß die welsche Gier die pände danach reckt.
Das ist des Landstürmers Rriegssommer in den Alpen. Schöne
Bilder voll Erhabenheit und Größe wechseln ab mit schreckhaften,
erfüllt von Grausen und Wunden und Tod — aber der Land-
sturmmann läßt sie an sich vorüberziehen, seine Pflicht, die ihm
des Vaterlandes Not auferlegt hat, mit Treue und Pingabe tuend.
Denn er weiß, um was es geht. Und so hält er im Sonnenglast
wie im tiefen Dunkel, ob die Natur Friede atmet oder entfesselt
tobt, die Alpenwacht, ergeben in einen höheren willen —
’s ist ja kein Kampf für die Güter der Erde,
Das Heiligste schützen wir mit dem Schwerte,
Drum fallend und siegend preis ich Dich.
Gott, Dir ergeb' ich mich.
Einigss vom wiener Landsturm.
Von Karl Friedrich CachSe,
im Felde Feldwebel im k. k. Landsturmregiment Wien Nr. 1.
eeit Kriegsbeginn hatte das wiener Landsturm-Infanterie-Re-
giment Nr. l zahlreiche Gefechte, teils im schneidigen Angriffe,
teils in zäher, niemals erlahmender Verteidigung bestanden; es sei
nur an die Kampftage vor Lublin, am San, an der Raaba, bei
Bodzanow, an der Nida und in den Karpathen erinnert.
Im März >()ir> konnte das wiener Landsturm-Regiment in der
Karpathenfront seinen KR). Gefechtstag feiern; ein Ehrentag für
dieses ausgezeichnete, vielerprobte Regiment, welches, in harten
Kämpfen, in Sonnenglut, in Sumpf und Schnee, mit seinen Melden
bsöchstanforderungen an seelischer und physischer Kraft vollbrachte.
Nicht unerwähnt sei, in welch heldenmütigem Sturmangriff am
30. Juni KH5 die Lsöhe von Tiemna bei Lahodow durch den wiener
Landsturm vom Feinde gesäubert wurde.
Auf den größten Sieg auf dem nördlichen Kriegsschauplätze
kann das wiener Landsturm-Regiment mit größtem Stolz zurück-
blicken, auf die Teilnahme an der Wiedererringung von jKrzemysl,
Grodek und Lemberg. Ts bedarf keiner näheren Schilderung, in
welch harter Kampfesarbeit, mit wie vielen Opfern, die Wieder-
eroberung dieser Städte erreicht wurde, es soll aber auch nicht ver-
' gehen sein, daß diese unmenschliche Kampfesarbeit der tapferen
wiener Landstürmer, vom Armee-Oberkommando, vom Kommando
des f6. Korps, sowie vom Kommando der 9- Infanterie-Division
in den rühmlichsten Worten anerkannt wurde. Die höchsten An-
erkennungen dieser Kommanden sind gewiß sprechende Marksteine
in der Geschichte dieses bewährten Landsturm-Regiments.
Die höchste Anerkennung aber bilden wohl die Worte unseres
damaligen Armeekommandanten, des Eroberers von Lemberg, Ge-
neral der Kavallerie von Böhm-Ermolli an unseren Regiments-
kommandanten:
„Sagen Sie den Leuten: Lsut ab vor einem Regiment, das dies
zustande gebracht hat."
Ruhigere, fast kampflose Monate waren dem wiener Land-
sturm-Regiment erst beschieden, als es im Sommer lsM nach den
Gefechten bei Radziwillow zum Stellungskrieg bei Berlin-Brody ein-
gesetzt wurde, wahrlich, das Regiment hatte Ruhe und Erholung
190
Lâchée
nötig . . . Und nun zu meinen eigenen bescheidenen Erlebnissen
im Rahmen des tapferen Regimentes.
* rjr
*
Mein erster Patrouillengang.
Am 3. Juli 1915 ging ich mit der Marschkompagnie 8./\ des
Landsturm-Infanterie-Regiments Nr. l zum ersten Male ins Feld.
Ich bat meine Angehörigen, Frau, Rinder und Mutter, von
einer Begleitung auf den Bahnhof Abstand zu nehmen, und zog
es vor, mich am Vorabend im Kreise meiner Angehörigen aufzu-
halten und zur gegebenen Zeit, ohne fremde Zeugen, Abschied zu
nehmen.
Die Fahrt durch die Karpathen gewährte uns Einblick in die
Kämpfe, die hier mit den Russen ausgefochten worden waren und
besonders die Umgebung Lembergs sprach deutlich, wie hart und
zäh die Wiedereroberung von Galiziens Hauptstadt vor sich ge-
gangen war.
In der Station Kulikow-Mierzwica wurde die Marschkompagnie
ausgeladen.
Ein galizisches, schmutziges Dorf; kaum, daß nennenswerte
Unterkünfte zu erlangen waren, viele mußten während der Nacht
auf der Straße liegen, trotzdem waren wir alle froh, uns nach der
tagelangen Fahrt wieder frei bewegen zu können.
In Mierzwioa wurden wir bereits vom damaligen Regiments-
führer, dem bewährten Uauxtmann Hans Otto Löwenstein emp-
fangen, um dem Regimente angegliedert, bzw. auf die einzelnen,
bestehenden Feldkompagnien aufgeteilt zu werden. Ich wurde als
Korporal der 7. Feldkompagnie zugeteilt. Einige Tage verblieb
das Regiment noch in Mierzwioa und marschierte sodann, die
Eisenbahnstrecke bei Kamionka-Strumilowa überschreitend, in die
Stellungen am Bug.
Das Einsetzen des Regiments in die Stellungen am Bug er-
folgte um Mitternacht. Besonders im Abschnitt des 2. Bataillons
wurden wir mit einem mörderischen Gewehrfeuer empfangen, da
einem wenig geübten Landstürmler versehentlich das Gewehr los-
gegangen war.
Unsere Kompagnie, die 7., stand gerade auf der finsteren Straße,
als die Russen mit ihrem Schnellfeuer einsetzten und wir mußten
Deckung suchen, wo eben eine solche in dieser finsteren Nacht zu
finden war.
In die Wassergräben, die sich an beiden Seiten der Straße
hinzogen, die aber gottlob leer waren, warfen wir uns hinein
und ließen diese „Feuertaufe" über uns ergehen, bis wir Befehl
erhielten, die Stellungen zu besetzen. Am folgenden Morgen, gegen
Einiges vom wiener Landsturm
191
5 Uhr früh, wurden wir durch das Einschlagen von feindlichen
Granaten aus dem Schlafe geweckt.
wir sahen nun, wo wir uns eigentlich befanden, wie unsere
Stellungen beschaffen waren. Offene Schützengräben, ohne Kopf-
schutz, für feindliche Flieger glänzend einzusehen; vor den Böschungen
unserer Stellung der Bug, gegenüber etwa 200 Schritte entfernt,
knapp am anderen Ufer des Bug, die Gräben der Russen, in denen
man mit freiem Auge die russischen wacheposten patrouillieren sah.
Diese Lage schnell erfassend, verbot ich sofort den meinen
Schwarm angehörenden Schützen jedes neugierige Ausschauen nach
dem gegenüberliegenden Feind, hatte aber doch nicht verhindern
können, daß einige der jungen O jährigen Landstürmler ihrer Neu-
gierde halber leichtsinnigerweise ihr Leben lassen mußten.
Der Grabenabschnitt meines Schwarmes war so seicht gegraben,
daß ich sofort um gute 60 cm tiefer graben ließ, damit ein gegen-
über meinem Grabenabschnitte auf einem hohen Baume befindlicher
russischer Beobachtungsposten die Einsicht in den Graben verlor und
nun keine Möglichkeit mehr hatte, auf unsere Köpfe zu zielen.
Dieser russische Beobachtungsposten ließ mir keine Ruhe. Ich
beobachtete ihn unausgesetzt durch meinen Feldstecher und stellte fest,
daß einmal ein Russe, dann wieder zwei, mit Handfeuerwaffen ver-
sehen, in einem Korbe standen oder knieten.
Ich machte meinen Kompagniekommandanten auf diesen Be-
obachtungsposten aufmerksam und bat um Erlaubnis, diesem Be-
obachter ein paar blaue Bohnen aufbrennen zu dürfen, was mir
aber untersagt wurde. Ich war über dieses verbot nicht sehr er-
freut, mußte mich aber fügen.
Als ich nun den vorgeschriebenen Wachdienst von meinem
Schwarm beigestellt hatte, legte ich mich in meinem Grabenteil
nieder, doch so, daß ich den russischen Beobachter wohl sehen, er
äber mich nicht bemerken konnte und begann nachzudenken.
Ich war noch ein Neuling im Felde und war von vielen
Kameraden aufmerksam gemacht worden, nichts auf eigene Faust
zu unternehmen, aber dennoch reizte es mich, diesem russischen Kerl
auf dem Beobachtungsposten auf den Leib zu rücken und ihn un-
schädlich zu machen.
vorerst legte ich mir die Frage vor: wie kommt dieser russische
Beobachter überhaupt auf den Baum? Durch hinaufklettern während
der Nacht? Möglich, aber unwahrscheinlich. Mittelst Strickleiter»
ginge es auch, aber ich konnte das Vorhandensein einer solchen
nicht feststellen, schließlich war es möglich, längs des Baumstammes
ein Seil anzulegen, aber ich verwarf alle diese Kombinationen, gab
ein weiteres Nachdenken auf' und wartete den Einbruch der Nacht
ob, ohne noch zu wissen, was ich auszuführen beabsichtigte.
Mein Schwarm war, mich eingerechnet, 19 ¿Tfamt stark; die
meisten waren junge Landstürmler und nur vier Mann alte.
192
<£ctd?ée
seinerzeit aktive Friedenssoldaten. Diese vier alten Landstürmler
suchte ich mir zusammen und machte sie mit meinen unter Tags
gewonnenen Beobachtungen bekannt, indem ich ihnen erklärte, aus-
forschen zu wollen, auf welche weise die zwei russischen Beobachter
auf den Baum gelangen konnten und fragte sie, ob sie bereit seien,
mit mir einen patrouillengang zu machen.
Anfangs lächelten sie über mein Ansinnen; doch als ich ihnen
erklärte, es gehe nicht an, daß diese zwei russischen Halunken alles,
was in unserem Graben vor sich gehe, so bequem beobachten können,
schlugen sie ein.
Ich wählte mir nun von diesen vier alten Landstürmlern zwei
aus, von denen ich wußte, daß sie ruhige, besonnene Männer waren,
holte mir von meinem Schwarm noch vier junge handfeste Burschen,
und weihte auch diese in meinen Plan ein.
Ls war gegen JO Uhr nachts, als ich meine Patrouille zu-
sammengestellt hatte, wohlversehen mit Gewehr, Bajonett, Draht-
scheren und der ganzen vorgeschriebenen scharfen Munition.
Line mondlose, finstere Nacht. Bevor wir den Schützengraben
verließen, vergewisserte ich mich, ob vor demselben die Luft rein
sei, denn wir wollten ja diesen nächtlichen Ausflug völlig geheim
durchführen, wollten uns jeden Spott ersparen, falls er miß-
lingen sollte.
Nichts rührte sich. Unheimliche Ruhe umgab uns. Um jedoch
von niemanden gesehen zu werden, sprangen wir einer nach dem
anderen einfach über die Grabenbrüstung, liefen die Böschung
hinab und legten uns sofort geräuschlos auf die davor befindliche
Wiesenfläche, vor uns den Bug, mit den dahinter befindlichen
russischen Stellungen.
Line weile blieben wir regungslos liegen, dann krochen wir,
entlang unserem langgestreckten Schützengraben, den Beobachtungs-
baum, welcher am jenseitigen Bugufer stand, links lassend, im Grase
weiter, bis wir an eine geeignete Stelle gelangten, um den Bug
überschreiten zu können. Gb der Bug an dieser Stelle seicht oder
tief war, wußten wir im Vorhinein nicht, machten uns auch keine
großen Bedenken hierüber; aber trotz der finsteren Nacht hatten
wir eine seichte Stelle mit Sandinseln erreicht und konnten durch
Überspringen der schmalen Wasserfurchen den Fluß übersetzen.
Als wir glücklich und ungesehen auf festem Boden standen,
ckonnte ich erkennen, daß wir uns am Rande eines schütteren Waldes
befanden und ich begann nun meinen Feldzugsplan zu entwerfen.
Bei Betreten dieses Waldes entwickelte ich meine Patrouille in
Schwarmlinie mit armlangen Abständen. Ich in der Mitte, rechts
drei Mann, links drei Mann; jeder Mann, von mir aus gezählt,
wurde mit Nr. \ bis 3 links und Nr. \ bis 3 rechts bezeichnet, so
daß ich bloß flüsternde Befehle, wie „links \" oder „rechts 3 nicht
vorstoßen, langsamer vorschleichen" usw. zu geben hatte.
Einiges vom wiener Landsturm
193
Unser Vorhaben bestand eigentlich bloß darin, auszukund-
schaften, auf welche Weise die zwei russischen Beobachter auf den
Baum gelangten. Wahrlich, ein lächerliches Unternehmen! Aber
das Rriegsglück war uns hold und unser freiwilliger Patrouillen-
gang sollte sich zu einem sehr ernsten, gewagten und erfolgreichen
Unternehmen ausgestalten.
Immer in der Richtung auf den Beobachtungsbaum auf dem
Bauche langsam vorkriechend, wird mir durch „Weitersagen" ge-
meldet, daß „Nr. 3 rechts" auf einen Draht gestoßen sei. Ich
schleiche mich zu „Nr. 3 rechts" und fühle einen isolierten Leitungs-
draht im Grase gespannt liegend. Diese Wahrnehmung macht mich
stutzig und sofort schießt mir der Gedanke durch meinen Ropf, ob
dieser Draht nicht etwa mit dem Beobachtungsbaume in Verbin-
dung stehen könnte. Ich gab „Nr. 3 rechts" Befehl, liegen zu
bleiben, bis er weitere Weisungen erhalten werde und begab mich
wieder in die Mitte der Patrouille und bespreche mich mit meinen
zwei alten Landstürmlern, die mit „Nr. \ rechts" und „Nr. \ links"
bezeichnet waren, vorerst sicherte ich aber meine Patrouille, in-
dem ich auf {0 Sdivitte „Nr. 2 links" und „Nr. 2 rechts" vor-
schleichen ließ, so gewissermaßen Horchposten bildend.
Wir waren einig, feststellen zu müssen, von wo dieser Leitungs-
draht ausgehe und wohin er führe.
„Nr. 3 links" erhielt nun durch Weitersagen den Befehl, etwa
\0 m entlang dem Leitungsdraht zu kriechen und auszukundschaften,
in welcher Richtung der Leitungsdraht seinen Lauf nehme. „Nr. 3
rechts" erhielt gleichen Befehl, aber auf längere Entfernung, weil
ich nicht wahrnehmen konnte, wie tief sich der schüttere Wald, indem
wir uns befanden, erstrecke. „Nr. 3 links" kam schon nach kurzer
Zeit zurück mit der Meldung, daß der aufgefundene Leitungsdtmht
in der Richtung des Beobachtungsbaumes laufe.
„Nr. 3 rechts" blieb längere Zeit aus und brachte mir die
Meldung, daß er in sumpfiges Terrain gekommen sei, dasselbe
umschlichen habe, um sodann die durch den Sumpf verlassene Spur
des Leitungsdrahtes wieder aufzunehmen. Schließlich stellte er fest,
daß der Leitungsdraht bis nahe an das entgegengesetzte Ende des
Waldes reiche, wo er an einem niederen Holzpflock int Erd-
boden ende.
Ich wußte nun, woran ich war, wußte aber auch, daß sich
nicht weit von unserem augenblicklichen Standplatz die russischen
Artilleriestellungen befanden, deshalb hieß es vorsichtig sein und
kaltes Blut zu bewahren. Ich und meine Begleiter hatten keine
Lust, von den Russen abgefangen zu werden.
Durch die mir gewordenen Meldungen war ich in meiner An-
nahme bestärkt worden, daß ich auf eine feindliche Telephonstation
gestoßen sei, was meinem eigentlichen Unternehmen eine ganz andere
Bedeutung gab. Ich faßte den Entschluß, mich um den Beobach-
Kerchnawe, Im Felde unbesiegt. IN. t3
)
194
Lachse
tungsbaum überhaupt nicht mehr zu kümmern. <£s lag ja auf der
Hand, daß in der Nacht sicherlich kein Beobachter auf ihm sein
werde. Es reizte mich auch, den Zweck dieses Leitungsdrahtes zu
ergründen; nicht nur aus persönlichem Ehrgeize, sondern auch, um
dem Patrouillengang, der sich nun zu einem ernsten Unternehmen
ausgestaltet hatte, die nötige Weihe zu geben, und jedwede wie
immer geartete Aktion der Russen zu unterbinden.
Ich zog nun die zur Sicherung der Patrouille ausgesetzten
Posten ein, ordnete eine Schwenkung der Patrouille in einem
Winkel von 0 nach rechts an und schlich mit ihr unter Um**
gehung des sumpfigen Streifens auf den Solzpflock los.
Ls war Rlitternacht geworden und ich durfte nicht mehr viel
Zeit vergeuden, wollte ich einen sicheren Erfolg erzielen, denn ich
mußte darauf Bedacht nehmen, noch vor Morgengrauen wieder
im Schützengraben einzutreffen.
Rascher als ich nur denken konnte, vollzog sich nun das Folgende.
Der um den Holzpflock gewundene Leitungsdraht war, wie
ich feststellte, in das Erdreich abgeleitet. Ich mutmaßte daher, daß
ich möglicherweise in der Nähe einer feindlichen Telephonstation sei.
Trotz beharrlichem, scharfem Auslug konnte ich aber weder eine
Hütte noch ein Zelt wahrnehmen, in welchem sich eine solche Station
hätte befinden können. Ich wußte wohl, daß man im Kriege mit
allen möglichen und unmöglichen Feinheiten, mit den ausgeklügeltsten
Mitteln arbeitet, doch war ich ja zum ersten Male im Felde und
wußte aus persönlichen Erfahrungen in solchen Dingen blutwenig.
Einem vor meiner Patrouille befindlichen Strauch schenkte ich
keine besondere Beachtung und doch sollte gerade er des Rätsels
Lösung bringen.
Die Erkenntnis und das Bewußtsein, die feindlichen Artillerie-
stellungen vor uns zu wissen, ließen mich die Größe und Wichtig-
keit des Entdeckten in vollem Maße erkennen und ich zögerte keinen
Augenblick, meinen Begleitern die Tragweite unseres Patrouillen-
ganges vor Augen zu halten.
Ich und die zwei älteren Landstürmler beschlossen nun, um
jeden preis vorzugehen, und schlichen uns, die übrigen zurück-
lassend, an den wenige Meter vor uns befindlichen Strauch. Als
wir an diesen herangekommen waren, fiel uns auf, daß vor ihm
außergewöhnlich viel Heu aufgestapelt war. Zu welchem Zweck,
in einenr Walde, bei einem Strauche?
Zwei Handbewegungen, der Heuhaufen war entfernt und es
zeigte sich eine dunkle, einer Türe ähnliche Holzplatte, mit einem
Holzknopf versehen, offenbar zum Aufheben. Den Holzknopf er-
fassen, und diese behelfsmäßige Türe geräuschlos ein wenig auf-
heben, war das Werk eines Augenblicks. Die fieberhafte Neugierde
aber, die mich und meine zwei Begleiter erfaßte, gab uns unsere
Ruhe zurück und wir klappten die Türe vollends auf.
Einiges vom wiener Landsturm
195
Ich pfiff nun auch die zurückgebliebnen vier Mann heran und
hieß sie, sich vor die geöffnete Türe legmi.
Als die Türe offen war, vermuteten wir, einen Stollengang
vor uns zu haben. Ich trat mit den zwei'alten Landstürmlern ein,
aber der erste Schritt, den wir taten, belehrte uns, daß wir stufen-
abwärtsgingen. Ich steckte mein Bajonett, auf und gebot durch eine
stumme Lsandbewegung meinen zwei Begleitern dasselbe zu tun; die
Gewehre waren geladen und gesichert?.
wir stiegen 10 Stufen hinab und hörten nun Stimmengemurmel.
Sehen konnten wir gar nichts, Taschenlampen hatten wir keine
mit, es wäre auch zu gewagt gewesen, Licht zu machen, wir mußten
uns demnach auf unser Tastgefühl verlassen. Als wir das Ende
der Stufen erreichten, verwehrte uns eine zweite Tür das weitere
Vordringen, das Stimmengemurmel abgr< wurde deutlicher hörbar.
Jetzt hieß es rasch handeln und.den Feind überrumpeln, bevor
er uns bemerkte.
Tin Stoß^mit dem Kolben meines Gewehres gegen die Tür
und es herrschte plötzlich lautlose Stille; ein zweiter kräftigerer
Stoß, die Türe fliegt auf und ich stehe an der Schwelle eines mit
Zigarettenrauch erfüllten Erdzimmers, vor mir, den Revolver in
der Lsand, ein russischer Offizier und etwa \2 russische Soldaten,
Ick trete mit schußbereitem Gewehr ein, meine beiden Begleiter
mir nach. Als die russischen Herrschaften sahen, daß ich nicht allein
sei, und die Gewehre meiner beiden Getreuen im Anschlage auf
sie gerichtet waren, ließen die Russen ihre Waffen im Stich und
hoben die Hände hoch. Damit war der Erfolg meines Unter-
nehmens gesichert.
Einem meiner Begleiter befahl ich, den russischen Offizier selbst
>im Auge behaltend, zu den russischen Mannschaften, den zweiten
Mann lasse ich weitere zwei Mann von meiner Patrouille holen
und bei der Türe postieren und ich schreite nun mit gefälltem, schuß-
bereitem Gewehr auf den russischen Offizier zu und fordere ihn auf,
mir seine Waffen auszuliefern. Er übergab mir den in seiner Lsand
befindlichen Revolver; ich traute aber diesem Offizier und seinen
heimtückischen Augen nicht, und setzte ihm mein Bajonett an die
Brust und fragte ihn in deutscher Sprache, ob er nicht noch weitere
Waffen bei sich trage; er verneinte dies allerdings, ich ließ ihn aber
trotzdem von einem meiner Begleiter untersuchen und fand einen
zweiten Revolver. Sein Gesicht verzerrte sich in verhaltener Wut;
er sprach kein Wort, nur seine drohenden Augen sprachen eine
deutliche Sprache. Ich blieb bei dem russischen Offizier stehen,
ordnete die völlige Zerstörung der Telephonapparate, Ausschal-
tung aller vorhandenen Verbindungen und schließlich Zerschneiden
aller Leitungsdrähte an. Dann ging ich daran, meinen unerwarteten
Fang in Sicherheit zu bringen.
13*
196
Cachée
voraus ein junger Landstürmler, dann der russische Offizier,
hinter ihm ich, dann wieder ein junger Landstürmler, nachher die
russischen Mannschaften und zum Schlüsse die braven alten Land-
stürmler, mit deren besonnener Hilfe ich meinen freiwilligen Pa-
trouillengang mit einem so schönen Erfolg gekrönt sehen durfte.
Es war 2 Uhr nachts. Ich nahm gerade Richtung zum Re-
gimentskommando, um meine Gefangenen abzuliefern. Noch waren
ich und meine Getreuen von den nächtlichen Ereignissen derart be-
nommen, daß wir uns über dessen Tragweite gar nicht bewußt
wurden. Erst beim Regimentskommando, durch eine Bemerkung
des diensthabenden Offiziers, wurden wir darauf aufmerksam, daß
wir durch die Zerstörung der russischen Telephonstation den un-
angenehmen russischen Artilleriebeobachter unschädlich gemacht hatten.
So endete mein erster Patrouillengang. Er würde uns allen
unvergeßlich bleiben, auch dann, wenn sein Erfolg nicht durch
unsere Auszeichnung seine sichtbare Anerkennung gefunden hätte.
Ein Sieg der Treue.
Das Wiener ß. k. Schützenregiment Nr. 1
in der Schlacht bei Glyßa» Juni 1916.
Von Oberleutnant a. D. August Angenetter.
^^wei besondere Ehrentage hatte das ehemalige wiener k. u. k.
Schützen-Regiment Nr. l (früher k. u. k. Landwehr-Infanterie-
Regiment Wien Nr. () irrt Weltkrieg, nachdem es im Gefecht bei
Konty (27. August (9W) bie ehrenvolle Feuertaufe erhalten hatte:
den Tag der Wiedereroberung Lembergs, an der es durch die
heldenmütige Wegnahme des Werkes Rzesnaplska hervorragenden
Anteil hatte, und den Tag der gewaltigen Abwehrschlacht im Raum
zwischen Glyka und Luck in Wolhynien, den 5. Juni (9(6. Dieser
Tag ist der größere und an unvergänglicher Ehre reichere, wenn
er auch nicht das brachte, was landläufig „großer Sieg" geheißen wird.
Der 5. Juni des Jahres \9K> ist einmal als ein Tag sieglosen
Ruhmes bezeichnet worden. Das ist er nun nicht. Er ist im Gegen-
teil ein Tag ruhmvollen Sieges, nämlich des Sieges der Pflicht
über das eigene Leben, eines glanzvollen Sieges jener herrlichen
Eigenschaft, die deutsche Treue heißt. Die opferte sich damals so
selbstlos wie ein Licht auf, das sich selber verzehrt, um anderen
,zu leuchten. Reiner von den Tausenden und Abertausenden, die
an jenem Tage kämpften, keiner derer, die dabei ihre geraden
Glieder verloren und heute als Krüppel dahinsiechen, keiner der
Tausende, die damals ihr rotes Leben im dürren Sand Wolhyniens
verrinnen ließen — nicht einer von all diesen dachte an sich und
seine eigene Sicherheit. Jedem ging es nur um das Ganze und
Große, um das Größte — um die Erfüllung des Eides der Treue,
den sie als Verteidiger des Vaterlandes geschworen hatten. Auf-
geopfert im vollen Sinn des Wortes hat sich das Regiment, um,
auf einem verlorenen Posten stehend, treu und pflichtbewußt die
wilde Riesenwoge von nicht zu beschreibendem Unheil aufzuhalten,
die alles gierig verschlingen und verderben wollte. Derart blutige
Gpfer, wie sie an diesem einzigen Tag in heldenhafter Pflicht-
erfüllung, im bloßen Ausharren gebracht wurden, weist die Ge-
schichte von Verteidigungskämpfen kaum auf. In ganz wenig
Stunden deckten von 3270 Kämpfern nicht weniger als 2527 Tote
oder auf den Tod verwundete die fürchterliche Walstatt.
198
Angenetter
Lin Tag des Sieges der Treue war der 5. Juni $^(5.
Äußerlich war dieser Tag wie eigens geschaffen zur Menschen-
freude. Sommerschön brach in Gottesherrlichkeit der junge Morgen
an. Der hohe Fimmel leuchtete und glänzte südländisch. In
glitzerndem Tau stand Gras und Busch und Baum, Hoch im
Ätherblau verborgen jubilierten Lerchen. Aber unter ihnen zogen
in dichten Scharen andere Vögel, unheimliche, grausige, leblose
Vögel aus Stahl und Eisen, die gierig waren nach Menschenleben.
Und ihr Flug fand nicht Ende noch Aufhören.
Durch mehr als MrStunden raste ein höllisches Trommel-
feuer schwerer und schwerster Kaliber über die Wiener Einser hin-
weg, zahllose Infanterie- und Maschinengewehre ratterten und
knatterten ununterbrochen und schickten Millionen auf Millionen
schwirrende Sendboten des Todes aus, unzählige Schrapnelle, Gra-
naten und Minen hagelOn nieder. Grauenhaft und furchtbar war
es, niederschmetternd ustd die Seelen lähmend. Sie fröstelten vor
Schauder und Entsetzens
Schon waren die zitternden Nerven eines jeden dem Zerreißen
nahe, schon stand in manchen unstet flackernden Augen etwas, das
wie der keimende WahMnn aussah — da warf sich die Truppe
im fürchterlichsten Sperrfeuer todesmutig und todesverachtend den
übermächtigen russischen Massen entgegen, als diese unsere vorderste,
für unüberwindlich gehaltene Verteidigungsfront zertrümmert hatten
und nunmehr leichten Weg bis tief hinter die genommenen Linien
zu finden hofften. Getzen dieses erdbraune, massige Unheil, das
sich brüllend, tosend, ' flammend heranwälzte, stemmte sich die
Kraft des Regiments. Und es warf den Feind mit gewaltiger,
unwiderstehlicher Stoßkraft in unsere zweite Stellung zurück, er-
oberte bald darauf diese im Sturm, trieb den Gegner in die erste
Stellung und hätte ihn gewiß auch aus dieser geworfen, wenn der
Tod nicht schon überreiche Ernte in seinen Reihen gehalten, der
völlige Mangel an Kampfmitteln dem weiteren Vordringen nicht
ein Ende gemacht hätte. Der Tod rang der Truppe den end-
gültigen Sieg aus den fänden, aber den Sieg der Treue konnte
er ihr nicht rauben. Sie hatte ausgeharrt in einer vollen Hölle,
ausgeharrt bis zur letzten Patrone und noch weit darüber hinaus,
um das Ärgste und Schrecklichste zu verhüten. Und das wurde auch
verhütet. Das hemmungslose Eindringen der frei gewordenen russi-
schen Flut in die geschlagene Lücke wurde aufgehalten, so lange bis
weiter hinten eine neue verteidigungsfähige Front geschaffen und
der ungeheure Anfangserfolg des Feindes an diesem Tag noch
räumlich begrenzt werden konnte.
Anr % Juni W6, gegen ^ Uhr morgens, eröffnete die gewaltig
starke russische Artillerie ein furchtbares Trommelfeuer auf unsere
erste und zweite Stellung bei Glyka. Es hielt während des ganzen
Lin Sieg der Treue
199
Tages gleichmäßig an, nahm in den Abendstunden an Heftigkeit
zu und erreichte etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht seinen
Höhepunkt — dann griff der Feind an. Tr wurde aber durch das
in der ersten Stellung befindliche k. u. k. Heeres-Regiment 82 und
unsere überaus schwache Artillerie — das Gros war nach dem
italienischen Kriegsschauplatz abgezogen worden — glatt abgewiesen.
Nach dem Angriff, der nur ein Versuchsballon gewesen sein dürfte,
ließ das Trommelfeuer allmählich nach, um endlich ganz auszu-
setzen und einer Stille Raum zu geben, die sich bleiern und be-
ängstigend auf die erregten Seelen legte. Frost kroch in das Herz,
das schmerzend schlug.
Als der rotglühende Sonnenball aufstieg, setzte das feindliche
Trommelfeuer neuerdings mit furchtbarer Gewalt gegen unsere
Stellungen ein, die zu diesem Zeitpunkt schon seit mehr als 2\
Stunden unter dem schwersten Artilleriefeuer standen. Ts hielt
nun wieder ununterbrochen an, steigerte sich fortwährend, wuchs
ins Riesenmäßige, schwoll an zu einem wildbrandenden Meer und
erreichte gegen 9 Uhr vormittags seine größte Heftigkeit. Tin
Toben und Tosen, Donnern und Dröhnen, pfeifen und heulen,
Schlagen und Lämmern und Tisenschürfen war in den Lüften, daß
man beinahe taub wurde davon und das eigene Wort manchmal
unverständlich war. Wir mußten fast brüllen, wenn wir einander
etwas sagen wollten. Wie Betrunkene taumelten wir aneinander.
Die Nerven zuckten als führen starke elektrische Ströme durch sie.
Sie waren am Zerreißen. Die Gehirne pulsierten fieberhaft. Aus
allen Poren drang der Schweiß. Tr drang unheimlich heiß heraus
und wurde plötzlich kalt, wir froren, obwohl die Sonne sengend
niederglühte.
Wie in einer ungeheuren Kesselschmiede, wo Tausende von
, Zyklopen mit gewaltigen Lämmern an riesigen Kesseln schmieden
und nieten, zahlreiche Dampfmaschinen stampfen und prusten, furcht-
bare Schwungräder heulend sausen, Stahltraversen klirrend zu Boden
schmettern, unzählige Dampfpfeifen und Sirenen lärmen, die Ven-
tile gewaltiger, zum Bersten hochgespannten Dampfkessel widerlich
zischen — ungefähr so ging es zu, fortwährend und ununterbrochen,
ohne Minderung und Schwächung. Mit Riesenkraft, maschinen-
mäßiger'Ausdauer und eisernem Fleiße arbeitete der Gegner. Ge-
waltige Massenarbeit war es von Menschen und Maschinen.
Der Gesichtskreis vor uns war in Feuer und Flammen, in
schwarzen Rauch, schmutzigweißen Dampf und dumpfgelben Vualm
gehüllt. Dicht nebeneinander standen am heißdunstigen Fimmel die
zahllosen Aufstieglinien der Schrapnelle, schlanke, graue Stengel,
die oben eine schmutziggelbe Kugel wie der abgeblühte Löwenzahn
trugen mit einem gelbroten Feuerkern inmitten. Vor uns und hinter
uns schlug in das dicht von hohem Getreide bestandene Feld eine
200
Angenetter
wildheulende Granate nach der anderen ein, und eine Jede warf
haushohe Dampfwolken auf, durch die es feurig leuchtete.
Ohne Aussetzen tobte der wahnsinnige Lisenhagel. Säulen von
dickem Dampf, Erde und Gestein stiegen hoch und fielen donnernd
wiederum nieder. Sprengstücke flogen sausend und zischend umher
und suchten gierig nach Opfern. Die glühende Sonne verdunkelte
sich. Ihr Ball schien mattgelb durch die wogenden Wolken von
Rauch, Dampf und Oualm. Gellende Schreie Todwunder schnitten
durch das Toben und Tosen. Der Lserrgott wurde von bebenden,
weißen Lippen angerufen und der Teufel.
Am ärgsten wütete das feindliche Feuer gegen unsere erste
Stellung. Rkit tobendem Geheul fuhren die Granaten in die Draht-
verhaue. Stahl, Steine und Lrdtrümmer flogen über die Deckung
hinweg und kämmten die gelockerten Brustwehren ab. An einer
Stelle räumte eine einzige Granate ein langes Stück der Brustwehr
so weg, wie man mit einem Messer ein Häuflein Mehl wegschiebt.
Line zweite sauste ihr nach, in den Graben hinein. Was sich in
der Nähe befand, war erledigt — tot, verbrannt, zerfetzt, zerrissen,
verschüttet, begraben. Lin dritter Volltreffer hieb in einen Unter-
stand: von den zwanzig Leuten, die drinnen waren, atmete keiner
mehr. Und schon wieder kam eine Granate angesaust ... So ging
das fort — unaufhörlich und stets ärger werdend. Und die zum
Wahnsinn bringenden Maschinengewehre rasten — höllisch, teuflisch,
legten nieder, mähten, fegten.
Ruckweise kam das Feuer näher an die Bereitschaftsstellung
der Wiener Schützen.
Bald hieben die schweren Granaten vor uns, bald hinter uns
ein, daß die Lrde und der scharfe Staub auf uns flogen, als
sollten wir bei lebendigem Leib begraben werden! Und so oft wir
in der stickig gewordenen Luft das höllische, nervenzerschneidende
Lisenschürfen eines herannahenden Geschosses hörten, standen unsere
Herzen für einen Augenblick still, um gleich darauf wieder so schmerz-
haft zu fliegen, daß der heiße Atem stockte. Wo — wo wird die
ihr Ziel finden? Fliegt sie zu uns herein, dann gnad' uns Gott.
Dann sieht wohl keiner von uns die Sonne wieder, dann ist eine
Halbkompagnie mit einem Schlag dahin, getötet und gleich begraben,
heulend kommt es näher . . . Immer wilder wird das entsetzliche
heulen. . . Welch eine gräßliche und greuliche Mordgier in dem
widerlichen Ton liegt. Ls ist wie ein wildbestialisches Schreien
nach warmem Menschenfleisch . . . Wo? . . . Wo? ... Ah —
vor uns hat sie eingeschlagen. Gott im Himmel droben — sei be-
dankt für deinen Schutz! Aber es kommt schon wieder eine. . .
Und noch eine . . . Und aber eine . . . Und immer wieder eine . .
Die geht vor uns nieder . . . Die haut hinter uns ein . . . Aber
eine — eine wird kommen mit höllischem Sausen und höhnischem
pfauchen und die eine wird treffen . . . mitten in uns hinein . . .
Lin Steg der Treue
201
An die abbröckelnden Grabenwände gepreßt, saß, hockte und
lag die Mannschaft eng beieinander — still, stumm, laut- und bei-
nahe regungslos. Zum Ersticken heiß war es in dem engen, voll-
gepfropften, vom eingesickerten Sumpfwasser dunstenden Graben.
Die Gesichter der Leute waren wie erstarrt und steinsarben. Gar
kein rotes Blut war darinnen. Reicher Schweiß stand auf den
Stirnen, rann in großen, trüben Tropfen über die Wangen und
machte Furchen in den Schmutz, der sie dick übergrindete. Die Augen
waren weit offen, glänzten glasig, schimmerten fiebrig und fragten:
Wird denn das noch lange dauern? Kommt nicht bald eine Er-
lösung von der Qual, so oder so? Der Mund stand einem jeden
wie ein scharfer, schmaler Schnitt im versteinerten Gesicht. Blei-
farben waren die Lippen, an den Rändern weißlich angelaufen.
Die Zähne bissen aufeinander und knirschten, als malmten sie Sand.
Unheimlich waren die Gesichter, aber auch tief ergreifend in ihrer
ehernen Ruhe vor dem gewissen Tod, in ihrer stillen, männlichen
Ergebenheit. Da und dort war einer über seinen lehmigen Rucksack
oder über den Rücken eines Kameraden gebeugt. Er schrieb die
vielleicht letzte Feldpostkarte in die ferne Heimat . . .
Um 9Vk Uhu vormittags verstummte das Donnern und Tosen,
heulen, pfeifen und Krachen wie auf ein machtvolles Befehlswort.
Eine tiefe Stille trat ein, eine atembeklemmende Stille, in der man
das Herz pochen und das siedende Blut rauschen hörte, vernehmbar
tokte der Pulsschlag in den Schläfen. Die starre Ruhe war fürch-
terlicher, griff ärger noch an die Nerven als der frühere betäu-
bende Höllenlärm. Jeder fühlte: Jetzt — jetzt wird es gleich zum
Schwersten kommen. Und jeder betete im Kerzen: „vergott, steh'
mir bei!" . . .
Nach etwa zehn langen und bangen Minuten Härten wir bei
,gleichzeitig wiederum einsetzendem stärkstem Artilleriefeuer heftiges
Gewehr- und Maschinengewehrknattern. Wir horchten auf und er-
kannten an dem eigentümlichen Aufplatschen sofort untrüglich, daß
der Feind mit den grausamen, heimtückischen Explosivgeschossen ar-
beitete. Während wir über diese Barbarei noch redeten, brachte
eine atemlose Ordonnanz des Heeres-Regimentes 82 die Meldung,
daß es dem Gegner gelungen sei, südlich von der über pokaszczewo
nach Glyka führenden Straße durchzubrechen und daß Teile seiner
Kräfte bereits gegen unsere zweite Stellung vorgedrungen seien.
Wir kletterten auf die Brustwehr und sahen tatsächlich bei dem vor-
gelagerten Graben die erdfarbenen Mützen der Russen, vom Re-
giment 82 wav merkwürdiger- und verwunderlicherw eise nichts mehr
zu sehen. Es war verschwunden, urplötzlich, wie wenn es der ge-
klaffte Erdboden mit einem einzigen Aufschlucken verschlungen hätte.
Nicht eine Kappe war sichtbar. Unerklärlich und unheimlich war
uns das. Später stellte sich heraus, daß das Regiment zum größten
Teil den Russen in die Hände gefallen war. Die Besatzung der
202
Angenetter
ersten Stellung hatte sich nämlich in den „Fuchslöchern" (8—lO m
unter dem gewachsenen Boden liegende höhlen) befunden, um vor
den verheerenden Wirkungen des Trommelfeuers geschützt zu sein.
Dem Gegner war es aber gelungen, dem Regiment in den Rücken
zu kommen und es gefangen zu nehmen. Die Besatzung hatte die
Fuchslöcher nicht mehr verlassen können, weil die Stiegen gänzlich
zerschossen worden waren.
Ganz kurze Zeit nach dem Bekanntwerden des russischen Durch-
bruchs wurde das k. u. k. Schützen-Regiment Nr. \ auf Befehl des
25. Brigadekommandos zum Gegenstoß angesetzt. Der Befehl des
Regimentskommandos lautete: „Zweite Stellung besetzen und so-
dann nach Maßgabe der Verhältnisse und im Linklang mit den
Nachbargruxpen gegen die erste Stellung vorrücken."
Der Befehl zum Gegenangriff rief trotz der furchtbaren Hölle,
die uns umtobte, förmlich ein tiefes, befreiendes Aufatmen aller
hervor. Ls war ja schon seit Stunden der Wunsch eines jeden,
aus dem entsetzlichen Graben zu kommen, sei es auch nur, um in
Tod und verderben zu gehen. Der Aufenthalt in den stickigen, von
sengender Sonne bestrahlten Lrdlöchern war eine Dauerqual, die
irrsinnig machen konnte. Ls sahen schon manche Augen so aus,
als stünde der keimende Wahnsinn in ihnen.
Gesichert wurde die Vorwärtsbewegung in den Laufgraben an-
getreten, aber schon nach einigen Minuten wurde entdeckt, daß auch
die zweite Stellung bereits völlig in den Händen der Russen war
und feindliche Abteilungen sich eben anschickten, über diese Stellung
hinaus gegen uns vorzugehen. Da also dieser weg nach vorne un-
möglich war, entwickelten sich nun die Unterabteilungen rasch und
in einer geradezu als mustergültig zu bezeichnenden Ordnung zu
beiden Seiten der Verbindungsgräben, die von der Bereitschafts-
stellung vorwärts führten.
Frisch und forsch wurde der Feind angegangen, der ein solches
hervorbrechen unter den obwaltenden Umständen nicht erwartet,
sondern gehofft hatte, mit uns auf dieselbe weise fertig zu werden,
wie er die 82 er erledigt hatte.
3m furchtbarsten gegnerischen Feuer, das in wenigen Augen-
blicken zahlreiche und große Lücken in die Züge und Kompagnien
riß, wurde der Angriff unternommen, todesmutig und todvsrachtend
wurde er von allen vorgetragen. Zielsicher und zweckbewußt wurde
gefeuert. Ls war ein Gegenstoß voll Gewalt, Kraft und glänzender
Tapferkeit. Jeder tat und gab sein Bestes und sein Alles her und
half so mit zu dem Lrfolg, daß der Feind, der schon massenhaft
über die zweite Stellung vorgeflutet war, gleich im ersten Anprall
in diese zurückgeworfen wurde.
Keuchend und dampfend, mit schwingenden Nerven und zucken-
den Muskeln, ruhten wir einige Augenblicke, um wieder kräftigende
Lin Sieg der Treue
203
Luft in die ausgepumpten, glühenden Lungen zu bekommen, die
tobenden Kerzen sich beruhigen zu lassen.
Dann kam eine noch schwerere Aufgabe: Der Angriff auf die
von den Russen zähe und hartnäckig verteidigte zweite Stellung, um
diesen wichtigen Abschnitt unbedingt in unseren Besitz zu bekommen.
Mit fliegenden, heißen Worten wurden die Befehle gegeben —
und wie von einem urgewaltigen Stoß angetrieben, stürmten die
Braven wiederum vorwärts im dichten Hagel der feindlichen Ge-
schosse. voll Todesverachtung sprangen sie in kühnen Sätzen in den
Stellungsgraben, aus dem die russischen Gewehre Tod und ver-
derben spieen, aus denen Handgranate auf Handgranate fauchend
flog. Rechts und links hieb, stieß, schlug und riß der Tod nieder.
Einzeln, zu zweit, zu dritt und noch mehr zusammen wurden die
Kämpfer hingelegt. Fast maschinenmäßig ging das. Einige fielen
vornüber, andere auf den Rücken, den Kopf zurückgerissen, die
Arme in die Luft geschleudert. Manche schienen in den Boden zu
sinken, manche hüpften in die Luft, schwenkten dann in einem Bogen
ab und stürzten mit dem Kopf auf. Und aus jedem Mund kamen
Laute, Rufe, Schreie des Schmerzes, der Angst, des namenlosen
Entsetzens. Manche Rufe und Schreie waren wie ein verzweifelter
versuch, das fliehende Leben zurückzurufen, manche klangen wie
Ausbruch hemmungsloser Wut, wie zornheißer Fluch.
