Heer und nationale Frage 27 Das moralische Gefüge Daß den schweren Erlebnissen der ersten Kriegsmonate die ur¬ sprüngliche Begeisterung zum Opfer fiel, ist nicht verwunderlich. Auch die wachsende Erkenntnis, daß der Krieg noch Monate, ja vielleicht Jahre dauern werde, drückte auf die Gemüter von Offizier und Mann. Ein erhebliches Maß von Kriegsmüdigkeit war namentlich um die Jahres¬ wende festzustellen. Sie machte erst einer hoffnungsvolleren Stimmung Platz, als der Frühling von Gorlice die Herzen emporriß. Die Wirkung solcher seelischer Vorgänge mußte natürlich bei einem Heere von so großer völkischer und kultureller Buntheit besonders mannigfaltig sein. Bei einem beträchtlichen Teil der Kämpfer, und zwar keineswegs bloß bei solchen deutscher Zunge, trat an die Stelle der ersten überschweng¬ lichen Kriegsbegeisterung das Pflichtbewußtsein gegenüber Herrscher und Vaterland und das Ehrgefühl des Mannes, der in der Stunde der Not nicht verzagen will. Bei den Söhnen kulturell weniger hochstehender Völker mußte das eherne Gesetz strengsten Gehorsams und unverrück¬ barer Manneszucht ethische Bindungen ersetzen. Nicht überraschend konnte es für die Führung sein, daß in solchen Wochen und Monaten die Stimmung der slawischen und romanischen Soldaten noch besonderen, herabdrückenden Einflüssen aus doppelter Richtung ausgesetzt war, aus der Heimat und von der Feindesseite her. Die Geschichte der nationalen Revolution der habsburgischen Völker füllt eine gewaltige, in allen europäischen Sprachen niedergelegte Litera¬ tur. Die Anfänge dieser Revolution fallen in die Zeit, von der hier die Rede ist. Die Erscheinungen, die damit zusammenhängen, machten auch den Befehlsstellen der Feldarmee und des Hinterlandes schwere Sorgen, die aus zahlreichen Aktenstücken zur Nachwelt sprechen. Den Gradmesser für den nationalen Widerstand der einzelnen Völker bot von Anbeginn das Verhalten der tief ins Innere des Reiches eingebetteten Tschechen. Die Stimmung in Böhmen und Mähren ließ schon nach den ersten Rückschlägen in Galizien und Serbien gar manches zu wünschen übrig. Ungünstige Nachrichten vom Kriegsschauplatze ver¬ breiteten sich rasch, die Zeitungen und die Gesichter der Intelligenz ver¬ rieten trotz der durch den Ausnahmszustand drohenden Gefahren nur schlecht verhehlte Befriedigung. Beim Ausmarsch der zweiten Marsch¬ bataillone, Mitte September, kam es schon zu allerlei Zwischenfällen. Zum mindesten schmückte man sich mit Fähnchen und Bändern in allslawischen Farben, die auch auf den Feldzeichen der Feinde zu sehen waren. Zum