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Die Sommerschlachten gegen Italien
namentlich wenn man sie mit einer Unternehmung an einem südlicheren
Punkte der Adriaküste verbunden hätte, für die Monarchie ein gewiß
außerordentlich empfindlicher Schlag gewesen. Trotzdem steht zur Er¬
wägung, ob nicht eine andere Angriffsrichtung militärisch rascher zu
einem, vollen Erfolge geführt hätte.
In der Tat hat Cadorna seine erste Offensive im Karstbereiche von
zwei Unternehmungen begleiten lassen, deren eine das Pustertal bei Tob¬
lach, die andere den Raum Tarvis—Villach zum Ziele hatte. Gen. Alberti
erblickt in der erstgenannten Richtung die einzige, in der, rein theoretisch
betrachtet, eine rasche Entscheidung zu erreichen gewesen wäre1). Aber
die strategischen und taktischen Vorbedingungen seien durch die Flanken¬
bedrohung aus Tirol und bei dem schwierigen Gelände so ungünstig
gewesen, daß Cadorna recht gehabt habe, auf einen Hauptangriff in
diesem Räume von Haus aus zu verzichten. Mögen diese Erwägungen
manches für sich haben, so wird man dem ebengenannten Kriegshistoriker
kaum zustimmen können, wenn er folgert, daß die Schwierigkeiten eines
Vordringens in das Pustertal das italienische Heer überhaupt von Beginn
an zur Führung eines Abnützungskrieges verurteilt hätten. Dazu war man
auch dann noch nicht genötigt, als Erzherzog Eugen und Boroevic Mitte
Juni schon eine stärkere Abwehrfront am Isonzo errichtet hatten. Ange¬
nommen selbst, daß der Widerstand dieser gegnerischen Front die Ge¬
legenheit zu einem kurzen Schlage nicht mehr bot, so ergaben sich
zweifellos in der Richtung auf Tarvis und Villach Erfolgsmöglichkeiten,
deren Ausnützung gegenüber der noch sehr lockeren Grenzbewachung
den Niederbruch der Isonzofront herbeizuführen imstande war. Napoleon
hat im Jahre 1797 diesen Weg eingeschlagen, der ihn rasch bis Leoben
führte. Das Unternehmen, das Cadorna in den ersten Kriegswochen in
dieser Richtung ansetzte, entbehrte von Anbeginn des nötigen Schwunges,
indes der Vorstoß auf Toblach überhaupt nicht zur Entwicklung kam.
Wenn Cadornas Wagemut zu wünschen übrig ließ, so zeigte sein
Gegner Conrad umso mehr von dieser Eigenschaft, als er in den Tagen
vor Kriegsausbruch bei aller begreiflichen Niedergeschlagenheit den Ge¬
danken verfocht, die Italiener über den Karst und die Julischen Grenz¬
gebirge vorbrechen zu lassen und bei ihrem Austritte aus den Gebirgen
mit inzwischen zusammengezogenen 20 Divisionen anzufallen. Ein solcher
Plan entsprach durchaus dem Denken eines Feldherrn, der nie mehr litt,
als wenn er dem Feinde die Initiative auf längere Dauer überlassen mußte.
Dennoch wird seine Zweckmäßigkeit von der Kritik fast durchwegs
!) Alberti, 47ff.