Cadornas Zaudern bei Feldzugsbeginn 789 allmählich durch eine gleich große Zahl allerdings meist vorzüglicher und kriegserfahrener Kämpfer verstärkt wurden, an einem beliebigen Punkt zu überrennen vermocht hätte. Die Lage für einen Erfolg war günstiger, als sie je ein Feldherr in der Weltgeschichte angetroffen hatte. Der bedächtige italienische Heerführer ließ aber den, Augenblick ungenützt vorübergehen. Begreiflich i.st*es, daß Cadorna von Anbeginn stark unter dem Ein¬ drucke der strategischen Schwierigkeiten stand, die der Kriegsschauplatz bot. Das italienische Heer sah sich in einem tiefen Sack zusammengedrängt, der auf der einen Seite vom Meere, auf der anderen Seite von den Alpen gebildet wurde. Die Südtiroler Bastion des Gegners stellte für die in Vene tien aufmarschierende Heeresmasse eine Rückenbedrohung dar, die auch dann nicht zu unterschätzen war, wenn man bedachte, daß die ungünstige Bahnlage in den Alpen eine allzu rasche Versammlung über¬ legener österreichischer Streitkräfte kaum möglich machte1). Es ist daher zu verstehen, daß Cadorna um die Sicherung seines Isonzoangriffes in Flanke und Rücken besorgt war. Dabei wird man allerdings die Frage stellen, ob der italienische Feldherr auch recht tat, daß er von seinen vier Armeen zwei „in Kordonstellungen verzettelte, um alles zu decken, und nur mit der Hälfte seiner Streiter am Isonzo erschien2)". Es hat da wohl Clausewitz recht, wenn er bei Gelegenheit erinnert: „Da der Krieg ... immer etwas von der Natur des Glückspieles behält, so kann auch die Kriegführung jenes Elementes durchaus nicht entbehren, und der Feld¬ herr, der zu wenig Neigung zu diesem Spiele hat, wird, ohne es zu ahnen, hinter der Linie zurückbleiben und im großen Kontobuch der kriegerischen Erfolge in eine tiefere Schuld geraten, als er denkt." Als erstes Hauptziel setzte Cadorna dem Angriff seines Heeres die Eroberung der Adriametropole Triest. Die politischen Gründe, die für diesen Gedanken sprachen, lagen gerade im Hinblick auf das italienische Temperament auf der Hand. Auch spielte möglicherweise die Militär¬ konvention mit hinein, die Italien am 16. Mai mit Rußland abgeschlossen hatte (S.415f.) und die sein Heer verpflichtete, im südwestlichen Ungarn die Vereinigung mit den Serben zu suchen. Die Eroberung von Triest wäre, !) Nicht zu Unrecht erinnerte der Deutschsüdtiroler Abgeordnete Reut-Nicolussi in der Abschiedsrede, die er am 10. September 1919 vor der österreichischen Na¬ tionalversammlung hielt, an die „geschichtliche Tatsache", daß im Verlaufe des Welt¬ krieges „die ganze öst.-ung. Wehrmacht dreimal versucht hat", von Südtirol aus einen entscheidenden Flanken- und Rückenstoß gegen das italienische Heer zu führen, ohne daß er geglückt wäre. Reut-Nicolussi, Tirol unterm Beil (München 1928), 29. 2) Stegemann, Geschichte des Krieges, IV (Stuttgart 1921), 408.