Es waren grauenhafte Augenblicke und Minuten.
Doch das alles hinderte die wiener Einser nicht, ihre Aufgabe
restlos zu erfüllen und die Stellung zu nehmen. In etwa einer
halben Stunde hatten sie sie, waren sie drinnen.
Im Tagebuch des Feldregiments ist über diese Kampfphase zu
lesen: „Der Angriff wird angesetzt und unaufhaltsam mit großer
Schneid und Bravour seitens aller beteiligten Offiziere und Mann-
schaften trotz der ungeheuren Verluste an Offizieren und Mann-
' schäften vorwärts getragen und die zweite Stellung, welche vom
Gegner schon stark besetzt war, im Sturm genommen und besetzt.
Trotz heftigen Maschinengewehrflankenfeuers und der starken Ver-
luste harrten die braven Angreifer mit Zuversicht in der genommenen
Stellung aus."
Im Graben kam es noch zu einem heißen, wilden Kampf
Mann gegen Mann. Berserkerwut erfüllte die Unsrigen wie den
Gegner, der durch sein eigenes Infanterie- und Maschinengewehr-
feuer vorgetrieben worden war. Die Stirnadern eines jeden
schwollen zu dicken, blauschwarzen Stricken an. Die Augen waren
blutunterlaufen und schienen aus ihren höhlen springen zu wollen,
wilde, gar nicht menschlich klingende Laute entrangen sich den
heiseren Kehlen, wurden steinernhart ausgestoßen. Alle Leiber
glühten, dampften.
Der Kampf dauerte nicht lange — doch er war furchtbar,
besonders für uns furchtbar, wir hatten nur die Gewehre und
204
Angenetter
Bajonette, mit denen im Graben fast nichts anzufangen war, weil
die Enge am richtigen und wirkungsvollen Gebrauch der Waffe
hinderte. Mb man dem Gegner nun das Bajonett in den Leib
rennen oder ihn mit dem Gewehrkolben niedermachen wollte —
man vermochte nichts auszurichten, höchstens schädigte man damit
eigene Leute. Der Feind hingegen war reichlich mit Handgranaten
ausgerüstet und uns auch in der Zahl weitaus überlegen. Trotz
alledem wurden wir seiner kserr, gelang es uns, ihn aus dem
Graben zu vertreiben und in die erste Stellung zurückzuwerfen.
Über den Angriff auf die zweite Stellung und deren Wieder-
eroberung meldete der Rommandant des 3. Bataillons, Oberst-
leutnant v. Panzer«, in seinem Gefechtsbericht u. a.:
„Dieser durch das offene, aufsteigende Terrain und durch das
heftige feindliche Feuer sehr erschwerte Angriff gegen einen starken,
in gedeckter Stellung befindlichen Gegner wurde mit besonderer
Bravour durchgeführt und die todesmutige, tapfere Haltung von
Offizieren und Mannschaft verdient volle Anerkennung . . . wenn-
gleich der Gegner große Verluste hatte, waren auch die Verluste
des Bataillons sehr groß, insbesondere machten sich die feindlichen
Handgranaten fühlbar. Zu erwähnen wäre, daß der Angriff ohne
Artillerievorbereitung durchgeführt wurde."
wir hatten also die heiß, heftig und blutig umstrittene zweite
Stellung wiederum in unserem Besitz. Der zurückgeworfene Gegner
wurde in der fast gänzlich zusammengeschossenen ersten Stellung von
rasch nachgeschobenen frischen Kräften, an denen er keinen Mangel
hatte, aufgenommen. Um zu verhindern, daß er noch weiter zurück-
weiche, setzte ein heftiges russisches Maschinengewehr- und Ar-
tilleriefeuer wieder ein, durch das er gleichzeitig neuerdings vor-
wärts getrieben werden sollte.
Als wir uns eine kleine weile ausgeschnauft und die Lungen
wieder mit neuer Luft gefüllt hatten, unternahmen wir im ver-
heerenden feindlichen Feuer einen Vorstoß gegen die erste Stellung,
um sie in unsere Hand zu bekommen, wir gelangten durch einen
schneidigen Sturmangriff wohl dorthin, zum Teil sogar darüber
hinaus, doch wir vermochten trotz aller Aufopferung nicht, die
Stellung dauernd zu halten, weil es den Nachbar gruppen
nicht gelang, mit uns auf gleiche Höhe zu kommen. Also
zogen wir uns — schon sehr stark und sehr bedenklich gelichtet —
wiederum in die zweite Stellung zurück, die befehlsgemäß bis zum
Einlangen von Verstärkungen unbedingt gehalten werden mußte.
Es kam im Graben bald zu einem neuerlichen blutigen Kampf.
Der Gegner wollte die zweite Stellung, die ihn soviel des
eigenen Blutes gekostet hatte und ohne deren Besitz er seinen bis-
herigen Erfolg nicht ausnützen konnte, begreiflicherweise nicht fahren
lassen und stürmte zweimal gegen sie an. Das erstemal mit ver-
hältnismäßig schwachen Kräften, die in kurzer Zeit glatt abgewiesen
205
Lin Sieg der Treue
wurden. Das zweitemal aber wogte er um vieles mächtiger an
und da gelang es ihm denn auch, an einigen Stellen in die durch
unsere großen Verluste verursachten Lücken einzudringen.
Wiederum ein wildes, unmenschliches Handgemenge, das damit
endete, daß der Feind, der von ungemeiner Zähigkeit war, aus
dem Graben hinausgeworfen wurde und in die erste Stellung zurück-
flutete. An diesem Erfolg hatte die tapfere Maschinengewehr-Ab-
teilung des 3. Bataillons ein rühmliches verdienst.
Wir keuchten und dampften.
Sengend glühte die Sonne auf uns nieder. (Dualen eines hölli-
schen Durstes standen in den hervorgequollenen Augen aller. Die
Stimmen klangen belegt und heiser vor Durst und körperlicher wie
seelischer Erschöpfung. Ein paar Leute redeten schon halb irre.
Andere taumelten gleich Betrunkenen. Neben einer Traverse lag
ein braver Korporal mit fürchterlich verzogenem Gesicht in einem
Weinkramxf. verwundete und Sterbende schrieen und stöhnten,
jammerten, schimpften und fluchten. Da rief einer nach seiner
Mutter, dort schrie einer nach seinen Kindern. Zum Beten gefaltete
Hände sah man und faustgeballte, die zum Himmel erhoben wurden.
Einer zeigte ganz weiße Lippen, ein anderer hatte Schaum vor
denr Munde stehen. Und viele der anderen lehnten an den Graben-
wänden, das Gewehr am Riemen in den schlaff herabhängenden
Händen haltend, und ließen ihre glasig schimmernden Augen irr
und wirr im Kreis herumgehen.
Nach Trinkwasser ging der Wunsch eines jeden, nach kaltem
Wasser und frischer Luft, denn der Gestank des reichlich geflossenen
Blutes, das sich in der Hitze rasch zersetzte, und des verbrannten
Fleisches war widerlich bis zum Erbrechen. Die Arbeit der Lungen
stockte beinahe.
Unsere Lage fing allgemach an, kritisch zu werden, denn der
durch frische Kräfte stets verstärkte Gegner wogte immer wieder an,
um die verlorene zweite Stellung neuerdings in seinen Besitz zu be-
kommen. Aber wir hatten schon unser letztes Quentchen Kraft auf-
gewendet, waren fast am Ende unserer physischen und psychischen
Leistungsfähigkeit und sahen kummervoll, daß auch unser Schieß-
vorrat beinahe am Ende war. Dazu kam noch, daß wir von den
russischen Maschinengewehren rechts heftiges Flankenfeuer bekamen
und die feindliche Artillerie nun unseren Graben unters Ziel nahm.
Es war eine Hölle.
Es mußte nun der rechte Flügel des 3. Bataillons eine Flanken-
stellung beziehen, bis es dem linken Flügel des Bataillons, der
mit großen Geländeschwierigkeiten zu kämpfen hatte, gelang, vor-
wärts zu kommen. Währenddem unternahmen die Russen einen
überaus heftigen Flankenangriff gegen den rechten Flügel des Ba-
taillons. Sie wurden aber in kurzer Zeit kräftig abgeschlagen und
206
Angenetter
zum Zurückweichen gezwungen. Sie hatten schwere Verluste erlitten,
doch auch auf unserer Seite war viel Blut geflossen.
Das verheerende Artilleriefeuer des Gegners tobt indes weiter
gegen die zweite Stellung. Ls ist ein geradezu höllisches wüten.
Brustwehren und Traversen gehen in Trümmer, Deckungen und
Grabenwände gehen nieder und begraben da und dort die Kämpfer.
Riesige Erdhaufen, aufgeworfen von den schweren Granaten, machen
es fast ganz unmöglich, daß auch nur die Schwärme eines Zuges
miteinander halbwegs Verbindung halten können. Befehle müssen
unter den denkbar schwierigsten Umständen von Wann zu Wann
weitergegeben werden. Lin gräßliches Tohuwabohu herrscht aller-
orten.
Aber trotz der schweren Verluste, die die schon arg zusammen-
geschmolzene Truppe erleidet, trotz der Zerstörung des größten
Teils der Stellung und trotz der Übermacht des immer wieder an-
wogenden, durch eigenes Waschinengewehrfeuer vorgetriebenen
Feindes wird der wichtige Abschnitt gehalten und ein Vordringen
der erdbraunen Waffen darüber hinaus verhindert. Getreu dem
Befehl, der an sie ergangen war, harren die Kämpfer aus, um
den ihnen zugewiesenen Abschnitt bis zum letzten wann zu ver-
teidigen und zu halten.
Doch die Erfüllung der schweren Aufgabe, von der so vieles
abhängt, wird immer schwieriger, wird schier unmöglich, denn —
die letzten Patronen sind verschossen und es gelingt trotz aller An-
strengungen nicht, Nachschub von wunition zu erhalten.
wehrlos ist der Rest der Truppe. Die Gewehre werden an
die Grabenwände gelehnt und ein Kämpfer sieht den anderen mit
verzagt fragender Wiene an. Die Gesichter erblassen unter dem
dicken Schmutz, der sie bedeckt.
was jetzt tun? Sich ergeben? Nein! Zurückfluten? Nein!
Da im Graben und draußen auf der wüsten Walstatt liegen Tote
und verwundete zu Häuf. Die haben noch wunition in den Pa-
tronentaschen, in den Brotsäcken und Rucksäcken und brauchen sie
nicht mehr. Holen! Offiziere, Aspiranten, Dienstgrade verlassen den
Graben, kriechen bäuchlings herum und sammeln, viel ist es nicht,
was sie in ihren Kappen oder in den Lßschalen in den Graben
bringen. Aber etwas ist es doch und das flammt den Wut wieder
neue an. Zeder zweite wann bekommt ein Wagazin, wie einen
köstlichen Schatz nimmt er es. Dann geht er wieder auf seinen
Posten, um auszuharren bis zum Letzten . . .
wiederum braust die feindliche Riesenwoge heran und wiederum
bricht sie an dem schwachen Damm, den die kärglichen Reste der
wiener Einser ihr entgegensetzen. Eine dichte Reihe von Leichen
läßt der Feind vor dem Graben liegen . . .
Es war mittlerweile % Uhr nachmittags geworden.
Lin Steg der Treue
207
Da schwoll das russische Trommelfeuer zu noch nicht da-
gewesener Heftigkeit an und gleich darauf setzte das feindliche Sperr-
feuer ein, etwa 600—^000 Schritte hinter unsere Linien wirkend.
Das gegnerische Maschinen- und Infanteriefeuer steigerte sich zu
höchster Intensität. Einzelne Detonationen waren nicht zu hören.
Sie gingen ineinander über, vermengten sich zu gewaltigen Donner-
schlägen, verschmolzen zu einem betäubenden, schwingenden Tosen,
das durch die vibrierenden Nerven fuhr, wie ein starker elektrischer
Strom. Man konnte meinen, das ganze Weltall poltere in sich
zusammen. Durch den Erdboden lief ein tönendes Schwingen und
Zittern. Der Sand und die kleinen Steinchen hüpften auf ihm.
Gegen 5 Uhr nachmittags wurde der südlich von dem Schützen-
Regiment Nr. \ erfolgte Durchbruch der Russen besonders stark
fühlbar. Die südlich vom 3. Bataillon postierten Abteilungen
wurden trotz Aufbietung des größten Heldenmutes zum Zurück-
gehen gezwungen und das Feuer der russischen Artillerie legte sich
nun vernichtend auf die zweite Stellung, deren scharf markierter
Grabenzug ein herausforderndes Ziel bildete. In dieser fürchten
lichen Lage konnten die Reste des Regiments, das fast keine Pa-
trone mehr hatte, nicht bleiben. Sie wären im Graben aufgerieben
worden. Aber noch weniger konnte an einen weiteren Vorstoß ge-
dacht werden. Die Kämpfer wären in wenigen Minuten nieder-
gemäht gewesen.
Sie mußten zurückgenommen werden, um der Gefahr zu ent-
gehen, entweder vom vorgedrungenen Feind umklammert und nieder-
gemacht, oder in die Gefangenschaft abgeführt zu werden.
Die staffelweise Zurücknahme der kläglichen Reste der Kämpfeo
wurde in den Laufgräben und so geschickt bewerkstelligt, daß trotz
* der heftigen Tätigkeit der gegnerischen Geschütze und Maschinen-
Gewehre hiebei nur sehr geringe Verluste entstanden.
Durch volle neun Stunden hatte sich das Regiment ohne jede
Unterstützung und trotz der entsetzlichen Verluste, die es in ganz
kurzer Zeit erlitten hatte, todesmutig und den Tod verachtend,,
gehalten. Es hatte sich unentwegt dem anbrausenden und an-
pfauchenden tausendfältigen Verderben entgegenstemmt, hatte rest-
los aus sich herausgeholt, was es hatte herausholen können, fort-
während von der leider trügerischen Hoffnung beseelt, es werde
gelingen, Munition und Verstärkungen heranzubringen, so daß ihm
ermöglicht werde, weiter vorzudringen und den Gegner dorthin zu
werfen, von wannen er gekommen war. Neun Stunden hielt es-
in einer grausigen Hölle aus und es hätte wohl noch länger aus-
gehalten, wenn ihm nicht infolge des völligen Mangels an den
notwendigsten Kampfmitteln die Umklammerung durch den über-
mächtigen, stets verstärkt und frisch anwogenden Feind und die-
Gefangennahme gedroht hätte.
208
Angenetter
Um etwa 7 Uhr abends trafen die traurigen, zermürbten und
zermalmten Überreste des am frühen Morgen noch so stolzen Re-
giments der Wiener Einser bei der dritten Stellung östlich von
Thorluxi ein, die nun befehlsgemäß besetzt wurde.
So endete der Tag von Glyka.
Line Unsumme von gewaltigem Schmerz, den sich niemand
auch nur vorstellen kann, ist an diesem unseligen 5. Juni erduldet
worden, Zck habe derart grauenhafte Verwundungen zu sehen be-
kommen, daß meine Seele heute noch in sich zusammenschauert,
wenn ich nur daran denke. Und all diese bselden, die nach ihrer
Verwundung nicht selber das Schlachtfeld verlassen konnten, mußten
liegen bleiben, wo das Geschoß sie ereilt hatte, denn die Sanitäts-
mannschaft konnte sie wegen des verheerenden feindlichen Feuers
mit dem besten Willen nicht bergen. Da lagen denn ihrer un-
zählige mit den furchtbarsten Verletzungen hilflos im glühenden
Sonnenbrand des Tages, in der fröstelnden Rühle der Nacht auf
der verwüsteten Walstatt, vom brennenden Durst gemartert, vom
Ungeziefer gequält, von gierigen Raben angehackt, gegen die sie
sich nicht mehr wehren konnten. Mancher von ihnen, der durch
Reinigung seiner Wunde und Anlegen eines einfachen Verbandes
vielleicht noch zu retten gewesen wäre, mußte dort elendiglich zu-
grunde gehen.
Die Nacht auf den 6. Juni verlief ziemlich ruhig, gewährte
den zu Tod erschöpften Rämxfern barmherzig einige Ruhe, denn
der offenbar auch erschütterte Gegner drängte in den Raum des
Regiments nur mit Patrouillen nach.
Zur glänzenden Ehre der Truppe sei bemerkt, daß nach den
Berichten und Meldungen der Unterabteilungs- und Zugskomman-
danten kein einziger Angehöriger des Regiments unverwundet in
Gefangenschaft geraten ist.
An diesem 5. Juni hatte jedes einzelne Bataillon des Re-
giments mehr als 70 o/o blutige Verluste erlitten. Die Truppe hat
sich an diesem Tag ruhmvoll zur Rettung der arg gefährdeten
Gesamtlage aufgeopfert und durch ihr gewaltiges Todesopfer den
Gegner den Sieg und Erfolg nicht gewinnen lassen, den er zu
erringen hoffte. Sie selbst konnte nicht siegen, wie sie gewollt hatte,
aber sie wurde auch nicht besiegt, weil sie fast zur Gänze vor dem
Feind mit der Waffe in der lhand gefallen ist.
Der Schlachttag von Glzcka war der größte Ruhmestag der
Wiener Einser und darum ist dieser Tag auch zum Ehrentag der
Truppe erklärt worden, der von den Angehörigen des ehemaligen
Regiments alljährlich mit einer erhebenden Feier begangen wird.
Kärntner Gebirgsschutzen in Galizien und Venetien.
Aber die Piave bei Aenjon am 12. November 1917.
Flußübergang des k. k. Gebirgsschützenregiments Nr.
Von Major Josef Ger st mann im Alpenjägerregrment Kärnten Nr. 11,
damals 1. Negimentsadjutant im Gebirgsschützenregiment 1.
/Liegen Ende Oktober \9\7 war in den julischen Alpen die ita-
lienische Front durchbrochen worden. Die feindlichen Reserven
vermochten den unaufhaltsam gegen Südwesten vordringenden deut-
schen und österreich-ungarischen Streitkräften kein „Halt" zu gebieten.
Die Lage der italienischen Armeen am Rarst wurde hiedurch ernstlich
bedroht. Um den Feind hier festzuhalten, wurde er an verschiedenen
Stellen angegriffen. Dennoch gelang es den Italienern, hier in ver-
hältnismäßig guter Ordnung und unter geringen Verlusten die
Front zu räumen und nach Westen abzuziehen.
Jetzt wurde es am Rarst lebendig. Aus Gräben und Stollen,
höhlen und Schluchten, aus den Ruinen zerstörter Gehöfte und
Ortschaften stiegen die kampfbewährten Truppen der Isonzo-Armeen
empor und drängten dem Feinde nach.
Das Gebirgsschützen-Regiment \ voav am Nordhange des Faijti
hrb in Stellung und trat am 28. Oktober um 6 Uhr morgens den
,Vormarsch an. Abends war der Isonzo erreicht. Am folgenden
Tage wurde der hochgehende Fluß mühsam auf der gesprengten
Brücke bei Sagrado überschritten und unausgesetzt geht der Marsch
in den nächsten Tagen westwärts, wir meist als schließendes Re-
giment der Oft. Schützen-Division. Am 9- November wird das
\. Bataillon (Hauptmann I. Paulus) in Fossalta maggiore zur
Sicherung des Raumes Salgaredo-Romanziol an die Piave be-
fohlen. Regimentsstab und 2. Bataillon (Oberstleutnant Schenk)
beziehen Quartiere in Tampo di Pietra, das 3. Bataillon (Oberst-
leutnant Jereb) gelangt als Reserve der 87. Schützen-Brigade nach
T. Bergamo.
Spät abends am brachte der zum Brigadekommando be-
fohlene Regimentskommandant (Oberst Alpi) ausführliche Befehle:
„Das Regiment hat am Morgen des \2. nordöstlich von Zenson
di Piave über den Fluß vorzustoßen und nach Gruppierung am west-
lichen Damme in eine bestimmte Linie vorzugehen, hiedurch ist ein
Brückenschlag über die Piave zu ermöglichen.
Kerchnawe, Im Felde umbesiegt. III.
14
210
Gerstmann
Die Übersetzung weiterer Kräfte ist am \2. nicht geplant.
Lsilfstruppen: «Line Infanterie-Begleitbatterie (zwei Gebirgs-
kanonen), zwei Pionierkompagnien.
Bereitstellung um 6 Uhr vormittags beendet.
Leiter der Flußübersetzung: Gberstbrigadier v. Schuschnigg."
Dies das Wesentlichste aus den Befehlen.
Die Piave ist bei Zenson etwa 70 m breit und hat sandige,
dicht mit Weiden, Erlen und Sanddorn bewachsene Ufer. Von
diesen ist das östliche flach, das westliche 2 m hoch mit schmalen,
vorliegenden Sandbänken. An jedem Ufer begleitet ein mächtiger
^ m hoher Schutzdamm das Flußbett.
Am \2. November 6 Uhr vormittags standen: das (. Bataillon
unmittelbar am östlichen Flußrand in zwei Linien, das 2. Bataillon
dahinter am Damm in enger Gruppierung und südlich davon das
3. Bataillon. Die Ulaschinengewehr-Kompagnie der Bataillone 2
und 3 waren feuerbereit an der Dammkrone.
Die Pontons lagen zunächst dem Damme am Ende einer Zu-
fahrtsstraße.
vom Feinde war bekannt, daß er am westlichen Ufer in
Stellung sei. Seine Stärke war infolge der äußerst ungünstigen
Beobachtungsverhältnisse nicht verläßlich festzustellen. Patrouillen
aber durften, um den Gegner nicht aufmerksam zu machen, nicht
übergesetzt werden.
Es herrschte Stille.
Ein überraschender Uferwechsel dünkte möglich; daher befahl
Oberst v. Schuschnigg, um 6 Uhr vormittags mit der Überschiffung
zu beginnen.
hurtig tragen die Pioniere den ersten Ponton vor und stoßen
ihn ins Wasser, doch allzu hastig, so daß er abgetrieben wird,.
Rasch wird er wieder zur Stelle gebracht. Die Aufmerksamkeit des
Feindes ist erweckt, die mit dem zweiten Ponton ankommenden
Pioniere fallen in seinem Infanteriefeuer. Ersatz springt heran,
bringt den Ponton ins Wasser und verbindet ihn mit dem ersten.
während die Begleitgeschütze Kartätschen gegen das jenseitige
Ufer hageln und acht Ulaschinengewehre über den Fluß hinweg
dieses abstreuen, werden zwei weitere Pontons ans Ufer gebracht.
Das feindliche Feuer ist aber zu wirksam, so daß, die Pioniere, um
unnütze Verluste zu vermeiden, in Deckung befohlen werden.
Die Stellungen der Italiener sind nicht zu ermitteln.
Lin kurzer Feuerstoß gegen das westliche Ufer bleibt wir-
kungslos. Alle den Pontons sich Nähernden weist der Feind mit
Feuer ab. Neuerlich wird schweres Geschützfeuer auf das feindliche
Ufer gelegt, die Begleitgeschütze belfern im Schnellfeuer, die Ma-
schinengewehre rattern ohne Unterbrechung, dazwischen knallen die
Schüsse der (. Kompagnie (Oberleutnant Mikl). Diese in Schwarm-
Kärntner Gebirgsschützen in Galizien und venetien
211
lime am Ufer liegend, richtet ihr Feuer gegen alle möglichen Auf-
enthaltsxlätze der feindlichen Infanterie.
Neuerlich stürzen die Pioniere vor, stoßen den dritten und
vierten Ponton ins Wasser und vereinigen beide. Die Schützen der
braven 2. Compagnie (Oberleutnant i. d. R. Straff) drängen an
und springen voll Kampflust in die eisernen Kähne, in ihrer Rkitte
der stets bewährte Führer. Handgranaten drohen in den harten
Berglerfäusten. Einige fallen. Doch — „Jetzt ischt's lei gleich."
— „Stoßt ab!" „Setzt ein!" „Los!" —
wütend arbeiten die Pioniere an den Rudern. Die feindlichen
Geschosse umschwirren die Kähne, da und dort Opfer findend, wo
ein Pionier sinkt, drängt ein Schütze an seinen Platz. Da zischen
im ersten Zweiteiler Handgranaten auf, dutzende fliegen hoch,
schlagen in die nahe Uferböschung, donnern los, ein Ruck, die
Pontons sitzen am Sand. Im Nu sind sie leer und mit wildem
Hurra wird die Böschung erstürmt. Das Feuer am diesseitigen
Ufer ist plötzlich verstummt.
Jetzt nur hinüber und weiter.
Schon sind die Pontons zurück. Der Rest der zweiten Kom-
pagnie wird übersetzt. Keuchend werden zwei weitere Pontons
herangebracht. In diesen werden der Bataillonsstab und die Rka-
schinengewehr-Kompagnie (Oberleutnant Buresch) überschifft.
Auf der schmalen Sandbank drüben drängen sich die ersten
Gefangenen, etwa 80 Rkann.
Kein Infanteriefeuer stört nunmehr die weitere Überschiffung.
Da heult es plötzlich heran aus der Richtung westlich Zenson.
prasselnd schlägt es auf Dachziegel, kracht in die Häuser, Staub
und Schutt emporwirbelnd. Die Gefechtsleitung wird aus ihrem
Standort, den beiden Häusern zunächst der Überschiffungsstelle,
herausgeschossen. Gberstbrigadier von Schuschnigg erhält eine
Schramme im Gesicht, Oberleutnant v. Förster (2. Regimentsadju-
tant), dem eine Schrapnellhülse die rechte Ferse abgeschlagen, wird
mühsam geborgen.
Der Platz wird geräumt, die Leitung ostwärts an den Damm
verlegt.
Nach diesem gelungenen Feuerüberfall schwenkt der Feind sein
Feuer gegen die Überschiffungsstelle, so daß sie etwas flußaufwärts
verlegt werden muß.
Nun tobt die feindliche Batterie gegen die frühere Über-
schiffungsstelle mit großer Genauigkeit weiter, so daß das 2., später
das 3. Bataillon ohne erhebliche Verluste das Westufer gewinnen.
Das Bataillon ist mit drei Infanterie- und der Rkaschinen-
gewehr-Kompagnie am rechten Ufer und hat den Raum zwischen
diesem und dem etwa 400 m entfernten Damm vom Feinde ge-
säubert und den Damm selbst in breiter Ausdehnung besetzt.
14*
212
Gerstmann
In dem überwiegend mit wein und Mais dicht bewachsenen,
unübersichtlichen Gelände stoßen feindliche Reserven vor. Sie werden
vom Damme aus zurückgeschlagen.
Das 2. Bataillon geht, zum Gefechte entwickelt, zwischen dem
Fluß und dem rechten Flügel des Bataillons vor. Die zu be-
ziehende Linie erweist sich als ungünstig. Darum stoßen die 5.
(Oberleutnant Sorko) und 6. Kompagnie (Oberleutnant i. d. R.
Schulz) über diese vor und besetzen nach Kampf eine vom bsaupt-
damm gegen den Fluß streichende Buhne.
Das 3. Bataillon geht flußabwärts gegen Zenson vor und
schließt den Raum zwischen (. Bataillon und dem Flusse, lsier
müssen einige feindliche Nester genommen werden, ehe die an-
befohlene Linie erreicht wird.
Um K Uhr vormittags steht das ganze Regiment auf dem
rechten Ufer, den großen Flußbug abschneidend. Die Überschiffungs-
stelle war hinter der Mitte der Stellung. Der Feind war zweifellos
überrascht worden. Das Regiment hatte mit geringen Verlusten den
ersten Teil seiner Aufgabe gelöst.
Ehe nun die Stellung vorverlegt werden konnte, mußten sich
die Bataillone gruppieren und die verbände ordnen. Diese Tätig-
keit wurde durch kräftige Teilvorstöße des Feindes empfindlich ge-
stört.
Unl l und 3 Uhr nachmittags rannte der Feind aus Zenson
gegen den linken Flügel an. Gebüsch und dichte, übermannshohe
Pflanzungen förderten seine Annäherung. Jedesmal wurde er im
Nahkamxf zurückgeschlagen.
vor der Front des 2. Bataillons hatten sich die Italiener un-
ausgesetzt nach vorwärts gesammelt. Die Däuser der Ortschaft Isola
di sotto bildeten ihren Sammelplatz. Die eigene Stellung wurde hier
von Sernaiotto aus flankiert. Aus kleinkalibrigen Geschützen wirkte
der Gegner mit unheimlicher Genauigkeit. Oberleutnant Sorko
mußte, um die Verluste zu mindern, seine Kompagnie vom Damm
nehmen. Hiedurch wurde die Wirkung gegen Isola di sotto unter-
brachen. Der Feind feuerte indes längs des Dammes beharrlich
weiter und schoß die verbliebenen Beobachter nacheinander ab. Da
zwischen dem sichtbaren Abschuß der kleinen Geschütze und dem
Einschlagen der Granaten einige Augenblicke vergingen, wurden
diese ausgenützt. So oft nun ein Schuß aufblitzte, gellte der Ruf
„Decken" und eiligst sprangen die Späher vom Damm, um sogleich
wieder ihre Plätze zu beziehen. Anstrengend war dieses Manöver,
aber es half. Der Feind traf fast stets eine leere Schützenmulde..
vor der im rechten Winkel zum Fluß ziehenden Buhne be-
günstigte dichtes Gehölz, Gräben und kleine Dämme das vor-
gehen des Gegners.
Inzwischen hatte eine schwere, feindliche Haubitz-Batterie los-
gelegt. Granate um Granate schlägt in den Damm. Zeitweise wird
Kärntner Gebirgsschützen in Galizien und venetien
213
das Feuer bis zur Überschiffungsstelle verlängert. Lin Ponton
erhält einen Volltreffer. Lin Drei- und zwei Zweiteiler bleiben
gebrauchsfähig.
Der Brückenschlag unterbleibt.
Die eigene Artillerie, die nur über wenig Munition verfügt^),
vermag die Infanterie nicht zu entlasten. Der Kirchtum von Zenson
wird umgelegt. Gewiß diente er dem Feinde zum Ausguck, von
hier aus wurde sicherlich das Feuer der vom Meere herauf gegen
den linken Flügel (3. Bataillon) wirkenden schweren Kanonen ge-
leitet.
Die feindliche Dammstellung bei Sernaiotto kann von unserer
Artillerie nicht zerstört werden. Die Verbindung zwischen Be-
obachter und Batterie ist unmöglich aufrecht zu erhalten, trotz der
aufopfernden Arbeit der Fernsprecher.
Lebhafter wird der Gegner. Gegen die Stellung des 2. Ba-
taillons werden Lufttorpedos geschleudert. Diese bis nun un-
bekannten Geschosse bersten mit gewaltigem Krach und großer
Wirkung. Offenbar steht ein Angriff gegen unsern rechten Flügel
bevor.
Um 5 Uhr nachmittags bricht der Feind gegen die Kniestellung
vor. Diese ist der schwächste Punkt der Front und auch der wichtigste,
bsier, wo sich die Stellung in rechtem Winkel brach, stand die
5. Kompagnie.
Line Unzahl Handgranaten fliegen plötzlich über den Damm.
In ihre scharfen Sprengschläge mengt sich das Sturmgeschrei der
Italiener. Durch das vorangegangene Feuer erschüttert, weicht die
überraschte Kompagnie zurück, von der erstürmten Dammkrone
schleudert der Feind Handgranaten nach. In einem alten Graben
sammelt Oberleutnant Sorko rasch die Kompagnie. Die Stutzen
chochgerissen, ein kurzes Schnellfeuer schlägt den nachdrängenden
welschen entgegen, der Feind stockt und mit wütendem fjurra
bricht die Kompagnie vor, ihrem kühnen Führer nach. Schwer ist
der Kampf. Lrxrobte Stürmer sind hier eingebrochen. Dennoch
wird der Feind niedergerungen und der Damm zurückgewonnen.
Sogleich hämmert die feindliche Artillerie wieder gegen den
Damm los und nimmt den Raum bis zum Fluß einschließlich der
tz Im Winter \9\6l{7 hatte Kaiser Karl ans Andrängen des österreichischen
Parlamentes verfügt, daß die Kavallerie zu Fuß formiert und die Artillerie mit der
Bespannung auf Notstände herabgesetzt werde, um das Hinterland vom verpflegs-
nachschube für die Pferde zu entlasten und die Pferde für die heimische Landwirt-
schaft verfügbar zu machen. Die Artillerie hatte nach dieser Verfügung nur noch
knapp die Geschütze, aber kein einziges Munitionsfuhrwerk, keine einzige Munitions-
kolonne bespannt. Die leichten Batterien führten daher nur die Protzenmunition
— 50 Schuß pro Geschütz — mit sich, die schweren noch viel weniger. Die Isonzo-
armee hatte nicht eine bespannte Pontonkolonne. Um diese vorzubringen mußten
Feldbatterien ihre Bespannungen abgeben.
214
G erstmann
Überschiffungsstelle unter Feuer. Außerdem wird dieser am Gstufer
eine Feuerwand vorgelegt.
Lin feindlicher Flieger surrt heran. Ganz tief kreist er über
uns. Deutlich sind Gesicht und Kragenaufschlag sichtbar. Lr gibt
Signalschüsse ab und rattert kurze Lagen gegen den Damm. Rasen-
des Schnellfeuer schlägt gegen ihn empor, plötzlich ein Ruck, der
große Vogel schwankt, versucht zu steigen; doch vergeblich. In
reißendem Flug schlägt er außerhalb unseres Feuerbereiches in dem
weiten Laubmeer nieder.
Am rechten Flügel, wieder bei der Fünften, ist ein Kampf mit
Handgranaten losgebrochen. Über den Damm herüber und hinüber
sausen die bestielten Sprengbüchsen.
So oft die 2. Maschinengewehr-Kompagnie durch Feuer von
der Seite her den Feind anfällt, wird sie aus der feindlichen Damm-
stellung von Sernaiotto her von den kleinen Geschützen und Ma-
schinengewehren niedergekämpft.
Neuerlich stürmt der Feind über den Damm vor. In wildem
Kampfe Mann gegen Mann wird er geworfen. Beiderseits er-
hebliche Verluste. Die Lage wird hier unhaltbar.
Nach kurzer Sammlung macht sich das Bataillon Luft. Die
5., 6. und 8. Kompagnie (Leutnant i. d. R. Dank!) stoßen vor.
Der Gegner wird geworfen, die vor der Front liegenden Däuser
erstürmt und in Brand gesteckt, weithin leuchten die Brände und
ersetzen das schwindende Tageslicht.
Patrouillen bleiben im Vorfeld. Die Kompagnien beziehen ihre
frühere Stellung. Zahlreiche Gefangene und Maschinengewehre
wurden eingebracht.
Der heftige Feuerwirbel der feindlichen Artillerie flaut langsam
ab. Die Überschiffungsstelle bleibt die ganze Nacht hindurch unter
schwerem feindlichem Haubitzfeuer, während gegen die Stellungen
nur zeitweise Feuerüberfälle losbrechen.
Die feindliche Infanterie ist merklich kampfesmüde.
vom letzten Vorstoß wurden blutjunge Burschen eingebracht.
Zwei frische Bataillone hatte der Feind in Kraftwagen herangebracht
und gegen uns geworfen.
Die Nacht bricht an. Hell lodern die brennenden Däuser im
Vorfeld. Patrouillen schleichen vor; die Leute drängen sich dazu.
Das Lssen bleibt aus. Die Reserveverpflegung muß herhalten.
In geringen Mengen wurde wein vor der Front aufgebracht, da-
mit wird das kalte Büchsenfleisch hinabgespült.
Endlich ist die Fernleitung zum Gefechtstrain ganz. „Musik-
mannschaft mit Handgranaten und Munition heraus . . ." Gin
Schnarren tönt aus dem Fernsprecher, die Leitung ist wieder ab-
geschossen. Die Musiker schaffen die verwundeten von der Über-
fahrt zum Hilfsplatz ...
Nirgends ein lautes Wort, überall emsiges Schaffen.
Kärntner Gebirgsschützen in Galizien und venetien
215
Munition und Handgranaten werden verteilt, Deckungen an-
gelegt, verwundete versorgt, Gefangene gesammelt und abgeschoben
und die Gefallenen hinter der Stellung zusammengetragen.
Die Kompagnien werden neu geordnet. Einige bilden nur noch
zwei, die übrigen drei Züge.
Die Verluste sind groß, die Kampfkraft aber ungebrochen, die
Stimmung zuversichtlich.
Der Regimentskommandant entschließt sich, das Regiment in
der Stellung zu belassen, da die zu erreichende Linie für die Ab-
wehr noch ungünstiger verläuft. Das Divisionskommando stimmt zu
und befiehlt die gegenwärtige Stellung unbedingt zu halten.
Die vor der Front brennenden Däuser stürzen nach und nach
zusammen. Im unsicheren Schein hoch aufflackernder Leuchtschüsse
spähen die Beobachter feindwärts. hinter ihnen haben sich, den
Stutzen im Arm, Kärntens Heldensöhne zu kurzer Rast gelagert.
Mit Tagesanbruch erhöht die feindliche Artillerie ihr Feuer.
Zugleich sammelt sich der Gegner in Zenson und Sernaiotto. Tief-
gehende Flieger erkunden den von uns gehaltenen Raum. Die
eigene Artillerie ist noch nicht in der Lage, die Feuerwirkung des
Feindes einzudämmen. Ungestört trommeln die welschen Batterien
fort.
Um JO Uhr %5 vormittags setzt der Italiener zum Angriff an.
vorerst gegen den linken Flügel. Gr wird in hartnäckigem Kampfe
unter großen Verlusten geworfen. Um \\ und \2 Uhr bricht die
Infanterie von Sernaiotto gegen den rechten Flügel vor. Mit
wildem Ungestüm springen an Zahl weit überlegene Abteilungen
das 2. Bataillon an. von hier ist die ganze Stellung des Regiments
am leichtesten aufzurollen. Jeder Mann des Bataillons weiß, „hier
geht's um alles". In furchtbarem Grimm stößt Trupp gegen Trupp.
( Hier schließen sich die Schützen um ihre unerschütterlichen Führer.
' Dort drängt sich die Infanterie an die kampfgeübten Stoßtrupps.
In zähem, unerbittlichem Ringen werden die Welschen zurück-
gedrängt und ihre Trupps zersprengt. Da und dort weicht einer
der verbissenen Mut der Kärntner aus, andere mit sich reißend.
Beide Stürme sind abgewehrt, die Stellungen in unserer Hand. Aber
die Zahl der Kampffähigen hat sich bedenklich verringert. Nur die
wichtigsten Punkte der Stellung können besetzt werden. Alle nur
halbwegs entbehrlichen Handgranaten werden zusammengetragen,
denn ihr verbrauch ist ganz bedeutend. Nur dreiviertel Stunden der
Sammlung und Ordnung im wirkungsvollen Feuer der italienischen
Artillerie und neuerlich berennt in dichten Schwärmen der Feind
unsere Stellungen. Unaufhaltsam drängt er vorwärts. Aus vier
Maschinengewehren und jedem Stutzen schlägt ihm ein heftiger
Hagel entgegen. Schwer sind die Verluste des Feindes. Doch immer
frische Trupps springen mit befeuerndem „Avanti, avanti" in dem
ohrenbetäubenden Getöse an. Die einzelnen Gruppen, die den Ab-
216
Gerstmann
schnitt der 5. und 6. Kompagnie verteidigen, werden von drei
Seiten gefaßt.
Jetzt erhält die Sturmkompagnie des Regiments (Leutnant
Neuner) den Befehl, die Lage wieder herzustellen. <£s war die
einzige Reserve, 60 wohlbewährte Stürmer. Im Nu hat deren
Führer seine Schar zum Angriff bereitgestellt. In der Richtung auf
den Frontbug im Bereiche der 5. Kompagnie wird der Sturm an-
gesetzt und glänzend durchgeführt. Der Feind erleidet schwere Ver-
luste. Dennoch versucht er jenseits des Dammes sich zu halten. Im
Sperrfeuer der feindlichen Artillerie greift die 2. Maschinengewehr-
Kompagnie ein. Der Bataillonskommandant biauptmann F. Paulus
bringt persönlich ein Gewehr auf die Dammkrone. Lr wird ver-
wundet, trotzdem legt er los. Ein zweites Gewehr folgt. Durch das
seitliche Feuer aus beiden Gewehren wird der Feind vor dem Damme
völlig vernichtet.
Auch das f. Bataillon hat, unter dem gegnerischen Artillerie-
feuer schwer leidend, einen überraschenden Angriff abgeschlagen.
Die Angriffskraft der Italiener scheint erschöpft. Bis zum
Einbruch der Nacht setzt der Feind mit seinen Angriffen aus.,
Dem Regimentskommando wird das Bataillon des Gsbirgs-
schützen-Regiments Nr. 2 unterstellt, von 2 Uhr (5 nachmittags an
wird es übergesetzt. Das 2. Bataillon erhält die beiden zuerst ein-
treffenden Kompagnien als Reserve zugewiesen.
Line dunkle Nacht mit zeitweisen Regenschauern bricht an.
Der Feind sucht mit Scheinwerfern unsere Stellungen ab, so sparen
wir die Leuchtmittel.
Behutsam schwanken über das aufgewühlte Trichterfeld, zwischen
Damm und Fluß, Krankenträger mit ihren schweren Lasten. Alle
nehmen die Richtung zum Anlegeplatz der Pontons, veute will
diese schwere Arbeit kein Ende nehmen.
Ls war ein heißer Tag. —
Kein Klagelaut wird hörbar. Beim Bergen in die Kähne dann
und wann ein verhaltenes Stöhnen. Halblaut geführte Gespräche
geben die Stimmung der Leute wieder: . . . „Urntlich hamma'n
abg'schädelt, den Wallischen." .... „Der haut' uns nema z'ruck."
. . . „Beim (finge1) hat's mi z'sammg'haut; nachha hamma's do
wieder kriagt die Rat'schn." . . . „Neb'n mein« hat's den Bruada
hindraht —. No, i kumx scho no amol z'samm mit dö Katzolini. ."
Gegen Mitternacht stößt ein mit verwundeten belegter Drei-
teiler ab. In der Mitte des Flusses kommt er in einen schweren
Feuerüberfall, den der Feind auf die Überschiffungsstelle legt. Das
Mittelstück erhält einen Volltreffer, so daß viele verwundete über
Bord geschleudert werden. Pioniere rudern mit bewundernswertem
Opfermuts in einem Zweiteiler den Kameraden zu Hilfe. Ls gelingt
ihnen, einige den trüben Fluten zu entreißen. Der Dreiteiler wird
mit vieler Anstrengung gelandet und ist weiterhin unbrauchbar.
}) M.-G. (Maschinengewehr).
Kärntner Gebirgsschützen in Galizien und Venetien
217
Die jetzt erst infolge eines Mißverständnisses eintreffenden Kom-
pagnien 2 und $ und f. Maschinengewehr-Kompagnie des Gebirgs-
schützen-Regiments 2 werden übergesetzt und als Reserven zum
eigenen f. und 2. Bataillon eingeteilt.
Das 2. Bataillon des Gebirgschützen-Regiments 2 wird eben-
falls dem Regiments zugeteilt und, da es soeben einlangt, sogleich
übergesetzt. Da nur zwei Zweiteiler verwendbar sind, ist dieses
Bataillon erst am f4s. um 5 Uhr vormittags auf dem Westufer.
Nach Abgabe einer Kompagnie zum 3. Bataillon verbleibt das
2. Bataillon des Gebirgschützen-Regiments 2 als Reserve beim Re-
gimentskommando.
Mit Anbruch der Nacht wurde kaltes Fleisch, Brot und Büchsen-
fleisch durch die Köche, Fahrer und Musiker vorgebracht. Beim
Anmarsch gerieten sie in einen Feuerüberfall, dem einige Träger
zum Gpfer fielen. Wer den Durst nicht überwinden konnte, mußte
ihn mit dem eklen Flußwasser stillen.
Während der Nacht trieb der Feind nur am äußersten rechten
Flügel zeitweise Patrouillen vor. Sie wurden von der 8. Kom-
pagnie vertrieben.
Am richtete der Feind tagsüber seine Angriffe hauptsächlich
gegen die Mitte (f. Bataillon) und den linken Flügel des 2. Ba-
taillons (diesen bildete die 7. Kompagnie, Oberleutnant i. d. R.
Haslinger).
Im Laufe des vormittags wurden vier Stürme glatt ab-
geschlagen. Die Angriffslust der vergangenen Tage war beim
Feinde fühlbar gesunken. Die jeden Vorstoß einleitende Artillerie-
vorbereitung war wirkungsvoll und fügte besonders dem Bataillon
Verluste zu. Nun beginnt auch die eigene Artillerie mitzuwirken.
