Deutsche Offensive aus Ostpreußen über den Narew auf Siedlee. Von Oberstleutnant a. D. Theobald v. Schäfer Die Frage des „Vorstoßes auf Siedlee" ist auch im österreichischen Generalstabswerk „Österreich-Ungarns letzter Krieg'4 eingehend behandelt worden. Zwischen der österreichischen und der reichsdeutschen Auffassung besteht ein Gegensatz. Wir freuen uns, unseren Lesern eine Darstellung des reichsdeutschen Standpunktes aus berufener Feder mitteilen zu können. Die Schriftleitung. Der Aufforderung der Schriftleitung, zum „Fall Siedlee" Stellung zu nehmen, komme ich gerne nach. Österreichische und reichsdeutsche Auffassung gehen in dieser Frage auseinander. Als nach dem Kriege Nowaks „Weg zur Katastrophe" erschien urd Dr. Friedrich Wiesner dessen Ausführungen durch die Mitteilung unterstrich, im öst.-ung. Hauptquartier sei schon im September 1914 die These aufgetaucht urd nicht mehr verschwunden: „Die Deutschen haben uns verraten, nicht etwa bloß sitzen lassen. — Verraten mit klarer Ab¬ sicht, um dann allein zu siegen", — da war man in Deutschland starr ob solchen Vorwurfs. Man war sich bewußt, daß in der Stimmung von 1914 die deutsche Führung nur den einen Gedanken und die eine Sorge gehabt habe: Wie siegen wir? Man hatte jeden öst.-ung.- Erfolg ebenso wie einen eigenen bejubelt und niemand in Deutschland hatte in jenen ersten Kriegsmonaten an Mißgunst und Neid gedacht. So fragte man sich: wie konnte trotzdem eine Auffassung, wie Wiesner sie berichtet, im öst.-ung. Hauptquartier aufkommen? Die Erinnerungen des FM. Grafen Conrad waren nicht geeignet, die Schärfe des entstandenen Gegensatzes zu mildern, und erst in der Folge¬ zeit ist es gelungen, die Zusammenhänge soweit zu klären, daß man die Frage heute mit kühlem Blut erörtern kann. Als Ausgangspunkt für die Beurteilung des Falles Siedlee wird meistens Moltkes Zusage vom 19. März 1909 genommen. Diese Zusage ist aber nur richtig zu verstehen, wenn man ihre Vorgeschichte berück¬ sichtigt. Ein schriftlich festgelegter gemeinsamer Kriegsplan für das Zu¬ sammenwirken der Mittelmächte in einem Mehrfrontenkriege hat nicht i ft