Die deutfdien Dokumente
zum Kriegsausbruch
Verband der Militärgagisten
in Oberösterreich
Bücherei.
OiCig
ßerausgegeben
im Buftrage des Auswärtigen Amtes
Erster Band:
Vom Attentat in Sarajevo
bis zum Eintreffen der
serbischen Antwortnote
in Berlin
nebst einigen Dokumenten
aus den vorhergehenden
Wochen
Charlottenburg 1919
Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und
Geschichte m. b. H.
46220
Alle Rechte, besonders das der Übersetzung, Vorbehalten
Für Rußland auf Grund der deutsch-russischen Übereinkunft
Amerikanisches Copyright 1919 by
Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte
m. b. H. in Charlottenburg
Gedruckt in der Reichsdruckerei
Inhaltsübersicht der vier Bände
(ist jedem Bande vorgedruckt)
Band I
Vom Attentat in Sarajevo bis zum Eintreffen der serbischen Antwortnote
in Berlin nebst einigen Dokumenten aus den vorhergehenden Wochen
Vorbemerkungen
Inhaltsverzeichnis und Zeittafel von Band I
Aktenstücke Nr. 1 bis 278
Band II
Vom Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin bis zum Bekannt-
werden der russischen allgemeinen Mobilmachung
Inhaltsverzeichnis und Zeittafel von Band 11
Aktenstücke Nr. 279 bis 479
Band III
Vom Bekanntwerden der russischen allgemeinen Mobilmachung bis zur
Kriegserklärung an Frankreich
Inhaltsverzeichnis und Zeittafel von Band 111
Aktenstücke Nr. 480 bis 734 c
Band IV
Von der Kriegserklärung an Frankreich bis zur Kriegserklärung Österreich-
Ungarns an Kußland
Inhaltsverzeichnis und Zeittafel von Band IV
Aktenstücke Nr. 735 bis 879
Anhang zu Band IV
Enthält u. a. den Dreibundvertrag, den österreichisch-ungarisch-rumänischen Bündnisvertrag
nebst deutscher Akzessionserklärung, ferner Berichte, Telegramme und Telephon-
gespräche der bayrischen Gesandtschaft in Berlin
Namenverzeichnis
Nach Absendern geordnetes Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Telegrammnummern
Vorbemerkungen
1. Allgemeines
Im November 1918 erhielt Karl Kautsky von der Volksregierung
den Auftrag, die auf die Vorgeschichte des Weltkrieges bezüglichen
Akten des Auswärtigen Amtes zu sammeln und herauszugeben. Die
Sammlung und Ordnung des Materials wurde von Karl Kautsky mit
Unterstützung von Dr. Gustav Meyer Anfang Mai 1919 abgeschlossen.
Von den anderen Hilfskräften, hatte einen ganz hervorragenden An-
teil an der Arbeit der vom Direktorium der Staatsarchive dem
Auswärtigen Amt auf dessen Ersuchen zur Verfügung gestellte
Archivar beim Geheimen Staatsarchiv Dr. Hermann Meyer, dessen
fachmännische Spuren der Leser überall wahrnehmen wird. Von
Februar bis Mai arbeiteten noch mit Dr. Richard Wolff und
Frl. Nora Stiebei, cand. hist.
Die zeitweise hinausgeschobene Publikation der Akten wurde
später vom Gesamtministerium dem General Grafen Max Montgelas
und Professor Dr. Walter Schücking übertragen und Anfang
September ds. Js. in Angriff genommen. Die Arbeitsteilung zwischen
beiden war ursprünglich so gedacht, daß Professor Schücking die
Urkunden vom Morde von Sarajevo bis zur russischen Ge-
samtmobilmachung, Graf Montgelas die Schriftstücke von diesem
Ereignisse bis zur Kriegserklärung Englands durcharbeiten sollte.
Wenn auch in der Hauptsache so verfahren wurde, so stellte sich
doch heraus, daß aus inneren und äußeren Gründen eine getrennte
Publikation nach verschiedenen Zeiträumen untunlich war. Denn
die diplomatischen Verhandlungen dauern noch über den Zeitpunkt
der allgemeinen russischen Mobilmachung fort, auch hätte bei einer
Teilung der Publikation manches Beiwerk doppelt gemacht werden
müssen. Die beiden Herausgeber haben sich deshalb geeinigt, nach
einheitlichen Grundsätzen die Arbeit zusammen zu veröffentlichen.
Niemand wird leugnen, daß die politischen Ereignisse der letzten
Wochen vor Kriegsausbruch in engem historischen Zusammenhänge
mit der gesamten politischen Weltlage stehen. Infolgedessen wurde
vom Kabinett Auftrag gegeben, auch die Urkunden zu sammeln, die
zum Studium der entfernteren Vorgeschichte des Weltkrieges
erforderlich sind. Die Unterzeichneten konnten es aber nicht für
VIII
geboten erachten, ihre Publikation bis zur Vollendung jenes anderen,
Professor Mendelssohn Bartholdy (Würzburg) übertragenen Unter-
nehmens zurückzuhalten.
Die Herausgeber haben aus rein sachlichen Gründen wie aus
solchen der äußeren Zweckmäßigkeit wenig an der Kautsky’schen
Sammlung geändert. Diese Sammlung stellte sich ihnen bei unbe-
fangener Betrachtung als sorgfältig durchgeführtes Unternehmen dar,
das durch wesentliche Änderungen nur an Wert hätte verlieren
können. Die Gesamtzahl der veröffentlichten Aktenstücke beträgt
1123, von denen 937 im vollen Wortlaut, 186 weitere in den An-
merkungen dem wesentlichen Inhalte nach angeführt sind. Davon
wurden, abgesehen von den Berichten der bayrischen Gesandtschaft,
neu aufgenommen nur 22 Urkunden, darunter zum Teil solche, die
in der Kautsky-Sammlung deshalb nicht enthalten waren, weil sie
sich nicht im Besitz des Auswärtigen Amts, sondern in dem
anderer Reichsbehörden befanden. Die übrigen Änderungen waren
nur technischer Natur und bezogen sich auf die Schlußredaktion.
Die Anmerkungen wurden gelegentlich gekürzt, hier und da auch
einmal ergänzt. Den meisten in fremder Sprache abgefaßten
Dokumenten wurde eine Übersetzung angefügt; bei sehr langen
Schriftstücken, die schon anderweitig amtlich übersetzt sind, mußte
jedoch aus Rücksichten der Zeit- und Raumersparnis darauf ver-
zichtet werden. Die auch von Kautsky für die Korrektur noch
vorgesehene Vervollständigung der Verweise der einzelnen Stücke
aufeinander wurde durchgeführt. Ein chronologisches »Inhalts-
verzeichnis mit Zeittafel«, ein »Namenverzeichnis«, ein »nach Absendern
geordnetes Inhaltsverzeichnis«, das den Schriftwechsel nach dem Ort
der Entstehung zusammenfaßt, und ein »Verzeichnis der Telegramm-
nummern« wurden beigefügt. Die Herausgeber legen Wert darauf,
festzustellen, daß alle Veränderungen, die sie an der Kautsky’schen
Sammlung vorgenommen haben, im Einverständnis mit Herrn Kautsky
erfolgt sind, und daß diesem die Korrekturen zur Nachprüfung Vor-
gelegen haben.
Dem Zweck des Ganzen entsprechend, als wissenschaftliche
Quellensammlung für die unbefangene Beurteilung der Ereignisse
durch den Politiker und Historiker zu dienen, ist grundsätzlich von
Kautsky wie den Herausgebern auf alles verzichtet worden, was
irgendwie nach einer materiellen Beurteilung der Ereignisse hätte
aussehen können. Wir waren dabei von der Erwägung geleitet, daß
jede Art einer von den Dingen selbst handelnden Einleitung oder
eines sachlichen Kommentars in die Veröffentlichung ein subjektives
Moment der Wertung hineingetragen hätte, die besser dem Leser
IX
überlassen bleibt. Nicht einmal offensichtlich unrichtige Angaben,
die sich in den abgedruckten Urkunden finden, sind berichtigt worden.
Als Beispiel verweisen wir in dieser Beziehung auf die Angaben über
die Außerdienststellung (Demobilmachung) der englischen Manöverflotte,
obwohl die Unrichtigkeit dieser Meldung sowohl aus dem französischen
Gelbbuch Nr. 66 als auch aus dem englischen Blaubuch Nr. 47, 48
und 87 hervorgeht. Auch die irrigen Angaben über Bombenwürfe
französischer Flieger in der Gegend von Nürnberg usw. sind nicht
in Anmerkungen berichtigt.
Indes halten sich die beiden Herausgeber für verpflichtet, Stellung
zu nehmen zu der im Anhang Nr. VIII enthaltenen Aufzeichnung vom
30. August 1917 des damaligen Unterstaatssekretärs Freiherrn von dem
Bussche über eine »Beratung militärischer Stellen« in Potsdam am
6. (oder 5.) Juli 1914, da es sich hier nicht um ein Aktenstück aus
dem zu bearbeitenden Zeitraum, sondern um einen nachträglichen
Aktenvermerk eines an den Vorgängen des Jahres 1914 nicht be-
teiligten Beamten ohne Angabe der Quelle handelt. Die Erhebungen,
die vom Auswärtigen Amt bei dem früheren Hofmarschallamt des
Kaisers, dem preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten (für
die Eisenbahn Verwaltung Potsdam), den Flügeladjutanten vom Dienst,
dem General- und Admiralstabe, dem Reichswehrministerium, dem
Chef der Admiralität und den in der erwähnten Aufzeichnung ge-
nannten Militärpersonen gepflogen und zu den Akten des Auswärtigen
Amts genommen wurden, sind in einem Anhang zu den Vorbemer-
kungen auf Seite XIII—XVI angefügt.
II. Text der Urkunden
Alle Urkunden, die überhaupt in die Publikation aufgenommen
wurden, sind ohne Kürzungen oder irgend welche Änderungen des
Textes abgedruckt, auch zweifellose Schreibversehen sind unverändert
wiedergegeben, oder die vorgenommene Änderung ist als solche er-
sichtlich gemacht. Nur die einleitenden Worte »Antwort auf Tele-
gramm Nr. . . .« sind mitunter im Interesse der Bequemlichkeit des
Lesers durch einen Hinweis auf die betreffende Nummer der Akten-
Sammlung selbst ersetzt. Ferner wurde eine einheitliche Schreib-
weise der Eigennamen durchgeführt, bei Telegrammen die Interpunktion
ergänzt und durchweg folgende Abkürzungen angewendet:
Ew. M., S. M., Sr. M. für Euere, Seine, Seiner Majestät,
Ew. Exz., S. Exz., Sr. Exz. für Euere, Seine, Seiner Exzellenz,
k. für kaiserlich und königlich.
Bei jedem Aktenstück ist angegeben, ob der Text nach der
»Ausfertigung« d. i. der bei den Akten vorliegenden Reinschrift
X
oder nach dem »Konzepte« oder nach der »Entzifferung« des Chiffrier-
büros usw., angeführt wird.
Die Unterschriften sind bei schriftlichen Berichten so wieder-
gegeben, wie der Absender tatsächlich zu zeichnen pflegte, z. B.
»v. Bethmann Hollweg, F. Pourtales«; bei Telegrammen wurde jedoch
nur der Familienname ohne jeden Zusatz abgedruckt.
III. Reihenfolge der Aktenstücke
Für die Reihenfolge der Aktenstücke wurde eine streng
chronologische Anordnung gewählt. Für alle Nummern, bei denen
die genaue Zeit der Absendung vom Auswärtigen Amt zum Haupt-
telegraphenamt oder der Ankunft im Auswärtigen Amt (Chiffrierbüro)
bekannt ist, war diese Zeit maßgebend. Dabei ist freilich zu be-
rücksichtigen, daß z. B. ein Ziffemtelegramm, das n° vorm, zum
Telegraphenamt gesandt wurde, im Entwurf vielleicht schon um ioö
fertiggestellt war, somit früher als ein um io° eingehendes Ziffem-
telegramm entziffert und gelesen sein konnte. Ferner kann ein
dringendes oder ein kurzes Zifferntelegramm, das io° zur Station
getragen wurde, später entworfen sein, als ein nicht dringendes
oder langes Ziffemtelegramm, das erst io30 vom Auswärtigen Amt
abgesandt worden ist. Endlich konnten die Bearbeiter nicht dauernd
ohne jede Ruhepause im Amt tätig sein, so daß auch manche wich-
tigen Eingänge stundenlang unerledigt bleiben mußten. Eine Be-
rücksichtigung aller dieser Umstände war nicht möglich; ein Versuch,
darauf einzugehen, konnte die Anordnung der Reihenfolge leicht
willkürlich gestalten. Die Herausgeber haben es daher vorgezogen,
schematisch die Zeiten des Eingangs im Auswärtigen Amt usw.
imd der Absendung von dort zur Grundlage der Reihenfolge zu
wählen. Bei den Telegrammen usw. des Kaisers waren jedoch die
Zeiten des Abgangs vom Hoflager oder der Ankunft dort maßgebend.
Zu beachten ist noch, daß die Abgänge aus Petersburg usw. nach
osteuropäischer Zeit — i Stunde vor der mitteleuropäischen — die
aus Paris, London usw. nach westeuropäischer Zeit — i Stunde
nach der mitteleuropäischen — angegeben sind.
Aktenstücke, die nicht Telegramme sind, werden im Auswärtigen
Amt nur mit dem Eingangsvermerk »vorm.« oder »nachm.« versehen.
Die Einreihung solcher Nummern ist daher, soweit sich nicht aus
anderen Stücken indirekt weitere Anhaltspunkte ergeben haben,
nur annähernd genau. Dazu kommt, daß gerade besonders wichtige
Eingänge oft sofort bearbeitet und erst erheblich später im Journal
eingetragen und mit Eingangsvermerk versehen worden sind.
XI
IV. Anmerkungen
Der Umfang der Anmerkungen erklärt sich aus dem Bestreben,
bei den dem hiesigen Auswärtigen Amt entstammenden wichtigen
Schriftstücken die ursprüngliche Fassung dort anzugeben, wo es sich
um materielle Änderungen auch von nur geringfügiger Bedeutung
handelt. Denn für die entscheidenden Ideengänge der Urheber solcher
wichtigen Schriftstücke und deren Sinnesrichtung verdient auch die
ursprüngliche Fassung des Entwurfs Berücksichtigung. Die Nennung
des Namens desjenigen, von dessen Hand der Entwurf eines politischen
Dokuments herrührt, ist freilich nur die Feststellung einer äußerlichen
Tatsache und braucht durchaus nicht zu bedeuten, daß der betreffende
Beamte auch der wahre geistige Urheber des jeweiligen Schrift-
stücks ist. Die Möglichkeit liegt nahe, daß, wenn es sich um eine
nachgeordnete Stelle handelt, der äußere Urheber das Schriftstück
nach den Weisungen entworfen hat, die ihm von anderer Seite
erteilt worden wTaren. Der Entwurf kann aber auch der Niederschlag
einer gemeinsamen Beratung und Besprechung mehrerer beteiligter
Beamten sein.
Bei Schriftstücken, die schon in früheren deutschen Weißbüchern
ganz oder teilweise veröffentlicht sind, wurde auf die betreffende Stelle
des Weißbuchs hingewiesen. In dieser Sammlung sind alle Dokumente
ganz wortgetreu mitgeteilt, während bei dem früheren Abdruck zur
Wahrung des Chiffriergeheimnisses eine allgemein übliche Umstellung
stattgefunden hatte. Auf die Buntbücher der anderen Staaten ist
jedoch nur ausnahmsweise Bezug genommen.
V. Randbemerkungen
Von Kautsky sind auch die Randglossen des Kaisers mit in
den Abdruck der diplomatischen Urkunden auf genommen worden.
Welche grundsätzliche Bedeutung ihnen für den Gang der Ereignisse
beizumessen ist, kann an dieser Stelle nicht untersucht werden. Ge-
legentlich ergibt sich aus den Akten selbst, daß die Rand Verfügungen
zu spät eintrafen, um für die Entscheidung noch irgendwie verwertet
werden zu können. In anderen Fällen ergeben die Akten, daß es
sich um Weisungen handelt, die nicht zur Ausführung gelangt sind. Sehr
häufig handelt es sich offensichtlich nur um den Ausdruck momentaner
Stimmungen. Zur Erleichterung der Prüfung, welchen Einfluß irgendeine
kaiserliche Meinungsäußerung gehabt haben könnte, ist regelmäßig ver-
merkt, wann das betreffende Aktenstück mit den Randnoten zur amt-
lichen Stelle zurückgesandt wurde, oder wann die Noten sonst der zu-
ständigen Berliner Stelle zur Kenntnis gekommen sind. Die Randbemer-
kungen des Kaisers und die von ihm bei der Lektüre unterstrichenen
XII
Worte oder Sätze sind durch abweichenden Druck in lateinischer
Kursivschrift, z. B. Petersburg kenntlich gemacht, während die vom
Verfasser eines Schriftstückes selbst hervorgehobenen Stellen durch
Sperrdruck bezeichnet sind.
VI. Akten der Botschaften, Gesandtschaften
und militärischen Stellen
Die Ende September eingeforderten Akten der deutschen
Botschaft in Wien konnten wenigstens noch soweit verwertet
werden, daß nach ihnen Unstimmigkeiten zwischen den Entzifferungen
des Auswärtigen Amts und den Wiener Originalen berichtigt und die
genauen Ankunftszeiten der von Berlin nach Wien gesandten Depeschen
mitgeteilt wurden. Wichtig für den Forscher sind die Wiener Akten be-
sonders deshalb, weil der damalige Botschafter mehrfach die Art der Er-
ledigung der ihm von Berlin erteilten Weisungen und die Antworten
des Wiener Kabinetts dazu in kurzen handschriftlichen Notizen ver-
merkt hat.
Eine Übersicht der letzten Ereignisse, die von der Botschaft
in Petersburg gefertigt wurde, war schon früher von Kautsky in
den Anhang auf genommen worden.
Die von der bayerischen Gesandtschaft in Berlin den
Herausgebern zur Verfügung gestellten 35 Berichte, Telegramme und
Telephongespräche sind wegen ihrer Wichtigkeit im Anhang beigefügt.
Dagegen war eine Bearbeitung der Akten des früheren Kriegs-
ministeriums und Reichsmarineamts sowie General-- und Admiral-
stabs bei der knapp bemessenen Zeit nicht möglich.
VII. Schlußbemerkung
Die Herausgeber verschließen sich nicht der Tatsache, daß
erfahrungsgemäß in den Akten nicht alles enthalten ist, was unter
den beteiligten Personen verhandelt wurde. Es gehört schon in
innerstaatlichen Angelegenheiten zur Routine der Verwaltung, daß
gerade besonders delikate Angelegenheiten zunächst in Privat-
briefen zwischen den beteiligten Personen besprochen werden.
Dieser Brauch, den der Historiker sehr beklagen wird, dürfte aus
naheliegenden Gründen auch in Angelegenheiten der auswärtigen
Verwaltung eine bedeutsame Rolle gespielt haben. Solche Privat-
briefe können sich in die Akten verlieren, brauchen es aber nicht.
Für die vorliegende Publikation haben die Unterzeichneten eine Reihe
von Privatbriefen in den Akten vorgefunden.
Sodann spielt heute bei der Behandlung der auswärtigen An-
gelegenheiten auch das Telephongespräch eine gewisse Rolle;
XIII
vgl. hierzu Nr. 441, 465 und 468 sowie Anhang IV. Es ist jedoch
nicht festzustellen, ob außerdem noch andere Telephongespräche nach
auswärts geführt wurden.
Regelmäßige Aufzeichnungen über mündliche Verhandlungen,
auch über solche zwischen dem Auswärtigen Amt und den fremden
Diplomaten, haben nicht stattgefunden. Der Inhalt solcher Ver-
handlungen spiegelt sich freilich häufig in den Weisungen und Be-
nachrichtigungen an die ausländischen Vertreter Deutschlands.
Auch ein eigentlicher Tagesbericht wie in dem k. u. k. Ministerium
des Äußeren in Wien wurde in Berlin nicht geführt. Aus den dar-
gelegten Gründen muß es Vuch dahingestellt bleiben, ob nicht die
Lückenhaftigkeit der beim Auswärtigen Amt eingelaufenen mili-
tärischen Situationsberichte des Generalstabs aus den kri-
tischen Tagen sich dadurch erklärt, daß der Inhalt der fehlenden
Berichte mündlich vorgetragen wurde.
Abgesehen von diesen Lücken würde sich eine völlige Aufhellung
aller Vorgänge nur dann erreichen lassen, wenn die ehemals feind-
lichen Staaten sich entschließen könnten, mit derselben
rückhaltlosen Offenheit ihre Urkunden dem Publikum
der ganzen Welt vorzulegen, wie es die deutsche und die
österreichische Republik getan haben.
Berlin, Anfang November 1919
Graf Max Montgelas Dr. Walter Schücking
Anhang zu den Vorbemerkungen
Der Hofzug Kaiser Wilhelms ist am 6. Juli 915 vorm, von Station Wildpark
nach Kiel abgegangen. (Auswärtiges Amt A. S. 2138/11. Oktober 1919 vorm.)
Das Tagebuch des Hoffouriers (Auswärtiges Amt A. 26078/1. Oktober
1919) verzeichnet weder am 5. noch am 6. Juli eine »Beratung militärischer
Stellen«.
Den beiden Flügeladjutanten vom Dienst ist eine Beratung militärischer
Stellen am 5. oder 6. Juli nicht bekannt (Auswärtiges Amt: A. S. 2140/11. Ok-
tober 1919 vorm, und A. S. 2167/17. Oktober 1919 vorm.).
Ferner berichten:
Freiherr von dem Bussche
(Auswärtiges Amt A. 27230/16. Oktober 1919)
»Leider kann ich mich nicht an die Quelle erinnern. Vielleicht
Müller. Datum der Aufzeichnung könnte möglicherweise meine
Erinnerung aufFrischen. Auch denkbar, daß ich Quelle irrigerweise
als zuverlässig bezeichnet habe.«
Admiral von Müller
(Auswärtiges Amt A. 28205/28. Oktober 1919 nachm.)
Dem Auswärtigen Amt
»Ich kann nicht der Gewährsmann des Frhr. v. d. Bussche sein.
Mein Tagebuch enthält nichts über einen solchen Vortrag, der doch
wohl in den Tagen vom 29. 6. bis 6. 7. 14 (Anwesenheit Sr. M. im
Neuen Palais vor der Nordlandsreise) stattgefunden haben mußte.
Am 6. Juli früh hat aber der von Admiral von Capelle erwähnte
Vortrag stattgefunden.«
v. Müller
Admiral von Capelle
(Auswärtiges Amt A. S. 2139/11. Oktober 1919)
Baden-Baden, den 8. Oktober 1919
»Am Montag, den 6. Juli 1914, zwischen 7 und 8 Uhr morgens
erhielt ich als stellvertretender Staatssekretär — Großadmiral v.Tirpitz
war auf Urlaub — die telephonische Aufforderung, sofort zum
Kaiser Wilhelm ins Neue Palais zu kommen.
Ich traf den Kaiser im Garten reisefertig zum Antritt der Nord-
landreise. Der Kaiser ging mit mir noch eine kurze Zeit auf und
ab und erzählte mir kurz von den Vorkommnissen am gestrigen
Sonntag. Er fügte nach meiner Erinnerung dem Sinne nach un-
gefähr Folgendes hinzu (private oder amtliche Aufzeichnungen hier-
über aus damaliger Zeit sind wohl nicht vorhanden): Er glaube
nicht an größere kriegerische Verwicklungen. Der Zar werde sich
in diesem Falle nach seiner Ansicht nicht auf Seite der Prinzen-
mörder stellen. Außerdem seien Rußland und Frankreich nicht
kriegsbereit..— England erwähnte der Kaiser nicht. — Auf Rat des
Reichskanzlers werde er, um keine Beunruhigung zu schaffen, die
Nordlandreise antreten. Immerhin wolle er mir von der gespannten
Situation Mitteilung machen, damit ich mir das Weitere überlegen
könne.
Eine Beratung militärischer Stellen hat nach Vorstehendem in
Potsdam am 6. Juli nicht stattgefunden, da der Kaiser unmittelbar
nach der Rücksprache mit mir die Reise nach Kiel antrat.
Admiral z. D. v. Capelle
General der Infanterie von Bertrab
(Auswärtiges Amt A. S. 2194/22. Oktober 1919)
Berlin, den 20. Oktober 19(49]
Dem Auswärtigen Amt
erwidere ich sehr ergebenst, daß am 6. Juli 14 S. M. der Kaiser mich
persönlich ohne Zeugen über seine Auffassung der durch die Maß-
nahmen Österreichs geschaffenen Lage orientiert hat, damit ich,
als damals ältester in Berlin anwesender Offizier des Generalstabes
XV
den in Karlsbad weilenden Chef des Generalstabes darüber infor-
miere. Anwesend waren im Hintergründe I. M. die Kaiserin, ein
Adjutant und ein Lakai. Unmittelbar vorher sprach S. M. — offen-
bar zum gleichen Zwecke mit einem Marineoffizier, ebenfalls unter
4 Augen, der sich sofort nach der Besprechung entfernte. Nachdem
der Kaiser mich entlassen hatte, bestieg er sein Auto zum Antritt
seiner Nordlandreise. Anordnungen wurden weder während noch
im Anschluß an die Unterredung getroffen. S. M. betonte sogar,
daß er es nicht für nötig erachte, bes. Anordnungen zu treffen,
da er an ernste Verwickelungen aus Veranlassung des Sarajevoer
Verbrechens nicht glaube.
v. Bertrab, Gen. d. Inf.
Generalleutnant Graf Waldersee
(Auswärtiges Amt A. S. 2215/25. Oktober 1919)
^ S 21QO
Auf die Anfrage vom 23. d. M.--------- beehre ich mich Nach-
stehendes zu erwidern:
Am Morgen des 8. Juli 1914 teilte mir Generalleutnant von
Bertrab, Chef der Landesaufnahme, mit, er sei während meiner
kurzen Abwesenheit vom Chef des Militärkabinetts nach Potsdam
zu Sr. M. dem Kaiser befohlen worden. Dieser habe ihm zur Mit-
teilung an den Chef des Generalstabes — General von Moltke weilte
damals in Karlsbad — eröffnet, daß er, der Kaiser, dem Kaiser
Franz Joseph zugesagt habe, minder deutschen Macht hinter ihm
zu stehen, wenn aus dem seitens Österreich-Ungarns geplanten Vor-
gehen gegen Serbien Verwickelungen entstünden. Irgendwelche
Befehle oder Weisungen sind durch die Vermittelung des Generals
von Bertrab nicht ergangen und auch sonst nicht in Sachen von
etwaigen Kriegsvorbereitungen an den Generalstab gelangt.
Es darf hier hervorgehoben werden, daß General von Bertrab
lediglich in seiner Eigenschaft als rangältester Oberquartiermeister
nach Potsdam zitiert worden ist und daß er mit Mobilmachungs-
arbeiten nichts zu tun hatte.
Der Kaiser hatte inzwischen seine Nordlandsreise angetreten.
Für mich, der ich den General von Moltke in allen auf den Krieg
bezüglichen Angelegenheiten vertrat, gab es infolge der Audienz des
Generals von Bertrab in Potsdam nichts zu veranlassen. Die plan-
mäßigen Mobilmachungsarbeiten waren am 31. März 1914 abge-
schlossen. Das Heer war, wie immer, bereit.
Noch am 8. Juli abends begab ich mich, nachdem ich mich
über die Situation orientiert hatte, zu einem Erholungsurlaub aufs
Land. Auch aus dem Kriegsministerium gingen keine Befehle für
Vorbereitungen ein und der Generalstab hat weiterhin bis unmittelbar
vor Kriegsbeginn keinerlei auf den Krieg hinzielende Maßregeln ge-
troffen. Bald nach mir trat sogar der Chef der II. Abteilung, die
unter mir die Mobilmachungsangelegenheiten bearbeitete, einen
Urlaub an.
Ich kehrte erst, als die stärkste politische Spannung eintrat,
am 23. Juli nach Berlin zurück.
Graf Wald e rse e
Das Zentralamt des Reichswehrministeriums
(Auswärtiges Amt A 27658/21. Oktober 1919)
Reichswehrministerium
Zentralamt Berlin, den 16. Oktober 1919
Nr. 165..10. 19. Z. R. Königin-Augusta-Str. 38/42
Zu den Schreiben vom
3. und 4. Oktober 19 t
»Zu 1. Der ehemalige Kriegsminister, jetzige General der In-
fanterie z. D. v. Falkenhayn, war vom 10. bis einschließlich 24. Juli 1914
beurlaubt. Er hat Berlin in Ausführung einer Dienstreise am
8. Juli 1914 abends verlassen, im Anschluß an die Dienstreise den
Urlaub angetreren und nach Rückkehr von dem mit der Familie an
der Nordsee verbrachten Urlaub am 25. Juli 1914 die Amtsgeschäfte
wieder übernommen. Der Urlaub ist mündlich bewilligt worden
eine Kabinettsordre ist hierüber nicht ergangen.
Zu 2. Am 5. oder 6. Juli 1914 waren keine Offiziere des preu-
ßischen Kriegsministeriums zu einer dienstlichen Besprechung zum
Kaiser befohlen.« Wurtzbacher
Kapitän z. S. Zenker
^Auswärtiges Amt A 29387, 12. November 1919)
Berlin, den 8. November 1919
Ich bin am 5. Juli 1914 nach Wildpark befohlen werden, um
Befehle Sr. M. des Kaisers entgegenzunehmen. Da ich Aufzeich-
nungen über aenV erlauf des Immediatvortrages nicht in meinem Privat-
besitz habe, so kann ich nur nach dem Gedächtnis Folgendes angeben:
S. M. der Kaiser teilten mir zur Weitergabe an meine Vorge-
setzte Behörde mit, daß am Mittag des 5. Juli der österreichisch-
ungarische Geschäftsträger bei ihm angefragt habe, ob Deutschand
im Falle eines österreichisch-ungarischen Konflikts mit Serbien und
daraus vielleicht entstehenden Spannungen mit Rußland seine
Bündnispflichten erfüllen würde. S. M. hätten dies zugesagt,
glaubten aber nicht an ein Eintreten Rußlands für Serbien, das sich
durch den Meuchelmord befleckt habe. Auch Frankreich würde
es kaum zu einem Kriege kommen lassen, da ihm die schwere
Artillerie des Feldheeres fehle. Wenn also auch ein Krieg gegen
Rußland—Frankreich nicht wahrscheinlich sei, so müsse seine Mög-
lichkeit immerhin militärisch ins Auge gefaßt werden.
Jedoch solle die Hochseeflotte ihre für Mitte Juli angesetzte
Reise nach Norwegen antreten, wie auch er seine Norwegenfahrt
planmäßig beginnen würde.
Meine Frage, ob der auf Urlaub befindliche Chef des Admiral-
stabes zurückzurufen sei, verneinten S. M.
Ich habe diese Anweisungen am 6. Juli dem stellvertretenden
Chef des Admiralstabes, Vizeadmiral Behncke, gemeldet. Welche
Anordnungen dieser daraufhin erteilt hat, vermag ich nicht anzu-
geben, da ich als Chef der taktischen Abteilung mit operativen
und Mobilmachungsangelegenheiten nichts zu tun hatte.
An das Auswärtige Amt, hier. Zenker, Kapitän zur See
XVIi
Inhaltsverzeichnis und Zeittafel von Band 11
Lfde. Nr \ Zeit des Abgangs Datum und Überschrift Zeit der Ankunft Seile
stunde Tageszeit Stunde Tageszeit
15. Juni
i —... — ' ■ Der Botschafter in Petersburg •
an den Reichskanzler — — vorm. \
2 ' Bericht des Berliner Lokalanzeigers
vom 14. Juni über einen Artikel der
Birschewija YVjedomosti ' ~~ 1
16. Juni
3 i:L nachm. Der Reichskanzler
an den Botschafter in London — : — • 0
20. Juni
4 U— y. - ' . Der Botschafter in Wien
, an den Reichskanzler i — vorm, 5
21. Juni
5 ■■ Der Botschafter in London
an d?n Reichskanzler. vorm. ' 6
6 ; — " __a Der Unterstaatssekretär des Aus-
wärtigen st
an den Reichskanzler — — 0
1. Juli
6a --- ; Der Generalkonsul in Sarajevo
an das Auswärtige Amt 45 nachm. 9
2. Juli
f b IO20 vorm. Der Reichskanzler
an den Botschafter in - Wien .. ' — - 9
- 7 Der Botschafter in Wien
an den Reichskanzler.. —- nachm. IO
8 . ■ . Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt ...... .-,45 nachm. ) 1
1 Datum, Zeit des Abgangs und der Ankunft beziehen sich auf das Auswärtige
Amt, bei Telegrammen usw. des Kaisers auf das Hoflager. Siehe Vor-
bemerkungen Abschn. III.
Aktenstücke.
2
XVIII
Lfde. Nr. Zeit des Abgangs Datum und Überschrift Zeit der Ankunft Seite
Stunde Tageszeit Stunde Tageszeit
3. Juli
9 \ — Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt I2,a vorm. 12
IQ . — Der Gesandte in Belgrad
an den Reichskanzler. — vorm. l3
4. Juli
l l —- Der Botschafter in Wien
an den Reichskanzler nachm. 15
5. Juli
12 — — Der Gesandte in Belgrad
an den Reichskanzler — vorm. T8
*3 —- - Der Kaiser von Österreich
an den Kaiser T — . Kl
H Memorandum der österreichisch-
ungarischen Regierung wie Nr. 13 21
ua — —- Der Botschafter in Wien
an den Reichskanzler. —• nachm. 3*
6. Juli
*5 5'6 nachm. Der Reichskanzler
an den Botschafter in Wien.. — 3 2
i6 5” nachm. Der Reichskanzler
an den Geschäftsträger in Bu-
karest — — 33
17 9” nachm. Der Unterstaatssekretär des Aus-
wärtigen
an den Gesandten in Sofia — 34
7. Juli
iS Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt 6SS nachm. 35
8. Juli
19 — — Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt. IO40 nachm. 36
9. Juli
19a — Der Gesandte in Belgrad
an den Reichskanzler — — 37
20 — Der Botschafter in London
an den Reichskanzler — nachm. 40
XIX
?s -• fi Zeit des Abgangs Datum und Überschrift Zeit der Ankunft Seite
'»tunde Tageszeit Stunde Tageszeit
Noch: 9. Juli
21 l40 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Geschäftsträger in Bu-
karest ; — 42
23 >40 nachm Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Gesandten in Sofia — v - 43
*3 ' — Aufzeichnung des Staatssekretärs
des Auswärtigen — — 43
254 Der Gesandte in Athen
an das Auswärtige Amt 638 nachm. 44
35 — ■ Der Reichskanzler
an den Kaiser — 44
a6 — Der Kaiser
an den Kaiser von Österreich 45
10. Juli
37 — Der Botschafter in Wien
an den Reichskanzler., — vorm. 47
•a8 —. — Der Geschäftsträger in Bukarest
an das Auswärtige Amt. g40 nachm. 48
*9 Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt....... IO32 nachm. 49
11. Juli
— — Der Botschafter in London
an den Reichskanzler.... vorm. 5*
30a — Der Gesandte im kaiserlichen Gefolge
an das Auswärtige Amt 2i0 nachm. 52
31 24° nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien... — —- 52
33 —r Der Gesandte in Belgrad
an den Reichskanzler — nachm. 53
33 a 645 nachm. Der Staatssekretär de-> Auswärtigen
an den Gesandten im kaiser-
lichen Gefolge ■— ' 54
33 930 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Rom... — — 55
12. Juli
34 — — Der Gesandte in Athen
an den Reichskanzler r- vorm. 56
XX
Zeit Zeit
Lfde. Nr. des Abgangs Datum und Überschrift der Ankunft Seite
Stunde Tageszeit .>tunde Tageszeit
Noch: 12. Juli
35 Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt 12 39 nachm. $6
36 63° nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in London. 57
37 8° nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Wien... ■ ‘ • 5*
38 ~~ Der Botschafter in Rom an cas Auswärtige Amt ...... IO30 nachm. 5*
13. Jul!
33 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Wien und den Ges ndten in Bukarest (an diesen am 14. Juli) 59
40 — . Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt r nachm. 60
14. Juli
41 Der Geschäftsträger in Bukarest an den Reichskanzler N vorm. 6t
41a — Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt....... nachm. 65
42 — . Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt 5« nachm. 67
43 — Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt 8“ nachm. 68
44 IO35 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Rom und den Geschäftsträger in Buka- rest •69
15. und 17. Juli
45 Der Staatssekretär des Auswärtigen an die Botschafter in Wien und Konstantinopel 70
15. Juli
46 — . —■ Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Wien .. 1'
47 j 50 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Rom... ■ , • 72
43 4° nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in London. — 73
XXi
Lfde. Sv, Zeit des Abgangs Datum und Überschrift Zeit der Ankunft Seite
Stunde Tageszeit Stunde Tageszeit
Noch 15. Juli:
49 ■ 7--~ Der Botschafter in Wien
an den Reichskanzler — nachm. 74
5ö ,y,v Der Botschafter in Wien
an den Reichskanzler - nachm. 75
16. Juli
51 Der Botschafter in Rom
an das Auswärtige Amt I27 vorm. 77
53 Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt. ...... I63 vorm. 77
53 • 7-4- Der Botschafter in Petersburg
an den Reichskanzler ........ . vorm. 78
34 ■ Der Botschafter in Rom
an das Auswärtige Amt ...... I44 nachm. 81
55 Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt 2® nachm. 81
56 645 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Generaldirektor derHapag — :• 82
57 830 nachm. Das Auswärtige Amt
an den Reichskanzler — — 84
58 Der Reichskanzler
an den Staatssekretär für Elsaß-
Lothringen — 85
17. Juli
59 . —... . : ' -- Der Botschafter in Rom
an das Auswärtige Amt - I20 nachm. 86
60 ' J-Lt Der Botschafter in Rom
an das Auswärtige Amt ...... 46 nachm; 87
6i .y. —- ' Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien .. — • 87
18. Juü
6a — ' -4., . ; Der Botschafter in London
an den Reichskanzler — vorm, 88
63 330 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Geschäftsträger in Bu-
karest — 9l
64 Der Botschafter in Rom
an den Reichskanzler ........ — nachm. 9i
65 — Der Botschaftsrat in Wien
an den Reichskanzler — nachm. 93
Zeit
des Abgangs
itunde Tageszeit
nachm,
vorm,
Seit
Datum und Überschrift
Zeit
der Ankunft
Stunde
Tageszeit
nachm.
vorm.
vorm.
vorm.
nachm.
nachm.
nachm.
93
95
.96
: 97
97
98
99
lOi
lOi
103
103
104
104
105
im
nachm.
Noch: 18. Juli
Der Geschäftsträger in Bukarest
an den Reichskanzler................
Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Gesandten im kaiser-
lichen Gefolge ...................
Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien ..
Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Gesandten im kaiser-
lichen Gefolge .....................
Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien ..
19. Juli
Der Botschafter in Konstantinopei
an das Auswärtige Amt___________
Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in London
(Privatbrief)........................
Der Oberquartiermeister I im Großen
Generalstabe
an den Staatssekretär des Aus-
wärtigen (Privatbrief).......
Der Botschafter in Rom
an den Staatssekretär des Aus-
wärtigen ...................
Der Botschafter in London
an den Reichskanzler .
Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien ..
Der Botschafter in Rom
an das Auswärtige Amt
nachm.
nachm.
Der Botschafter in Rom
an den Reichskanzler .
Der Gesandte im kaiserlichen Ge-
folge
an das Auswärtige Amt ......
Der Gesandte im kaiserlichen Ge-
folge
an das Auswärtige Amt.........