Mittags erzielt eine schwere Batterie vier Volltreffer in der feind-
lichen Stellung am Damm bei Sernaiotto. Noch einmal greift der
' Italiener die Mitte und den linken Flügel des Regiments erfolglos
an. Tine feindliche Fliegerstaffel will helfen, wirft ihre Bomben
jedoch in die eigene Infanterie.
Die Welschen überlassen die Fortsetzung des Kampfes ihrer
Artillerie und graben sich vor uns ein.
Das Schützenbrigade-Kommando (Gberstbrigadier Krantz)
führte seit dem Nachmittag des \2. das Kommando über die am
Westufer stehenden Kräfte. Ts befahl, die am meisten mitgenom-
menen Kompagnien des Regimentes durch solche des Gebirgschützen-
Regiments 2 abzulösen. Demzufolge wurden nach Einbruch der
Dämmerung die Kompagnien 3, 6, 7—(0 und \2 abgelöst, sie ver-
blieben jedoch als Reserven in den Abschnitten.
Die Nacht zum (5. verlies bei gegenseitiger reger Patrouillen-
tätigkeit ziemlich ruhig. Die Artillerie des Gegners schießt jedoch
beharrlich weiter, meist gegen die Überschiffungsstelle und das west-
liche Flußufer.
218
Perso
Am (5. mittags faßte der Fejnd das Feuer seiner Batterien
zusammen und trommelte wütend eine Viertelstunde lang gegen das
lvestufer los. Wunderbarerweise blieben die beiden Zweiteiler, die
hier lagen, unbeschädigt.
Die ff. Gebirgsbrigade hatte mittlerweile Befehl erhalten, alle
am Westufer stehenden Abteilungen abzulösen. Die Durchführung
dieses Befehles war schwierig. Der Feind durfte davon nichts
merken. Ansammlungen mußten infolge des unausgesetzten Stö-
rungsfeuers der feindlichen Artillerie vermieden werden, ver-
wundete waren mitzunehmen und schließlich waren die Stellungen
gewissenhaft zu übergeben. Nur zwei Überschiffungseinheiten waren
verfügbar, von 6 Uhr nachmittags bis in den vormittag des (6.
währte die Ablösung. Der einzige Vorstoß des Feindes in dieser
Nacht galt den Stellungen des (. Bataillons. Ls wehrte ihn ab.
Die Gefallenen mußten zurückgelassen werden. An den feuer-
ärmsten Plätzen hinter den Stellungen wurden sie bestattet.
Die (5 ständige Trupxenverschiebung über den Fluß verursachte
noch manche Gxfer. von besonderem Mißgeschick wurde der Rest
der 5. Kompagnie ereilt. Lin Schraxnellvolltreffer verringerte
während der Überschiffung den Kamxfstand dieser Kompagnie noch
um die Hälfte.
An: (6. November um 9 Uhr vormittags wurde der Stab des
Regiments als letzte Staffel übergesetzt. Die wackeren Pioniere aus
der Untersteiermark waren am Lude ihrer Kräfte.
Das Regiment war als erstes aus der Heeresfront des General-
obersten v. Boroevic über die Piave vorgestoßen und hatte seinen
Platz zahlreichen Angriffen des opfermutigen und an Zahl weit
überlegenem Feinde gegenüber gehalten.
Lin Tor war in die italienische Front geschlagen, aus welchem
ständig ein Vorstoß drohte.
Mit halbem Stand, aber voll Stolz und ungebrochenem Mute
zog das Regiment singend in Malentratta ein. —
Gefecht bel Molotßow.
(August ms.)
Von Oberstleutnant Willibald Perko,
damals Kommandant des l. Bataillons des Gebirgsschützen-Regts. Rr. I.
L^ie Brussilow-Offensive im Juni (9(6 hatte die österreichische
Front in Wolhynien und in der Bukowina eingedrückt. Verstär-
kungen vom südwestlichen Kriegsschauplatz rollen heran, die so er-
folgreich dort begonnene Offensive wird eingestellt. Unter diesen
Verstärkungen ist auch unser im verbände der 22. Schützen-Division
stehendes Regiment. Südlich des Dnjester ausgeladen, gelangen
Kärntner Gebirgsschützen in Galizien und Denetien
219
wir in den Rückzugsbereich der ans der Bukowina zurückgegangenen
Truppen. Schließlich aber wird dem Gegner „Halt" geboten, die
Front wieder hergestellt.
Eine Episode aus diesen Kämpfen, die wie kaum eine andere
geeignet ist, den unverwüstlichen Geist unserer Gebirgler aufzuzeigen,
verdient der Nachwelt überliefert zu werden.
Bei dem anbefohlenen Rückzug aus der Stellung bei Dobrotow
(zwischen Lanczyn und Delatyn) kam es zuerst zu einem Gefecht bei
Mielniki, bei dem das von mir befehligte 2. Bataillon des Gebirgs-
schützen-Regiments Nr. \ den Steiluferabschnitt der Bistrzyoa Nad-
wornianska besetzt hielt. 4(000 Schritt Breite! — Bei oder 500
Gewehren. Das sagt alles. Die Russen versuchten mit zwei Ba-
taillonen energisch durchzustoßen, wurden jedoch noch vor Erreichen
des Flusses mit schweren Verlusten abgewiesen.
In der folgenden Nacht ging das Bataillon, vom Feinde un-
belästigt, befehlsgemäß über Hwozd auf die Höhe nordöstlich Mo-
lotkow zurück, wo es als rechtes Flügelbataillon des Regiments,
an das Schützen-Regiment Nr. 2\ anschließend, mit der 8. Kom-
pagnie die Hänge von Molotkow gegen die Höhe, mit der 7. Kom-
pagnie die Höhe selbst besetzte und mit der 5. Kompagnie quer
über eine Rachel den Anschluß an das \. Bataillon des Regimentes
herstellte. Die acht Maschinengewehre des Bataillons wurden zum
Teil auf der Höhe, zum Teil zur Flankierung der erwähnten Rachel
eingesetzt. Die 6. Kompagnie war als Brigadereserve ausgeschieden.
Die Frontausdehnung des Bataillonsabschnittes betrug diesmal
„nur" gegen 3000 Schritte. Aber dafür waren es diesmal auch
nur drei Kompagnien. Besonders vor der 5. und 7. Kompagnie
(auf der Höhe und vor der Rachel) stand hohes Getreide bis zur
Senke, in der die Ortschaft Hwozd eingebettet lag, so daß diese
, zwei Kompagnien hauptsächlich auf gegenseitige flankierende Unter-
stützung, welche die erwähnte Rachel ermöglichte, angewiesen waren.
Nur die notdürftigsten verstärkungsarbeiten konnten durch-
geführt werden. Man mußte sich im allgemeinen auf das Ausheben
von Schützenmulden und Niedertreten des Getreides auf 20—30
Schritte vor der Front beschränken, denn mit Morgengrauen fühlten
bereits russische Patrouillen vor.
Um diese Zeit meinen Bataillonsabschnitt nochmals abgehend,
sichtete ich dichte russische Schwarmlinien, die in mehreren Wellen
über die Höhe „potoki", Trigonometer 582 vorgingen. Diese
Linien arbeiteten sich, von den paar hinter uns noch befindlichen
Feldbatterien — die ganze übrige Artillerie war weiter im Rück-
marsch — naturgemäß nur mäßig belästigt, bis zum Orte Hwozd
vor, der parallel mit unserer Stellung, auf ungefähr 800 Schritte vor
der Front der 5. und 7. Kompagnie lag. Um 5 Uhr nachmittags
setzte der Russe vom Ortsrande ohne Feuervorbereitung direkt zum
Sturm an. Mehrere dichte Sturmwellen, einander kurz folgend,
220
perso
liefen mit lautem „Urra"-Gebrülle durch das hohe Getreide den
sanften Hang hinauf. Sk wurden ohne Schuß bis auf ^00 Schritte
herangelassen, dann setzten schlagartig die Maschinengewehre und
dann das Infanteriefeuer ein, in dem der Sturm sofort zusammen-
brach. Die Sturmwellen flüchteten in den Mrt zurück. Nach kurzer
Pause setzte der Russe nochmals an, wurde wieder abgewiesen,
worauf sich seine Limen gruppenweise vorzuarbeiten begannen,
von den Schwärmen der 5. und 7. Compagnie unter langsames
Feuer genommen.
Das Regiment war vom siegreichen Vormarsch in Südtirol
mitten in die allgemeine Rückzugsbewegung in Galizien hinein-
geworfen worden, hatte eine Reihe schwerer, verlustreicher Gefechte
hinter sich, war außerdem die vorhergehenden Nächte fortgesetzt auf
dem Marsche gewesen, so daß die Mannschaft stark übermüdet und
die Stimmung dementsprechend gedrückt war.
Da begann ein Schwarm der 5. Kompagnie unter Kommando
des Korporals Maier nach dem sonderbaren Kommando „Hoh-
Ruck" — dem alten, auch bei unseren Pionieren gebräuchlichen
Arbeitsrufe beim Bewältigen von schweren Lasten, Einrammen mit
dem Rammbocke u. dgl. — und zwar auf „Höh" Anschlag und
auf „Ruck" Feuer, auf die vorgehenden russischen Gruppen Salven
zu schießen. Nach jeder Salve ein Heller Jauchzer. Die anderen
Schwärme der 5., dann auch jene der 7. Kompagnie folgten dem
Beispiel und bald hörte man nur mehr glatte Salven, denen
gellende Jauchzer folgten; die reinste Kirchweih aus den kärnt-
nerischen Heimatsbergen.
Mir schwoll das Herz in der Brust vor Stolz über meine
braven Kärntnerburschen, die trotz der vorangegangenen schweren
Kämpfe und Strapazen ihre Schneid und ihren Humor so rasch
wieder gewonnen hatten. Die Russen stutzten, der feindliche An-
griff kam ins Stocken, erst bei Einbruch völliger Dunkelheit gingen
die Russen langsam vorsichtig vor, stets wieder aufgehalten durch
die Leuchtraketen und die folgenden Salven. Sie blieben auf un-
gefähr sOO Schritt vor der eigenen Front liegen und setzten bis
Mitternacht zu keinem Sturm mehr an, so daß mein Bataillon um
diese Zeit befehlsgemäß ohne weitere feindliche Störung den Rück-
marsch hinter die inzwischen vorbereitete Stellung an der Btzstrz^ca
Solotwinska unbehelligt durchführen konnte.
„Gtuvmbatterie Pstrovlcs."
Line Ariegserinnerung aus Albanien.
Von Oberst a. D. 0r. ing. G. Veith,
damals Kommandant des Geb.-Art.-Regts Nr. 19 (später Nr. 5).
£?\te folgende Darstellung verfolgt den Zweck, eine Begebenheit
s** aus dem Weltkriege der Vergessenheit zu entreißen, die wie
wenige es verdient, festgehalten und der Nachwelt überliefert zu
werden, welcher jedoch mit Rücksicht auf Ort und Zeit, in denen sie
sich abgespielt, das Schicksal droht, mit der Auflösung der alten
Armee für immer in das Lhaos unterzutauchen.
Das von mir befehligte Gebirgsartillerie-Regiment später 5,
stand, als ich im September das Kommando übernahm, in
äußerst lockerer Gruppierung an der unteren vojusa in Albanien.
Ich selbst war zugleich Artilleriekommandant der fH. Gebirgs-
Brigade mit dem Sitz in Fjeri. Ls ist nicht ohne wert, auf die
unglaublichen Zustände hinzuweisen, aus denen sich das geschilderte
Lrlebnis entwickelte. Die Frontausdehnung meines Abschnittes —
von der Küste bis an den Leftinja-Bach — betrug bei meiner Kom-
mandoübernahme etwa 60 km, und das in einem Gelände, dessen
schauderhafte Wegverhältnisse zumal im Winterhalbjahr, der al-
banischen Regenzeit, jede Bewegung und vor allem jeden Nach-
schub auf's äußerste erschwerten. Überhaupt Albanien! — Seine
Weglosigkeit und Ressourcenarmut, die Gefahren seines Klimas,
sein Kulturzustand können überhaupt mit keinem anderen Kriegs-
schauplatz Luropas, sondern höchstens mit einem kolonialen Kriegs-
schauplätze verglichen werden. Und die Armseligkeit der Mittel, die
von uns auf diesem „Nebenkriegsschauplatz" aufgewendet werden
konnten, sie werden viel Ähnlichkeit mit jenen haben, welche den
entwaffneten Mittelmächten in einem Zukunftskriege beschieden sein
werden: Krasse Unterlegenheit an Zahl, wenig oder fast keine
schwere Artillerie, nahezu keine besonderen Kampfmittel, Mangel
an Munition und Verpflegung, elende Nachschubverhältnisse, wenig
oder keine Flieger und daher Improvisationen und Aushilfen aller
Arten dem in all' diesem überlegenen, die See beherrschenden, wohl-
verxflegten und ausgerüsteten Gegner gegenüber und letzten Lndes
die eigene innere Überlegenheit, die alles ausgleichen mußte und
wie wir hier sehen werden, auch ausgeglichen hat.
222
Detti;
In dem ganzen früher erwähnten Raume standen vom Gebirgs-
artillerie-Regiment eine kjaubitz- und zwei Ranonen-Batterien,
vom Gebirgsartillerie-Regiment 27, dessen Stab im Nachbarabschnitt
war, zwei Ranonen-Batterien. Nur die Lsaubitz-Batterie war räumlich
vereint, die Ranonen-Batterien zugsweise mit 4—8 km Zwischen-
raum verteilt, um nach Möglichkeit eine, wenn auch noch so spär-
liche, artilleristische Bestreichung jedes Frontteiles zu ermöglichen.
Der Mangel an Offizieren und Unterführern, vor allem aber der
äußerste Mangel an Telephongerät machte die aus taktischen Nöten
erzwungene Selbständigkeit dieser Züge nahezu illusorisch. Zudem
waren die Stände gerade damals durch die Malaria, dem Schrecken
des albanischen Rriegsschauplatzes, der die schwachen Stände zu-
sammenschmelzen ließ wie die Frühlingssonne den Schnee, auf einen
kleinen Bruchteil der vorgeschriebenen Notstände^) gesunken; die
Haubitz-Batterie 3/J9 hatte alles in allem 2 Offiziere und \6 Mann
bei 4 Geschützen und 70 Pferden, ein selbständiger Zug der Ranonen-
Batterie 3/27 bestand aus. f Zugsführer als Rommandanten, 2 Ror-
poralen und 4 Mann; dabei nahmen die Erkrankungen noch immer
zu. — Meine erste Absicht, sofort alle Batterien zu vereinigen,
scheiterte an dem Widerstand der Infanterie, die nirgends auf ar-
tilleristische Unterstützung verzichten wollte. Doch gelang es mir
wenigstens, einige Stellungsverbesserungen teils auf Grund tak-
tischer Erwägungen, teils aus gesundheitlichen Rücksichten durchzu-
setzen. vor allem zog ich die Ranonen-Batterie 4/l9, die in einer
ganz fragwürdigen Stellung an der Rüste — im allerärgsten
Malariagebiet — stand, von dort ab und setzte sie nach kurzer
Ruhe im mittleren Abschnitt, mit einem Zuge auf der bisher un-
begreiflicherweise artilleristisch nicht besetzten einzeln liegenden Höhe
von Buzmazi, mit dem zweiten auf dem Rücken von Rasist ein.
Batteriekommandant war damals Oberleutnant Guillomme, ein
selten ambitionierter, in jeder Hinsicht hervorragender, aktiver Offi-
zier. Die Batterie war trotz der schweren Malariaschäden in recht
guter Verfassung, in ihrer Manneszucht wie in ihren Leistungen auf
hoher Stufe, sowie vom besten Geiste beseelt.
Mitte Oktober meldete sich, nach der vorgeschriebenen Dienst-
leistung bei der Ersatzbatterie, der im August aus der Artillerie-
kadettenschule Traiskirchen ausgemusterte Fähnrich Alexander pe-
trovics beim Regimentskommando in Fjeri und erhielt seine Ein-
teilung bei der Ranonen-Batterie 4- Bein erster Eindruck im Felde
war der sterbende Batteriekommandant. Guillomme, seit langem
malariakrank, hatte nichtsdestoweniger einem Befehl zur Erkun-
dung einer rückwärtigen Stellung Folge geleistet; das Ergebnis der
') Seit Anfang 19(7 hatte die Artillerie nur „Notstände", welche knapp zur
Bemannung und Bespannung (Tragbarmachung) der Geschützlinie ausreichte, nicht
aber zu jener der Alunitionswagen bzw. zur Fortbringung des Dorrates der Alu-
nitionsstaffel der Gebirgsbatterien.
Sturmbatterie petrovics
223
über seine Kräfte gehenden Anstrengungen war das Schwarzwasser-
fieber. J>m Feldspital von Fjeri sah der junge Fähnrich seinen
Batteriekommandanten zum ersten- und letztenmal; zwei Tage später
haben wir Oberleutnant Guillomme begraben.
Inzwischen war Fähnrich petrovics zur Batterie eingerückt und
hatte um Mitternacht, bei strömendem Regen, das Kommando des
detachierten Zuges auf Kasist übernommen. Wenige Tage später
hatte ich Gelegenheit, bei einem Belehrungsschießen seiner Feuer-
taufe beizuwohnen. Der Beobachtungsstand war noch nicht aus-
gebaut, die Beobachtung nur von einem frei sichtbaren Punkt aus
möglich; die ersten Schüsse veranlaßten die gegenüberstehende feind-
liche Kavernen-Batterie auf Besiste, das Feuer zu erwidern. Ls war
nicht überwältigend, aber für eine Feuertaufe eben genug, und was
ich sah, hat mich befriedigt.
Einige Wochen später bot mir endlich das Eintreffen zweier
weiterer Haubitz-Batterien die ersehnte Gelegenheit, mit der un-
haltbaren Zugwirtschaft zu brechen. Die Batterien wurden ver-
einigt und teilweise neu aufgestellt, die Kanonen-Batterie %[\Q kam
als ganze auf den Rücken von Romzi; Fähnrich petrovics war
nunmehr, nach vorübergehender Kommandierung in den Flugzeug-
beobachterkurs in Tirana, als Aufkläreroffizier eingeteilt.
Es war eine Zeit harter, emsiger Arbeit. Die Romzi-Batterie
hatte es nicht leicht; sie hatte drei feindliche Batterien gegen sich,
und ihre Stellung auf dem senkrecht zur Front verlaufenden, ganz
schmalen und wenig gegliederten Rücken war äußerst schwierig; die
vier Geschütze konnten nicht in einer Front, sondern mußten tief
gestaffelt fast hintereinander aufgestellt, die Überschießungsmöglich-
keiten mit äußerster Geschicklichkeit ausgenützt werden, um Ausschuß
und Deckung in leidliche Übereinstimmung zu bringen, Hier gab es
^ viel zu lernen, aber auch viel zu schaffen. Fähnrich petrovics hat
' damals auch irrt verbände sehr selbständig gearbeitet, und die muster-
gültige Lösung der schwierigen Stellungsfrage persönlich beeinflußt.
Damals zeigte sich auch bereits seine weitgehende Fürsorge für die
Mannschaft, der er nicht nur sichere Deckungen, sondern auch —
nicht ohne große Schwierigkeiten — ausreichende Unterkunft zu
schaffen unentwegt bestrebt war. Jedenfalls hat er schon damals
den Grund zu seinem später so stark in die Wagschale fallenden Ver-
hältnis zu seinen Leuten gelegt, von dem noch ausführlich die Rede
sein wird.
In die Romzi-Zeit fällt auch seine erste selbständige Waffentat.
Die gegenüberstehenden feindlichen Batterien, aber auch die dort
befindliche Infanterie, versorgten sich seit langem auf einem Wege,
der von der Hochfläche von Treblova gegen den Grt Rezulani
herunterführte und vom Romzi eingesehen werden konnte. Fähnrich
petrovics hatte als Aufklärer diese regelmäßige Bewegung beim
Feinde trotz dessen Verschleierungsversuchen erkannt und benützte
224
veith
die Gelegenheit, als er infolge kurzer dienstlicher Abwesenheit des
Batteriekommandanten einige Tage vertretungsweise das Rommando
führte, um die anmarschierende Tragtierkolonne mit heftigem Feuer
zu überfallen und unter schwersten Verlusten zu zersprengen. In
der Folge vereitelte er jeden versuch der Italiener, den Verkehr auf
diesem Wege bei Tage wieder aufzunehmen; sie mußten die Ver-
sorgung eines sehr bedeutenden Frontabschnittes von da ab auf die
Nacht beschränken. Die Folge war zunächst, daß sich die schuld-
tragende Romzi-Batterie von jetzt an beim Feinde größter Unbeliebt-
heit erfreute, die in häufigen Feuerüberfällen lebhaften Ausdruck
fand. Der inzwischen zurückgekehrte Batteriekommandant war an-
fangs darüber wenig erbaut. Daher kam es auch, daß das Re-
gimentskommando den Sachverhalt erst später und in sehr ab-
geschwächter Form erfuhr; vollständig eigentlich erst durch das In-
fanterieabschnittskommando, das mit dem Vorgehen des unter-
nehmenden Fähnrichs durchaus einverstanden war.
So ging es bis Februar. Damals kam der Befehl, einen Ge-
birgskanonenzug nach Fjeri zu Ziehen und ihn dort zur Flugzeug-
abwehr aufzustellen. Ich hatte einen Zug der % Batterie hiezu
ausersehen, die, wie erwähnt, mit allen vier Geschützen bei Romzi
nur schwer Platz fand, und im letzten Moment ausdrücklich Fähnrich
petrovics als Rommandanten bestimmt. Diese Bestimmung war
der Ausfluß einer offenen Aussprache, die petrovics wenige Tage
vorher gelegentlich meiner Besichtigung auf Romzi mit mir gehabt
hatte. Lr hatte seiner Besorgnis Ausdruck gegeben, auf dem
ereignisarmen albanischen Kriegsschauplatz keine Gelegenheit zu
besseren Leistungen und Auszeichnungen erlangen zu können, und
'deshalb um Versetzung an den Piave gebeten. —. Ich war mir
damals wirklich noch nicht voll bewußt, was in ihm eigentlich steckte;
allein ich war mit ihm zufrieden, und hätte den verläßlichen, bei
den Rameraden wie bei der Mannschaft äußerst beliebten Fähnrich
nicht gerne ziehen lassen; ich versprach ihm also zunächst, mein
möglichstes zu tun, um ihm auch an der berüchtigten „Geplänkel-
front" die gewünschte Gelegenheit zu verschaffen; sollte sich diese
in absehbarer Zeit nicht bieten, würde ich seiner Versetzung kein
Hindernis in den Weg legen. In Ausführung dieser Absichten habe
ich ihn damals nach Fjeri gezogen; dort hatte ich ihn jederzeit un-
mittelbar zur Hand, denn ich gedachte, ihn durchaus nicht aus-
schließlich zu der an sich fragwürdigen Fliegerabwehr zu verwenden.
In seiner Eigenschaft als Rommandant der Fliegerabwehr kom-
mandierte petrovics drei Geschütze: den eigenen Zug, der mit
Pferden ausgerüstet beim Dorfe Gjenas südwestlich Fjeri stand,
und ein Geschütz der Ranonen-Batterie 3/27, das unter Rommando
des Radettaspiranten Tihanzä am sog. „Radiohügel" Nr. ^5 am
rechten Gjanica-Ufer, knapp südlich Fjeri, eingebaut war. Letzteres
Sturmbatterie petrovics
225
war ohne Pferde und kam daher bei den im Folgenden zu schil-
dernden Ereignissen weiter nicht in Betracht.
Das erste, was petrovics tat, war, daß er das bisher ge-
bräuchliche etwas schwerfällige System der Abänderung von Ge-
birgskanonen für die Fliegerabwehr wesentlich verbesserte, so daß
die Geschütze nicht nur mit 85 0 Erhöhung und mit derselben Ge-
schwindigkeit wie abgeänderte Feldgeschütze feuern, sondern auch,
und darauf lag das Hauptgewicht, in wenigen Alinuten abgebaut
werden konnte und daher im Alarmfalle in kürzester Zeit für
anderweitige Verwendung marschbereit zur Verfügung standen.
So verfügte ich dank seiner Initiative über eine richtige Artillerie-
reserve an dem hiefür tatsächlich geeignetesten Punkte, von dem
aus alle Wege des ganzen Abschnittes ausliefen. Und nicht lange
darauf ergab sich denn auch schon die Gelegenheit, die dem Namen
petrovics zum ersten Male jenen Klang geben sollte, den er im
Bereiche der albanischen Streitkräfte bis zum Kriegsende bewahrt hat.
Mitte März wurde dem Brigadekommando von höherer Stelle
nahegelegt, wieder einmal eine Unternehmung gegen den feindlichen
Brückenkopf von Feras zu versuchen. Diese „zur Lsebung des An-
griffsgeistes" anbefohlenen Unternehmungen waren bei der Truppe
nichts weniger als beliebt, und auch das Brigadekommando stand
auf Seite der Truppe; sie waren bisher fast ausnahmslos miß-
glückt, und das mit gutem Grund, waren die Italiener, zumal
die in Albanien stehenden Truppen, auch ziemlich minderwertig,
so waren sie doch an Zahl den unsrigen weit überlegen, und vor
allem war ihre Stellung ganz unvergleichlich stärker ausgebaut,
während auf unserer Seite das, was „Stellung" hieß, aus einer
schütteren Reihe kleiner, gar nicht oder lächerlich unzulänglich ver-'
drahteter Stützpunkte bestand, verfügten die Italiener über eine
aus mehreren hintereinanderliegenden Linien bestehende, durchaus
zusammenhängende und tadellos verdrahtete Front; dazu kam ihre
unleugbar größere, wenn auch vielleicht in der größeren Angst des
Einzelnen begründete, aber eben vorhandene Wachsamkeit. So hatte
bisher fast jede Unternehmung nur Gpfer gekostet, ohne einen wirk-
lichen Erfolg zu erreichen. Auch gegen den Brückenkopf Feras, der
mit Rücksicht auf seine vorspringende Lage von den Italienern be-
sonders stark ausgebaut und besetzt war, war man bereits wieder-
holt, zuletzt in der Nacht vom 8. auf den 9- Dezember j9U, an-
gegangen; damals hatte die Sache nach kurzem glücklichem Anfang
mit einem ziemlichen Mißerfolg geendet; die Italiener jedoch hatten
seit diesen! Tage ununterbrochen an der Verstärkung dieser Stellung
gearbeitet. — Kurz, die Truppe stand der Wiederholung des Unter-
nehmens ohne großes vertrauen gegenüber; allein gegen die An-
schauungen des Divisionskommandos ließ sich der Standpunkt nicht
durchsetzen, und die Brigade mußte sich fügen. — Jedenfalls wollte
man die Sache diesmal so gründlich als möglich vorbereiten. Da
Kerchnawe, Im Felde unbestegt. III. 15
226
veith
man über keine schweren Kaliber verfügte, so mußte, wie schon
bei den früheren versuchen, von einer Artillerievorbereitung ab-
gesehen werden; die Infanterie sollte überraschend und überfalls-
artig den Brückenkopf angehen, die Artillerie erst einsetzen, wenn
der Kampf begann, um die Besatzung und ihre Reserven nieder-
zuhalten, den Verkehr über die vojusa zu unterbinden und die
am Südufer befindlichen Flankierungsanlagen und Batterien aus-
zuschalten. Der chauxtangriff, 6 Kompagnien unter dem Komman-
danten des bosnisch-herzegowinischen Jäger-Bataillons f, chaupt-
mann Malbohan, sollte aus dem flußabwärts gelegenen Bacova-
wald längst der vojusa die westflanke des Brückenkopfes treffen,
eine kleinere Gruppe, 2 Kompagnien des 3. Bataillons des In-
fanterie-Regiments 72, von Frakula pctfct aus, in der Hauptangriffs-
richtung der letzten Unternehmung, vorrücken. Die Artillerie ver-
stärkte ich durch zwei aus dem Riittelabschnitt herangezogene chaubitz-
Batterien^); dann aber bestimmte ich den Fliegerabwehr-
zug petrovics, mit der Lsauptgruxxe durch den Bacova-
wald vorzugehen mit der Aufgabe, auf kurze Entfer-
nungen und im unmittelbaren Zusammenwirken mit
der angreifenden Infanterie zunächst die gefürchteten
flankierenden Maschinengewehre des linken Fluß-
ufers niederzukämpfen, und dann nach Maßgabe der
Ereignisse weiter in den Nahkampf einzugreifen.
Als Datum der Durchführung war die Nacht vom Karsamstag
auf den Ostersonntag, den 30. auf 3f. März, festgesetzt, von der
man eine geringere Wachsamkeit der Italiener erhoffte. Auch der
im Abnehmen begriffene Mond sollte insofern mithelfen, als die
Bereitstellung und das Lseranschieben bei voller Dunkelheit, der auf
Mitternacht angesetzte Angriff dagegen bei Mondschein erfolgen
sollte. Bis dahin war noch über eine Woche Zeit, und diese sollte
zu denkbarst genauer Vorbereitung ausgenützt werden. Die Haupt-
sache war natürlich gründlichste Erkundung der feindlichen Stellung
wie des eigenen Vorrückungsgeländes. Diese wurde im wesentlichen
von chauptmann Malbohan und Fähnrich petrovics in mehreren
Nächten persönlich durchgeführt. Wiederholt krochen beide, ge-
meinsam wie einzeln, über die deckungslose Grasfläche bis an die
feindlichen Hindernisse und studierten dort die Vorkehrungen des
Gegners; jedes Maschinengewehr wurde festgelegt, und petrovics
ließ es sich nicht nehmen, um das Einschießen bei Nacht * 3
L) Ls standen nunmehr an Artillerie, von der Batterie Petrovics abgesehen,
in festen Stellungen zur Verfügung: a) ständige Artillerie des Abschnittes I: *0,4 cm
Kanonen atterie 5/^7 mit 2 Geschützen, Gebirgshaubitzbattrie \l\9 mit ^ Geschützen
bei Levani samar, Gebirgskanonenbatterie 3/27 mit 3 Geschützen bei Pestjani;
b) aus dem Abschnitt II herangezogen: Gebirgshaubitzbattrie 2/^9 und 2/27 mit je
3 Geschützen. — Die ganze Gruppe stand, infolge Beurlaubung des Gruppen-
kommandanten Hauptmann Butas, unter Befehl des Kommandanten der Kanonen-
batterie 2/27, Oberleutnant i. d H. Schütz.
Sturmbatterie petrovics
227
möglichst ausschalten zu können, die Entfernungen von
der in Aussicht genommenen Geschützstellung bis an
das Hindernis zur Nachtzeit persönlich abzuschreiten,
eine Maßregel, die sich dann tatsächlich glänzend bewährt hat. —
'Zum Beobachtungsstand wählte er einen wenige hundert schritte
vor dem Brückenkopf stehenden einzelnen Baum, auf die Gefahr
hin, gerade hier in das ärgste Kreuzfeuer der Infanterie aus dem
Brückenkopf, der flankierenden Maschinengewehre des linken Fluß-
ufers, und der von drei Seiten wirkenden feindlichen Batterien zu
geraten.
Inzwischen wurde daheim der Zug fleißig für die bevorstehende
schwere Aufgabe geübt. Wirksam unterstützt und entlastet wurde
petrovics durch seinen „ersten Offizier", Fähnrich i. d. R. Johann
polon^i, einem f8jährigen Draufgänger, der stets mit dem
Messer in der Stiefelröhre herumging und es nachts über seinem
Bette hängen hatte, überhaupt nur von Nahkampf und bsand-
gemenge schwärmte. Sein Berserkertemperament ergänzte sich übri-
gens vortrefflich mit dem bei aller Schneid ruhigem und überlegtem
Wesen seines Zugskommandanten, mit dem er sich bestens vertrug.
Wenige Tage vor der Unternehmung traf in Fjeri ein Zug
der Kanonen - B a t t e r i e !>/h) ein, der bestimmt war, die Kartonen*
Batterie 3/27 auf pestjani abzulösen. Natürlich konnte diese Ab-
lösung erst nach gründlicher Unterweisung der Offiziere und ent-
sprechender Übergabe, also keineswegs noch vor der Unternehmung
erfolgen, und so begaben sich der neue Batteriekommandant und
sein erster Offizier zu diesem Zwecke zur ablösenden Batterie,
während der Zug mit zwei Kadettaspiranten in Fjeri zurück-
blieb. Mir ging es sehr gegen den Strich, bei einer so schwierigen
Unternehmung zwei Geschütze untätig hinter der Front zu wissen,
> und so unterstellte ich sie kurzer Kand dem Fähnrich petrovics, der
nunmehr für seine ebenso schöne wie schwierige Aufgabe über eine
komplette Batterie verfügte. Kommandant dieses neuen Zuges war
der Rangälteste der beiden Kadettaspiranten Stigleitner; der
jüngere, Kadettaspirant Erich Knall, wurde petrovics auf dessen
Bitte zur freien Verfügung zugewiesen.
In der Nacht vor der Unternehmung bezog die neu zusammen-
gestellte Batterie Lager im Bacovawald; nach Einbruch der Dunkel-
heit des folgenden Tages ging sie in die gewählte Stellung, während
die Infanterie, die Sappeure mit den Sprengmitteln vor der Front,
sich an die feindlichen Linien heranschob. Petrovics bezog seinen
Beobachtungsstand auf dem Baume, knapp hinter der lauernden
Infanterie. Bei ihm befand sich außer einem Telephonisten noch
Kadettaspirant Knall; in voller Würdigung der eigenen gefähr-
deten Lage hatte petrovics den eben so schneidigen wie klugen
Kadettaspiranten dahin mitgenommen, ihn in die ganze Aufgabe
und alle seine Absichten eingeweiht und beauftragt, falls ihm selbst
15*
228
veith
etwas zustoßen sollte, sofort die Leitung der Batterie zu übernehmen.
In der Batterie selbst versah Fähnrich polonyi den Dienst des
ersten Offiziers. Etwas über eine Stunde vor Mitternacht war der
Mond aufgegangen. Es war eine klare, kalte, ruhige Nacht; außer
dem Geheul der Schakale im Bacovawald war kein Laut zu ver-
nehmen.
Die Überraschung gelang. Der erste bsindernisgürtel wurde
teils gesprengt, teils überklettert, und die Sturmtrupps drangen
gegen den zweiten vor. Aber jetzt war der Gegner durch die De-
tonationen alarmiert, und während einerseits unsere Artillerie schlag-
artig mit allen Geschützen einsetzte, eröffnete seine rasch kampf-
bereite Besatzung ein heftiges Infanterie-, Maschinengewehr- und
Minenwerferfeuer gegen das Hindernis. Dazu kam, daß unsere
Sappeure und Sturmtrupps im Raum zwischen beiden Hindernis-
gürteln auf eine vorzüglich angelegte Anordnung von Tretminen
stießen. Dies und die rasende Bestreichung des sehr starken Hinder-
nisses brachte den Angriff zum Stehen; jeder versuch, weiter vor-
zudringen, erwies sich als unmöglich.
was die Truppe gefühlsmäßig vorausgesehen, war eingetreten.
Jetzt hieß es ausharren und sich so gut es ging vom Feinde los-
machen. Zunächst lag alles platt auf der Erde und ließ den Ge-
schoßsturm über sich hinwegfegen; es war gut, daß — der deutlichste
Beweis, daß der Gegner nicht vorbereitet gewesen — die feindliche
Artillerie erst allmählich und recht planlos einsetzte; die Batterie
von Bisam, die tätigste und gefürchtetste des Abschnitts, als erste
etwa 5 Minuten nach der ersten Explosion, die Batterien von No-
voselo und Mifoli nach etwa s0 Minuten, die schwere Trevlazeri-
Batterie erst nach 20. Der größte Teil von ihnen schoß über-
haupt nicht auf die wirklichen Angreifer, sondern auf den Ausgang
des Levani-Tales, von wo offenbar der Hauptangriff vermutet
wurde, und auf unsere alten Batteriestellungen.
Um so gefährlicher waren die feindlichen Maschinengewehre,
und die gehörten der Batterie petrovics. Diejenigen Gewehre,
welche die angreifende Infanterie aus nächster Nähe frontal ab-
wehrten, konnten wegen der gegenseitigen Nähe ohne Gefährdung
der eigenen Truppen nicht bekämpft werden; sie waren auch, so-
lange die Truppen platt am Boden lagen, von wenig Wirkung,
da sie durchwegs zu hoch schossen. Um so wirkungsvoller waren
die am linken Vojusa-Ufer eingebauten, die auf günstigste Ent-
fernung den Angreifer in Flanke und Rücken faßten. Der erste
Schuß petrovics gegen einen abgeschrittenen Punkt des Hindernisses
bestätigte die Richtigkeit der ermittelten Entfernung; der nächste
schon saß auf einem Maschinengewehr jenseits des Flusses, und so
ging es weiter; bald war die ganze Flankierungsanlage außer Ge-
fecht gesetzt. Nun wandte sich aber die ebenso unermüdliche wie
geschickt? Bisam-Batterie gegen die Batterie petrovics. Dieser ließ
Sturmbatterie pefromcs
229
einen Zug dorthin die Front verändern; nach heftigem Artillerie-
duell verstummte der Feind, volle dreiviertel Stunden, die kritischste
Zeit hindurch, hat die gefährlichste feindliche Batterie geschwiegen
und als sie, nach Neuordnung und Stellungswechsel, wieder ein-
setzte, galt ihr Feuer nicht mehr der Infanterie, sondern nur mehr
der ihr so verhängnisvoll gewordenen Batterie im Bacovawald.
Aber auch diese, die sich inzwischen dankbaren Zielen im
Brückenkopf zugewendet hatte, war bald zum Schweigen verurteilt.
Ihre geringe Ausstattung mit Pferden, deren Erhöhung überdies
mit Rücksicht auf die Gefahr größerer Ansammlungen unmöglich
war, hatte nur die sehr geringe Ausstattung von nicht ganz 300
Schuß mitzunehmen gestattet. Bei der Stärke der Feuertätigkeit
war sie in weniger als einer Stunde aufgebraucht, bsauptmann
Malbohan befahl daher, die Batterie aus dem Gefecht zu ziehen.
Da petrovics bis zum letzten Augenblick auf seinem Beobachtungs-
baum ausharrte, oblag das Zurückführen dem ersten Offizier Fähn-
rich polonyi. Sei es, daß ein Zufall mitspielte, sei es, daß der
Helle Mondschein irgendeinem feindlichen Beobachter zugute kam,
— eben als aufgepackt werden sollte, eröffnete die Bisani-Batterie
neuerdings das heftigste Feuer auf die jetzt wehrlosen Geschütze,
Es war eine hervorragende Leistung an Kaltblütigkeit und Umsicht,
mit der polonyi glatt und ohne Verluste die Batterie geschützweise
aus der Stellung brachte und, andauernd im feindlichen Feuer,
gegen Radostina zurückführte. Erst als das letzte Geschütz die
Stellung verlassen und das Telephon abgebrochen hatte, verließ
auch petrovics mit Knall und dem Telephonisten seinen Baum,
durchkroch im fortgesetzten rollenden Infanterieseuer die offene
Fläche und erreichte glücklich den Bacovawald, wo die Pferde
warteten; im Galopp ging es dann durch den immer noch unter
> Artilleriefeuer liegenden, von den Weitschußgarben der Infanterie
durchpfiffenen Wald. Bei Stxlas wurde die Batterie erreicht.
Inzwischen war es noch vor Beginn der Morgendämmerung
auch der Infanterie gelungen, sich planmäßig und in Ordnung,
wie am Exerzierplatz, vom Feinde loszulösen und den Rückzug an-
zutreten. Es war eine Musterleistung für sich, die auf ein an-
deres Blatt gehört. Die Verluste waren gering.
Nächst Stylas traf das bosnisch-herzegowinische Jäger-Ba-
taillon f wieder mit der Batterie zusammen, petrovics und po-
lonyi wurden von den Infanteristen auf den fänden im Triumph
umhergetragen. Das ziemlich seltene Schauspiel, daß die Infanterie
die Leistung dev Artillerie unaufgefordert und rückhaltlos anerkannte,
hat man hier in erhebender Weise erlebt. Einmütig wurde an-
erkannt, daß das Ausharren im feindlichen Hindernis und der
schließlich musterhaft geordnete, fast verlustlose Rückzug in aller-
erster Linie der Tätigkeit dieser Batterie zu danken war.
230
veith
Der Feind hatte den Brückenkopf nur unter schweren Ver-
lusten zu halten vermocht; den ganzen folgenden Tag verkehrten
die italienischen Sanitätsautos ununterbrochen zwischen Feras und
valona.
So hatte die im Wesen mißglückte Unternehmung doch eine
Stimmung erzeugt, die der nach einem Siege nahekam; Fähnrich
petrovics aber und seine Batterie waren die chelden des Tages. —
Noch am Ostersonntag traf die „Sturmbatterie", wie sie von
jetzt an hieß, wieder in Gjenas ein. Der angestammte Zug bezog
die alte Flugabwehrstellung, der Zug der Batterie 5 ging mit
Stigleitner und Knall nach peftjcmi zur Ablösung der Batterie 3/27;
wenige Tage später wurde auch das Flugabwehrgeschütz der letzteren
durch eines der Batterie 5/$ abgelöst.
Am Ostermontag traf der Divisionär in Fjeri ein und hielt
von einem Stützpunkt nächst Levani aus eine Besprechung des Ge-
fechtes ab. Lsauptmann Malbohan unterließ nicht, der Leistung der
Batterie mit rückhaltsloser Anerkennung zu gedenken; nach Schluß
der Besprechung verlieh der Divisionär vor den versammelten Offi-
zieren dem Fähnrich petrovics die Silberne Tapferkeitsmedaille
I. Klasse. Später erhielten noch polonyi, Knall und drei Mann
die Silberne Tapferkeitsmedaille II. Klasse, Stigleitner und eine
größere Anzahl von Mannschaften die bronzene Tapferkeitsmedaille.
Mit dem Tage von Feras hatte petrovics die Versetzungs-
gedanken aufgegeben. —
Ich selbst aber wußte jetzt auch, was ich an petrovics hatte,
und diese Erkenntnis reifte einen plan. Auch an die vojusa war
eine dunkle Kunde gedrungen von den „Infanteriebegleitbatterien"
der Südwestfront; ich beschloß nun, mit petrovics und seinem Zug
als Kern mir eine solche für meine Front zu schaffen. Meine An-
regung fand beim Korpskommando Gehör; ich erhielt Befehl,
bestimmte Vorschläge zu unterbreiten, und diese lauteten dahin,
petrovics zunächst an die Südwestfront zu kommandieren, damit
er dort die Infanteriebegleitbatterien kennen lerne, und dann unter
seinem Kommando zuerst seinen Zug, später die ganze Batterie in
dieser Art auszubilden. Die Vorschläge wurden vom Korxskom-
mando genehmigt und an das Armeeoberkommando weitergeleitet,
das schließlich einwilligte; petrovics sollte in die Artillerieaus-
rüstungsstation Brixlegg abgehen und dort bei einer Schulbatterie
eingeteilt werden.
Inzwischen hatten gegen Ende April Fähnrich polonyi einen
dreiwöchentlichen Urlaub angetreten, und ich kommandierte auf pe-
trovics' Bitte den um jene Zeit zum Fähnrich beförderten Knall
an seine Stelle.
Die Tage bis zu petrovics' Abgehen nach Brixlegg, das sich
aus verschiedenen Gründen bis gegen Ende Mai verzögerte, waren
eine Zeit gründlichster Schulung und Arbeit in jeder Richtung.
Sturmbatterie petrovics
231
vor allem ließ ich selbst mir angelegen sein, meinen nunmehrigen
Sturmbatteriekommandanten persönlich zu unterweisen. Ich führte
damals in Vertretung das Kommando der Gebirgs-Brigade,
die eben um diese Zeit in die 9^- Infanterie-Brigade umgewandelt
wurde, und nützte die Gelegenheit zu Gefechtsübungen, angewandten
Besprechungen und weitgehenden Begehungen der ganzen Front,
zu denen ich petrovics in seiner Eigenschaft als Kommandant meiner
„mobilen Artilleriereserve", wo es nur anging, heranzog. Er
mußte alle nur möglichen Wechselstellungen im ganzen Brigade-
bereich und alle Anmarschwege dahin kennen, alle Einsatzmöglich-
keiten der Reserven, alle in Frage kommenden Gegenstöße bis an
die feindliche Front, und sich in jedem einzelnen Falle über die Ver-
wendung seines Zuges im Klaren sein.
