216 Der Karpathen winter 1914/15 Während der Nacht auf den 22. verfeuerten die Werke ihre letzte Geschützmunition, worauf man die Rohre mit Ausnahme der älteren Kanonenmodelle entweder durch verstärkte Ladungen oder durch Ekrasit- patronen unbrauchbar machte. Von dem schaurigen Dröhnen und Krachen verstört, kauerte der Russe hinter seinen Deckungen. Der anbrechende Tag stand schon unter dem Zeichen des Frühlings. Leuchtend stieg die Sonne über der Sanfeste auf, als um 6h das eigent¬ liche Zerstörungswerk begann; unter Blitz und Rauch und unter mäch¬ tigen Detonationen vollzog sich die Sprengung der Gürtelwerke und der Flußbrücken. Alle fortifikatorischen Anlagen verwandelten sich in wüste Trümmerhaufen. Noch einen letzten Gruß funkte der Platz an die Waffen¬ brüder: „Unser Schicksal schwer empfindend, wünschen wir den Feld¬ armeen Ruhm und Sieg!" Weiße Fahnen flatterten an der Gürtellinie auf. Gegen 9hvorm. drangen die ersten russischen Abteilungen in die Stadt ein; ein Stabs¬ hauptmann forderte dem Festungskommandanten den Säbel ab. Zwei Stunden früher war auf der großen Lemberger Straße ein Kraftwagen aus der Stadt gerollt. Oberst Martinek, Kommandant der 108. LstlBrig., und der Festungsgeneralstabschef Obstlt. Hubert fuhren nach Mosciska, um im Standorte des russischen 11. Ameekmdos., dem Auftrage Kusmaneks gemäß, über das Schicksal der Besatzung zu ver¬ handeln1). Sie fanden schlimmen Empfang beim General Seiiwanow. Die Hoffnung des russischen Führers, die Festung mit stürmender Hand zu nehmen, war vereitelt; das in Przemysl ausgeführte Zerstö¬ rungswerk, dessen Donnerschläge bis in das Hauptquartier der Belagerer hallten, beraubte Seiiwanow der ersehnten Trophäen und führte ihm die versäumte Gelegenheit deutlich vor Augen. Als dann noch später der Schall einer vereinzelten Explosion an sein Ohr drang, glaubte er, seine Truppen seien in eine Falle gelockt worden. Er verweigerte den Parla¬ mentären jede weitere Besprechung, ließ ihnen die Waffen abnehmen und behandelte sie gegen alles Völkerrecht .als Gefangene. Erst am 23. vormittags besann er sich — angeblich auf Geheiß des Zaren — eines Besseren und gestattete ihnen nach dem Abschluß der Verhandlungen die Rückfahrt nach Przemysl. Im ganzen gerieten 9 Generale, 93 Stabs- und 2500 Oberoffiziere und 117.000 Mann in Kriegsgefangenschaft. In An¬ erkennung ihrer Tapferkeit gestattete man den Offizieren, den Säbel zu behalten. Diese Begünstigung wurde aber nach drei Wochen wieder 1) Verhandlungen über die Übergabe der Festung hatten nicht stattgefunden.