122 Der Karpathen winter 1914/15 Die russischen Pläne Hiezu Beilagen 4, 5 und 6 Seit der Zusammenkunft der russischen Heeresführer in Siedlec am 29. November (Bd, I, S. 595) hatte die Kampfkraft der zaristischen Streit¬ kräfte weitere Einbußen erlitten1). Um die Jahreswende wäre, wie der Generalquartiermeister der Stawka, Gen. Danilow, in einer Mitte Jänner verfaßten Denkschrift darlegte, eine halbe Million Soldaten zur Auf¬ füllung der zusammengeschmolzenen Einheiten notwendig gewesen; auf die Normaldotation der Artilleriemunitionskolonnen fehlten 200.000 Geschosse. Dennoch hielt Danilow einen Rückschlag an der Front für ausge¬ schlossen. Ebenso stellte er freilich die Möglichkeit entscheidender Ope¬ rationen in Abrede, ehe die erwähnten Mängel behoben waren, was zum Teil in der zweiten Hälfte Februar, vollständig aber erst im April zu erhoffen stand. Doch schien es ihm notwendig, schon jetzt über die Ziele der künftigen Kriegshandlungen ins reine zu kommen. Man könnte sich entweder zur Ausnützung der in der zweiten Dezemberhälfte in Galizien errungenen Erfolge gegen das öst.-ung. Heer wenden oder alle Anstren¬ gungen im Interesse der bundesgenössischen Kriegführung auf eine Offen¬ sive in der Richtung auf Berlin vereinheitlichen. Beides gleichzeitig zu unternehmen, hielt Danilow damals für ausgeschlossen. Die Nachteile der ersterwähnten Aktion wurden in der Denkschrift eingehend beleuchtet. Möge die Vorrückung gegen Wien oder Budapest noch so verführerisch locken, sie führe doch zu einer bedenklichen Schwächung des eigenen Zentrums ; sei man einmal tief in das Innere der Donaumonarchie einge¬ drungen, komme man sicherlich zu spät, einen Vorstoß der Deutschen nach Osten rechtzeitig aufzufangen. War es aber überhaupt möglich, die Österreicher und Ungarn in kurzer Zeit vernichtend zu schlagen? Dani¬ low bezweifelte dies; der Feldzug in der Richtung auf Wien würde Monate in Anspruch nehmen und dann stünde man erst recht vor der Aufgabe, die Kriegsentscheidung gegen Deutschland herbeizuführen. Folgerichtig bekannte sich der General daher zu der Ansicht, daß man vor allem den Hauptgegner treffen müsse. Unter den verschiedenen Möglichkeiten, dies zu verwirklichen, entschied er sich, wie schon früher» für einen neuerlichen Angriff auf Ostpreußen, der die große Offensive gegen Breslau—Berlin einzuleiten hätte. Nach dem Empfang dieser Denkschrift erteilte der Großfürst Nikolai *) Die folgenden Darlegungen nach Danilow, Kap.XIII, und Nesnamow, III, 35 bis 51.