In dieser Zeit konnte ich auch rückhaltslos anerkennen, mit
welcher Sicherheit der f9 jährige Fähnrich sich seine Leute in die
tfand zu arbeiten wußte. Rkit unbeirrbarer Strenge im Menst ver-
einte er eine geradezu seltene Fürsorge. Die zur Zeit seiner An-
kunft mehr als bescheidenen Unterkünfte im Gjenas wußte er in
unermüdlicher Arbeit bis zu wirklicher Behaglichkeit auszugestalten.
Inmitten des Lagers entstand ein prächtiger, ertragreicher Gemüse-
garten, vor den Baracken Blumenbeete; selbst eine Kegelbahn, die
erste und wohl bis heute einzige in Albanien, hat er für seine Leute
eingerichtet. Es war nur selbstverständlich, daß die Vorkehrungen
für mechanischen Malariaschutz bei ihm in absoluter Vollendung vor-
handen waren. — Tatsächlich hingen seine Leute an ihm mit rühren-
der Ergebenheit; es war offenkundig, wie jeder Mann mit Freude
sich bestrebte, sein Möglichstes zu tun, um den oft nicht geringen
Anforderungen, die petrovics stellte, zu entsprechen, und wie seitens
der Mannschaft jede Gelegenheit ergriffen wurde, um ihrem Kom-
, Mandanten, auch auf außerdienstlichem Gebiet, eine Freude zu
machen. Es war ein auf absolutes gegenseitiges vertrauen und
vollendete Harmonie beruhendes Zusammenarbeiten, ein ideales
Verhältnis zwischen Mann und Offizier, welches denn auch in der
Folge dis stolzesten Früchte tragen sollte.
Mit der Maibeförderung war petrovics Leutnant geworden.
Am 25. Mai ging er nach Brixlegg ab.
Unter den Gründen, die sein Abgehen verzögert hatten, war
auch die Erwartung des seit langem in der Luft liegenden feind-
lichen Angriffs. Am linken Flügel des Korps war es bereits —
unter grimmiger artilleristischer Demonstration an der vojusafront
— Mitte Mai losgegangen. Einmal war auch der Zug alarmiert
worden und nach Iora marschiert, wo er zwei Tage in Stellung
blieb und die Gelegenheit benützte, um die Schußelemente zu ermitteln.
Dann schien sich die Lage wieder beruhigen zu wollen.
Nach petrovics Abgang übernahm Oberleutnant Diener,
ein überaus schneidiger Offizier, das Kommando der Fliegerabwehr
232
Detti)
und Artilleriereserve. Fähnrich polonyi, der Mitte Juni vom Ur-
laub hätte einrücken sollen, war auf der Rückreise schwer erkrankt
und im Garnisonssxital Mostar zurückgeblieben. Als Lude Dum
zwei richtige Fliegerabwehrzüge eintrafen, von denen der eine bei
der Semem-Brücke nächst Brustar Mäh., der andere knapp südlich
des Radiohügels eingebaut wurde, löste ich die bisherige Flieger-
abwehr auf; Oberleutnant Diener ging auf Urlaub, das Geschütz
vom Radiohügel rückte zur Batterie ein, und der Zug in Gjenas
blieb unter Kommando des Fähnrichs Knall, dem der vor kurzem
eingerückte Kadettasxirant Elek Bakk zugewiesen wurde, mit der
einzigen Bestimmung als mobile Artilleriereserve zu meiner Ver-
fügung 1).
Inzwischen begann die feindliche Offensive wieder in den Be-
reich der Wahrscheinlichkeit zu rücken, und alles deutete darauf hin,
daß der Hauptstoß durch den nunmehr ganz trockenen Bacovawald
gegen den Raum westlich des Levanitales geführt werden solle.
Für diesen Fall kam für den Zug in erster Linie die schon einmal
bezogene Stellung bei Iora in Betracht. Da ich infolge der un-
geheuren Pferdeabgänge und -abgaben des FrühjahresH beim
besten Willen dem Zug keine Munitionstragtiere zuweisen konnte,
ließ ich die einmalige Ausrüstung im Infanteriestützpunkt Iora, wo
sie der Zug im Alarmfalle vorfinden sollte, für alle Fälle lagern.
Ant Nachmittage des 6. Juli setzte eine auffallend starke feind-
liche Fliegertätigkeit ein. Am 7. Juli früh ging es los. Mit Unter-
stützung einer starken Flottenabteilung, welche die ganzen Stellungen
von pojani bis pestjani, sowie Fjeri und Brustar unter schwerem
Feuer hielt, gingen mehrere Regimenter aus dem Bacovawald und
dem Brückenkopf Feras gegen den von anderthalb Bataillonen be-
setzten Levaniabschnitt vor; gleichzeitig umging ein feindliches Ka-
vallerie-Regiment den rechten Flügel in der Ebene und wandte sich
gegen Brustar und Fjeri.
Gleich zu Beginn des Gefechtes war der Geschützzug in Gjenas
alarmiert worden und nach Iora abmarschiert. Als er nach gut * *)
*) In diese Zeit fiel die Umbenennung der Gebirgsartillerieformationen. Das
bisherige Gebirgsartillerieregiment J9 erhielt die Nummer 5, das teilweise im selben
Verband kämpfende Gebirgsartillerieregiment 27 die Nummer ^3. Die Haubitz-
batterien erhielten die Nummern 3, 6 und 9, die übrigen verblieben den Aanonen-
batterien. Die Batterie 4 hatte ihre Nummer behalten.
*) Das Regiment hatte im Winter durch Räude, Futtermangel und Über-
anstrengung auf den grundlos aufgeweichten wegen eine große Zahl Pferde ein-
gebüßt, dann im Frühjahre zum Zwecke einer geplanten und nie ausgeführten An-
griffsunternehmung die verpflegsstaffeln für 2 Brigaden fast zur Gänze aufstellen
müssen. Für diese Zwecke mußten die besten Pferde abgegeben werden, sodaß nur der
Schund übrig blieb. Speziell der Zug der Batterie 4 in Romzi hatte vom ganzen
Regiment die schwierigsten Nachschubverhältnisse und der Zug in Gjenas mußte,
damit jener mit seinen Pferden nicht ganz zugrunde ging, dabei weitgehend aus-
helfen.
Sturmbatterie petrovics
233
zweistündigem Marsche in die Nähe des Stützpunktes kam, war
dieser der Übermacht eben erlegen und die Munition nicht mehr
erreichbar. Fähnrich Knall ging nun auf die sog. zweite Stellung
südlich Dariza zurück und sandte einen Reiter nach Fjeri mit der
Bitte, man möge ihm auf irgendeine andere Art Munition nach-
schicken. Indessen ging jedoch das in Radoftina in Reserve stehende
bosnisch-herzegowinische Jäger-Bataillon \ zum Gegenangriff gegen
Iora vor, und Knall entschloß sich sofort, sich ihm anzuschließen,
in der Hoffnung, mit ihm in den Stützpunkt und damit zu seiner
Munition zu gelangen. Beim Aufstieg auf die stark bewaldeten
Höhen nördlich Iora wurde jedoch das Bataillon überfallen und
zersprengt; der Geschützzug stand — ohne Munition — allein den
Italienern gegenüber. Line bereits früher gegen ihn angesetzte
Kavallerieattacke war durch bloßes Markieren der Schießbereit-
schaft — ohne einen Schuß im Rohr! — glücklich abgewehrt worden.
Indessen ging das Gewehrgeknatter auch in Fjeri los. Nun ließ
Knall die Verschlüsse herausnehmen, in ihre Bestandteile zerlegen,
und verteilte diese an die verläßlichsten Dienstgrade; dann gab er
jeder Einheit ihre Richtung, für alle einen gemeinsamen Treffpunkt
unweit der Semenibrücke, und nun schlugen und schlichen sich die
Einheiten einzeln durch; nach etwa drei Stunden trafen sie am an-
befohlenen Platz zusammen, ohne jeden Verlust an Mann, Pferd und
Material. Die Verschlüsse wurden wieder eingesetzt, und der Zug
marschierte über die Brücke auf die Höhen nördlich derselben, wo
er Stellung nahm.
Inzwischen war ein greuliches Unheil eingerissen. Dem feind-
lichen Kavallerie-Regiment war es gelungen, von rückwärts in Fjeri
einzudringen; wohl wurde es von dem eben aus Rezer eingetroffenen
Honved-Bataillon 11/32 mit schweren Verlusten wieder hinaus-
, geworfen, aber der weithin hörbare Straßenkampf in Fjeri hatte
die Vorgänge in der Front auf's Schwerste beeinflußt. Statt ge-
radeaus zurückzugehen und die anbefohlene zweite Stellung beider-
seits des Levanisattels zu halten, was bei dem langsamen Nach-
drängen des Feindes durchaus möglich gewesen wäre, gingen die
aus den vorderen Stützpunkten geworfenen Abteilungen, die Fjeri
endgültig gefallen und damit den Rückzug auf dieser Ctrtte ab-
geschnitten, ihren Rücken bedroht wähnten, gegen Osten hinter die
Gjanica zurück, und der noch gar nicht ernstlich angegriffene Ab-
schnitt östlich des Levanitales schloß sich an; alles drängte gegen
den Raum Rezer-Marglic. Nach einem beispiellosen Heldenkampfe
hatte auch die im Levanital stehende Haubitz-Batterie 3/5 (früher
Haubitz-Batterie 1/19), Kommandant Hauptmann August Butas,
nachdem die in gleicher Höhe befindlichen Nachbarstützpunkte ge-
fallen waren, ihre Stellung geräumt und war unter Mitnahme
aller, auch der im Kampfe unbrauchbar gewordenen Geschütze durch
234
veith
einen doppelten Sperrfeuergürtel hindurch zurückgegangen x); schon
vorher hatte die ohnehin für die Nahabwehr nicht brauchbare Lang-
rohr-Batterie (Oberleutnant Ianos) sich zurückgezogen. Am Abend
ging auch das Brigade- und mit ihm das Artillerieregimentskom-
mando, die bis dahin auf dem Flügel südlich Fjeri ausgeharrt hatten,
nach Verlust aller Verbindungen über Dukazi nach Kalmi zurück.
Am 8. Juli früh ritt ich selbst von Kalmi über vojkan nach
Brustar, orientierte mich über die dortige Lage und tat mein mög-
lichstes, um Knall, der noch immer ohne Munition in einer wichtigen
Stellung stand, solche auf dem Feldbahnweg von Rogozina zu-
schieben zu lassen; es war jedoch an diesem Tage nicht mehr möglich,
den Zuschub durchzusetzen, und als am 9- Juli früh die Italiener
angriffen, das bei Brustar stehende Schützen-Bataillon III/33 nach
sehr kurzem lviderstände zurückging und die Munition noch immer
nicht zur Stelle war, mußte auch Knall ohne einen Schuß getan
zu haben seine Stellung räumen. Tr ging, und zwar die Geschütze
zur Schonung der Pferde mit Feldbahn, über Kolonja nach Ljuzna,
und trat dort unter Kommando der neugebildeten Gruppe Oberst
Wächter, der der Flügelabschnitt am Meere zugewiesen war.
Bei Ljuzna-Karbunara waren im Laufe des 9- Juli auch die
meisten übrigen Batterien bzw. was von ihnen übrig war, ein-
getroffen; die bjaubitz-Batterie 3/5 und die Langrohre waren voll-
zählig; die Batterie 5/5 (Hauptmann Toldi) von pestjani hatte
infolge des geringen Standes und der Minderwertigkeit der Pferde
nur ein Geschütz endgültig gerettet, die übrigen nach dem Über-
gang über die Gjanica, bis wohin man sie im Tandemzug hatte
führen können, vernichtet. Die beiden Haubitz-Batterien des II. Ab-
schnittes hatten, da der einzig fahrbare weg über Fjeri durch das
Zurückgehen der Infanterie dieses Abschnittes auf Rezer-Marglic
verloren war, ihre sämtlichen Geschütze sprengen müssen. Der bei
Romzi stehende Zug der Kanonen-Batterie 4/5 (Oberleutnant Toth)
hatte ein Geschütz mitgebracht, das andere geopfert. Nur die Ka-
nonen-Batterie 2/5, welche im linken Abschnitt in zugsweiser Ver-
teilung gestanden hatte, war, nachdem ihr Kommandant Gber- *)
*) Der Heldenkampf der Batterie Butas am 7. Juli, sowie ihr weiterer Rück-
marsch über Suka, Kuci nach Ljucna verdienen eine ausführliche Schilderung; wenn
ich dieselbe vorläufig aufschiebe, so geschieht dies hauptsächlich aus dem Grunde, weil
es gerade in diesem Fall besonders wünschenswert erscheint zu warten, bis Daten
von feindlicher Seite darüber vorliegen, aus denen man einerseits die dem Feinde
zugefügten Verluste — nach Aussagen der eigenen Infanterie sowie von später
gemachten Gefangenen sollen sie insbesondere gegen die Jora angreifenden Truppen
furchtbar gewirkt haben — entnehmen, andrerseits feststellen kann, wie sie vom
Feinde eingeschätzt wurde; zum mindesten wurde ihre Stellung und deren Umgebung
die ganze Zeit über von wenigstens 6 Landbatterien und dem größten Teil der
Schiffsgeschütze unter schwerstem Feuer gehalten, so daß entweder eine wesentliche
Überschätzung ihrer materiellen oder eine ganz besonders hohe Einschätzung ihrer
moralischen Kampfkraft vermutet werden muß; was schließlich auf ein gleich ehren-
des Zeugnis hinausläuft.
Sturmbatterie Petrovics
235
leutnant i. d. R. Dr. Kelecssnyi unter schwierigsten Verhältnissen
die Züge glücklich vereinigt hatte, nach rühmlichstem Kampfe unter
Zurücklassung eines unbrauchbar gewordenen Geschützes mit drei
Geschützen, der ganzen erübrigten Munition und zahlreicher Ver-
pflegung im Anschluß an die Infanterie zurückgegangen und traf nach
beschwerlichem Marsche am ff. Juli auf der Höhe nördlich Kuci ein.
Ich vereinigte nun die beiden einzeln übrig gebliebenen Ge-
schütze der Batterie 5 und des Romzizuges zu einem Zuge unter
Kommando des Hauxtmanns Toldi; dieser, dann der Zug Knall,
der jetzt endlich Munition erhalten hatte, sowie die Langrohr-Batterie
traten zur Gruppe Oberst Wächter und schieden damit aus meinem
taktischen Kommandobereich.
Mit Rücksicht auf die Ziele, die ich mit dem Zuge petrovics
verfolgte, lag es in meiner Absicht, ihn in Abwesenheit seines an-
gestammten Kommandanten nur von dessen selbstgewähltem und
selbstgeschultem Stellvertreter führen zu lassen, und Fähnrich Knall
hatte in diesen Tagen wahrlich gezeigt, daß er dieser Aufgabe voll
gewachsen war; indes dem vorgesetzten „Artilleriekommando Al-
banien" ging die Tatsache, daß ein Fähnrich einen selbständigen
Zug kommandieren sollte, während anderswo Oberleutnants als
Batterieoffiziere eingeteilt waren, vorläufig noch gegen den Strich;
trotz meiner begründeten Gegenvorstellung wurde das Kommando
über den Zug dem Oberleutnant Toth, der früher auf Romzi be-
fehligt hatte, übertragen; doch erwirkte ich wenigstens die Zu-
sicherung, daß Leutnant petrovics nach seinem Einrücken das
Kommando wieder übernehmen dürfe.
In den folgenden Tagen setzte sich die Gruppe Oberst Wächter,
vom Feinde nicht gedrängt, in der Linie zwischen dem Liceni Trbu,
und dem Kravasta-See, quer über die Höhe Gura Gomares, fest.
Das Artilleriegruppenkommando übernahm der eben herversetzte
Hauptmann Leo Suppantschitsch, was mir sehr gelegen kam.
Suppantschitsch hatte vorher im Frieden als Batterieoffizier, dann
zu Kriegsbeginn als Batteriekommandant unter mir gedient; wir
verstanden uns sehr gut, mit ihm konnte ich reden und so indirekte
auch über jene Batterien meines Regiments, die mir augenblicklich
taktisch nicht unterstanden, meine Hand halten.
Am \2. Juli ging der Zug auf einer Höhe südwestlich
Kjovroka im Abschnitte des bosnisch-herzegowinischen Iäger-Ba-
taillons \ in Stellung; bis dorthin hatte ihn noch Fähnrich Knall
auf beschwerlichem, durch fortgesetzte Fehlmeldungen über die eigene
Lage erschwerten Marsch über das Skumbital geführt und eingebaut;
in der Stellung übernahm dann Oberleutnant Toth das Kommando.
Links davon stand die Kanonen-Batterie 5/5 unter Hauptmann Toldi.
Indessen trat ein ungeahnter Umschwung ein. Am J3. Juli
hatte Generaloberst Freiherr von Pflanzer-Baltin das Kom-
mando der albanischen Streitkräfte übernommen. Am selben Tage
236
veith
noch waren die Divisionäre, Brigadiers und höheren Gruppen-
kommandanten im Flugzeug nach Titana berufen worden. Wie ein
Lauffeuer sprach sich dieser Befehl herum; am Abend hatte die
ganze Front das Gefühl, daß es nun nicht mehr zurück, sondern
alsbald wieder vorwärts gehen würde. Zuversicht und Planmäßig-
keit griffen wieder durch. — Am 2\. Juli erfolgte der erste, mehr
tastende Vorstoß gegen das von den Italienern besetzte und zu einer
starken Festung ausgebaute Bergkloster Ardenica, dem eine Vor-
stellung des Feindes zum Opfer fiel. Am 23. Juli wurde zum
Lsauptangriff angetreten. Die Batterie 4/5 wieder mit dem bosnisch-
herzegowinischen Jäger-Bataillon \ in erster Linie, geht 900 m vom
Kloster im Morgengrauen des 2% in Stellung. Den ganzen Tag
tobt der Kampf; Ardenica wird genommen und wieder verloren;
den meterdicken Steinmauern können die kleinen Kaliber selbst aus
nächster Entfernung nicht viel anhaben. Die Dunkelheit bricht
herein, wieder schieben sich die Truppen zum Kloster vor; da blitzt
aus einem Fenster ein Scheinwerfer auf und weist den lauernden
italienischen Maschinengewehren die Ziele: doch im nächsten Augen-
blick hat ihn eine Granate Knall's ausgelöscht. Donnerndes Hurra
der ganzen Angriffsfront ist die Antwort. Rasendes, ununterbrochen
rollendes Infanterie- und Maschinengewehrfeuer überschüttet das
Vorfeld; nach Mitternacht läßt es nach; als die Truppen gegen
Morgen in das Kloster eindringen, finden sie eine Anzahl in Decken
gehüllter Toter, ganz unglaublich große Mengen an Munition und
Proviant, aber keinen lebenden Italiener mehr. Nur ein einsamer
Radfahrer, der vielleicht zurückgelassene Habseligkeiten hatte holen
wollen, wurde noch gefangen. Bemerkenswert war, daß während
des ganzen Kampfes keine feindliche Artillerie eingegriffen hatte.
Eine Feldbatterie war, wie die Spuren zeigten, nicht weit hinter
dem Kloster gestanden; aber sie konnte offenbar aus der gedeckten
Stellung nicht in den Kampfraum wirken, und einzelne ihrer Ge-
schütze oder gar ihre „Tsching-bum-Kanonen", wie wir die ziemlich
minderwertigen italienischen Gebirgsgeschütze nannten, gleich uns in
die vorderste Kampffront vorzuschieben, konnten jene sich nicht
entschließen. —
Den ganzen 25. Juli tobte der Kampf um die zweite feind-
liche Stellung im Waldterrain nördlich vojkan, in dem die Batterie
fast durchwegs aus der vordersten Schwarmlinie des bosnisch-
herzegowinischen Jäger-Bataillons l feuerte. Dann erstarrte die
Front. Bis zum 30. Juli blieben sowohl 4/5 als 5/5 noch in der
Infanterielinie; dann wurden sie auf Befehl des Artilleriegruppen-
kommandos auf Ardenica zurückgenommen, wo 4/5 an einem der
folgenden Tage durch einen gewaltigen Wald- und Wiesenbrand
in eine überaus kritische Lage geriet, die durch die Geistesgegenwart
des Feuerwerkers Me leg und die opfermutige Arbeit der Mann-
schaft glücklich, wenn auch nicht ohne Verluste, überwunden wurde.
Sturmbatterie petro tues
237
Am 5. August rückte Leutnant petrovics zum Regiments nach
Kuci, ani 6. zu seiner Batterie nach Ardenica ein, wo er auf Grund
meiner mit der Artilleriebrigade getroffenen Vereinbarung wieder
das 'Kommando übernahm.
Als die italienische Offensive begann und der Pressebericht sie
dem Hinterland bekannt gab, war petrovics noch in Brixlegg;
seiner sofort vorgebrachten Bitte, ihn einrücken zu lassen, wurde
nicht entsprochen; als er endlich nach Beendigung des Ausbildungs-
kurses freigegeben wurde, schienen nach den amtlichen Berichten,
auf die er allein angewiesen war, die Kämpfe abgeflaut und die
Lage nicht mehr bedrohlich. Gr trat daher den ihm bewilligten
Urlaub an, jedoch nicht ohne vorher — noch von Brixlegg aus —
sich an mich mit der Bitte gewendet zu haben, ihn über die Lage
zu unterrichten. Ich erhielt seinen Brief eben, als unsere Gegen-
offensive begann, und drahtete ihm in diesem Sinne; da gab es
für den eben in seinem Urlaubsort eingetroffenen Leutnant kein
palten mehr; er brach den Urlaub ab und rückte ein. In der
Bucht von Lattaro angelangt, fand er die ganze Etappe mit
Transporten verstopft; jeder Personenverkehr war eingestellt. U7it
Bestechungen und allerhand Listen kam er bis Skutari; hier warteten
J50 Offiziere, deren Urlaub bereits abgelaufen war, und die infolge
der Verkehrsschwierigkeiten nicht einrücken konnten. Oberleutnant
Oskar Pa gl, Kommandant der Palb-Batterie 6/5, und Leutnant
petrovics versuchten es dennoch und kamen durch, nicht ohne be-
deutende Geldopfer und harte Strapazen, petrovics war übrigens
der einzige Offizier gewesen, der auf Nachricht von den Kämpfen
im heißen, fieberglühenden Albanien vor Ablauf seines Urlaubes
freiwillig eingerückt war.
In Brixlegg hatte Leutnant petrovics die Ausrüftungsgegen-
' stände für eine vollständige Infanteriebegleitbatterie gefaßt. Gin
Abholungstrupx sollte sie nachbringen; seine Erfahrungen sagten
ihm jedoch, daß diese „Type Brixlegg" auf dem albanischen Kriegs-
schauplatz nur sehr beschränkte Verwendbarkeit finden würde. Sie
hatte ein Gelände mit einem immerhin ziemlich dichten Netz we-
nigstens halbwegs karrbarer Verkehrswege zur Voraussetzung; ein
solches war in Albanien nicht vorhanden, insbesondere nicht in der
winterlichen Regenzeit.
Wenige Tage nach Petrovics' Kommandoübernahme hatte die
Batterie ein drittes Geschütz, doch ohne Pferde, und einige Ersatz-
mannschaft bekommen. .Knall war jetzt ständig Aufklärer; sein
Beobachtungsstand lag vor der Infanterielinie bei einer Feldwache,
von wo ihn am \8. August ein plötzlicher italienischer Angriff jäh
vertrieb. Immerhin konnte er im letzten Augenblick noch das Sperr-
feuer anfordern, das den feindlichen Angriff schleunigst zusammen-
brechen ließ.
238 veitt,
Indes größere Ereignisse standen bevor, berufen, neuerdings
petrovics und seine Sturmbatterie in den Mittelpunkt der Auf-
merksamkeit zu rücken.
Am 22. August begann programmgemäß der zweite Abschnitt
unserer Offensive, dem die Wiedereinnähme von Fjeri und Berat
und die Besetzung der Gjanicalinie als Ziel gesteckt war. Der
Beginn wurde auch vor den Kampftruppen selbst bis zum letzten
Augenblick geheim gehalten. —
Der Abschnittskommandant Oberst Wächter war kurz vorher
zur Verleihung des Militär-Maria--Theresien-Ordens nach Wien
berufen worden; seinen Abschnitt hatte zunächst Oberst Dörfler,
dann, mitten während der nun zu schildernden Kämpfe, Oberst v.
Kokotovic übernommen. Die Gruppe hatte aus dem Raume
Ardenioa-Libovca den Angriff auf Fjeri durchzuführen. Sie bil-
dete drei Kolonnen: die rechte hatte den Semem im untersten Laufe
nächst Alipasajn zu überschreiten und, am linken Ufer gegen die
Kehle des Brückenkopfes von Brustar Mäh. vorstoßend, die mittlere
Kolonne zu entlasten, die von Ardenica im allgemeinen längs des
Höhenrückens frontal gegen die Stellung von vojkan vorgehen sollte.
Eine kleinere Kolonne mit Kavallerie hatte, östlich in der Muzakja
.vorgehend, die Verbindung mit der Nachbargrupxe, dem „Orient-
korps" des Oberstleutnants Duic, herzustellen. Leutnant petrovics
mit der Batterie ^/5 war bei der mittleren Kolonne eingeteilt, wo
ihm, der bereits allgemein bekannten Eigenart der Batterie Rech-
nung tragend, die Aufgabe gestellt wurde, mit der Sturmkompagnie
des Infanterie-Regiments 88 an der Spitze der Angriffstruppen
vorzugehen.
Die Aufgabe war einigermaßen erschwert durch die Tatsache,
daß die Batterie nur über Geschütztragtiere für zwei Geschütze und
über sehr wenige Munitionstragtiere verfügte. Zunächst wurden also
die Geschütze in der Nacht einzeln in die erste Stellung unmittelbar
in der Infanterielinie vorgebracht, ebenso ratenweise die ganze
Munition.
Mit Morgengrauen des 22. August begann die Artillerievor-
bereitung, an der sich petrovics mit allen drei Geschützen wirksam
beteiligte. Als dann die Infanterie vorbrach, ging er mit den zwei
mobilen Geschützen und der transportablen Munition gleich mit,
das dritte Geschütz unter Fähnrich Bakk mußte vorläufig zurück-
bleiben; es erhielt später aus Befehl des Hauptmanns Suxpantschitsch
einige Pferde von der Batterie 5/5, die es bei Nacht im Tandemzug
in dis Ebene östlich vojkan hinunterführten, wo es auf einer wiese
Stellung nahm, um die feindliche Position zu flankieren; die Pferde
mußten dann gleich wieder abgegeben werden.
Indessen ging der Kampf auf den Höhen um die vojkan-
stellung, die durch eine Reihe sehr stark ausgebauter Stützpunkts
gefestigt war und von den Italienern auf's hartnäckigste verteidigt
Sturmbatterie petrovios
239
wurde. Da eine brauchbare Detailkarte dieser Gegend nicht vor-
handen ist, lassen sich die Ereignisse dieses und des folgenden Tages
leider nicht entsprechend festlegen; sicher ist, daß die Batterie pe-
trovics gerade in ihrer Eigenschaft als Infanteriebegleitbatterie hier
ihre größte Leistung vollbracht hat. Der Kampf spielte sich in stark
bewaldetem Gelände ab, genaues Treffen war nur auf nächste Ent-
fernungen möglich; hier erwiesen sich die verfügbaren Feldkanonen-
und Feldhaubitz-Batterien als gänzlich unzulänglich. Die Gebirgs-
kanonen-Batterie 5/5 abet befand sich bei der Nachbarkolonne.
So war man bei der Hauptgrupxe zunächst ganz auf die zwei be-
weglichen Geschütze der Batterie petrovics angewiesen. Das drin-
gendste war, die zahlreichen Maschinengewehre und Minenwerfer
der Waldstellung einzeln niederzukämpfen. Aus einer Stellung
war das natürlich ganz unmöglich, beständige Stellungswechsel,
dabei jedesmal scharfes Herangehen an den Feind, war Vorbedin-
gung des Erfolges. Fünfmal ist petromcs im Laufe des 22. August
an verschiedenen Stellen an italienische Stützpunkte hart heran-
gegangen, gelegentlich mit den Geschützen bis auf 300 in, er selbst
zur genauen Beobachtung mit den vordersten Schleichpatrouillen bis
knapp vor's Ziel. — Am 23. August ging es im gleichen Stile
weiter. Gleich morgens beginnt der Kampf mit den Maschinen-
gewehren und Minenwdrfern, der Wald geht in Flammen auf;
dann sofort wieder Stellungswechsel. Nachmittags liegt petromcs
wieder hart am Feinde vor der Stelle des stärksten Widerstandes.
Da erhält er den Befehl, von dort auch die rückwärts stehenden
Batterien, die in diesem Gelände nicht die gleiche Beweglichkeit ent-
falten können, einzuschießen. Die Telephonleitungen werden rasch
gelegt, petrovios schießt, 300 Schritte vor dem feindlichen Stütz-
punkt im Gebüsch liegend, der Reihe nach zwei Gebirgskanonen-
Batterien, zwei Feldkanonen-Batterien und eine Feldhaubitz-Batterie
ein. Die Nacht findet ihn und seine zwei Geschütze in der Schwarm-
linie. Am nächsten Morgen soll das zusammengefaßte Feuer aller
Batterien auf die eingeschossene Einbruchstelle unter seiner Beobach-
tung beginnen und dann der entscheidende Sturm einsetzen. Doch
der Feind ist mürbe geworden; nach Mitternacht beginnen die Spren-
gungen der Munition, dann der Semenibrücken; bei Morgengrauen
des 2\. August ist die Stellung leer.
Sofort beginnt der Vormarsch; petrovios mit seinen zwei Ge-
schützen wieder im verbände der Sturmkompagnie 88 an der Spitze.
Unaufhaltsam geht es an den Semeni und sofort auf einer Furt
durch den Fluß, dann in einem Zuge weiter bis an den Nordrand
von Fjeri. bster hat sich der Feind zu verzweifeltem Widerstande
gesetzt. Neben dem ehemaligen Spital am Nordende des Grtes
geht die Batterie in Stellung, in beständigem Nahkampf mit Ma-
schinengewehren, die bald da, bald dort in den Fenstern der Stein-
häuser auftauchen. Hier trifft sie auch wieder mit dem bosnisch-
240
veith
herzegowinischen Jäger-Bataillon l. zusammen, mit dem sie im Juli
vor Adenica gekämpft. In den nördlichen Ortsgassen tobt der
Straßenkamxf. Italienische Panzerautos greifen ein, doch petrovics
treibt sie in den rückwärtigen Ortsteil zurück und richtet ein Geschütz
sperrend auf die vorliegende Straße, dadurch ihr neuerliches Vor-
brechen endgültig verhindernd. — Inzwischen sind die Feldbatterien
am Semem angelangt und eröffnen über den Fluß herüber das
Feuer, die Lsaubitz-Batterie unglücklicherweise auf den schon von den
Bosniaken besetzten nördlichen Grtsteil; zwei Granaten schlagen ins
Spital, das in Flammen aufgeht; ein Maschinengewehr ist ganz zer-
stört, der Rommandant und mehrere Leute verwundet. Die so in
Front und Rücken beschossene Infanterie weicht aus dem Grt zurück.
Oberst v. Rokotovic eilt persönlich herbei, doch es gelingt ihm nicht
gleich, sie zum Stehen zu bringen. Petrovics sieht sich allein; er
harrt aus und veranlaßt das Abfeuern grüner Leuchtraketen, worauf
die Feldartillerie sofort ihr Feuer vorverlegt. Nun kehrt auch die
Infanterie wieder um, die Rrise ist überwunden.
Den ganzen glühendheißen Tag über geht der Straßenkampf
in Fjeri weiter und kommt auch in der Nacht nicht zur Ruhe. Un-
unterbrochen pfeifen die italienischen Geschosse über die Stellung.
Jeder Nachschub versagt, seit 30 Stunden hat die Batterie nichts
zu essen.
Am frühen Morgen des 25. August greift von Osten her ein
kombiniertes Bataillon der Gruppe Oberstleutnant Duic über-
raschend in den Rampf um Fjeri ein und erstürmt den südlich des
Ortes gelegenen „Radiohügel" (Höhe 45 der neuen Spezialkarte).
Nun müssen die Italiener schleunigst heraus; die eigene Infanterie
drängt sofort nach, mit ihr die Batterie petrovics; um 7 Uhr früh
steht sie auf dem Radiohügel in Stellung. Indessen nimmt die In-
fanterie die Verfolgung des Feindes auf, der im Morgennebel sich
rasch der Sicht entzieht. Gin Halbbataillon des der Batterie eng
befreundeten bosnisch-herzegowinischen Jäger-Bataillons f sucht sich
den weg in dem kannonartig eingeschnittenen Bett der Gjanica,
in der Hoffnung, so gedeckt und unbemerkt nach Driza zu gelangen.
Da tauchen zwei italienische Panzerautos aus dem Nebel; sie haben
die Infanterie in der engen Schlucht verschwinden gesehen und
machen sich zurecht, sie in derselben, wo sie eng zusammengepfercht
sich nicht entwickeln kann, zu überfallen und zusammenzuschießen.
Augenblicklich übersieht petrovics die Lage und ermißt die Ge-
fahr, in der das Halbbataillon schwebt. Noch stehen seine Geschütze,
gegen Sicht gedeckt, hinter der Rammlinie; doch auf die knaxxe
Entfernung von wenigen hundert Schritten ist nur direktes Feuer
möglich. Im nächsten Augenblick stehen die Ranonen frei auf der
Höhe und senden ihre Schrapnells — die Granaten und Granat-
schrapnells sind am Vortage ausgegangen und Ersatz war noch nicht
durchführbar — auf die Panzerwagen. Sofort wenden sich diese
Sturmbatterie petrovics
241
gegen den neuen Feind, ihre acht Maschinengewehre knattern in
die offen dastehende Batterie; und zu allem Überfluß greifen im
selben Augenblick zwei feindliche Feldbatterien aus der linken Flanke
mit heftigstem Lagenfeuer ein. Der Feuerüberfall ist so heftig und
deckt so vollständig, daß alle Augenzeugen die-Batterie gänzlich ver-
loren geben.
Der Wirkung dieser plötzlichen Wendung kann sich auch die
bewährte Mannschaft der „Sturmbatterie" nicht entziehen. Gleich
im ersten Augenblick gibt es verwundete; die überraschte und ver-
wirrte Mannschaft sucht Deckung am flachen Boden, einzelne hinter
der Rammlinie; die Geschütze verstummen.
Leutnant Petrovics aber weiß, daß, wenn es ihm jetzt nicht
gelingt das Feuer fortzusetzen, die Infanterie in der Gjanicaschlucht
verloren ist. Jetzt muß es sich zeigen, wie er seine Leute in der
bsand hat. Frei aufgerichtet, von den feindlichen Schrapnells und
Maschinengewehrgeschossen umsaust, ruft er die Mannschaft zu den
Geschützen; mitten in dem bsöllentrubel setzt das Feuer wieder ein,
und nun geben die Panzerautos, trotzdem die Schrapnells ihnen
nicht viel anhaben können, ihr Spiel verloren; im schnellsten Tempo
enteilen sie nach dem Levanisattel. Die Kolonne in der Gjanica-
schlucht ist gerettet.
Erst als die Autos sich der Sicht entzogen haben, zieht petrovics
auch seinerseits die Geschütze hinter die deckende Rammlinie zurück.
Gr selbst sowie Fähnrich Rnall, der sich nicht weniger ausgesetzt
hatte, war wie durch ein Wunder unverletzt geblieben; bei den Ge-
schützen aber gab es eine ziemliche Zahl verwundeter, von allen
diesen verließ nur ein Schwerverwundeter, dem ein Rnie zer-
schmettert war, endgültig die Batterie; alle übrigen verblieben ent-
weder überhaupt auf ihrem Posten, oder sie suchten in Fjeri ärzt-
liche Hilfe und kehrten dann sofort zur Batterie zurück. —
Mit der Ginnahme von Fjeri war die Schlacht auf diesem
Teile der Front zu Gnde. Das Rorpskommando, das aus Nach-
schubgründen zunächst die Gjanicalinie nicht überschreiten wollte,
ließ die weiter vorgegangene Infanterie wieder zurückrufen, so daß
für einen Augenblick die Fühlung mit den bis in ihre alte vojusa-
stellung weichenden Italienern verloren ging, bis diese in den fol-
genden Tagen zaghaft auf die frei gebliebenen Levanihöhen zurück-
kehrten.
So war der Rest des 25. August ruhig verlaufen. Am Abend
rückte Fähnrich Bakk mit seinem Geschütz zur Batterie ein. Der
brave Mann hatte — ohne Pferde — sich auf abenteuerliche weise
durchgefrettet. Am 23. August hatte er aus seiner offenen Stel-
lung auf einer sumpfigen wiese, vom Gegner bald entdeckt und
heftig mit Maschinengewehren beschossen, unbeirrt durch direktes
Flankenfeuer auf WO in gegen den äußersten rechten Flügel der
Italiener verdienstvoll sich betätigt. Als am 2% der Feind ver-
Kerchnawe. Im Felde unbesiegt. III. 16
242
veith
schwunden war, saß er wieder hilflos da, bis er durch Vermittlung
des chauptmanns Suxpantschitsch die Küchenpferde irgendeiner in der
Nähe befindlichen Truppe geliehen bekam, mit denen er sein Ge-
schütz im Tandemzug bis an den Semem brachte; die noch übrige
Munition mußte er zurücklassen. Inzwischen war aber petrovics
längst über den Semem gegangen, wohin Bakk, mangels Trag-
sättel, durch die Furt nicht folgen konnte; er schloß sich daher
einstweilen an die gleichfalls auf dem rechten Ufer verbliebene
Batterie 5/5 an. Am späten Abend erst erhielt er wieder Pferde
und ging nun auf der inzwischen fertiggestellten Kriegsbrücke über
den Semem, wo er auf Befehl des Gruppenkommandos nord-
westlich Fjeri eine Stellung bezog, um die Flanke gegen die stets
erwarteten Kavallerieangriffe zu sichern. (Der „Kavallerieschreck"
vom 7. Juli lag den Truppen noch immer in den Knochen.) chier
blieb er zu gleichem Zwecke auch den 25. August über stehen und
rückte dann abends endlich zur Batterie ein, wurde aber schon am
nächsten Tage wieder nach Südwesten in das alte Lager bei Gjanas
zur Kavallerieabwehr vorgeschoben. —
Nach dem Tage von Fjeri war Leutnant petrovics auf ein-
stimmiges verlangen der beteiligten Infanterie zur Goldenen Tapfer-
keitsmedaille für Offiziere eingegeben worden; drei Monate später,
bereits nach dem Umsturz, erhielt er im letzten von Kaiser Karl
gezeichneten Personalverordnungsblatt die Silberne Tapferkeits-
medaille für Offiziere zuerkannt, warum und auf wessen Ver-
anlassung die Herabsetzung erfolgte, ist mir nicht bekannt.
Außer Petrovics erhielt noch Fähnrich Knall die Silberne
Tapferkeitsmedaille I. Klasse zum zweitenmal (zum erstenmal hatte
er sie nach Ardenica bekommen), ferner wurden der Batterie noch
(0 Silberne Taxferkeitsmedaillen I. Klasse und (6 II. Klasse ver-
liehen; der Rest erhielt die Bronzene Taxferkeitsmedaille.
Nach der Einnahme von Fjeri blieb die Batterie zunächst mit
zwei Geschützen am Radiohügel in Stellung. Fähnrich Bakk mit
dem dritten, wie erwähnt, bei Gjenas, das jetzt endlich zugeteilte
vierte Geschütz wurde auf dem Lsügel von Brustar Mäh. am
Semeni zur Fliegerabwehr eingebaut.
Der Radiohügel war der hervorragendste Punkt der eigenen
Stellung, der denn auch in den folgenden Tagen von der feind-
lichen Artillerie mit aller Kraft unter Feuer gehalten wurde. Der
gegen Sicht gedeckte Raum war so schmal, daß der Feind, der die
Batterie dort mit voller Sicherheit wissen mußte, ohne jede Mu-
nitionsverschwendung sie unter wirksamem Feuer halten konnte.
Trotz aller Arbeit der Mannschaft, in deren Reihen bereits die
Malaria schwere Lücken zu reißen begann, gelang es nicht rasch
genug, absolut sichere Deckungen in den aus hartem Gestein be-
stehenden chang einzuschneiden, und Verluste waren an der Tages-
Sturmbatterie Petrovics
243
Ordnung; trotzdem hat die Batterie auch in diesen Tagen durch
erfolgreiche Bekämpfung feindlicher Batterien sich große, auch von
der Infanterie anerkannte Verdienste erworben.
Als ich Anfang September vertretungsweise das Artillerie-
brigadekommando übernahm und es mir dadurch möglich wurde,
auch in die Verhältnisse dieser Gruppe einzugreifen, versuchte ich
sofort, die Batterie zu entlasten und ihr die wahrlich wohlverdiente
Erholung zu erwirken; doch scheiterten meine Bemühungen an den
Absichten des Obersten v. Kokotovic. Als dann am l.3. September
der eigene rechte Flügel Befehl erhielt, sich in der Ebene gegen
Lsavaleas-Sinpetra vorzuschieben, verließ die Batterie mit drei Ge-
schützen Fjeri, um neuerdings die vorgehende Infanterie zu be-
gleiten. Nach nächtlichem Marsche hatte sie vor Tagesanbruch
Anschluß an die vordersten Truppen gewonnen und mit ihnen nach
ziemlich leichtem Kampfe die befohlene Länie erreicht; nun wandte
sich eine feindliche Batterie von pojani her gegen die Angreifer
und brachte sie einen Augenblick in schwere Bedrängnis; doch von
petrovics entdeckt und unter Feuer genommen, mußte sie bald
schweigen und schließlich die Stellung verlassen. Am selben Tage,
sowie an den folgenden gab es noch wiederholte Kämpfe mit
Kavallerie und Panzerautos, deren versuche, die Stellung zurück-
zugewinnen, sämtlich im Feuer der Batterie zusammenbrachen.
So hatte diese neuerdings ihren alten Ruf gewahrt, aber
ihr Schicksal war besiegelt, War schon in dem vorhergehenden Be-
wegungskrieg der Malariainfektion Tür und Tor geöffnet, so stand
die Batterie jetzt ohne jeden Schutz im schlimmsten Malariaherd
des Kriegsschauplatzes dem rettungslosen verderben preisgegeben.
Wassermangel und auf's äußerste erschwerter Nachschub kamen
hinzu. Täglich wuchs der Abgang; der schon wieder zur Kavallerie-
, abwehr vor die Infanterielinie vorgezogene Lsalbzug Bakk hatte
am f8. September nur noch drei Mann im Stande. Schon mußte
ich, da die Infanterie die Batterie absolut nicht missen wollte,
Ersatz von anderen Batterien heranziehen.
petrovics war zur Ausbildung einer Infanteriebegleitbatterie
ins Hinterland abkommandiert worden. Dann erkrankte auch er an
Malaria und Anfang Oktober $18 ging er mit dem Spitalschiff
in die bseimat. Er hat seine Batterie nicht wiedergesehen.
Diese selbst hat das Abgehen ihres Führers nicht lange über-
dauert. Zunächst hatte wieder Oberleutnant Diener das Kom-
mando übernommen; nach wenigen Tagen erkrankte auch er an
Malaria und fast gleichzeitig mit ihm der kurz vorher eingerückte
Fähnrich polonyi sowie Bakk, alle drei so schwer, daß sie sofort
abtransportiert werden mußten. Knall war nach der Einnahme
Fjeris auf Urlaub gegangen. Der in der Eile von einer anderen
Batterie hinkommandierte Fähnrich Szongor erkrankte schon auf
dem Wege dahin. Natürlich ging es bei der Mannschaft nicht
16*
244
veith
anders. Ich gab die letzten Säbeldienstgrade, die ich noch im Re-
giment hatte; Oberleutnant Mol nur, bisher Nachrichtenoffizier
beim Regimentskommando, übernahm das Rommando. Ihm zu-
gewiesen war Fähnrich Bohrn, der sich in den Rückzugskämpfen
im Juli durch seltene Schneid einen Namen gemacht hatte — er
hatte die wegen f)ferdemangel zurückgelassenen Geschütze seiner
Batterie in der nächsten Nacht hinter den feindlichen Linien heraus-
geholt — und den ich nur deshalb bisher nicht bei der „Sturm-
batterie" eingeteilt hatte, weil er als Tiroler der madjarischen
Sprache nicht mächtig war, worauf ich im Interesse der klaglos
vollkommenen Zusammenarbeit aller hier besonderes Gewicht legte.