XXIII
Lfde. Nr. Zeit des Abgangs Datum und Überschrift Zeit der Ankunft Seite
Stunde Tageszeit Stunde Tageszeit
Noch: 19. Juli
Hx ; . Der Botschafter in Konstantinopel
an das Auswärtige Amt 9n nachm. 10(3
20. Juli
82 Der Chef des Admiralstabs der
Marine
an den Staatssekretär des Aus-
wärtigen . —~V !üS
Bä Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien .. ICK*
84 ' 1216 nachm. Der Reichskanzler
an den Kaiser ■ — ' IOq
$5 1251 nachm. Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt -- •• — I IO
86 : Die serbische Gesandtschaft in Berlin
an das Auswärtige Amt nachm. I 10
'87 Der Botschaftsrat in Wien
an den Staatssekretär des Aus-
wärtigen (Privatbrief) — . nachm. -i*3
88 - Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt 4° nachm, 1 *5
89 g.5 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien ,. 115
90 9*3 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Gesandten im kaiser-
lichen Gefolge — — . 1 e6
91 935 nachm, Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien ., 116
92 ' ■ Der Botschafter in London an das
Auswärtige Amt 5 0SO nachm. 117
21. Juli
93 118 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Peters-
burg — 118
94 ■ - , Der Botschafter in Wien
an den Reichskanzler — nachm. 118
95 . — . Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt *. nachm. 120
96 . Der Admiralstab der Marine
an den Staatssekretär des Aus-
wärtigen ,. -~7 — 121
XXIV
Lfde. Nr. Zeit des Abgangs Datum und Überschrift Zeit der Ankunft Seite
Stunde Tageszeit Stunde Tageszeit
Noch: 21. Juli |
97 6Z0 tiochm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien .. i 22
98 . •—: ' Der Botschafter in Konstantinopel
an das Auswärtige Amt .... ü40 nachm. I 22
99 " — ■ __ Der Botschafter in Konstantinopel
an das Auswärtige Amt *7* / nachm. 123
2t. und 22. Juli
iOtf — Der Reichskanzler
an die Botschafter in Peters-
bürg, Paris ünd London.... : - . — ; 124
21. Juli
loi 6S0 nachm. Der Reichskanzler
an das Auswärtige Amt 126
10a Der Botschafter in Konstantinopel
an das Auswärtige Amt 755 nachm. I 2( >
103 Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt 9“ nachm. 127
104 Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt 9” nachm. 127
' 105 Der Kaiser
an den Kronprinzen 128
22. Juli - ;*■
106 . Der Botschafter in Wien
an den Reichskanzler nachm. 128
107 Entwurf eines nicht abgesandten
Erlasses des Staatssekretärs des
Auswärtigen
an den Geschäftsträger in . *
Hamburg. ™ ' I 2p
toB Der Botschafter in Petersburg
an das Auswärtige Amt 2*' nachm 13°
109 Der Botschafter in Rom
an das Auswärtige Amt '316 nachm. 130
110 ■ Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt 352 nachm.
m . ~~- Der stellvertretende Chef des Ad-
miral Stabs
an das Auswärtige Amt ...... — nachm. LV
ua 6® nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien .. 132
-V-: ^ teteagife—-—-—- — - ■ ■ - . ■■ --
XXV
Lfde. Zeit des Abgangs Datum und Überschrift Zeit der Ankunft
Nr. Munde Tageszeit Stunde Tageszeit
Noch: 22. Jul!
U3 Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt 635 nachm.
U4 6” nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Gesandten in Belgrad.. —! •
ii5 7* nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Reichskanzler ^ •
23. Juli
116 .— - Der Reichskanzler
an das Auswärtige Amt ...... I25 vorm.
117 ‘ — ■' — s Der Botschafter in Kon tantinopel
an das Auswärtige Amt I25 vorm.
1x8 . Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt { 25 vorm.
119 . .'. ./• Der Botschafter in Rom
an das Auswärtige Amt 9- vorm.
120 Der Botschafter in Petersburg
an den Reichskanzler .., vorm.
131 i40 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Kaiser ........
132 ,-,40 nachm Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Geschäftsträger in Athen —
123 240 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Gesandten in Stockholm
124 . - Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt 3’° nachm.
i»5 „40 nachm. Der Reichskanzler
an den Gesandten im kaiser-
lichen Gefolge •
12Ö 4° nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in London ...... '. ’ rVv !
127 Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt ...... 4° nachm.
ia8 Der Botschafter in Wien
an den Reichskanzler . — nachm.
12g -■ / ' ___ Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt 440 nachm
130 . : Der Botschafter in Petersburg
an das Auswärtige Amt 526 nachm.
XXVI
Zeit ' , ' - T .■■■■■■ < . - Zeit
-Liefe. KTr. des Abgangs Datum und Überschrift der Ankunft Seit«.
stunde Tageszeit Stunde Tageszeit
Noch: 23. Juli
igi — — Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt 580 nachm. 150
13^ — Der Kronprinz an 1 en Reichskanzler 151
*33 — • —• ^ Der Gesandte im kai erlichen Ge olge an den Reichskanzler *51
*34 —' — Der Bo'schafter in Petersburg an das Auswärtige Amt ...... io‘° nachm. 152
24. Juli
*35 — Der Geschäftsträger in Bukarest an das Auswärtige Amt vorm. *53
136 •— — ' Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt IOao vorm. *53
137 — ~~ Der Gesandte in Belgrad an den Reichskanzler , , vorm. vorm. *5 4 *55 156
138 ~~ - Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler .,
*39 — — Der Gesandte in Belgrad an das Auswärtige Amt nachm.
140 5 40 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in London -j v- *57
141 — ; T - Der Gesandte im kaiserlichen Gefolge an das Auswärtige Amt j S8 nachm. 158
142 28 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Wien .. _ 158
H3 33S riachra. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Petersburg *59
*44 640 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Konstan- tinopel »59
*45 — — Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Rom,.. 645 nachm. 160
146 y— — Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt 0 nachm. 160
147 — Der Botschafter in Kon tantinopel an das Auswärtige Amt r nachm. 16 5
148 Der Botschaf er in Petersburg an das Auswärtige Amt 8*° nachm. 16 !•
XXVII
Lfde. Zeit des Abgangs Datum und Überschrift Zeit der Ankunft Seite
Nr. 'i tun de Tageszeit stunde Tageszeit
Noch: 24. Juli
M9 Der Botschafter in Konstantinopel
an das Auswärtige Amt ...... 32° nachm. IÖ2
; “o o,s nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien .. — •— 163
151 1 Der Bot chafter in Wien
an das Auswärtige Amt ...... 920 nachm. 164
153 u Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt ...... 920 nachm. 165
153 9*s nachm. Der Unterstaatssekretär des Auswär-
tigen an die Botschafter in Paris,
London und Petersburg .... — —. 165
154 . Der B tschafter in Paris
an das Auswärtige Amt ...... io*4 nachm 166
155 Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt ua* nachm. 167
25. Juli
i5§ . Der Botschafter in Rom
an das Auswärtige Amt ...... 1210 vorm. 168
157 __ Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt ...... i16 vorm 1 DO
153 ■-'2— Der Gesandt0 in Bel rad
an das Auswärtige Amt ...... 1- vorm. 172
159 . —. Der Gesandte in Belgrad
an das Auswärtige Amt ...... 2S* vorm. 172
160 — —. Der Botschafter in Petersburg
an das Auswärtige Amt ...... 348 vorm. 173
löi — Der Botschafter in London
an den Staatssekretär des Aus-
wärtigen (Privatbrief} — — 175
162 Der Gesandte in Sofia
an das Auswärtige Amt 1168 vorm. 177
163 __ Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt I248 nachm. 178
164 1° nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in London — ' i- — , 178
65 Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt I26 nachm. 179
XXVIII
Lfde. Nr. Zeit des Abgangs Datum und Überschrift Zeit der Ankunft Seite
'tunde Tageszeit tunde Tageszeit
Noch: 25. Juli
166 '• , •- — Der Botschafter in Paris
an das Auswärtige Amt ... ... Iso nachm. 179
167 , - ; ; ■: Der Botschafter in Rom
an das Auswärtige Amt 214 nachm. 1S0
108 3° nachm, Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Kaiser . — 180
169 Der Botschafter in Paris
an das Auswärtige Amt ..... 325 nachm. GO 03
I/O Der Botschafter in Paris
an das Auswärtige Amt ...... 350 nachm. 183
m 4® nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien . . l84
173 Der russische Geschäftsträger
an den Staatssekretär des Aus-
wärtigen — nachm. I84-
173 Der Gesandte im kaiserlichen Ge-
folge
an das Auswärtige Amt 4“ nachm. l86
174 — nachm. Aufzeichnung des Unterstaatssekre-
tärs des Auswärtigen — . . l86
175 \ ; —, ^ Der Admiralstab
an den Staatssekretär des Aus-
wärtigen. . * — nachm. l$l
176 _ — Der Botschafter in Wien
an den Reichskanzler ........ nachm. l87
177 ' Der Geschäftsträger in Bukarest
an den Reichskanzler . nachm.. 1S9
17S - - • • Der Botschafter in Wien V
an das Auswärtige Amt 5° nachm. 189
179 , ■ ' - Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt 2 1 D nachm. 190
i8p . '■ - Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt 552 nachm. i9i
18 i 8° nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Gesandten in Kopen-
hagen ~ 1 [92
182 8*5 nachm. Der Reichskanzler
an den Kaiser *93
XXIX
Lfde. Nr. Zeit des Abgangs Datum und Überschrift Zeit der Ankunft Seit--.
stunde Tageszeit Stunde Tageszeit
Noch: 25. Juli
183 — Der Botschafter in Konsrantinopel an das Auswärtige Amt g56 nachm. 194
»*4 — Der Botschafter in Konstantinopel an da« Auswärtige Amt ...... 93 nachm. *94
185 ;rV Der Geschäftsträger in Bukarest an das Auswärtige Amt 93 nachm. *95
186 — — Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt. 925 nachm. 195
iS'/ — Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt 925 nachm. !9(>
188 — — Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt..... . 950 nachm. 197
189 __ Der Geschäftsträger in Athen an das Auswärtige Amt. .... IO5 nachm. l97
190 ■— Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt IO30 nachm 198 198
19 i IO45 nachm. Der Reichskanzler an den Kaiser
191a — — . Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt 11° nachm. 199
192 II5 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in London — — '' 200
26. Juli
n-3 •2° vorm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an die Botschafter in Rom und Wien 200 201
194 ' ~~ : ■— Der Botschafter in Petersburg an. das Auswärtige Amt 328 vorm.
195 —' -™ . Der Geschäftsträger in Cetinje an das Auswärtige Amt 48 vorm. 201
196 ' •• “ , ■ Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt. 420 vorm. 202
197 1° nachm. Der Reichskanzler an den Kaiser 1 202
198 I35 nachm. Der Reichskanzler an den Botschafter inPetersburg _ 203
199 I35 nachm. Der Reichskanzler an den Botschafter in London — ; ;. — : 203
XXX
Lfde. Nr. Zeit des Abgangs Datum und Überschrift Zeit der Ankunft Seite
Stunde Tageszeit Stunde Tageszeit
Noch: 26. Juii
200 I85 nachm. Der Reichskanzler
an den Botschafter in Paris... -- 2O4
20 l - Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt nachm. 204
302 „0 nachm. Der Reichskanzler
an den Botschafter in Wien .. — 205
•203 — Der Botschafter in Petersburg
an den Reichskanzler — nachm 205
204 . . ' Der Botschafter in Petersburg
- an den Reichskanzler — nachm. 208
205 , Der Botschafter in Petersburg
an den Reichskanzler ........ — nachm. 210
200 „ .nL Der Botschafter in Wien
an den Reichskanzler — nachm. 211
•207 Der Marineattache in London
an das Reichsmarineamt — nachm. 21 !
2ö8 Der rumänische Gesandte in Berlin
an das Auswärtige Amt nachm. 212
2,09 Der Staatssekretär des Auswärtigen
an die Botschafter in Wien und
Rom — — 212
210 4«8 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien .. — — 2 13
211 , ■ . Der Botschafter in Rom
an das Auswärtige Amt 5<0 nachm. 214
212 ■ __. ■ Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt 6*8 nachm.’ 215
213 ; .' 2 Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt ...... 620 nachm. 2l6
2i4 628 nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Geschältsträger in
Bukarest — 217
215 Der Botschafter in Petersburg
‘■O an das Auswärtige Amt 7° nachm. 217
2l6 Der Botschafter in Petersburg
an das Auswärtige Amt 7‘ nachm. 2i8
217 Der Botschafter in Petersburg
an das- Auswärtige Amt ...... 7' nachm. 2l8
■ XXX!
Lf'de. Nr.. Zeit des Abgangs Datum und Überschrift Zeit der Ankunft Sejtc
Stunde Tageszeit stunde Tageszeit
Noch 26. Juli:
218 Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt 7’ nachm. 219
2 IQ 7” nachm. Der Reichskanzler
an den Botschafter in Petersburg — — 220
220 Der Botschafter in Rom
an das Auswärtige Amt 750 nachm. 221
221 7“’ nachm. Der Reichskanzler
an den Kaiser — — - 221
%22 Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt ...... 8° nachm 222
5 23 Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt 8° nachm. 222
224 _ , Der Botschafter in Wien
an das Auswärtige Amt 8° nachm. 223
C* — — Der Botschafter in Rom
an das Auswärtige Amt y" nachm 223
226 94<> nachm. Der Unterstaatssekretär des Aus-
wärtigen
an den Botschafter in Wien .. — 224
227 9*o nachm Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Rom .. — 224
228 10° nachm. D.r Staatssekretär des Auswärtigen
an den Bo schafter in Wien .. — — 225
229 . Der Botschafter in Petersburg
an das Auswärtige Amt ...... 1 os nachm. 225
230 I— — Der Botschafter in Petersburg
an das Auswärtige Amt ...... IO5 nachm 226
231 -JL. — Der Kaiser
an das Auswärtige Amt O23 nachm. 226
232 — — Der Staatssekretär für Elsaß-Loth-
ringen
an den Reichskanzler -r- — 227
333 — — Entwurf eines nicht abgesandten
Telegramms des Kaisers
an den Zaren — 228
234 — — Entwurf eines nicht abgesandten
Telegramms des Reichskanzlers
an die Botschafter in Paris,
London und Petersburg .... — —. 229
Udo. . Nr' Zeit des Abgangs Datum und Überschrift Zeit der Ankunft Seite
>tund> i'-ageszeit stunde Tageszeit
27. Juli
n235 .. ■' Der Botschafter in Paris
an das Auswärtige Amt I 27 vorm 230
230 Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt I 2 7 vorm 231
^37 V- Der Botschafter in London
an das Auswärtige Amt 1245 vorm. 232
23S Der Botschafter in Petersburg
an das Auswärtige Amt 1245 vorm. 2 3 3
233 I35 vorm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Rom... •— • 2 34
210 . ■ Der Botschafter in Paris
an das Auswärtige Amt I55 vorm. 235
241 ■ — ; . Der Botschafter in Paris
an das Auswärtige Amt ,55 vorm. 235
242 ■ ~ ; Der Botschafter in Petersburg
an das Auswärtige Amt 23S vorm. 23R'
2 43 — ' ~ Der König von Griechenland
an den Kaiser vorm. 2 37
2; 4 ■ „„ ■ Der Botschafter in Rom
an den Reichskanzler - ■ vorm. 230
245 1120 vorm. Der Reichskanzler
an den Kaiser * 24‘y
246 1 Iso vorm. Der Staatssekretär des Auswärtigen
an den Botschafter in Wien .. 24t
24 7 II30 vorm. Der Reichskanzler
an den Botschafter in Paris... 241
248 1° nachm. Der Reichskanzler
an den Botschafter in London. ; -d_, .24 t
2 49 —v. ■ Der Botschafter in Rom
an das Auswärtige Amt ,28 nachm. 242
250 Der Gesa dte in Kopenhagen
• . * an das Auswärtige Amt t20 nachm 243
251 • ' . ■ Der Gesandte in Sofia
an das Auswärtige Amt 3° nachm. 243
252 . ■: Der Botschafter in Paris
an- das Auswärtige Amt 340 nachm. 244
253 • __ Der Botschafter in Petersburg
an den Reichskanzler nachm. : 2 44
XXX111
Zeit Zeit
Lfde. Nr. des Abgangs Datum und Überschrift der Ankunft Seite
Stunde Tageszeit Stunde Tageszeit
Noch: 27. Juli
254 — — Der Generaldirektor der Hapag an den Staatssekretär des Aus- wärtigen .„ nachrn. 246
255 — — Der Admiralstab an den Staatssekretär des Aus- wärtigen nachm. 248
256 — — Der Botschafter in Konstantinopel an. das Auswärtige Amt 4" nachm. 248
257 — — Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt 437 nachm. 249
258 — — Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt ...... 4°7 nachm* 250
259 — — Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt j. 33 nachm. 251
260 — — Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt .45 5 nachm. 252
261 — — Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt 66 nachm. 252
262 — — Der Geschäftsträger in Bukarest an das Auswärtige Amt 7=o nachm. 253
263 — — Der Botschafter in Konstantinopel an das Auswärtige Amt 7=0 nachm. 254
264 — — Der Verweser des Konsulats Kowno an das Auswärtige Amt 7« nachm. 254
265 — V Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt g« nachm. 254
266 — — Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt 8« nachm. 256
267 9° nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Wien .. — 257
268 Der österreichisch-ungarische Bot- schafter an das Auswärtige Amt 257
269 930 11a chm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Wien . . 258
270 93° nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Kaiser 259
271 — — Antwortnote der serbischen Regie- rung auf das österreichisch-unga- rische Ultimatum nachm. 2c;a
Aktenstücke I. 3
XXXIV
Zeit Zeit
Lfde. Nr. des Abgangs Datum und Überschrift der Ankunft Seite
Stunde Tageszeit Stunde Tageszeit
Noch: 27. Juli
272 10° nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in London 265
273 10° nachm. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Rom... c 265
274 — — Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt IO30 nachm. 266
275 — — Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt IO30 nachm. 266
276 — —' Der Generalkonsul in Warschau an das Auswärtige Amt n° nachm. 266
277 I I 5° nachm. Der Reichskanzler an den Botschafter in Wien.. 267
278 II50 nachm. Der Reichskanzler an den Botschafter in London — — 00 vo 01
Nr. x
Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler1
St. Petersburg, den 13. Juni 19142
Ew. Exz. beehre ich mich anbei die Übersetzung
eines soeben in der »Birschewija Wjedomosti« er-
schienenen bemerkenswerten Artikels zu überreichen,
der, wie ich höre, vom hiesigen Kriegsministerium
her rührt und den deutlichen Zweck verfolgt, auf
Frankreich einen Druck im Sinne der Einführung
gegen uns! der dreijährigen Dienstzeit auszuüben.
Der Artikel führt unter der Überschrift »Ruß-
land ist bereit, Frankreich muß es auch sein« aus,
Rußland, welches eben erst zur Verstärkung seiner
Wehrkraft Anstrengungen gemacht habe, wie sie
noch nie von einem Staate gemacht wurden, sei
berechtigt, von Frankreich zu erwarten, daß dieses
ebenfalls seine Armee verstärke, was nur durch
Einführung der dreijährigen Dienstzeit möglich sei.
F. Pourtales
Die Mahnung des Verbündeten
Telegr. unseres Korrespondenten v. A.
Petersburg, 13. Juni
Das ver-
langt eine
klare
bündige Amt
wort durch
die That!
Der schon erwähnte Artikel der Bir-
schewija Wjedomosti, der die Überschrift
trägt: »Rußland ist fertig, Frankreich
1 Vom Kaiser am 15. Juni zurückgegeben.
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 15. Juni vorm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 15. Juni zurückgegeben. Gemäß kaiserlicher
Randverfügung vom Chef des Militärkabinetts am 17. Juni an den General-
stab, von diesem am 25. Juni dem Kriegsministerium mitgeteilt. Die
Beilage des Berichts wurde dem Kaiser durch das Telegramm des Lokal-
Anzeigers bekannt, siehe Nr. 2.
Nr. 2
Bericht des Berliner Lokal-Anzeigers vom 14. Juni über
einen Artikel der Birschewija Wjedomosti1
2
muß ebenfalls fertig sein«, und der direkt
vom Kriegsminister General Suchomlinow
inspiriert ist, erregt allgemeines Auf-
sehen. Der Artikel lautet:
»Rußland erlaubt sich nicht, sich
in innere Angelegenheiten eines frem-
den Staats zu mischen, kann aber
während einer Krisis des befreundeten
und verbündeten Staats nicht teil-
nahmsloser Zuschauer bleiben. Wenn
das französische Parlament sich be-
rechtigt fühlt, auf innere Angelegen-
heiten Rußlands, wie Kriegsbestel-
lungen, hinzuweisen, die mit gewissen
ökonomischen Vorteilen für die Auf-
traggeber verbunden sind, so kann Ruß-
land nicht gleichgültig gegenüber einer
rein politischen Frage, nämlich der drei-
jährigen Dienstzeit, bleiben, die den Ge-
genstand eines Zerwürfnisses zwischen
den Parteien des französischen Par-
laments bilden.2 Für Rußland gibt es
in dieser Frage keine geteilte Meinung.
Rußland tat alles, wozu das Bündnis
mit Frankreich es verpflichtete, es er-
wartet mithin, daß sein Verbündeter
ebenfalls seine Pflicht tue. Es ist
allbekannt, welche kolossalen Opfer
Rußland gebracht hat, um das franzö-
sisch-russische Bündnis auf eine ideale
Höhe zu bringen. Die Reformen des
russischen Militärressorts bei der Bil-
dung der russischen Streitkräfte über-
treffen alles in dieser Hinsicht Da-
gewesene. Das diesjährige Rekruten-
kontingent ist nach dem letzten Aller-
höchsten Ukas von 450000 auf
380 000 Mann gestiegen und die
Dienstzeit um 6 Monate verlängert
worden. Dank dieser Maßregel stehen
jeden Winter in Rußland vier Kon-
tingente Rekruten unter Waffen, also
eine Armee von 2 300 000 Mann.
Diesen Luxus kann sich nur das
große, mächtige Rußland erlauben.
2 So im Text für »bildet«.
3
Gott Lob!
Na! Endlich haben
die Russen die Kar-
ten auf gedeckt!
Wer inDeutschland
jetqt noch nicht
glaubt, daß von
Russo - Gallien mit
Hochdruck auf
einen baldigen
Krieg gegen uns
hin ge arbeitet wird,
und wir dement-
sprechende Gegen-
maßregeln er-
greifen müssen, der
verdient umgehend
ins Irrenhaus nach
Dalldorf geschickt
qu werden!
Stramme neue Steu-
ern und Monopole,
und die38000 Nicht-
eingestellten sofort
in die Armee und
Marine hinein!
W.
Deutschland verfügt über 880000,
Österreich über etwa 500 000 und
Italien über etwa 400 000 Mann. Ganz
natürlich also, daß Rußland von
Frankreich 770 000 Mann erwartet,
was nur bei der dreijährigen Dienst-
zeit möglich ist. Es muß bemerkt
werden, daß diese Vergrößerung der
Armeen in Friedenszeiten ausschließ-
lich eine schnelle Mobilisierung er-
wirken soll. Rußland schreitet dabei
noch zu neuen Reformen, zum Bau
eines ganzen Netzes strategischer
Bahnen, zur schleunigsten Konzen-
tration der Armee im Kriegsfall.
Das wünscht Rußland auch von Frank-
reich, doch kann es das alles nur
durchführen bei Wahrung der drei-
jährigen Dienstzeit. Rußland und
Frankreich wünschen keinen Krieg,
aber Rußland ist fertig, und Frank-
reich muß es auch sein.«
Mit diesem durch Fettdruck hervor-
gehobenen Satz schließt der vielerörterte
Artikel, aus dem deutlich hervorgeht,
daß Rußland seine kolossalen Rüstungen
vor zwei Jahren laut Abmachungen mit
Frankreich begann.
wo sollen die
herkommen!
alles gegen
Deutsch-
land !
quatsch!
was mein
Generalstab
stets behaup-
tet hat!
Nr. 3
Der Reichskanzler an den Botschafter in London1
Ganz vertraulich!
Eigenhändig! Berlin, den 16. Juni 19141 2
Ew. Durchlaucht wird es nicht entgangen sein, daß der, wie
wir wissen, zutreffend auf den Kriegsminister General Suchomlinow
zurückgeführte Artikel der »Birschewija Wjedomosti« in Deutschland
beträchtliches Aufsehen erregt hat. In der Tat hat wohl noch
niemals ein offiziös inspirierter Artikel die kriegerischen Tendenzen
der russischen Militaristenpartei so rücksichtslos enthüllt, wie es
diese Presseäußerung* tut. Um den französischen Chauvinismus
1 Nach dem vom Reichskanzler niedergeschriebenen Konzept.
2 Abgegangen 16. Juni nachm.
4
auf die Dauer stärken zu können, ist er wohl zu plump geschrieben.
Dagegen sind die Rückwirkungen auf die deutsche öffentliche
Meinung unverkennbar und bedenklich.
Waren es bisher nur die extremsten Kreise unter den All-
deutschen und Militaristen, welche Rußland die planvolle Vorberei-
tung eines baldigen Angriffskrieges auf uns zuschoben, so beginnen
sich jetzt auch ruhigere Politiker dieser Ansicht zuzuneigen. Die
nächste Folge ist der Ruf nach einer abermaligen sofortigen umfang-
reichen Verstärkung der Armee. Dadurch wird, wie die Dinge nun ein-
mal bei uns liegen, der Wettbewerb auch der Marine wachgerufen, die
niemals zu kurz kommen will, wenn etwas für die Armee geschieht.
Da, wie ich ganz vertraulich bemerke, S. M. der Kaiser sich
schon ganz in diese Gedankengänge eingelebt hat, besorge ich für
den Sommer und Herbst den Ausbruch eines neuen Rüstungsfiebers
bei uns.
So wenig sich bei der Unsicherheit der russischen Verhältnisse
die wirklichen Ziele der russischen Politik mit einiger Sicherheit im
voraus erkennen lassen und so sehr wir auch bei unsern politischen
Dispositionen in Rechnung stellen müssen, daß Rußland noch am
ehesten von allen europäischen Großmächten geneigt sein wird, das
Risiko eines kriegerischen Abenteuers zu laufen, so glaube ich doch
nicht, daß Rußland einen baldigen Krieg gegen uns plant. Wohl
aber wünscht es, und man wird ihm das nicht übelnehmen können,
bei einem Wiederausbruch der Balkankrisis, gedeckt durch seine
umfangreichen militärischen Rüstungen, kräftiger als bei den
letzten Balkanwirren auftreten zu können. Ob es alsdann zu
einer europäischen Konflagration kommt, wird ausschließlich von
der Haltung Deutschlands und Englands abhängen. Treten wir
beide alsdann geschlossen als Garanten des europäischen Friedens
auf, woran uns, sofern wir von vornherein dieses Ziel
nach einem gemeinsamen Plane verfolgen, weder die
Dreibunds- noch die Ententeverpflichtungen hindern, so wird sich
der Krieg vermeiden lassen. Andernfalls kann ein beliebiger, auch
ganz untergeordneter Interessengegensatz zwischen Rußland und
Österreich-Ungarn die Kriegsfackel entzünden. Eine vorausschauende
Politik muß diese Eventualität bei Zeiten ins Auge fassen.
Nun liegt es auf der Hand, daß eine erhöhte Tätigkeit der
deutschen Chauvinisten und Rüstungsfanatiker einer solchen deutsch-
englischen Kooperation ebenso hinderlich sein würde, wie eine nicht
dezidierte, den französischen und russischen Chauvinismus im ge-
heimen begünstigende Haltung des englischen Kabinetts. Auf einen
seinem Bevölkerungszuwachs entsprechenden Ausbau seines Heeres
wird Deutschland nie verzichten können. An eine Erweiterung des
Flottengesetzes wird nicht gedacht. Wohl aber wird ganz im
Rahmen des Flottengesetzes die Mehrindienststellung von Auslands-
kreuzern, die Armierung und Bemannung der Schlachtschiffe usw.
dauernd steigende Aufwendungen erheischen. Es ist aber ein großer
5
Unterschied, ob solche Maßnahmen als notwendige Folge allmählicher
ruhiger Entwickelung in die Erscheinung treten, oder ob sie panik-
artig unter dem Druck einer aufgeregten und von Kriegsbesorgnis
erfüllten öffentlichen Meinung vorgenommen werden.
Daß Sir Edward Grey den Gerüchten von einer englisch-russi-
schen Marinekonvention im Unterhause mit Entschiedenheit ent-
gegengetreten ist und sein Dementi in der »Westminster Gazette«
noch hat unterstreichen lassen, ist durchaus erfreulich. Hätten sich
diese Gerüchte bewahrheitet, und zwar auch nur in der Form, daß
die englische und russische Marine ihre Kooperation für den
Fall festlegten, daß in einem zukünftigen Kriege England und Ruß-
land gemeinsam gegen Deutschland fechten sollten — ähnlich den
Abmachungen, die England zur Zeit der Marokkokrisis mit Frank-
reich getroffen hat, — so wäre dadurch allerdings nicht nur der
russische und französische Chauvinismus stark gereizt worden,
sondern es hätte auch bei uns eine nicht unberechtigte Beunruhi-
gung der öffentlichen Meinung Platz gegriffen, die ihren Ausdruck
in einem navy scare und einer abermaligen Vergiftung der sich
langsam bessernden Beziehungen zu England gefunden hätte. In-
mitten der nervösen Spannung, in der sich Europa seit den letzten
Jahren befindet, wären die weiteren Folgen unübersehbar gewesen.
Jedenfalls wäre der Gedanke an eine gemeinschaftliche, den Frieden
verbürgende Mission Englands und Deutschlands bei etwa auf-
tauchenden Komplikationen von vornherein in verhängnisvoller
Weise gefährdet worden.
Ew, Durchlaucht ersuche ich ergebenst, Sir Edward Grey
meinen besonderen Dank für seine offenen und geraden Erklärungen
zu sagen und daran anschließend in zwangloser und vorsichtiger
Weise diejenigen allgemeinen Betrachtungen zum Ausdruck zu
bringen, die ich vorstehend angedeutet habe.
Ihrem gefälligen Bericht3 über die Aufnahme, der Sie bei Sir
Edward Grey begegnen, sehe ich mit besonderem Interesse entgegen.
v. Bethmann Hollweg
Siehe Nr. 5.
Nr. 4
Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler1
Geheim! Wien, den 17. Juni 19141 2
Graf Berchtold war nach der Abreise Sr. M. des Kaisers von S. K. u.
K. Hoheit dem Erzherzog Franz Ferdinand nach Konopischt geladen
worden. Der Minister erzählte mir heute, S. K. u. K. Hoheit habe sich
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 20. Juni vorm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 21. Juni zurückgegeben, am 22. Juni wieder im Amt.
6
ihm gegenüber im höchsten Maße befriedigt über den Besuch S. M. des
Kaisers ausgesprochen. Er habe über alle möglichen Fragen ein-
gehend mit Sr. M. gesprochen und durchweg völlige Übereinstimmung
der Ansichten konstatieren können.
Der Erzherzog hat dem Grafen Berchtöld auch dasjenige mit-
geteilt, was er unserem Aller gnädigsten Herrn bezüglich der Politik
des Grafen Tisza, besonders den nichtmagyarischen Nationalitäten
gegenüber, gesagt hat. Den Rumänen gegenüber habe, wie S. K. u. K.
Hoheit bemerkt hätten, Graf Tisza zwar schöne Worte gebraucht,
seine Taten entsprächen aber diesen Worten nicht. Ein Fehler des
ungarischen Ministerpräsidenten sei es vor allem gewesen, daß er
den siebenbürgischen Rumänen nicht einige Abgeordnetenmandate
mehr gegeben habe.
Graf Berchtöld meinte mir gegenüber, er habe schon oft und
nachdrücklich auf den Grafen Tisza zugunsten größerer Konzessionen
für die Rumänen einzuwirken versucht. Seine Bemühungen seien
aber vergeblich gewesen. Graf Tisza behaupte, er sei bereits so'
weit als irgend möglich den Rumänen entgegengekommen.
Ich werde meinerseits, wie ich dies bisher schon dem Grafen
Berchtöld gegenüber getan habe, der mir gewordenen hohen Weisung-
entsprechend jeden Anlaß benutzen, um auch den ungarischen Minister-
präsidenten auf die Notwendigkeit der Gewinnung der Rumänen
hinzu weisen. ~ . , ,
von Tschirschky
er da?f durch seine innere Politik> die
bei der Rumänenfrage auf die äußere
des Dreibundes Einfluß hat, die letztere
nicht in Frage stellen.
Nr. 5
Der Botschafter in London an den Reichskanzler1
London, den 24. Juni 191423
Ich benutzte meinen heutigen Besuch, um Sir Edward Grey den
Dank Ew. Exz. für seine offenen und geraden Erklärungen im Unter-
hause auszusprechen, durch welche er den Gerüchten über ein an-
gebliches enghsch-russisches Marineabkommen entgegengetreten ist.
Ich knüpfte hieran die Bemerkung, daß Ew. Exz. seine Ausführungen
um so lebhafter begrüßt hätten, als dieselben nicht unwesentlich
dazu beitrügen, die Befürchtungen zu zerstreuen, welche namentlich
in neuester Zeit weite Kreise des deutschen Volkes hinsichtlich unserer 1 2
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 27. Juni vorm.
Siehe Nr. 3.
7
auswärtigen Lage erfaßt hätten. In erster Linie sei es Rußland,
welches dieser Beunruhigung und den daraus hervorgehenden Be-
strebungen für eine weitere Vermehrung unserer Rüstungen Nahrung
zuführe, und ich könne in dieser Hinsicht ganz besonders auf den
Artikel der »Nowoje Wremja« verweisen, welcher in Deutschland
unliebsames Aufsehen erregt hätte. Angesichts- der Möglichkeit,
daß ein Balkankrieg wiederum ausbräche und daß Rußland sich als-
dann zu einer etwas aktiveren Auslandspolitik entschlösse, erschien
es uns von größter Wichtigkeit, daß die intime Fühlungnahme,
welche zwischen uns während der letzten Krise bestand, auch allen
zukünftigen Ereignissen gegenüber aufrechterhalten bliebe, um auf
Grundlage gemeinsamer Verabredung einer kriegerischen Politik er-
folgreich begegnen zu können. Ich wies den Minister ferner darauf
hin, daß nur durch die Aufrechterhaltung der bisherigen deutsch -
britischen Intimität, gepaart mit unserer Überzeugung, daß er auch
in Zukunft bestrebt sein werde, kraft seines weitreichenden Einflusses
in Paris und Petersburg allen abenteuerlichen Regungen entgegen-
zutreten, es der Kaiserlichen Regierung möglich sein werde, das auch
bei uns zeitweise überhandnehmende Rüstungsfieber niederzuhalten
und den Rahmen der bestehenden Wehrgesetze einzuhalten. Ich
vermied es dabei absichtlich,* auf unser Flottengesetz näher ein-
zugehen, da ich dieses heikle Thema mit dem Minister seit meiner
Ankunft in London noch nie berührt habe und er auch es bisher
sorgsam unterlassen hat, diesen Gegenstand mit mir zu erörtern.
Der Minister nahm meine Eröffnungen mit sichtlicher Befriedigung
zur Kenntnis und sagte, daß es ebenso sein Bestreben sei, mit uns
auch ferner Hand in Hand zu gehen und allen auftretenden Fragen
gegenüber in enger Fühlung zu bleiben. Er habe in dieser Absicht
soeben mit mir die gegenwärtige orientalische Lage besprochen und
glaube, daß dieser Weg für unsere beiderseitigen Ziele der geeignete
sei. Was Rußland beträfe, so habe er nicht den geringsten Grund,
an den friedlichen Absichten der russischen Regierung zu zweifeln.
Daß Graf Benckendorff hier keine deutschfeindliche Politik betreibe,
brauche er mich nicht erst zu versichern. Kaiser Nikolaus und
Herr Sasonow sprächen sich stets in friedlichem Sinne Sir George
W. Buchanan gegenüber aus; nur sei es nicht zu leugnen, daß Herr
Sasonow den Wunsch hege, gewissermaßen als Gegengewicht gegen
den festgefügten Block des Dreibundes den Dreiverband etwas kräftiger
in die Erscheinung treten zu lassen. Was aber den Artikel der
»Nowoje Wremja« beträfe, auf den ich angespielt hätte, so sei er
ihm, dem Minister, überhaupt nicht bekannt. Lachend fügte er
hinzu, er habe erst gestern abend einen heftigen Angriff des gedachten
Blattes gegen Großbritannien zu Gesicht bekommen wegen des per-
sischen Ölabkommens. Was aber Frankreich anlange, so wisse er
aus guter Quelle und würde in dieser Auffassung auch durch fremde,
z. B. amerikanische Nachrichten bestärkt, daß die Franzosen nicht
die geringste Lust zu einem Kriege verspürten.
Es bestünden, so sagte mir Sii Edward, keine nicht veröffent-
lichten Abmachungen zwischen Großbritannien und den Verbands-
genossen. Er könne mir dies wiederholen, wie er es im Parlament
erklärt habe, und er freue sich, hinzulügen zu können, daß von ihm
aus niemals etwas geschehen werde, um diesem Verhältnis eine gegen
Deutschland gerichtete Spitze zu geben. Er glaube auch, daß in
den letzten Zeiten bei uns über diese Frage eine befriedigtere Auf-
fassung Platz gegriffen habe. Er wolle aber mit mir ganz offen sein
und wünsche nicht, daß ich mich zu irrigen Auffassungen verleiten
ließe, und möchte daher die Gelegenheit benutzen, um mir Zusagen,
daß trotz obiger Tatsachen sein Verhältnis zu den beiden Genossen
nach wie vor ein sehr intimes sei und dasselbe nichts von seiner
früheren Festigkeit eingebüßt habe. Über alle wichtigen Fragen
stände er mit den betreffenden Regierungen in dauernder Fühlungnahme.
Ich dankte dem Minister für seine vertrauensvollen Eröffnungen,
die er in freundschaftlich-gemütlicher Form vortrug, und erwiderte,
daß für uns kein Grund vorläge, daran Anstoß zu nehmen, solange
er seinen mächtigen Einfluß zugunsten des Friedens und der Mäßigung
zum Ausdruck brächte4. Lichnowsky
4 Siehe Nr. 6, Nr. 20 Anm. 3 und Nr. 30 Anm. 3.
Nr. 6
Der Unterstaatssekretär des Auswärtigen an den
Reichskanzler1
Berlin, den 27. Juni 1914
Bei der Unterredung1 2 ist, wie zu erwarten stand, Lichnowsky
wiederum völlig von Grey eingewickelt worden und hat sich von
neuem in der Auffassung bestärken lassen, daß er es mit einem
ehrlichen, wahrheitsliebenden Staatsmann zu tun hat. Es wird
nichts anderes übrigbleiben, als L. einige, natürlich recht vorsichtige
Andeutungen über uns aus Petersburg zugehende geheime, aber
unbedingt zuverlässige Nachrichten zu machen, die über das Vor-
handensein fortdauernder politischer und militärischer Abmachungen
zwischen England und Frankreich und über bereits an ge knüpfte, auf
das gleiche Resultat hinzielende Verhandlungen zwischen England und
Rußland keinerlei Zweifel äufkommen lassen3.
£-j\ 111 111G 1 111 Ullll
1 Niederschrift des Unterstaatssekretärs Zimmermann.
2 Siehe Nr. 5.
3 Am Rand die urschriftliche Rückäußerung des Reichskanzlers: »Lichnowsky
kommt Montag 5 Uhr zu mir. Ich möchte vorher die Situation noch ein-
mal mit Ihnen besprechen. B. H. 27.«
9
Nr. 6 a
Der Generalkonsul in Sarajevo an das Auswärtige Amt1
Telegramm n Sarajevo, den i. Juli 1914*
Heule Nacht ist von Semlin als Tatsache hierher berichtet
worden, daß io bis 12 Verschwörer aus Belgrad unabhängig einer
vom anderen entsendet worden sind.
Hier in Sarajevo waren mindestens drei Mordgesellen postiert.
Mein Vertrauensmann, eine unbedingt zuverlässige Persönlichkeit in
verantwortlicher, ihn allseitig orientierender Stellung, erklärte mir
auf meine bestimmte Frage als mein Freund, daß' er die Reise
Sr. M. des Kaisers nach Wien auf Grund seiner Kenntnis der Wiener
Verhältnisse und des Systems der russisch-serbischen Gewalttäter auf
das allerentschiedenste widerraten müsse. — Ich persönlich trete
dem nach alledem, was ich hier gehört oder beobachtet habe, be-
dingungslos bei.
Die Fahrt nach Artstätte3, das rein deutsch und klein, deshalb
leicht kontrollierbar sei, soll unbedenklich sein4.
