Die unterbliebene Räumung der Festung 219 schließlich auch der 40 km langen, mit einer Weichselüberbrückung ver¬ bundenen Linie Ostrowiec—Nadbrzezie begannen, ohne diese aber wäh¬ rend der neunmonatigen Besetzung des Landes vollenden zu können. Auch nötigte die Unterbrechung des Bahnnetzes bei Przemysl dazu, viele Truppenverschiebungen mit Fußmärschen zu bewerkstelligen, endlich war hiedurch sicherlich die Versorgung ihrer südlich der Weichsel fech¬ tenden Heeresteile wesentlich erschwert. Diesen Vorteilen muß aber entgegengehalten werden, daß die im November 1914 unterlassene Räumung von Przemysl verhängnisvoll auf die öst.-ung. Kriegführung eingewirkt hat, indem fortan alle Offensiv¬ handlungen auf den Entsatz der Festung eingestellt wurden. Dabei dachte die öst.-ung. Heeresleitung sogar Mitte März, als über die Aussichts¬ losigkeit des furchtbaren Ringens kein Zweifel mehr bestand, noch nicht daran, die Übergabe des Platzes anzuordnen und damit die nutzlosen Leiden der Besatzung abzukürzen. Im Gegenteil. Das AOK. verlangte schließlich einen Durchbruch, an dessen Gelingen sich niemand zu glau¬ ben getraute. Läßt sich dieses Handeln mit nüchternen Zweckmäßig- keitsforderungen auch kaum in Einklang bringen, so ist der soldatische Standpunkt dennoch verständlich1). Die Festung war allmählich zu einem Palladium der k. u. k. Wehr¬ macht geworden; eine Preisgabe ohne äußersten Zwang hieß den kriege¬ rischen Sinn in Heer und Volk untergraben und eine Herabstimmung herbeiführen, wie eine solche dem Kaiser Napoleon nach Jena und Auer- städt eine Reihe preußischer Festungen mühelos in die Hände gespielt hatte. Jetzt war Przemysl einmal vom Feinde eingeschlossen und von einer opferfreudigen Besatzung tapfer behauptet. Der Entsatz wurde zur Pflicht. Dabei drängte die Zeit nicht nur wegen der aus Verpflegsgründen be¬ fristeten Lebensdauer der Festung, sondern auch wegen der allgemeinen politischen Lage, die durch die Haltung Italiens und der noch neutralen Balkanstaaten wesentlich beeinflußt werden konnte. Die Armee Boroevic war Ende Dezember nach ihrem Vorstoße bis an die galizische Becken¬ reihe vor den losstürmenden Russen Brussilows in die Karpathen ausge¬ wichen. Ihre Verstärkung war schon deshalb geboten, um der Ausbrei¬ tung des Feindes auf ungarischem Boden einen Riegel vorzuschieben. x) Über die Kämpfe um Przemysl und den Fall der Festung hat Mjr. a. D. Dr. Stuckheil eine Reihe inhaltsreicher Aufsätze in den Jahrgängen 1923, 1924 und 1925 der „Militärwissenschaftlichen und Technischen Mitteilungen" veröffentlicht. Außer¬ dem lag ein Manuskript des Ministerialrates Dr. Smolik vor, der die Verteidigung von Przemysl als Reserveoffizier mitgemacht hat.