Gleichzeitig setzte ich endlich durch, daß die Batterie am $. Sep-
tember aus der Front gezogen und bei petova in Ruhelager ge-
legt wurde.
Schon vorher hatte ich eine ausführliche Eingabe an das
Rorpskommando gerichtet, worin ich unter Isinweis auf die vor-
zügliche Arbeit der auf meine Anregung behelfsmäßig aufgestellten
„Infanteriebegleitbatterien" — solche waren in den letzten Rümpfen
nach dem Muster von petrovics bereits in größerer Zahl verwendet
worden — bat, die hiefür bestimmten Formationen während des
Stellungskrieges aus der Front ziehen und hinter derselben für
ihre Sonderverwendung schulen zu dürfen, wobei hauptsächlich auf
das bisher zu wenig geübte j)räzisionsfeuer auf nahe Entfernungen
Gewicht zu legen sei. Zu diesem Zweck wäre ein beschränkter, nur
für kleine Entfernungen bis >000 in reichender Schießplatz einzu-
richten. Im Schlußpassus hieß es wörtlich: „Die auf diesem Ge-
biet ausgebildeten Batterien oder Züge, die dann naturgemäß im
Bewegungskrieg am meisten exponiert sind, wären dafür im
Stellungskrieg nach Möglichkeit zu schonen und vor Zufalls-
verlusten zu bewahren."
Das Rorpskommando gab meiner Anregung im wesentlichen
Folge. Die Vorbereitungen zur Einrichtung eines Schießplatzes bei
petova waren im Gange, als auf die Nachricht vom bevorstehenden
Rückzug Oberst v. Rokotovic, entgegen der Entscheidung des Rorxs-
kommandos und ohne auf meine Gegenvorstellungen zu hören, die
Batterie neuerdings am alten Orte geschützweise einsetzte. Da gleich-
zeitig die ganze Infanterie der Gruppe einmütig die Batterie für
den Rückzug als Nachhutbatterie forderte, mußte ich mit Rücksicht
auf die neuerdings erschreckend gesunkenen Stände nochmals von
allen anderen Batterien was ich nur konnte wegnehmen und dorthin
einteilen; allerdings war jetzt der weitaus größte Teil der Mann-
schaft fremd, hatte nie unter petrovics gedient und gekämpft, und
da auch die Offiziere und fast alle höheren Unteroffiziere neu
waren, konnte die Batterie nicht mehr als das gelten, was sie ge-
wesen. Indes sie erfüllte auch jetzt alle an sie gestellten Anfor-
derungen; die neu hinzugekommenen Leute, stolz darauf, bei der
Sturmbatterie petromcs
245
„Sturmbatterie" zu dienen, taten ihr möglichstes, um sich dieser
Ehre würdig zu erweisen; der Geist wenigstens war vorzüglich, und
Oberleutnant Mol nur wie Fähnrich Bohrn unterließen nichts,
um ihn jederzeit auf der Höhe zu halten. So ging die Batterie mit
der Gruppe, deren Kommando jetzt wieder Oberst Wächter über-
nommen hatte, längs des Ardenicarückens über Nova auf die
Höhen nördlich des unteren SfumEn, wo es mehrtägigen Auf-
enthalt gab, und weiter über Kavaja-Bazar Sjak nach vorra, wo
das Regiment, jetzt zur 8f. Infanterie-Division bestimmt, sich am
30. Oktober vereinigte.
Hier hielt ich, nach Übergabe des bei der <\7. Infanterie--
Division verbleibenden „Artilleriekommandos Albanien" wieder das
Kommando meines 5. Gebirgsartillerie-Regimentes übernehmend,
über die „Sturmbatterie" das letztemal Musterung. Ich ließ die
wenigen Leute vortreten, die noch Feras, Ardenica, vojkan und
Fjeri mitgemacht, und forderte sie auf, die stolzen Überlieferungen
der Batterie hochzuhalten auch in den schweren Tagen, die noch
bevorstehen mochten; und ich weiß, die Batterie hätte auch jetzt
gehalten, was sie mir damals versprach. — Am s7. Oktober er-
krankte ich selbst in Alessio neuerdings heftig an Malaria, in
miserablem Zustande kam ich zwei Tage später in Skutari ins
Spital, während das Regiment gegen podgorica weitermarschierte.
Ich habe es nicht mehr gesehen. —
* *
*
Aber nicht vergessen. Ls ist der Regimentskommandant, der
in dieser Erinnerung an seine bravste Batterie zugleich seinem alten
Regiment ein Denkmal setzen will. Nicht minder heilig als die
Pflicht des Eintretens für das zeitliche Wohl der Untergebenen ist
jene der Wahrung ihres ehrenvollen Angedenkens, auch über die
Grenzen dienstlicher Zusammengehörigkeit hinaus, was gemein-
same Pflichterfüllung vor dem Feinde zusammengeschmiedet, das
reißt kein Umsturz und kein Friedensdiktat auseinander.
Und noch eines: Es besteht kein Zweifel, daß die hier ge-
schilderten Waffentaten, einzeln betrachtet, in der vierjährigen Ge-
schichte des Krieges keineswegs vereinzelt oder auch nur überragend
dastehen; einer jeden kann sich bestimmt eine Reihe gleichartiger
an die Seite stellen, zumal von Kriegsschauplätzen, auf denen es
von Hause aus viel heißer herging, als an der berüchtigten „Ge-
plänkelfront". was aber die Geschichte der Batterie .petrovics so
bemerkenswert macht, ist vor allem ihr Werdegang, ihre aus
der Tatkraft eines Einzelnen hervorgegangene Schöpfung und ihre
— trotz des behelfsmäßigen Lharakters — folgerichtige Entwick-
lung zu einem in sich geschlossenen, auf höchste Zweckmäßigkeit ein-
246
Petti;
gestellten und diese auch restlos erringenden Ganzen; dann die merk-
würdigen Männer in dieser Batterie, von deren führenden keiner das
20. Lebensjahr überschritten hatte, zumal die Persönlichkeit ihres
Schöpfers und Führers selbst, der mit $ Jahren, ohne jede prak-
tische Rriegserfahrung, dafür mit der ganzen Unbefangenheit der
Jugend, welche Heldentaten im Rriege für etwas ganz Selbstver-
ständliches hält, an die Organisation einer solchen Schöpfung ge-
schritten ist und, ohne die Schwierigkeiten dieses Unterfangens auch
nur zu ahnen und sie eben deshalb spielend überwindend, sein Ziel
vollkommen erreicht hat. petromcs und seine Helfer sind eigentlich
überhaupt nur an den wenigen hier geschilderten Tagen in ernst-
lichen! Gefecht gestanden, aber jeder dieser Tage,bedeutet eine Tat
für sich. Dieser fast kindliche Glaube an die Selbstverständlichkeit
der Heldentat brachte ihnen auch den ebenso sicheren Glauben an
sich selbst; jeder wußte ganz gut, daß er ein „Held" war, aber er
hielt das eben auch, für ganz selbstverständlich. Darum kam es
keinem von ihnen in den Sinn, daß.etwas, was er anpackte, je
mißglücken könnte; und weil sie alle felsenfest an ihren Erfolg
glaubten, so haben sie ihn auch immer erreicht. Und mehr noch:
Dieser unbefangene sichere Glaube an sich selbst hat auch die ganze
Batterie in seinen Bann gezogen. Reinem anderen, auch dem er-
fahrensten und bewährtesten Batteriekommandanten nicht, ist die
Mannschaft mit solchem vertrauen gefolgt, wie diesen jungen bart-
losen Fähnrichen, an keinem auch mit solcher Liebe und Treue ge-
hangen. Das unbefangene Gefühl des selbstverständlichen Helden-
tums und seiner absoluten Erfolgsicherheit saß auch im ältesten
Graubart der Batterie bis in die Rnochen fest. Und so mußte denn
auch trotz der Rürze der Zeit und der verhältnismäßig geringen
Zahl der Feuerproben in dieser Batterie ein Rorpsgeist entstehen,
wie er nur in ganz erstklassigen Truppen möglich ist und diese
vor allem als solche kennzeichnet.
Unsere Zeit ist — wenigstens in dem Rreise, in welchem ich
schreibe — der Hochhaltung stolzer Rriegserinnerungen nicht günstig.
Ich glaube aber nicht, daß es einen Angehörigen der Batterie pe-
trovics, der bei Feras oder Fjeri mitgekämpft hat, geben wird,
der jene Tage nicht als die stolzeste Erinnerung seines Lebens bis
an sein Ende heilig hält; und keinen Mitkämpfer aus jener Zeit,
der jener Batterie und ihrem Führer nicht jenes Angedenken be-
wahrt, das wahrem Heldentum von den Anfängen der Menschheit
bis auf unsere Tage sicher war.
Gvsova und Äjahovo.
(Aus der Geschichte der österreich-ungarischen Donauflottille im Weltkriege?)
Von Linienschiffskapitän d. N. O laf Wulff,
damals Korvettenkapitän und Kommandant von S. M. S. „Temes"
und der I. Monitorgruppe.
I.
Die Donauflottille bei Ausbruch des Krieges mit
Rumänien.
(7\xn 27. August übergab der rumänische Gesandte in Men
die Kriegserklärung Rumäniens. Bevor noch die Nachricht
nach Bulgarien und zu der in den bulgarischen Gewässern sta-
tionierten Donauflottille gelangen konnte, wurde diese — friedlich
in Rustschuk ankernd — um 9 Uhr 30 abends durch eine heftige
Explosion alarmiert.
Das außerhalb der Schlachtlinie der Monitore verankerte
Kohlenschleppschiff, dessen Deck auch mit Benzinfässern beladen
war, flog zum Teil in die Luft, der Rest versank. Die Beman-
nung und ein kleines Boot konnten gerettet werden.
Die Kommandanten wurden sofort auf das Flottillenflaggschiff
gerufen, nachdem die Schiffe gefechtsklar gemacht worden waren
und mit ihren Scheinwerfern den Fluß vergeblich abgesucht hatten.
Sie fanden dort schon den bulgarischen Kommandanten der Garnison
Rustschuk vor, der auf die Explosion hin mit seinem Stab auch an
Bord geeilt war.
Die Bulgaren versicherten, von einer feindseligen Handlung
der Rumänen könne keine Rede sein, da ihre Meldungen durchaus
günstig lauteten, es müsse eine Explosion durch Selbstentzündung
vorliegen. Doch waren am Abend bei der Agentur der I. Donau-
Dampfschiffahrts-Gesellschaft Gerüchte eingetroffen, wonach öster-
reichische und ungarische Schiffahrtsangestellte verhaftet worden
waren und — wie immer bei solchen Anlässen — wollten einzelne
ein vollkommen abgeblendetes Fahrzeug im Schatten des Waldes
an: rumänischen Ufer gesehen, andere das Surren und plätschern
eines Torpedos vor der Explosion gehört haben. Trotzdem es un-
verständlich schien, daß die Rumänen es bei einem einzigen Torpedo-
schuß hätten bewenden lassen, war größte Vorsicht geboten. 9
9 5. and} II. Band von „Auf See unbesiegt" von Vizeadmiral v. Alantey.
248
Wulff
Um Uhr 30 abends traf die knappe Nachricht des Armee-
oberkommandos beim Donauflottillenkommando ein: „Rumänien
befindet sich seit 9 Uhr abends mit der Ukonarchie im Kriegszustände."
Schon seit Anfang des Jahres hatte man sich in der Donau-
flottille auf diese Tatsache gefaßt gemacht, doch hatte man an-
genommen, daß man durch vorhergehende Ereignisse oder Nach-
richten derart gewarnt sein würde, daß eine Überraschung aus-
geschlossen schien. Trotz der nun durch den heimtückischen Angriff
tatsächlich erfolgten Überraschung traf die Kriegserklärung die
Donauflottille vollkommen vorbereitet.
Es ist ein gemeinsames Verdienst des Donauflottillenkomman-
danten, Linienschiffskapitäns Lucich und seines damaligen Stabs-
chefs, des später so tragisch gefallenen Korvettenkapitäns >v. Förster,
daß die allgemein verbreitete Auffassung, die Donauflottille solle
vor dem Ausbruch des Krieges mit Rumänien hinter das Eiserne
Tor zurückgezogen werden, fallen gelassen wurde. Der Entschluß
war nicht leicht, da er bei entsprechenden Ukaßnahmen des neuen
Feindes die Preisgabe der Donauflottille bedeuten konnte, besonders,
wenn nicht rechtzeitig für einen geeigneten Ausgangshafen gesorgt
werden konnte, wo die Donauflottille Gelegenheit hatte, außer
Schußbereich der rumänischen Geschütze ähre Vorräte an Munition,
Reizstoffen und Verpflegung zu ergänzen. Auf persönliches Be-
treiben des Linienschiffskaxitäns Lucich wurde die Zustimmung des
Armeeoberkommandos zu diesem kühnen Plan gewonnen und in
dem durch die große Insel Belene vom rumänischen Ufer getrennten
gleichnamigen Donauarm — infolge seiner Enge Belenekanal ge-
nannt — eine Rückhaltstelle ersten Ranges errichtet. Die Wahl des
Ausgangshafens war auf Grund von vielen Aufklärungskreuzfahrten
der Donauflottille erfolgt, die der Kriegserklärung des einstigen
Freundes nicht müßig entgegensah, sondern sich durch taktische
Übungen auch auf den heißersehnten Kampf mit fremden Fluß-
kriegsschiffen vorbereitet hatte.
Als nun die Kriegserklärung in seiner für die Donauflottille
so brutalen Form erfolgte, konnte sich diese auf die vorerwähnte,
vollkommen ausgerüstete Flottenbasis zurückziehen. Oberhalb Rust-
schuks sicherte eine Beobachtungsminensperre vor Überraschungen
vom Flusse aus. Es ist nicht die Schuld der k. u. k. Donauflottille,
daß sie sich im Laufe des Weltkrieges nicht mit fremden Fluß-
streitkräften messen konnte, denn die Russen hatten sich seinerzeit
beim Eisernen Tor, die Rumänen bei der Insel Kalimok (an der
Grenze der rumänischen Dobrudscha) so gründlich abgesperrt, daß
eine Angriffsabsicht ihrerseits ganz ausgeschlossen schien.
Die bulgarischen Militärbehörden wurden von der Kriegs-
erklärung unvorbereitet getroffen, da zu der Zeit das Kriegsglück
den Verbündeten auch am russischen Kriegsschauplatz wieder zu
lächeln schien und Rumänien bis dahin jede feindselige Handlung
Orsova und Rjahovo
249
gegen Bulgarien vermieden hatte. Erst als rumänische Geschütze
gegen Rustschuk donnerten, war für Bulgarien auch der Kriegsfall
gegeben.
Nach Eintreffen der knappen Nachricht des Armeeoberkomman-
dos wurden zunächst alle detachierten Einheiten der Donauflottille
mit Draht- und Funkspruchnachricht verständigt, der Wachmonitor
von der Grenze zum Gros einberufen. Dann gingen alle un-
geschützten Einheiten der Donauflottille, Train usw., und jene
bsandelsdampfer, die rechtzeitig fahrbereit sein konnten, unter Schutz
der mir unterstellten I. Monitor-Division mit dem Flottillenkomman-
danten an Bord der neuen „Temes" nach Belene ab. Die Fluß-
minenabteilung vollendete die Beobachtungsminensxerre bei Lelek
(oberhalb Rustschuk) noch im Laufe der Nacht und die II. Monitor-
Division mit den Patrouillenbooten erhielt Befehl, bei Morgen-
grauen eine Strafexpedition gegen Giurgiu durchzuführen und dann
erst nach Belene zu folgen.
Die Monitoren der II. Monitor-Division unter dem Kommando
des Fregattenkapitäns Masjon, entledigten sich ihrer Aufgabe, indem
beim Morgengrauen des 28. August alle Monitoren zum Schutz
gegen Torpedierungen ein Schleppschiff an der Feindesseite längs-
seits nahmen und sich schußbereit stellten. Dann wurden die Pa-
trouillenboote beauftragt, alle bewegungsfähigen Fahrzeuge ans
bulgarische Ufer zu senden, feindliche Schleppkähne in Giurgiu
loszulösen und diese in der stromabwärts gelegenen Zufahrt zum
Isafen von Rustschuk zu versenken. Um 7 Uhr früh, als bereits die
ersten rumänischen Schleppe stromabwärts trieben, eröffneten die
Monitoren das Feuer gegen die militärisch wichtigen Anlagen im
Isafen von Giurgiu. Zwei rumänische Patrouillenboote wurden
versenkt. Erst um 8 Uhr vormittags erwiderten rumänische Bat-
terien schwach das Feuer, indem sie dieses gegen die Stadt Rustschuk
' richteten.
Als die II. Monitor-Division ihre Aufgabe beendet hatte, setzte
sie sich langsam bergfahrend in Bewegung, versenkte den scheinbar
von der Kriegserklärung nicht verständigten und den Monitoren
entgegenfahrenden rumänischen Minenleger „Rosario" und erreichte,
indem sie das Feuer der rumänischen Uferwachen ständig niederhielt/
um 5 Uhr nachmittags auch den Basishafen von Belene.
Bereits am 29. August unternahm die IV. Monitorgruxpe
unter Kommando des Linienschiffsleutnants Baron Levetzow einen
Handstreich gegen den Isafen von Zimnicea und erbeutete dort vier
Schleppe und zwei Motorboote, während ich mit der I. Monitor-
gruppe nach Turnu-Magurele vordrang und von dort nach Zer-
störung der Ifafenanlagen zwei mit Mais vollbeladene Schleppe der
Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft einbrachte.
Zm weiteren verlaufe der durch die Kriegslage erzwungenen
Ruhepause unternahm die II. Monitorgruppe unter Kommando des
250
Wulff
Linienschiffsleutnants Leschanowsky am 28. September einen Vor-
stoß nach Lorabia, wobei er bis in das Innere des genannten
Hafens vordrang und die dort verankerte einstens russische Minen-
flottille beschoß und zwei volle und sieben leere Schleppe nach
Belene einbrachte.
So wurde der Feind ständig in Unruhe gehalten, bis es im
Monat Oktober endlich gelang, ihm eine empfindliche Niederlage
bei Rjahovo zu bereiten, die an anderer Stelle besprochen werden soll.
In die kritischste Lage war aber durch die unerwartete Kriegs-
erklärung der in Kladovo unter dem Eisernen Tore stationierte
bewaffnete Dampfer „Almas" — ein ehemaliger Schleppdampfer
der Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft — gelangt, der erst am
Morgen des 28. August die ihn verständigende Nachricht der Donau-
flottille erhielt. Der Kommandant, Korvettenkapitän i. d. R. Strudt-
hoff, entsandte noch bei Dunkelheit das zugeteilte Patrouillenboot
„Lachs" und ein deutsches Motorboot nach Orsova, die, wenn auch
mehrfach von Schraxnellsxrengstücken und Gewehrgeschossen ge-
troffen, doch glücklich entkamen. Ein gesicherter Durchbruch mit
dem schwachen Dampfer bei Nacht durch das Eiserne Tor war
jedoch infolge der Navigationsschwierigkeiten und der starken Strö-
mung kaum zu erhoffen. Da bei Tag wieder die Gefahr, den
Dampfer durch Artilleriefeuer zu verlieren, sehr groß war, beschloß
Strudthoff, das Leben seines Dampferchens möglichst teuer zu ver-
kaufen und zunächst dem Feind größtmöglichen Schaden zuzufügen.
Um 5 Uhr morgens setzte sich der „Almäs" von Kladovo zu-
nächst nach Turnu-Severin in Bewegung und eröffnete das Feuer
gegen die Elektrizitätszentrale,, dann beschoß er in langsamer Fahrt
stromauf aus nächster Entfernung die am Ufer liegenden Dampfer,
Werften, Bahnhofanlagen, die Kavalleriekaserne und schließlich bei
Guravai die Marinestation und die Soldatenbaracken. Erst nach
einer Viertelstunde hatte sich der Feind von dieser Überraschung so
weit erholt, um mit der Batterie Simeanu das Feuer zu erwidern,
jedoch ohne Erfolg. Um 6 Uhr f5 steuerte der „Almas" mit ganzer
Kraft gegen den Eisernen Tor-Kanal, von Guravai bis zur Kanal-
mündung war „Almas" im heftigsten Geschütz- und Gewehrfeuer,
erlitt aber keine schwere Beschädigung; um nun mit dem schwachen
Dampfer die starke Strömung im Kanal selbst zu überwinden, ent-
schloß sich der Kommandant, das Schiff zu erleichtern: 25 Tonnen
Kohle wurde über Bord geworfen, bis sich der Dampfer durch
den Kanal hinaufgekeucht hatte, dann folgte noch ein Kampf mit
einer Feldbatterie bei Verciorova, der auch glücklich ablief und um
9 Uhr morgens war „AlmLs" in Grsova vorläufig geborgen.
Diese Leistung des Kommandanten und der Bemannung stellt
dem Angriffsgeist, der auch auf den Hilfsschiffen der Donauflottille
herrschte, das schönste Zeugnis aus und ist um so böher zu bewerten,
Orsova und Rjahovo
251
als „Almas" nur mit zwei 7 cm und zwei H7 nun Schnellfeuer-
kanonen und einigen Maschinengewehren ausgerüstet war. Die
Rumänen, die jedenfalls in der k. u. k. Donauflottille eine leichte
und sichere Beute erhofften, dürften durch diese angriffsweise Ein-
leitung des Krieges seitens der Donauflottille schon nachdenklicher
gestimmt worden sein. Aber es sollte noch ganz anders kommen!
II.
DieZerstörung der rumänischen Kriegsbrücke bei
Rjahovo.
Am \. Oktober Mt) morgens erhielt das Donauflottillenkom-
mando im Kanal von Belene folgende Meldung des der Donau-
flottille zugeteilten Landgruppenkommandanten in Ruftschuk, chaupt-
mann Kellner: „lseute 1 Uhr früh übersetzte bei Rjahovo der Feind
mit drei Kompagnien die Donau. Zwei schwere Feldhaubitzen und
zwei 9 em-Feldgeschütze dorthin abmarschiert." Diese Meldung ver-
ursachte keine besondere Aufregung, da die Garnison Ruftschuk ge-
nügen mußte, um die Eindringlinge zu verjagen; mittags folgte
jedoch eine Meldung des vorgesetzten deutschen Generalkommandos,
wonach bereits 6 rumänische Bataillone den Übergang bei Rjahovo
beendet hatten und im Begriffe standen, eine Pontonbrücke zu
schlagen. „Ein entsprechender Teil der Donauflottille ist zur Zer-
störung dieser Brücke einzusetzen!" Das klang schon bedeutend ernster,
da man 65 km von der Überschiffungsstelle entfernt war und an-
nehmen mußte, daß sich die Rumänen gegen Überraschungen vom
Flusse aus entsprechend gesichert hatten.
Fregattenkapitän Masjon erhielt Befehl, die vedetten-(vor-
poften-)Division (vier große Patrouillenboote) und die III. Monitor-
gruppe so bereitzustellen, daß diese womöglich überraschend beim
Morgengrauen am Kampfplatze eintreffen konnten. Zur Sicherung
gegen Minen war ihm die Flußminenabteilung zugeteilt. Um
7 Uhr abends war die Minensuch- und Aufklärungsgruppe bereits
ausgelaufen, als ein solches Unwetter mit Regen und Sturm bei
vollständiger Finsternis einsetzte, daß die Patrouillenboote sich
während der Fahrt verloren, eines auf eine Sandbank auffuhr
und nur mit Mühe loskommen konnte und das erste Ziel, die
Insel Lelek, erst um l Uhr 50 nachts erreicht wurde.
Die schweren Monitoren, die um 9 Uhr abends folgen sollten,
konnten erst um 2 Uhr früh des 2. Oktober Belene verlassen und
mußten jede Sicherungsmaßnahme unterlassen, um möglichst rasch
Lelek zu erreichen, was um 6 Uhr früh gelang.
Mittlerweile hatten die übergegangenen Feindestruppen die
Stärke einer Division erreicht und sollten sich nach Kundschafter-
nachricht mit der Absicht tragen, gegen Tutrakan vorzustoßen und
der Armee Mackensen, die siegreich in die Dobrudscha vordrang,
252
Wulff
in den Rücken zu fallen. Die Lage konnte gefährlich werden, wenn
es nicht gelang, dem Feind den Nachschub und den Rückzug ab-
zuschneiden.
Da anzunehmen war, daß die gewöhnliche Fahrstraße, die
stromab Rustschuk am rumänischen Ufer entlang führte, durch Minen
und Artillerie gesperrt sei, hatten die Patrouillenboote Befehl er-
halten, eine Fahrstraße längs des bulgarischen Ufers auszukund-
schaften, um die Monitoren an den Feind heranzulotsen. Als aber
die I. vedettengruppe („viza" unter Kommando des Linienschiffs-
leutnants Bublay, „Barsch" unter Kommando des Linienschiffs-
leutnants Taschler) sich unbemerkt bis zur Insel Lunga bei Rjahovo
in Sicht der rumänischen Kriegsbrücke herangearbeitet hatte und
von der Insel aus mit heftigem Gewehrfeuer überfallen wurde,
siegte der alte Angriffsgeist.
Am bulgarischen Ufer lagerten auf freiem Felde drei rumänische
Kompagnien und eine Feldbatterie. Auf diese wurde sofort mit
sämtlichen Geschützen (acht 7 om-Schnellfeuerkanonen) und Ma-
schinengewehren ein mörderisches Feuer eröffnet, der flüchtende
Feind erlitt schwere Verluste. Dann wurde mit ganzer Kraft die
Brücke bis auf eine Entfernung von 200 m angesteuert und aus
allen Rohren, die Ausschuß hatten, mit einem Geschoßhagel über-
schüttet, während die anderen Geschütze ihr vernichtungswerk gegen
die ungedeckten Truppen fortsetzten.
Es dauerte geraume weile, bis die Rumänen sich soweit vom
ersten Schreck erholt hatten, daß eine Feldbatterie, die knapp am
bulgarischen Strand aufgestellt und drei andere Batterien mittleren
Kalibers an den beiden Brückenköpfen das Feuer der Patrouillen-
boote erwiderten, dann schossen sie sich aber rasch ein. Die Boote
suchten sich dem Feuer durch fortwährenden Stellungswechsel zu
entziehen, setzten aber das Schnellfeuer gegen die Brücke und die
Truppen fort und erzielten viele Treffer; die an den Brückenenden
bereitgestellte rumänische Infanterie erlitt schwere Verluste und zog
sich fluchtartig zurück. Die fortwährend verstärkte feindliche Ar-
tillerie erzielte aber doch schließlich auf beiden Booten Volltreffer,
die diese zum Glück nicht außer Gefecht setzten, aber Verluste ver-
ursachten. Um 9 Uhr hatten die Boote ihren Munitionsvorrat ver-
schossen und mußten sich zurückziehen.
Als die Monitoren Meldung erhielten, eine Straße am bul-
garischen Ufer sei fahrbar, stießen sie, vom Patrouillenboot „Wels"
(Linienschiffsleutnant Stock) geführt, gegen Rjahovo vor und er-
reichten — schon im zusammengefaßten Feuer der alarmierten ru-
mänischen Artillerie — die Insel Taban, wo das Patrouillenboot
in Deckung zurückgelassen wurde. „Bodrog" unter Kommando des
Linienschiffsleutnants Böhm mit Fregattenkapitän Masjon an Bord
und „Körös" (Linienschiffsleutnant Rodinis) legten sich etwa 3 km
stromaufwärts der Brücke und unterhielten in fortwährendem Stel-
Mrsova und Rjahooo
253
lungswechsel ein wirkungsvolles Feuer auf die Brücke und gegen
die feindlichen Truppen.
Das Sperr- und Kreuzfeuer der sich ständig vermehrenden
Batterien wurde immer stärker, die beiden Monitoren wurden mit
Geschossen überschüttet. Um 2 Uhr nachmittags hatte „Bodrog"
fünf Volltreffer erhalten und mußte sich zur Herstellung ihrer Be-
schädigungen hinter die Insel Taban zurückziehen. Die tapfere
„Körös", die sich schon vor Belgrad so glänzend ausgezeichnet,
setzte den ungleichen Kampf bis 6 Uhr abends fort, erhielt schließlich
zwölf Volltreffer, von denen einer achtern das Deck durchschlug,
zwei den Kommandoturm trafen und mit Stickgasen füllten und
einer, ein Dampsrohr durchschlagend, infolge des ausströmenden
Dampfes den Steuermann der Sicht beraubte, so daß das Schiff
steuerlos gegen das rumänische Ufer trieb. Nach dem Absperren
der Dampfleitung wurde „Körös" wieder in die Fahrrinne ge-
bracht und vereinigte sich mit „Bodrog"; dann wurde bei Anbruch
der Dunkelheit der Rückzug auf Lelek angetreten: der Divisions-
kommandant erstattete funkentelegraphisch Meldung von der Lage
und erbat Munitionsnachschub, Verstärkung und Ablösung der
III. Monitorgrupxe.
Mittlerweile hatte ich als Kommandant der I. Monitor-Division
Befehl erhalten, die I. und IV. Monitorgruppe („Temes", „Enns"
und „Szamos", „Leitha") für eine längere Fahrt bereitzustellen,
Munitions-, Kohlen- und Heizölschleppe mitzunehmen und alle
kampffähigen Einheiten am Kampfplätze zu übernehmen. Die
III. Monitorgruppe wurde einberufen.
„Szamos" (Kommandant Linienschiffsleutnant von Kankovszky)
und „Leitha" (Kommandant Linienschiffsleutnant Renger) fuhren
um 5 Uhr nachmittags des 2. Oktober mit zwei Schleppen von
Belene ab, wurden aber bei der Kanalausfahrt von einer Schnell-
feuerbatterie auf der Insel Tinghinarele überfallen. Sie erlitten
mehrere Treffer, von denen einer das 7 ein-Geschütz der „Szamos"
abschoß und erstatteten Meldung von der neuerrichteten feindlichen
Batterie. Unter diesen Verhältnissen mußte die I. Monitorgruppe
mit dem explosionsgefährlichen Benzintank auf den Einbruch der
Dunkelheit warten. Als ich gegen 7 Uhr mit der „Temes" un-
behelligt Siftov erreicht hatte, ließ ich die „Enns" mit dem Heizöl-
schlepp nachfolgen.
Die IV. Monitorgruppe erreichte um 9 Uhr 30 abends Lelek,
übergab den Patrouillenbooten die mitgeführte Munition und ging
befehlsgemäß gleich nach Taban ab, um die Bewegungen des
Feindes zu beobachten. Die I. Monitorgruppe lief um U Uhr nachts
in den Leleker Donauarm ein und versorgte die Patrouillenboote
mit Benzin. Ich besprach die Lage mit Fregattenkapitän Masjon,
der dann den Befehl erhielt, mit der III. Monitorgrupxe einzurücken.
254
Wulff
Bei Tagesanbruch zeigte es sich, daß die Rumänen schon mit
anderen Mitteln gegen die Monitoren vorgingen. Zahlreiche Treib-
minen schwammen im Kampfraum und wurden ebenso, wie ein
treibender Torpedo, teils gefischt, teils versenkt. Da mittlerweile
auch Nachrichten vom Rückzug der Rumänen gegen die scheinbar
wieder hergestellte Brücke eintrafen, ein Annäherungsversuch von
„Szamos" und Leitha" durch ein mörderisches Sperrfeuer der
nunmehr eingeschossenen rumänischen Batterien abgewiesen wurde
und der Befehl des Donauflottillenkommandos eintraf, mit allen
Mitteln die Zerstörung der Brücke anzustreben, besprach ich mit
Bublav und Rudmann (Kommandant der Flußminenabteilung) eine
Unternehmung von durchschlagender Wirkung vorzubereiten und bei
Einbruch der Dunkelheit durchzuführen.
Kankovszky hatte mittlerweile auch nicht locker gelassen und
als die Schiffsartillerie nicht zur Geltung kam, ließ er sechs Treib-
minen gegen die Brücke ab, die in mehrere Felder Lücken rissen:
vom Landgruppenkommando erfuhr ich funkentelegraphisch,
daß die Gegenbewegungen gegen die übergegangenen rumänischen
Truppen gute Fortschritte gemacht hatten und mit Morgengrauen
ein entscheidender konzentrischer Angriff erfolgen sollte, es schien
also von größter Wichtigkeit, den Rückzug des Feindes abzuschneiden.
Mit Anbruch der Dunkelheit setzten sich der Dampfer „Balaton" mit
zwei Schleppen und das Patrouillenboot „viza" unter Schutz der
I. Monitorgruppe in Bewegung. Sie führten diese — nachdem die
zum Einrücken befohlene „Szamos" bei Taban Meldung erstattet
hatte — bis an die Insel Lunga heran, brachten die Schleppe durch
Sprengung in einem Schiffsraum auf die richtige Tauchtiefe und
ließen diese mit zwölf Treibminen zusammen gegen die Kriegs-
brücke treiben. Die Monitoren folgten, ohne einen Schuß abzu-
geben, um in Unkenntnis der genauen Lage nicht eigene Truppen
zu gefährden. Der Erfolg war durchschlagend, die Brücke wurde
an mehreren Stellen zerrissen, das eine Schlepp geriet allerdings
in seichtem Wasser auf Grund, das andere trieb jedoch mit einem
Teil der abgesprengten Brücke bis zur feindlichen Balkenbarrikade
bei Kalimok, an der er hängen blieb. In der Nacht wurde der
Ort Rjahovo oberhalb der Brücke von unseren Truppen besetzt.
Um \ Uhr nachts des 3. Oktober folgte eine Meldung: „Feind-
liche Monitoren nördlich Tutrakan bergfahrend gesichtet." Da meine
alleinstehende Monitorgruppe der rumänischen Donauflottille nicht
gewachsen war, ließ ich alle abgezweigten Einheiten in und um
Lelek alarmieren und bis auf eine Vorpostengruppe im Schutz der
ausgelegten Beobachtungsminensperre vereinigen, um weitere Nach-
richten abzuwarten. Leider hat sich das Gerücht nicht bestätigt,
Der vorläufig mit zwei Divisionen angesetzte Vorstoß der Ru-
mänen war dank der ungenügenden Sicherungsmaßnahmen am
Flusse und dank dem schneidigen Eingreifen der Donauflottille voll-
Vrsova und Rjahovo
255
kommen fehlgeschlagen. Die Donauslottille hatte zuerst den Über-
gang gestört und hiedurch hauptsächlich viel feindliche Artillerie
gebunden, die sonst an der Dobrudschafront Verwendung gefunden
hätte. Dann hatte sie den Rückzug des demoralisierten Feindes ab-
geschnitten, der nur Trümmer seiner Bestände mit anderen Über-
schiffungsmitteln über die Donau retten konnte. Dieser einzige
ernstliche versuch der Rumänen, die Donau zu übersetzen, war mit
ansehnlichen Kräften unternommen und in einer für die Verbün-
deten operativ gefährlichen Richtung angesetzt. Lr endete mit der
völligen Vernichtung der übergegangenen zwei Divisionen
— dank dem schneidigen Draufgehen der Donauflottille. Das
Donauflottillenkommando erhielt aus diesem Anlaß zahlreiche Glück-
wunschdepeschen, während die Teilnehmer an dem Unternehmen
durch hohe inländische, deutsche und bulgarische Kriegsorden aus-
gezeichnet wurden.
s. M. s. „Novara"
unter Linienschiffskapitän Nikolaus Hort Hy de NagybLnya im Seegefechte
in der Straße von Otranto am ^5. Mai *9*7.
Von einem Seeoffizier.
verbündeten alliierten Flotte ist es während vier Jahren
nicht gelungen, selbst ein Streifchen des österreich-ungarischen
Küstengebietes in Besitz zu nehmen. Die rot-weiß-rote Flagge der
k. u. k. Kriegsflotte ist vor dem Feinde niemals gestrichen worden.
Die Nachschübe an die montenegrinische und später an die albanische
Front sind trotz schwierigsten Verhältnissen glatt besorgt worden.
Da die Flotte im allgemeinen, außer zur Unterstützung der
Landarmee an den früher genannten und an der Isonzo-Front, zur
Verteidigung bestimmt war, hatte sie in erster Linie ihre leichten
Streitkräfte eingesetzt.
Die erste Rolle in diesen Unternehmungen hat meistens 5. 2TÜ.
5. „Novara", ein moderner, rasch laufender kleiner Kreuzer, unter
der heldenhaften Führung des Linienschiffskapitäns Nikolaus Horthy
de Nagybünya gehabt.
Die schönsten und schwersten Aufgaben löste die „Novara" mit
musterhafter Schneid. Hatte es sich darum gehandelt, dem besorgten
und hart bedrängten türkischen Bundesgenossen kleine Unterseeboote
in die Dardanellen zu schicken, so hatte sie die „Novara" in Schlepp
genommen, da die Boote mit eigener Maschine den langen U)eg
nicht ganz hätten zurücklegen können. Nach der Fahrt durch die
feindlichen Bewachungslinien, erst weit im Süden, im Mittelmeer,
wurden die Unterseeboote losgeworfen.
In der Nacht der italienischen Kriegserklärung brachte die
„Novara" 50 km südlich der Po-Mündung die Landbatterie im
Kanäle von Porto-Torsini zum Schweigen. Das Schiff wird leck,
hat Tote und verwundete an Bord, dessen ungeachtet kehrt es nach
erledigter Aufgabe in den Hafen zurück und ist binnen $8 Stunden
wieder kampffähig.
Schiffskapitän v. Horthy hat auch an der Bezwingung von
Montenegro nicht geringen Anteil. Unter seinem Kommando ver-
senkte die „Novara" im Hafen von San Giovanni di Medua die
für Montenegro und die im Rückzug befindliche serbische Armee
bestimmten und mit Kriegsmaterial aller Art und Verpflegung be-
ladenen Transportschiffe der Entente. Hauptsächlich infolge
s. m. s. „Novara'
257
dieser Unternehmung hat das Land der schwarzen
Berge die Waffen gestreckt.
Die „Novara" hatte auch wiederholt in der Straße von Gtranto
gekreuzt, wo sie die Unterseebootssperre sprengte.
Seinen schönsten Erfolg aber hat Schiffskapitän v. Ljorthy im
Mai in den Gewässern von Gtranto geerntet.
Der Kommandant der „Novara" führte in diesem Gefecht
eine Division unserer leichten Streitkräfte.
Die Flottenbasis dieser Streitkräfte war damals Gattaro, die
Standorte der Nächstliegenden feindlichen Schiffe waren Brindisi
und valona, bzw. für jene Fischdampfer und Bewachungsfahrzeuge,
welche die Sperre in der Gtrantostraße bildeten, Gtranto und Lorfu.
Die leichten Streitkräfte unserer Marine hatten schon wiederholt
Vorstöße in die Straße von Gtranto unternommen, wo sie dem
Feinde bei jeder Gelegenheit erhebliche Verluste zugefügt hatten.
Auch Mitte Mai (917 sollte eine ähnliche Unternehmung stattfinden.
Diese hatte ein zweifaches Ziel. Einmal das neuerliche Sprengen
der Unterseebootssperre in der genannten Straße, dann die Be-
kämpfung der in Brindisi ankernden italienischen Blitzkreuzer („Nino
Bixio", „Marsala" und „Guarto") bei einer etwaigen Begegnung
mit ihnen. Dieses Zusammentreffen mußte irgendwie herbeigeführt
werden.
Unsere Kreuzer-Division durfte nur dann auf einen Kampf
hoffen, wenn der Gegner, durch irgendeinen Umstand getäuscht,
aus dem kjafen auslief. Denn bisher war er dem Kampfe aus-
gewichen.
Man wollte die Italiener und ihre Verbündeten dadurch irre-
führen, daß man den zweiten Mast der Kreuzer („Novara", „Saida"
und „Helgoland") entfernte, um ihre Umrißbilder zu ändern. So
, sahen sie am Horizont den Zerstörern der „LsuszLr"-Klasse sehr
ähnlich und der Feind konnte annehmen, daß seine Bewachungs-
linien bloß von Streitkräften bedroht würden, welche seinen leichten
Kreuzern unterlegen waren.
Am (3. Mai vor Mitternacht verließ „Novara" mit seinen
Schwesterschiffen und den zur Aufklärung beigegebenen Zerstörern
„Gsepel") (Kommandant: Fregattenkapitän Prinz Liechtenstein) und
„Balaton" (Kommandant: Korvettenkapitän Morin) den Hafen.
Die beiden letzteren erhielten Befehl, sich außer Sichtweite der
„Novara" aufzuhalten, damit nicht durch eine vergleichende Be-
obachtung die Verschiedenheit der Typen leichter festzustellen war.
während des Marsches auf Gtranto traf die „Lsepel"-Gruxpe
bei valona einen von zwei Zerstörern begleiteten, aus drei Trans-
portdampfern bestehenden, Geleitzug. Er wurde sofort angegriffen
und restlos vernichtet.
Am (p Mai bei Sonnenaufgang standen die Kreuzer auf der
Bewachungslinie der Unterseebootssperre Leuca-Fano. Der über-
K e r ch II a w e, Im Felde unbesiegt. III.
258
5. M. S. „Novara
raschende Angriff auf diese feindliche Linie gelang vollständig.
22 Bewachungsfahrzeuge wurden versenkt, 80 Gefangene gemacht.
Nach Rettung der im Wasser umhertreibenden Leute wurde der
Marsch nach Gattaro angetreten.
Das Morgengefecht hatte inzwischen aus Dalona eine aus f0
bis f5 Zerstörern bestehende Abteilung herausgelockt. Unsere Schiffe
ließen sie ohne zu schießen näherkommen. Doch als der Gegner die
Kreuzer erkannt zu haben schien, verkehrte er den Kurs und ent-
fernte sich rasch ohne den Kampf aufzunehmen. Unsere Schiffe
steuerten ihren alten Kurs weiter. Kurz nach dem Treffen mit der
gegnerischen Zerstörerabteilung kamen von der Aufklärungstruppe
und unseren Fliegern folgende Funksprüche:
„Starker Feind im Norden!"
„Im Norden 6 feindliche Kreuzer und 20 Zerstörer!"
Auf diese zwei Meldungen folgte bald die dritte:
„Unsere Aufklärungsgruppe bei Durazzo hart bedrängt!"
Diese drei Meldungen zeigten den Ernst der Lage zur Genüge.
Unsere Kreuzer standen vor einem harten Kampf mit einem an
Zahl und Artillerie weit überlegenem Gegner. Dessen ungeachtet
beschließt Schiffskapitän v. fforthy nicht auszuweichen, sondern den
Kampf aufzunehmen. Er eilt sofort seinen Zerstörern zu Lsilfe.
Inzwischen meldet „Tsexel": „Kampf aufgenommen, einen feind-
lichen Zerstörer in Brand geschossen!" Um 8 Uhr früh kommt die
Kreuzerabteilung der Alliierten in Sicht. Das Führerschiff ist ein
englischer Kreuzer der „Dartmouth"-Klasse, er führt am Mast die
italienische Admiralsflagge. Der Engländer eröffnet das Feuer.
Er schießt vorzüglich. Wir können das Feuer nicht erwidern, unsere
fO crn-Geschütze tragen nicht so weit wie seine s5 und \2 cm.
Eine bedenkliche Lage. Unsere Kreuzer halten dennoch stand.
„Novara" gibt Befehl zum Nebeln, damit die Kreuzer nicht als
wehrlose Zielscheiben dem konzentrierten gegnerischen Feuer preis-
gegeben werden. Unter dem Schutze des Nebels wenden die
Kreuzer ab, nicht nur, um sich dem Artilleriefeuer zu entziehen,
sondern um auch die feindliche Abteilung durch diese Bewegung
auf die Tragweite der eigenen Kanonen heranzulocken. Auf der
anderen Seite greifen feindliche Zerstörer an. Sie werden durch
unsere Artillerie glatt abgewiesen und entfernen sich rasch.
Jetzt waren bereits durch die vorherige Wendung auch unsere
Schiffe in der Lage, ihre Geschütze auch den feindlichen Kreuzern
gegenüber mit Erfolg anzuwenden! „Novara" befahl seine
Gruppe zum Angriff. Es entspinnt sich ein über drei Stunden
andauerndes mörderisches Artillerieduell.
Natürlich faßt der Gegner sein Feuer auf die „Novara" zu-
sammen.
Der ungleiche Kampf fordert seine Gpfer!
S. m. S. „Novara"
259
Gleich in der ersten Stunde des Kampfes starb Korvetten-
kapitän Szuborits, erster Offizier der „Novara", den Heldentod.