Dr. Eiswaldt
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Sarajevo den 1. Juli i° nachm., angekommen im Aus-
wärtigen Amt 1. Juli, 46 nachm. Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts:
1. Juli nachm.
3 So in der Entzifferung für »Artstetten«.
4 Siehe Nr. 6 b.
Nr. 6 b
Der Reichskanzler an den Botschafter in Wien1
Telegramm 107 Berlin, 2. Juli 19141 2
Infolge der aus Sarajevo eingegangenen Warnungen3, von denen
eine erste übrigens schon aus dem April d. J. datiert, habe ich
S. M. den Kaiser bitten müssen, die Reise nach Wien aufzugeben.
Bestimmend war für mich, daß es sich bei dieser Reise nicht um
einen Akt staatlicher oder politischer Notwendigkeit, sondern um
eine über die Forderungen der Etikette hinausgehende freiwillige
Bekundung freundschaftlicher Gesinnungen handelt, daß der Frevel-
1 Nach dem Konzept von des Reichskanzlers Hand.
2 io20 vorm, zum Haupttelegraphenamt gegeben.
3 Siehe Nr. 6 a.
tat von Sarajevo anscheinend ein weitverzweigtes Komplott zu-
grunde liegt, und daß Attentate bekanntermaßen eine suggestive
Wirkung auf verbrecherische Elemente ausüben. Aus diesen Er-
wägungen habe ich die Verantwortung für eine nicht zwingende
Exposition Sr. M. in fremdem Lande nicht übernehmen können.
Der Öffentlichkeit gegenüber wird die Aufgabe der Reise mit
körperlicher Indisposition Sr. M. motiviert werden. S. M. wünschen
indes, daß S. M. dem Kaiser Franz Joseph persönlich die wahre Ur-
sache mitgeteilt werde. S. M. haben deshalb die nachstehende In-
struktion für Ew. pp. Allerhöchst selbst niedergeschrieben:
»An H. v. Tschirschky für S. M. Kaiser Franz Joseph
S. M. sind durch S. Exz. den Reichskanzler informiert worden,
daß aus Sarajevo durch Vertrauensleute des deutschen Konsuls
Sr. Exz. eine Warnung zugegangen sei, die von einer Reise nach
Wien seitens des deutschen Kaisers abraten. S. Exz. der Reichs-
kanzler haben daraufhin Sr. M. als sein verantwortlicher Ratgeber
bestimmt erklärt, die Verantwortung nicht übernehmen zu können,
und S. M. gebeten, die Reise zu unterlassen. S. M. haben sich den
Gründen nicht verschließen können und schweren Herzens in tiefem
Schmerz sich zur Aufgabe derselben entschlossen. S. M. haben den
k. Botschafter beauftragt, persönliche Meldung sofort an Kaiser Franz
Joseph zu machen und auszusprechen, wie schwer der Entschluß ihm
geworden sei. Einerseits, weil er als Mangel an persönlichem Mut
ausgelegt werden könnte, andererseits, weil S. M. dadurch verhin-
dert werde, dem Kaiser tröstend und leidmittragend zur Seite zu
stehen, sowie auch dem ganzen österreichischen Volke am Tage der
Trauer nahe sein zu können. Schluß.«
Ew. pp. ersuche ich ergebenst, diesen Allerhöchsten Auftrag
schleunigst in geeigneter Form zur Ausführung zu bringen.
Bethmann Hollweg
Nr. 7
Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler1
Wien, den 30. Juni 19141 2
Graf Berchtold sagte mir heute, alles
deute darauf hin, daß die Fäden der Ver-
schwörung, der der Erzherzog zum Opfer ge-
fallen sei, in Belgrad zusammenliefen. Die
Sache sei so wohl durchdacht worden, daß
1 Nach der Entzifferung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 2. Juli nachm. Entzifferung lag
dem Kaiser vor, von ihm am 4. Juli zurückgegeben.
hoffentlich nicht
]el\t oder nie
wer hat ihn da^u ermäch-
tigt? das ist sehr dumm!
geht ihn gar nichts an,
da es lediglich Österreichs
Sache ist, was es hierauf
f u thun gedenkt. Nachher
heißt es dann, wenns schief
geht, Deutschland hat nicht
gewollt!! Tschirschky soll
den Unsinn gefälligst las-
sen ! Mit den Serben muß
aufgeräumt werden, und
pvar bald.
versteht sich alles von
selbst, und sind Binsen-
wahrheiten.
man absichtlich ganz jugendliche Leute zur
Ausführung des Verbrechens ausgesucht habe,
gegen die nur mildere Strafe verhängt werden
könne. Der Minister sprach sich sehr bitter
über die serbischen Anzettelungen aus.
Hier höre ich, auch bei ernsten Leuten,
vielfach den Wunsch, es müsse einmal gründlich
mit den Serben abgerechnet werden. Man
müsse den Serben zunächst eine Reihe von
Forderungen stellen und falls sie diese nicht
akzeptierten, energisch Vorgehen. Ich benutze
jeden solchen Anlaß, um ruhig, aber sehr
nachdrücklich und ernst vor übereilten Schritten
zgi warnen. Vor allem müsse man sich erst
klar darüber werden, was man wolle, denn
ich hörte bisher nur ganz unklare Gefühls-
äußerungen. Dann solle man die Chancen
irgendeiner Aktion sorgfältig erwägen und sich
vor Augen halten, daß Österreich-Ungarn nicht
allein in der Welt stehe, daß es Pflicht sei,
neben der Rücksicht auf seine Bundesgenossen
die europäische Gesamtlage in Rechnung zu
ziehen und speziell sich die Haltung Italiens
und Rumäniens in allen Serbien betreffenden
Fragen vor Augen zu halten.
von Tschirschky
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 80 Wien, den 2. Juli 19142
Die Blätternachricht, der zufolge hiesige Regierung eine De-
marche in Belgrad gemacht habe, um von serbischer Regierung
Untersuchung gegen die Attentäter zu verlangen, ist nicht richtig.
Bisher sind keinerlei solche Schritte unternommen worden. Ob dies
später erfolgen werde, hänge davon ab, ob hiesige Untersuchung
wirklich gravierendes Material gegen Belgrad ergeben werde.
Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 6° nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 745 nachm.;
Eingangsvermerk: 2. Juli nachm. Bericht vom Auswärtigen Amt am 3. Juli
telegraphisch den Vertretungen in Rom, Bukarest und Belgrad mitgeteilt,
io55 vorm, zum Haupttelegraphenamt,
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 2. Juli io5 nachm.; angekommen im Auswärtigen Amt
3. Juli 1212 vorm. Eingangsvermerk: 3. Juli vorm.
ä Siehe Nr. 11.
Telegramm 81 Wien, den 2. Juli 19142
Habe mich soeben Allerhöchsten Auftrags bei Sr. M. dem Kaiser
Franz Joseph entledigt, der die Gnade hatte, mich fast eine Stunde
bei sich zu behalten. S. M. der Kaiser Franz Joseph lassen Sr. M.
herzlichst für die eingehende Benachrichtigung danken. So tief und
aufrichtig er bedauere, S. M. nicht hier begrüßen zu können, sö
würdige er andererseits durchaus die zwingenden Gründe, die ein
Aufgeben der Reise in diesem Augenblick geboten hätten erscheinen
lassen. Es sei auch für ihn eine Erleichterung, S. M. nicht den
Zufälligkeiten einer Auslandsreise ausgesetzt zu wissen. Die War-
nungen aus Sarajevo und aus Semlin, die auch hier eingelaufen
seien, seien leider so ernst, daß sie unmöglich hätten unberück-
sichtigt bleiben können. Freilich hätte er sehr gern S. M. jetzt bei
sich gesehen, um auch so mancherlei Politisches mit ihm zu be-
sprechen. »Denn ich sehe sehr schwarz in die Zukunft«, sagten S. M.,
»und die Zustände da unten werden mit jedem Tage beunruhigender.
Ich weiß nicht, ob wir noch länger werden ruhig Zusehen können
und ich hoffe, daß auch Ihr Kaiser die Gefahr ermißt, die für die
Monarchie in der serbischen Nachbarschaft liegt. Was mich ganz
besonders beunruhigt, das ist die russische Probemobilisierung, die
für den Herbst geplant ist, also gerade in einer Zeit, wo wir hier
den Rekruten Wechsel haben. Herr von Hartwig ist ja der Herr in
Belgrad, und Paschitsch tut nichts, ohne ihn zu fragen.«
Der Kaiser sprach dann noch eingehend über die politische
Lage im allgemeinen. Ich darf mir hierüber weiter gehorsamste
Berichterstattung Vorbehalten.
S. M. der Kaiser Franz Joseph ersuchte mich beim Abschied noch-
mals, Sr. M. seinen aufrichtigsten Dank für die durch mich erfolgte Mit-
teilung zu übermitteln. S. M. könne versichert sein, daß er, so schmerz-
lich ihn das Fernbleiben Sr. M. berühre, es doch als eine Beruhigung
empfinde, daß der Kaiser die Reise hierher aufgegeben habe.
S. M. der Kaiser Franz Joseph sah sehr wohl aus. Höchst -
derselbe meinte zwar, er habe seine Kraft noch nicht wieder in
vollem Maße wiedergewonnen, doch sei der Appetit gut und er hoffe,
daß die gute Luft in Ischl, wohin er sobald als möglich zurückzu-
kehren gedenke — voraussichtlich nächsten Montag —, die letzten
Spuren der überstandenen Krankheit beseitigen werde3.
Tschirschky
Nr. 9
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
i3
Nr. io
Der Gesandte in Belgrad an den Reichskanzler1
Belgrad, den 30. Juni 19141 2
Das grauenhafte Attentat in Sarajevo, das
hier erst in den Abendstunden des 15./28. Juni
offiziös bekanntgegeben wurde, wahrscheinlich, um
der an diesem Tage — dem sogenannten Widowdan,
Erinnerung an die Schlacht auf dem Amselfeld am
15. Juni 1389 — abgehaltenen Volksfeier kein allzu
frühes Ende zu bereiten, hat einen tiefen Eindruck
in Serbien gemacht. Nicht etwa in dem Sinne,
daß die Nachricht in den breiten Schichten der Be-
völkerung das Gefühl besonderer, aus dem Herzen
kommender Trauer ausgelöst hätte. In dieser Hin-
sicht kann man höchstens sagen, daß verletzende
und unziemliche Kundgebungen in der Öffentlichkeit
unterblieben sind. Sondern weil man hier sofort
instinktiv fühlte, daß für die von Serben begangene
Bluttat nicht bloß die Brüder in Bosnien, sondern
ja das gan\e Serbentum die Verantwortung treffe.
Nachdem es sich herausgestellt hat, daß beide Atten-
täter sich bis vor wenigen Wochen in Belgrad auf-
gehalten haben, der eine, Prinzip, als Handelsschüler,
der andere, Tschabrinowitsch, als Setzer in der
Staatsdruckerei, nachdem letzterer offen zugegeben
hat, seine Bombe, wie seinerzeit der Attentäter in
Cetinje, aus Belgrad bezogen zu haben, ist die
Stimmung hier eine recht gedrückte. Zwar bemüht
man sich, den anstürmenden Verdächtigungen und
Anklagen dadurch die Spitze abzubrechen, daß man
auf das Fiasko der früher gegen Serbien in den
Agramer und Friedjungprozessen erhobenen Anwürfe
hinweist und immer wieder betont, wie ungerecht
es sei, eine ganze Nation für die Untaten einzelner
Überspannter verantwortlich zu machen. Aber es
wird schwer sein zu bestreiten, daß das Königreich
Serbien und speziell Belgrad mit seiner ungezügelten
Presse, seinen fanatischen Omladina - Vereinen und
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 3. Juli vorm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 4. Juli zurückgegeben. Wurde gemäß kaiserlicher
Randverfügung am 7. Juli den Vertretungen in Wien, St. Petersburg, London,
Rom,. Paris und Bukarest mitgeteilt.
14
seiner wüsten großserbischen Agitation, einen unver-
gleichlichen Nährboden für solche exaltierten Ge-
müter abgibt.
In dieser peinlichen Situation hat die Regierung
es für angebracht gehalten, vor allem in möglichst
geräuschvoller und ostentativer Form ihre Verur-
teilung der Tat und ihr Beileid zum Ausdruck zu
bringen. Um die Attentäter wenigstens von ihren
Rockschößen abzuschütteln, hat sie ein Communique
veröffentlicht, worin die unselige Tat in den schärfsten
Ausdrücken verdammt wird. Ein inspirierter Ar-
tikel der »Samouprawa« hebt hervor, wie schwer
dieses Ereignis Serbien gerade in dem jetzigen
Moment treffe, wo so vielfältige und wichtige Ver-
handlungen mit der Monarchie ihrer Lösung ent-
gegengehen und wo Serbien, der fortwährenden
Aufregungen müde, nichts sehnlicher wünsche, als
eine Periode ungestörter Ruhe.
Im Publikum, das durch offizielle Rücksichten
nicht gebunden ist, hört man freilich auch andere
Stimmen. Ganz abgesehen von geschmacklosen
Vergleichen, wie mit der Tat Teils und der des
Serben Milosch Obilitsch, der den Sultan Bajasid
auf dem Amselfeld ermordete und heute noch als
Nationalheld gefeiert wird, wird darauf hingewiesen,
wie unbedacht es war, in dem fanatisierten3 Bosnien4
Manöver abzuhalten und vollends zu einem Zeit-
punkt, wo der Widowdan empfängliche Gemüter
immer von neuem mit patriotischer Erregung er-
fülle. Ein erheblicher Teil der serbischen Presse
hat sich zum Echo dieser Stimmungen gemacht
und spricht sogar von einer Provokation des serbischen
patriotischen Gefühls5 durch die Abhaltung der
Manöver. Diese Taktik bezweckt natürlich nichts
anderes, als die Anschuldigungen zu parieren, die'
in der Öffentlichkeit Österreich-Ungarns gegen die
planmäßig in Serbien betriebene großserbische
Agitation erhoben werden.
Die nicht abzuleugnende moralische Mitschuld
Serbiens an dem Attentat bedeutet eine schwere
Schädigung des durch die beiden letzten Kriege
kaum erst wieder gehobenen Ansehens des Landes.
3 »fanatisierten« vom Kaiser zweimal unterstrichen.
4 Am Rand Fragezeichen und Ausrufungszeichen des Kaisers.
5 Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.
er mußte es ja doch
wissen!
Dies empfinden auch seine wärmsten Freunde und
Gönner. So soll mein russischer Kollege auf die
erste Nachricht von der Katastrophe ausgerufen
haben: »Esperons que ce ne sera pas un Serbe.«
v. Griesinger
Nr. ii
Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler1
Geheim ! Wien, den 2. Juli 19141 2
Im Anschluß an meine anderweite Berichterstattung3 beehre ich
mich, über meine heutige Audienz bei Sr. M. dem Kaiser Franz Joseph
nachstehendes zu melden.
Der Kaiser kam mir bei meinem Eintritte in sein Kabinett mit
elastischem Schritte entgegen und forderte mich nach Entgegennahme
meines Allerhöchsten Auftrages auf, an seinem Schreibtische Platz
zu nehmen. Der Kaiser sagte dann, die Zeiten seien sehr ernst.
Er wisse ja nicht, wie lange ihm noch zu leben beschieden sein
werde, aber er fürchte, in seinen letzten Lebenstagen würde ihm
keine Ruhe vergönnt sein. Der Kaiser sprach dann über die wachsende
Gefahr »da unten« und meinte, »ich sehe sehr schwatz in die Zukunft«.
Man müsse aber an die Zukunft denken und schon jetzt nach Mög-
lichkeit Vorsorge treffen. Er hätte sehr gern sich mit unserem Aller-
gnädigsten Herrn über alle die ihn beschäftigenden politischen Fragen
ausgesprochen. Nun sei das leider für jetzt unmöglich geworden.
Statt dessen werde er aber den Prinzen Hohenlohe tunlichst bald
nach Berlin senden, der mit seinen Anschauungen wohl vertraut :ei.
Er hoffe zuversichtlich, daß mein Kaiser dem Prinzen volles Vertrauen
entgegenbringen werde, »denn er verdient es«. Er habe den Prinzen
beauftragt, ganz offen und rückhaltlos mit Sr. M. dem Kaiser und
dessen Ratgebern zu sprechen.
Der Kaiser berührte dann die albanische Frage. In Albanien
gehe es sehr schlecht. Mit den Leuten dort sei nichts zu machen:
Jeder Albanese sei bestechlich, und auf keinen könne man sich ver-
lassen. Prinz Wied habe gewiß den besten Willen, aber anscheinend
sei er nicht der Mann für die ihm gestellte Aufgabe, wobei er aber
nicht entscheiden wolle, ob ein anderer es besser gemacht haben
würde. Man habe wohl die Verpflichtung, den Fürsten von Albanien
so lange wie möglich zu halten und seine persönliche Sicherheit zu
1 Nach einer bei den Akten befindlichen Abschrift.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 4. Juli nachm. Dazu die Notiz:
»Vom Unterstaatssekretär persönlich beantwortet«. Die Antwort ist nicht
bei den Akten.
3 Siehe Nr. 9.
Aktenstücke I.
4
garantieren. Weiter könne er aber nicht gehen. Die Albaner möchten
dann sehen, wie sie untereinander fertig werden würden. Österreich
interessiere nur die Integrität des albanischen Staates. Solange
diese gewahrt werde, denke man hier an keine Intervention.
Turkan Pascha scheine auch ein recht übler Herr zu sein,
der jetzt nun schon zum zweiten Male seinen Fürsten und sein Land
im Stiche lasse. Daß man ein so übel beleumundetes Subjekt wie
Herrn Aliotti von Rom aus nach Durazzo geschickt habe, sei be-
dauerlich und zeuge von der Schwäche der italienischen Regierung.
Doch sei Marquis di San Giuliano durchaus korrekt, und es gehe ja
jetzt glücklicherweise entschieden besser im Verhältnis mit Rom.
Erfreulich sei es, daß die Beziehungen zu Griechenland wärmer
geworden seien. Mit so vernünftigen Leuten wie die Herren Veniselos
und Streit werde man gewiß auf diesem guten Wege weiter kommen.
Wenn er, der Kaiser, auch gewiß nichts für König Ferdinand
übrig habe, so sei doch Bulgarien ein großes Land und bedeutender
Entwicklung fähig. Bulgarien sei, außer vielleicht Griechenland, der
einzige Balkanstaat, der gar keine widerstreitenden Interessen mit
Österreich habe. Er halte es deshalb für richtig, die Beziehungen
zu diesem Lande zu pflegen und fester zu gestalten.
Traurig dagegen sei das Kapitel »Rumänien«. »Ich weiß, daß
Ihr Kaiser volles Vertrauen zu König Carol hat«, meinten S. M.
wörtlich. »Ich habe es nicht.« Wenn der König auch versuche,
sich möglichst gut mit Worten nach allen Seiten hin zu decken, so
sei er, der Kaiser, doch fest überzeugt, daß der König nicht mehr
die Kraft habe, sein Land zu führen, sondern er werde von der
Volksstimmung geführt. Übrigens habe der König ja mit aller
Deutlichkeit seinerzeit schon dem Prinzen Fürstenberg erklärt, er
fühle sich nicht imstande, seinen Verpflichtungen dem Dreibunde
gegenüber nachzukcmmen. Die von ihm oft gerühmte Politik der
freien Hand werde notwendig dahin führen' daß er gegen Österreich
werde marschieren müssen.
Ein Lichtblick in der sonst so trüben politischen Lage sei die
Besserung der Beziehungen zwischen Berlin und London, die natur-
gemäß auch eine günstige Rückwirkung auf die Beziehungen zwischen
Wien und London zur Folge gehabt hätten. Sir Edward Grey habe
sich im Laufe der Jahre entschieden in politischer Beziehung zu
seinem Vorteil verändert, und er glaube, daß die sonst nicht gerade
brillante Londoner Konferenz doch das Gute gehabt habe, Deutsch-
land und auch Österreich dem Minister näherzubringen, der unsere
Politik jetzt wohl richtiger beurteilt wie früher. »Wenn wir England
nur ganz von seinen Freunden Frankreich und Rußland abbringen
könnten«, meinte S. M. Ich bemerkte hier, daß S. M. überzeugt sein
könnten, daß S. M., unser Allergnädigster Kaiser, und der Herr
Reichskanzler auch weiter auf dem bisher mit großer Geduld
und Beharrlichkeit verfolgten Wege weiterschreiten würden, um
England mehr und mehr von der Kongruenz unserer Interessen zu
*7
überzeugen. Ein völliges Abdrängen von seinen jetzigen Entente-
freunden würde aber wohl in absehbarer Zeit kaum möglich sein. Wir
müßten mit einer allmählich fortschreitenden Besserung unseres Ver-
hältnisses zu England uns für jetzt zufrieden geben. Vielleicht
würden einmal Ereignisse in der Welt eintreten, durch welche unsere
Bemühungen rascher zum Ziele geführt werden würden.
S. M. kam dann zum Schluß nochmals auf den serbischen Nach-
bar zu sprechen. Die Belgrader Intrigen seien unerträglich. Mit
den Leuten sei eben im guten nichts anzufangen. S. M. erwähnten
hier die Stellung, die Herr von Hartwig in Belgrad einnehme, und
die Besorgnisse, die ihm die russischen sogenannten Probemobilisierungen
im Herbst, also zu einer Zeit, wo hier die Rekruten eingestellt
würden und die Armee nicht vollkommen schlagfertig sei, einflößten.
Er hoffe, daß mein Kaiser und die Kaiserliche Regierung die Ge-
fahren ermäßen, die für die Monarchie in der serbischen Nachbar-
schaft lägen. Man müsse, wie gesagt, an die Zukunft denken und
die Machtstellung der im Dreibund Verbündeten wahren. Ich be-
nutzte diese Bemerkung des Kaisers, um auch Sr. M. gegenüber —
wie ich es in diesen Tagen dem Grafen Berchtold gegenüber sehr
nachdrücklich bereits getan habe— nochmals darauf hinzuweisen, daß
S. M. sicher darauf bauen könne, Deutschland geschlossen hinter der
Monarchie zu finden, s< bald es sich um die Verteidigung eines ihrer
Lebensinteressen handele. Die Entscheidung darüber, wann und wo
ein solches Lebensinteresse vorliege, müsse Österreich selbst überlassen
bleiben. Aus Stimmungen und Wünschen heraus, wenn sie auch noch
so verständlich seien, könne verantwort hebe Politik nicht gemacht
wei den. Es müsse vor jedem entscheidenden Schritt sehr genau erwogen
werden, wie weit man gehen wolle und müsse und mit welchen
Mitteln das ins Auge gefaßte Ziel zu errreichen sei. In erster Linie
müsse bei jedem folgenschweren Schritte die allgemeine politische
Lage erwogen und die voraussichtliche Haltung der anderen Mächte
und Staaten in Rücksicht gezogen und das Terrain sorgfältig vor-
bereitet werden. Ich könne nur wiederholen, daß mein Kaiser hinter
jedem festen Entschlüsse Österreich-Ungarns stehen werde. S. M.
stimmten diesen meinen Worten lebhaft zu und meinten, ich hätte
gewiß recht.
Der Kaiser erwähnte dann noch, daß der plötzliche Tod des
Generals Pollio ein herber Verlust für Italien und auch für uns sei.
»Alles stirbt um mich herum,« sagte S. M., »es ist zu traurig.«
Der Kaiser sprach dann noch über seine Sommerpläne in Ischl,
die Aussichten der Hirschjagd und geruhten mich nach fast ein-
stündiger Audienz in gnädigster Weise zu entlassen.
Während ich diesen Bericht — zwischen 12 und 1 Uhr nachts —
niederschreibe, höre ich das Johlen und Pfeifen einer großen Menschen-
menge, die eine Demonstration vor der nahe gelegenen russischen
Botschaft veranstalten. Zahlreichen Schutzmannschaften ist es soeben
gelungen, die Demonstranten von der russischen Botschaft abzu-
4*
i8
drängen, und nach einer Ansprache, die von jemandem an die Menge
gerichtet wurde, die ich aber nicht verstehen konnte, zieht die Menge
soeben ab unter Absingung des »Gott erhalte« und der »Wacht am
Rhein«.
von Tschirschky
Nr. 12
Der Gesandte in Belgrad an den Reichskanzler1
Belgrad, den 2. Juli 19141 2
Wie mir der österreichisch-ungarische Geschäftsträger mitteilt,
hat er gestern von sich aus an den Generalsekretär im hiesigen
Auswärtigen Ministerium die Frage gerichtet, was die serbische
Regierung angesichts der selbst nach den slawischen Blättern auf
Serbien und Belgrad weisenden Zusammenhänge mit dem Attentat \u
deren Ermittelung angeordnet habe. Herr Gruitsch erklärte ihm
darauf, daß bis jetzt nichts geschehen sei und die Sache die serbis he
Regierung auch nichts anginge3, und fragte seinerseits, ob der
Geschäftsträger im Namen seiner Regierung spreche. Herr von Storck
ist ihm dann sehr deutlich geworden und hat ihm sein tiefstes Be-
fremden darüber ausgedrückt, daß eine Regierung, die fortwährend
versichere, mit ihren Nachbarn in korrekten Beziehungen leben zu
wollen, eine derartige Gleichgültigkeit an den Tag lege. Die Unter-
redung scheint beiderseits ungemein erregt geführt worden \u sein
und hat damit geendet, daß der Generalsekretär sofort mit dem
Minister des Innern sich ins Benehmen setzte. Es verlautet nun-
mehr, daß am gestrigen Abend einige Verhaftungen und Haussuchungen
in den von den Attentätern seinerzeit bewohnten Quartieren vor ge-
nommen wurden. Auch sollen nähere Ermittlungen darüber im Gange
sein, welchen Gesellschaften und nationalistischen Vereinen die Atten-
täter angehört haben, wie sie in den Besitz der Bomben gelangt
sind und woher die angeblich bei ihnen Vorgefundenen Gelder stammen.
v. Griesinger
sehr bezeichnend
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 5. Juli vorm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 13. Juli zurückgegeben, am 16. Juli wieder im Amt.
Gemäß kaiserlicher Randverfügung am 20. Juli der Botschaft in Wien
mitgeteilt.
3 Die Worte »jetzt nichts geschehen« und »nichts anginge« vom Kaiser
zweimal unterstrichen, am Rand zwei Ausrufungszeichen des Kaisers.
Nr. 13
Der Kaiser von Österreich an den Kaiser
*9
Handschreiben1
Ich habe aufrichtig bedauert, daß Du genötigt warst, Deine
Absicht, zur Trauerfeier nach Wien zu kommen, aufzugeben. Ich
hätte Dir sehr gerne persönlich meinen herzlichen Dank für Deine
wohltuende Anteilnahme an meinem schweren Kummer ausgesprochen.
Du hast mir durch Dein warmes, mitfühlendes Beileid wieder
bewiesen, daß ich in Dir einen treuen verläßlichen Freund besitze
und daß ich in jeder ernsten Stunde auf Dich rechnen kann.
Es wäre mir auch sehr erwünscht gewesen, die politische Lage
mit Dir zu besprechen; da dies jetzt nicht möglich gewesen ist,
erlaube ich mir, Dir die anruhende von meinem Minister des Äußern
ausgearbeitete Denkschrift zu senden, die noch vor der furchtbaren
Katastrophe in Sarajevo verfaßt wurde und jetzt nach diesem tra-
gischen Ereignisse besonders beachtenswert erscheint.
Das gegen meinen armen Neffen verübte Attentat ist die direkte
Folge der von den russischen und serbischen Panslawisten betriebenen
Agitation, deren einziges Ziel die Schwächung des Dreibundes und
die Zertrümmerung meines Reiches ist.
Nach allen bisherigen Erhebungen hat es sich in Sarajevo nicht
um die Bluttat eines einzelnen, sondern um ein wohlorganisiertes
Komplott gehandelt, dessen Fäden nach Belgrad reichen, und wenn
es auch vermutlich unmöglich sein wird, die Komplizität der serbi-
schen Regierung nachzuweisen, so kann man wohl nicht im Zweifel
darüber sein, daß ihre auf die Vereinigung aller Südslawen unter
serbischer Flagge gerichtete Politik solche Verbrechen fördert, und
daß die Andauer dieses Zustandes eine dauernde Gefahr für mein
Haus und für meine Länder bildet.
Diese Gefahr wird noch dadurch erhöht, daß auch Rumänien,
trotz des bestehenden Bündnisses mit uns, sich mit Serbien eng be-
freundet hat und auch im eigenen Lande eine ebenso gehässige
Agitation gegen uns duldet, wie Serbien es tut.
Es wird mir schwer, an der Treue und den guten Absichten
eines so alten Freundes, wie Carl von Rumänien es ist, zu zweifeln,
1 Nach der bei den Akten befindlichen offiziellen Abschrift der k. u. k.
Regierung, die nebst der unten (Nr. 14) abgedruckten Denkschrift am 5. Juli
von österreichisch-ungarischer Seite dem Unterstaatssekretär Zimmermann
überreicht worden war. Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 5. Juli.
Am 6. Juli dem Botschafter in Wien abschriftlich mitgeteilt. Siehe außer-
dem die Telegramme vom 6. Juli an die Vertretungen in Wien, Bukarest,
Sofia und Rom Nr. 15, 16, 17 und 33. Siehe auch deutsches Weißbuch vom
Juni 1919, Anlage V. 3.
20
er selbst hat aber meinem Gesandten im Laufe der letzten Monate
zweimal erklärt, daß er angesichts der erregten und uns feindlichen
Stimmung seines Volkes nicht in der Lage wäre, im Ernstfälle seinen
Bundespflichten nachzukommen.
Dabei fördert die gegenwärtige rumänische Regierung ganz offen
die Bestrebungen der Kultuliga, begünstigt die Annäherung an
Serbien und strebt mit russischer Hilfe die Gründung eines neuen
Balkanbundes an, der nur gegen mein Reich gerichtet sein könnte.
Schon am Beginne der Regierungszeit Carls haben ähnliche
politische Phantasien, wie sie jetzt von der Kulturliga verbreitet
werden, den gesunden politischen Sinn der rumänischen Staatsmänner
getrübt, und es hat die Gefahr bestanden, daß das Königreich eine
Abenteurerpolitik treiben würde. Damals hat Dein seliger Großvater
in energischer zielbewußter Weise durch seine Regierung eingegriffen
und hat Rumänien so den Weg gewiesen, auf welchem es zu einer
Vorzugsstellung in Europa und zu einer verläßlichen Stütze aller
Ordnung geworden ist.
Jetzt droht dieselbe Gefahr dem Königreiche; ich befürchte,
daß Ratschläge allein nicht mehr helfen werden und daß Rumänien
nur dann dem Dreibunde erhalten werden kann, wenn wir einerseits
das Entstehen eines Balkanbundes unter russischer Patronanz durch
den Anschluß Bulgariens an den Dreibund unmöglich machen und
andererseits in Bukarest klar und deutlich zu erkennen geben, daß
die Freunde Serbiens nicht unsere Freunde sein können, und daß
auch Rumänien nicht mehr mit uns als Bundesgenossen wird rechnen
können, wenn es sich nicht von Serbien lossagt und die gegen den
Bestand meines Reiches gerichtete Agitation in Rumänien nicht mit
aller Kraft unterdrückt.
Das Bestreben meiner Regierung muß in Hinkunft auf die
Isolierung und Verkleinerung Serbiens gerichtet sein. Die erste
Etappe auf diesem Wege wäre in einer Stärkung der Stellung der
gegenwärtigen bulgarischen Regierung zu suchen, damit Bulgarien,
dessen reelle Interessen mit den unsrigen übereinstimmen, vor der
Rückkehr zur Russophilie bewahrt bleibt.
Wenn man in Bukarest erkennt, daß der Dreibund entschlossen
ist, auf einen Anschluß Bulgariens nicht zu verzichten, jedoch bereit
wäre, Bulgarien dazu zu veranlassen, sich mit Rumänien zu ver-
binden und dessen territoriale Integrität zu garantieren, so wird
man dort vielleicht von der gefährlichen Richtung zurückkommen,
in welche man durch die Freundschaft mit Serbien und die Annähe-
rung an Rußland getrieben worden ist.
Wenn dies gelingt, könnte der weitere Versuch gemacht werden,
Griechenland mit Bulgarien und der Türkei zu versöhnen, es würde
sich dann unter der Patronanz des Dreibundes ein neuer Balkanbund
bilden, dessen Ziel darin bestehen würde, dem Vordringen der pan-
slawistischen Hochflut ein Ziel zu setzen und unseren Ländern den
Frieden zu sichern.
21
Dies wird aber nur dann möglich sein, wenn Serbien, welches
gegenwärtig den Angelpunkt der panslawischen Politik bildet, als
politischer Machtfaktor am Balkan ausgeschaltet wird.
Auch Du wirst nach dem jüngsten furchtbaren Geschehnisse
in Bosnien die Überzeugung haben, daß an eine Versöhnung des
Gegensatzes, welcher Serbien von uns trennt, nicht mehr zu denken
ist, und daß die erhaltende Friedenspolitik aller europäischen Mo-
nrachen bedroht sein wird, solange dieser Herd von verbrecherischer
Agitation in Belgrad ungestraft fortlebt.
Nr. 14
Memorandum der österreichisch-ungarischen Regierung1
Geheim!
Nach den großen Erschütterungen der letzten zwei Jahre haben
sich die Verhältnisse am Balkan so weit geklärt, daß es nun möglich
ist, die Ergebnisse der Krise einigermaßen zu übersehen und fest-
zustellen, inwiefern die Interessen des Dreibundes, insbesondere die
der beiden zentralen Kaisermächte, durch die Ereignisse tangiert
wurden und welche S* hlußfolgerungen sich für die europäische und
Balkanpolitik dieser Mächte ergeben.
Wenn man die heutige Situation mit jener vor der großen
Krise unbefangen vergleicht, muß man konstatieren, daß das Ge-
samtergebnis, vom Standpunkte Österreich-Ungams sowie des Drei-
bundes aus betrachtet, keineswegs als günstig bezeichnet werden kann.
Die Bilanz weist allerdings einige Aktivposten auf. Es ist ge-
lungen, als Gegengewicht gegen das Vordringen Serbiens ein selb-
ständiges albanesisches Staatswesen zu schaffen, das nach einer Reihe
von Jahren, wenn seine innere Organisation vollendet sein wird,
immerhin auch als militärischer Faktor in den Kalkül des Dreibundes
eingestellt werden kann. Die Beziehungen des Dreibundes zu dem
erstarkten und vergrößerten griechischen Königreiche haben Jch all-
mählich so gestaltet, daß Griechenland trotz seines Bündnisses mit
Serbien nicht unbedingt als Gegner anzusehen ist.
Hauptsächlich ist aber infolge der Entwicklung, die zum zweiten
Balkankrieg geführt hat, Bulgarien aus der russischen Hypnose er-
wacht und kann heute nicht mehr als Exponent der russischen
Politik gelten. Die bulgarische Regierung strebt im Gegenteile an,
in ein näheres Verhältnis zum Dreibund zu treten.
1 Nach der bei den Akten befindlichen offiziellen Abschrift der österreichisch-
ungarischen Regierung. Siehe auch deutsches Weißbuch vom Juni 1919,
Anlage V. 4. Mit Nr. 13 am 5. Juli überreicht.
Diesen günstigen Momenten stehen jedoch nachteilige gegenüber,
die schwerer als jene ins Gewicht fallen. Die Türkei, deren Interessen-
gemeinschaft mit dem Dreibunde von selbst gegeben war, und die
ein starkes Gegengewicht gegen Rußland und die Balkanstaaten
dargestellt hatte, ist aus Europa fast ganz verdrängt worden und
hat eine wesentliche Einbuße an ihrer Großmachtstellung erlitten.
Serbien, dessen Politik seit Jahren von feindlichen Tendenzen gegen
Österreich-Ungarn geleitet wird, und das ganz unter russischem Ein-
flüsse steht, hat einen Zuwachs an Gebiet und Bevölkerung erreicht,
der die eigenen Erwartungen weit übertroffen hat; durch die terri-
toriale Nachbarschaft zu Montenegro und das allgemeine Erstarken
der großserbischen Idee ist die Möglichkeit einer weiteren Vergröße-
rung Serbiens im Wege der Union mit Montenegro nahegerückt.
Endlich hat sich im Laufe der Krise das Verhältnis Rumäniens zum
Dreibunde wesentlich geändert.
Während die Balkankrise somit zu Resultaten geführt hat, die
an sich schon für den Dreibund keineswegs günstig sind und den
Keim einer speziell für Österreich-Ungarn unerwünschten weiteren
Entwicklung in sich schließen, sehen wir andererseits, daß die
russische und französische Diplomatie eine einheitliche und plan-
mäßige Aktion eingeleitet hat, um die errungenen Vorteile weiter
auszugestalten und einzelne, von ihrem Standpunkte nachteilige
Momente entsprechend zu modifizieren.
Ein kurzer Überblick über die europäische Lage läßt klar er-
kennen, weshalb die Triple-Entente — richtiger der Zweibund, denn
England hat seit der Balkankrise aus erklärlichen und sehr be-
zeichnenden Gründen eine reservierte Haltung eingenommen — sich
mit den zu ihren Gunsten eingetretenen Verschiebungen am Balkan
nicht zufrieden geben konnte.
Während die Politik der beiden Kaisermächte und bis zu einem
gewissen Grade auch jene Italiens eine konservative ist und der
Dreibund einen rein defensiven Charakter besitzt, verfolgt die Politik
Rußlands wie Frankreichs gewisse, gegen das Bestehende gerichtete
Tendenzen und ist das russisch-französische Bündnis, als Produkt
des Parallelismus dieser Tendenzen, in letzter Linie offensiver Natur.
Daß die Politik des Dreibundes sich bisher durchsetzen konnte und
der Friede Europas vor Störungen durch Rußland und Frankreich
bewahrt blieb, war auf die militärische Superiorität zurückzuführen,
welche die Heere des Dreibundes, vor allem Österreich-Ungarns und
Deutschlands, gegenüber jenen Rußlands und Frankreichs unzweifel-
haft besaßen, wobei das Bündnis Rumäniens mit den Kaisermächten
ein hoch zu bewertender Faktor war.
Der Gedanke, die christlichen Balkanvölker von der türkischen
Herrschaft zu befreien, um sie dann als Waffe gegen Zentraleuropa
zu gebrauchen, ist seit altersher der realpolitische Hintergrund des
traditionellen Interesses Rußlands für diese Völker. In neuerer
Zeit hat sich hieraus die von Rußland ausgegangene, von Frank-
23
reich verständnisvoll aufgenommene Idee entwickelt, die Balkan-
staaten zu einem Balkanbund zu vereinigen, um auf diese Weise
die militärische Superiorität des Dreibundes aus der Welt zu schaffen.
Die erste Vorbedingung für die Verwirklichung dieses Planes war,
daß die Türkei aus den von den christlichen Balkannationen be-
wohnten Gebieten verdrängt werde, damit die Kraft dieser Staaten
vermehrt und nach Westen hin frei werde. Diese Vorbedingung ist
durch den letzten Krieg im großen und ganzen erfüllt worden. Da-
gegen ist nach dem Ausgange der Krise eine Spaltung der Balkan-
staaten in zwei annähernd gleich starke gegnerische Gruppen, die
Türkei und Bulgarien einerseits, die beiden serbischen Staaten,
Griechenland und Rumänien andererseits, eingetreten.
Diese Spaltung zu beseitigen, um alle Balkanstaaten oder doch
die entscheidende Mehrzahl zur Verschiebung des europäischen
Kräfteverhältnisses verwenden zu können, bildete die nächste Auf-
gabe, die sich nach dem Abschluß der Krise Rußland und mit ihm
Frankreich stellte.
Da zwischen Serbien und Griechenland ein Bündnis bereits be-
stand und Rumänien sich mit diesen beiden Staaten wenigstens
hinsichtlich der Resultate des Bukarester Friedens solidarisch erklärt
hatte, handelt es sich für die Zweibundmächte im Wesen darum,
den tiefen Gegensatz Bulgariens zu Griechenland und vor allem zu
Serbien in der mazedonischen Frage auszugleichen; ferner, eine Basis
zu finden, auf welcher Rumänien bereit wäre, ganz ins Lager des
Zweibundes abzuschwenken und selbst mit dem mißtrauisch be-
obachteten Bulgarien an einer politischen Kombination teilzunehmen;
endlich, wenn möglich, eine friedliche Lösung der Inselfrage herbei-
zuführen, um eine Annäherung oder den Anschluß der Türkei an
die Balkan Staaten anzubahnen.
