Physische und moralische Verfassung von Freund und Feind 271 fangene ausgewiesen. Die tatsächliche Einbuße ist mindestens um 60 bis 70v.H. höher einzuschätzen, beläuft sich also auf 1,800.000 bis 2,000.000 Mann, wenn nicht auf mehr1). Die Opfer der Russen in den Karpathenkämpfen werden demnach nicht wesentlich höher, aber gewiß auch — trotz der Gefangenen von Przemysl — nicht erheblich niederer zu bewerten sein. Empfindlicher allerdings als die Menschenverluste traf die Russen die Einbuße an. Ge¬ rät und Munition, da die russische Kriegsindustrie und die Heimat¬ behörden auf dem Gebiete des Materialersatzes völlig versagten. Bei Betrachtung der moralischen Verfassung des öst.-ung. Heeres ist daran zu erinnern, daß dieses gegen Ende des opferreichen Feldzuges 1914 zu einer Landsturm- und Milizarmee geworden war. An dieser Tatsache hat sich während des Karpathenwinters bei der täglich und stündlich herrschenden Not an Mann nichts bessern lassen. Es war im Gegenteil der ohnehin schon schwache Stamm an geeigneten Offizieren und gedienter Mannschaft noch geschwächt worden. Die Neueingezogenen füllten, körperlich weniger widerstandsfähig, dazu infolge der kurzen Ausbildung den vielfältigen Aufgaben der Kampfführung nicht gewach¬ sen, die Verlustlisten in erschreckendem Ausmaße. Nicht unvermerkt bleibe hiebei auch, daß von den zahlreichen gebirgsgewohnten Truppen Österreich-Ungarns (III., XIV. und teilweise auch XV., XVI., II. und XII. Korps) nur ein verhältnismäßig geringer Teil in den Karpathen verwendet wurde, wo sie sich, auch dank ihrer Gebirgsausrüstung, sicher¬ lich leichter zurechtgefunden hätten als irgendein Heereskörper aus dem Banat, dem böhmischen Becken oder dem galizischen Flachland. Immer stärker wurde die Truppe auch von der entmutigenden Erkenntnis erfaßt, daß der Krieg noch lange dauern werde ; dies erzeugte vielfach schwere Kriegsmüdigkeit, die erst in besseren Zeiten wieder überwunden werden konnte. Über die politischen Folgen wurde schon früher in anderem Zusammenhange gesprochen. All dies drückte die Kampffähigkeit der Armee gewiß empfindlich herab. Dabei ist aber nie zu übersehen, daß die Forderungen, welche die Führung trotz allem an sie stellen zu dürfen glaubte, vielfach übermenschlich genannt werden müssen, und man darf hier gewiß anführen, daß auch die sicherlich besser gefügten und vor allem auch besser ausgerüsteten deutschen Divi- x) Der englische General Knox, damals Militärbevollmächtigter beim russischen Heer, kommt auf Grund amtlicher Petersburger Mitteilungen zu einem um 25 bis 30 v. H. höheren Ergebnis (Knox, With the Russian Army 1914—1918, New York 1921, I, 297ff.).