Schiffskapitän v. bsorthy leitet kaltblüttg und standhaft den
Kampf bis 3/^0 Uhr, da wird er von einer Granate schwer ver-
wundet. Trotz seiner Verwundung führt er seine Schiffe weiter;
er wird auf eine Tragbahre gelegt und läßt sich auf das Vorkastell
seines Schiffes tragen. Infolge einer Gasvergiftung wiederholt in
Ohnmacht fallend, wollte er die Führung der „Novara" seinem
ersten Offizier übergeben, um sich mit Anspannung aller seiner
Kräfte ganz der Führung seiner Division zu widmen! Doch als
er erfuhr, daß Szuborits gefallen war, behielt er auch das Kom-
mando seines Führerschiffes.
Das Gefecht tobte weiter. 20 feindliche Schiffe unseren drei
Kreuzern und zwei Zerstörern gegenüber. Alle unsere Schiffe,
wurden getroffen!
Allein die Kommandobrücke der „Novara" hatte fünf Voll-
treffer. Der Steuermann erlitt den Heldentod, der Navigations-
offizier übernimmt sofort das Steuerrad. In der dritten Stunde des
Gefechtes trifft eine Granate auch den Ukaschinenraum. Die Süß-
wasserleitung ist leck, die Speisung der Kessel fällt aus, bewegungs-
los liegt die brave „Novara" da.
In dieser mißlichen Lage nimmt die „Saida" (Kommandant:
Linienschiffskommandant v. purschka) das schwer beschädigte Führer-
schiff ins Schlepptau. Das schwierige Manöver geht unter helden-
hafter Deckung der „Helgoland" (Kommandant: Linienschiffskapitän
Lseyßler) im mörderischen Feuer des Feindes glatt vor sich.
Die „Helgoland" weist im weiteren verlaufe dieses Gefechtes
nicht bloß einen Angriff feindlicher Zerstörer ab, sondern holt
auch einen feindlichen Flieger herunter.
Der zahlenmäßig weitaus stärkere Gegner, der unter dem
Feuer unserer Geschütze merklich litt, zog sich um ff Uhr ohne
für uns bemerkbaren Grund vollständig zurück. Zur Aufnahme des
jetzt schon langsam durch das schwere, von Minen und feindlichen
Unterseebooten verseuchte Seegebiet fahrenden Schleppzuges waren
aus Tattaro unsere Kreuzer „St. Georg" und „Aspern" und das
alte kleine Linienschiff „Gfenpest" * *) ausgelaufen2).
*) 5600 Tonnen; hatte bei seinem Stapellauf Z896 die offizielle Bezeichnung
„Aüstenverteidiger". — Der Verfasser hatte dem Schiff seine amtliche ungarische Be-
zeichnung gegeben. Da unser Verlag aber grundsätzlich die Namen aller ehemaligen
deutschen Städte nur in deutscher Schreibweise bringt, taten wir es auch diesmal,
trotz der B itte unseres verehrten Bcran'sgebers. der sich noch an die amtliche Schreib-
weise halten zu müssen glaubte.
*) Die italienische Relation sowie die Meldung des englischen Admirales geben
die Annäherung österreichisch-ungarischer Schlacht schiffe als Grund für das Ab-
brechen des Gefechtes an. Außer den genannten Schiffen liefen aber keine öster-
reichisch-ungarischen Schiffe zu unserer Unterstützung aus. Außerdem waren vom
Gefechtsfelde aus die Rauchsäulen der aus Lattaro auslaufenden Gruppe nicht
einmal von uns aus zu sehen, geschweige von dem weiter entfernten Gegner.
17»
260
s. m. s. „Novara
Nach Vereinigung der beiden Gruppen ging die weiterfahrt
unbehelligt vor sich und am selben Abend um 7 Uhr liefen sie
unter brausenden Lsurra-Rufen der dort verankerten schiffe in
(Lattaro ein.
Lrfolg der Unternehmung: Der Feind verlor 22 Bewachungs-
fahrzeuge, 2 Zerstörer, 3 Transxortdamxfer, l Flugzeug. Außer-
dem erzielte eines der vor Brindisi aufgestellten Unterseeboote am
„Dartmouth" zwei Torpedotreffer.
Zn fünf Tagen war die „Novara" wieder seeklar und ihr
verwundeter Kommandant, wieder auf eine Tragbahre gebunden,
führte sie nach j)ola, in den Zentralkriegshafen!
Das Schicksal scheint dem heldenmütigen Kommandanten der
„Novara" auch nach der schmerzlichen Übergabe der k. u. k. Flotte
— deren letzter Kommandant er als Kontreadmiral, dann als Vize-
admiral gewesen —, und nach zwei Revolutionen, in seinem vater-
lande eine auserwählte Rolle bestimmt zu haben.
Er stellte in Ungarn während den gegenrevolutionären Ak-
tionen Ende $19 die ungarische Nationalarmee auf und wurde
für diese seine Verdienste und seine Verdienste im Krieg unter all-
gemeiner Begeisterung der Nation zum Verweser des Königreiches
Ungarn gewählt! —
„Delgisn"-Infantsrie in dev ^unifchlacht 1917 auf
der Hochfläche dev Sieben Gemeinden.
Von Oberst d. R. Lermann Fröhlich,
damals Major und Kommandant,,des 3. Bataillons des Znf.-Regts. 27.
''"ln den Mai- und Zunitagen des Kriegsjahres führte die
aus Südtirol, zwischen Etsch und Brenta, angesetzte Offensive
das Steirer-Regiment im verbände des Eisernen 3. Korps im un-
aufhaltsamen Vorwärtsdrange hinein ins welsche Land. Mte. Timon,
Mte. Meletta, Mte. Tastelgomberto — sie sind die flammenden
Siegeszeichen für das Regiment aus dieser Zeit. Ein herbes Ge-
schick jedoch hemmte den Siegeslauf knapp vor der Ebene. Brussilow
war mit neuen Leeren in Wolhynien eingebrochen, was im Süden
entbehrlich war, mußte nach Nordost geworfen werden. Die Ver-
teidigung trat in ihre Rechte. Die verkürzte Front wurde auf der
Hochfläche von Schläge (Asiago) und Arsan (Arsiero) abgesetzt, in
einer Verteidigungsstellung, die zugleich ein Ausfallstor, eine stän-
dige Bedrohung der italienischen Ebene war.
Mit schwer verhaltenem Grimme räumte auch das Regiment
das Meletta-Massiv und gelangte schließlich am August W6 {n
eine vom Mte. Forno (iMZ m) südwärts über den Vsthang des
Eorno di campo bianco und Roccolo (20^3 und m) führende
Stellung.
Dort blieb es über ^ Monate bis in die ersten Novembertage
des Jahres \ty\J, wo nach dem niederschmetternden Schlage bei
Tolmein-Flitsch und am Tagliamento auch die Südtirolerfront in
Bewegung kam.
Als das Regiment anfangs August f9K> den zugewiesenen Ab-
schnitt erreichte, stand ihm schwere Arbeit bevor. Galt es doch,
in dieser noch im Naturzustände ruhenden, dürftigen Felsgegend
alles zu schaffen. Zn unermüdlicher Tag- und Nachtarbeit wurde
in den ersten Wochen die Kampfstellung in das widerstrebende Ge-
stein geschlagen und in der Folgezeit immer mehr vervollkommnet;
Kavernen für Gebirgs- und Infanteriegeschütze, für Maschinen-
gewehre, Minen- und Granatwerfer, zahllose Schutzkavernen wur-
den mühevollst ausgehöhlt, Unterkünfte, Magazine errichtet, Wege,
Straßen gebaut, Wasserleitungen gelegt.
Der Monat Dezember entfesselte alle Gewalten eines schnee-
reichen winters. Der Kampf mit den Schrecknissen der bsochalpen
262
Fröhlich
— der weiße Tod — erforderte mehr Opfer als der Kampf mit
dem Feinde, dessen Hauxtstellung 1200 bis f500 in ostwärts der
Kampffront des Regiments über den Rite, palo und Tolombaro
führte.
Gegenüber dem Rite. Forno hatte der Gegner in dem karst-
artigen, von Dolinen durchsetzten Gelände auf ungefähr 600 in
eine Vorstellung angelegt, aus der sich zwei durch ihren hohen
Aufbau kennzeichnende Anlagen hervorhoben, „die nördliche und
südliche Burgstellung", gegen welche eine Rkitte Rkärz Ich? vom
Forno aus mit Anwendung von Schneestollen unternommene erfolg-
reiche Unternehmung bewies, daß der Angriffsgeist der Steirer
nicht erstorben.
Der Frühling zog ins Land. Reichlich spät kam er in die Berge,
die Lserzen aller Kämpfer mit neuen Hoffnungen erfüllend, was
wird er nach des langen winters Schrecknissen bringen?
Aber nicht nur frisches Grün den spärlichen Matten und
Sonnenwärme den Menschen brachte er, sondern auch neuen, starken
Feind. Die 9- Isonzoschlacht war vorüber. Das leuchtende Ziel,
Triest, war nicht erreicht, von der Tiroler Bergfront aber drohte
stete Gefahr, besonders seit sie in dem besten Kenner Tirols, in
Feldmarschall Tonrad, einen neuen Befehlshaber erhalten, wann
würde der Stoß auf Vicenza oder über Brescia erfolgen? So
fragte sich nicht allein Tadorna.
Zn Wirklichkeit lagen aber die Dinge anders. Das erwartete
Vorbrechen aus dem Ausfallstor der Sieben Gemeinden, konnte es
denn überhaupt erfolgen mit den unzulänglichen Kräften, über die
der Meister gebot? Kein Kraftzuschub kam!
Tadorna aber hatte unterdessen die H. und 6. Armee vor
des Marschalls weitgestreckter Front versammelt. Tr durchschaute
schließlich, daß der Name des Marschalls allein keinen greifbaren
Erfolg bringen werde. Da er selbst aber nach dem mißglückten
Anrennen an die Zsonzofront nach einem Erfolge geizte und über
eine gewaltige Streitmacht gebot, beschloß er, die Gelegenheit zu
nutzen und die stete Bedrohung durch den Ausfall aus den Bergen
in die Ebene unwirksam zu gestalten.
Der Anfang des wonnemonates brachte auch den Beginn seiner
Vorbereitungen, ohne daß dieser nunmehr uns drohenden Gefahr
durch ausreichende Gegenmaßnahmen unsrerseits eine Stütze ge-
geben werden konnte. Kein Kraftzuschuß kam. Aber die Muster-
truppen besaßen Eines: Selbstvertrauen in ihre Eigenkraft und den
in Schlachten und Gefechten erprobten, eisernen willen, keinen Fuß-
breit zu weichen. Zm Enderfolge lag der schönste Lohn für das
Denken und Fühlen der wackeren, auf ihre eigene Kraft eingestellten
Helden.
So kam der Juni und entfesselte auf der Hochfläche eine
Schlacht, einen Aufwand an Mitteln seitens des mächtigen Gegners,
wie er im Gebirgskriege bisher noch nie erlebt war.
„Belgien"-Infanterie auf der Hochfläche der Sieben Gemeinden Zßg
Das Regiment unter Kommando seines allverehrten Obersten
Meinrad Siegl (Regimentsadjutant bsauptmann Moll) hatte, wie
schon erwähnt, dazumal die vom Mte. Forno nach Süden über die
Gsthänge des Torno di campo bianco und Roccolo verlaufende,
vorbildlich eingerichtete Kampffront inne. Die Besatzung des Mte.
Forno, dieses vielumstrittenen Frontxfeilers, bildete das 3. Ba-
taillon, welches erst am 23. Mai das zur wohlverdienten Ruhe
ins Lager von Larioi abgehende ch Bataillon im Forno-Abschnitte
abgelöst hatte. Das Bataillon war kampferprobt, kam es doch vom
Mte. Sief, den der Italiener im Jänner durch eine große Minen-
sxrengung zu erringen gesucht hatte. Die Sprengung mißlang je-
doch und der nachher angesetzte Feindangriff wurde im Keim erstickt.
Als das Bataillon sich in den letzten Maitagen am Forno ein-
gerichtet hatte, dachte es nicht, in kürzester Zeit wieder seine Kraft
erproben zu müssen und bald im Brennpunkte des Kampfes zu stehen.
An das 3. Bataillon (Kommandant: Major Hermann Fröhlich)
schloß sich südlich, durch eine Senke getrennt, das 2. Bataillon
(Oberstleutnant Gthmar Novak) am tieferen Osthange des mäch-
tigen Lorno di campo bianco an, während in südlicher Fortsetzung
das (. Bataillon (Major Albert Gallent) den stellenweise in senk-
rechten Wänden feindwärts abstürzenden, breit ausladenden Rücken-
klotz des Roccolo festhielt.
weiter südwärts standen das gleich dem Regiments der ff. In-
fanterie-Brigade angehörende bosnisch-herzegowinische Infanterie-
Regiment 2 und die 22. Grazer Schützen-Division, in deren Bereich
ein zweiter, in der Iunischlacht umbrandeter, Frontpfeiler, der Mte.
Zebio, fiel.
Nordwärts des Regiments, im Anschlüsse an den Forno-Ab-
schnitt, bildete das Laibacher Infanterie-Regiment (7 die Fortsetzung
, der Abwehrfront über den Mte. Thiesa (207( m), daran anschließend
das Feldjäger-Bataillon 9 als Besatzung der hochaufgerichteten Gr-
tigara, der dritten in den kommenden Tagen schwer umtobten Front-
stütze, welcher als nördlichem Abschlüsse der Hochfläche zum Su-
ganertal ein bedeutsamer taktischer Wert zukam.
Die beiden letztgenannten Truppenkörper (Infanterie-Regi-
ment (7, Feldjäger-Bataillon 9) gehörten der (2. Infanterie-Bri-
grade an, die mit der ((. Brigade den verband der 6. Grazer
Infanterie-Division unter Kommando des Feldmarschalleutnants v.
Mecenseffv bildeten, dessen Führung sein Heldentod im September
(9(7 ein jähes Ende bereitete.
In dieser im Großen gegebenen Gliederung erwarteten die
Truppen des 3. Korps den Ansturm des Feindes, der sich schon
in den ersten Iunitagen durch erhöhtere Gefechtstätigkeit ankündigte.
Italienische Überläufer des Infanterie-Regiments 2(31), die am
8. und 9- Juni in die Regimentsstellungen kamen, sagten aus, daß *)
*) Italien hatte vor dem Kriege 96 Infanterie-Regimenter.
264
Fröhlich
der Italiener in den nächsten Tagen große Angriffe mit mächtiger
Artillerievorbereitung gegen unsere Front plane. Die gegnerische
Artillerietätigkeit steigerte sich tatsächlich am 8. Juni zusehends und
auch die Fliegertätigkeit ging weit über das Alltägliche hinaus.
Außerdem öffnete der Feind der den mittleren Forno-Abschnitt
innehabenden 10. Kompagnie (Oberleutnant lvelzl) gegenüber seine
Drahthindernisse.
Diese äußeren Anzeichen eines bevorstehenden Angriffes er-
widerten wir mit höchster Gefechtsbereitschaft. Die Bataillons-
reserve im Forno-Abschnitte (9. Kompagnie, Lsauptmann Riedlinger)
wurde an den steilen lvesthang des Alte. Forno in Kavernen ver-
legt, um als vorderhand einzige Reserve für den voraussichtlich im
Brennpunkte des Kampfes stehenden Gipfel rasch verfügbar zu
sein. So kam denn der (0. Juni. Den anbrechenden Morgen be-
grüßte starkes feindliches Artilleriefeuer, das weit in die Tiefe reichte.
Lin Teil der italienischen Batterien leichten und schweren Kalibers
suchten unsere Batterien niederzuhalten.
In den Bataillonsabschnitten wurde besonders die Fornomitte
(f0. Kompagnie), die eine von der Gestalt der Bergostwand her-
rührende starke Einbuchtung aufwies, bedacht. Am Südflügel des
Regiments, im Abschnitte des (. Bataillons, spielten sich frühmorgens
Kämpfe des Gegners mit unseren vorgeschobenen Feldwachen ab,
die sich im Laufe des Vormittages wiederholten. Die Steirer er-
wiesen sich den dort angesetzten Alpini überlegen, so daß diese zur
Mittagsstunde sich vor den Feldwachen des Roccoloabschnittes
zurückzogen.
Unterdessen hatte der Großteil der bisher feuernden italienischen
Artillerie nach einstündigem Schießen das Feuer auf unsere Stel-
lungen und auf die Räume knapp hinter diesen verlegt. Um diese
Zeit (6 Uhr 30 vormittags) setzte das Feuer aus schweren 2% cm*
Minenwerfern, deren Aufstellungsort zwischen der nördlichen und
südlichen Burg festgestellt wurde, auf die Kamxfgräben am Forno-
hange und auf die Räume knaxx hinter diesen ein.
Das Artilleriefeuer steigert sich und erreicht um die ((. Stunde
die höchste Stärke, flaut sodann etwas ab, um nach \2 Uhr mittags
neuerdings zu immer größerer Macht anzuschwellen und mit un-
verminderter Gewalt bis nach H Uhr nachmittags anzuhalten. Der
Mte. Forno, dann die südlich anschließenden Stellungen des 2. Ba-
taillons am Torno di camxo bianco (5. und 6. Kompagnie) wurden
besonders unter schwerem Feuer gehalten.
Schon um 8 Uhr waren sämtliche Telexhonleitungen im Forno-
Abschnitte nach vorne und rückwärts zerstört. Die Verbindung nach
rückwärts konnte nur durch Läuferposten über das benachbarte
3. Bataillon des Infanterie-Regiments aufrecht erhalten werden.
Desgleichen auch beim 2. Bataillon. Die von den heldenmütigen
Telexhonxatrouillen unternommenen versuche, die Verbindungen
„Belgien^'-Infanterie auf der Hochfläche der Sieben Gemeinden 265
wieder herzustellen, waren vergeblich. Nur die Verbindung mit
dem eigenen Brigadekommando war von 9 Uhr vormittags an
wieder in Ordnung.
Das mehrstündige, mit riesigem Munitionsaufwande genährte
Trommelfeuer hatte nicht unbeträchtliche Schäden verursacht, waren
diese im Raume des \. und 2. Bataillones geringeren Grades, mit
Ausnahme bei der 5. Kompagnie, so stand es hierin anders am
Mte. Forno, der im Abschnitte des Regiments die Hauptlast zu
tragen hatte.
Der Mittelabschnitt (JO. Kompagnie) war am ärgsten mit-
genommen und nahezu völlig eingeebnet. Auch der Kampfgraben
des nördlichen Abschnittes (\2. Kompagnie, Oberleutnant Krampl)
und der terrassenförmig am steilen Südhang des Forno abstürzende
Kampfgraben der südlichen Abschnittskompagnie (U- Kompagnie,
Oberleutnant Zeitz) hatten argen Schaden erlitten.
Der Maschinengewehrzug (2 Maschinengewehre) bei der
{2. Kompagnie war verschüttet und konnte sich erst während des
italienischen Infanterieangriffes gefechtstüchtig machen. Das gleiche
Schicksal widerfuhr dem 2. Maschinengewehrzug (2 Maschinen-
gewehre) im rechten Abschnitte.
Nicht verschont blieb auch die Anlage in der Forno-Nordkuppe
(2 Maschinengewehre), die um 9 Uhr vormittags einen 2ler-voll-
treffer und durch die rechte Beobachtung^ und rechte Maschinen-
gewehrscharte je einen Schartentreffer erhielt, wodurch ein Teil
der Besatzung des Maschinengewehrzuges kampfunfähig gemacht
wurde, Hier war der Verlust vom 7 Braven zu beklagen, außerdem
wurden Fähnrich Tamuzzi und 6 Mann verwundet. Die Ma-
schinengewehre blieben erhalten, desgleichen auch die beiden Ma-
schinengewehre des 2. Maschinengewehrzuges in der Forno-Süd-
kuppe, sowie die beiden in der Nordkuppe eingebauten Infanterie-
geschütze (Leutnant Bauer).
4 Uhr nachmittags! Die Front dampft. Der Forno ein Hoch-
ofen mit schmelzendem Eisen. Dunkle Rauchballen, lotrecht auf-
qualmende, grauweiße Schwaden überschatten das splitternde Ge-
stein, über das der Hagelsturm von Eisen dahinrast und die
Menschen, durstgequält, in den dumpfstickigen Kavernen gebannt
hält. Die schwer aufkrachenden Schläge der Minen hämmern auf
die Hirne. Eine teuflische, bis ins äußerste gesteigerte Explosions-
musik greift in die Nerven, Hochauf schäumt verhaltener Grimm,
in diesem Höllentanz, aneinandergedrückt, tatenlos zuwarten zu
müssen; heißer Trotz steigt auf, wenn von draußen die Kunde kommt,
daß die Arbeit vieler Wochen in Schutt geschlagen. Wuterfüllt
krumpfen sich die Finger um das Gewehr, drohende Worte werden
laut. Mensch stellt sich gegen Mensch. Dort wiederum ermattete
Gemüter. Die Symphonie aus Stahl und Eisen lullt, einem Schlaf-
liedchen gleich, ein. Doch verstärktes Dröhnen und Bersten rüttelt
266
Fröhlich
aus dem Nerventaumel, wann kommt die Stunde der Befreiung?
wann ertönt der Ruf „heraus", der die Eingeschlossenen aus den
Zwingern reißt? Ist das nicht der dumpfe Schlag unserer Ma-
schinengewehre, braust nicht jetzt über den Fornogipfel, um den es
heute geht, der Eisensturm unserer Geschütze gegen den Feind?
Za, die Lrlösungsstunde ist gekommen! Der feindliche Infanterie-
angriff gegen den Rite. Forno rollt Heran. Knapp hinter dem
Schutzmantel des italienischen Artillerie- und Minenwerferfeuers,
durch dichte Rauch- und Nebelschwaden, die den Forno-Hochofen
verhüllen, arbeiten sich katzenartig die italienischen Sturmxatrouillen
in den Dolmen heran, von zwei Angriffswellen gefolgt, die gegen-
über der \0. Kompagnie allein Bataillonstärke erreichten.
Alles stürzt aus den Kavernen in die zerschlagenen Kampf-
gräben. prasselndes Feuer schlägt dem Italiener entgegen. Wütend
hämmern unsere Maschinengewehre, hellauf knallen die Hand-
granate». Die Steirer sind an der Arbeit! wie immer kalten Blutes,
mit bergfestem Mute, ehern und fest wie die Berge ihrer grünen
cheimat.
Nur an einer Stelle erhebt sich drohende Gefahr. Aber rascher
Entschluß, blitzartiges chandeln wirft sie zu Boden. Es war in der
Fornomitte. Hier gelang es den feindlichen Sturmpatrouillen und
der ersten welle, den eingeebneten Kampfgraben zu gewinnen und
im qualmenden Rauch und Nebel weiter gegen die Nordkuppe des
Mte. Forno bis zu den Schartenschlitzen der Infanteriegeschütze
vorzuschnellen, bevor noch alle Mann der fO. Kompagnie dem
Kavernendunkel entflohen waren. Aber Geistesgegenwart verließ
die Steirer nicht! Schon sind die inneren Flügel des und 2. Zuges
der hart geprüften fO. Kompagnie in die Flanke zur Feuerzange
eingeschwenkt. Ein Feuerriegel legt sich vor die zweite nachdrängende
welle und drückt sie an das dampfende Gestein fest.
Dem eingebrochenen Feindesteil aber droht nun die Ver-
nichtung.
Zuvor noch entspinnt sich der Kampf um den Berggipfel. Das
mit den beiden Infanteriegeschützen bestückte Bollwerk hält den
Feind eine kurze Zeitspanne fest, wütendes Kartätschfeuer schlägt
ihm entgegen. Trotzdem gelingt es einigen Kühnen, bis an die
Schußscharten heranzukommen. Handgranaten fliegen durch die
Scharten, verwunden Leutnant Bauer und fünf Mann der Geschützt
bedienung. Ein Augenblick höchster Spannung! Leutnant Bauer
stürzt mit vier wackeren aus der Geschützkaverne in den zur Nord-
kuxpe führenden Laufgraben. Schon schlagen die Handgranaten
dem Eindringling entgegen und Geschützvormeister Gefreiter peri
feuert unaufhaltsam Granaten und Kartätschen aus dem beschädigten
Geschütze, die Italiener hiedurch zwingend, in einer Mulde Deckung
zu suchen. Diese Atempause genügte. Denn nun kam der Vergel-
tungsstoß !
„Belgiers^-Infanterie auf der Hochfläche der Sieben Gemeinden 267
Leutnant Zebinger der O. Kompagnie hatte kurz vorher in
die noch unfertige, enge Kaverne des Bataillonskommandos am
Forno die Kunde vom Einbrüche der Italiener gebracht. Rasch
flogen die Befehle und in den nächsten Minuten stürmten zwei Züge
der Reservekompagnie (9.) den Fornohang hinunter. Der Zug des
Feldwebels Fürntratt, im Nebelschutze vom Fornosattel frontal herab-
stürzend, zwang den eingedrungenen Feind nach kurzem Kampfe zur
Waffenstreckung. Kurz darauf ist auch der eingeebnete Kampfgraben
der \0. Kompagnie zurückgewonnen. Die zweite Sturmwelle des
Feindes blieb im Feuer der inzwischen in Ordnung gebrachten
Maschinengewehre des Leutnants Castelli und Fähnrich Lorenz
festgebannt. Auch das ständige, in der Fornomitte eingebaute Ma-
schinengewehr, gegen welches der Feind ein italienisches Maschinen-
gewehr auf kurze Entfernung in Stellung brachte, hatte trotz der
Verschüttung den Kampf aufgenommen. Das eigene Maschinen-
gewehr hat eine Hemmung. Aber Gewehrvormeister Gefreiter
Czerny und Feldwebel Grasser (HO.), geistesgegenwärtige Männer,
bekämpfen mit Handgranaten die Bedienungsmannschaft des italie-
nischen Maschinengewehrs. Lin Teil wird getötet, der Rest ent-
flieht. Rasch bringt Gefreiter Czerny das feindliche Maschinen-
gewehr ein und im nächsten Augenblicke ist es gegen den Italiener
selbst gedreht.
Dank dem Zusammenwirken aller war die Gefahr überwunden,
der Feindsturm abgeschlagen. Lin nach 6 Uhr nachmittags von
Sturmabteilungen unternommener Angriff gegen die \2. Kompagnie
bricht noch vor dem Drahtverhau zusammen. Der rückflutende
Gegner hat große Verluste zu beklagen. Bis in die Abendstunden
herrscht vergeltungsfeuer des Italieners. Sein Grimm über das
Mißlingen des Ansturms entlädt sich noch in einigen Zuckungen
, und die eisernen Besen fegen in Zwischenräumen über das Ge-
stein. Aber des Feindes zornerfüllte Entladungen werden immer
schwächer. Auch er bedarf der Ruhe nach des Tages schwerer Last,
nach dem furchtbaren Aderlaß, den ihm der Kampf um den Forno
kostete, der um" jeden preis, wie die Gefangenen berichteten, fallen
sollte.
Aber auch wir senkten 27 teure Kameraden in den ausge-
sprengten Heldenfriedhof am Corno di campo bianco und dreimal
so viele waren verwundet worden.
So herzerfreuend es gewesen wäre, keinen Kameraden zu ver-
lieren, so schmerzlich diese Verluste auch waren, sie konnten als er-
träglich hingenommen werden. Ohne den am Kavernenbau ver-
wendeten Arbeitsfleiß vieler Monate hätten wir eine ganz erheb-
lichere Zahl von Verlusten zu beklagen gehabt. An der eigenen
Kraft des Regiments war der Feindsturm zerspellt. Die mittags
beim Regimentshilfsplatze eingetroffene 6. Kompagnie und eine
halbe Maschinengewehr-Kompagnie des Infanterie-Regiments
268
Fröhlich
die nach 6 Uhr den Forno-Gsthang erreichte, kam nicht zum Ein-
sätze, desgleichen auch die in den Nachmittagsstunden beim Re-
gimentshilfsplatze als Brigadereserve eingetroffene 7. und 8. Kom-
pagnie des Infanterie-Regiments lH.
von allen Anerkennungen, die den Kämpfern aus der grünen
Mark zuteil ward, gewinnt das Urteil des Gegners besonderen
wert. Lin gefangener italienischer Offizier sprach es aus: „wir
wußten ja, daß auf dem Mte. Zorns das österreichische Infanterie-
Regiment 27 steht, das von uns zu einem der tapfersten Regimenter
gezählt wird, doch wir glaubten, bei unserem Vorgehen kein leben-
des Wesen mehr am Mte. Forno zu treffen, wie Gespenster kamen
sie aber aus ihren Kavernen hervor."
Mit innerer Befriedigung vernahmen wir dieses Feindesurteil
und auch wir gestehen mit voller Offenheit, daß die italienischen
Angriffstruppen am JO. Juni mit besonderer Tapferkeit ihre be-
fohlenen Ziele zu erreichen strebten.
Jeder Offizier und Mann ist von stiller Genugtuung erfüllt,
daß die Nacht ihre Schatten auf die unerschütterte Kampffront wirft.
Lin Nebelstreif zieht aus der Tiefe gegen den umbrandeten Berg
— unseren Forno.
Auch an den übrigen Frontteilen waren alle Stürme trotz der
vielfachen Übermacht an der Abstoßkraft und am eisernen Willen
aller kampferprobten Truppen des 3. Korps zerschellt.
Doch Tadorna gab sein Ziel, die Hochfläche zu gewinnen,
nicht auf. Neue Kämpfe standen bevor, an Schwere dem Ringen
vom l.0. Juni in nichts nachgebend.
Jeder Kenner der Front weiß, daß nach einem derartigen
Kampfe wie am f0. Juni den heldenmütigen Streitern eine Fülle
von Mühsalen ersteht. Krampen, Schaufel, Bohrzeug wurden
wieder hervorgeholt. Galt es doch, zunächst die der vordersten
Kampffront geschlagenen wunden zu heilen. Besonders im Forno-
Abschnitte mühte sich alles in angestrengter Tag- und Nachtarbeit,
von den Regimentspionieren und von tüchtigen Sappeuren unter-
stützt. Aber keiner klagte, unverdrossen leistete jeder, was er an
körperlicher Kraft herzugeben vermochte. Für gute Kost sorgte
„Vater Brey", der Regimentsproviantoffizier, und die Stimmung
war trotz aller Plage und Unruhe gut. Nur wenn die Kavernen-
Batterien die Früchte schwerer Nachtarbeit bei Tage wieder zu-
nichte machten, verließ manchen gutmütigen Steirer die angeborene
Ruhe und ein unverfälschter „stoansteirischer" Fluch flog zum
Gegenüber. Aber auch unser zielsicherer 30,5 ein-Mörser vermochte
die kläffenden Mäuler nicht zu stopfen. Die Biester bellten weiter.
Line Woche war verstrichen. Schon die Nacht vom f7. auf den
s8. Juni war durch außergewöhnlich häufiges Artilleriefeuer ge-
kennzeichnet, der Vorbote des f8., an dem gegen 8 Uhr morgens
,Velgien"-Infanterie auf der Hochfläche der Sieben Gemeinden 2(39
schwere, hoch über die Stellungen des Regiments ins „Hinterland"
fauchende Granaten einen Großkampftag ankündigten.
9 Uhr vormittags! Der Feind verlegt sein Schwerfeuer nach
vorne, besonders auf den Mte. Forno und den südlichen Abschnitt
am Lorno di campo bianco. Immer mehr schwillt das Feuer zum
Orkane an. Die glasharten Steine klirren wie Scherben, die Ex-
plosionswolken der mit ungeheurem Krachen aufschlagenden, nerven-
zerreißenden schweren Minen erzeugen ein beinahe nächtliches Dunkel.
Einem Naturereignisse gleich zieht dieser Hagelsturm vorüber. Die
telephonischen Verbindungen sind größtenteils zerschossen. Da, ein
gewaltiger Schlag neben der Bataillonskaverne am Mte. Fornro!
Ein Volltreffer einer schweren Mine setzt die Unterstände des Ba-
taillonskommandos in Brand. Trotz Löschungsversuche, die wegen
des fortgesetzten Minenfeuers eingestellt werden müssen, wird alles
ein Opfer der Flammen.
Feindliche Flieger fliegen gegen Mittag entlang der Stellungen
des Regiments. Lin eigener geht gegen zwei italienische Farmans los.
Um ^ Uhr nachmittags soll, nach Überläuferaussagen, der
Infanterieangriff einsetzen. Schon vormittags hatte das 2. Ba-
taillon befehlsgemäß alle Maschinengewehre, dann das Kasematt-
geschütz im Bollwerke „Furchtlos und treu" vor dem Forno ein-
gerichtet und auch die Artillerie lag auf der Lauer.
Nach 6 Uhr nachmittags macht ein Volltreffer das am Süd-
westhange des Forno eingebaute Gebirgsgeschütz unbrauchbar. Gleich
darauf tötet ein Granatvolltreffer nächst der Sanitätskaverne des
3. Bataillons 3 Mann, verwundet \ Offizier und \ Mann schwer,
^6 Mann leicht.
Gegen 7 Uhr abends erst bricht der Italiener gegenüber dem
MLe. Forno aus seiner Vorstellung hervor. Aber der niederstürzende
Feuerhagel unserer Sperrbatterien, das Flankenfeuer von den Nach-
barabschnitten macht zwei versuche unwirksam.
Trotz der wuchtigen, stundenlangen, ungeheure Munitions-
mengen verbrauchenden artilleristischen Einleitung, vermag der
Italiener an diesem Tage dem Regiment gegenüber nicht sich
durchzusetzen.
Der Abend bringt vorübergehend verhältnismäßige Ruhe und
Meldungen aus der vordersten Linie. Besonders schwere Spuren
hatte das Feuer wieder im Forno-Abschnitte, vor allem bei der
schwer geprüften JO., hinterlassen, deren Gefechtsläufer meldet,
daß in zwei Kavernen 3 Tote und 2\ verwundete liegen und alle
Mühe der letzten Tage durch den Feuerwirbel zerstört sei. Um UUHr
nachts setzt Artillerie- und Minenwerferfeuer mit großer Heftigkeit
auf Mte. Forno und Torno di campo bianco ein. Im Forno-Abschnitte
konnte der schon vorbereitete Zuschub der Menagen in die Kampf-
stellungen wegen des auch während der ganzen Nacht auf den V-
währenden, zeitweise mächtig anschwellenden Artillerie- und Minen-
270
Fröhlich
werferfeuers nicht durchgeführt werden und man mußte mit dem
Reservebestand vorlieb nehmen, viel schmerzlicher traf uns die Un-
möglichkeit, die verwundeten Kameraden, für deren Transport alles
eingeleitet war, aus den vordersten Kavernen nach rückwärts zu
schaffen.
Die Nacht wich dem Tage, Sollte er Befreiung bringen, die
Erlösung aus den stickigen Felshöhlen, in denen man schon 2<\
Stunden zu einer die Nerven spannenden Untätigkeit verdammt war?
Bald nach 6 Uhr morgens des Juni verlegt der Italiener
den Großteil seines Artillerie- und Minenwerfer-Schwerfeuers auf
die von Dolmen durchfurchten Osthänge des Torno di campo bianco.
Beiderseits hämmern die Ulaschinengewehre drauf los. Die Feind-
flieger bekunden auffallende Neugierde.
Schon setzt der Infanteriesturm an. vor der Fornomitte zer-
schellt er im wohlgezielten, entgegenprasselnden Abwehrfeuer. Bei
der \2. ist der 3. Zug in der Kaverne eingeschlossen. Beide Aus-
gänge sind durch große Felsblöcke versperrt und der Zug kann sich
nicht sobald frei machen.
So kann der Italiener in den Zugsabschnitt eindringen. Aber
Leutnant Lsofmanns linkes Maschinengewehr macht ihn zum Teile
nieder. Der Rest wird gefangen.
vor dem äußersten linken Flügel der \2. hat sich der Feind im
toten Raume, durch hohes Latschendickicht gedeckt, herangeschlichen
und plötzlich saß er im halbkreisförmigen, von der lhauptstellung
jedoch abgedichteten Vorsprung des Abschnittes des H. Zuges. Aber
nicht lange sollte er dort seßhaft bleiben. Mit Handgranaten und
Steinen gehen ihn die Steirer an, rasch ist der Vorsprung erstürmt,
der Italiener ergibt sich. Einige Entfliehende büßen ihren ver-
such, zu entkommen, mit dem Tode. Auch der verrammelte 3. Zug
hat sich mittlerweile durch einen Notausgang Luft gemacht und be-
teiligt sich an der Abwehr des weiteren Angriffes, der gegen f0 Uhr
vormittags an diesem Frontteil zusammenbricht, während die Ita-
liener zuerst im Schutze des Trommelfeuers in Rudeln vorgegangen
waren, läßt die Wucht des Angriffes nach dem ersten Fehlschlagen
nach. Die Angreifer gehen einzeln.vorwärts, werfen sich wieder
nieder, verschieben sich bald nach links, bald nach rechts, eröffnen
das Feuer, gehen zurück, dann wieder vor und stellen um 10 Uhr
vormittags vor dem Nordflügel des Regiments den Angriff ein.
Gegen die Fornomitte hatte aber inzwischen (8 Uhr 30 vor-
mittags) ein neuer Ansturm eingesetzt. Der Italiener kam stellen-
weise in geschlossener Masse heran. Aber die schußsicheren Steirer
erwarteten ihn kalten Blutes. Im Handgranaten-Nahkampf und im
niederstürzenden Schauer des Infanteriefeuers bricht der mit Kraft
angesetzte Stoß unter schweren Verlusten zusammen. Gleich nach
abgeschlagenem Angriffe fegt wieder ein eiserner Besen über den
Forno. Da, eine Hiobsbotschaft, von einem in die enge, vollgefüllte
.Belgien" -Infanterie auf der Hochfläche der Sieben Gemeinden 271
Bataillonskommando-Kaverne am Forno Stürzenden überbracht!
Lin Volltreffer eines 2\ cm4nörfers hatte bei den Küchenstellen
des 3. Bataillons, in deren Nähe auch die \5. Kompagnie als Ab-
schnittsreserve stand, 23 Mann getötet, Mann verwundet. Welch
bitterer Schicksalsschlag!
Auch dem dritten und vierten Infanterieangriffe gegen den
Forno (X Uhr 30 und % Uhr nachmittags) war kein Lrfolg beschieden.
Ausgezeichnet waren die Mithilfe der Maschinengewehre aus
der Forno-Südkuppe und aus dem Fornosattel, vom Bollwerke
„Furchtlos und Treu", vom Nachbarabschnitte des Infanterie-
Regiments \7. Die Artillerie \d\o§ mit größter Genauigkeit.
Der Tag ging zur Neige und wich einer gottlob ruhigen Nacht,
so daß bis nächsten Morgen alle toten und verwundeten Kameraden
geborgen werden konnten. Ihre Zahl war keine geringe und durch
den Unglücksvolltreffer in die Küchenstellen des 3. Bataillons leider
empfindlich vermehrt.
Landsturm-Oberarzt Dr. Klimesch und Sanitätsfähnrich Lehr,
beide verwundet, und das Sanitätspersonal am Forno leisteten, allen
Gefahren trotzend, ihren aufopferungsvollen Kameradschaftsdienst.
Der Feind ließ von nun an ab vom Forno. Die steirische Faust,
die ihn niederschlug, wollte er nicht mehr fühlen, verhältnismäßige
Ruhe löste die sturmbewegten Tage ab.
Doch eine Gefahr aus anderer Richtung drohte uns: der nörd-
liche Pfeiler der Hochfläche — die Ortigara — war in des Italieners
Hand gekommen. Als wir am 20. morgens vom Forno nordwärts
blickten — über den Abschnitt der ^7er hinaus —, konnten wir mit
dem Fernglas rege Bewegung in unseren am Vortage verlorenen
Gräben beobachten. Der Italiener sah uns in die Flanke, wenn
er dort seßhaft würde — doch das konnte, durfte nicht geschehen.
, Des einzigen Erfolges, den er auf der Hochfläche errang, nicht
allzu lange durfte er sich dessen erfreuen!
Und es nahte auch der Tag der Vergeltung: wenige Tage
später fegte ihn ein Feuerorkan, diesmal von unseren Batterien ent-
fesselt, mit kurz darauf folgendem, von Sturmpatrouillen geführten
Infanterieschlag von der beherrschenden Höhe hinab in die Tiefe.
Damit schloß die Junischlacht auf der Hochfläche der „Sette
Tommuni".
Der Italiener wagte keinen Angriff mehr und allmählich senkte
sich Kampfesruhe auf das umtobte Hochland.
Rastlosem Schaffen gelang es, nach vielen Wochen die Wunden
der Junischlacht zu heilen und der Abwehrfront erneute Kraft-
zuschüsse für kommende Tage zu geben.
Lin prächtiger gerbst lag über den Hochalpen. Mit größter
Spannung vernahmen wir die Kunde von den glänzenden Ge-
schehnissen bei Karfreit. wann wird es uns beschieden sein, „vor-
wärts"' zu rufen?
722
Fröhlich
Auch UNS schlug die Stunde der Befreiung aus den lähmenden
Fesseln. Wohl brachte sie den Abschied von der einem jeden lieb
und teuer gewordenen Stätte.
Als ich am 9- November 9 Ahr abends mit meinem Adju-
tanten Leutnant Freiherrn v. Rüdt und den Getreuen meines kleinen
Stabes den Me. Forno auf immer verließ, überkam uns ein Gefühl
der Wehmut, von der Hochstraße aus wandte sich der Blick zurück
zum Heldenberg, der im ersten Schnee, vom Mondeslicht umflossen,
zu uns herübergrüßte, wir nahmen Abschied von ihm, wortlos.
In jedem aber erstand die Erinnerung an die Iunitage.
wie warst du damals umtobt vom Aampfgebraus! Nun wird
dir Ruhe werden, auf immerdar, gleichwie sie jenen Tapferen ward,
die dir zum Opfer fielen. Sie sanken hin für höhere Ziele — trotz
allem. Gaben das höchste, ihr Leben, vor des Todes Majestät
schweigt alles andere. Du sei fortan der stille Hüter ihrer Gräber
und sei belohnt damit, daß an deinen Namen gemahnt der Steirer
Heldentat.
Eine alte Mörserbatterie.
Am Karst bis zur 12. Jjonzoschlacht.
Spätherbst J9*7.
Von Dr. Walther Neuwirth, Leutnant i. d. R.,
damals Feuerleitender der k. u. k. 15 om-Mörser-Batterie (M. 80) 27/9 B.
(Vyjonatelang wohnten wir vergraben im Rarst, eine dunkle,
niedere Raverne unser bseim, hielten den Stürmen des
Feindes stand, der immer wieder mit neuer Gewalt auf uns los-
schlug.
vor uns der flache Regel der Höhe Rechts das steile,
drohende Geröllfeld der Höhe 2\ty, dazwischen der Blick in das
grüne Tiefland hinaus, aus dem sich, in duftiges Blau gehüllt,
sonnenvergoldet und schneegekrönt die mächtige wand der Alpen
erhob. Links wölbten sich steinige Ruppen empor, die teilweise mit
verdorrtem Gesträuch überdeckt waren. Und des Abends tauchte die
Sonne hinter der Sdobba in ein rotes, goldenes Geglitzer, ins Meer.
Die Stellung unserer seinerzeit aus Serbien gekommenen Mörser-
Batterie befand sich in einer Doline am Abhange der Höhe 2H7, die
dem Hermadastock vorgelagert ist. Da der Bogenschuß unserer Mörser
einen großen Deckungswinkel erlaubte, hatten wir uns so sicher
einbauen können, daß wir vom Gegner noch nicht erreicht worden
waren. Und wir standen bereits seit der sO. Schlacht mit unseren
drei Geschützen in der Doline. «öfter suchte uns der Feind. Doch
wir hatten Glück, wenn ein feindlicher Flieger über uns schwirrte,
wurde auf ein Alarmzeichen alles ruhig. Schnelle Griffe warfen
bereitliegende mit Ralk bespritzte Reisighürden über die Mörser und
wenn der hohe Gast wieder vorüber war, ertönte ein pfiff, die
Maskierungen flogen von den Geschützen und wie eine Maschine
arbeitete die Batterie weiter. In die Stirnseite unserer Doline mün-
deten die beiden Eingänge unserer Raverne, die so groß war, daß
sie der ganzen Mannschaft notdürftig Unterkunft gewähren konnte.