Über die Grundlage, auf welcher sich nach den Absichten der
russischen und französischen Diplomatie die Ausgleichung dieser
Gegensätze und Rivalitäten vollziehen und der neue Balkanbund
aufbauen soll, kann kein Zweifel bestehen. Ein Bündnis der Balkan-
staaten kann sich unter den heutigen Verhältnisssen, da eine ge-
meinsame Aktion gegen die Türkei nicht mehr in Betracht kommt,
nur gegen Österreich-Ungarn richten und nur auf der Basis eines
Programmes zustande gebracht werden, das in letzter Linie auf
Kosten der territorialen Integrität der Monarchie allen Teilnehmern
durch eine staffelweise Verrückung der Grenzen von Ost nach West
Gebietserweiterungen in Aussicht stellt. Eine Einigung der Balkan-
staaten auf einer anderen Grundlage ist kaum denkbar, auf dieser
Basis aber nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern auf bestem Wege,
zur Tatsache zu werden.
Daß Serbien unter russischem Druck darauf eingehen würde,
für den Eintritt Bulgariens in ein gegen die Monarchie gerichtetes,
auf den Erwerb Bosniens und der angrenzenden Gebiete abzielendes
24
Bündnis in Mazedonien einen angemessenen Preis zu bezahlen, ist
wohl nicht zu bezweifeln.
Größer sind die Schwierigkeiten in Sofia.
Rußland hat Bulgarien Vorschläge auf der eben erwähnten Basis
schon vor dem zweiten Balkankrieg gemacht und sie nach dem
Bukarester Frieden wiederholt. Bulgarien, das offenbar von Verein-
barungen mit Serbien gründlich abgeschreckt war, hat es jedoch ab-
gelehnt, auf die russischen Pläne einzugehen, und verfolgt seither
eine Politik, welche auf alles eher als auf eine friedliche Verstän-
digung mit Serbien unter der Ägide Rußlands abzielt. Man hat in
St. Petersburg das Spiel aber keineswegs verloren gegeben. Im
Innern des Landes arbeiten russische Agenten am Sturze des heutigen
Regimes, und gleichzeitig ist die Zweibunddiplomatie eifrig bemüht,
eine völlige Isolierung Bulgariens herbeizuführen, um es hierdurch
den russischen Angeboten zugänglich zu machen.
Da Bulgarien nach dem Friedensschlüsse bei der Türkei An-
lehnung gesucht und gefunden und da sich bei der Pforte anderer-
seits die Neigung gezeigt hatte, ein Bündnis mit Bulgarien einzu-
gehen und sich dem Dreibund zu nähern, so ist russisch-französischer
Einfluß seit einiger Zeit am Bosporus eifrig am Werk, um dieser
Politik der Türkei entgegenzuarbeiten, letztere zum Zweibund hin-
überzuziehen und auf diese Art Bulgarien entweder durch völlige
Isolierung oder durch Einwirkung der Türkei zu einer neuen Orien-
tierung zu veranlassen. Meldungen aus Konstantinopel, die durch
die Reise Talaat Beis nach Livadia eine gewisse Bestätigung er-
fahren haben, besagen, daß diese Bemühungen, wenigstens was die
Türkei betrifft, nicht ohne Erfolg geblieben sind. Es ist Rußland
gelungen, durch den Hinweis auf die angeblichen, den klein asiatischen
Besitzstand bedrohenden Aufteilungspläne anderer Mächte das histo.-
rische Mißtrauen der Türkei von sich abzulenken und mit wirksamer
Unterstützung Frankreichs, das die Finanznot der Türkei auszunutzen
verstand, zu erreichen, daß anstatt eines Zusammengehens mit dem
Dreibund der Gedanke einer Annäherung an die andere Mächte-
gruppe von den türkischen Staatsmännern in ernste Erwägung ge-
zogen wird.
Auf die Tätigkeit der russischen und französischen Diplomatie
ist auch die Reise Talaat Beis nach Bukarest zurückzuführen, durch
welche eine rumänische Vermittlung in der Inselfrage herbeigeführt,
gleichzeitig aber auch durch die Anbahnung freundschaftlicher Be-
ziehungen zwischen Konstantinopel und Bukarest die Einkreisung
Bulgariens gefördert werden sollte.
Einstweilen hat sich eine Wirkung dieser Einkreisungsbestrebungen
auf die bulgarische Politik noch nicht gezeigt, vielleicht deshalb,
weil man in Sofia noch keinen Anlaß hatte, gegen die Absichten
der Türkei mißtrauisch zu werden. Jedenfalls ist aber die Erwartung
Rußlands vollkommen gerechtfertigt, daß eine völlige Isolierung am
Balkan wie in Europa Bulgarien schließlich nötigen würde, seine
25
bisherige Politik aufzugeben und auf die Bedingungen einzugehen,
die ihm Rußland für die Wiederaufnahme in seinen Schutz und
Schirm auferlegen würde.
Mazedonien spielt in der inneren und äußeren Politik Bulgariens
eine proeminente Rolle. Wenn es sich für die dortigen Machthaber
heraussteilen sollte, daß der von Rußland proponierte friedliche
Ausgleich und das Bündnis mit Serbien der einzige Weg ist,
wenigstens Teile Mazedoniens für die bulgarische Sache zu retten,
wird trotz der erlittenen Enttäuschungen keine bulgarische Regierung
es wagen können, diese Kombination zurückzu weisen. Nur eine
Aktion, die Bulgarien den russischen Drohungen und Lockungen
gegenüber das Rückgrat stärkt und das Land vor Isolierung bewahrt,
könnte verhindern, daß Bulgarien schließlich auf die Balkanbund-
pläne eingeht.
Was nun Rumänien anbelangt, so hatte dort die russisch-
französische Aktion schon während der Balkankrise mit voller Intensität
eingesetzt, sie hatte die öffentliche Meinung durch erstaunliche Ver-
drehungskünste und durch geschickte Anfachung der unter der
Oberfläche stets fortglimmenden großrumänischen Idee in eine feind-
selige Stimmung gegen die Monarchie hineingetrieben und die aus-
wärtige Politik Rumäniens zu einer mit seinen Bundespflichten
gegenüber Österreich-Ungarn kaum in Einklang stehenden militärischen
Kooperation mit Serbien veranlaßt.
Diese Aktion ist seither keineswegs zum Stillstand gekommen,
sie wurde und wird vielmehr mit allem Nachdruck und mit so ein-
drucksvollen und demonstrativen Mitteln, wie dem Besuche des Zaren
am rumänischen Hofe, fortgesetzt.
Parallel damit vollzog sich ein immer tiefer gehender Umschwung
in der rumänischen öffentlichen Meinung, und es kann heute nicht
daran gezweifelt werden, daß viele Kreise der Armee, der Intelligenz
und des Volkes für eine neue Orientierung Rumäniens gewonnen
sind, für eine Politik des Anschlusses an Rußland, die sich die
»Befreiung der Brüder jenseits der Karpathen« zum Ziele zu setzen
hätte. Es ist klar, daß damit das Terrain für den Eintritt Rumäniens
in einen etwaigen künftigen Balkanbund in der wirksamsten Weise
vorbereitet ist.
Das offizielle Rumänien hat bisher dem Einflüsse dieser populären
Strömungen und den russisch-französischen Werbungen so weit wider-
standen, daß von einem offenen Übergang ins Lager des Zweibundes
und zu einer ausgesprochenen Politik gegen Österreich-Ungarn derzeit
noch nicht gesprochen werden kann. Es ist aber unleugbar, daß
in der auswärtigen Politik Rumäniens eine bedeutsame Schwenkung
eingetreten ist, die — ganz abgesehen von allen Perspektiven auf
eine künftige, in gleicher Richtung fortschreitende Entwicklung —
schon jetzt auf die politische und militärische Situation Österreich-
Ungarns, ja des ganzen Dreibundes, in beträchtlichem Maße
zurückwirkt.
2Ö
Während nämlich früher, trotz der Geheimhaltung des Allianz-
verhältnisses, kein positiver Anhaltspunkt voilag, an der Erfüllung
der aus dem Akkord mit den Dreibundmächten entspringenden Ver-
pflichtungen durch Rumänien zu zweifeln, haben kompetente rumänische
Stellen in letzter Zeit mehrfach die öffentliche Erklärung abgegeben —
wogegen die Dreibundmächte infolge der Geheimhaltungsklausel des
Bündnisvertrages keine Rekriminationen erheben konnten — daß
der leitende Gedanke der rumänischen Politik das Prinzip der freien
Hand sei. Ebenso hat König Carol mit der Offenheit, die seiner
vornehmen Gesinnung entspricht, dem k. und k. Gesandten erklärt,
solange er lebe, werde sein Streben zwar dahin gehen, daß die
rumänische Armee gegen Österreich-Ungarn nicht ins Feld ziehe,
allein gegen die öffentliche Meinung des heutigen Rumänien könne
er nicht Politik machen, und es sei daher im Falle eines Angriffes
Rußlands gegen die Monarchie trotz des bestehenden Bündnisses an
eine Aktion Rumäniens an der Seite Österreich-Ungarns nicht zu
denken. Um einen Schritt weiter ist — bezeichnenderweise un-
mittelbar nach dem Zarenbesuche in Constanza — der rumänische
Minister des Äußern gegangen, indem er in einem Interview unver-
blümt zugab, daß eine Annäherung Rumäniens an Rußland erfolgt
sei und daß eine Interessengemeinschaft zwischen den beiden Staaten
bestehe.
Das Verhältnis Österreich-Ungarns zu Rumänien ist somit gegen-
wärtig dadurch charakterisiert, daß die Monarchie ganz auf dem
Boden des Bündnisses steht und nach wie vor bereit ist, Rumänien,
wenn der casus foederis eintreten sollte, mit ganzer Macht zu unter-
stützen, daß Rumänien aber sich von den Bündnispflichten einseitig
lossagt und der Monarchie lediglich eine neutrale Haltung in Aus-
sicht stellt. Selbst die bloße Neutralität Rumäniens ist der Mon-
archie nur durch eine persönliche Zusage König Carols garantiert, die
natürlich lediglich für die Dauer seiner Regierung von Wert ist,
deren Einhaltung aber überdies davon abhängt, daß der König die
Leitung der auswärtigen Politik stets vollkommen in der Hand
behält. Daß dies in Zeiten nationaler Erregung des ganzen Landes
die Kraft des Monarchen übersteigen könnte, kann um so weniger*
negiert werden, als König Carol sich heute schon auf die Volks-
stimmung beruft, um die Unmöglichkeit der vollen Erfüllung der
Bundespflichten seitens Rumäniens zu begründen. Es darf schließ-
lich auch nicht übersehen werden, daß Rumänien schon heute mit
dem erbittertsten Gegner der Monarchie am Balkan, mit Serbien,
durch Bande der Freundschaft und Interessengemeinschaft verknüpft ist.
Die Monarchie hat sich bisher darauf beschränkt, die Schwen-
kung der rumänischen Politik in Bukarest in freundschaftlicher
Weise zur Sprache zu bringen, sich im übrigen aber nicht veranlaßt
gesehen, aus dieser immer deutlicheren Kursänderung Rumäniens
ernste Konsequenzen zu ziehen; das Wiener Kabinett hat sich hierzu
in erster Linie dadurch bestimmen lassen, daß die deutsche Re-
gierung die Auffassung vertrat, es handle sich um vorübergehende
Schwenkungen, Folgeerscheinungen gewisser Mißverständnisse aus
der Zeit der Krise, die sich automatisch zurückbilden würden, wenn
man ihnen gegenüber Ruhe und Geduld bewahrt. Es hat sich aber
gezeigt, daß diese Taktik ruhigen Abwartens und freundschaftlicher
Vorstellungen nicht die gewünschte Wirkung hatte, daß sich der
Prozeß der Entfremdung zwischen Österreich-Ungarn und Rumänien
nicht zurückgebildet, sondern im Gegenteil beschleunigt hat. Daß
von dieser Taktik auch für die Zukunft eine Wendung im günstigen
Sinne nicht zu erwarten ist, dafür spricht schon der Umstand, daß
die gegenwärtige Situation der »freien Hand« für Rumänien durch-
aus vorteilhaft und nur für die Monarchie nachteilig ist.
Es drängt sich nun die Frage auf, ob Österreich-Ungarn das
Verhältnis zu Rumänien noch durch eine offene Auseinandersetzung
sanieren könnte, indem es das Königreich vor die Wahl stellt, ent-
weder alle Brücken zum Dreibund abzubrechen oder — etwa durch
Bekanntmachung seiner Zugehörigkeit zum Dreibunde — ausreichende
Bürgschaften dafür zu geben, daß die aus der Allianz entspringen-
den Verpflichtungen auch von seiner Seite voll und ganz erfüllt
werden würden. Eine solche Lösung der Frage, die eine dreißigjährige
Tradition wieder aufleben ließe, würde sicherlich den Wünschen Öster-
reich-Ungarns am meisten entsprechen. Unter den gegebenen Ver-
hältnissen ist es aber leider wenig wahrscheinlich, daß sich König
Carol oder irgendeine rumänische Regierung, selbst gegen eine even-
tuelle Erweiterung des gegenwärtigen Bündnisvertrages, dazu bereit-
finden würde, der herrschenden Volksstimmung zum Trotz Rumänien
öffentlich als Bundesgenossen des Dreibundes hinzustellen. Ein ka-
tegorisches aut-aut seitens der Monarchie könnte daher zum offenen
Bruch führen. Ob es dem deutschen Kabinett durch ernste und
nachdrückliche Vorstellungen, eventuell verbunden mit einem An-
erbieten im obigen Sinne, gelingen würde, Rumänien zu einer Stel-
lungnahme zu veranlassen, die als eine verläßliche Garantie für
seine dauernde und volle Bundestreue ang' sehen werden könnte,
läßt sich von Wien aus* nicht leicht beurteilen, erscheint aber wohl
gleichfalls als zweifelhaft.
Unter diesen Umständen kann die Möglichkeit praktisch als
ausgeschlossen gelten, das Bündnis mit Rumänien wieder so verläßlich
und tragfähig zu gestalten, daß es für Österreich-Ungarn das Pivot
seiner Balkanpolitik bilden könnte.
Es wäre nicht nur zwecklos, sondern bei der politischen und
militärischen Bedeutung Rumäniens eine nicht zu verantwortende
Sorglosigkeit, die wichtige Interessen der Reichsverteidigung aufs
Spiel setzen würde, wenn sich die Monarchie gegenüber den in
Rumänien zutage getretenen Erscheinungen weiterhin mehr oder
weniger passiv verhalten und nicht ohne Aufschub die erforderlichen
militärischen Vorbereitungen und politischen Aktionen einleiten
28
würde, uni die Wirkungen der Neutralität und eventuellen Feind-
Seligkeit Rumäniens aufzuheben oder wenigstens abzuschwächen.
Der militärische Wert des Bündnisses mit Rumänien bestand
für die Monarchie darin, daß sie im Konfliktsfalle mit Rußland
gegen dieses von der rumänischen Seite her militärisch völlig freie
Hand gehabt hätte, während ein ansehnlicher Teil der ‘russischen
Heeresmacht durch den Angriff der flankierenden rumänischen Armee
gebunden worden wäre. Das heutige Verhältnis Rumäniens zur
Monarchie hätte jedoch, würde jetzt zwischen ihr und Rußland ein
bewaffneter Konflikt ausbrechen, so ziemlich das Gegenteil zur Folge.
Rußland hätte nun auf keinen Fall einen Angriff Rumäniens zu
befürchten und würde gegen Rumänien kaum einen Mann aufstellen
müssen, während Österreich-Ungarn der rumänischen Neutralität
nicht ganz sicher und deshalb gezwungen wäre, ein entsprechendes
Aufgebot an Truppen gegen das jetzt an seiner Flanke befindliche
Rumänien zurückzubehalten.
Die bisherigen militärischen Vorkehrungen Österreich-Ungarns
für den Fall eines Konfliktes mit Rußland basierten auf der Voraus-
setzung der Kooperation Rumäniens. Ist diese Vorraussetzung hin-
fällig, ja nicht einmal eine absolute Sicherheit vor einer rumänischen
Aggression gegeben, so muß die Monarchie für den Kriegsfall andere
Dispositionen treffen und auch die Anlage von Befestigungen gegen
Rumänien in Betracht ziehen.
Politisch handelt es sich darum, Rumänien durch Taten zu
beweisen, daß wir in der Lage sind, für die Balkanpolitik Österreich-
Ungarns einen, anderen Stützpunkt zu schaffen. Sachlich und zeit-
lich deckt sich die zu diesem Zweck einzuleitende Aktion mit der
Notwendigkeit, gegen die von den Zweibundmächten betriebene Er-
richtung eines neuen Balkanbundes wirksame Maßnahmen zu ergreifen.
Das eine wie das andere kann bei der heutigen Lage am Balkan
nur dadurch erreicht werden, daß die Monarchie auf die schon vor
einem Jahre gestellten und seither mehrfach wiederholten Anerbieten
Bulgariens eingeht und mit diesem in ein vertragsmäßiges Verhältnis
tritt. Gleichzeitig müßte die Politik der Monarchie darnach trachten,
ein Bündnis zwischen Bulgarien und der Türkei zustande zu bringen,
wofür in beiden Staaten bis vor kurzem noch so günstige Dis-
positionen herrschten, daß ein Vertragsinstrument, wenn es auch
später nicht unterzeichnet wuide, bereits ausgearbeitet war. Auch
in dieser Hinsicht könnte eine Fortsetzung der bisherigen abwartenden
Haltung, zu welcher sich die Monarchie durch eine viel weiter-
gehende Rücksichtnahme auf das Bündnis, als sie in Bukarest an
den Tag gelegt wurde, bestimmen ließ, von nicht wieder gut zu
machendem schweren Nachteil sein. Weiteres Zu warten und nament-
lich das Unterbleiben einer Gegenaktion in Sofia würde den inten-
siven und planmäßigen Bestrebungen Rußlands und Frankreichs
vollkommen freies Spiel lassen. Die Haltung Rumäniens drängt die
Monarchie geradezu mit Notwendigkeit dahin, Bulgarien jene An-
29
lehnung, die es seit langem sucht, zu gewähren, um den sonst kaum
abzuwendenden Erfolg der russischen Einkreisungspolitik zu ver-
eiteln. Dies muß aber eben geschehen, solange der Weg nach
Sofia und auch nach Konstantinopel noch offen steht.
Der Vertrag mit Bulgarien, dessen nähere Bestimmungen noch
eingehender zu prüfen sein werden, wird im allgemeinen natürlich
so abzufassen sein, daß er die Monarchie nicht in Widerstreit mit
ihren vertragsmäßigen Verpflichtungen Rumänien gegenüber zu
bringen vermag. Auch wäre dieser Schritt der Monarchie vor
letzterem nicht geheim zu halten, da ja darin keine Feindseligkeit
gegen Rumänien gelegen ist, wohl aber eine ernste Warnung, durch
die sich die maßgebenden Faktoren in Bukarest der ganzen Trag-
weite einer dauernden einseitigen politischen Abhängigkeit von
Rußland bewußt werden könnten.
Bevor Österreich-Ungarn aber an die in Rede stehende Aktion
herantritt, legt es den größten Wert darauf, mit dem Deutschen
Reiche ein volles Einvernehmen herzustellen, und zwar nicht
nur aus Rücksichten, die der Tradition und dem engen Bundes-
verhältnis entspringen, sondern vor allem deshalb, weil wichtige
Interessen Deutschlands und des Dreibundes überhaupt hier mit im
Spiele sind und weil eine erfolgreiche Wahrung dieser in letzter
Konsequenz gemeinsamen Interessen nur zu erwarten ist, wenn
der einheitlichen Aktion Rußlands und Frankreichs eine ebenso ein-
heitliche Gegenaktion des Dreibundes, insbesondere Österreich-Ungarns
und des Deutschen Reiches, entgegengesetzt wird.
Denn wenn Rußland, von Frankreich unterstützt, die Balkan-
staaten gegen Österreich-Ungarn zu vereinigen trachtet, wenn es die
bereits erreichte Trübung des Verhältnisses zu Rumänien zu ver-
tiefen bestrebt ist, so richtet sich diese Feindseligkeit nicht allein
gegen die Monarchie als solche, sondern nicht zuletzt gegen den
Bundesgenossen des Deutschen Reiches, gegen den durch seine geo-
graphische Lage und innere Struktur exponiertesten, Angriffen am
meisten zugänglichen Teil des zentraleuropäischen Blocks, der
Rußland den Weg zur Verwirklichung seiner weltpolitischen Pläne
sperrt*
Die militärische Superiorität der beiden Kaisermächte durch
Hilfstruppen vom Balkan her zu brechen, ist das Ziel des Zwei-
bundes, aber nicht das letzte Ziel Rußlands.
Während Frankreich die Schwächung der Monarchie “anstrebt,
weil es hiervon eine Förderung seiner Revanchebestrebungen erwartet,
sind die Absichten des Zarenreiches noch weit umfassender.
Wenn man die Entwicklung Rußlands in den letzten zwei Jahr-
hunderten, die stetige Erweiterung seines Gebietes, das enorme, alle
anderen europäischen Großmächte weit überflügelnde Anwachsen seiner
Volkszahl und die gewaltigen Fortschritte seiner wirtschaftlichen
Ressourcen und militärischen Machtmittel überblickt und bedenkt,
30
daß dieses große Reich durch seine Lage und durch Verträge vom
freien Meer noch immer so gut wie abgeschnitten ist, dann begreift
man die Notwendigkeit des der russischen Politik seit jeher
immanenten aggressiven Charakters.
Man kann Rußland vernünftigerweise territoriale Eroberungspläne
gegen das Deutsche Reich nicht zumuten; trotzdem sind die außer-
gewöhnlichen Rüstungen und kriegerischen Vorbereitungen, der Aus-
bau strategischer Bahnen gegen Westen etc. in Rußland sicherlich
mehr noch gegen Deutschland als gegen Österreich-Ungarn gerichtet.
Denn Rußland hat erkannt, daß die Verwirklichung seiner, einer
inneren Notwendigkeit entspringenden Pläne in Europa und Asien
in erster Linie höchst wichtige Interessen Deutschlands verletzen
und daher auf dessen unausweichlichen Widerstand stoßen müßte.
Die Politik Rußlands ist durch unveränderliche Verhältnisse
bedingt und deshalb eine stetige und weitausblickende.
Die manifesten Einkreisungstendenzen Rußlands gegen die
Monarchie, die keine Weltpolitik treibt, haben den Endzweck, dem
Deutschen Reiche den Widerstand gegen jene letzten Ziele Rußlands
und gegen seine politische und wirtschaftliche Suprematie unmöglich
zu machen.
Aus diesen Gründen ist die Leitung der auswärtigen Politik
Österreich-Ungarns auch davon überzeugt, daß es ein gemeinsames
Interesse der Monarchie wie nicht minder Deutschlands ist, im
jetzigen Stadium der Balkankrise rechtzeitig und energisch einer von
Rußland planmäßig angestrebten und geförderten Entwicklung ent-
gegenzutreten, die später vielleicht nicht mehr rückgängig zu
machen wäre.
Die vorliegende Denkschrift war eben fertiggestellt, als die
furchtbaren Ereignisse von Sarajevo eintraten.
Die ganze Tragweite der ruchlosen Mordtat läßt sich heute
kaum überblicken. Jedenfalls ist aber, wenn es dessen noch bedurft
hat, hierdurch der unzweifelhafte Beweis für die Unüberbrückbarkeit
des Gegensatzes zwischen der Monarchie und Serbien sowie für die
Gefährlichkeit und Intensität der vor nichts zurückschreckenden
großserbischen Bestrebungen erbracht worden.
Österreich-Ungarn hat es an gutem Willen und Entgegenkommen
nicht fehlen lassen, um ein erträgliches Verhältnis zu Serbien herbei-
zuführen. Es hat sich aber neuerlich gezeigt, daß diese Bemühungen
ganz vergeblich waren und daß die Monarchie auch in Zukunft mit
der hartnäckigen, unversöhnlichen und aggressiven Feindschaft Serbiens
zu rechnen haben wird.
Um so gebieterischer tritt an die Monarchie die Notwendigkeit
heran, mit entschlossener Hand die Fäden zu zerreißen, die ihre
Gegner zu einem Netze über ihrem Haupt verdichten wollen.
31
Nr. 14a
Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler1
Wien, den 4. Juli 19142
Obgleich sich das hiesige Ministerium des Äußern ernstlich be-
müht, auf die Presse beruhigend einzuwirken und sie von allzu
scharfen Artikeln abzuhalten, kommt die Erregung, die das ver-
hängnisvolle Attentat auf den Erzherzog Thronfolger und die Her-
zogin von Hohenberg zur Folge gehabt hat, immer mehr zum Durch-
bruch.
Die Presse weist darauf hin, daß die Fäden der Verschwörung
unzweifelhaft in Belgrad zusammenliefen, und daß den vom König-
reich Serbien aus geschürten großserbischen Umtrieben in den süd-
lichen Gebieten der Monarchie unbedingt ein Ende gemacht werden
müsse. Die Sprache der serbischen Presse hat nicht dazu beigetra-
gen, die öffentliche Meinung hier zu beruhigen. Man findet in ihr
trotz aller offiziellen Versicherungen, daß man in Serbien das Atten-
tat außerordentlich bedauere, weil es die Beziehungen zur Monarchie
vergifte, eine Art Zynismus zwischen den Zeilen.
Die Bemerkung der offiziösen »Samouprawa«, daß das Sara-
jevoer Ereignis nicht gewaltsam zu einem Streitobjekt zwischen Bel-
grad und Österreich-Ungarn gemacht we;den könne, weil über das
Ereignis auch die übrige zivilisierte Welt urteilen werde, und daß
diesem Urteil weder Serbien noch Österreich-Ungarn sich würden
entziehen können, beantwortet heute das »Deutsche Volksblatt«,
indem es bemerkt: »Wenn die serbische Presse glaubt, an die ge-
samte europäische Öffentlichkeit als Richter zwischen uns und Ser-
bien apellieren zu müssen, so soll man sich in Belgrad gesagt sein
lassen, daß wir die Ergebnisse, die die in Sarajevo geführte Unter-
suchung ergeben wird, als eine Angelegenheit betrachten, die lediglich
zwischen uns und Serbien zu erled gen sein wird. Wir gestehen
niemand das Recht einer Einmischung in dieser Sache zu, und wir
werden sie so erledigen, wie die Ehre und die Lebensinteressen der
Monarchie es von uns verlangen.«
Ich möchte nicht verfehlen, darauf aufmerksam zu machen, daß
ein Artikel wie der der Frankfurter Zeitung vom 3. d. M. (Nr. 182)
über das Attentat in Sarajevo und die durch dasselbe hervorgerufene
Spannung zwischen der Monarchie und Serbien hier leicht falsch
aufvgefaßt werden könnte. Die in dem Artikel enthaltenen, an sich
sehr beherzigenswerten Ratschläge zur Ruhe und Besonnenheit werden
in der öffentlichen Meinung hier vorläufig wenig Verständnis finden.
1 Nach der Ausfertigung.
ä Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 5. Juli nachm.
Aktenstücke I.
5
Dazu ist dieselbe, wie auch aus den allabendlichen Demonstrationen,
die sich gegen Serbien und Rußland richten, hervorgeht, zu sehr in
Wallung versetzt. Meines gehorsamsten Dafürhaltens sollte
unsere Presse sich möglichst zurückhalten und es vermeiden, durch
unerbetene Ratschläge in diesem Augenblicke hier zu lroissieren.
von Tschirschky
Nr. 15
Der Reichskanzler an den Botschafter in Wien1
Telegramm 113
Geheim!
Berlin, den 6. Juli 19141 2
Zu Ew. Exz. persönlicher Orientierung.
Der österreichisch-ungarische Botschafter hat Sr. M. gestern ein
geheimes Handschreiben des Kaisers Franz Joseph überreicht3, das die
gegenwärtige Lage vom österreichisch-ungarischen Standpunkt dar-
stellt und die seitens Wien ins Auge gefassten Maßnahmen entwickelt.
Abschrift geht Ew. Exz. gleichzeitig zu.
Ich habe heute Graf Szögydny im Allerhöchsten Auftrag er-
widert, daß S. M. dem Kaiser Franz Joseph für das Schreiben danken
lasse und es alsbald persönlich beantworten werde. Unverzüglich
wolle S. M. indes betonen, daß auch Er sich der Gefahr nicht ver-
schließe, die Österreich-Ungarn und damit dem Dreibund aus der
von russischen und serbischen Panslawisten betriebenen Agitation
drohe. Wenngleich S. M. zu Bulgarien und seinem Herrscher bekannt-
lich kein unbedingtes Vertrauen hege und naturgemäß mehr zum
alten Bundesgenossen Rumänien und seinem Hohenzolleinfürsten neige,
so verstehe Er doch, daß Kaiser Franz Joseph mit Rücksicht auf die
Haltung4 Rumäniens und die Gefahr der Gründung eines neuen
Balkanbundes mit direkter Spitze gegen die Donaumonarchie einen
Anschluß Bulgariens an den Dreibund herbeizuführen wünsche. S. M.
werde daher Seinen Gesandten in Sofia an weisen, die hierauf gerichteten
Schritte des österreichisch-ungarischen Vertreters auf dessen Wunsch
zu unterstützen. S. M. werde ferner im Sinne der Anregungen des
Kaisers Franz Joseph Seine Bemühungen in Bukarest einsetzen, um
König Carol zur Erfüllung seiner Bündnispflichten, zur Lossagung von
1 Nach dem Konzept. Entwürf von der Hand Zimmermanns, mit einigen
Änderungen des Reichskanzlers. Siehe auch deutsches Weißbuch vom
Juni 1919 Anlage IV. 5.
a 515 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 13 und 18 Anm. 4,,
4 Im Entwurf ursprünglich: „leider offenbar gewordene Unzuverlässigkeit**,
vom Reichskanzler geändert in: Haltung.
33
Serbien und zur Unterdrückung der rumänischen Agitation gegen
Österreich-Ungarn zu bewegen.
Was endlich Serbien anlange, so könne S. M. zu den zwischen
Österreich-Ungarn und diesem Lande schwebenden Fragen naturgemäß
keine Stellung nehmen, da sie sich Seiner Kompetenz entzögen.
Kaiser Franz Joseph könne sich aber darauf verlassen, daß S. M. im
Einklang mit seinen Bündnispflichten und seiner alten Freundschaft5
treu an Seite Österreich-Ungarns stehen werde.
Bethmann Hollweg
* Im Entwurf hier folgendes: „unter allen Umständen“, vom Reichskanzler
gestrichen.
Nr. 16
Der Reichskanzler an den Geschäftsträger in Bukarest1
Telegramm 33 Berlin, den 6. Juli 19142
Geheim!
Bitte bei Sr. M. dem König Audienz nachsuchen und sich Ihm
gegenüber im Namen des Kaisers und Königs in folgendem Sinne
zu äußern.
Der Kaiser Franz Joseph habe soeben im geheimen Handschreiben3
an S. M. den Kaiser und König auf die Gefahren der von russischen und
serbischen Panslawisten betriebenen iVgitation hingewiesen. Das
gegen Erzherzog Franz Ferdinand verübte Attentat sei direkte Folge
dieser Agitation, deren Ziel in Zertrümmerung der Donaumonarchie
und Schwächung des Dreibundes bestehe. Die Gefahr werde, so
wird in dem Handschreiben weiter ausgeführt, durch die enge Freund-
schaft Rumäniens mit Serbien, durch die gehässige Agitation in
Rumänien gegen Österreich-Ungarn und durch die rumänischer sei ts
geförderten Bestrebungen Russlands zur Gründung eines neuen Balkan-
bundes mit direkter Spitze gegen die Donaumonarchie erhöht. Zu-
dem habe König Carol dem österreichisch-ungarischen Vertreter in
letzter Zeit zweimal erklärt, daß Er, im Ernstfall angesichts der
erregten und feindlichen Stimmung des rumänischen Volks gegen
Österreich-Ungarn seinen Bündnispflichten nicht werde nachkommen
können. Kaiser Franz Joseph wünsche daher, Bulgarien an den
Dreibund heranzuziehen. Ein eventuelles Abkommen mit Bulgarien
werde er natürlich derartig abfassen lassen, daß es den vertrags-
mäßigen Verpflichtungen Rumänien gegenüber nicht zuwiderlaufe.
1 Nach dem Konzept. Entwurf von der Hand Zimmermanns, mit einigen
Änderungen des Reichskanzlers.
a 525 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
Siehe Nr. 13.
5*
S. M. der Kaiser und König sei, wie dem König Carol bekannt, stets
in Wien für eine Verständigung mit Serbien eingetreten. Trotzdem
hätten sich die serbisch-österreichisch-ungarischen Beziehungen an-
dauernd verschlechtert. Angesichts des Attentats in Sarajevo, das
sich offenbar als wohlorganisiertes Komplott und Folge der seitens
der Regierung in Belgrad geförderten Politik der Vereinigung aller
Südslawen unter serbischer Flagge darstellt, verstehe S. M. der Kaiser
und König, daß Kaiser Franz Joseph eine Verständigung mit Serbien für
immöglich halte und die gegen sein Haus und sein Reich von Serbien
drohenden Gefahren durch Heranziehung Bulgariens zu paralysieren
suche. S. M. habe Sich daher damit einverstanden erklärt, daß
Kaiser Franz Joseph den Annäherungsversuchen Bulgariens an den
Dreibund Entgegenkommen erweisen lasse.
S. M. der Kaiser und König bäten König Carol als treuen Ver-
wandten, Freund und Bundesgenossen, zu erwägen, ob Er angesichts des
Ernstes der Situation nicht von Serbien abrücken und auch der
gegen den Bestand der Donaumonarchie gerichteten Agitation in
Rumänien entgegentreten könnte. S. M. der Kaiser und König legten
selbstverständlich den allergrößten Wert auf die Erhaltung der herz-
lichen und vertrauensvollen Bundesbeziehungen zu Rumänien und
würden, falls S. M. der König es wünscht, darauf bestehen, daß
ein eventuelles Abkommen Bulgariens mit dem Dreibund nicht nur
— was selbstverständlich sei — mit den vertragsmäßigen Ver-
pflichtungen gegenüber Rumänien in Einklang stehe, sondern auch
ausdrücklich die territoriale Integrität Rumäniens garantiere.
Über die Ausführung dieser Instruktion bitte ich kurz telegra-
phisch und eingehend schriftlich zu berichten4.
Bethmann Hollweg
Siehe Nr. 28 und 41.
Nr. 17
Der Unterstaatssekretär des Auswärtigen an den Gesandten
in Sofia1
Telegramm 23
Geheim!
Berlin, den 6. Juli 1914*
Österreich-Ungarn beabsichtigt, den Annäherungsversuchen der
dortigen Regierung entgegenzukommen und Bulgarien tunlichst dem
Dreibund anzuschließen 3. Wir haben uns hiermit einverstanden er-
35
klärt. Ew. Exz. sind ermächtigt, etwaige diesbezügliche Schritte Ihres
österreichisch-ungarischen Kollegen auf dessen Wunsch zu unter-
stützen.
Der Sachlage wird es entsprechen, wenn bei Betreibung der
Angelegenheit besonderes Empressement seitens des Dreibunds ver-
mieden und der an sich auch uns erwünschte Anschluß Bulgariens
als wesentlich bulgarisches Interesse dargestellt wird.
Zimmermann
Nr. 18
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 83 Wien, den 7. Juli 19141 2
Geheim!
Ich wurde heute zu einer Besprechung zwischen Graf Berchtold
und den beiden Ministerpräsidenten zugezogen, in der Graf Hoyos die
Berichte des Grafen Szögyeny vorlas, die dieser über die vorläufige
Antwort Sr. M. nach Lektüre des kaiserlichen Handschreibens und
des Promemorias sowie über die darauffolgende Besprechung mit
Ew. Exz. hierher erstattet hat. Außerdem verlas Graf Hoyos eine
Aufzeichnung, die er über ein Gespräch mit dem Herrn Unterstaats-
sekretär in gleicher Sache aufgesetzt hat3.
Zu letzterer Aufzeichnung darf ich bemerken, daß sowohl Graf
Berchtold, als insbesondere Graf Tisza ausdrücklich hervorgehoben
wissen wollte, daß alles, was Graf Hoyos in dieser Besprechung mit
dem Herrn Unterstaatssekretär gesagt habe, nur als dessen rein
persönliche Auffassung anzusehen sei. (Diese Feststellung bezieht
sich insbesondere darauf, daß Graf H. geäußert hat, es werde hier
eine völlige Aufteilung Serbiens ins Auge gefaßt.)
Graf Berchtold bat mich zugleich im Namen der beiden Minister-
präsidenten; Sr. M. unserm Allergnädigsten Herrn sowie Ew. Exz.
seinen aufrichtigsten Dank für die klare, dem Bundesverhältnis und
der Freundschaft entsprechende Stellungnahme zu übermitteln.
Die Berichte des Grafen Szögyeny entsprachen durchaus dem
Inhalt des mir hochgeneigtest zugestellten Telegramms Ew. Exz.
vom 6. d. M., Nr. 1134.
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 325 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 655
nachm. Eingangsvermerk: 7. Juli nachm. Absatz 1 mit Ausnahme des
letzten Satzes und Absatz 3 wurden am 8. Juli durch Jagow an den Kaiser an
Bord der »Hohenzollern« telegraphiert; zum Haupttelegraphenamt2 25nachm.
ä Siehe Nr. 61.
4 Siehe Nr. 15.
36
An diese Vorbesprechung 'anschließend findet ein Ministerrat
statt, der sich heute ausschließlich mit dem in Bosnien und der
Herzegowina zu ergreifenden Maßnahmen innerpolitischer Natur be-
fassen wird.
Tschirschky
19
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 84 Wien, den 8. Juli 19142
Geheim!
Nach Schluß des gestrigen offiziellen Ministerrats hat daran an-
schließend eine Besprechung über die Serbien gegenüber einzunehmende
Haltung stattgefunden, wobei den bei der Vorbesprechung, zu der
ich zugezogen war, nicht anwesenden Ministern in großen Zügen
von der von Sr. M. unserem Allergnädigsten Herrn eingetroffenen
Antwort Kenntnis gegeben wurde.
Es haben sich dabei in bezug auf das Vorgehen gegen Serbien
zwei Strömungen geltend gemacht. Die eine, diejenige des Grafen
Berchtold und des Auswärtigen Ministeriums, will den Anlaß des
Vorgehens direkt aus der durch die gesamte serbische Politik und
deren in dem letzten Attentat gipfelnden Wühlereien gegenüber der
Monarchie geschaffenen Lage herleiten, während die andere, vom
Grafen Tisza vertretendes für erforderlich hält, zunächst konkrete
Forderungen an Serbien zu stellen. Ich habe den Eindruck, daß
Graf Berchtold den Grafen Tisza als retardierendes Element be-
trachtet3. Letzterer will seinen Standpunkt noch in einem Memo-
randum nieder legen, welches Graf Berchtold erst heute abend kurz
vor seiner Abreise nach Ischl erhalten wird. Graf Berchtold meinte,
er würde seinem Kaiser, falls sich dieser der Ansicht anschließen
sollte, daß zunächst Forderungen an Serbien zu stellen seien, jeden-
falls raten, die Forderungen so einzurichten, daß deren Annahme
ausgeschlossen erscheint.
| : Graf Berchtold bemerkte noch ganz geheim, daß nach Ehr. Con-
rad von Hötzendorf 16 Tage für die Mobilmachung gerechnet werden
müßten. Der Generalstabschef hat, wie Graf Berchtold mir sagt,
1 Nach der Entzifferung.
8 Aufgegeben in Wien, den 8. Juli 8* 8 * 10 nachm., angekommen im .Auswärtigen
Amt io40 nachm. Eingangsvermerk: 9. Juli vorm. Am 9. Juli durch Jagow
nach Vornahme einiger Kürzungen, telegraphisch dem Kaiser und dem
Reichskanzler mitgeteilt, zum Haupttelegraphenamt i25 nachm.
ä Satz »Ich habe — betrachtet« fehlt in Jagows Telegrammen an Kaiser
und Reichskanzler.
nochmals auf die entscheidende Bedeutung der Haltung Rumäniens
für Anordnung und Verlauf der militärischen Operationen hingewiesen.
Der Minister bemerkte noch, er sei nach reifer Überlegung zu
der Ansicht gelangt, daß es klüger wä’e, das beabsichtigte Bündnis
mit Bulgarien vorerst nicht abzuschließen, besonders weil sonst
Rumänien beunruhigt werden würde. Er werde im Gegenteil nach
Sofia den dringenden Rat gelangen lassen, sich ruhig zu verhalten4.
Tschirschky
4 Siehe Nr. 21 und 22.
Nr. 19a
Der Gesandte in Belgrad an den Reichskanzler1
Belgrad, den 6. Juli 1914* *
Die schicksalsvollen Ereignisse der vergangenen Wochen haben
die allgemeine Aufmerksamkeit in so hohem Maße auf die Wirksam-
keit der sogenannten »Narodna Odbrancm (wörtlich übersetzt Volkswehr)
hingelenkt, daß eine zusammenfassende Übersicht ihrer Entstehung,
Organisation, Ziele und Mittel im gegenwärtigen Zeitpunkt von be-
sonderem Interesse sein dürfte.
Das Jahr 1908, wo Serbien sich gegen die Annexion Bosniens
und der Herzegowina durch die Nachbarmonarchie wild auf bäumte,
aber dann, von Rußland im Stich gelassen, sich mit der Einver-
leibung dieser »echt serbischen Länder« in Österreich-Ungarn ab-
finden und sogar vor aller Welt erklären mußte, hierdurch »nicht
beleidigt zu sein«, hatte der serbischen Volksseele eine nicht ver-
narbende Wunde geschlagen. Kurz zuvor waren durch den Aus-
bruch der jungtürkischen Revolution die Hoffnungen Serbiens auf
Erwerb von Mazedonien und Altserbien stark verringert worden, und
die Früchte einer vieljährigen, kostspieligen und opferreichen Propa-
ganda drohten verloren zu gehen. Die Politiker aller Parteien sahen
die Zukunft des Landes auf das Äußerste gefährdet; sie waren über-
zeugt, daß Serbien sich nur mit Einsatz aller Kräfte der Umklamme-
rung durch den übermächtigen Nachbarn erwehren könne. Damals
begannen die radikalen Regierungen in Serbien sich ernstlich für
einen Entscheidungskampf vorzubereiten und eine Rüstungsanleihe
nach der andern aufyunehmen. Im Zusammenhang damit trat die
Idee der Narodna Odbrana in die Erscheinung.
1 Nach der Ausfertigung.
* Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 9. Juli vorm. Lag dem Kaiser
vor. Durch Randverfügung des Kaisers an Kultusminister, Minister des
Innern und den Polizeipräsidenten von Berlin mitgeteilt.
38
Sie war gedacht als ein patriotisch-nationalistischer Geheimbund,
der nicht bloß das Königreich Serbien, sondern sämtliche Länder mit
serbischen Bevölkerungselementen umfassen sollte und bestimmt, das
Gefühl der Zusammengehörigkeit und Stammeseinheit zu entwickeln
und zu kräftigen und auf dem so vorbereiteten Boden an der realen
Durchführung dieser Vereinigung mit allen Mitteln zu arbeiten. Das
Schlagwort lautete: »Arbeit an der Befreiung der unterjochten
Brüder.« In die Leitung des Gebeimbundes, als dessen Ehren-
präsident der General a. D. Bosidar Jankowitsch, später Komman~
mandant der Ibardivision im serbisch-türkischen Kriege, fungierte,
traten Männer der verschiedensten Berufsarten ein: Beamte, Offiziere
(insbesondere diejenigen aus der Gruppe der viel besprochenen
»schwarten Hand«), Abgeordnete, Kaufleute, Handwerker u. dgl. Ver-
trauensmänner des Bundes wurden wie für das Innere Serbiens, so
auch für Südungarn, Bosnien und die Herzegowina, Dalmatien, Alt-
serbien und Mazedonien bestellt. Aber gewitzigt durch die un-
angenehmen Erfahrungen, die man mit dem früheren »Jugoslowenski
Klub« (Südslawischer Verein) in Serbien gemacht hatte, vermied es
der neue Geheimbund, sich durch schriftliche Festsetzungen der
Gefahr einer Kompromittierung auszusetzen. Insbesondere wurden
weder schriftliche Statuten abgefaßt, noch über die Sitzungen schrift-
liche Protokolle aufgenommen. Die Sitzungen wurden je nach Um-
ständen und Verabredung bei dem einen oder andern der Vorstands-
mitglieder abgehalten.
Man war sich darüber einig, daß vor allem die Jugend mit ihrer
Begeisterungsfähigkeit für unklare Freiheitsideen gewonnen werden
mußte. So begann die Naroäna Odbrana mit der systematischen
Verhetzung und Fanatisierung der Jugend, namentlich der Schuljugend,
Im Königreich Serbien eigneten sich trefflich hierzu die Sokol- und
Duschanowzi- Vereine, in denen mit der großserbischen Agitation
praktische Unterweisung im Waffengebrauch verbunden wurde. In
den südslawischen Ländern Österreich-Ungarns, wo derartige öffent-
liche Verbindungen auf Widerstand der Behörden stießen, bildeten
sich überall unter den Schülern serbischer Nationalität geheime
Konventikel, die sich an der Lektüre aus Serbien eingeschmuggelter.
chauvinistischer und auch einheimischer großserbischer Blätter be-
rauschten. Solcher großserbischer Blätter gibt es in Sarajevo,
Fiume, Agram die Fülle. In letzterer ßtadt ist es z. B. der
»Srbobran«, ein Organ des kroatischen Landtagsabgeordneten und
großserbischen Agitators Swetosar Pribitsche witsch, eines Bruders
des jet^t mit dem Attentat in Sarajevo öffentlich in Verbindung ge-
brachten serbischen Majors Milan Pribitschewitsch.
Ihren Zielen entsprechend wendete die Narodna Odbrana ferner
dem Bandenwesen in der Türkei ihre besondere Aufmerksamkeit zu.
Sie hat es zwar nicht geschaffen, denn die Komitadjis bestanden
lange vor ihr, aber sie hat zu ihrer Vermehrung und besseren
Ausrüstung viel beigetragen. Auf ihre Bearbeitung der Jugend ist
39
es mit zurückzuführen, wenn fast täglich Schüler aus den Gymnasien
und Studenten von der Universität verschwanden, um als Freischärler
in Makedonien aufzutauchen, oder wenn junge Offiziere aus der
Armee austraten und, mit falschen Pässen versehen, nach Altserbien
gingen. Prägt man, was aus diesen Komitadjis jetzt, nach be-
endetem Kiieg und erobertem Mazedonien geworden ist, so ist die
Antwort: ein Teil ist vom Staat bei den verschiedensten Betrieben
(Eisenbahn, Post, Monopol, Zoll, Polizeiverwaltung) untergebracht,
wo sie meistens kleine Sinekuren inne haben; ein anderer Teil
strolcht arbeitsscheu, und wahrscheinlich von der Narodna Odbrana
unterstützt, umher, auf eine Gelegenheit lauernd, wieder seine wilden
Instinkte \u betätigen. Es hat nicht an warnenden Stimmen gefehlt,
die auf die Gefahr hinwiesen, jene Komitadjis möchten sich, nun-
mehr ihre Arbeit in der Türkei beendet war, Bosnien und Südungarn
zum Feld neuer Tätigkeit aussuchen.
Was die Mittel betrifft, mit welchen die Narodna Odbrana ihre
mannigfachen Ziele bestreitet, so appelliert sie in erster Reihe an
freiwillige Massenbeiträge des Publikums. Sie geht dabei von der
gewiß richtigen Ansicht aus, daß kleine Beiträge, die in Massen
geleistet werden, ein ungleich ergiebigeres Erträgnis liefern, als ver-
einzelte größere Spenden. Es werden daher bei gewissen Gelegen-
heiten und namentlich an dem auf den 15. Juni a. St. fallenden
St. Veitstage (Widowdan), der der Erinnerung an den Untergang
des mittelalterlichen GroBserbkms in der Schlacht auf dem Amsel-
feld gewidmet ist, öffentliche Sammlungen in ganz Serbien veran-
staltet, die regelmäßig höchst respektable Summen einbringen. So-
dann ist es Brauch geworden, bei letztwilligen Verfügungen die
Narodna Odbrana mit Legaten zu bedenken, ebenso, zum Gedächtnis
an verstorbene Familienangehörige der Narodna Odbrana Beiträge
zu überweisen. Doch hat es mit diesen freiwilligen Beiträgen keines-
wegs sein Bewenden. Oft genug entsendet die Narodna Odbrana
ihre Vertrauensmänner zu reichen Kaufleuterz, Banken usw., auch
solchen, die, ohne Serben \u sein, mit Serbien in dauernder Geschäfts-
verbindung stehen, oder, wie man hier zu sagen pflegt, an Serbien
»verdienen« und fordert Beiträge. So wurde mir erst ' kürzlich ein
Fall erzählt, wonach ein solcher Vertrauensmann bei der hiesigen
Filiale der Banque franco-serbe einen Beitrag verlangte und als ihm
bemerkt wurde, daß die Bank ohne Genehmigung der Pariser Zentrale
nicht über 100 Fr. beisteuern könne, ausfälligN und drohend wurde.
Der Staat selbst, wenn er gleich, um Verantwortlichkeiten zu ver-
meiden, darauf halten muß, daß die Narodna Odbrana ihren
privaten Charakter bewahre, beschränkt sich indes keineswegs auf
die Rolle eines passiven Zuschauers. Unter harmlosen Titeln sind
in das Staatsbudget gewisse Positionen auf genommen, die der Narodna
Odbrana zugute kommen. Bezüglich der Anschaffung von Flinten
für Schüler, von Revolvern für Freischärler ist es notorisch, daß
der Staat sie geliefert hat. Charakteristisch ist, daß als Zentral-
« !
\
40
stelle für die Verausgabung von Staatsmitteln für solche Zwecke und
die Abrechnung weder das Ministerium des Äußern, noch das Kriegs-
ministerium, sondern dasjenige für Kultus und Unterricht mitwirkt.
Mag daher die serbische Regierung noch so sehr ihren Abscheu
und ihre Entrüstung über die in Sarajevo begangene Bluttat kund-
geben, mag sie noch so sehr ihre Unschuld beteuern und darauf hin-
weisen, wie sinn- und zwecklos dieses Verbrechen sei und wie es
der Sache des Serbentums viel eher geschadet als genützt habe,
eines kann sie nicht ableugnen. Sie hat die Atmosphäre geschaffen,
in der solche Explosionen des blinden Fanatismus allein möglich sind.
In ihrem Lande und unter den Augen ihrer Behörden sind die Elemente
groß gezogen worden, die Serbien vor der ganzen gesitteten Welt
bloßgestellt und auf eine Stufe wieder herabgedrückt haben, wie der
verabscheuungswürdige Königsmord des Jahres 1903.
v. Griesinger
sehr gut
Nr. 20
Der Botschafter in London an den Reichskanzler1
Geheim! London, den 6. Juli 19141 2
Ich besuchte heute nachmittag Sir Edward Grey und nahm
dabei Gelegenheit, die gesamte europäische Lage mit ihm in ver-
traulichem Tone zu besprechen.
Zunächst glaubte ich ihn darauf hin weisen zu sollen, daß die
österreichisch-ungarisch-serbischen Beziehungen durch die Ermordung
des Thronfolgers eine nicht unbedenkliche Zuspitzung erhalten hätten.
Man könne es der k. u. k. Regierung nicht verübeln, wenn sie diese
neue Herausforderung angesichts der Unterstützung, die die Ver-
schwörer erwiesenermaßen aus Belgrad erhalten hätten, nicht unge-
sühnt lassen und von der serbischen Regierung Genugtuung verlangen
würde. Ob und in welcher Form dies geschehe, sei mir zwar nicht
bekannt, aber ich glaubte, daß es sich schon jetzt empfehlen würde,
die Möglichkeit einer Verschärfung der Beziehungen zwischen Wien
und Belgrad ins Augo zu fassen, damit er, Sir Edward, rechtzeitig
in der Lage sei, seinen Einfluß in Petersburg dahin geltend zu machen,
daß von dort auf Serbien im Sinne der Nachgiebigkeit gegenüber
den österreichischen Forderungen gewirkt würde.
Sir Edward schien in dieser Richtung noch keinerlei Nachrichten
erhalten zu haben. Er verkannte jedoch nicht die Gefahr, die die
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 9. Juli nachm.
Lage mit sich bringen könnte, und schien zu begreifen, daß es für
einen leitenden österreichisch-ungarischen Staatsmann schwer sei, sich
auf die Dauer aller energischeren Maßnahmen zu enthalten. Er
versprach mir, auch über diese Frage mit uns in Fühlung zu bleiben,
enthielt sich aber vorläufig einer bestimmteren Meinungsäußerung.
Sodann erwähnte ich unter Bezugnahme auf unsere letzte Unter-
haltung8, daß die gewaltigen Rüstungen Rußlands und gewisse
andere Anzeichen, wie der Bau strategischer Bahnen, nach meinen
letzten persönlichen Eindrücken in Berlin nicht verfehlt hätten, dort
ein gewisses Unbehagen hervorzurufen. Die Stimmung Rußlands
für uns und Österreich-Ungarn sei zweifellos keine freundliche.
Diese Tatsachen, verbunden mit dem, bosnischen Frevel, hätten bei
uns eine etwas pessimistische Auffassung der auswärtigen Lage ge-
zeitigt. Da wir aber überzeugt wären, daß wir uns mit der britischen
Politik in dem Wunsche begegneten, den Frieden zu erhalten und
die Gruppen einander zu nähern, so glaubte ich, durch eine Aus-
sprache mit ihm den beiderseitigen Zwecken zu dienen.
Sir Edward wiederholte mir ungefähr dasselbe, was er mir erst
kürzlich gesagt hatte, nämlich, daß ihm keine Anzeichen einer deutsch-
feindlichen Stimmung in St. Petersburg bekannt seien. Noch weniger
glaube er an kriegerische Absichten Rußlands, er wolle aber der
Frage erneut seine Aufmerksamkeit zuwenden und mit mir gelegentlich
darauf zurückkommen, da auch er den Wunsch hege, über alle
Fragen der auswärtigen Politik mit uns in Fühlung zu bleiben.
Zum Schlüsse sagte ich, er müsse mir gestatten, da ich ganz
offen mit ihm sein wolle und ich es für wichtig hielte, daß er über
Unsere Auffassungen und Stimmungen genau unterrichtet sei, ein
etwas heikles Thema in vertraulicher Weise zu berühren. Wir
wüßten aus seinen Erklärungen, daß geheime Abmachungen politischer
Natur zwischen England und Rußland nicht bestünden. Wir hätten
selbstverständlich nicht den geringsten Anlaß, an der Richtigkeit
seiner Worte zu zweifeln, bedauerten aber.um so mehr, daß immer
wieder Gerüchte auf tauchten, welche von einer Flotten Verständigung
zu berichten wüßten, die ein beiderseitiges Zusammenwirken gegen
uns im Kriegsfälle bezwecke. Ich wäre nicht in der Lage, die
Richtigkeit dieser Gerüchte zu prüfen, könne mir aber wohl denken,
daß etwaige Besprechungen der beiderseitigen Seebehörden nicht in
den Rahmen politischer Abmachungen und bindender Verträge
fielen, und daß sie daher mit seinen Erklärungen zu vereinbaren
wären. In diesem Falle aber glaubte ich ihn darauf aufmerksam
machen zu müssen, daß derartige Verabredungen notwendigerweise
dazu beitragen würden, die in Rußland zweifellos bestehende natio-
nalistische Strömung zu bestärken und andererseits bei uns das Ver-
langen nach vermehrten Rüstungen zu fördern und der Regierung *
* Siehe Nr. 5.
42
es zu erschweren, den ihm bekannten, den Rahmen der gesetzlich
festgelegten Aufwendungen überschreitenden Forderungen entgegen-
zutreten.
Sir Edward entgegnete, ohne auf die von mir berührte Frage
eines Flottenübereinkommens näher einzugehen, daß er mir bereits
vor kurzem gesagt habe, daß kein neues oder geheimes Überein-
kommen bestünde, daß aber die Beziehungen zu den Verbands-
genossen nichtsdestoweniger einen sehr intimen Charakter trügen.
Aus seiner Zurückhaltung und der Bemerkung, daß er mit mir
noch einmal auf die Angelegenheit zurückkommen wolle, konnte ich
entnehmen, daß er sich die ganze Frage reiflich überlegen will, ehe
er mir gegenüber zu meiner Anregung Stellung nimmt. Auf jeden
Fall hat er eine Fühlungnahme der beiden Marinen für den Fall
eines gemeinsamen Krieges nicht direkt in Abrede gestellt. Er
betonte aber auch bei dieser Gelegenheit wieder, daß sein Bestreben
dahin ginge, die beiden Gruppen einander näher zu bringen und
dadurch europäischen Verwickelungen vorzubeugen und eine Ver-
ständigung über alle auftauchenden Fragen zu erleichtern.
Der Minister stand sichtlich unter dem Eindruck meiner Er-
öffnungen und dankte mir für die offene Aussprache, die sich in
gewohnter gemütlicher und freundschaftlicher Form vollzogen hatte.
Licnn o waKy
Nr. 21
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Geschäftsträger
in Bukarest1
Telegramm 34 Berlin, den 9. Juli 19142 3
Geheim!
Nach einer neueren Meldung des k. Botschafters in Wien be-
absichtigt Graf Berchtold vorläufig nicht, auf den Abschluß eines
Bündnisses mit Bulgarien - zielende Schritte in Sofia zu tun und
will dort nun zur Ruhe raten. Graf Berchtold hat sich zu dieser
Haltung durch bundesfreundliche Rücksichten auf Rumänien und
die Erwartung bestimmen lassen, daß Rumänien im Falle eines Kon-
flikts seinen Bündnispflichten im vollen Umfange nachkommen wird.
Bitte vorstehendes bei Audienz Sr. M. dem König ebenfalls
mitteilen.
Jagow 1 2 3
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Bergens Hand, letzter Satz des
Telegramms von Zimmermanns Hand beigefügt.
2 i40 nachm, zum Haupttelegraphenamt,
3 Siehe Nr. 19 und 28.
43
Nr. 22
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Gesandten
in Sofia1
Telegramm 25 Berlin, den 9. Juli 1914 * * 3
Geheim!
Zur persönlichen Information
Nach Mitteilung des k. Botschafters in Wien beabsichtigt Graf
Berchtold nicht das geplante Bündnis mit Bulgarien alsbald abzu-
schließen und will zunächst dort zur Ruhe raten lassen4.
Jagow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Bergens Hand.
2 i40 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 17 und 19.
4 Siehe Nr. 162.
Nr. 23
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen1
Berlin, den 9. Juli 1914
Der österreichische Botschafter sprach mir heute im Auftrag
seiner Regierung den Dank für die entgegenkommende Antwort aus,
die S. M. der Kaiser und König und der Herr Reichskanzler auf das
vom Grafen Hoyos überbrachte Handschreiben Sr. M. Kaiser Franz
Josephs und das Expose2 gegeben haben. Von allen zutreffenden Ent-
scheidungen würde die hiesige Regierung seinerzeit — der Zeit-
punkt hinge auch noch von dem Ausgang der Untersuchung in
Sarajevo ab — sofort in Kenntnis gesetzt werden.
Jagow
1 Von Jagows Hand. Reichskanzler und Zimmermann nahmen Kenntnis
von der Aufzeichnung; von letzterem am 9., von ersterem am 10. Juli zu-
rückgegeben.
* Siehe Nr. 13 und 14.
44
Nr. 24
Der Gesandte in Athen an das Auswärtige Amt1
Telegramm 195 Athen, den 9. Juli 1914a
Ganz streng geheim!
Minister der auswärtigen Angelegenheiten sagt mir mit der Bitte
um Geheimhaltung, griechische Regierung benutze zurzeit ihren ziem-
lich bedeutenden Einfluß in Belgrad, um dort auf die Milderung
Gegensätze zwischen Wien und Belgrad hinzu wirken. Auch sei es
griechischer Regierung zu verdanken, wenn die Frage der Vereinigung
zwischen Montenegro und Serbien mit Rücksicht auf österreichische
Empfindlichkeit auf lange Zeit verschoben sei.
Quadt
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Athen 40 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 6U
nachm. Eingangsvermerk: 9. Juli nachm. Am 11. Juli von Jagow tele-
graphisch dem Kaiser mitgeteilt, Telegramm aufgegeben in Berlin
110 nachm., angekommen im Hoflager 730 nachm.
Nr. 25
Der Reichskanzler an den Kaiser1
Hohenfinow, den 9. Juli 19141 2 3
Ew. M. verfehle ich nicht, in der Anlage3 den befohlenen Ent-,
wurf zu Allerhöchstdero Antwort auf das Handschreiben Sr. M. des
Kaisers Franz Joseph mit dem Anheimstellen huldvoller Vollziehung
alleruntertänigst zu unterbreiten.
v. Be t hm an n Ho 11 weg
1 Nach dem von Jagow gezeichneten Konzept. Entwurf von der Hand
Bergens.
2 Das Konzept ist datiert: Berlin, den 10. Juli 1914, die vom Reichskanzler
vollzogene, jetzt gleichfalls bei den Akten befindliche Ausfertigung des
Immediatberichts: Hohenfinow, den 9. Juli 1914.
3 Siehe Nr. 26.
45
Nr. 26
Der Kaiser an den Kaiser von Österreich1
Baiholm, den 14. Juli 19141 2
Mein teurer Freund!
Mit aufrichtiger Dankbarkeit habe ich es empfunden, daß Du
in den Tagen, wo Ereignisse von erschütternder Tragik über Dich
hereingebrochen waren und schwere Entscheidungen von Dir forderten,
Deine Gedanken auf unsere Freundschaft gelenkt und diese zum
Ausgangspunkt Deines gütigen Schreibens an mich3 gemacht hast,
Ich betrachte die von Großvater und Vater auf mich überkommene
enge Freundschaft zu Dir als ein kostbares Vermächtnis und er-
blicke in deren Erwiderung durch Dich das sicherste Pfand für den
Schutz unserer Länder. Bei meiner verehrungsvollen Anhänglichkeit
an Deine Person wirst Du ermessen können, wie schwer die Aufgabe
meiner Reise nach Wien und der mir auf er legte Verzicht auf die
öffentliche Bekundung meiner innigen Anteilnahme an Deinem tiefen
Schmerz mich bekümmern mußte.
Durch Deinen bewährten und von mir aufrichtig geschätzten
Botschafter wird Dir meine Versicherung übermittelt worden sein,
daß Du auch in den Stunden des Ernstes mich und mein Reich in
vollem Einklang mit unserer altbewährten Freundschaft und unseren
Bündnispflichten treu an Eurer Seite finden wirst. Dir dies an
dieser Stelle zu wiederholen, ist mir eine freudige Pflicht.
Die grauenerregende Freveltat von Sarajevo hat ein grelles
Schlaglicht auf das unheilvolle Treiben wahnwitziger Fanatiker und
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Bergen gezeichnet, mit Ergänzungen
und Änderungen Bergens, Zimmermanns und Jagows. Siehe deutsches
Weißbuch vom Juni 1919, Anlage V. 6.
3 Die bei den Akten befindlichen Konzepte sowie eine erste, nicht verwendete
Reinschrift sind undatiert Das mit dem Immediätbericht d. d. 9. Juli abge-
sändte Handschreiben erhielt nach seinem Wiedereintreffen im Auswärtigen
Amt das Datum, das der Kaiser auf dem es ins H of lager begleitenden Immediat-
bericht des Reichskanzlers (Nr. 25) niedergeschrieben hat: Balholm, den
14. Juli 1914. Die vom Kaiser vollzogene Ausfertigung des Handschreibens
wurde von Jagow am 17. Juli an den Botschafter in Wien abgesandt »mit
dem Ersuchen, es durch Vermittlung der dortigen Regierung an seine
hohe Bestimmung gelangen zu lassen« ; zwei Abschriften des Hand-
schreibens, von denen eine für den Grafen Berchtold, die andere für
die Akten der Botschaft bestimmt war, wurden beigefügt.
3 Siehe Nr. 13.
46
die den staatlichen Bau bedrohende panslawistische Hetzarbeit ge-
worfen. Ich muß davon absehen, zu der zwischen Deiner Regierung
und Serbien schwebenden Frage Stellung zu nehmen. Ich erachte
es aber nicht nur für eine moralische Pflicht aller Kulturstaaten,
sondern als ein Gebot für ihre Selbsterhaltung, der Propaganda der
Tat, die sich vornehmlich das feste Gefüge der Monarchien als An-
griffsobjekt ausersieht, mit allen Machtmitteln entgegenzutreten. Ich
verschließe mich auch nicht der ernsten Gefahr, die Deinen Ländern
und in der Folgewirkung dem Dreibund aus der von russischen und
serbischen Panslawisten betriebenen Agitation drohen, und erkenne
die Notwendigkeit, die südlichen Grenzen Deiner Staaten von diesem
schweren Drucke zu befreien. Ich bin daher bereit, das Bestreben
Deiner Regierung, das dahin geht, die Bildung eines neuen Balkan-
bundes unter russischer Patronanz und mit der Spitze gegen Öster-
reich-Ungarn zu hintertreiben und als Gegengewicht4, ferner den
Anschluß Bulgariens an den Dreibund herbeizuführen, nach Tun-
lichkeit zu fördern. Demgemäß habe ich trotz gewisser Bedenken,
die in erster Linie durch die geringe Zuverlässigkeit des bulgarischen
Charakters bedingt werden, meinen Gesandten in Sofia anweisen
lassen, die diesbezüglichen Schritte Deines Vertreters auf dessen
Wunsch zu unterstützen.
Des weiteren habe ich meinen Geschäftsträger in Bukarest be-
auftragt, sich zu König Carol im Sinne Deiner Anregungen zu
äußern und unter Hinweis auf die durch die jüngsten Ereignisse
neu geschaffene Lage die Notwendigkeit eines Abrückens von Serbien
und einer Unterbindung der gegen Deine Länder gerichteten Agitation
hervorzuheben. Ich habe gleichzeitig besonders betonen lassen, daß
ich den größten Wert auf die Erhaltung der bisherigen vertrauens-
vollen Bundesbeziehungen zu Rumänien lege, die auch bei einem
eventuellen Anschluß Bulgariens an den Dreibund keinerlei Beein-
trächtigung zu erleiden brauchen würden.
Zum Schluß darf ich dem herzlichen Wunsche Ausdruck geben,
daß es Dir vergönnt sein möge, nach den schweren Tagen durch den
Aufenthalt in Ischl Erholung zu finden.
In aufrichtiger Anhänglichkeit
Dein treuer Freund
Wilhelm5 * 6
4 Die Worte »als Gegengewicht« im Entwurf von Zimmermann beigefügt.
6 Die Worte »In........Wilhelm« waren in der abgegangenen Ausfertigung
vom Kaiser eigenhändig geschrieben.
Nr. 27
Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler1
47
Wien, den 8. Juli 19141 2
Die in der gestrigen Abendnummer der »Neuen
Freien Presse« (Nr. 17911) an der Spitze des Blattes
erschienene »Mitteilung von besonderer Seite über
die russische Auffassung von den österreichisch-
ungarischen Schritten anläßlich des Attentats3« ist,
wie ich von dem auf der Botschaft verkehrenden
Korrespondenten der »Neuen Freien Presse« höre,
von der hiesigen russischen Botschaft inspiriert.
Er sei telephonisch auf die Botschaft zitiert
worden, wo ihn ein Sekretär im Aufträge des Bot-
schafters empfangen habe. Abgesehen von der vor-
erwähnten Veröffentlichung sei noch bemerkt worden,
daß Rußland einer Beeinträchtigung der politischen
Selbständigkeit Serbiens nicht ruhig werde \usehen
können. Auf die Frage des Korrespondenten, ob
die »Neue Freie Presse« auch diese Bemerkung
aha! bringen solle, sei ihm verneinend geantwortet worden.
Wie mir der Korrespondent weiter sagte, habe
er bei Herrn Benedikt schon seinen Einfluß dahin
geltend gemacht, damit die »Neue Freie Presse« nicht
in das während der Balkankrise beliebte Gejammere
über etwaige russische Angriffspläne verfalle. Der
heutige Morgen artikel des Blattes war gemäßigt ge-
halten,
Ich beehre mich, die vorerwähnte Mitteilung der
Vollständigkeit halber im Ausschnitt gehorsamst
beizufügen.
von Tschirschky
1 Nach der Ausfertigung.
*2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 10. Juli vorm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 13. Juli zurückgegeben, am 16. Juli wieder im
Amt. Gemäß kaiserlicher Randverfügung am 21. Juli der Botschaft in
St. Petersburg mitgeteilt.
3 Der Artikel lautete: »Wie uns von besonderer Seite mitgeteilt wird, sind
in Rußland alle Kreise einig in der Verurteilung des Attentats in Sarajevo.
Die vielfach in der österreichisch-ungarischen Presse veröffentlichte An-
schauung, als ob Rußland dagegen protestieren würde, wenn Österreich-
Ungarn von Serbien eine Untersuchung in Belgrad verlangte, entbehrt
jeglicher Begründung. Das monarchische Prinzip hat im Zarenreiche so
starke Geltung, daß es ganz natürlich erscheint, daß Rußland einen solchen
Schritt Österreich-Ungarns nie mißbilligen würde.«
Aktenstücke I.
6
48
Nr. 28
Der Geschäftsträger in Bukarest an das Auswärtige Amt1
Telegramm 37 Sinaia, den 10. Juli 19141 2
Geheimen Auftrag ausgeführt3.
S. M. der König glaubt nicht, daß es möglich sein werde, mit Bul-
garien in ein Bündnis Verhältnis zu treten, da der König schwach
sei, keine Autorität besitze und die Regierung jederzeit weggefegt
werden könne. Außerdem sei kein Verlaß auf Bulgarien, und so-
bald Rußland von Abmachungen Wind bekäme, würde es in Bul-
garien eine Revolution anzetteln. König sprach dann über all-
gemeine politische Angelegenheiten. Auf meine schließlich gestellte
Frage, wie sich S. M. zu den beiden von Sr. M. dem Kaiser und
König ausgesprochenen Bitten verhalte, meinte S. M., von Ser-
bien könne er wohl abrücken, an Serbien läge ihm nicht viel,
auch könne er auf die Agitation gegen Österreich einwirken, es
müßte aber in Ungarn Entgegenkommen für die dortigen Rumänen
gezeigt werden, um ihm dies zu erleichtern. Meine Frage, ob S. M.
einem Anschluß an Bulgarien abgeneigt wäre, verneinte der König,
meinte jedoch, im jetzigen Augenblick könne Rumänien nicht sofort
mit Bulgarien ein Bündnis schließen, vielleicht in einem Jahre; ein
solches müsse jedenfalls von Österreich und Deutschland in Sofia
vorbereitet werden.
Ausführlicher Bericht folgt.
W a 1 d b u r g
1 Nach der Entzifferung.
* Aufgegeben in Sinaia 530 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
840 nachm. Eingangsvermerk: 11. Juli vorm. Am 11. Juli von Jagow mit
kleinen Änderungen telegraphisch dem Kaiser und dem Botschafter in
Wien mitgeteilt. Im Telegramm Jagows an Tschirschky nach Mitteilung
von Waldburgs Depesche der Zusatz: »Bitte vorstehendes dem Grafen
Berchtold streng vertraulich mitteilen.« Siehe Nr. 35.
3 Siehe Nr. 16 und 21.
49
Nr. 29
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 85 Wien, den 10. Juli 19141 2
Ganz geheim!
Über seinen gestrigen Vortrag bei Sr. M. dem
Kaiser Franz Joseph in Ischl teilt mir Graf Berchtold
nachstehendes mit:
S. M. der Kaiser habe mit großer Ruhe die Sach-
lage besprochen. Zunächst habe er seinem lebhaften
Dank Ausdruck gegeben für die Stellungnahme
unseres Aller gnädigsten Herrn und der kaiserlichen
Regierung und geäußert, er sei ganz unserer An-
da S.M.proMemo- sicht, daß man jetzt zu einem Entschluß kommen
riii etwa 14 Tage müsse> um den unleidlichen Zuständen Serbien gegen-
alt ist, so dauert ^ber ein Ende zu machen. Über die Tragweite
asseir ang. ejnes solchen Entschlusses, fügte Graf Berchtold
lieh zur Begrün- hlnzu- sei slch S' M‘ voll]g Mar'
düng des Entschluss Der Minister hat hierauf dem Kaiser Kenntnis
ses selbst ent- gegeben von den zwei Modalitäten, die in bezug
worfenl auf das nächste Vorgehen gegen Serbien hier in
Frage stünden. S. M. hätten gemeint, es ließe sich
vielleicht dieser Gegensatz überbrücken. Im ganzen
hätten aber S. M. eher der Ansicht zugeneigt, daß
aber sehr! konkrete Forderungen an Serbien zü stellen sein
und unzweideutig! würcierL Er, der Minister, wolle auch die Vorteile
eines solchen Vorgehens nicht verkennen. Es würde
damit das Odium einer Überrumpelung Serbiens,
das auf die Monarchie fallen würde, vermieden und
Serbien ins Unrecht gesetzt werden. Auch würde
dieses Vorgehen sowohl Rumänien als auch England
eine wenigstens neutrale Haltung wesentlich erleich-
tern. Die Formulierung geeigneter Forderungen gegen-
da^u haben sie Zeit über Serbien bildet gegenwärtig hier die Hauptsorge3 *,
genug gehabt und Graf Berchtold sagte, er würde gern wissen,
1 Nach der Entzifferung.
2 AufgegebeninWien83ünachm.,angekommenimAuswärtigenAmt io32nachm.;
Eingangsvermerk des Amts: n. Juli vorm. Am u.Juli 1236 nachm. von
Jagow nach Vornahme einiger Änderungen und mit Auslassung der
Worte: Graf Berchtold »sagte, er würde gern wissen...........denke«
und des vorletzten Absatzes »Der Anregung............... alarmieren«,
telegraphisch ins Kaiserliche Hoflager mitgeteilt, dortselbst eingetroffen
io° nachm., Entzifferung vom Kaiser am 12. Juli zurückgegeben, im Aus-
wärtigen Amt am 16. Juli.
3 Die Worte Tschirschkys »bildet ......... die Hauptsorge« von Jagow
im Telegramm an den Kaiser in »wird............. erwogen« geändert;
»erwogen« vom Kaiser unterstrichen, am Rand seine Bemerkung: »dazu
haben .........gehabt.«
6*
5°
wie man in Berlin darüber denke4. Er meinte, man
könne u. a. verlangen, daß in Belgrad ein Organ
der österreichisch-ungarischen Regierung eingesetzt
werde, um von dort aus die großserbischen Um-
triebe zu überwachen, eventuell auch die Auflösung
der! von Vereinen und Entlassung einiger kompromit-
tierter Offiziere. Die Frist zur Beantwortung müsse
möglichst kurz bemessen werden, wohl 48 Stunden.
Freilich würde auch diese kurze Frist genügen, um
Hartwig ist todt! sich von Belgrad aus in Petersburg Weisungen zu
holen. Sollten die Serben alle gestellten Forderun-
gen annehmen, so wäre das eine Lösung, die ihm
»sehr unsympathisch« wäre, und er sinne noch dar-
dannaiftSCderkKrakehi ü^er nac*b welche Forderungen man stellen könne,
sofort da! den muß die Serbien eine Annahme völlig unmöglich machen
Österreich unbedingt .. ,
sofort wiederhaben, um Wurden.
und Montenegros0und Der Minister klagte schließlich wieder über die
das Erreichen des Mee- Haltung des Grafen Tisza, die ihm ein energisches
yes seitens^der^Serben yorgejien gegen Serbien erschwere. Graf Tisza be-
Mördem gegen- haupte, man müsse ))gentleman likea vorgehen, das
über nach dem, was Sei aber, wenn es sich um so wichtige Staatsinter-
vorgefallen ist! essen handele und besonders einem Gegner wie
Blödsinn! Serbien gegenüber schwerlich angebracht.
Der Anregung der Kaiserlichen Regierung, schon
jetzt die öffentliche Meinung in England im Wege
der Presse gegen Serbien zu stimmen — worüber
Graf Szögyeny telegraphiert hat — wird der
Minister gern folgen. Nur müsse dies, seiner Mei-
nung nach, noch vorsichtig gemacht werden, um
Serbien nicht vorzeitig zu alarmieren.
Der Kriegsminister wird morgen auf Urlaub
gehen, auch Freiherr Conrad von Hötzendorf Wien
zeitweilig verlassen. Es geschieht dies, wie Graf
kindisch! Berchtold mir sagte, absichtlich,5 um jeder Beun-
ruhigung vor^ubeugen.
Tschirschky
ungefähr wie pur Zeit der Schlesischen
Kriege!
»Ich bin gegen die Kriegsräthe und
Berathungen, sintemalen die timidere
Parthey allemal die Oberhand hat.«
Frd. d. Gr.
4 Siehe Nr. 31.
5 Das »absichtlich« Tschirschkys stand in der Entzifferung des Kaiserlichen
Hoflagers verderbt als »von possumus«; am Rand dazu zwei Fragezeichen
des Kaisers.
51
Nr. 30
Der Botschafter in London an den Reichskanzler1
Vertraulich! London, den 9. Juli 19141 2
Sir E. Grey ließ mich heute zu sich bitten und gab mir zunächst
Kenntnis von der Aufzeichnung, die er über unsere Unterredung3
gemacht hatte, die kurz vor meiner Reise nach Berlin und Kiel
stattfand. Er sagte, er habe seinen damaligen Worten auch heute
nichts hinzuzufügen und könne nur wiederholen, daß geheime Ab-
machungen zwischen Großbritannien einerseits und Frankreich und
Rußland andererseits, welche Großbritannien im Falle eines europä-
ischen Krieges Verpflichtungen auferlegten, nicht bestünden. England
wolle sich vollkommen freie Hand bewahren, um bei festländischen
Verwickelungen nach eigenem Ermessen handeln zu können. Die
Regierung habe gewissermaßen dem Parlament gegenüber die Ver-
pflichtung übernommen, sich in keine geheimen Verbindlichkeiten
einzulassen. Auf keinen Fall werde bei festländischen Verwickelungen
die britische Regierung auf seiten des Angreifenden zu finden sein.
Da er mich aber nicht habe irreführen wollen — as I did not
want to mislead you —, habe er gleich hinzugefügt, daß nichts-
destoweniger seine Beziehungen zu den genannten Mächten nichts
von ihrer früheren Innigkeit verloren hätten. Wenn auch also keine
Abmachungen bestünden, die irgendwelche Verpflichtungen auferlegten,
so wolle er doch nicht in Abrede stellen, daß von Zeit zu Zeit
Unterhaltungen (conversations) zwischen den beiderseitigen Marine-
oder Militärbehörden stattgefunden hätten, und zwar die erste schon
im Jahre 1906, dann während der Marokkokrisis, als man hier ge-
glaubt habe, wie er lachend hinzufügte, daß wir die Franzosen
angreifen wollten. Aber auch diese Unterhaltungen, von denen er
meist nichts Näheres gewußt habe, hätten durchaus keine aggressive
Spitze, da die englische Politik nach wie vor auf Erhaltung des
Friedens gerichtet sei und in eine sehr peinliche Lage käme, wenn
ein europäischer Krieg ausbräche.
Ich wiederholte dem Minister ungefähr dasselbe, was ich ihm
schon neulich gesagt hatte, und gab ihm dann zu verstehen, daß es
wünschenswert wäre, daß solche militärischen Konversationen auf
ein Mindestmaß beschränkt blieben, da sie sonst leicht zu uner-
wünschten Folgen führen könnten.
Seit unserer letzten Unterhaltung, fügte Sir Edward hinzu, habe
er sich über die Stimmung, die in Rußland uns gegenüber bestehe,
eingehend erkundigt und keinen Grund zu einer beunruhigenden
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 11. Juli vorm.
3 Siehe Nr. 5.
52
Auffassung gefunden; er schien auch bereit zu sein, falls wir es
wünschten, in irgendeiner Form auf die Haltung Rußlands einzu-
wirken. Auch sei er bestrebt gewesen, für den Fall, daß das Wiener
Kabinett sich genötigt sehe, infolge des Sarajevoer Mordes eine
schärfere Haltung gegen Serbien einzunehmen, die russische Regierung
bereits jetzt für eine ruhige Auffassung und versöhnliche Haltung
gegen Österreich zu gewinnen. Sehr viel würde freilich, so meinte
Sir Edward, von der Art der etwa gedachten Maßnahmen abhängen,
und ob dieselben nicht das slawische Gefühl in einer Weise erregten,
die es Herrn Sasonow unmöglich machen würde, dabei passiv zu
bleiben.
Im allgemeinen war der Minister in durchaus zuversichtlicher
Stimmung und erklärte in heiterem Tone, keinen Grund zu haben
zu einer pessimistischen Auffassung der Lage.