Unser Beobachtungsstand befand sich unmittelbar vor der Batterie
in einem betonierten Steinriegel und war durch einen seichten Lauf-
graben mit der Doline verbunden. Doch das hatte lange Zeit ge-
dauert, bis alle Arbeiten soweit gediehen waren. Da hatten die Stein-
hämmer monatelang auf die Bohrer geschlagen und viele unserer
braven Ranoniere hatten lungenkrank die Stellung verlassen
müssen, wir übrigen aber beschleunigten den Ausbau der
Stellung soviel wie möglich, denn wir wußten, daß wir uns
mit unseren Händen im harten Fels eingraben mußten, bevor der
Kerchnawe, Im Felde unbesiegt. I». 18
274
Neuwirth
Feind wieder zu einer neuen Niesenschlacht ansetzte. Lin anderer
Teil unserer Mannschaft war dem Steinschlag erlegen und dem
täglichen Opfergang zu dem Straßenkote 50, bis zu welcher in der
Nacht unsere Munition mit Lastautos vorgeschoben wurde. Denn
die Straße beschoß der Feind gerade zu jener Zeit, in der die
schweren, langen, silberglänzenden Ekrasitgranaten in aller Eile in
die Batterie geschleppt wurden. Ich sehe sie noch heute, die ernsten,
gebeugten Gestalten ruhig den Befehl ausführen, ohne eine Miene
zu verziehen. Wir hatten dabei die meisten Verluste. Jeden Abend
kam ein vollbeladenes Auto und immer mehr und mehr Mu-
nition wurde uns zugewiesen. Ich ging in den Beobachtungsstand
meines Batteriekommandanten, vor uns lagen in der engen Sicht-
sxalte die Infanteriestellungen, manchmal kaum HO m voneinander
entfernt. Beide Linien hoben sich mit ihren rostbraunen Draht-
verhauen deutlich vom lichteren Hintergrund des Rarstgesteines ab.
bste und da sauste und splitterte es empor, eine grauschwarze
klumpige Wolke verflog und ganz vorne knackte zeitweise ein Ge-
wehrschuß oder das kurze Geprassel einer Handgranate. Dann
ratterte einige Sekunden ein Maschinengewehr und irgendwo im
Blau surrte ein Flieger. Es war heute ein stiller Tag. Ich sagte
zu meinem Hauptmann: „In der Stellung ist für Munition kein
Platz mehr und gerade wieder sind von der Gruppe neue An-
weisungen gekommen." Mein Hauptmann sah unverwandt durch
das Fernrohr und antwortete nachdenklich: „Ja, mir scheint, das
ist die Ruhe vor dem Sturm. Schau nur darauf, daß die Munition
schön gedeckt liegt." Dann sprang ich den Laufgraben hinunter.
Der Summer des Telephons schnarrte: Drittes feuerbereit! Die
Mannschaft des Geschützes sprang zu dem kaum einen Meter hohen
Mörser. Zwei Männer ergriffen bereitliegende hölzerne Hebe-
bäume und schoben, an Widerhaken der Schleife ansetzend, den
Bremskolben ganz in den Bremszylinder hinein, denn unser Mörser
hatte keine Vorholvorrichtung. Außerdem verbog sich die Brems-
stange sehr leicht, so daß wir in schweren Kampftagen ohne Bremse
zu schießen gezwungen waren. Dabei sprang aber beim Abschuß
der Mörser in die Höhe und kam in die Gefahr umzukippen. Ja,
unser gutes altes Geschütz schoß sehr genau, es wurde mit Vorliebe
zum punktschießen herangezogen, seine Bedienung aber war im mo-
dernen Feuergefecht ein stilles Martyrium für die Mannschaft. Der
Telephonist sprach die Elemente des Schusses. Zuerst die Seiten-
richtung, die mittelst einer von unserem Batterieschlosser verfertigten
Bogenschiene samt Zeiger gegeben wurde. Auch in die richtige
Seite mußten die Hebebäume das Geschütz an den Zeiger heran-
rücken. hierauf folgte die Geschoßart: Granate oder Schrapnell
Erstere mußten alle vorher in der Stellung gewogen worden sein,
da wir darauf gekommen waren, daß wir verschieden gewichtige
Granaten geliefert bekamen. Dies erforderte eine jeweilige Kor»
Line alte Mörserbalterie
275
rektur der kommandierten Höhe. Die Granate wurde nun mit der
Geschoßtrage angesetzt und mit der Hand ins Rohr gestoßen. Sie
war beinahe so lang wie unser Mörserrohr. Dann wurde auf
einem Pulverteller die kommandierte Ladung hinzugefügt und der
Keilverschluß durch Kurbeldrehung geschlossen. Jetzt stellte der Vor-
meister den Quadranten auf das Hinterstück des Rohres und ließ
die Libelle einspielen, hierauf girrte und klappte die Kurbel der
Höhenrichtmaschine am Zahnbogen. Ein Mann hängte den Haken
der Abziehschnur in die Brandlschlinge. Der Feuerwerker erhob die
Hand und ich rief auf Meldung des Beobachters das Geschütz an.
Der dumpfe Abschuß verhallte und ein feiner pulverrauch verzog
sich aus der Doline.
So schossen wir uns ein. Und eine geheime Freude spiegelte
sich auf allen Gesichtern, denn jeder ahnte, daß es endlich einmal
zum Angriff kommen würde. Es klang begeisternd das Helle Wort.
Hatte doch der Welsche mit einer großen Übermacht an Mann und
Material elfmal unsere Front berannt. Nirgends war ihm eine
Entscheidung gelungen. Sein einziger Erfolg blieb, daß er an
Brennpunkten der Schlacht unsere Linien einbog. Doch wir hatten
uns eingebissen im Stein! Wie viele unserer Kameraden waren
verblutet bei dem fortwährenden galten und verteidigen. Wir
haßten ihn alle, den Feind, und der Tag der Schlacht, die von uns
begonnen würde, schien uns Befreiung aus dumpfer, langertragener
Enge. Mit allen Fibern strebten wir in das Sonnenland Italien
hinein. Und es sollte Erfüllung finden, was lange der sehnlichste
Wunsch von uns allen gewesen, Zahltag zu halten mit einem
Gegner, den wir verachteten, der in Hellen Kaufen, weiße Taschen-
tücher schwenkend, überlief und dem wir uns trotz seiner Massen
von eigener und fremder Artillerie und sonstigen modernsten Kriegs-
geräts überlegen fühlten.
In den Lüften bebte und wimmerte es die ganze Zeit, wir
waren daran gewöhnt. Jeder Schritt im deckungslosen Gelände
wurde vom Gegner belauert und es war keine Seltenheit, daß er
einen einzigen Mann unter Artilleriefeuer nahm. Die Sonne brannte
und sengte auf die Steine, gelb und strauchlos starrte der Karst
uns an. Man stolperte auf den steinigen wegen über wirr umher-
gestreute Patronenhülsen, die golden in der Sonne glitzerten. Eine
Unmenge Blindgänger von dem kleinsten bis zum größten Kaliber
lagen umher und hatten sich in den Stacheldrahtverhauen der Re-
servelinien verstrickt. Die schweren Granaten hatten tiefe, mulden-
artige Trichter in das Gestein geschlagen. Tag und Nacht war
strenger Befehl, die Gasmaske bei sich zu tragen. Einige Male
hatte sich das Gas auch in unsere Doline hereingezogen, war aber
durch den Luftwirbel unserer eigenen Abschüsse bald zerteilt worden.
Es war ein schweres Arbeiten, mit der Gasmaske Sperrfeuer zu
schießen. Die Augenfenster liefen an und außerdem wußte man
18*
276
Neuwirth
nie, ob der Einsatz noch gasdicht sei. Denn unsere Einsätze hatten
alle längst die vorgeschriebene Frist überdauert, wir hatten sofort
neue angefordert, aber keine erhalten. Überall zeigte sich der Mangel
an Gerät. Die Truppe aber fügte sich wie selbstverständlich darein.
Ls lebte ein alter guter Geist in ihr.
Ich war einen Tag in der Protzenstellung gewesen und wan-
derte nun mit einigen Leuten die staubbedeckte Straße zur Front.
Im fahlen weiß erstrahlte der Mond, wagen an wagen, in graue
Staubwolken gehüllt, etappen- und frontwärts ziehende Infanterie-
kolonnen schoben sich an uns vorbei. Alles im stillen, schnellen
Taktschritt der Pflicht. An der Front leuchteten in weitem Bogen
weiße Leuchtraketen auf, dann solche, die sich in der Höhe in weiße,
grüne und rote Leuchtkugeln teilten, die dann langsam in das
Schwarz der'Nacht herunterperlten. Sie waren vom Feinde. Dann
erdröhnten mehrere Schüsse. Ich eilte mit meinen Kanonieren. Es
war heute Ablösung der eigenen Infanterie, die der Feind bemerkt
haben mochte. Im Feuerbereich der ersten Linie hasteten dunkle
Gestalten an uns vorüber, keuchten wie taumelnd dahin, sprangen
über Steine und Gräben und verschwanden in die Nacht. Dann
begegneten wir einem stillen Zug von Leichensammlern. Sie hatten
in Zeltblättern die Leichenfetzen gehüllt, die sie ganz vorne zusammen-
geklaubt, um sie rückwärts, wo braune Erde in den Dolmen lag,
zur Ruhe zu betten. Denn vorne im Stein gab es keine Erde zum
Grab. Ich war in meiner Stellung angelangt, das Nachthilfsziel
stand beleuchtet. Die Geschütze für unser Sperrfeuer geladen. Mein
Sauptinann versah heute Nacht selbst den Dienst, er sagte mir, daß
ich mich nur ausruhen möge, denn morgen würde es Arbeit geben.
Müde, wie ich war, warf ich mich vollkommen angezogen mit den
schweren genagelten Schuhen auf meine' Geschoßverschläge, über
die mein Diener zwei Rotzen gebreitet hatte. Ich verfiel in Halb-
schlaf. Hörte noch das Telephon: „Rote Leuchtrakete auf Strauch -s
und l.8." „5 rote Leuchtraketen auf Strauch 6." Mechanisch riß es
mich empor. Es war unser Sxerrfeuerraum. Doch vor Müdigkeit
fielen mir wieder die Augen zu. Da schüttelte der Abschuß des
Mörsers meinen Rörper. Ich fühlte immer schwächer und schwächer
die Stöße der Schüsse und verfiel in einen schweren traumlosen
Schlaf. Am nächsten Morgen war es wieder ruhig. Ich trat
meinen Dienst an und setzte mich zum Fernrohr in den Beobachtungs-
stand. Mein Hauptmann grübelte beim Ravernentor, über ein Reiß-
brett geneigt, vor sich hin. Er war in Zivil Maschinen-Ingenieur
und wollte einen Mörser konstruieren, der anders wäre, als unser altes
Merkel, der alle Stückeln spielen sollte, so wie wir es brauchen
würden. Sein Plan ist später Wirklichkeit geworden. Ich fragte
den Feuerwerker, ob es etwas Neues gebe; er sagte mir, daß sich
bei der frischen Sappe auf Punkt 2$ seit heute morgen etwas
rühre. „Bauen die Rer le oder bohren sie?" „Zwei Mandln werden
(Etne alte Mörserbatterie
277
manchmal sichtbar. Mir sind ja darauf eingeschossen." Der Feuer-
werker nickt und seine Augen blitzen auf. Ls Ivar sonst aber heute
ausnehmend ruhig. Auch in der uns am nächsten gelegenen Sack-
stellung im Brestovicawäldchen, denn die Ratzelmacher hatten sich
bereits am Plateauabfall heruntergearbeitet. Die von uns etwa
l lern entfernte Sackstellung war ein herrliches Ziel, wir waren
auch auf jeden Punkt der Linie genau eingeschossen und bearbeiteten
zur Nachtzeit den Feind, indem wir in stets wechselnder Reihenfolge
unser Zielverzeichnis herunterschössen. Lin ebenso günstiges Ziel bot
uns der Verlauf der feindlichen Schützenlinie am Plateaurand. Hier
hatte der Gegner Rerntruppen eingesetzt, Grenadiere, die sich durch
ihre großen mächtigen Gestalten deutlich von der kleinen quecksilbern
im Terrain herumschießenden Linieninfanterie unterschieden. Mein
Feuerwerker blickte durch sein Glas noch immer auf die Sappe,
wieder steckten zwei die Schädel heraus. Ich richtete mein Fern-
rohr hin. „Sie schlichten Steine oder so was." „Na wartet."
Ich nehme das Telephon in die Hand und rufe das zweite Ge-
schütz an. Bald meldet sich der Telephonist: „Zweites feuerbereit."
Jetzt sind aber gerade die zwei verschwunden. Wir lauern an den
Gläsern. Ich spreche in die Batterie: „Schuß geht auf Aviso."
Sonnenumschwirrt glitzern die Rarststeine im Glas. Da! Auf
einmal — schiebt sich ein Rörxer aus der Deckung, ihm folgt
ein zweiter. Wir halten den Atem an. Gin dritter, ein vierter
folgt und immer mehr, ungedeckt den steilen felsigen Abhang hastend
herab. „Zweites", schrei' ich ins Telephon. Der Schuß erdröhnt.
„Batterie Feueralarm." Zn der Doline hinter uns wird es lebendig.
„Erstes und drittes, gleiche Elemente, was raus geht!" MeinHauxt-
mann eilt herauf. Ich übergebe ihm meinen Platz. Der erste
Schuß sitzt mitten drin. Steine splittern hoch auf. Eine große,
, schwarze Wolke. Ich rufe die Gruppe an. Ich halte mit der einen
Hand das Glas. Immer mehr und mehr Infanterie drängt und
kugelt den Abhang hinab, wie schwarze unheimlich schwingende
perlenschnüre. Schuß erdröhnt auf Schuß. Sie liegen alle gut."
Doch es quirlt noch immer schwarz hervor. In unserem Tal-
grabenstück herrscht eine unheimliche Ruhe. Sehen sie sie nicht?
Die Gruppe meldet sich: „Hier Sprachrohr Millemoth, Feind stürmt
von 2f9 ins Tal. Feuerunterstützung!" Und es dauert kaum sechs
Sekunden, da beginnt es zu johlen und zu dröhnen, eine ganze
Artilleriegruxxe haut Massen schwerer Granaten in das zuckende
schwarze Gewirr. Weiße, gelbbraune, schwarze, grünliche Spreng-
wolken vermischen sich über dem Abhang zu undurchsichtigen grau-
braunen Wolken. Und immer noch gellen und zischen neue Stahl-
geschosse über unsere Röpfe hinweg zum Ziele, in jene rauchver-
hüllte menschendurchirrte steile Felsöde. Da beginnt der Feind in
gewohnter Munitionsverschwendung ein vergeltungsfeuer über un-
sere Infanteriestellungen zu werfen. Wie Wellenkronen der zer-
278
Neuwirth
schäumenden Brandung zischen die weißen Schrapnellsprengwolken
auf und heben sich v-n dem dunkleren Hintergründe ab. Das ganze
Tal ist mit Rauch erfüllt. Unsichtbar ist das Gelände. Ls beschleicht
einem ein eigenes Gefühl, das immer kommt, wenn man den Groß-
kampf erwartet. Doch die Infanterie bleibt ruhig und langsam flaut
das Geschützfeuer ab. In der zitternden Luft der Mittagssonne
liegt greifbar vor uns die Felsnase 2$. Der Handstreich ist ihnen
versalzen worden. Wir aber schauen noch immer hin, denn unsere
Nerven schwingen nach. Doch es schaut sich nicht gut auf die
Steine. Manchmal muß man auf eine kleine Sekunde die Augen
schließen. Denn es lebt und zuckt dort im Fels. verwundete liegen
hilflos herum, schleppen sich mühsam aufwärts, sie versuchen, zu
ihren Gräben zu kriechen. Doch es ist zu heiß. Und immer ruhiger
wird es da drüben.
Die Munitionsnachschübe hatten aufgehört. Lange Befehle
und Pläne kamen jeden Abend. Moderne Batterien bauten sich
ein. Minenwerfer leichten und schweren Kalibers zogen mit ihren
Wägelchen an unserer Stellung vorbei. Die Feldkanonen-Batterie
hinter uns hatte „Grün-Kreuz" und andere Gasmunition gefaßt.
Die feindliche Fliegertätigkeit war äußerst rege und konnte nur wenig
durcki unser Abwehrschießen eingeschränkt werden. Da summte
eines Morgens eine schlanke deutsche Taube hoch über uns. Feier-
lich leuchteten die schwarzen Kreuze zu uns herab. Und wie wir
sie da oben im Blau Hinschweben sahen, die Brüder vom Reich,
da ergriff uns Deutsche eine begeisterte Freude, wußte doch gerade
der österreichische Offizier, der so oft von slavischen, unzuverlässigen
Leuten umgeben war, was eine sprachlich einheitliche Armee be-
deutet. Hier im Karst erfüllte sich wieder einmal das Schicksal der
Deutschen Österreichs: Die geschworene Treue bis zum letzten Atem-
zuge einem Herrscherhause zu halten, das vergessen hatte, zu welchem
Volke sich ein Rudolf I. und Josef II. bekannt hatten, für sein
gegebenes Wort zu verbluten und zum Dank dafür ringsum verrat
zu ernten. Ja den alten Nibelungentod sind viele Söhne der
deutschen Ostmark gestorben, wir jubelten dem Flieger zu, denn
er erschien uns als Vorzeichen großer Geschehnisse. Da surrte und
summte es vom Feinde her. Acht italienische Kampfflieger um-
zingelten die Taube. Ringsum blinkten auf den breiten Tragflächen
die Farben grün-weiß-rot. Da setzten oben die Maschinengewehre
ein. Ls war ein kurzes abgehacktes Geknatter. Mit einem Male
stürzt sich die Taube auf einen Italiener — der Hammer des Ma-
schinengewehres schlägt. Aus dem feindlichen Flugzeug werden aus
irgendwelchen Vorrichtungen von den Insassen Schüsse abgegeben,
die weiße Sprengballen in der Luft bilden. . . Dann flammt es
empor . . . Der Rumpf des Italieners trennt sich von den Trag-
flächen . . . stürzt explodierend . . . eine weiße Stichflamme hinter
sich lassend, in die Tiefe. Lin berauschender Taumel durchzuckt unser
Eine alte Mörserbatterie
279
Lsirn. Mir schreien und jubeln. Die Tragflächen flattern langsam
zur Erde. Auch sie haben Feuer gefangen und lassen auf ihrem
weg eine große dunkle Wolke zurück. Die Taube aber stürzt senk-
recht einige hundert Meter in die Tiefe, fängt sich in kunstvollem
Schraubenflug und eilt gegen Triest. Bald ist sie hinter der Her-
mada verschwunden . . . Auf einmal bedeckt sich der blaue bsimmel
mit einer Unzahl weißer Schrapnellwolken. Die Italiener ändern
den Rurs und fliegen nach Dause.
Am gleichen Tag langten geheime Befehle mit noch offenen
Schußzeiten ein. Mein Herz schlägt höher beim Studium des groß-
artig durchdachten Feuerregens. Das Wetter wird trüb und reg-
nerisch. In der Batterie ist alles feierlich gestimmt. Es soll ja
die zwölfte Schlacht werden, die erste Angriffsschlacht von uns nach
elf vom Feinde verlorenen. Da kommt der Tag. Wolkenfetzen treibt
ein kalter wind ins Breftovicatal. Grau ist der Himmel und es
beginnt leise zur Erde zu rieseln. Mit einem Male setzt das Ver-
nichtungsfeuer unserer Batterien ein. <£s hobelt, gröhlt und stampft
in der Luft. In fieberndem Jauchzen quirlen die leichten Granaten
kläffend hinüber. Dumpf dröhnen die Minen. In Rauch verhüllt sich
das Land. Der Gegner schweigt. Ich stehe mit der Uhr in der
Hand in der Batterie. Mein Hauptmann sitzt im Beobachtungs-
stand. Unsere Mörser lauern auf ihre Minute. Da brummen große
italienische Lapronigeschwader herbei. Umtaumelt von den Spreng-
wolken unseres Abwehrfeuers. 30 bis ^0 sind es, oder noch mehr.
Schwere, riesengroße Apparate, wir schauen nicht viel auf sie.
wir decken heute die Geschütze nicht zu. Es fehlen noch drei Se-
kunden. ^Zetzt! „Erstes Ziel", kommandiere ich. Alle drei Mörser
brüllen los und jetzt beginnt ein fieberhaftes Arbeiten in der
Stellung, wortlos ringen die Männer mit dem schwer handbaren
> Geschütz. Raum eine Minute vergeht von Schuß zu Schuß, wir
laden nur Ekrasit. Unser Ziel ist die Sackstellung. Die Schüsse
verschütten punktweise die Stellung. Dann fordert die Uhr die Än-
derung des Zieles. „Ziel 2!" Es gilt dem Drahtverhau an einer
zum Sturm bestimmten Stelle. Die Bombenflieger sind gerade über
uns. Da raschelt es oben, zischt und tobt. Bombe fällt aus Bombe,
rings um unsere Doline. Einschlag auf Einschlag, der wind jagt
schwere, schwarze Sprengwolken über die Doline hinweg, so daß
der Himmel sich zeitweise verfinstert. Rein Ranonier zuckt mit der
Wimper. Jeder arbeitet nur noch schneller. Es regnet hülsen
und Sprengstücke surrend und singend herab, unsere eigenen hoch
in der Luft explodierten Abwehrgeschosse. Jetzt erwacht die feind-
liche Artillerie. Fesselballone steigen längs der ganzen Front zur
Höhe. Sie sehen uns ein, doch ich habe nur auf meine Tabelle
und auf meine Uhr in der Hand zu achten. Jetzt schießt unsere
Artillerie eine Feuerrolle, dann folgt Gas, dann wieder Ekrasit.
Eine mittlere feindliche Batterie will uns auf's Rorn nehmen.
280
Neuwirth
Doch ihr Einfallswinkel ist zu klein. Vor und hinter uns schlägt es
ein. Steine splittern über unsere Doline hinweg. Der Gegner hat
uns in der Gabel. Aber immer ärger wird der Höllenlärm der
Geschütze, wie Wellen einer ungeheuren Sturmflut dröhnt es von
Görz und Flitsch herüber zum Meer. „Ziel 5!" Es sind dieSammel-
räume des Leindes, die nur der steile Bogenschuß wirksam erreichen
kann. Das feindliche Feuer ist unsicherer wie sonst, es tastet hastig
hin und her. Manchmal knarrt eine Maschinengewehrkette vorbei.
Eigene Flieger kommen und so geht es fort bis in die Abendstunden.
Günstige Nachrichten durchschwirren die Telephone. Firnumglänzt
leuchten in der wilden Abendsonne, die auf eine Viertelstunde durch
die Wolken bricht, die Alpen zu uns aus der Ferne. Grüße der
Heimat! wir wissen schon, daß die feindliche Linie durchbrochen
ist. Die Dämmerung beginnt. Unsere Infanterie verläßt die
Gräben. Rein Schuß fällt feindwärts. Langsam tasten sich die
Patrouillen vorwärts, wir erkennen ihren Standpunkt nach dem
Abschuß ihrer weißen Leuchtraketen. Unheimlich hämmern lange
Salven unserer Maschinengewehre. Über 2$ leuchten Schrapnells
empor und glitzern Hunderte silberner Lichtkugeln herab. Ringsum
dröhnt es in der Nacht wie von ungeheuren Explosionen. Taghelle
wechselt mit jäher Finsternis, dann ist wieder der ganze Fimmel
in ein feuriges rotes Meer verwandelt. Es macht den Eindruck,
wie wenn ein Riesenvulkan seine rotglühenden Lavaströme entsende,
wir stehen alle vor unserer Doline. Auf der 'Straße marschiert,
dichtgedrängt, Infanterie in endlosem Zug. Zwei oder drei schwere
Schüsse des Feindes fallen ins Vorgelände. Ls sind die letzten, wir
aber können uns nicht satt sehen und trennen von dem überwäl-
tigenden Eindruck der Nacht. Die Feldbatterie hinter uns hat bereits
aufgeprotzt und ist eben im Begriff abzufahren, wir haben Befehl
erhalten, in der Stellung zu bleiben. Unsere Geschütze sind aus-
geschossen. Sie haben ihre Pflicht getan. Den nächsten Morgen
regnet es. Immer wandern die Kolonnen dem Tiefland zu, so
weit das Auge den weg verfolgen kann. Aus der Tiefebene er-
heben sich mächtige, schwarze Rauchsäulen. Lin Rauchgürtel um-
säumt den Horizont. Ich selbst eile mit einer Patrouille zu un-
seren Zielen, um unsere eigene Feuerwirkung zu sehen, wir können
es noch immer nicht fassen, daß wir uns jetzt so frei auf dem
uns so bekannten Gelände bewegen dürfen, in dem wir monatelang
nur von Deckung zu Deckung geeilt, wir haben die Sackstellung
erreicht. Sie ist tatsächlich eingehämmert. Die Besatzung liegt im
Schutt ihrer Steinriegel begraben. Da und dort stehen Gliedmaßen
und Rümpfe hervor, Infanteriemunition kugelt herum, Hand-
granaten in allerlei Formen, Briefe und Photographien im wirren
Durcheinander zwischen Leichen und Schlamm, weiter oben am
Plateau ist die Schützenlinie in jäher Panik verlassen worden. Alles,
Gewehre, Feldflaschen, Decken, Mützen, Schuhe, hat die Mann-
Line alte Mörserbatterie ZZI
schaft zurückgelassen und war gelaufen, was sie nur lausen konnte.
Überall Überfluß an Lebensmitteln und Material, die Lebensmittel
meist bereits ungenießbar, vom Regen zerweicht oder mit Gl und
Benzin übergössen. Ich mußte an den Hunger meiner guten Ka-
noniere denken, als ich den Überfluß der Feinde sah. hinter der
feindlichen Stellung lag ein österreichischer Soldat. Lin frischer
Toter? wir gehen näher hinzu. Nein. Der Stahlhelm sitzt auf
einem gebleichten Totenschädel, die weißen Rippen sehen aus der
zerfetzten Bluse, die Bauchgrube ist ganz eingefallen, die Füße ver-
trocknet, nur die Wickelgamaschen haben noch die alte Form ge-
halten. Seine verkrampften Knochenfinger umklammern das Ge-
wehr. wir stehen in ehrfürchtiger Trauer vor der Leiche, eine der
vielen; seit den Kämpfen der elften Schlacht mußte der Mann hier
liegen. Der Feind hatte ihm die Ruhe des Grabes nicht gegönnt.
Als die Griechen nach ihrem Sieg über die Perser wieder zu
den Termoxylen kamen, konnten sie von dem Opfer ihrer Brüder
dem Vaterlands begeisterte Kunde geben.
Auch wir hofften, aus jenem großen Krieg, in dem wir Sieg
auf Sieg errungen, unserer Heimat berichten zu können von den
Isonzoschlachten der alten und so schönen österreichischen Armee.
Als uns aber nach der letzten piaveschlacht auf unserem Heim-
weg beim Isonzo kroatische Maschinengewehre erwarteten, da wußten
.wir erst, daß wir keine Heimat mehr hatten. Tschechische Legionäre
und' sozialistische Agenten verhetzten die Mannschaft und betrogen
um Lhre und Sieg kehrten wir heim.
Vom stillen Heldentum eines Volkes.
Von Oberstleutnant d. R. Rudolf Pfersmann von Eichthal,
damals k. u. k. Major und Generalstabschef der Tiroler Landesverteidigung. *)
/Eiserne Notwendigkeit zwang die österreichisch-ungarische Heeresleitung August J9^
den letzten Mann und die letzte Patrone zur Entscheidung in Galizien und
Serbien heranzuziehen.
Gleich den übrigen Grenzgebieten der Monarchie mußten daher auch die an
das Königreich Italien stoßenden Provinzen (Tirol, Kärnten, Krain, Küstenland)
fast völlig schutzlos gelassen werden, trotzdem schon wenige Tage nach Kriegsaus-
bruch unzweifelhafte Anzeichen vorlagen, daß Italien die Verlegenheit des Bundes-
genossen auszunützen beabsichtige, um sich in den Besitz der heißersehnten „Unerlösten
Gebiete" zu setzen.
Einem in der Schnelligkeit aufgestellten „Kommando General der Kavallerie
Rohr" wurde die Aufgabe übertragen, mit Hilfe der wenigen an der Südwestgrenze
stehenden Landsturmbataillone eine Grenzverteidigung gegen Italien zu organisieren.
Das Kommando Rohr tat alles Menschenmögliche, um seiner Aufgabe gerecht
zu werden. Aber sie war schlechthin unerfüllbar. Aus nichts ist eben nichts zu
machen. Ohne Offiziere, Mannschaften und Pferde, ohne Gewehre, Kanonen und
Munition, ohne das Tausenderlei, dessen eine moderne Armee bedarf, ist heutzutage
eine Verteidigung nicht aus dem Boden zu stampfen. Gegen die unaufhörlichen
Hilferufe des Kommandos Rohr aber blieb die österreichisch-ungarische Heeresleitung
taub, solange Italien nicht tatsächlich losschlug. Denn auf den wirklichen Kriegs-
schauplätzen (Galizien und Serbien) stand die Sache schlecht.
In dieser mehr als kritischen Lage — jede Nacht konnte den Einbruch der
italienischen Armeen in die unverteidigten Grenzgebiete bringen — schritt das
Kommando der Tiroler Landesverteidigung in Innsbruck (Feld-
marschalleutnant von Können-HorLk) zur Selbsthilfe.
Ohne weiter auf Unterstützung von oben zu rechnen, organisierte es schon in
den kritischen Augusttagen ganz nach den althistorischen Mustern des Maxi-
milianischen „Elfjährigen Landlibells" und Andreas Hofers Erhebung von anno
Neun ein „Tiroler Volksaufgebot". Jeder Tiroler und Vorarlberger, Mann, Weib
und Kind, sollte, wenn der Alarmruf erscholl, seine ererbte Waffe ergreifen und sich
dem eindringenden Welschen entgegenwerfen.
Da Italien aber damals seine „große Stunde", in der es die heißbegehrten
Grenzgebiete fast kampflos hätte erringen können, ungenützt ließ, fand die Tiroler
Landesverteidigung Zeit zu immer größerer Entfaltung.
Im Laufe des winters *9 ^/*5 organisierte sie zunächst aus den verschieden-
artigsten Hinterlandsformationen mit Hilfe von zusammengebettelten Gewehren
verschiedener Modelle, Monturen und ausrangierten Salutgeschützen eine Anzahl von
Landsturmbataillonen und Batterien letzten Aufgebotes und schweißte sie zu einem
fragwürdigen „Tiroler-Korps" zusammen. Es war eine Sisyphusarbeit. Denn
jedesmal, wenn das Korps halbwegs verwendbar dastand, riß die Heeresleitung in
höchster Not die neugeschaffenen „Truppen" dieses Korps dem Tiroler Komman- l
l) Aus des Verfassers noch ungedrucktem Werke „Die Tiroler Landesverteidigung
im Weltkriege".
Dom stillen Heldentum eines Volkes
283
danken aus der Hand und warf sie auf irgend einen der Kriegsschauplätze, wo es
eben gerade am gefährlichsten stand.
So war die Sache also nicht zu machen!
Mit aller Kraft warf sich das Innsbrucker Kommando nunmehr auf die
Organisation der „TirolerStandschützen", einer althistorischen Einrichtung aus der Zeit
des Dreißigjährigen Krieges (Zuzugsordnung der Erzherzogin Claudia von \632).
Auf einem ganz allgemein gehaltenen Gesetz von *9J3 fußend, das die Tiroler
„Schießstände" als landsturmpflichtige Körperschaften erklärte, wurden nunmehr alle
Tiroler und Vorarlberger Standschützen zuerst in Züge, dann in Kompagnien und
Bataillone zusammengefaßt, mit Waffen, Munition und Trains, im letzten Augen-
blicke sogar auch mit Soldatenuniformen versehen und auf diese weise aus ihnen
eine Art Bauernmiliz gemacht.
Unsäglich waren die Schwierigkeiten, die sich diesem Werke entgegenstellten.
Jedes Gewehr, jede Patrone, jedes Uniformstück mußte buchstäblich erbettelt oder
mit List aus irgend einem der Hinterlanddepots ergattert werden, wer den Kal-
varienberg der Tiroler Landesverteidigung ganz kennen lernen will, der lese in dem
eingangs genannten Werke nach.
Auch vor den „Standschützen", diesem Letzten was die Tiroler Heimaterde
herzugeben hatte, machte die begehrliche Hand der Heeresleitung nicht Halt. Zwar
konnten die Standschützenformalionen nicht ohne weiteres auf ferne Kriegsschauplätze
gefahren werden, davor schützte sie das Gesetz. Dafür aber wurde aus ihnen den
Winter und das Frühjahr J9*5 über der letzte auch nur halbwegs wehrfähige Mann
unter dem Titel der berüchtigten „Musterungen" herausgepreßt.
Der kritische Mai *9*5 fand daher Tirol bis zum Weißbluten ausgesogen und
buchstäblich jedes wehrhaften Mannes bar. Das Letzte aber was das arme Land
an Männlichkeit noch hatte, Greise und Kinder, Untaugliche und Invalide, harrte,
in Bataillone und 23 selbständige Kompagnien formiert, in seinen heimatlichen
Behausungen auf den Ruf des Kaisers.
Das nachfolgende Schlußkapitel schildert die Alarmierung dieses erschütternden
„Letzten Aufgebotes" und dessen Einrücken in die mit unsäglichen Opfern im
Laufe des winters selbstgeschaffenen Gräben der „Tiroler Widerstandslinie".
ijc
*
wie das geräuschlose Ablaufen eines Präzisionswerkes, wie ein
sorgfältig eingelerntes Musikstück, eine gut inszenierte Theatervor-
stellung spielte sich nun die Aufbietung des Tiroler Heerbanns ab.
Noch am Nachmittag des f8. Mai drang die Runde von dem
kaiserlichen Alarmbefehl hinaus zu allen Abschnitts- und Unter-
abschnittskommandos. Diese verständigten durch den Draht die Führer
der Standschützen-Bataillone, diese wieder ihre Rompagnien, die Rom-
pagnien ihre Zugskommandanten. Das schwierigste war nun die
Verständigung der einzelnen Schützen, der 40 000 Mann, die zer-
streut im ganzen Lande, in Städten, Märkten, Dörfern, Weilern,
einzelnen Gehöften, in weltabgeschiedenen Tälern, aus schwer zu-
gänglichen Berghängen und Jochen hausten. Leicht war es in den
geschlossenen Ortschaften, die Leute zusammenzutrommeln. Fuhr-
werke, Reiter, Radfahrer jagten nach einem genau vorgesehenen
Plan von Dorf zu Dorf, Boten mit Laufzetteln gingen von Paus
zu paus, ganz wie zu pofer's Zeit, durch die Grtsgassen schmet-
terten die pörner das Alarmsignal. Schwerer hielt es schon, die
weitentlegenen, zerstreuten Gemeinden in den Pochtälern zu ver-
284
Pfersmann v. Eichthal
ständigen. Da gellten dann die Rirchenglocken, Sturm läutend,
von Turm zu Turm, Böllerschüsse dröhnten durch die stillen Täler,
die Schützen der einsamen Lsöfe zu den Waffen rufend. Und die
den Ruf der Glocken, das Dröhnen der Böller nicht hörten, die
sahen bei einbrechender Abenddämmerung des l.8. Mai 0*5 das
Glühen der Lsöhenfeuer, die das verabredete Signal für den Tiroler
Heerbann waren.
Wie sie es alle vernommen, jeder einzelne der treuen Tiroler
Schützen, wie die Runde von Berg zu Berg, Tal zu Tal, bsaus zu
bsaus flog, mit so verblüffender Schnelligkeit, einem Föhnstoß
gleich, der das Land überfällt, davon werden in späterer, besserer
Zeit einmal die kfeldenbücher erzählen. Genug daran, daß noch
in der Nacht zum ¡0- Mai HO OOO Standschützen wußten, daß der
alte Ruf an sie erging, wie anno 1(809:
„Jetzt ist's Zeit!"
Sogleich zogen die Schützen ihre neuen Uniformen, geschmückt
mit dem Tiroler Adler und dem Wappen Vorarlbergs, an, packten
fünftägigen Mundvorrat in den Rucksack, nahmen von Weib und
Rind, bsaus und Hof Abschied, schulterten das Gewehr und machten
sich auf den Weg zu ihren Schießständen.
Der 0. Mai, ein banger regenschwerer Föhntag, fand Tirol
und Vorarlberg als einen wimmelnden Ameisenhaufen. Zn allen
Grten, vom größten bis zum kleinsten, von Rufstein bis Ala, von
Feldkirch bis Lienz sammelten sich die Standschützen um die Gemeinde-
schießstände. Manche fröhlich, weinselig, manche, die ahnen mochten,
daß sie ihr heimatliches Tal zum letztenmal sahen, ernst und still.
Alle aber erfüllt von heiliger Begeisterung und verbissener Wut
gegen die verdammten „Wallischen", deren verrat all die Tausende
zwang, von Haus und Hof zu gehen, sich an die Grenze zu stellen.
Die Tage der Mobilisierung vom August 00 schienen wieder-
gekehrt. Nur waren die, die jetzt der Raiser rief, nicht mehr die
prachtvollen, jugendfrischen, kraftstrotzenden Gestalten wie damals.
Die lagen wohl meist schon unter dem galizischen Sand, der Rest
stürmte eben jetzt hinter den weichenden Russen her. Die hier zu
den Fahnen eilten, waren betagte Männer und bartlose Rnaben,
das Letzte was Tirol herzugeben hatte.
An diesem 0. Mai leerten sich die Däuser und Gehöfte des
Landes. Zurück blieben Weiber, hilflose Greise und kleine Rinder.
Die Mittelschulen schlossen sich, Professoren und Schüler traten ein-
trächtig nebeneinander in die Front der Standschützenzüge, die sich
an diesem Tage bei den Gemeindeschießständen formierten. Za, in
Mitteltirol, wo die (Organisation straffer, die Entfernungen kleiner
waren, in Meran, Bozen und Rlausen, in Brixen, Raltern und
St. Leonhard traten an diesem Tage sogar schon die Romxagnien
vom stillen Heldentum eines Volkes
285
zusammen. Sie waren die ersten, die aus die Bahn sollten und sie
mußten sich sputen.
Beim Korpskommando verlief dieser verhältnismäßig ruhig,
ruhiger als alle die Tage vorher. Auch draußen, bei den Kom-
mandos gab es keine Aufregung. Das Räderwerk schnurrte von
selbst ab, jedermann war sich klar, was er zu tun hatte, niemand
hatte Zweifel, niemand etwas zu fragen. Raum einmal läutete im
vormittag das Telephon, von Zeit zu Zeit rief der General-
stabschef die Subrayone an. „Wie steht's an der Grenze?" „Alles
ruhig, nichts rührt sich."
Die Unterbefehlshaber hatten, wenn auch der „Tiroler Alarm"
amtlich noch nicht anbefohlen war, aus eigenem Antrieb im stillen
alarmiert. Die Grenze war streng gesperrt, die Truppen bereit,
jeden Augenblick die Widerstandslinie zu besetzen.
Um ^ Uhr nachmittags telephonierte der Armeegeneralstabschef
von Wien: „Alarmbefehl noch heute zu erwarten. Generalleutnant
Kr afft v. Dellmensingen, bisher Generalstabschef der 6. deut-
schen Armee, jetzt Kommandeur des neugebildeten .Deutschen Alpen-
korps' nach Innsbruck unterwegs. Alpenkorps wird Korps Tirol
unterstellt."
Sofort wurde das kgl. bayerische Generalkommando München
angerufen. Ls war Tatsache. Lin deutsches Gebirgskorxs be-
stehend aus den besten Truppen der Westfront, auf dem Lechfelde
in Aufstellung begriffen, sollte demnächst nach Tirol rollen, General-
leutnant Kraft v. Dellmensingen mit Stab schon am 20. Mai in
Innsbruck eintreffen.
War das ^ine Freude! Die kühnsten Träume der Tiroler
Verteidiger waren übertroffen. Tirol erhielt nicht nur Verstär-
kungen, sondern noch dazu deutsche, kriegserprobte, kriegsbewährte
Truppen, Leute, die den Krieg in seiner schwersten Gestalt ge-
sehen, die selbst französischer Angriffslust gegenüber standgehalten.
Rollten die ersten deutschen Transporte in einigen Tagen heran,
dann war Tirol gerettet. So lange würden die braven Landstürmer
und Standschützen jedenfalls standhalten, besonders wenn sie wußten,
daß deutsche Verstärkungen im Anmarsch waren.
Der Abend verlief ruhig. Km 9 Khr 35 abends läutete der
Wiener Fernsprecher:
„Italienische Kriegserklärung soll in Stunden erfolgen.
Alarmgruppierung sofort annehmen."
Ohne jede Aufregung drückte der Generalstabschef auf den
Taster „Alarm". Die verabredeten und vorbereiteten Alarmdepeschen
„Präs. 4*000 durchführen. Lrster Tage Mai" schnurrten ab.
Line halbe Stunde später hatten die Unterbefehlshaber, in einer
weiteren halben Stunde sämtliche Abschnitte und Unterabschnitte den
Alarmbefehl in der pand. Sogleich wurden alle Truppen alar-
286
Pfersmanrt v. Lichthal
miert, noch in derselben Nacht rückten diejenigen, die nicht ohnedies
schon dort standen, in ihre Alarmstellungen ab. Die Widerstands-
linie wurde, so gut dies mit den paar Landsturm-Bataillonen möglich
war, besetzt, die Gewehre, Maschinengewehre und Geschütze geladen,
und gegen die Grenze gerichtet. In ähnlicher Weise spielte sich der
Alarm an der Kärntner- und Isonzofront ab. Österreich zeigte dem
verräterischen Bundesgenossen die Zähne. Gegen die drei arm-
seligen, selbstgeschaffenen Landsturm-Divisionen Tirols wendeten sich
rund \3, gegen die zwei Landsturm-Divisionen der Kärntner- und
Isonzofront \\ vorzüglich ausgerüstete und bewaffnete kgl. italienische
Divisionen erster Linie. Also die vier- bis fünffache, wenn man die
Qualität der Truppen und die Überlegenheit der Italiener an
Artillerie in Betracht zieht, die acht- bis zehnfache Übermacht!
Der Morgen des 20. Mai fand die Südwestfront schon bis an
die Zähne bewaffnet. Die italienischen Posten, die an diesem Morgen
über die Grenze schielten, sahen überall das Blitzen von Waffen,
von dem freundschaftlichen Verkehr der beiderseitigen Grenzposten
untereinander, wie er zu Kriegsbeginn üblich gewesen, war schon
lange keine Bede mehr. Schon in den letzten Monaten hatte sich
dieser Verkehr auf das Notwendigste beschränkt, in den letzten Tagen
aber, seit dem % Mai, hatte er ganz aufgehört, Heute wurde das
Verhältnis aber ganz ungemütlich. Steckte einer der Italiener nur
die Nasenspitze aus seiner „Tantoniera", so blitzten ihm österreichische
Gewehrläufe und blanke Bajonette entgegen.
Die Tiroler Widerstandslinie war an diesem Morgen, soweit
dies mit der geringen Truppenanzahl möglich war, notdürftig be-
setzt worden. Da die Unterbefehlshaber über Mangel an Truppen
klagten, um auch nur die wichtigsten Punkte vor Einlangen der
Standschützen ausreichend besetzen zu können, wurde aus der Tiroler
Hauptreserve das Marschbataillon x) des Landesschützen-Regiments 2
in den Subrayon II (Tonale), Marschbataillon des Infanterie-Regi-
ments 59 in den Subrayon V (pustertal) verschoben.
Subrayon II wuchs dadurch auf die Stärke von 21/2, Sub-
rayon V auf 6 Bataillone „Infanterie" an.
Die Marsch-, Landsturm- und Reserve-Kompagnien * 2) richteten
sich an diesem Tage so gut es ging in den Stellungen ein, bezogen
Unterstände und Baracken, suchten sich in den Gräben und Ka-
vernen zurechtzufinden. Jeder Kommandant, der eine vorbereitete
Stellung bezog, erhielt vom Abschnittsgenieoffizier einen genauen
Lageplan mit eingezeichneten Gräben, Hindernissen, Unterkünften,
*) „Marschbataillone" wurden in Österreich die jeweils mobilgemachten Teile
der Ersatzbataillone genannt, die sowohl als mobile Ersatzkörper, wie im Falle der
Not, auch als mobile Kampfeinheiten verwendet wurden.