Lichno wsky
Nr. 30 a
Der Gesandte im kaiserlichen Gefolge an das Auswärtige Amt1
Telegramm 103 Bergen, den n. Juli 19141 2
Bei Vorlage des vom Auswärtigen Amt redigierten üblichen
Glückwunschtelegrammentwurfs für morgigen Geburtstag des Königs
von Serbien haben S. M. mir befohlen, bei Ew. Exz. anzufragen, ob
ein solches Telegramm im gegenwärtigen Augenblick notwendig und
unbedenklich erscheine3.
Wedel
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Bergen, 11. Juli 1230 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 210 nachm. Eingangsvermerk: 11. Juli nachm.
3 Siehe Nr. 32 a.
Nr. 31
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in
Wien1
Telegramm 117 Berlin, den 11. Juli 19142 3
Zur Formulierung der Forderungen an Serbien können wir
keine Stellung nehmen, da dies Österreichs Sache ist. Uns erscheint
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 Zum Haupttelegraphenamt 240 nachm.
3 Siehe Nr. 29.
53
es nur erwünscht, daß Wien genügend Material sammelt, um zu be-
weisen, daß in Serbien eine großserbische Agitation besteht, welche
Monarchie gefährdet, damit öffentliche Meinung Europas soweit als
möglich vom guten Recht Österreichs überzeugt wird. Dies Material
wäre am besten — nicht getrennt, sondern einheitlich — kurz vor
Stellung der Forderungen bzw. des Ultimatums an Serbien zu
publizieren 4.
Jagow
4 Siehe Nr. 40.
Nr. 32
Der Gesandte in Belgrad an den Reichskanzler1
Belgrad, den 8. Juli 19141 2
Herr Paschitsch sprach sich mir gegenüber heute
gelegentlich der Vorstellung des Militärattaches
lange über das Attentat in Sarajevo und die Maß-
nahmen aus, welche die serbische Regierung im
Zusammenhang damit und zur Verhinderung weiterer
anarchistischer Freveltaten zu ergreifen beabsichtigt3 4.
Er begann zunächst mit Versicherungen seiner
tiefsten Entrüstung und seines größten Abscheues
über die Tat und hob dann hervor, daß man doch
Blech!!!! nicht eine zivilisierte4 Regierung für die Exzesse
unreifer und überspannter Burschen verantwortlich
machen dürfe. Die österreichisch-ungarische Presse
schieße weit über das Ziel hinaus. Die Über-
wachung der nationalistischen Vereine und ihrer
Verbindungen im In- und Auslande stelle der ser-
bischen Regierung die schwierigsten Aufgaben; die
demokratisch-freisinnige Verfassung des Landes,
namentlich auf dem Gebiete des Vereinswesens und
der Presse, biete der Regierung nahezu keine Hand-
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 11. Juli nachm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 20. Juli zurückgegeben, am 23. Juli wieder im Amt.
Kaiser befahl durch Randverfügung Mitteilung an den Botschafter in Wien,
die indessen tatsächlich nicht erfolgt ist.
3 »beabsichtigt« vom Kaiser zweimal unterstrichen.
4 »zivilisierte« vom Kaiser zweimal unterstrichen.
54
habe, und jeder Versuch, die Macht der Regierung
zu erweitern und ihr ein energisches Durchgreifen
zu ermöglichen, sei stets noch an dem Widerstand
der Skupschtina gescheitert. Soweit es in seiner
Macht, innerhalb der bestehenden Gesetzgebung,
liege, werde er die Tätigkeit der nationalistischen
Bleck! Verbindungen streng kontrollieren und alle Elemente
aus weisen, die hier einen Unterschlupf suchen. Er
habe sich auch mit dem Kultusminister bereits ins
Benehmen gesetzt, um durch eine schärfere Kontrolle
der Schulen und der mit ihnen in Verbindung
stehenden Turnvereine zu verhindern, daß unver-
standene politische Theorien in diesen gelehrt und
verbreitet und die Jugend mit solchen angefüllt
und verhetzt werde. Endlich solle der freie Handel
und Verkehr mit Schußwaffen und Explosivstoffen
eingeschränkt und strengeren Kautelen als bisher
unterworfen werden. Eine gesetzliche Regelung
dieser Materie liege im Projekt bereits vor, sei aber
von der Skupschtina bis jetzt nicht votiert worden.
Griesinger
Phrasen!
Nr. 32a
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Gesandten im
kaiserlichen Gefolge1
Telegramm 77
Berlin, den n. Juli 19141 2 3
Da Wien noch keinerlei Schritte in Belgrad unternommen hat,
würde Unterlassung des gewohnten Telegrammes zu sehr auffallen
und eventuell zu frühzeitige Beunruhigung hervorrufen.
Befürworte daher Absendung8.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Zimmermanns Hand.
2 646 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 30 a
55
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Rom1
Telegramm i Berlin, den n. Juli 19141 2
Ganz geheim!
Kaiser Franz Joseph hat an S. M. den Kaiser und König ein
geheimes Handschreiben gerichtet3 4 5, worin die gegenwärtige Lage
vom österreichisch-ungarischen Standpunkt dargestellt und die Not-
wendigkeit hervorgehoben wird, energische Maßnahmen gegen die
von russischen und serbischen Panslawisten betriebene Agitation zu
ergreifen, die eine Zertrümmerung der Donaumonarchie sowie die
Schwächung des Dreibundes erstrebe und das Attentat in Sarajevo
gezeitigt hätte.
Wir haben es der österreichisch-ungarischen Regierung überlassen,
die ihr geeignet scheinenden Schritte zu tun und ihr erforderlichen-
falls unsern Beistand im Sinne des Bündnisses zugesagt. Wir haben
uns ferner damit einverstanden erklärt, daß Österreich-Ungarn in
Verhandlungen mit Bulgarien wegen dessen Beitritt zu unserer
Bündniskombination tritt.
König von Rumänien, durch uns über diese Absicht informiert,
hat sich reserviert, at£r nicht ablehnend verhalten.
Die Untersuchungen, zu denen das Attentat in Sarajevo Anlaß
gegeben, sind noch nicht abgeschlossen. Die Wiener Regierung
dürfte die weiteren Entscheidungen nach deren Ergebnis treffen.
Vorstehendes zu Ew. Exz. rein persönlicher Orientierung. Eine
Information des Marquis San Giuliano dürfte sich wegen seiner Hin-
neigung zu Serbien gegenwärtig nicht empfehlen, doch bitte ich,
ihn auf die maßlose Sprache der serbischen Presse hinzuweisen und
zu bemerken, daß es für Österreich-Ungarn kaum möglich sein
würde, derartige Provokationen ruhig hinzunehmen. Ferner dürfte
Marquis San Giuliano vorsichtig darauf vorbereitet werden, daß wir
eine Annäherung an Bulgarien erwägen, wobei jedoch Gegensatz zu
Rumänien vermieden werden solle4 5.
J agow
1 Nach dem Konzept. Entwurf Bergens mit Änderungen Jagows.
2 930 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 13.
4 Letzter Satz von Jagow dem Entwurf Bergens angefügt.
5 Siehe Nr. 38.
56
Nr. 34
Der Gesandte in Athen an den Reichskanzler1
Streng vertraulich! Athen, den 6. Juh 19141 2
Mein italienischer Kollege teilt mir streng vertraulich mit, der
italienische Botschafter in Petersburg habe einen sehr alarmierenden
Bericht nach Rom gerichtet über kriegerische Vorbereitungen Rußlands.
Der Bericht sei sehr eingehend und gehe ins Detail. Erwähnt seien
auch ungeheure Geldforderungen der russischen Regierung, die in
einer geheimen Sitzung der Duma oder einer Kommission zu Kriegs-
rüstungen bewilligt worden seien3.
Qu ad t
1 Nach der Entzifferung.
2 Berliner Eingangsvermerk: 12. Juli vorm. Der Reichskanzler hat am
14. Juli von dem Stück Kenntnis genommen.
3 Jagow bemerkt dazu am Rande: »Wenn die Nachricht von Petersburg
nach Rom und von dort nach Athen gegangen ist, muß sie jedenfalls
schon etwas älteren Datums sein«.
Nr. 35
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 86 Wien, den n. Juli 19142
Geheim!
Da Graf Berchtold heute abend über Sonntag nach Buchlau
gefahren, habe Telegramm3 Graf Forgäch ganz vertraulich mitgeteilt.
Dieser bittet mich, seinen ganz besonderen Dank Ew. Exz. für den
Schritt in Bukarest und die Mitteilung zu übermitteln. Die Antwort
des Königs an unseren Geschäftsträger fand Graf Forgäch über Erwarten
günstig. Daß König Carol zunächst Bedenken gegen ein Bündnis
mit Bulgarien geäußert habe, sei ja natürlich. Wertvoll dagegen,
daß er sich nicht prinzipiell dagegen gestellt und daß er ein Ab-
rücken von Serbien für tunlich bezeichnet habe.
Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Datiert in Wien: u. Juli, aufgegeben 12. Juli u20 vorm., eingetroffen im
Auswärtigen Amt 12. Juli 1238 nachm. Am 13. Juli von Jagow nach Vor-
nahme kleiner Änderungen dem Geschäftsträger in Bukarest »zur persön-
lichen Information« mitgeteilt, abgegangen 14. Juli 40 nachm.
3 Siehe Nr. 28, Anm. 2.
57
Nr. 36
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in London1
Telegramm 155 Berlin, den 12. Juli 19141 2
Geheim!
Die Untersuchung des Mordes von Sarajevo läßt immer deutlicher
erkennen, daß die geistigen Urheber in politischen und militärischen
Kreisen Belgrads sitzen. Es besteht die Möglichkeit, daß Österreich
sich infolgedessen zu ernsteren Maßnahmen gegen Serbien entschließen
und diese zu allgemeinen Komplikationen führen könnten. Wir
wünschen unter allen Umständen Lokalisierung des Konflikts3. Hierzu
ist es nötig, daß die öffentliche Meinung in Europa es ihren Regierungen
ermöglicht, der Austragung der Differenz4 zwischen Österreich und
Serbien ohne Parteinahme zuzusehen. Es ist daher erforderlich, daß
auch in der dortigen Presse schon jetzt eine Stimmung geschaffen
wird, die in dem Attentat ebenso wie seiner Zeit in der Ermordung
des serbischen Königspaares den Ausfluß einer mit dem Kultur-
gewissen Europas unvereinbaren politischen Verbrechermoral sieht
und die es begreiflich erscheinen läßt, daß die Nachbarmonarchie
sich gegen diese dauernde Bedrohung von serbischer Seite zur Wehr
setzt. Bitte in diesem Sinne tunlichst5 auf die dortige Presse .ein-
zuwirken, dabei aber sorgfältig alles vermeiden, was den Anschein
erwecken könnte, als hetzten wir die Österreicher zum Kriege6.
J ago w
1 Nach dem Konzept. Entwurf von der Hand des Vortragenden Rats im
Auswärtigen Amt von Radowitz vom 7. Juli mit Änderungen Zimmermanns
vom 12. Juli.
2 Zum Haupttelegraphenamt 630 nachm.
3 Der Satz »Es besteht.........Konflikts« von Zimmermann geändert aus
Radowitz’ursprünglichem Text: »Österreich scheint entschlossen, sich diese
Gelegenheit zur Abrechnung mit Serbien nicht entgehen zu lassen. Wir
stehen dieser Auffassung sympathisch' gegenüber, wünschen aber einen
etwaigen Krieg lokalisiert zu sehen.«
4 »Der Austragung.der Differenz« von Zimmermann geändert aus Radowitz*
ursprünglichem: »dem Kampf«.
5 »tunlichst« von Zimmermann beigefügt.
A Siehe Nr. 43 und 48.
58
Nr.'37
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Geheim! Berlin, den 12. Juli 19142
Zur streng vertraulichen Orientierung des Grafen Berchtold
Nach geheimen Nachrichten liegt Rußland und Serbien die
vertrauliche Infonnation vor, daß Österreich-Ungarn seine Garnisonen
an serbischer und russischer Grenze unauffällig verstärkt.
Jagow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von der Hand Zimmermanns.
2 Zur Post gegeben 8° nachm.
Nr. 38
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 2 Fiuggi Fonte, den 12. Juli 19142 3
Marquis di San Giuliano sagt mir, daß er sofort nach Ermordung
des Erzherzogs den italienischen Vertreter in Belgrad beauftragt habe,
serbischer Regierung sehr dringend zur Mäßigung zu raten. Er glaube
auch, daß diesem Rat entsprochen werden würde. Für Ausschrei-
tungen der Presse könne in demokratischen Ländern Regierung nicht
verantwortlich gemacht werden, österreichische Regierung dürfe sich
darin nicht ins Unrecht setzen. Übrigens melde heute italienischer
Botschafter in Wien, daß österreichische Regierung keine Befürchtungen
wegen ernster Komplikation mit Serbien habe.
In Bulgarien sei nach Meldung italienischen Vertreters in Sofia*
Handstreich gegen König Ferdinand von russischer Partei zu befürchten.
Flotow
j Nach der Entzifferung.
. 2 Aufgegeben in Fiuggi Fonte den 12. Juli 745 nachm., angekommen im Aus-
wärtigen Amt io30 nachm. Eingangsvermerk: 13. Juli vorm. Der letzte
Absatz »In ............. befürchten« am 13. Juli vorm, von Jagow tele-
graphisch zur »rein persönlichen Information« dem Gesandten in Sofia,
die beiden ersten Sätze »Marquis ........... würde« unter dem 13. Juli
durch Erlaß »Zur persönlichen Information« dem Gesandten in Belgrad
mitgeteilt.
3 Siehe Nr. 33.
59
Nr. 39
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in
Wien und den Gesandten in Bukarest1
Geheim! Berlin, den 13. Juli 1914
Zu Ew. pp. rein persönl. Information.
Graf Szögyeny las mir heute ein Telegramm des Grafen Czernin
aus Bukarest über eine Audienz vor, die letzterer bei König Carol
gehabt hat.
Der König hat danach dem Gesandten gegenüber geäußert:
1. Er sei gewiß, daß das offizielle Serbien die Mordtat von
Sarajevo ebenso verdamme wie die übrige Welt, man dürfe die
Mordbuben nicht mit dem offiziellen Serbien in einen Topf werfen.
2. Er sei gewiß, daß die serbische Regierung die Untersuchung
gewissenhaft führen werde, würde es aber begreiflich finden, wenn
Serbien die Führung der Untersuchung durch österreichische Kom-
mission nicht zulassen würde.
3. Er bedauerte die Sprache der serbischen Presse, aber auch
gewisse Hetzereien der österreichisch-ungarischen Zeitungen.
Der König wünsche offenbar eine friedliche Lösung der Frage,
sei aber einer Äußerung über die Stellungnahme Rumäniens im Falle
eines Konflikts ausgewichen.
Im Laufe der Konversation habe der König, auf Äußerungen
rumänischer Politiker: Bratianus, Marghilomans und Take Jonescus
bezugnehmend, sich diese zu eigen gemacht, daß nämlich »nach Er-
mordung des Thronfolgers die Zukunft Österreich-Ungarns dunkel
erscheine und den Großmächten zu großem Pessimismus Anlaß
geben müsse«.
Graf Berchtold bittet den Grafen Szögyeny, bei Mitteilung dieser
Äußerung des Königs mich daran zu erinnern, daß König Carol schon
im Laufe des Winters dem österreichischen Gesandten einmal gesagt
habe, er würde seine Politik nicht gegen die öffentliche Meinung
seines Landes führen können.
Graf Berchtold knüpft hieran pessimistische Ansichten über die
Haltung Rumäniens, hofft aber doch, daß es noch dem Eingreifen
unseres Allergnädigsten Herrn gelingen werde, Rumänien - beim Drei-
bund zu halten.
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand. Abgegangen nach Wien, mit Aus-
lassung des letzten Absatzes, am 13. Juli nachm.; abgegangen nach Bukarest,
mit vollem Text, am 14. Juli.
6 o
Die Äußerungen des Königs über Österreich-Ungarn lassen sich
— aus dem Zusammenhang gerissen, wie Graf Czernin sie berichtet —
schwer beurteilen. Mit der Besorgnis, daß der Tod des Erzherzogs
im jetzigen Moment für die Monarchie folgenschwer sein kann, dürfte
der König nicht allein stehen. Daß aber ein so vorsichtiger Politiker
wie König Carol den österreichischen Gesandten auf die Möglichkeit
des Zusammenbruchs seines Vaterlandes hat hin weisen wollen, ist
kaum anzunehmen. Jedenfalls läßt sich aus der Äußerung noch
nicht ohne weiteres auf die zukünftige Haltung Rumäniens schließen.
Dagegen läßt sich wohl aus der Art der Berichterstattung über
diese Äußerung auf einen weitgehenden diplomatischen Dilettantismus
des Autors schließen.
Jagow
Nr. 40
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 87 Wien, den 13. Juli 19141 2
Graf Berchtold teilt durchaus die Ansicht Ew. Exz. 3, daß die
Ergebnisse der Untersuchung in Sarajevo nicht im einzelnen, sondern
Richtung serbischer Politik und ihre Folgen zusammenfassend dar-
zustellen sein werden.
Minister ist jetzt selbst überzeugt, daß schnellstes4 * Handeln
geboten ist. Er hofft morgen mit Tisza über Wortlaut der an
Serbien zu richtenden Note ins Reine zu kommen, würde diese dann
Mittwoch, den 15. Juli, dem Kaiser in Ischl unterbreiten, worauf
dann unverzüglich — mithin noch vor Abreise Poincares — Über-
gabe in Belgrad erfolgen könnte.
Tschir schky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 13. Juli 3 40 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
78 nachm. Eingangsvermerk: 14. Juli vorm. Der zweite Abschnitt von Jagow
am 14. Juli 1123 vorm, telegraphisch dem Kaiser mitgeteilt, dem die Ent-
zifferung nachmittags nach 5 Uhr vorlag.
3 Siehe Nr. 31.
4 Die Worte »jetzt selbst Überzeugt« und »schnellstes« vom Kaiser zweimal
unterstrichen.
6i
Nr. 41
Der Geschäftsträger in Bukarest an den
Reichskanzler 1
Ganz geheim! Bukarest, den n. Juli 1914 1 2
S. M. der König empfing mich gestern um
i21/2 Uhr in Sinaia. Ich hatte die Ehre, hierauf
zur Frühstückstafel zugezogen zu werden, nach der
sich S. M. noch längere Zeit in Gegenwart des
Prinzen von Rumänien mit mir über die in der
Audienz schon besprochenen Fragen unterhielt.
S. M. hörte meine im Namen Sr. M. des Kaisers
und Königs gemachten Ausführungen mit lebhaftem
Interesse an. Bei den Stellen, die von dem Freund-
schaftsverhältnis zwischen Rumänien und Serbien,
sowie über die in Rumänien bestehende Agitation
gegen Österreich-Ungarn handelten, machte ’S. M.
eine zustimmende Kopfbewegung. Auch zu den
Äußerungen, daß Höchst derselbe dem österreichi-
schen Vertreter letzter Zeit zweimal gesagt habe,
Er werde im Falle eines Krieges, mit Rücksicht
auf die österreichfeindliche Stimmung in Rumänien,
Höchstseinen Bundes pflichten nicht nachkommen
können, und als ich davon sprach, daß S. M. der
Kaiser und König in Wien stets für eine Verständi-
gung mit Serbien eingetreten sei, stimmte S. M.
beifällig zu. Als von den Bestrebungen Rußlands,
einen neuen Balkanbund mit einer direkten Spitze
gegen Österreich-Ungarn zu gründen, die Rede war,
unterbrach mich Höchstderse be mit der Bemerkung,
daß ihm von einer solchen Absicht Rußlands nichts
bekannt sei. 3
Am Schlüsse meiner Ausführungen bemerkte
S. M. zunächst, Er glaube nicht, daß die serbische
Regierung mit dem Attentat in Sarajevo in Ver-
1 Nach der Ausfertigung. Siehe Nr. 16 und 28.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 14. Juli vorm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 20. Juli zurückgegeben, am 23. Juli wieder im Amt.
Kaiser befahl durch Randverfügung Mitteilung an die Botschafter in
Wien, Rom und Petersburg, die indessen tatsächlich nicht erfolgt ist.
3 Am Rand Fragezeichen und Ausrufungszeichen des Kaisers.
62
bindung gebracht werden könnte. Er habe dies
auch schon dem Grafen Czernin gesagt und ihn ge-
fragt, ob man denn in Wien sichere Beweise da-
für besitze. 4
Hierauf sprach sich S. M., wie ich schon tele-
graphisch berichtet habe, über die Aussichtslosigkeit
eines Bündnisses mit Bulgarien aus. Als S. M. da-
von sprach, daß Rumänien nicht sofort mit Bulgarien
in ein Bündnisverhältnis treten könne, wies er auf
den letzten Grenzzwischenfall, bei dem ein rumäni-
scher Soldat von einem bulgarischen erschossen
wurde, sowie darauf hin, daß die Stimmung in
Bulgarien gegen Rumänien sehr erregt sei.
S. M. meinte weiter, die Lage sei zwar augen-
blicklich ernst, doch nicht hoffnungslos. In Wien
scheine man den Kopf verloren zu haben. Es wäre
gut, von Berlin aus auf den Ballplatz einzuwirken,
um der dort heri sehenden kleinmütigen Stimmung 5
auszuhelfen. Über die politischen Fähigkeiten des
Grafen Berchtold sprach sich S. M. nicht gerade
schmeichelhaft aus. Der König tadelte die Organi-
sation in Bosnien und meinte, man wisse tatsächlich
heute noch nicht, ob Österreich oder Ungarn dort
regiere.
Während S. M. früher die Mißstimmung im
Lande gegen Österreich-Ungarn als eine Welle, die
wieder vorübergehen werde, bezeichnet hatte,
äußerte Er sich gestern dahin, daß die Agitation
eine ernste sei. Höchstderselbe stimmte mir bei,
als ich die Ansicht aussprach, dieselbe sei deshalb
so heftig geworden, weil man hier Österreich für
schwach halte, und zudem das Selbstbewußtsein in
Rumänien so außerordentlich gestiegen wäre. Als
ich ei wähnte, daß hier vielfach der Glaube bestehe,
Siebenbürgen werde in nicht zu ferner Zeit Rumänien
zufallen, meinte S. M., Er trete dieser Auffassung
hier scharf entgegen und habe offen ausgesprochen,
daß Er sich zu einer Eroberung Siebenbürgens
niemals her geben werde. Nach der Tafel kam das
Gespräch nochmals auf diese Frage, wobei der
König, zum Prinzen Ferdinand gewendet, äußerte:
»Wir werden das ja nicht mehr erleben, Dein Sohn
vielleicht.«
4 Am Rand Ausrufungszeichen und Fragezeichen des Kaisers.
5 Desgleichen.
63
S. M. sprach sich bezüglich Serbiens dahin aus,
daß man vor allem den gewissenlosen Preß Reibereien
1 entgegentreten müsse; diese trügen die Hauptschuld
an allem Unheil und hielten die Gemüter in steter
Erregung.
Auch in Österreich müsse auf die Presse gewirkt
werden, damit diese nicht allzu sehr gegen Serbien
hetze. Sasonow habe Ihm gesagt, Rußland denke
nicht daran, einen Krieg zu führen, weil es in diesem
Falle viel zu sehr innere Unruhen befürchten müsse,
aber einen Angriff Österreichs auf Serbien könne es
nicht dulden. Bei einem solchen, fuhr der König
weiter, habe Rumänien keine Verpflichtungen.
Über Bulgarien bemerkte der König, im Laufe
des Gesprächs habe sich Sasonow Ihm gegenüber
derart despektierlich ausgesprochen, da & Er förmlich
als Verteidiger auf ge treten sei. Der König erörterte
auch die Frage bezüglich der Stellung Griechenlands
im Falle eines Bündnisses mit Bulgarien und meinte,
eine Verständigung zwischen diesen beiden Staaten
könne nur erfolgen, wenn Griechenland Kavalla
wieder zurück gäbe.
Die politische Lage hält der König auch beson-
ders mit Rücksicht auf Albanien für sehr bedenklich.
Mit Recht Er zeigt sich sehr unzufrieden über die Haltung
Italiens daselbst. Insbesondere bezeichnete Er es als
unglaublich, daß man einen Gesandten wie Aliotti
dahin geschickt habe. Dieser hätte seinerzeit London
wegen F'alschspielens eiligst verlassen müssen. Aliotti
habe dem Fürsten seinerzeit geradezu gedroht, die
Truppen zurückziehen zu lassen, wenn der Fürst
sich nicht auf ein Schiff begebe.
Um auf die Stimmung in Serbien gegen Öster-
reich möglichst wirksamen Einfluß nehmen zu können,
hält S. M. für unbedingt notwendig, daß Schritte
von Berlin aus in PetersburgQ in diesem Sinne
gemacht werden.
Dort müsse man zu verstehen geben, daß es
doch! sich jetzt nicht mehr lediglich um Rassenstreitig-
keiten, sondern um sehr wichtige dynastische In-
teressen handele. Was gestern in Sarajevo geschehen
sei, könne sich morgen ebenso gut in Petersburg
„ ereignen. Man möge daher von Petersburg aus
ernste Schritte in Belgrad unternehmen. Er, der
“ Am Rand Fragezeichen des Kaisers.
Aktenstücke I.
7
64
König, sei bereit, auch seinerseits in diesem Sinne
einen Druck auf Serbien auszuüben. Ferner wolle
Er Seinen Gesandten in Petersburg, der demnächst
mit der Deputation des dem Zaren verliehenen
Regimentes nach Petersburg gehen werde, dies-
bezüglich Instruktionen erteilen. Der König würde
großen Wert darauf legen, daß eine Demarche
Deutschlands in dem gedachten Sinne in Petersburg
erfolge, doch bat er, Ihn nicht als den Urheber der-
selben zu bezeichnen. Höchstderselbe kam mehrfach
auf die Notwendigkeit eines derartigen Schrittes
zurück und schien sich von einem solchen viel zu
versprechen. Als ich nach der Frühstückstafel die
Gelegenheit benutzte, um Sr. M. auftragsgemäß
von der tiefen Wirkung Höchstseiner kürzlich ge-
machten Demarche in Athen, die die Erhaltung des
Friedens bezweckte, zu sprechen, und dabei den
Allerhöchsten Randvermerk7 auf dem Bericht des
Grafen Quadt zur Kenntnis brachte, zeigte sich der
König sichtlich erfreut, und meinte, nun hätte S. M.
der Kaiser durch eine Demarche in Petersburg
Gelegenheit, ebenfalls der Sache des Frieden«? eir^en
großen Dienst zu erweisen.
Uber weitere Eindrücke, die ich aus meiner Unter-
redung mit Sr. M. gewonnen habe, werde ich dem-
nächst berichten.8
Waldburg
Der Randvermerk des Kaisers findet sich auf folgendem Telegramm des
stellvertretenden Staatssekretärs an den Kaiser vom 19. Juni:
Ew. M. Gesandter in Athen telegraphiert:
»Rumäniens Schritt, der hier nur König, Minister-
präsidenten und Minister der auswärtigen Angelegen- 4
heiten bekannt ist, hat ungeheure Wirkung gehabt, und
ich halte Frieden, wenn Türkei weiter vorsichtig handelt
für ziemlich gesichert.
Hauptgefahr schien mir darin zu liegen, daß grie-
chische Regierung gegenwärtige Streitfrage mit der
Türkei mit lnselfrage verquickt und hierin neue Forde-
rungen betreffend Anerkennung stellen würde. Diese
Absicht hat entschieden einmal bestanden, scheint aber
jetzt, wie Streit mir versichert, aufgegeben.«
Wien, Rom, Bukarest,
Stambul, London, Paris,
Petersburg.
Der König hat uns allen
einen großen Dienst er-
wiesen ! Wir können
ihm alle sehr dankbar
sein! W.
der miß schärf \uge
redet werden !
sehr erfreulich!
Alleruntertänigst
Zimmermann
Siehe Nr. 66
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Wien, den 13. Juli 19142
Die Haltung der hiesigen Presse verfolgt sichtlich die vorn
Ballhausplatz inspirierte Tendenz, die öffentliche Meinung nicht
vorzeitig zu beunruhigen. Zugleich wird aber durch ausführliche
Reproduktion der serbischen Preßartikel für deren weiteste Ver-
breitung gesorgt und darauf hingewiesen, daß Serbien durch seine
Wühlereien, die in dem Attentat auf den Thronfolger gipfelten, allen
Kredit in Europa verloren haben müsse. So bemerkt die heutige
Wiener Sonn- und Montagszeitung, daß Europa zum Glück wisse,
was es von den bewußten Entstellungen, die man jetzt von Belgrad
aus über die ganze Welt zu verbreiten suche, zu halten habe. Ins-
besondere werde man in England nicht an die Lüge glauben, daß die
serbischen Staatsangehörigen der Monarchie in den südlichen Ländern
unterdrückt worden seien. Die Serben glaubten selbst nicht mehr
daran, daß das Recht auf ihrer Seite sei.
In einem anscheinend offiziösen Entrefilet bemerkt dasselbe
Blatt:
»Mit Rücksicht darauf, daß die Untersuchung über das
Sarajevoer Mordattentat noch nicht zum Abschlüsse gelangt ist, sind
auch alle Kombinationen über Form und Inhalt einer allfälligen
diplomatischen Aktion Österreich-Ungarns bei der Belgrader Re-
gierung verfrüht und müßig. Die verschiedenen Meldungen, die
über Ischler Audienz des Grafen Berchtold in die Welt gesetzt
wurden, haben eine entschiedene Zurückweisung erfahren und sind
endlich ganz verstummt. Um so gesprächiger ist man in Belgrad.
Die serbischen Blätter strengen sich seit Tagen an, Beweise dafür
zu erbringen, daß die Monarchie keinen Rechtstitel zu irgendwelchen
Forderungen besitzt, und wehren sich heute schon gegen Zu-
mutungen, die bisher niemand gestellt hat. Ein besonders voreiliger
Herr in Konstantinopel, der dortige serbische Geschäftsträger, unter-
nimmt sogar schon Einschüchterungsversuche für den Fall, als
Österreich-Ungarn es wagen sollte, mit Serbien einen Streit anzu-
fangen. Das Treiben der Herrschaften erinnert ganz an den Mann,
der durch den Wald läuft und vor Angst aus Leibeskräften schreit.
Er muß sich fortwährend hören, damit ihn die Furcht nicht über-
wältigt.«
Die Tendenz, die Äußerungen der Presse noch in Schranken zu
halten, geht auch aus einer offiziösen Budapester Korrespondenz der
Wiener Sonn- und Montagszeitung hervor, in der es heißt, daß die
1 Nach der Ausfertigung.
3 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 14. Juli nachm.
7*
66
Nachricht von der Einberufung eines neuerlichen gemeinsamen
Ministerrats an maßgebender Stelle als unrichtig bezeichnet werde.
Die Notwendigkeit eines neuen Ministerrats bestehe nicht, da die
gemeinsame Regierung bereits über alle Eventualitäten übereinge-
kommen sei. Die Meldung sei offenbar durch ein Mißverständnis
entstanden. Graf Tisza beabsichtige nämlich, auf einen Tag nach
Wien zu reisen, um sich über den Abschluß der Sarajevoer Unter-
suchung zu informieren, nachdem die Opposition in Ungarn neuer-
liche Interpellationen über die großserbische Bewegung vorbereite,
und Graf Tisza seine letzte Rede, falls eine Notwendigkeit bestehen
sollte, zu ergänzen beabsichtige.
Auch auf die Börse wird einzuwirken gesucht, die in den letzten
Tagen sehr stark nachgegeben hatte. In der Presse wird an die
Großbanken appelliert, deren Pflicht es sei, »sich in die Bresche zu
stellen, wenn eine eminente Gefahr einer aller Voraussicht nach sogar
ganz unmotivierten Entwertung drohe. Das Großkapital solle durch
seine Haltung den Kunden und dem ganzen Markte zeigen, ein wie i*
schlechter Berater in schweren Zeiten der Pessimismus sei.«
Die »Montags-Revue« schreibt: »Die Frage, ob und in welchem
Umfange eine Mitschuld des offiziellen Serbien an der Tragödie von
Sarajevo nachweisbar, kann noch nicht abschließend beantwortet
werden. Gewiß ist aber, daß die Vorgänge und Kundgebungen der
letzten Tage die ganze Unverfrorenheit und Tollkühnheit der ser-
bischen Austrophobie enthüllen.
Man kann es nur billigen, wenn bei den Entscheidungen unserer
Regierung auch weiterhin jede Voreiligkeit, jedes Nachgeben gegen
Temperamentswallungen vermieden bleibe. Auch unsere öffentliche
Meinung muß ihre Ruhe bewahren. Selbst dann, wenn eine diplo-
matische Auseinandersetzung über das Drama von Sarajevo den
gleichen Verlauf nähme, wie frühere Diskussionen, in welchen das
amtliche Serbien uns vorerst durch läppische Ableugnungen ver-
höhnte und uns schließlich Versprechungen erteilte, deren Ein-
haltung nicht einen Augenblick ernstlich beabsichtigt war. Niemand
wird bei uns so naiv sein, von einer in Belgrad veranstalteten
Forschung nach Mitschuldigen der Mörder konkrete Ergebnisse zu.
erwarten. Auch das Eingehen des Belgrader Kabinetts auf die
Forderung nach formeller Desavouierung der großserbischen Propa-
ganda, nach künftiger Unterdrückung dieser Bewegung wäre ledig-
lich ein diplomatischer Erfolg von sehr geringer greifbarer Be-
deutung. Nur Tatsachen könnten beweisen, daß man sich in
Belgrad unter der Wucht eines internationalen Verdikts zu einer
Umkehr bequemt, die eine wirkliche Klärung des Verhältnisses zu
Österreich-Ungarn ermöglichen würde.«
Nach der Mordtat von Sarajevo müsse das Verhältnis Öster-
reich-Ungarns zu Serbien nur vom Standpunkte des nüchternsten
Realismus beurteilt und geregelt werden. In Belgrad habe man Ent-
kr' h /% 1 /-f I 1 M r» 1 < -4-- y-v 44- r» /I ,—v «■ /"v I ^ /Vr T r rM t /V n /~V < <1 PV A f~\ l A P A A B 1 1 A b A H
6 7
wägung einer hochernsten Kontroverse hinausreiche. Es handele
sich um eine letzte Erprobung der Vernunft und Einsicht der
Staatslenker Serbiens. Werde die Probe nicht bestanden, so müßte
die offizielle Politik der Monarchie durch das Beharren bei der bis-
herigen Methode den unentbehrlichen Rückhalt verlieren. Sie würde
unverständlich für die Bevölkerung Österreich-Ungarns werden.
von Tschirschky
Nr. 42
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 5 Fiuggi Fonte, den 14. Juli 19141 2
Obwohl Marquis di San Giuliano immer noch erklärt, daß Be-
richte des italienischen Botschafters in Wien über Serbien nicht pessi-
mistisch lauten, hat er doch bereits Gutachten des Völkerrechts-
kundigen Herrn Fusinato über Rechtslage eingezogen und sagt
mir, nach italienischer Auffassung könne eine Regierung nur wegen
Verbrechen gegen gemeines Recht, nicht wegen politischer Propaganda
reklamieren, wenn diese Propaganda nicht zur Tat übergehe3. Er
fürchte daher, Italien würde österreichische Reklamation nicht unter-
stützen können, ohne sich in Widerspruch zu tiefbegründeter Über-
zeugung des italienischen Volkes und zu liberalen Prinzipien zu setzen.
Habe erwidert, daß man zunächst überhaupt Inhalt österreichischer
Reklamation ab warten müsse, daß aber, wenn Konflikt entstehen sollte,
es sich nicht mehr um juristische Fragen, sondern um politische
handeln würde. Marquis di San Giuliano bestand aber darauf, daß
italienische Regierung niemals gegen Prinzip der Nationalität an-
kämpfen könne. Minister will uns anscheinend vorbereiten, daß er
bei weiterer Komplikation nicht an Seite Österreichs bleiben kann,
österreichische Regierung wird mit diesem Umstand rechnen müssen.
Weisungsgemäß habe ich Marquis di San Giuliano in Aussprache
zwischen Wien und Berlin noch nicht eingeweiht. Minister sagt mir,
Rußland habe in Belgrad zu Nachgiebigkeit geraten; es werde gut
sein, wenn alle Regierungen diesem Beispiel folgten.
österreichischer Botschafter sagt mir ganz geheim, daß in Wien
Entschlossenheit zu aktivem Vorgehen besteht.
Flotow
1 Nach der Entzifferung.
* Aufgegeben in Fiuggi Fonte 24 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
546 nachm. Eingangsvermerk: 14. Juli nachm. Unter Auslassung der Sätze
»Weisungsgemäß............eingeweiht« und »Österreichischer...........
besteht« und unter Beifügung eingehender Erörterungen Jagows am 15. Juli
dem Botschafter in Wien mitgeteilt (siehe Nr. 46).
3 Siehe Nr. 64
68
Nr. 43
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 129 London, den 14. Juli 1914*
Geheim!
Ich habe bereits versucht, in diesem Sinne1 2 3 vertraulich und
vorsichtig Fühlung zu nehmen, verspreche mir aber angesichts der
bekannten Unabhängigkeit der hiesigen Presse derartigen Einwir-
kungen gegenüber nur wenig Erfolg. Es wird schwer halten, die
gesamte serbische Nation als ein Volk von Bösewichten und Mördern
zu brandmarken und ihm dadurch, wie der Lokalanzeiger bestrebt
ist, die Sympathien des gesitteten Europas zu entziehen; noch
schwerer aber die Serben, wie eine amtliche Persönlichkeit dem
Wiener Vertreter des Daily Telegraph gegenüber tut, auf dieselbe
Stufe zu stellen mit den Arabern in Ägypten und in Marokko oder
mit den Indianern in Mexiko. Es ist vielmehr anzunehmen, daß
die hiesigen Sympathien sich dem Serbentum sofort und in lebhafter
Form zu wenden werden, sobald Österreich zur Gewalt greift, und
daß die Ermordung des hier schon wegen seiner klerikalen Nei-
gungen wenig beliebten Tronfolgers nur als ein Vorwand gelten
wird, den man benutzt, um den unbequemen Nachbarn zu schädigen.
Die britischen Sympathien, namentlich aber die der liberalen Partei,
haben sich in Europa meist dem Nationalitätenprinzip zugewandt,
bei den Kämpfen der Italiener gegen die österreichische, päpstliche
oder bourbonische Herrschaft, und haben bei Balkankrisen gewöhn-
lich den dortigen Slawen gegolten. Sowohl während der Annexions-
krisis als auch im vorigen Winter bei akuten Fragen neigte die
hiesige öffentliche Meinung zur Parteinahme für Serbien und Mon-
tenegro, und es wäre daher damals schwer gefallen, die britische
Zustimmung zu einem energischeren Vorgehen gegen König Nikolaus
zu erlangen.
So sehr man also auch eine unnachsichtige strafrechtliche
Verfolgung der Mörder begreifen wird, so wenig, fürchte ich, wird
die öffentliche Meinung dafür zu haben sein, daß man die An-
gelegenheit auf das politische Gebiet hinüberspielt und sie zum Aus-
gangspunkt militärischer Maßnahmen gegen ein Volk von Ver-
brechern macht. In diesem Falle dürfte auch das durch die innere
Krise bereits geschwächte gegenwärtige Kabinett kaum die Kraft
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London 14. Juli 555 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 843 nachm. Eingangsvermerk: 15. Juli vorm.
3 Siehe Nr. 36.
69
besitzen, um eine Politik zu unterstützen, die sowohl den ethischen
Empfindungen der Nation als der Geschmacksrichtung der (liberalen)4
Partei widerspräche6.
Lichnowsky
4 »liberalen« fehlt in der Entzifferung, da Zifferngruppe unverständlich,
5 Siehe Nr. 48.
Nr. 44
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in
Rom und den Geschäftsträger in Bukarest1
Telegramm 4, 36 Berlin, den 14. Juli 19141 2 3
Geheim!
Sollten die Resultate der Untersuchung über den Mord in
Sarajevo Österreich-Ungarn zu ernsteren Maßnahmen gegen Serbien
veranlassen, so hätten wir ebenso wie das übrige Europa das größte
Interesse daran, einen hieraus sich eventuell ergebenden Konflikt zu
lokalisieren. Dies hängt davon ab, daß die öffentliche Meinung in
ganz Europa es ihren Regierungen ermöglicht, der Austragung der
Differenz zwischen Österreich und Serbien untätig zuzusehen. Hierzu
ist es notwendig, daß auch in der dortigen Presse die Auffassung
Raum gewinnt, bei diesem Konflikt handle es sich um eine An-
gelegenheit, die nur die beiden Beteiligten betrifft. Man könne, es
Österreich nicht verdenken, wenn es sich gegen die stete Bedrohung
seines Bestandes durch Treibereien im Nachbarlande mit jedem Mittel
zur Wehr setzt. Die Sympathien der gesamten Kulturwelt müßten
in diesem Kampfe auf seiner Seite sein, da es sich darum handele,
eine Propaganda endgültig zu ersticken, die selbst vor Meuchelmord
als Kampfmittel nicht zurückschreckt und durch die skrupellose und
frivole Art ihrer Ausübung einen Schandfleck für die europäische
Kultur und eine dauernde Gefahr für den europäischen Frieden bilde.
Bitte in diesem Sinne tunlichst auf die dortige Presse einzu-
wirken, dabei aber sorgfältig alles zu vermeiden, was den Anschein
erwecken könnte, als hetzten wir die Österreicher zum Kriege8.
Jagow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Radowitz’ Hand.
2 Telegramme am 14. Juli io36 nachm, zum Haupttelegraphen amt.
8 Siehe Nr. 47 und 54.
7°
Nr. 45
Der Staatssekretär des Auswärtigen an die Botschafter
in Wien und Konstantinopel1
Berlin, den 14. Juli 1914 1 2
Zu Ew. Exz. vertraulichen Information:
Graf Szögyeny las mir heute einen Erlaß des Grafen Berchtold
vor, wonach dieser den Markgrafen Pallavicini darüber befragt hat,
ob seiner Meinung nach die Türkei zum Anschluß an die europäi-
schen Zentralmächte zu gewinnen wäre. Der Botschafter hat sich«
ungefähr dahin ausgesprochen, daß in Konstantinopel zur Zeit eine
gewisse Neigung, sich Rußland zuzuwenden, nicht zu verkennen
wäre. Diese Tendenz werde durch ein reges Mißtrauen gegen I i alien
wegen seiner den Türken verdächtigen Aspirationen in Kleinasien
noch bestärkt. Zudem seien Rußland und Frankreich in Konstanli-
nopel stark an der Arbeit. Am ehesten würde die Türkei an Öster-
reich und den Dreibund Anlehnung suchen, wenn die Monarchie
durch energisches und erfolgreiches Vorgehen gegen Serbien sich
wieder eine entscheidende Stellung im Balkan sicherte. Hiejan an-
knüpfend, hat Graf Berchtold den Grafen Szögyeny beauftragt, meine
Ansicht darüber einzuholen, ob es nicht angezeigt erscheine, die
Türkei schon jetzt zum Anschluß an die Zentralmächte zu bewegen.
Ich habe erwidert, daß meiner Ansicht nach, die übrigens auch
von dem k. Botschafter in Konstantinopel geteilt werde, die Türkei
für die nächsten Jahre wegen ihrer schlechten Armee Verhältnisse nur
als passiver Faktor angesehen werden könne. Zu einer aggressiven
Haltung gegen Rußland wäre sie außerstande. Zudem würde sie,
wenn wir ihr den Anschluß an unsere Gruppe vorschlügen, un-
zweifelhaft auch ihrerseits Forderungen an uns stellen. Einen abso-
luten Schutz gegen Angriffe Rußlands auf Armenien z. B. könnten
wir ihr aber gar nicht gewähren. Ich glaubte, daß die Türkei in
ihrer jetzigen Lage gar keine andere Haltung einnehmen könnte,
als zwischen den Mächten hin und her zu pendeln, bzw. sich der
stärkeren und erfolgreicheren Gruppe anzuschließen. Sollte Rumänien
fest zum Dreibund stehen und etwa Bulgarien auch an unsere Gruppe
Anschluß suchen, so würde das zweifellos auch auf die Haltung der
Türkei Einfluß üben. Jetzt eine Demarche im Sinne der Anregung
des Grafen Berchtold in Konstantinopel zu machen, erschiene mir
zwecklos, wenn nicht — wegen der zu erwartenden und unerfüll-
baren Forderung von Gegenleistungen — bedenklich.
J ago w
1 Nach dem Konzept von J agows Hand.
2 Abgegangen nach Wien am 15., nach Konstantinopel am 17. Juli.
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in
Wien1
Geheim! Berlin, den 15. Juli 19141 2
Der k. Botschafter in Rom telegraphiert:
»Obwohl Marquis di San Giuliano......... diesem Bei-
spiel folgten«3
So austrophob im allgemeinen die italienische öffentliche Meinung
ist, so serbophil hat sie sich bisher immer gezeigt. Es ist auch
für mich kein Zweifel, daß sie bei einem österreichisch-serbischen
Konflikt sich prononziert auf seiten Serbiens stellen wird. Eine
territoriale Ausbreitung der österreichisch-ungarischen Monarchie,
selbst eine Ausdehnung ihres Einflusses im Balkan wird in Italien
perhorresziert und als eine Schädigung der Position Italiens daselbst
angesehen. Infolge einer optischen Täuschung wird angesichts der
vermeintlichen Bedrohung durch das benachbarte Österreich die in
Wirklichkeit viel größere slawische Gefahr verkannt. Ganz abgesehen
davon, daß die Politik der Regierung in Italien nicht unwesentlich
von den Stimmungen der öffentlich.en Meinung abhängt, so beherrscht
die obige Auffassung doch auch die Köpfe der Mehrzahl der
italienischen Staatsmänner. Ich habe bei ihnen jedesmal, wenn
eine Bedrohung Serbiens durch Österreich in Frage kam, eine
außerordentliche Nervosität konstatieren können. Durch eine Partei-
nahme Italiens für Serbien würde fraglos die russische Aktionslust
wesentlich ermutigt. In Petersburg würde man damit rechnen, daß
Italien nicht nur seinen Bundespflichten nicht nachkommt, sondern
sich womöglich direkt gegen Österreich-Ungarn wendet. Ein
Zusammenbruch der Monarchie würde für Italien ja auch die Aus-
sicht auf Gewinnung einiger langbegehrter Landesteile eröffnen.
Es ist daher m. A. nach von größter Bedeutung, daß Wien
sich mit dem Kabinett von Rom über seine- im Konfliktsfalle zu
verfolgenden Ziele in Serbien auseinandersetzt und es auf seiner
Seite oder — da ein Konflikt mit Serbien allein keinen Casus
foederis bedeutet — strikt neutral hält. Italien hat nach seinen
Abmachungen mit Österreich bei jeder Veränderung im Balkan
zugunsten der Donaumonarchie ein Recht auf Kompensationen.
Diese würden also das Objekt und den Köder für die Verband-
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 Abgegangen nach Wien: 15. Juli.
8 Hier ist das Telegramm Flotows vom 14. Juli (siehe Nr. 42) unter Aus-
lassung der Sätze »Weisungsgemäß.......... eingeweiht« und »Öster-
reichischer ........besteht« eingefügt
lungen mit Italien bilden. Nach unseren Nachrichten würde zum
Beispiel die Überlassung von Valona in Rom nicht als annehmbare
Kompensation angesehen werden. Italien scheint überhaupt von
dem Wunsche, sich auf der altera sponda der Adria festzusetzen,
zur Zeit abgekommen zu sein.
Wie ich streng vertraulich bemerke, dürfte als einzige voll-
wertige Kompensation in Italien die Gewinnung des Trento erachtet
werden. Dieser Bissen wäre allerdings so fett, daß damit auch der
austrophoben öffentlichen Meinung der Mund gestopft werden könnte.
Daß die Hergabe eines alten Landesteils der Monarchie mit den
Gefühlen des Herrschers wie des Volkes in Österreich sehr schwer
vereinbar wäre, läßt sich nicht verkennen. Es fragt sich aber
andererseits, welchen Wert die Haltung Italiens für die österreichische
Politik hat, welchen Preis man dafür zahlen will, und ob der Preis
im Verhältnis zu dem anderwärts erstrebten Gewinne steht.
Ew. Exz. bitte ich, die Haltung Italiens zum Gegenstand einer
eingehenden vertraulichen Rücksprache mit dem Grafen Berchtold
zu machen und dabei eventuell auch die Frage der Kompensationen
zu berühren. Ob bei diesem Gespräch die Frage des Trento erwähnt
werden kann, muß ich Ihrer Beurteilung und Kenntnis der dortigen
Dispositionen anheimstellen.
Die Stellungnahme Italiens wird jedenfalls für Rußlands Haltung
bei dem serbischen Konflikt von Bedeutung sein; sollte sich aus
letzterem eine allgemeine Conflagration ei geben, so würde sie auch
für uns von größter militärischer Wichtigkeit werden.
Zur Vermeidung von Mißverständnissen bemerke ich noch, daß
wir dem römischen Kabinett keinerlei Mitteilung über die Verhand-
lungen zwischen Wien und Berlin gemacht haben, und daß folglich
auch die Kompensationsfrage von uns nicht erörtert worden ist.
v. Jagow
Nr. 47
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Rom1
Telegramm 5 Berlin, den 15. Juli 19141 2
Geheim I
Erbitte Drahtnachricht, ob Ew. Exz. zur Beeinflussung dortiger
Presse Geldmittel benötigen, eventuell welche Summe?3
Jagow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Radowitz’ Hand.
3 Zum Haupttelegraphenamt 160 nachm.
3 Siehe Nr. 44 und 54.
73
Nr. 48
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in
London1
Telegramm 159 Berlin, den 15. Juli 191428
Geheim l
Ich erinnere mit dem Anheimstellen geeigneter Verwertung an
die Ermordung des Königs Alexander und der Königin Draga sowie
die Haltung, die sonst öffentliche Meinung wie Regierung in England
bei diesem Anlaß Serbien gegenüber eingenommen und durch Jahre
aufrechterhalten haben. Dasselbe System herrscht auch jetzt noch
in Serbien, dieselben Kräfte dürften auch in der großserbischen
Agitation wirken1 2 3 4 5;
Es handelt sich jetzt um eine eminent politische Frage, um
die vielleicht letzte Gelegenheit, dem Großserbentum unter Verhältnis'
mäßig günstigen Begleitumständen den Todesstoß zu versetzen. Ver-
säumt Österreich diese Gelegenheit, so ist es um sein Ansehen ge-
schehen, und es wird auch lür unsere Gruppe ein noch schwächerer
Faktor. Da bei den Ew. Durchl. bekannten intimen Beziehungen
Englands zu Rußland eine andere Orientierung unserer Politik zur
Zeit ausgeschlossen erscheint, ist es für uns vitales Interesse, die
Weltstellung des österreichischen Bundesgenossen zu erhalten. Ew,
Durchl. ist bekannt, von welcher Bedeutung für uns bei etwaigen
weiteren Konfliktsfolgen die Haltung Englands sein wird56.
Jagow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von der Hand des Dirigenten der politischen
Abteilung des Auswärtigen Amtes, Gesandten von Stumm mit Änderungen
und Ergänzungen Jagows.
2 Zum Haupttelegraphenamt 40 nachm.
3 Siehe Nr. 36 und 43.
4 Der Satz »Dasselbe..........wirken« von Jagow im Stummsehen Ent-
wurf beigefügt.
5 Die drei letzten Sätze »Versäumt......... sein wird« von Jagow in
Stumms Entwurf beigefügt
4 Siehe Nr. 52.
Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler1
Ganz Geheim! Wien, den 14. Juli 1914®
Graf Tisza suchte mich heute nach seiner Be-
sprechung mit Graf Berchtold auf. Der Graf sagte,
er sei bisher stets derjenige gewesen, der zur Vor-
sicht ermahnt habe, aber jeder Tag habe ihn nach
der Richtung hin mehr bestärkt, daß die Monarchie
unbedingt zu einem energischen Entschlüsse kommen müsse1 2 3,
um ihre Lebenskraft zu beweisen und den unhalt-
baren 4 Zuständen im Südosten ein Ende zu machen.
Die Sprache der serbischen Presse und der serbischen
Diplomaten sei in ihrer Anmaßung geradezu un-
erträglich. »Ich habe mich schwer entschlossen,«
meinte der Minister, »zum Kriege zu raten, bin
aber jetzt fest von dessen Notwendigkeit überzeugt,
und ich werde mit aller Kraft für die Größe der
Monarchie einstehen.«
Glücklicherweise herrsche jetzt unter den hier
maßgebenden Persönlichkeiten volles Einvernehmen
und Entschlossenheit5. S. M. Kaiser Franz Joseph
beurteile, wie auch Baron Burian, der S. M. noch
dieser Tage in Ischl gesprochen habe, berichte, die
Lage sehr ruhig und werde sicher bis zum letzten
Ende durchhalten. Graf Tisza fügte hinzu, die
bedingungslose Stellungnahme Deutschlands an der
Seite der Monarchie sei entschieden für die feste
Haltung des Kaisers von großem Einfluß gewesen.
Die an Serbien zu richtende Note sei heute
noch nicht in ihrem letzten Wortlaut festgestellt
worden. Dies werde erst Sonntag geschehen. In
betreff des Zeitpunktes der Übergabe an Serbien
sei heute beschlossen worden, lieber bis nach der
wie schaae Abreise Poincares aus Petersburg zu warten, also
bis zum 25. Dann würde aber, sofort nach Ab-
lauf der Serbien gestellten Frist, falls dieses nicht
unbedingt alle Forderungen annehmen sollte, die
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 15. Juli nachm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 20. Juli zurückgegeben, am 23. Juli wieder im Amt.
Gemäß kaiserlicher Randverfügung am 26. Juli dem Generalstab mitgeteilt.
3 »Entschlüsse kommen müsse« zweimal vom Kaiser unterstrichen.
4 »unhaltbaren« zweimal vom Kaiser unterstrichen.
’ »Entschlossenheit« zweimal vom Kaiser unterstrichen.
75
Mobilmachung erfolgen. Die Note werde so abge-
faßt sein, daß.deren Annahme so gut wie ausge-
schlossen6 sei. Es komme besonders darauf an ,
nicht nur Versicherungen und Versprechungen zu
fordern, sondern Taten. Bei der Abfassung der
Note müsse, seiner Ansicht nach, auch darauf Rück-
sicht genommen werden, daß sie für das große
Publikum — besonders in England — verständlich
sei. und das Unrecht klar und deutlich Serbien zu-
schiebe.
Baron Conrad habe bei der letzten Be-
sprechung auf ihn einen sehr guten Eindruck ge-
macht. Er habe ruhig und sehr bestimmt ge-
sprochen. In nächster Zeit müsse man sich freilich
darauf gefaßt machen, daß die Leute wieder darüber
klagen werden, man sei hier unentschlossen und
\ögernd. Es komme darauf aber wenig an, wenn
man nur in Berlin wisse, daß dies nicht der Fall sei.
Zum Schluß drückte mir Graf Tisza warm die
Hand und sagte: »Wir wollen nun vereint der Zu-
kunft ruhig und fest ins Auge sehen.«
von Tschirschky
na doch mal ein Mann!
6 »ausgeschlossen« zweimal vom Kaiser unterstrichen.
Nr. 50
%
Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler1
Ganz Geheim! Wien, den 14. Juli 19141 2
Nachdem mich Graf Tisza verlassen hatte3, bat
Graf B< 1 chtold mich zu sich, um mir seinerseits
das Ergebnis der heutigen Besprechung mitzuteilen.
Zu seiner großen Freude sei allseitige Überein-
stimmung über den Tenor der an Serbien zu über-
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 15- Juli nachm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 20. Juli zurückgegeben, am 23. Juli wieder im Amt
3 Siehe Nr. 49.
?6
schade!
gebenden Note erzielt worden. Graf Tisza sei seiner,
des Ministers, Auffassung in erfreulicher Weise ent-
gegengekommen und habe sogar in manche Punkte
eine Verschärfung hineingebracht. Allerdings habe
sich in technischer Beziehung die Unmöglichkeit
h< rausgestellt, die Note schon am 16. oder 18. in
Belgrad zu übergeben. Der französische Text würde
nächsten Sonntag früh 9 Uhr nochmals in einer Be-
sprechung der Minister definitiv geprüft werden.
Er werde dann voraussichtlich Dienstag dem Kaiser
die Note in Ischl unterbreiten. Er stehe dafür ein,
daß S. M. seine Genehmigung dazu geben werde.
Es habe Einmütigkeit darüber in der heutigen
Besprechung bestanden, daß es empfehlenswert sei,
jedenfalls die Abfahrt des Herrn Poincare aus Peters-
burg abzuwarten, ehe man den Schritt in Belgrad
tue4. Denn es sei wenn möglich zu vermeiden, daß
in Petersburg bei Champagnerstimmung und unter
dem Einfluß der Herren Poincare, Iswolsky und der
Großfürsten eine Verbrüde; ung gefeiert werde, die
dann die Stellungnahme beider Reiche beeinflussen
und womöglich fest legen würde. Es sei auch gut,
wenn die Toaste noch vor Übergabe der Note er-
ledigt seien. Es würde also die Übergabe am
25. Juli erfolgen können 4 5.
Graf Berchtold bat mich, wie dies auch Graf
Tisza getan, ausdrücklich und wiederholt, meiner
Regierung gegenüber keine Zweifel darüber zu lassen,
daß lediglich die Anwesenheit Poincares in Peters-
burg der Grund für den Aufschub der Übergabe
der Note in Belgrad sei, und daß man in Berlin
vollkommen sicher sein könne, daß von einem Zö-
gern oder .einer Unschlüssigkeit hier keine Rede sei.
Der Minister sagte schließlich, er werde nach
Feststellung des Textes am Sonntag der Kaiserlichen
Regierung noch vor der Unterbreitung der Note an
seinen Kaiser dieselbe zu ganz vertraulicher Kennt-
nisnahme unverzüglich zukommen lassen
von Tschirschky * *
4 Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.
* Siehe Nr. 93, 96 und 108.
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 7 Fiuggi, den 15. Juli 19141 2 3
Marquis di San Giuliano befürchtet, daß Österreich bei Kon-
flikt mit Serbien territorialen Erwerb plane, den Italien nicht dulden
könne. Habe erwidert, daß ich glaube, Österreich wolle einfach
fortgesetzte Bedrohung durch großserbische Propaganda hindern.
Minister erklärt, solche Verhinderung durch Gewalt sei unmöglich.
Propaganda würde sich einfach in geheime verwandeln. Es sei
dringend zu wünschen, daß Österreich sich mäßige.
Flotow
1 Nach der Entzifferung.
3 Aufgegeben in Fiuggi 15. Juli 940 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 16. Juli 127 vorm. Eingangsvermerk: 16. Juli vorm. Am 16. Juli
nachm, von Jagow telegraphisch der Botschaft in Wien mitgeteilt.
Nr. 52
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 133 London, den 15. Juli 19142 *
Geheim!
Ich habe bereits versucht, sowohl durch wiederholte Besprechungen
mit Sir E. Grey, über die ich berichtet, als auch durch vorsichtige
Fühlungnahme mit der hiesigen Presse für eine günstige Beurtei-
lung etwaiger sich als notwendig erweisender ernsterer Maßnahmen
Österreichs gegen Serbien vorzuarbeiten. Sir E. Grey sagte, alles käme
darauf an, welcher Art etwaige Eingriffe sein würden, keinenfalls
dürfe eine Schmälerung des serbischen Gebiets in Frage kommen.
Er hat auch, wie berichtet, sich daraufhin bemüht, in Petersburg
zugunsten der österreichischen Ansprüche zu wirken. Sollte aber
in Rußland infolge militärischer Maßnahmen Österreichs eine gewaltig
erregte Bewegung entstehen, so würde er gar nicht in der Lage sein,
die russische Politik in der Hand zu behalten und wird schon mit
Rücksicht auf die Mißstimmung, die gegen England augenblicklich
1 Nach der Entzifferung.
5 Aufgegeben in London 15. Juli 920 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 16» Juli i55 vorm. Eingangsvermerk: 16. Juli vorm.
3 Siehe Nr. 48.
in Rußland herrscht, und von der Graf Pourtales zu berichten weiß,
auf russische Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen müssen. Der
Minister wird jedenfalls, dessen bin ich gewiß, bei Ausbruch eines
österreichisch-serbischen Streits sein möglichstes tun, um Rußland
zurückzuhalten. Ich glaube aber nicht, daß er dort, wie etwa in
Paris, in der Lage ist, das entscheidende Wort zu sprechen4.
Was aber die hiesige öffentliche Meinung betrifft, so bedauere
ich, die Ausführungen meines Telegramms Nr. 1295 voll aufrechter-
halten und nachdrücklich vor Täuschungen warnen zu müssen.
Trotz der Bomben der Mazzimsten, die in der Verfolgung ihrer poli-
tischen Zwecke kaum zartfühlender waren als die Mitglieder der
Ochrana und bekanntlich auch vor Attentaten auf Allerhöchste und
Höchste Häupter nicht zurückschreckten, wandte sich die hiesige
öffentliche Meinung der italienischen Einheitsbewegung zu, feierte
Garibaldi hier ip überschwenglicher Form. Es gelang damals Öster-
reich ebensowenig, der italienischen Bewegung den Todesstoß zu ver-
setzen wie sich hier Sympathie zu erwerben, und ich bezweifle, daß
das Serbentum zum Verzicht auf Betätigung seiner nationalen Ideale
und Hoffnung außerhalb seiner amtlichen Grenzen durch Aufwerfung
der Machtfrage zu bewegen sein wird.
•Lichnowsky
4 Am Rande die Bemerkung Zimmermanns: »Ich bin vom Gegenteil über-
zeugt. «
5 Am Rande die Bemerkung Jagows: »Das ist leider alles richtig.«
Nr. 53
Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler1
St. Petersburg, den 13. Juli 19142
Das Attentat in Sarajevo hat zwar auch'Jiier
einen tiefen Eindruck gemacht, und die Verurteilung
des schändlichen Verbrechens kam im ersten Augen-
blick in weiten Kreisen laut zum Ausdruck. Der
hier gegen Österreich-Ungarn herrschende tiefe Haß
machte sich jedoch sehr bald auch bei diesem
1 Nach der Ausfertigung.
■a Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 16. Juli vorm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 20. Juli zurückgegeben, am 23. Juli wieder im
Amt. Gemäß kaiserlicher Randverfügung am 26. Juli den Botschaften in
Wien, London und Paris mitgeteilt, am gleichen Tage außerdem noch
der Botschaft in Rom.
traurigen Anlaß geltend, und die Entrüstung über
die an den Serben in der österreichisch-ungarischen
Monarchie geübte Rache übertönte schon nach
wenigen Tagen alle Äußerungen der Teilnahme für
den greisen Kaiser Franz Joseph und sein Reich.
Die von der hiesigen österreichisch-ungarischen
Vertretung veranstaltete Trauerfeier fand allerdings
unter zahlreicher Beteiligung der offiziellen Kreise
statt. Von Großfürsten erschienen der mit der
Vertretung des Zaren beauftragte Großfürst Nikolai
Nikolajewitsch und der Großfürst Boris Wladimiro-
witsch. Die Minister waren nahezu vollzählig und auch
die militärische Umgebung des Zaren sehr zahlreich
vertreten. Abgesehen von dieser äußeren Beteiligung
war aber von einer aufrichtigen Teilnahme an der
Trauer des österreichischen Kaiserhauses wenig
merken. Nicht nur in der Presse, sondern auch in der
Gesellschaft begegnete man fast nur unfreundlichen
Er wollte ja immer Urteilen über den ermordeten Erfher^og unter
den alten 3 Kaiser- Hinweis darauf daß Rußland in ihm einen erbitterten
bund ' wieder her- peind verloren habe. Mit Vorliebe wurden Er-
steien. r war zählungen verbreitet, nach welchen der Erzherzog
^ Rußlands™1' auc^ *n se^ner eigenen Heimat wenig Freunde ge-
habt und selbst mit Kaiser Franz Joseph nicht gut
gestanden habe.
Sogar Herr Sasonow verweilte, als ich ihn zum
ersten Male nach dem Attentat sprach, nur kurz
bei der Verurteilung dieses Verbrechens, während
er nicht genug Worte der Kritik über das Ver-
halten der österreichisch-ungarischen Behördenz,
welche die Ausschreitungen gegen die Serben zuge-
lassen hätten, finden konnte. Als ich den Minister
darauf hinwies, daß es begreiflich erscheine, wenn
die kaisertreue Bevölkerung in der ganzen Monarchie
und besonders in Sarajevo infolge der scheußlichen
Bluttat in hochgradige Erregung geraten sei, und
wenn die Polizei, welche, wie schon die ungenügenden
Sicherheitsmaßregeln bewiesen, anscheinend ihrer
Aufgabe nicht gewachsen war, den Kopf verloren
habe, wollte Herr Sasonow diese mildernden Um-
stände nicht gelten lassen. Er gab vielmehr deut-
lich zu verstehen, daß nach seiner Überzeugung die
Behörden absichtlich der Volkswut die Zügel hätten
schießen lassen3 4. Daß es in Bosnien und der
3 Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.
4 Desgl.
Aktenstücke L
8
8o
Herzegowina eine nennenswerte kaisertreue Be-
völkerung gebe, wollte der Minister nicht zugeben5.
Es könne sich, wie er wegwerfend bemerkte, höch-
stens um einige Muhamedaner und Katholiken
Ei! Ei! handeln. Ebenso bestritt Herr Sasonow, daß, wie
österreichischerseits behauptet werde, das Attentat
auf ein großserbisches Komplott zurückzuführen
sei. Jedenfalls sei in dieser Beziehung bis jetzt
nicht das Geringste bewiesen6 und es sei im höchsten
Maße ungerecht, die serbische Regierung, die sich
vollkommen korrekt verhalte, für das Verbrechen
verantwortlich zu machen, wie es in der österreichisch-
ungarischen Presse geschehe. Mit demselben Recht
hätte Rußland wiederholt die französische Regierung
für Attentate, die auf französischem Boden vorbe-
warum geschah es reitet und in Rußland verübt wurden, \ur Rechen-
nicht? schaft \iehen können.
Ich erwiderte dem Minister, man könne, wie
mir scheine, doch nicht umhin zuzugeben, daß die von
den Serben seit Jahren in Bosnien und der Herze-
gowina betriebene und von Serbien aus geschürte
antiösterreichische Agitation zum mindesten viel
dazu beigetragen habe, den Plan zu dem verab-
scheuungswürdigen Verbrechen zur Reife zu bringen.
Herr Sasonow blieb dabei, daß es sich nur um die
sagt dasselbe wie Tat vereinzelter unreifer junger Leute handele,
Pasitsch deren Verbindung mit einem weitangelegten poli-
tischen Komplott keineswegs erwiesen sei.
Ich wies ferner darauf hin, daß das Attentat eine
neue ernste Mahnung an die alten Monarchien ent-
halte, ihres gemeinsamen Interesses und der gemein-
samen Gefahren, die sie bedrohen, eingedenk zu sein.
Herr Sasonow konnte nicht umhin, dieser Bemerkung
zuzustimmen, es geschah aber mit weniger Wärme1,
als ich sonst bei ihm zu finden gewohnt bin, wenn
die Rede auf die monarchischen Interessen kommt.
Diese Zurückhaltung ist nur durch den unversöhn-
lichen Haß des Ministers gegen Österreich-Ungarn
richtig zu erklären, einen Haß, der überhaupt hier mehr
und mehr jedes klare und ruhige Urteil trübt.
Wir werden, wie ich glaube, mit dieser Erscheinung,
die auch notwendig auf unsere Beziehungen zu 6 7
6 Desgl.
6 Am Rand zwei Ausrufungszeichen des Kaisers.
7 »weniger Wärme« vom Kaiser zweimal unterstrichen, am Rand Aus-
rufungszeichen.
8i
natürlich, Rußland \urückmirken muß, noch auf Jahre hin-
habe ich schon. aus - rechnen haben. Sie ist um so bemerkens-
werter, als mit der Erbitterung gegen Österreich
eine immer machsende Überhebung gegenüber der
habsburgischen Monarchie Hand in Hand geht.
Alle Äußerungen, die man hier auch in amtlichen
Kieisen über Österreich-Ungarn hört, zeugen von
Hochmuth kommt einer grenzenlosen Verachtung für die dort herr-
vorm Fall! sehenden Verhältnisse.
F. Pourtales
Nr. 54
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 8 Fiuggi, den 16. Juli 19142 3
Habe bereits innerhalb der der Botschaft möglichen Grenzen
Fühlung mit Presse genommen. Darf mir Vorbehalten, wegen Geld
später Antrag zu stellen, wenn nötig. Augenblicklich wegen hoch-
sommerlicher Abwesenheit aller Vertrauens- und Mittelspersonen
Geld Verwendung erschwert. Aufgabe überhaupt sehr schwierig, da
bereits Stimmen laut werden, die mit Rücksicht auf gleichartige
italienische Geschichte Bekämpfung serbischen Nationalitätenkampfs
als unmöglich bezeichnen.
Fl o t o w
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi io30 vorm., angekommen im Auswärtigen Amt
i44 nachm. Eingangsvermerk: 16. Juli vorm, (so irrig statt: nachm.).
3 Siehe Nr. 44 und 47.
Nr. 55
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 134 London, den 16. Juli 19141 2 *
Heutige Times bringt Leitartikel über Österreich und Serbien
und verurteilt auf das Schärfste herausfordernde Haltung der Bel-
grader Presse, [die] der serbischen Sache die Sympathien des gebildeten
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London n47 vorm., angekommen im Auswärtigen Amt
25 nachm. Eingangsvermerk: 16. Juli vorm, (so irrig statt: nachm.).
8*
Europas entfremdete. Das Blatt erwartet bereitwilliges Entgegen-
kommen serbischer Regierung zur Aufklärung des Verbrechens und
Bürgschaft gegen fernere Unterstützung der revolutionären Bewegung.
Gleichzeitig warnt das Blatt die Österreicher vor der Befolgung einer
Politik, wie die militärischen Zeitschriften sie fordern, bei der alles
zu verlieren und nichts zu gewinnen sei. Die südslawische Frage,
schwierigste aller österreichisch-ungarischen Probleme, könne niemals
durch Gewalt gelöst werden oder durch Drohungen. Jeder Versuch
in dieser Richtung würde vielmehr den europäischen Frieden ge-
fährden. Die eigene Geschichte lehrt die Monarchie, wohin es führe,
wenn sie die Politik der ruhigen Selbstbeherrschung verlasse.
Ich wiederhole meine Auffassung, daß bei militärischen Maß-
nahmen gegen Serbien gesamte öffentliche Meinung gegen Österreich-
Ungarn Stellung nehmen wird.
Lichnowsky
Nr. 56
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Generaldirektor
der Hapag1
Ganz geheim! Berlin, den 15. Juli 19141 2
Sehr verehrter Herr Baliin!
Entschuldigen Sie, wenn ich mit diesen Zeilen Ihre Badekur
störe, aber es handelt sich um eine Frage, welche auch Ihr stetes
Sorgenkind ist, unsere Beziehungen zu England.
Sie werden die Veröffentlichungen des Berliner Tageblatts über
gewisse maritime Abmachungen zwischen England und Rußland
gelesen haben, die ja schließlich zu einer Interpellation im Unter-
hause und der etwas gewundenen Inabredestellung Greys geführt
haben. Ich weiß nicht, woher diese Nachricht auch auf den Re-
daktionstisch Theodor Wolffs geflogen ist, ich wollte ihr zunächst
auch keinen rechten Glauben schenken, weil sie mir zu sehr im
Widerspruch zu unseren scheinbar gebesserten Beziehungen, als auch
zur Abneigung der englischen Politik gegen derartige Bindungen zu
stehen schien. Ich bin der Sache aber natürlich .nachgegangen und
habe — wie ich Ihnen im engsten Vertrauen mitteile — inzwischen
durch sehr geheime Quellen zu meinem Bedauern feststellen können,
daß die Nachricht doch ihre tatsächliche Unterlage hat. Lichno wsky
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 16. Juli 645 nachm, zur Post.
83
hat Grey auf das Tageblatt angeredet, und Grey hat nach einigem
Zögern die Sache auch nicht ganz in Abrede gestellt. Es ist nun
aber in Wirklichkeit noch mehr dahinter, als wohl Theodor Wolff
selbst wissen mag und der gute Lichnowsky glauben möchte. Es
wird tatsächlich zwischen London und Petersburg über ein Marine-
abkommen verhandelt, bei dem — dies wieder im tiefsten Ver-
trauen — von russischer Seite eine weitgehende militärisch-maritime
Kooperation erstrebt wird. Zum Abschluß sind diese Verhandlungen
trotz russischen Drängens noch nicht gelangt, zum Teil vielleicht,
weil Grey durch die Indiskretion des Tageblatts und des offenbaren
Widerstands bei einem Teil der liberalen Partei in England doch
etwas zögernd geworden ist. Aber die Russen scheinen sehr zu
drängen, und wer weiß, was sie als Gegenleistung bieten mögen.
Grey wird sich schließlich wohl doch dem Abschluß nicht wider-'
setzen, falls er nicht im Schoße der eigenen Partei oder des Kabinetts
auf Widerstand stößt. Er mag sich als Pilatus vor sich selbst
damit ausreden, daß die Verhandlungen nicht eigentlich zwischen
den Kabinetten, sondern zwischen den Marinebehörden geführt werden.
Ich lasse es auch dahingestellt, ob die Engländer mit der ihnen
eigenen Casuistik mit der Reservatio mentalis verhandeln und ab-
schließen, im kritischen Moment, wenn es ihnen nicht paßt, nicht
eingreifen zu wollen, weil ein Casus foederis voraussichtlich in dem
Abkommen nicht vorgesehen ist. Wenn nun auch das Abkommen
nach englischer Auffassung vielleicht in der Luft schweben möchte,
so würde es doch jedenfalls das Resultat haben, daß die aggressiven
Tendenzen Rußlands dadurch ganz wesentlich ermutigt werden
würden.
Die Bedeutung, die die Angelegenheit für uns haben würde,
brauche ich nicht näher darzulegen. An eine weitere Annäherung
an England wäre für uns dann kaum mehr zu denken. Es erscheint
mir daher sehr wichtig, noch einmal den Versuch zu machen, die
Sache zum Scheitern zu bringen. Vielleicht würde, wenn die liberale
Partei nochmals alarmiert oder ein Mitglied des Kabinetts ent-
schiedene Bedenken dagegen äußern würde, Grey doch noch vor
dem definitiven Abschluß zurückschrecken. Mein Gedanke war
nun, ob Sie durch Ihre vielfachen intimen Beziehungen zu maß-
gebenden Engländern — haben Sie nicht auch solche zu Lord Hal-
dane? — nicht einen Warnruf über den Kanal gelangen lassen
könnten. Ich denke mir die Sache etwa so: Sie schreiben, Sie
hätten in Kiel erfahren, daß die Veröffentlichungen des Tageblattes
doch ihre tatsächliche Unterlage hätten. Unsere Marinekreise wären
darüber sehr erregt gewesen, und Sie sähen daraus einen neuen
unabwendbaren und intensiven naval scare, neue weitgehende Flotten-
vorlagen entstehen. Auch in der Wilhelmstraße hätte man sehr
lange Gesichter gemacht und sich sorgenvoll gefragt, ob das ganze
mühsame Werk einer englischen Annäherung nun rettungslos in die
Brüche gehen sollte. Das Gefühl, daß der eiserne Ring um uns
84
sich doch immer enger schließen sollte, könnte bei der immer
drohender werdenden Erstarkung Rußlands und den immer aggressiver
werdenden Tendenzen des Panslawismus schließlich doch einmal
zu gefährlichen Konsequenzen führen.
Ob dieser Weg gangbar ist, ob er nützt, weiß ich nicht. Viel-
leicht können Sie mir einen anderen angeben. Ich meine, man
darf nichts unversucht lassen, um die Sache zum Scheitern zu
bringen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir Ihre Ansicht
mitteilen wollten und eventuell, was Sie tun zu können für möglich
halten. In jedem Fall wäre Eile geboten, damit inzwischen nicht
der Abschluß erfolgt, auf den Herr Poincare in Petersburg wohl
auch hin arbeitet.
Mit den besten Wünschen für eine gute Badekur bin ich
Ihr sehr ergebener
J ago w
Nachdem ich dies gestern abend geschrieben, lese ich heute früh
einen neuen Artikel von Wolff im Berliner Tageblatt. Seine Ge-
währsmänner scheinen die Dinge doch also auch ernster aufzufassen3 4.
3 »Nachdem ich dies............aufzufassen«, Nachschrift Jagows in der Aus-
fertigung, beigefügt am 16. Juli.
4 Siehe Nr. 57 und 254.
Nr. 57
Das Auswärtige Amt an den Reichskanzler1
Telegramm 13 Berlin, den 16. Juli 19141 2
Wien durch Erlaß an Tschirschky auf Notwendigkeit einer Ver-
ständigung mit Italien über Serbien hingewiesen.3
Ballin durch Privatbrief nahegelegt, englisch-russischer Marine -
konvention durch seine englischen Beziehungen entgegenzuarbeiten.4
Stumm
1 Nach dem Konzept von Stumms Hand. Auch die Hohenfinower Ent-
zifferung befindet sich jetzt bei den Akten.
2 Aufgegeben in Berlin 830 nachm., angekommen in Hohenfinow 846 nachm.
3 Siehe Nr. 46.
4 Siehe Nr. 56 und 254.
85
Nr. 58
Der Reichskanzler an den Staatssekretär für Elsaß-
Lothringen 1
Hohenfinow, den 16. Juli 19141 2
Lieber Graf Roedern!
Sie werden schon aus der Lektüre der Zeitungen ersehen haben,
daß die europäische Lage zur Zeit nicht frei von Gefahren ist. Im
Falle eines österreichisch-serbischen Konflikts kommt es vor allem
darauf an, diese Auseinandersetzung zu isolieren. Wir haben Grund
anzunehmen und müssen wünschen, daß das zur Zeit mit allerlei
Sorgen belastete Frankreich alles tun wird, um Rußland von einem
Eingreifen abzuhalten. Diese Aufgabe wird den heutigen Macht-
habern in Paris wesentlich erleichtert werden, wenn die französischen
Nationalisten in den nächsten Wochen keinen Agitationsstoff zur
Ausbeutung erhalten; ich habe deshalb in Berlin veranlaßt, daß
jede Preßpolemik mit Frankreich für die nächsten Wochen nach
Möglichkeit abgestoppt wird, und möchte Sie bitten, in Straßburg
ein gleiches zu tun. Es würde sich auch empfehlen, etwa dort
geplante administrative Maßnahmen, die in Frankreich agitatorisch
auf gegriffen werden könnten, um einige Wochen zu verschieben.
Wenn es uns gelingt, Frankreich nicht nur selbst stille zu halten,
sondern auch in Petersburg zum Frieden mahnen zu lassen, so wird
das eine für uns recht günstige Rückwirkung auf das französisch-
russische Bündnis haben3.
Mit herzlichen Grüßen Ihr sehr ergebener
v. Bethmann Hollweg
1 Nach dem Konzept. Im Entwurf geschrieben vom ständigen Hilfsarbeiter
im Auswärtigen Amt Legationsrat Dr. Riezler.
2 Abgegangen am 16. Juli.
3 Siehe Nr. 232.
86
Nr. 59
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 9 Fiuggi Fonte, den 17. Juli 19141 2
Erfahrene Zeitungsleiter, mit welchen ich über das österreichische
Vorgehen in Verbindung getreten, weisen darauf hin, daß es besser
sei, in den jetzigen leidlich indifferenten Zustand der italienischen
Presse nicht durch auffälliges Eintreten für Österreich vorzeitig eine
Polemik zu tragen, da Widerspruch bei heutiger italienischer Stimmung
gegen Österreich nicht ausbleiben würde. Gelegentlich eingestreute
vorsichtige Bemerkungen zugunsten Österreichs wurden zugesagt.
Es wurde mir vertraulich gesagt, daß österreichischer Botschafter
selbst gewünscht, daß nur etwa laut werdenden Angriffen gegen
Österreich entgegengetreten werde.
Wesentlich erscheint mir, auf die von Rom schwer zugängliche
Mailänder Presse, insbesondere Corriere della Sera, einzuwirken.
Stelle anheim, wie weit Einweihung und Mitwirkung k. Konsuls
Mailand an gezeigt.