2) „Re serv e-Kompagnien" (Reserve-Bataillone) waren ebenfalls durchwegs im-
provisierte Neuformationen.
vom stillen Heldentum eines Volkes
287
Verbindungen, mit Angabe der wichtigsten taktischen Einzelheiten,
der Fassungs-Abschubstationen usw. Diejenigen Offiziere, die der-
gleichen schon vom Dunajec und aus den Karpathen kannten, or-
ganisierten den Schützengrabendienst, stellten Beobachtungsposten
auf, bestimmten Bereitschaften und Reserven. Die Gewehrvormeister
lagen an den Maschinengewehrscharten, die Artilleriebeobachter
saßen am Fernrohr, die Bedienungen standen beim geladenen Geschütz.
Alles aber spähte gespannt in die Ferne, dorthin, wo jeden
Augenblick von der Grenze her das Langerwartete, Unheimliche, der
Schall des ersten Kanonenschusses erdröhnen konnte.
Aber alles blieb still. Nichts rührte sich.
Im Lande aber herrschte fieberhaftes Treiben. Alle Ort-
schaften, die vor oder zunächst der Widerstandslinie lagen, wurden
geräumt. Unter lautem Schreien und Jammern im welschen Landes-
teil, still und gefaßt in den deutschen Ortschaften, nahmen die Flücht-
linge von Haus und f}of Abschied. Auf hochbepackten Karren,
schwer dahinschwankenden Leiterwagen, in endlosen, trübseligen
Zügen strebten sie der Linladestation zu, wo bereits die Züge
unter Dampf standen, die sie in die Verbannung nach Gberöster-
reich oder Salzburg bringen sollten. Traurig blickten die heimat-
losen auf die verlassene Scholle zurück, laut wehklagend und jam-
mernd, wenn hinter ihnen ihr Haus in Flammen aufging oder der
geliebte Weinberg, der kostbare Olivengarten unter den Äxten der
Befestigungsarbeiter niederbrach. Gar mancher welsche Ehrenmann,
der damals von Haus und Hof mußte, mag es tief bereut haben,
daß er all die Jahre her die irredentistifchen Wühler, die diesen
Jammer mit verschuldet, nicht zum Teufel gejagt hatte. Zug um
Zug voll dieser Flüchtenden rollte vom Morgen dieses 20. Mai an,
im Sinne des vorbereiteten Räumungs- und Bergeplanes, nach dem
Norden über den Brenner.
Der Standschützenaufmarsch vollzog sich planmäßig. Die in der
Organisation vorausgeeilten Mitteltiroler formierten an diesem
Tage schon die Bataillone, ja die Bozner, Meraner, Klausener
und Brixener wurden am Nachmittag des 20. Mai bereits ein-
geladen und rollten nach Trient, wo sie der Divisionär des be-
sonders schwach besetzten Subrayons III schon sehnsüchtig erwartete.
Auch die zur Deckung des Aufmarsches bestimmten fünf Ba-
taillone (Kältern II, Auer, welschnofen, Kastelruth, Groden) for-
mierten sich an diesem Tage und marschierten in ihre Alarm-
stationen ab.
Der Rest der Mitteltiroler und sämtliche Nordtiroler Bataillone
bildeten an diesem Tage erst ihre Kompagnien, viele der Nord-
tiroler Kompagnien erhielten damals *) erst die deutschen Repetier-
*) Manche sogar erst während der Durchfahrt durch Innsbruck am 23., 24*
und 25. Mai!
288
pfersmann v. Eichthal
gewehre, die — trotz allen Drängens — erst jetzt allmählich in
Tirol eintrafen.
Dieser Tag war im Lande der bewegteste von allen. Ts ist
nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die Italiener (wie
es ursprünglich hieß) an diesem Tage, ohne Kriegserklärung an
einer oder mehreren Frontstellen mit geballter Kraft losgegangen
wären. Den dünnen Schleier der österreichischen Truppen durch-
brechend *), hätte ihr Stoß mitten in den Wirrwarr der Räumung
und des Standesschützenaufmarsches geführt und die ganze, mühsam
zusammengeklügelte, auf reibungsloses Arbeiten aller Beteiligten
aufgebaute Berechnung über den Haufen geworfen.
Aber Gott stand damals den (Österreichern sichtbar bei. Die
Italiener ließen sich Zeit und blieben untätig.
Beim Korxskommando war an diesem Tage viel Bewegung.
Für 2\. 21 lat war die Verlegung des Stabes nach Brixen an-
gesetzt. Alles packte.
Um 6 Uhr 20 nachmittags traf der Kommandeur des deutschen
Alpenkorxs, Generalleutnant Krafft v. Dellmensingen mit seinem
Generalstabschef Major Freiherrn v. willisen in Innsbruck ein und
meldete sich sogleich beim Kommandanten. Tine selbstbewußte,
energische Persönlichkeit mit klaren Augen, überschäumendem Tem-
perament, trat er den österreichischen Kameraden mit großer Herz-
lichkeit entgegen. Als begeisterter Hochtourist, Kenner und Schätzer
Tirols war er glücklich, gerade zur Verteidigung dieses Landes be-
rufen zu sein, dem er all die Jahre her die schönsten Urlaubstage,
verdankte.
Mit Feuereifer ließ er sich über die militärische Lage an der
Südwestfront unterrichten. Immer mehr staunend erhielt er Ein-
blick in Verhältnisse, die ihm als deutschem General und bisherigem
Armeestabschef der Westfront ganz unverständlich erschienen. Nach
der mustergültigen, mit allen Errungenschaften des modernen Krieges
ausgestatteten Kampffront von Arrasjkam ihm diese armselige, zu-
sammengestöppelte Organisation mit ihren selbstgeschaffenen Divi-
sionen, Brigaden, Marsch-, Reserve- und Landsturmbataillonen mit
russischen Maschinengewehr-Abteilungen, belgischen und chinesischen
Geschützen, alten Karthaunen M. 6s, österreichischen, deutschen und
mexikanischen Gewehren und bewaffneten Bauernhaufen höchst
sonderbar vor. Daß man mit wohlgeordneten Verbänden das
Äußerste zu leisten hatte, das war er gewöhnt. Daß man aber ein
Land vom ersten Kriegstage an schutzlos preisgeben konnte und es
einem armseligen Hinterlandskommando vertrauensvoll überließ,
das Land mit mühsam zusammengetrommelten Milizen gegen die
Armeen einer wohlgerüsteten Großmacht zu verteidigen, das wollte
') Es kam damals in Tirol ein Gewehr auf rund 20 m der lviderstandslinie.
In Lärnten und am Jfonzo war das Verhältnis noch weit ungünstiger.
vom stillen Heldentum eines Volkes
289
ihm nicht einleuchten. Er kannte eben österreichische Ver-
hältnisse nicht. Rückhaltslos äußerte er immer wieder sein Er-
staunen und seine Bewunderung für diese Leistung. „Exzellenz sind
ja der zweite Andreas Hofer", sagte er einmal zum Kommandanten.
„Die Geschichte wird einmal die Leistungen der Ti-
roler in diesem Heldenkampfe würdigen. Und für Ex-
zellenz wird die Anerkennung Seiner Majestät sicherlich nicht aus-
bleiben.^
Über das „Deutsche Alpenkorps" teilte er mit: Eigentlich eine
starke Division, bestehend aus 2 Brigaden, \3 auserlesenen Iäger-
und Schneeschuh - Bataillonen, 2\ Maschinengewehr - Abteilungen,
2 Kanonen-, 2 Haubitz-, 2 schweren, 3 Gebirgsbatterien und den
nötigen Anstalten. Alles auserlesene, kriegserprobte Truppen.
Der erste Staffel sollte schon am 23. Mai in Tirol anrollen.
Das war sehr erfreulich. Mit den bodenständigen Kräften und
diesem „Alpenkorps" war Tirol unüberwindlich, wir getrauten
uns, damit das Land gegen jeden Ansturm zu halten. Sogleich
wurde in großen Zügen durchgesprochen, was mit dem deutschen
Alpenkorps zu geschehen habe: vorläufige Absicht des Kommandanten
war, nach Maßgabe des Eintreffens der deutschen Truppen die bis-
herige Tiroler Hauptreserve, die HO. Division, zur Verstärkung
der Subrayone aufzuteilen. Das Alpenkorps sollte sodann im
Raume Bozen-Brixen-Bruneck aufmarschieren und die neue Haupt-
reserve für Tirol bilden.
Generalleutnant v. Krafft war mit dieser Absicht voll einver-
standen und bat, auf strenge Weisungen der Deutschen Obersten
Heeresleitung und des deutschen Kaisers hinweisend, von allem
Anfang an jede Verzettelung des Alpenkorps zu vermeiden, es viel-
, mehr unbedingt nur zu „einheitlicher Aktion" anzusetzen.
Da dies ganz in den Gperationsplan des Landesverteidigungs-
kommandos paßte, konnte edihm ohne weiteres zugestanden werden.
Der schicksalsschwere 2\. Mai brach an. An diesem Tage hielt
es das Wiener Kabinett unter dem Eindruck der Vorgänge in
Italien für an der Zeit, das Stillschweigen, das seit dem \0.
zwischen Wien und Rom lag, endlich zu brechen und dem früheren
Bundesgenossen ordentlich „die Meinung zu sagen". Warum dies
zu einem Zeitpunkt geschah, da alles darauf ankam, die Italiener
nur noch wenige Tage hinzuhalten, bis der Aufmarsch im Süd-
westen beendet war und doch wenigstens die ersten Staffel der von
den anderen Kriegsschauplätzen heranrollenden Truppen an der
neuen Front eingetroffen waren, ist nicht bekannt, vielleicht schien
es geboten, den Italienern noch vor dem 25. Mai, dem äußersten
Zeitpunkt, zu dem das Königreich laut Bundesvertrag loszuschlagen
hatte, die formelle Antwort auf die Kündigung des Dreibundver-
K e r ch n a w e, Im Felde unbesiegt. UI. 19
290
Pfersmann v. Lichthai
träges zu erteilen und sie damit vor der neutralen Welt ausdrücklich
ins Unrecht zu setzen, vielleicht schätzte Lonrad die ewig zaudern-
den Italiener schon damals richtig ein. Das Tiroler Kommando
allerdings hätte es lieber gesehen, wenn diese Note nicht über-
reicht worden wäre, denn es stand zu befürchten, daß sie die ita-
lienische Kriegserklärung vorzeitig herausfordern könnte, bevor der
Aufmarsch beendet war. Niemand dachte anders, als daß Italien
auf diese Note hin sogleich die Grenze überschreiten würde, hinter
der, nur durch einen dünnen Schleier von Beobachtungsxosten ge-
sichert, sich eben die allerersten Kompagnien der Bauernmiliz an-
schickten in ihre Alarmstellungen zu eilen, während das Gros dieser
Milizen noch vollzählig nördlich des Brenners stand. Aber wie un-
richtig schätzte man den neuen Gegner damals ein!
Der 2\. Mai, wieder ein Föhntag mit stechender Sonne und
Gewitterwolken, verlief vollkommen ungestört und programmäßig.
Aufmarsch und Räumung spielten sich unter dem Schutze der Grenz-
besatzungen in aller Ruhe ab. <£§ trat nicht der geringste Zwischen-
fall ein. Die fünf ersten Mitteltiroler Standschützenbataillone
waren im Laufe der Nacht in Trient eingetroffen und wurden durch
das mit Recht etwas besorgte 9k- Divisionskommando sogleich weiter
gegen die Widerstandslinie verschoben, dort ausgeladen und
traten noch an diesem Tag den Marsch in die vordersten Linien
an. Am Abend des 2\. Mai waren die bedürftigsten Abschnitte
dieses Subrayons bereits durch 3000 Standschützengewehre verstärkt.
Die übrigen fünf Mitteltiroler Bataillone wurden an diesem
Tage verladen und rollten nach Trient.
Die Nordtiroler Standschützen formierten sich zu Bataillonen
und rückten in die Linladestationen ab.
Unvergeßlich wird wohl jedem, der den Ausmarsch mit an-
gesehen, der Anblick dieser Bataillone sein. Ts war kein Aus-
marsch mit Musik, Volksauflauf und Jubel, mit Fahnen, Blumen
und Tücherschwenken, wie einst im August WI- Der aufflammende
Optimismus von damals war verflogen, jedermann in Tirol hatte
das Gefühl, daß das, was hier zum Bahnhof zog, des Landes
Äußerstes, Allerletztes war. von ferne glich das Bild der mar-
schierenden Standschützen wohl dem einer Truppe: hechtgraue Mon-
turen, Rucksäcke, geschulterte Gewehre, hochbepackte Trainfuhrwerke.
Aber beim Näherkommen gewahrte man den Unterschied: voran
schritt ein langbärtiger Standschützenmajor, von Zivilberuf Gast-
wirt, Fleischhauer oder dgl., den krummen Säbel von f809 in der
schwieligen Faust, hinter ihm in langsamem, feierlichem, dröhnendem
Schritt lange Reihen hochbetagter Männer mit weißen und grauen
Bärten und ernsten, zerfurchten Gesichtern, zu denen die kecke öster-
reichische Soldatenmütze so gar nicht recht passen wollte. Tief
beugten sich die Rücken unter den vollbepackten Rucksäcken, hinter
Vom stillen Heldentum eines Volkes
291
den Alten kamen unmittelbar die Jungen: wieder keine kraftvollen
Soldatenfiguren, sondern junge Burschen, kaum der Schule ent-
wachsen, mit ihren bartlosen Milchgesichtern in seltsamem Gegensatz
gegen die Alten an der Spitze. Und ganz zuletzt die Kinder. Es
gingen viele mit, die noch nicht Jahre alt waren, die nicht
daheim bleiben mochten, als der Kaiser rief gegen die „Wallischen",
die den Großvater, der mit den Standschützen auszog, nicht allein
gehen lassen wollten. Die langen Blusenärmel fielen ihnen über
die Lsände, die viel zu großen Mützen über die Ähren, der lange
Schießprügel war oft größer, als der ganze Kerl. Auch sie zogen
schweigend dahin, mühsam mit den Älteren vorne schritthaltend.
Defregger's „letztes Aufgebot", in die Jetztzeit übertragen! So
zogen die Tiroler aus Kufstein, Schwaz, Rattenberg, Kitzbühel,
Silz, Imst, Reutte und Innsbruck, die Vorarlberger aus Bezau,
Bludenz, Dornbirn, Bregenz, Rankweil und Feldkirch an diesem
Tage aus, ihr Land zu schützen, gegen den verhaßten Erbfeind.
Gar mancher von all den wackeren Schützen sah die lheimat
nicht wieder, viele deckte wenige Wochen später der grüne Rasen
von Lafraun oder die Schutthalden der Dolomiten. Während
der Vater längst schon in den Karpathen moderte, legten sich der
Großvater und Enkel einträchtig in Tirol zur Ruhe, drei Ge-
nerationen gefallen für ein Ideal, das nicht lange darauf unter-
gehen sollte in den Stürmen des allgemeinen Umsturzes. —
An diesem 2\. Mai, U Uhr vormittags, fuhren in der Erler-
straße in Innsbruck die Kraftwagen vor, die den Korpsstab nach dem
Süden führen sollten. Kurz darauf sausten sie, Feldmarschalleutnant
v. Können-^orük mit Generalleutnant v. Kr afft im vorder-
sten Wagen, auf den Brennerserpentinen der ungewissen Zukunft zu.
Um 2 Uhr nachmittags richtete sich der Korpsstab im Lsotel
, Tirol in Brixen ein, wo bereits die Hughes- und Telephonapparate,
sowie die ganze sonstige Einrichtung vorbereitet waren. Gleich nach
dem Eintreffen sprach der Generalstabschef mit den fünf Subrayon-
befehlshabern. Alle meldeten vollste Ruhe. Nur Tonale fügte bei:
„Auf paffo paradiso steigt eine Alpinikompagnie auf."
Die Ruhe war allen unerklärlich. Mehr noch, sie war geradezu
unheimlich!
Auch der 22. Mai brachte nicht die geringsten Überraschungen.
In dem Südtiroler Aufmarsch bedeutet er den entscheidenden
Wendepunkt.
Als es an diesem Tage Abend wurde und der Draht aus
den fünf Subrayonen wieder „vollste Ruhe" meldete, konnten
die Tiroler Führer zum erstenmal wirklich aufatmen.
Sämtliche zehn Mitteltiroler Standschützen-Bataillone, die in
den Subrayon III (Trient) geleitet worden waren, standen an
diesem Abend bereits an Ort und Stelle.
19*
292
pfersmann v. Lichthal
Rund ^ 000 Gewehre (ungerechnet die lokalen italienischen
Standschützen!) hatte die Grenzverteidigung seit dem Rlai ge-
wonnen. wohlgezählte s^OOO Rexetiergewehre hatten die Ita-
liener heute mehr gegen sich, als drei Tage früher. Ls kam nun
doch durchschnittlich auf 1,0 m Schützengraben ein Gewehr. Be-
sonders bedrohte Abschnitte (Iudicarien, Riva, Ltschtal, Hochflächen
von Lafraun und Vielgereuth, Therz, Kreuzberg) waren sogar schon
halbwegs ausreichend besetzt, Pier kam durchschnittlich schon auf
2—3 m im Schützengraben ein Gewehr, eine Besetzung, die doch
nicht mehr ohne weiteres zu überrennen war!
Auch die Nordtiroler, infolge der großen Entfernungen lang-
samer mobilisierend als ihre Mitteltiroler Kameraden, setzten sich
vom 22. Rlai an in Bewegung. Am Abend dieses Tages fuhr
das vorderste Nordtiroler Standschützenbataillon (Imst) über den
Brenner. In den Waggons versuchten harte Tiroler Bauernfäuste
zum erstenmal den ungewohnten Drehverschluß der erst bei der
Durchfahrt durch Innsbruck ausgegebenen deutschen Mausergewehre.
So gelang auch noch diese Umbewaffnung, einer der wichtigsten
Punkte des Tiroler Verteidigungswerkes.
Beruhigt konnten sich die Tiroler Führer an jenem 22. Mai
abends schlafen legen!
Auch der schicksalsschwere 23. Mai $^5 (Pfingstsonntag) verlief
vollständig planmäßig und ungestört. An diesem Tage rollten sämt-
liche Nordtiroler Standschützen-Bataillone über den Brenner, ihren
Aufmarschstationen im Zentralraume zu.
Mit dem Eintreffen des letzten der ^0000 Standschützen auf
Südtiroler Boden war auch der letzte Punkt des Tiroler Ver-
teidigungswerkes erfüllt. Nicht ein Pünktchen fehlte daran.
Zufrieden überschauten Kommandant und Generalstabschef an
diesem vormittag ihr Werk: Sie hatten Tirol vor mehr als neun
Monaten schutzlos übernommen, ohne geschlossene Befestigungen,
ohne Truppen, ohne die geringste Verteidigungsorganisation.
peute standen in 330 Irin langer, fast lückenloser Felsenstellung
rund 70 000 buchstäblich aus dem Boden gestampfte, wohlaus-
gerüstete und bewaffnete, von bestem Geiste beseelte Verteidiger,
darauf brennend, dem Erbfeinde, wenn er kam, einen üblen Emp-
fang zu bereiten. Daß in den 70000 Soldatenmonturen nicht
5000 wirkliche Soldaten steckten, wußten die Feinde glücklicher-
weise nicht.
Drei viertel eines schweren Kriegsjahres waren zu Ende.
Die Tiroler Führer hatten Aufregungen und Nervenanspan-
nungen zu überwinden, harte, anscheinend aussichtslose Arbeit zu
leisten, die Zähne zusammenzubeißen gehabt, wie kaum irgendwer
in diesem Kriegsjahre. Aber sie hatten alles gerne ertragen, gerne
getan, weil es galt, das in sie gesetzte vertrauen zu rechtfertigen.
vom stillen Heldentum eines Volkes
293
dem Reich sein schönstes Kronland zu retten und weil sie im stillen
immer hofften, das Land, dessen Rüstung sie geschaffen, später auch
gegen den Ansturm der Feinde verteidigen zu können.
Gottes Hand war sichtbar mit ihnen gewesen. Das Soldaten-
glück — jedes Führers höchste und wichtigste Gabe — war ihnen
vom ersten Augenblick an bis zum letzten treu geblieben. Ls hatte
Tirol einen zaudernden, untätigen Feind gegenübergestellt, der alle
seine Möglichkeiten ungenützt ließ, der es nicht überfiel, als es schutzlos,
nicht überfiel als es noch schwach, und nicht überfiel als es noch
nicht fertig gerüstet war; der geduldig wartete, bis die Rüstungen
Punkt für Punkt durchgeführt, der letzte verfügbare Mann, das letzte
Gewehr und die letzte Patrone an Grt und Stelle waren.
Daß des Kommandanten kühnste Hoffnung, den Befehl über
Tirol im Kampfe selbst zu führen, nun nicht in Erfüllung gegangen,
schmerzte ihn nicht. Nunmehr in Galizien siegreich, in der Lage,
stärkere Kräfte nach dem Süden abzugeben, hatte die Heeresleitung
Italien gegenüber offenbar große Dinge vor, brauchte in Tirol
ein Armeekommando, das Feldmarschalleutnant v. Können-HorLk
nach österreichischen Gepflogenheiten nicht führen konnte. Neidlos
legte er sein Werk in die Hand des Nachfolgers, General der
Kavallerie von Dankl.
Am gleichen Tage 3 Uhr 30 nachmittags wurde in Wien
folgende Note überreicht:
„Den Befehlen Seiner Majestät des Königs, seines erhabenen
Herrschers entsprechend, hat der unterzeichnete kgl. italienische Bot-
schafter die Ehre, Seiner Exzellenz dem Herrn österreich-ungarischen
Minister des Äußeren folgende Mitteilung zu übergeben:
, An: % ds. Mts. wurden der k. u. k. Regierung die schwer-
wiegenden Gründe bekannt gegeben, weshalb Italien, im ver-
trauen auf sein gutes Recht, seinen Bündnisvertrag mit Österreich-*
Ungarn, der von der k. u. k. Regierung verletzt worden war, für
nichtig und von nun an wirkungslos erklärt und seine volle Hand-
lungsfreiheit in dieser Einsicht wieder erlangt hat. Fest entschlossen,
mit allen Mitteln über die sie verfügt, für die Wahrung der ita-
lienischen Rechte und Interessen Sorge zu tragen, kann die kgl.
Regierung sich nicht ihrer Pflicht entziehen, gegen jede gegenwärtige
und zukünftige Bedrohung zum Zwecke der Erfüllung der nationalen
Aspirationen jene Maßnahmen zu ergreifen, die ihr die Ereignisse
auferlegen. Seine Majestät der König erklärt, daß er sich von
morgen ab als im Kriegszustände mit Österreich-Ungarn befindlich
betrachtet.
Der Unterzeichnete hat die Ehre, Seiner Exzellenz dem Herrn
Minister des Äußeren gleichzeitig mitzuteilen, daß heute noch dem
k. u. k. Botschafter in Rom die Pässe werden zur Verfügung ge-
294
pfersmcmn v. Eichthal
stellt werden und er wäre Seiner Exzellenz dankbar, wenn ihm
die seinen übermittelt würden."
Am selben Nachmittage noch verfügte ein Befehl des k. u. k.
Armeeoberkommandos den Eintritt des Kriegszustandes mit Italien.
Der Krieg hatte begonnen.
* *
*
Der Harnisch, den Tirol sich mit so großen Opfern im Laufe von neun Sor-
genmonaten aus eigener Kraft geschmiedet, bestand seine Feuerprobe in den folgen-
den Wochen glänzend, während das Deutsche Alpenkorps und die übrigen Ver-
stärkungen noch aus der Ferne heranrollten, hielten die Tiroler und Vorarlberger
Standschützen in den vom Stilfserjoch bis an die Kärntner Grenze reichenden Fels-
und Schneegräben treue wacht. Wo die ersten Alpinipatrouillen in den Tagen nach
dem 23. Mai über die Grenze vorfühlten, stießen sie auf hechtgraue Gestalten, pfiff
ihnen totsicheres Tirolerblei entgegen, wo es — ausnahmsweise einmal — zum
Handgemenge kam, wehrten sich die Großväter samt den Enkeln wie die Rasenden.
Lebendig fiel keiner den „Wallischen" in die Hände.
war es zu verwundern, wenn die Italiener auf den großangelegten Theater-
coup hereinfielen? wenn die italienische Heeresleitung allmählich den Eindruck
erhielt, als stünden in all den Gräben rings um Tirol nicht eilends zusammen-
getrommelte Bauernhaufen, sondern wirkliche Soldaten.
Diese Erkenntnis zwang den Feind seinen Kriegsplan plötzlich zu ändern. Aus
war es mit dem „Spaziergang nach Wien", den man dem königlichen Heere drei-
viertel Jahre lang weisgemacht hatte, aus mit dem „Einmarsch" in das heiß-
begehrte „Trentino". Fast zwei ganze königliche Armeen wurden nunmehr langsam,
vorsichtig, systematisch, rings um Tirol bereitgestellt und nicht früher losgelassen,
bis das letzte Geschütz und der letzte Mann zur Stelle war.
Als es aber dann endlich so weit gediehen, war es zu spät. Zum Angriff
übergehend stießen die königlichen Truppen überall bereits auf deutsche Helme
und sonstige frisch herangefahrene k. u. k. Truppen und bissen damit auf Granit.
Der Angriff selbst, vor wenigen Tagen noch ein Kinderspiel, wurde nun zum
schwierigsten Beginnen und endete mit einem kläglichen, in der ganzen Welt be-
lächelten Mißerfolg. Dies aber war unbestreitbar das Werk der Tiroler Landes-
verteidigung.
Ls ist fraglich, ob sich in dieser ideallosen Zeit von heute einmal Männer
finden werden, die die Geschichte der einzelnen Standschützenbataillone schreiben
werden. Sicher wäre sie des Niederschreibens wert.
Hier sei nur vorweg festgestellt für alle Zeiten: Dieser Standschützen-
ausmarsch von j 5 war das größte Blutopfer, das ein Volk je-
mals seinem Herrscher gebracht hat. Inderganzenweltgeschichte
ist kein Fall bekannt, daß ein Volk sich so zum Hampf gestellthat
bis zum Weißbluten, bis zum letzten, allerletzten Mann!
Unvergeßlich wird jedem der Eindruck sein, den in den folgenden Wochen die
verödeten Tiroler Dörfer machten. Generalleutnant Kraft v. Dellmensingen äußerte
damals, gelegentlich einer Frontfahrt einen Mitteltiroler Ort passierend, zum ver-
fass«:
„Ich sehe im ganzen Dorfe keinen einzigen Mann. Nur Weiber, alte Greise
und kleine Kinder, wo sind denn eigentlich alle Tiroler?"
„Ihre Blüte liegt in Ostgalizien begraben, was davon noch lebt, ist eben
hinter den Russen her. Und die ganz Jungen und die ganz Alten stehen dort, wo
wir eben hinfahren, den Welschen gegenüber."
vom stillen Heldentum eines Volkes
295
Generalleutnant v. Krafft schwieg und wir fuhren weiter, zwei Stunden lang
durch viele Tiroler Orte. plötzlich sagte er, der sonst so herrische deutsche General,
mit weicher Stimme, indem er an den Helm griff:
„Ich neige mich vor dem Opfermut des Tiroler Volkes. Etwas Größeres
gibt es nicht auf Erden!"
* *
*
Wie dieses Heldenvolk nach solchen unvergänglichen Ruhmes-
taten zu seinem heutigen Schicksal kommen konnte, ist wohl eines
der traurigsten Kapitel des ewigen Weltgeschehens.
Munitevi, tua 's Tüachl 'nein!*)
Muatterl, i kenn mi aus,
Woaß, was di druckt!
Tausend san fürt von z'haus,
hundert kehr'n z'ruck.
Muatterl, tua 's Tüachl 'nein,
Muatterl, geh schau,
Nöt allweil trauri sein,
Woana macht grau.
Denk nur, wia hart eahm g'schach,
Rimmt er äst z'haus
Und tat nöt kenn« gach
's Mutterl, sein grau's.
Freili, i siach's wohl ein,
Trüab is die Zeit,
Aber: tua 's Tüachl 'nein!
Muatterl, sei g'scheit!
RarlDankwart Zwerger.
*) Für tNännerchor vertont von Viktor Iteldorfer (Verlag F. <£. <L. Semfart,
Leipzig).
Nur dieses nicht!
Von Oblt. i. b. R. d. i. k. I,-R. Nr. 14 Karl Dankwart Zwerger
Nur dieses nicht:
Daß sie dann wieder in den Straßen ständen
Mit hohlen Hüten und mit hohlen fänden,
An Gliedern wie an Glück und Glaube wund.
Und Tausend geh'n vorbei zu Pflicht und Flirten
Und — seh'n vorbei an diesen Müdgeirrten,
Die zittern wie ein ausgestoß'ner Hund.
Nur dieses nicht:
Daß sie um kümmerliche Hungerbissen
vor jeder feisten Köchin dienern müssen,
Die stumpf auf ihre gold'nen Kreuze glotzt,
Und heimatlos von Dorf zu Dorfe krücken
Und sich vor tausend blöden Waffen bücken,
Sie, die dem König Tod so frei getrotzt.
Nur dieses nicht:
Daß sie tagaus, tagein die Kurbel drehen
Und bittend an die vielen Türen gehen,
wo niemand ahnt, was diese Seele litt.
Und hinterdrein die dummen Buben rennen,
Sie aber all ihr Tag' in Sehnsucht brennen.
Daß jene Kugel einst ihr Herz zerschnitt.
Nur dieses nicht:
Daß sie dereinst als müde, graue Greise
vielleicht des Lebens allerletzte Reise
Einsam und ohne Stern und Liebe tun
Und irgendwo an einem lvegesrande
Zu ihres Volkes namenloser Schande
In einen blühenderen Morgen ruh'n....
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V
0m Kelüe unbesiegt
Erlebnisse im Weltkrieg, erzählt von Mitkämpfern
Herausgegeben von General der Infanterie G. v. Dickhuth-tzarrach
Mit den Bildnissen der Mitarbeiter / Band I u. II / Je gebunden 5.— Mk.
Der Band „Oesterreich, Im Felde unbesiegt" ist der 3. Band dieser Sammlung.
Aus dem Inhalt: Der Handstreich auf Lüttich, von General Ludendorff. — Die
Schlacht bei Tannenberg, von Generalfeldmarschall v. Hindenburg. — Deutsche
Infanterie, von Franz Schauwecker. — Brzeziny, von General Litzmann. — Gallipoli,
von Marschall Liman v. Sanders. — Skagerrak, von Korvkpt. Fo er st er. — Flitsch,
von k. u. k. General d. Ins. Krauß. — „UB. 57", von Korvkpt. Lützow. — Das Leib-
regiment beim Sturm auf den Kemmel, von Major Frhrn. v. Pranckh. — Das letzte
Mal an der Front, von Oberlt. Frhrn. v. Nichthofen. — Ein Kerl, von Walter
Bloem. — Asienkorps, von General v. Frankenberg. — Die Ostafrikaner, von
Generalmajor v. Lettow-Borbeck. — Bukarest, von General-Feldm. v. Mackensen.
— Erstürmung Douaumonts, von Hptm. Haupt. — S. M. S. „Möve", v. Korvkpt.
Graf zu Dohna.
*
sluf See unbesiegt
Erlebnisse im Seekrieg, erzählt von Mitkämpfern
Herausgegeben von Vizeadmiral a. D. E. von Mantep
Mit 28 Bildnissen gefallener Helden / 2 Bände / Je gebunden 5.— Mk.
Aus dem Inhalt: Vizeadm. v. Trotha, Mit Scheer auf der Kommandobrücke. —
Großadm. Prinz Heinrich von Preußen, „Blücher". — Oberstabsing. Looks,
Maschinenpersonal in der Skagerrakschlacht. — Vizeadm. Meurer, Befreiung Finn-
lands. — Korvkpt. Kinzel, Die schweren Marinegeschütze. — Kptlt. Steinbrink,
UC 55 im engl. Kanal. — Kptlt. Schiwig, Der letzte Kampf S. M. S. „Leipzig". —
Korvkpt. Lützow, „Lusitania". — Oberheizer Zenne, Die letzten Stunden S. M. S.
„Wiesbaden". — Sigismund Prinz von Preußen, U-Boot gegen U-Boot. —
Korvkpt. Boehmer, Skapa Ftow. — Adm. Scheer, Schlußwort.
*
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Erlebnisse im Weltkrieg, erzählt von Lustkämpfern
Herausgegeben von Georg Paul Neumann, Major a. D. d. Fliegertruppen
Mit 5 Bildnissen / Gebunden 5.— Mk.
Aus dem Inhalt des 56 Beiträge umfassenden Buches: Wie wir wurden, von
Generallt. v. Eberhardt. — Jagdstaffel Bölcke, von Oblt. Bolle. — Oesterreichisch-
ungarische Flieger beim Angriff (Brescia und Mailand), von Hptm. Steiner-Göltl.
— Flandern 1917, von Hptm. v. Krauß er. — Als Ballontöter im Osten, von Lt.
Bormann. — Jagdstaffel 21, von Hptm. v. Schleich. — Die Taktik der Jagd-
geschwader, von Hptm. Goering. — Ueber Kairo und den Pyramiden, von Hptm.
Falke. — Fliegerbeobachtung für schwerstes Flachfeuer, von Oblt. Müller-Kahle. —
An der Somme 1918, von Hptm. v. Greim. — Bombengeschwader 3, von Hptm.
Brandenburg. — Jagdgeschwader Richthofen Nr. 1, von Hptm. Bodenschatz. —
Glück und Ende von LZ 35, von Hptm. Steegmann. — Der Ballon als Flieger-
schreck, von Lt. Wöstmann. — Die 101-Stundenfahrt des LZ 120, von Oblt. Leh-
mann. — Im Kampf gegen Ll-Boote, von Korvkpt. Hollender.
Ueber die Preise unterrichtet die Fußnote auf der letzten Seite.
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3. §. Lehmanns Verlag, München, Paul Hepse-Str.26
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Wie wir uns zur Kahne durchschlugen
Erlebnisse von Ausländsdeutschen und Seeleuten im Weltkrieg
Herausgegeben von General der Infanterie G. v. Dkckhuth-Harrach
Mit den Bildnissen von 23 Mitarbeitern / Gebunden 5.— Mk.
Aus dem Inhalt: Als Kohlentrimmer von Brasilien, von Eduard Becker. — Bei
50 Grad Hitze unter dem Kessel, von Max Leib. — Auf dem Walfischfänger, von
Martin Linke. — Im Sodatank, im Kleiderschrank, unter dem Drucklager, im Trocken-
tank und unter den Kesseln, von Otto Frick. — 1000 Pfund Sterling Kopfpreis! Bon
Julius Lauterbach. — Im Segelboot über den Golf von Lyon, von B egg eso w u. a. m.
HAenn ich eine lumpige Million hätte, dann würde ich Tausenden von Jungens so
ein Buch schenken, wie das „Wie wir uns zur Fahne durchschlugen".
Dr. Traub (München-Augsburger-Abendzeitung).
Ein Hohelied deutscher Treue, deutscher Willensstärke, aufopfernden Heldentums, Bekennt-
nisse deutscher Männer, denen „um hohen Tod zu werben", wirklich „deutsche Ehre,
deutsche Lust" war. (Magdeburgische Zeitung).
Kühner Heldengeist offenbart sich fast auf jeder Seite dieses Buches. Es sei auf das
Wärmste empfohlen. Vizeadm. Kirchhofs, Deutsche Zeitung.
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Deutschlands Heldenkampf
Der Weltkrieg 1914/18
Von General der Kavallerie Friedrich v. Vernhardi
Mit 100 Kartenskizzen / Geheftet 6.— Mk., gebunden 8.50 Mk.
/Line gedrängte Geschichte des Weltkrieges und seiner inneren Zusammenhänge aus
^ einem Guß, klare strategische und politische Grundgedanken durchziehen das ganze Buch,
das militärische Urteil ist, wie es von einem so kriegserfahrenen General nicht anders
zu erwarten war, treffend und gerecht. Die ganze Darstellung ist von einem leiden-
schaftlichen Patriotismus getragen. General v. Bernhardt will dem deutschen Volke, an
dessen Zukunft er unerschütterlich glaubt, zeigen, was es geleistet hat und was es zu
leisten imstande ist. Das Werk ist ein Vermächtnis, das er dem deutschen Volke am
Schlüsse seines tatenreichen Lebens machen will. Die klare, leicht verständliche, durch
zahlreiche Skizzen unterstützte Darstellung macht das Werk zu einem wahren Volksbuch.
Zurzeit kann ihm in der deutschen Kriegsliteratur kein ähnliches, zusammenfassendes
Werk gleichwertig an die Seite gestellt werden. General v. Kühl (DeutscheMg.Ztg.).
Die Sklaverei
Ihre biologische Begründung und sittliche Rechtfertigung
Von Dr. Franz tzaiser
Geheftet 1.50 Mk., gebunden Mk. 2.25.
/Ls handelt sich nicht um die Leibeigenschaft und auch nicht um Wiederkehr der Skla-
^ verei nach amerikanischem Muster. Der österreichische Schriftsteller, bekannt durch
seine früheren Bücher: „Im Anfang war der Streit", „Das Gastmahl des
Freiherrn von Artaria" und „Die Krisis des Intellektualismus", rückt
der großen demokratischen Lüge von heute zuleibe; er will einer Kultur der Edelmenschen
im Gegensatz zu dem unheldischen und materialistischen Pöbel, einer rassischen Auslese
die Bahnen weisen.
Rastenkon-e öes deutschen Volkes
von Dr. Hans §. Ñ. Günther
Dritte, umgearbeitete, vermehrte und verbesserte Auflage 1923
Mit 14 Karten und 537 Abbildungen / Grundpreis: In Ganzleinen geb. 11.— Mk.
tatsächlich fehlte uns ein solches Buch über deutsche Rassenkunde, die ja bisher von
*2/ mancher Seite xeá)t stiefmütterlich behandelt worden ist. Vor allem regt das Buch
in unserer Zeit tiefster vaterländischer Not jeden deutsch empfindenden Menschen zum
Nachdenken über die Bedeutung unserer Rasse und über unsere rassische Zukunft an und
ist daher geeignet, auf diesem Gebiete fruchtbringende Arbeit für unsere weitere Zukunft
zu leisten. Meiner Ansicht nach sollte sich nicht nur jeder deutsche Arzt, sondern über-
haupt jeder unserer Volksgenossen, der auf Bildung Anspruch erhebt, dieses Buch be-
schaffen. Wer es gesehen hat, wird darin nicht nur eine Fülle von Belehrung, sondern
auch einen geistigen Genuß finden, wie ihn heute nur wenige Neuerscheinungen auf dem
Büchermarkt bieten. Geheimrat Dr. Kr oh ne, Vorsitzender d. Gesellschaft f. Rassenhygiene.
Von Rassenfanatismus hält es sich fern. Aber es will tiefernst erwogen werden, wenn
der Verfasser sagt: „Auch das Geschick, das das deutscheVolk gegenwärtig erlebt,
hat seine anthropologische Ursache." Hannoverische Landeszeitung.
Ein Werk, wie wir esunslange gewünschthaben. Wir wünschen ihm Eingang
in die Familien, gerade die heranwachsenden Jungen und Mädchen sollten sich durch
ein solches Buch die Augen öffnen lassen. Deutsches Volkstum.
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Germanische Götter und Helden
in christlicher Zeit
Beitrage zur Entwicklungsgeschichte der deutschen Geistessorm
Von Or. phil. C. ^ung
Mit 140 Abbildungen / Grundpreis geh. 7.— Mk., in Ganzleinen geb. 10.— M.
. . . Ein wahrer Leckerbissen für Altertumskenner, für geschichtliche Feinschmecker, ein Pikantes
Gericht für vergleichende Religionsforscher. Viel davon war ja schon bekannt, aber in dieser
Vollständigkeit in dieser Zusammenfassung des zerstreuten, weit entlegenen Stoffes haben
sjch diese Erscheinungen kaum einmal den: Auge dargestellt, und sie wirken denn auch über-
raschend, verblüffend, beinahe überwältigend... G. G r u p p - Maihingen (Augsb. Postztg.).
Weltfreimaurerei / Meltrevolution
Melteepublik
Eine Untersuchung über Ursprung und Endziele des Weltkriegs
Von Dr. $. wicht!
Nach des Verfassers Tod neu herausgegeben von E. Berg
10. Auflage 1922 / Geheftet 5.— Mk., gebunden 6.50 Mk.
„Noch nie dürfte ein Werk über die Freimaurer diesen derart unangenehm gewesen sein.
Mit staunenswerter Gründlichkeit enthüllt Dr. Wichtl das Wirken der in allen Ländern
von Juden geführten und für ihre Zwecke ausgenützten Freimaurerei, legt er die schäd-
lichen Ziele dar und deckt er die Zusammenhänge zwischen den Logen und den einzelnen
politischen Ereignissen auf ..."
Ueber die Preise unterrichtet die Fußnote auf der letzten Seite.
$. Lehmanns Verlag, München, Paul Hepfe-Str.
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Die Ursachen unserer Nieöerlage
Erinnerungen und Arteile aus öem Weltkriege
Von General der Infanterie Klfreö Krauß, Wien
Dritte Auflage. 1923. Gebunden 6.50 Mk. (Grundpreis), 104 000 österreich. Kronen
General Krauß, der Vernichter der serbischen Timokdivision, Generalstabschef an der
Alpenfront, der Sieger bei Flitsch, Ernährungsdiktator der Ukraine, hatte in den ver-
schiedensten Stellungen Gelegenheit zu umfassenden Einblicken und zu einer gerechten
Kritik der Maßnahmen der österreichischen und deutschen Heeresleitung nnd Politik.
3n der reichen Literatur, die die Ereignisse der letzten 6 Jahre hervorgerufen, wird
dieses knapp gehaltene Werk immer einen der ersten Plätze behalten. Es vereinigt
alle Vorzüge der besten bisher erschienenen Werke; die Vornehmheit Hindenburgs, die
Gründlichkeit und Klarheit Ludendorffs, das Suchen nach unbedingter Klarheit Cramons
usw. mit dem eigenen reifen und tiefen Urteil. Gen. d. Kav. K. v. Gebsattel.
Der Verfasser zeigt sich hier als klarsehender deutscher Patriot, als einsichtsvoller Soldat
von großen Gesichtspunkten, als einer von denen, von denen das wahre deutsche Volk
noch manches Große und Erhebende erwarten kann: nicht bloß Worte, sondern Taten.
Gen. d. Kav. Bernhardt im „Tag".
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Ser Zusammenbruch üer österreichisch-
ungarischen Wehrmacht im Herbst 1Y18
Dargestellt nach Kkten -es k.u.k. Armeeoberkommandos und anderen
amtlichen (Quellen von Generalmajor b. R. H. Kerchnawe, Wien
Gebunden 4.50 Mk. (Grundpreis), 72000 ö. Kr.
D"
ta§ Buch bringt sachlich und unparteiisch die in den Men der österreichisch-ungarischen
' Heeresleitung enthaltenen amtlichen Meldungen, Berichte und Befehle. Es ergänzt
sie durch die diplomatischen Aktenstücke, die wichtigsten Pressestimmen und die Parlaments-
berichte und gibt so ein ungeschminktes Bild dieser dunkelsten Stunde einer alten und
ruhmreichen Armee. Besondere Beachtung verdienen die Berichte über die Meutereien
und der bisher unbekannte italienische Bericht über die Schlußoffensive.
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Sie österreichisch-ungarische Kriegsmarine
im Weltkrieg
Von Konter-Admiral a. D. Eh. Winterhalöer
Grundpreis geheftet 0.80 Mk., 12 800 ö. K.
(^er Verfasser, der bei der Marinesektion in Wien, beim Armee-Oberkommando und
bei einer Sondermission in Cattaro in alle Ereignisse der österreichisch-ungarischen
Marine tiefe Einblicke hatte, hat ihren Anteil am Weltkrieg auf Grund sachlichen Ma-
terials und persönlicher Erinnerungen in einer streng sachlichen Schrift zusammengefaßt
und damit einem besonders wackeren und wertvollen Bestandteil der k. u. k. Wehrmacht
ein wohlverdientes Heldendenkmal gesetzt.
Die angegebenen Grundpreise ergeben vervielfacht mit der Buchhandelsschlüsselzahl die
deutschen Ladenpreise. Fürs Ausland ist 1 Mk. (— Goldmark) — 16000 ö. Kr. = 7.50
Tschech. Kr. — 4000 ung. Kr. = 5.20 Lire — 50 Lei — 1.25 Schweizer Fr.
I. $. Lehmanns Verlag, München, Paul Hepfe-Str.
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