Im Augenblick dürfte am wichtigsten sein, wenn möglich, auf
die italienischen Korrespondenten in Wien, insbesondere den sehr
ungünstig schreibenden Korrespondenten des Giornale d’Italia ein-
zuwirken. Von dort kommen bisher die einzigen wirklich ungünstigen
Äußerungen.
Flotow
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi Fonte u30 vorm., angekommen im Auswärtigen Amt
120 nachm. Eingangsvermerk: 17. Juli nachm. Am 18. Juli von Jagow
der Botschaft in Wien mitgeteilt, unter Beifügung folgender einleitender
Bemerkungen (Entwurf von Radowitz’ Hand):» Zu Ew. Exz. Information
und Verwertung gegenüber Graf Berchtold: Der k. Botschafter in Rom
ist, einem hier geäußerten Wunsch der österreichisch-ungarischen Re-
gierung entsprechend, ebenso wie die k. Vertreter in London und Bu-
karest, aufgefordert worden, auf die Presse in einem für Österreich freund-
lichen Sinne einzuwirken. Herr von Flotow meldet unter derp 17. d. M„
folgendes: [folgt obenstehender Bericht unter Weglassung des zweiten
Absatzes]». Erlaß nach Wien abgegangen am 18. Juli 8° nachm.
87
Nr. 60
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm io Fiuggi, den 17. Juli 19141 2 3
Bei rein theoretischer Erörterung des möglichen österreichisch-
serbischen Konflikts — denn er ist noch nicht eingeweiht — äußerte
Marquis di San Giuliano, eine Niederwerfung Serbiens oder' gar
österreichische Annexion könnte ebensowenig wie von Italien auch
von Rumänien geduldet werden. Ich halte es nicht für ausgeschlos-
sen, daß er gelegentlich in Bukarest eine Aussprache über den Gegen-
stand herbeiführt.
Flotow
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi 210 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
46 nachm. Eingangsvermerk: 17. Juli nachm. Am 18. Juli von Jagow
telegraphisch der Botschaft in Wien mitgeteilt, mit Auslassung der Worte
»denn.........eingeweiht« und folgendem Zusatze: »Da San Giuliano über
unsere jüngste Demarche in Bukarest nicht informiert ist, habe ich Grafen
Waldburg angewiesen, auf deren Geheimhaltung hinzuwirken«. Telegramm
(Entwurf von Bergens Hand, mit Änderungen Stumms und Zimmermanns)
815 nachm, zum Haupttelegraphenamt gegeben. Betreffend Mitteilung
des Flotowschen Telegramms an den Geschäftsträger in Bukarest siehe Nr. 63
Nr. 61
Dev Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Geheim! Berlin, den 17. Juli 19142 3
Wie Ew. Exz. aus der Verlesung der Aufzeichnung des Grafen
Hoyos über seine Unterredung mit dem Herrn Unterstaatssekretär
bekannt ist, hat Graf Hoyos hier geäußert, Österreich müsse Serbien
völlig aufteilen4 *.
Graf Berchtold und Graf Tisza haben hierzu bemerkt, daß
diese Äußerung nur die persönliche Ansicht des Grafen Hoyos
widergäbe, haben sich also mit ihr ausdrücklich nicht identifiziert,
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 Abgegangen am 17. Juli.
3 Siehe Nr. 18.
4 In Jagows Konzept ursprünglich geschriebenes »zerschlagen« von ihm in
»aufteilen« geändert.
88
sich aber scheinbar über ihre territorialen Pläne auch nicht weiter
ausgelassen.
Für die diplomatische Behandlung des Konflikts mit Serbien
wäre es von dessen Beginn an nicht unwichtig zu wissen, welches
die Ideen der österreichisch-ungarischen Staatsmänner über die
künftige Gestaltung Serbiens sind, da diese Frage von wesentlichem
Einfluß auf die Haltung Italiens und auf die öffentliche Meinung und
die Haltung Englands sein wird.
Daß die Pläne der Staatsmänner der Donaumonarchie durch den
Gang der Ereignisse beeinflußt und modifiziert werden können, ist
wohl als selbstverständlich anzusehen, immerhin sollte man annehmen,
daß das Wiener Kabinett sich doch sc'hon ein allgemeines Bild der
zu erstrebenden Ziele auch in territorialer Hinsicht gemacht hat.
Ew. Exz. wollen versuchen, im Gespräch mit dem Grafen Berchtold
sich hierüber eine Aufklärung zu verschaffen, dabei aber den Ein-
druck vermeiden, als wollten wir der österreichischen Aktion von
vornherein hemmend in den Weg treten oder ihr gewisse Grenzen
oder Ziele vorschreiben. Es wäre uns nur von Wert, einigermaßen
darüber orientiert zu sein, wohin der Weg etwa führen soll.
v. Jagow
Nr. 62
Der Botschafter in London an den Reichskanzler1
London, den 16. Juli 1914 1 2
Vom Standpunkt des Grafen Berchtold ist es vollkommen be-
greiflich, daß er seine durch den Bukarester Frieden stark er-
schütterte Stellung und den durch den Abfall Rumäniens verminderten
Einfluß der Monarchie auf dem Balkan dadurch wieder zu heben
gedenkt, daß er die jetzige verhältnismäßig günstige Gelegenheit zu
einem Waffengange mit den Serben benutzt. Die leitenden mili-
tärischen Persönlichkeiten in Österreich haben bekanntlich schon
seit längerer Zeit dahin gedrängt, das Ansehen der Monarchie durch
einen Krieg zu befestigen. Einmal war es Italien, dem der Irreden-
tismus ausgetrieben, ein andermal Serbien, das durch Kriegstaten
ä la Prinz Eugen zur Entsagung und zu besseren Sitten gezwungen
werden sollte. Ich begreife, wie gesagt, diesen Standpunkt der
österreichischen Staatsleiter und würde in ihrer Lage vielleicht schon
früher die serbischen Wirren dazu benutzt haben, um die süd-
slawische Frage im habsburgischen Sinne zu lösen.
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 18. Juli vorm.
8g
Die erste Voraussetzung für eine derartige Politik müßte aber
ein klares Programm sein, das auf der Erkenntnis beruht, daß der
heutige staats- und völkerrechtliche Zustand innerhalb der serbo-
kroatischen Völkerfamilie, der einen Teil dieser nur durch die Re-
ligion, nicht aber durch die Rasse gespaltenen Nation dem öster-
reichischen, einen anderen dem ungarischen Staat, einen dritten
der Gesamtmonarchie und einen vierten und fünften endlich unab-
hängigen Königreichen zuweist, auf die Dauer nicht haltbar ist.
Denn das Bestreben, den geheiligten Status quo aus Bequemlich-
keitsgründen unter allen Umständen aufrechtzuerhalten, hat schon
oft und so erst bei der jüngsten Balkankrise zu einem völligen
Zusammenbruch des auf diesen Grundlagen erbauten politischen
Kartenhauses geführt.
Zunächst bezweifle ich nun, daß in Wien ein großzügiger Plan,
der allein die Grundlagen einer dauernden Regelung der südslawischen
Frage bieten würde, ich meine den Trialismus mit Einschluß Serbiens,
gefaßt worden ist. Nach meiner Kenntnis der dortigen Verhältnisse
glaube ich auch gar nicht, daß man in der Lage ist, eine derartige
staatsrechtliche Umgestaltung der Monarchie in die Wege zu leiten.
Denn es wäre hierzu vor allem der Widerstand Ungarns zu über-
winden, das sich gegen eine Abtretung von Kroatien mit Fiume
auf das Äußerste wehren würde. Zur Durchführung eines der-
artigen Programms fehlt es in Wien auch an der hierzu geeigneten
kraftvollen Persönlichkeit. Man sucht dort vielmehr meist nur den
Bedürfnissen des Augenblicks zu genügen und ist froh, wenn die
vielen politischen Schwierigkeiten, die niemals aussterben, da sie
sich aus der Verschiedenartigkeit der Zusammensetzung des Reiches
ergeben, so weit behoben sind, daß Aussicht besteht, wieder einige
Monate fortwursteln zu können.
Eine militärische Züchtigung Serbiens hätte daher niemals den
Zweck oder das Ergebnis einer befriedigenden Lösung der so über-
aus schwierigen südslawischen Frage, sondern bestenfalls den Erfolg, die
mühsam beigelegte orientalische Frage von neuem ins Rollen gebracht
zu haben, um Österreich eine moralische Genugtuung zu verschaffen.
Ob Rußland und Rumänien hierbei müßig Zusehen und Öster-
reich freie Hand lassen würden, werden Ew. Exz. besser zu beur-
teilen in der Lage sein als ich. Nach meinen hiesigen Eindrücken,
namentlich aber nach den vertraulichen Unterhaltungen, die ich mit
Sir Edward Grey gehabt habe, glaube ich, daß meine kürzlich in
Berlin vertretenen Ansichten über die Absichten Rußlands uns gegen-
über zutrafen. Sir Edward Grey versichert mir, daß man in Ruß-
land nicht daran denke, mit uns Krieg führen zu wollen. Ähn-
liches sagt mir mein Vetter Graf Benckendorff. Eine gewisse anti-
* deutsche Stimmung kehre dort von Zeit zu Zeit regelmäßig wieder,
das hänge mit dem slawischen Empfinden zusammen. Dieser
Strömung gegenüber bestehe aber immer eine starke prodeutsche
Partei. Weder der Kaiser noch irgend eine der maßgebenden Person-
9°
lichkeiten sei antideutsch und seit der Beilegung der Limanfrage sei
keine ernste Verstimmung wieder eingetreten. Hingegen gab Graf
Benckendorff offen zu, daß ein starkes antiösterreichisches Emp-
finden in Rußland hestehe. Es denke aber dort niemand daran,
Teile von Österreich, wie etwa Galizien, erobern zu wollen.
Ob angesichts dieser Stimmung es möglich sein würde, die
russische Regierung beim österreichisch-serbischen Waffengange zur
passiven Assistenz zu bewegen, vermag ich nicht zu beurteilen.
Was ich aber glaube, mit Bestimmtheit sagen zu können, ist, daß
es nicht gelingen wird, im Kriegsfälle die öffentliche hiesige Meinung zu-
ungunsten Serbiens zu beeinflussen, selbst durch Heraufbeschwörung
der blutigen Schatten Dragas und ihres Buhlen, deren Beseitigung
vom hiesigen Publikum schon längst vergessen ist und daher zu
den historischen Ereignissen gehört, mit denen, soweit außer-
britische Länder in Frage kommen, man hier im allgemeinen weniger
Vertrautheit besitzt, als bei uns etwa der durchschnittliche Quartaner.
Ich bin nun weit entfernt, für eine Preisgabe unserer Bundes-
genossenschaft oder unseres Bundesgenossen einzutreten. Ich halte
das Bündnis, das sich in dem Empfindungsleben beider Reiche ein-
gelebt hat, für notwendig und schon mit Rücksicht auf die vielen
in Österreich lebenden Deutschen für die natürliche Form ihrer
Zugehörigkeit zu uns. Es fragt sich für mich nur, ob es sich für
uns empfiehlt, unseren Genossen in einer Politik zu unterstützen,
bzw. eine Politik zu gewährleisten, die ich als eine abenteuerliche
änsehe, da sie weder zu einer radikalen Lösung des Problems noch
zu einer Vernichtung der großserbischen Bewegung führen wird.
Wenn die k. u. k. Polizei und die bosnischen Landesbehörden den
Thronfolger durch eine »Allee von Bombenwerfern« geführt haben,
so kann ich darin keinen genügenden Grund erblicken, damit wir
den berühmten pommerschen Grenadier für die österreichische
Pandurenpolitik aufs Spiel setzen, nur damit das österreichische
Selbstbewußtsein gekräftigt werde, das in diesem Falle, wie die Ära
Ährenthal gezeigt hat, sich als vornehmste Aufgabe die möglichste
Befreiung von der Berliner Bevormundung hinstellt.
Sollte aber wirklich für unsere politische Haltung die Ansicht
ausschlaggebend sein, daß nach Verabreichung des »Todesstoßes« an
die großserbische Bewegung das glückliche Österreich, von dieser
Sorge befreit, sich uns für die geleistete Hilfe dankbar erweisen
wird, so möchte ich die Frage nicht unterdrücken, ob nach Nieder-
werfung des ungarischen Aufstandes durch die Hilfe des Kaisers
Nikolaus und die vielseitige Inanspruchnahme des Galgens nach
Bezwingung der Ungarn bei Vilägos und unter der Oberleitung des
kaiserlichen Generals Haynau die nationale Bewegung in Ungarn er-
drückt wurde, und ob die rettende Tat des Zaren ein inniges und
vertrauensvolles Verhältnis zwischen beiden Reichen begründet hat.
Lichnowsky
Nr. 63
91
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Geschäftsträger
in Bukarest1
Telegramm 38 Berlin, den 18. Juli 19141 2
Geheim!
Zur persönlichen Information
Der k. Botschafter in Rom telegraphiert:
»Bei rein theoretischer...... herbeiführt3.«
Marquis San Giuliano ist weder über Brief Kaiser Franz Josephs
an unsern Allergnädigsten Herrn noch über unsere Demarche in
Bukarest informiert. Bitte daher dafür zu sorgen, daß die von Ew. IT.
dem König Carol übermittelten vertraulichen Mitteilungen Sr. M. des
Kaisers und Königs streng geheim gehalten und auch nicht zur
Kenntnis des dortigen italienischen Vertreters gebracht werden.
Jagow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Bergens Hand mit Änderungen Jagows.
2 330: nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Hier ist das Telegramm Flotows vom 17. Juli (Nr. 60), unter Fortlassung
der Worte »denn er ist noch nicht eingeweiht«, eingefügt. Die Worte
»weder über — informiert« von Jagow eingefügt aus ursprünglichem »über
unsere jüngste Demarche dort nicht informiert« in Bergens Entwurf.
Nr. 64
Der Botschafter in Rom an den Reichskanzler1
Fiuggi, den 16. Juli 1914 2
Meiner anderweitigen Meldung über die Abfassung eines Rechts-
gutachtens des Staatsministers Fusinato3, betreffend den öster-
reichisch-serbischen Streitfall und die Stellung des Marquis di San
Giuliano dazu, möchte ich noch hinzufügen, daß der Minister mit
großer Entschiedenheit den Standpunkt vertrat, Österreich dürfe
nicht in Belgrad wegen der großserbischen Propaganda reklamieren,
solange diese Propaganda nicht in Österreich selbst zur Tat über-
gehe. Die Ermordung des Thronfolgers sei als solche nicht anzu-
sehen, da sie nicht von einem serbischen Untertan begangen worden
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 18. Juli nachm. Am 19. Juli in
Abschrift der Botschaft in Wien »zur gefl. vertraulichen Information und
geeigneten Verwendung gegenüber Graf Berchtold« übersandt.
3 Siehe Nr. 42.
92
sei. Wenn Österreich beabsichtige, die serbischen Nationalitäts-
bestrebungen mit Gewalt zu unterdrücken, so sei es für irgendeine
italienische Regierung ganz unmöglich, ihr auf diesem Wege zu
folgen; alle Traditionen4 der Nationalitätsidee und des liberalen
Prinzips zwängen Italien, sich von dieser Bahn fernzuhalten.
Wer mit der Phrasenherrschaft der lateinischen Völker vertraut
ist, wird nicht verkennen, daß es in der Tat für eine italienische
Regierung nicht leicht ist, eine andere Haltung einzunehmen. Be-
reits werden Stimmen laut, die mit Rücksicht auf den gleichartigen
geschichtlichen italienischen Nationalitätskampf die Bekämpfung der
serbischen Nationalitätsbestrebungen als immöglich bezeichnen. Die
Plattform des österreichischen Vorgehens ist daher für die hiesige
öffentliche Meinung durchaus ungünstig. Wenn ich den Standpunkt
des Ministers ziemlich lebhaft bekämpft habe, so geschah es weniger,
weil ich diesen Standpunkt nicht begriff, als weil ich wünschte, ihn
indirekt zu einer Andeutung darüber zu bringen, ob er auch im
Falle ernster europäischer Komplikation dem Bundesgenossen die
Hilfe versagen würde. Bis zu einer abschließenden Erklärung
darüber konnte der Minister schon aus dem Grunde nicht gehen,
weil die österreichischen Forderungen eine Formulierung noch nicht
gefunden haben. Ich habe aber den Eindruck gewonnen, daß es
außerordentlich schwer, wenn nicht unmöglich sein wird, Italien auf
diesem Gebiete zur Gefolgschaft zu bringen. Es spielen in diese
Angelegenheit nicht nur die vorliegende akute Frage, sondern vor
allem auch die hier herrschende Stimmung gegen Österreich und
auch die eigene psychologische Verfassung des Marquis di San Giuliano
hinein. Noch vor einem Jahre sahen die Dinge anders aus. Aber
seit den bekannten Triester Erlassen des Prinzen Hohenlohe ist die
kaum latent gewordene geschichtliche Abneigung gegen Österreich
allmählich mehr und mehr wieder erwacht, und es ist in der Tat
schwer, sich augenblicklich eine weitgehende österreichisch-italienische
Kooperation praktisch vorzustellen. Der Marquis di San Giuliano,
der die Pflege der Beziehungen zu Österreich als eine Art politischen
Programms seiner Minist erschaff betrachtet hat, ist enttäuscht und
fühlt sich nicht mehr von der Volksstimmung getragen. Er sagte
mir noch gestern, er sehe so viele schwarze Punkte für die weitere
Gestaltung des italienisch-österreichischen Verhältnisses, daß er fast
an einer weiteren Arbeit verzweifle.
Ich habe ihm an der Hand vieler Gründe gesagt, ich sei auch
heute noch überzeugt, daß für Italien das Bundesverhältnis zu
Österreich die beste Politik sei. Zeitweilige Störungen, wie die
jetzige, müßten überwunden werden. Der Minister meinte, solange
er noch da sei, wolle er ja auch in diesem Sinne wirken. Aber er
arbeite ohne große Hoffnung.
F lo t o w
4 Ausfertigung irrig: Tradition.
93
Nr. 65
Der Botschaftsrat in Wien an den Reichskanzler1
Geheim! Wien, den 17. Juli 19141 2
Wie mir Graf Berchtold sagt, soll die Note, welche die an
Serbien zu stellenden Forderungen enthält, am Donnerstag, den
23. d. M. nachmittags, in Belgrad überreicht werden3. In dem Wunsche,
die Angelegenheit möglichst zu beschleunigen, habe man das Datum
um einige Tage verfrüht und den Tag der Abreise des Herrn Poincare
aus St. Petersburg hierfür festgesetzt. Man rechnet damit, daß der
Präsident sich bereits eingeschifft haben würde, wenn die Belgrader
Demarche in St. Petersburg bekannt werde.
Der Wortlaut der Note, so sagt mir der Minister, ist noch
nicht definitiv festgestellt, und es finden noch Verhandlungen mit
Graf Tisza statt; am Mittwoch, den 22. d. M., soll sie S. M. dem
Kaiser Franz Joseph zur endgültigen Genehmigung vorgelegt werden.
Graf Berchtold ließ die Hoffnung durchblicken, daß Serbien
die Forderung Österreich-Ungarns nicht annehmen werde, da ein
bloßer diplomatischer Erfolg hierzulande wieder eine flaue Stimmung
auslösen werde, die man absolut nicht brauchen könne.
W. Prz. Stolberg
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts 18. Juli nachm. Ausfertigung
wurde am 18. Juli an den Kaiser gesandt, von ihm am 20. Juli zurück-
gegeben, am 23. Juli wieder in Berlin. Abschrift am 18. Juli vom Aus-
wärtigen Amt an den Reichskanzler geschickt.
3 Siehe Nr. 67 und 69.
Nr. 66
Der Geschäftsträger in Bukarest an den Reichskanzler1
Geheim! Sinaia, den 14. Juli 19142
Graf Czernin hatte, wie mir S. M. der König letzten Freitag
sagte3, tags zuvor bei Höchst demselben Audienz gehabt. Ob und
welche Mitteilungen der österreichische Gesandte zu machen hatte,
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 18. Juli nachm. Am 21. Juli der
Botschaft in Wien mitgeteilt.
3 Freitag 10. Juli; siehe Nr. 41.
94
entzieht sich meiner Kenntnis. Meinen Ausführungen gegenüber
zeigte S. M. weder Überraschung noch Beunruhigung.
Ich hatte den Eindruck, daß dem Könige, auch abgesehen von
Höchstdessen Auffassung, daß Bulgarien jetzt nicht bündnisfähig
sei, auch der augenblickliche Zeitpunkt nicht geeignet erscheine, der-
artigen bindenden Abmachungen, wie sie Kaiser Franz Joseph vorschlägt,
näher zu treten. S. M. vertritt vielmehr die Ansicht, daß die
Veränderungen am Balkan noch nicht zum Abschluß gelangt sind
und man sich dort augenblicklich in einem Übergangsstadium be-
fände, das für derartige Abmachungen, die ruhigere Zeiten erfordern,
nicht vorteilhaft wäre.
Höchst derselbe hat sich auch darüber nicht spontan ausgespro-
chen, ob Er von Serbien abrücken und der gegen den Bestand der
Donaumonarchie gerichteten Agitation in Rumänien entgegentreten
könnte. Ich hatte mich daher in der Befürchtung, die Audienz
werde ihr Ende erreichen, bevor mir auf die Bitten unseres Aller-
gnädigsten Herrn eine Antwort zuteil würde, veranlaßt gesehen, an
S. M. die Frage zu richten, welche Stellung Sie Aller höchst denselben
gegenüber einnehme. Aus der mir erteilten Antwort war zu ent-
nehmen, daß der Monarch sowohl von Serbien abzurücken, als auch
der hier im Lande herrschenden Agitation gegen Österreich-Ungarn
entgegenzutreten bereit ist. Allerdings knüpft sich an die Gewäh-
rung der letzteren Bitte die Erwartung, daß in Ungarn das Be-
streben gezeigt wird, dem Könige diese Aufgabe dadurch zu er-
leichtern, daß man den dortigen Rumänen gewisses Entgegenkom-
men erweise. Es unterliegt keinem Zweifel, daß es bei der Aus-
dehnung, die die österreichfeindliche Stimmung hierzulande nun
einmal genommen hat, wohl eines Hinweises auf den guten Willen
der Nachbarmonarchie bedürfen wird, um allmählich eine Beschwich-
tigung der Gemüter herbeizuführen. Dies dürfte sich ferner schon
aus dem Grunde empfehlen, weil man wohl darauf gefaßt sein darf,
daß von französischer und russischer Seite alles geschehen wird,
um die österreichfeindliche Agitation zu schüren, in der Absicht,
Rumänien von Österreich und damit vom Dreibund loszulösen.
S. M. meinte, die Agitation werde über den Sommer wohl 2ur Ruhe
kommen, im Winter aber aufs neue entbrennen können. Graf Tisza
habe einen viel versprechenden Anlauf genommen, um die Frage
der ungarländischen Rumänen einer Lösung entgegenzubringen; allein
es sei leider dabei geblieben. Unterdessen habe sich auch auf un-
garischer Seite, insbesondere auch in der Presse, eine Agitation
gegen Rumänien gebildet, die eine Verständigung nur noch erschwere.
Tatsächlich besteht nunmehr auf beiden Seiten der Karpathen
eine gereizte Stimmung, die bei jedem Anlaß in der Presse zum
Ausdruck kommt. Es war sicherlich ein Fehler, daß die österreichisch-
ungarischen Zeitungen die Aktion des Grafen Tisza mit solcher
Emphase verkündet haben. Hierdurch sind die Erwartungen,
95
die sich hier an dieselbe knüpften, nur noch gesteigert worden.
Die Enttäuschung aber war eine doppelte, als das gewünschte
Resultat ausblieb oder doch unbefriedigend erschien. Wenn die
ungarische Regierung die Führer der Agitation etwa durch ge-
s< hickte Verwendung im Staatsdienste mundtot zu machen ver-
möchte, so würde auch nach Ansicht hiesiger leitender Persönlich-
keiten viel gewonnen sein.
Von den Mitteilungen, die ich S. M. gemacht habe, wollte
Höchstderselbe, wie er mir sagte, auch Herrn Bratianu Kenntnis
geben.
Waldburg
Nr. 67
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Gesandten
im kaiserlichen Gefolge1 "
Telegramm 82 Berlin, den 18. Juli 1914 1 2
Privat, Geheim!
Bitte um genaue Angabe der Reiseroute von S. M. S. Hohen-
zollern vom 23. ab. An dem Tage soll bekanntlich österreichische
Demarche in Belgrad erfolgen3 — beabsichtigt scheint 48-stündiges
Ultimatum — und es wird von der Entwicklung der Ereignisse
abhäugen, ob und wann Anwesenheit S. M. hier erforderlich sein
dürfte. Bitte eventuell Admiral von Müller ins Vertrauen zu
ziehen, S. M. aber nicht vorzeitig zu beunruhigen.
Da wir eventuellen Konflikt zwischen Österreich und Serbien zu
lokalisieren wünschen, dürfen wir Welt durch verfrühte Rückkehr
Sr. M. nicht alarmieren, andererseits müßte Allerhöchst derselbe er-
reichbar sein, falls nicht vorherzusehende Ereignisse auch für uns
wichtige Entscheidungen (Mobilmachung) benötigen sollten. Eventuell
wäre an Kreuzen in der Ostsee für letzte Reisetage zu denken4.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 Abgegangen 55 nachm.
3 Siehe Nr. 65.
4 Siehe Nr. 79.
ktenstücke l.
9
96
Nr. 68
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Berlin, den 18. Juli 19141 2
Graf Szögydny hat heute den in anliegender Notiz3 * angegebenen
Auftrag ausgeführt.
Zunächst scheinen die inzwischen bereits dementierten Zeitungs-
meldungen über Truppenansammlungen in Bari der tatsächlichen
Grundlage zu entbehren. Ebenso unwahrscheinlich ist es mir, daß
Italien zu einer Aktion gegen Valona, wenn überhaupt, so ohne vor-
heriges Benehmen mit Wien schreiten sollte.
Den von Graf Berchtold gewünschten Schritt in Athen zu tun,
ist der k. Geschäftsträger daselbst angewiesen worden und der k. Bot-
schafter in Rom davon behufs Mitteilung an Marquis San Giuliano
informiert worden. Was jedoch den Vorschlag einer internationalen
Flottendemonstration und die Besetzung Valonas durch Detachements
mehrerer Mächte betrifft, so sprechen für mich folgende Gründe da-
gegen. Falls Valona von den Aufständischen eingenommen werden
sollte, so würde eine einfache Flottendemonstration kaum mehr ge-
nügen, um die Räumung der Stadt herbeizuführen, und es müßte, wie
auch Graf Berchtold dies offenbar im Auge hat, zur Landung von De-
tachements und eventuell zum Kampf gegen die Aufständischen ge-
schritten werden. Zur Verwendung weiterer Truppen in Albanien
würden sich aber die Mächte kaum bereit finden. Die Erklärungen
Sir Edward Greys lassen 1 ierauf mit Bestimmtheit schließen, eben-
sowenig dürfte auf eine Teilnahme Rußlands oder Frankreichs an
einer derartigen Aktion zu rechnen sein. Wir selbst wollen unsere
Truppen nicht zu Kämpfen in Albanien verwenden. Es Ft mir daher
zu meinem Bedauern nicht möglich, Italien eine Anregung zu sug-
gerieren, der wii dann selbst keine Folge leisten könnten.
Schließlich möchte ich der Erwägung des Grafen Berchtold an-
heimgeben, ob eine Beschäftigung Italiens in Valona nicht die öster-
reichische Akiion gegen Serbien wesentlich erleichtern könnte. Man
darf sich in Wien — wie ich dies schon an anderer Stelle ausgeführt
habe — keiner Illusion darüber hingeben, daß ein österreichischer
Angriff auf Serbien in Italien nicht nur eine sehr ungünstige Auf-
nahme finden, sondern voiaussichtlich auf direkten Widerstand stoßen
wird. Ich halte deswegen eine6 rech tzeitige Auseinandersetzung des
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 Abgegängen am 18. Juli.
8 Das ist eine Mitteilung der k. u. k. Botschaft in Berlin betr. die eventuelle
Besetzung Valonas durch Italien.
97
Wiener Kabinetts mit dem römischen für dringend geboten und
meine, daß diese wesentlich erleichtert werden könnte, wenn Italien
mit österreichischer Zustimmung in Albanien engagiert würde.
Ew. Exz. wollen sich dem Grafen Berchtold gegenüber mit Nach-
druck in diesem Sinne aussprechen.
v. Jagow
Nr. 69
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Gesandten im
kaiserlichen Gefolge1
Telegramm 84 Berlin, den 18. Juli 19142 3
Zum Vortrag
Nach Mitteilung der Botschaft Wien wird österreichisch-unga-
rische Demarche in Belgrad am 23. d. M. erfolgen.
Jagow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Zimmermanns Hand.
a 730 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 65 und 80.
Nr. 70
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Telegramm 122 Berlin, den 18. Juli 19141 2
Norddeutsche bringt morgen Bemerkungen zum österreichisch-
serbischen Streit, die mit Rücksicht auf europäische Diplomatie ab-
sichtlich milde gefaßt sind. Das hochoffiziöse Blatt sollte nicht vor-
zeitig alarmieren. Bitte dafür zu sorgen, daß dies nicht fälschlicher-
weise als deutsches Abrücken von dortiger Entschlossenheit gedeutet
wird.
J ago w
1 Nach dem Konzept. Entwurf von der Hand des ständigen Hilfsarbeiters
im Auswärt gen Amt Legationsrats Esternaux mit einigen Änderungen
von der Hand des Vortragenden Rats im Auswärtigen Amt Wirkl. Ge-
heimen Legationsrats Dr. Hammann.
2 910 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
9*
98
Nr. 71
Der Botschafter in Konstantinopel an das Auswärtige Amt1
Telegramm 349 Konstantinopel, den 18. Juli 19141 2
Geheim!
Von der angekündigten, aber immer wieder hinau^geschobenen
Demarche Österreichs in Belgrad wird hier bereits als von einer
nicht recht ernst zu nehmenden Angelegenheit gesprochen. Namentlich
in den Kreisen der Triple-Entente ist man fest überzeugt, daß
Serbien die papierenen Forderungen Österreichs sämtlich annehmen
und daß dann alles beim alten bleiben werde. Markgraf Pallavicini
ist sich zwar der Bedeutung des Momentes für die Zukunft des
Dreibundes wohl bewußt, scheint aber selbst zu bezweifeln, daß man
in Wien wirklich kraftvolle Entschlüsse fassen werde. Er erhofft
die Rettung Österreichs weniger von energischen Handlungen semer
Regierung als von der Anbahnung neuer Bündnisse und möchte
deshalb die Türkei über Bulgarien an Österreich anschließen. Ich
bekämpfe diesen Gedanken lebhaft. Die Türkei ist zweifellos heute
noch vollkommen bündnisunfähig3. Sie würde ihren Verbündeten
nur Lasten auferlegen, ohne ihnen die geringsten Vorteile bieren zu
können. Der Anschluß der Türkei an Bulgarien würde Rußlands
Gegenstoß in Armenien geradezu provozieren. Die Politik des Drei-
bundes muß sein, die Türkei bei ihren.........4 und seine Be-
ziehungen zu ihr so zu gestalten, daß, falls die Türkei nach Jahren
tatsächlich zu einem Machtfaktor werden sollte, die Fäden nicht
abgeschnitten sind. Fürs erste kann man der Türkei nur raten,
jedem politischen Abenteuer fernzubleiben und mit allen Ländern
gute Beziehungen zu unterhalten. Auch die neutrale Türkei wird
immer einige russische Korps an der armenischen Grenze festhalten.
Wangenheim
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Konstantinopel 18. Juli 110 nachm., angekommen im Aus-
wärtigen Amt 19. Juli >30 vorm. Eingangsvermerk: 19 Juli vorm. Am
19. Juli teilt Jagow durch Erlaß dem Botschafter in Wien mit: »Zur
Information. Der k. Botschafter in Konstantinopel, der von der Pailavicini-
Berchtoldschen Anregung, die Türkei an unsere Mächtegruppe anzu-
schließen, nicht unterrichtet war, schreibt in einem Bericht: ,Markgraf
Pallavicini erhofft die Rettung Österreichs von der Anbahnung neuer
Bündnisse und möchte.............. festhaltenS
3 Siehe Nri 117.
4 Hier fehlen einige Zifferngruppen; die Worte »Die Türkei bei ihren und«
hat Jagow im Schreiben an die Botschaft in Wien gestrichen.
99
Nr 72
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in London (Privatbrief)1
Berlin, den 18. Juli 1914
Lieber Lichnowsky!
Ihr Urteil über unsere Politik, wie sie Ihr serbischer Bericht*
enthält, ist mir sets weit voll, und ich glaube, daß der Reichskanzler
darüber ebenso denkt. Ich stehe auch nicht an, viele Ihrer Bemer-
kungen als berechtigt anzuerkennen. Aber wir haben nun einmal ein
Bündnis mit ös erreich : hic Rhodus, hic salta. Auch darüber, ob wir bei
dem Bündnis mit dem sich immer mehr zersetzenden Staatengebilde
an der Donau ganz auf unsere Rechnung kommen, läßt sich dis-
kutieren, abe* ich s ge da mit dem Dichter — ich glaube, es war
Bus-h—: »Wenn Dir die Gesellschaft nicht mehr paßt, such* Dir
eine a- de e, wenn Du eine hast.« Und zu einem vollen Erfolg
bietenden Verhältnis zu England sind wir leider noch immer nicht
gekommen, konnten nach allem, was vorausgegangen, auch gar nicht
dazu kommen — wenn wir überhaupt je dazu kommen können.
Österreich, welches durch seine mangelnde Aktionskraft mehr
und mehr Einbuße an seinem Ansehen erlitten hat, zählt schon
jeizt kaum mehr als vollwertige Großmacht. Die Balkankrise hat
seine Stellung noch geschwächt. Durch dieses Zurückgehen der
oster eicl is' hen Machtstellung ist auch unsere Bündnisgruppe ent-
schieden geschwächt worden.
Österreich will sich die serbische Minierarbeit nicht mehr ge-
fallen lassen, ebensowenig die fortgesetzt provokatorische Haltung
des kleinen Nachbarn in Belgrad. — Siehe die Sprache der serbischen
Presse — und Herrn Paschitschs. Es erkennt wohl, daß es viele Ge-
legenheiten versäumt hat, und daß es jetzt noch handeln kann, in
einigen Jahren vielleicht nicht mehr. Österreich will sich jetzt
mit Serbien auseinandersetzen und hat uns dies mit geteilt. Während
der ganzen Balkank ise haben wir mit Erfolg im Sinne des Friedens
vermittelt, ohne Österreich dabei in kritischen Momenten zur Passivität
gezwungen zu haben. Daß wir trotzdem — zu Unrecht — in Öster-
reich vielfach der Flaumacherei beschuldigt sind, ist mir gleichgültig.
Wir h ben auch jetzt Austria nicht zu seinem Entschluß getrieben.
Wir können und dürfen aber ihm nicht in den Arm fallen. Wenn
wir das täten, könnte Österreich (und wir selbst) uns mit Recht
vorwerfen, daß wir ihm seine letzte Möglichkeit politischer Rehabili- 1 2
1 Nach einer vom Fürsten Lichnowsky zur Verfügung gestellten Abschrift
in Maschinenschrift.
2 Siehe Nr. 30.
tierung verkehrt haben. Dann würde der Prozeß seines Dahin-
sieehens und inneren Zerfalls noch beschleunigt. Seine Stellung im
Balkan wäre für immer dahin. Daß eine absolute Stabilisierung der
russischen Hegemonie im Balkan indirekt auch für uns nicht admissibel
ist, werden Sie mir wohl zugeben. Österreichs Erhaltung, und zwar
eines möglichst starken Österreichs, ist für uns aus inneren und
äußeren Gründen eine Notwendigkeit. Daß es sich nicht ewig wird
erhalten lassen, will ich gern zugeben. Aber inzwischen lassen sich
vielleicht Kombinationen finden.
Wir müssen sehen, den Konflikt zwischen Österreich und Serbien
zu lokalisieren. Ob dies gelingen kann, wird zunächst von Rußland
und in zweiter Linie von dem mäßigenden Einfluß seiner Entente-
brüder abhängen. Je entschlossener sich Österreich zeigt, je energischer
wir es stützen, um so eher wird Rußland still bleiben. Einiges Ge-
polter in Petersburg wird zwar nicht ausbleiben, aber im Grunde ist
Rußland jetzt nicht schlagfertig. Frankreich und England werden
jetzt auch den Krieg nicht wünschen. In einigen Jahren wird
Rußland nach aller kompetenten Annahme schlagfertig sein. Dann
erdrückt es uns durch die Zahl seiner Soldaten, dann hat es seine
Ostseeflotte und seine strategischen Bahnen gebaut. Unsere Gruppe
wird inzwischen immer schwächer. In Rußland weiß man es wohl,
und will deshalb für einige Jah:e absolut noch Ruhe. Ich glaube
gern Ihrem Vetter Benckendorff, daß Rußland jetzt keinen Krieg
mit uns will. Dasselbe versichert auch Sasonow, aber die Regierung
in Rußland, die heute noch friedliebend und halbwegs deutsch-
freundlich ist, wird immer schwächer, die Stimmung des Slawentums
immer deutschfeindlicher. Wie Rußland uns im Grunde behandelt,
zeigt der vorige Herbst. Während der Balkankrise konnte es uns
nicht genug danken für unsere beruhigende Einwirkung. Kaum war
die akute Krise vorbei, begannen die Unfreundlichkeiten — wegen
Liman usw. Läßt sich die Lokalisierung nicht erreichen und greift
Rußland Österreich an, so tritt der casus foederis ein, so können
wir Österreich nicht opfern. Wir ständen dann in einer nicht gerade
proud zu nennenden Isolation. Ich will keinen Präventivkrieg, aber
wenn der Kampf sich bietet, dürfen wir nicht kneifen.
Ich hoffe und g^ube auch heute noch, daß der Konflikt sich
lokalisieren läßt. Englands Haltung wird dabei von großer. Be-
deutung sein. Ich bin vollständig überzeugt, daß die öffentliche
Meinung dort sich nicht für Österreichs Vorgehen begeistern wird,
und erkenne alle ihre Argumente in dieser Hinsicht als richtig an.
Aber man muß tun, was irgend möglich ist, daß sie sich nicht zu sehr
für Serbien begeistert, denn von Sympathie und Antipathie bis zur
Entfachung eines Weltbrandes ist doch noch ein weiter Weg. Sir Grey
spricht immer von dem Gleichgewicht, das durch die beiden Mächte-
gruppen hergestellt wird. Er muß sich daher auch klar darüber
sein, daß dieses Gleichgewicht total in die Brüche ginge, wenn
Österreich von uns lächiert und von Rußland zertrümmert würde,
IOI
und daß das Gleichgewicht auch durch einen Welttrand erheblich
ins Wanken gebracht würde. Er muß daher, wenn er logisch und
ehrlich ist, uns beistehen, den Konflikt zu lokalisieren. Doch nun
satis superque, es ist i Uhr nacfrs geworden. Wenn diese Aus-
führungen über unsere Politik Sie vielleicht auch nicht überzeugt
haben mögen, so weiß ich doch, daß Sie letztere unterstützen werden3
Mit besten Grüßen aufrichtigst der Ihre
Jagow
den 19. Juli.
Eben erhalte ich Ihren Brief vom 17. Die Hauptsache ist durch
obiges beantwortet. Der Urlaub zunächst eine cura posterior, wegen
Kolonialabkommen antworte ich demnächst.
J.
3 Siehe Nr. 161.
Nr. 73.
Der Botschafter in Rom an den Reichskanzler1
Fiuggi, den 16. Juli 19141 2
Der gegen Serbien geplanten diplomatischen Aktion Österreichs
steht der Marquis di San Giuliano skeptisch gegenüber. Die Aktion
kann nach der Ansicht des Ministers in keinem Falle zum Ziele führen.
Auch wenn Serbien sich den österreichischen Ansprüchen füge, d. h.
wenn es die großserbischen Geseljßchaften verbiete und auflöse usw.,
so würde die Agitation eben aus einer öffentlichen eine geheime
werden. Das werde sogar der Fall sein, wenn Österreich Belg ad
besetze. Nationale Aspirationen von solcher Kraft können heutzu-
tage nicht mehr mit Gewalt unterdrückt werden. Es sei der alte
österreichische Irrtum, an die Allgewalt und Wirksamkeit der Polizei
in solchen nationalen Fragen zu glauben. Die italienische Geschichte
des vorigen Jahrhunde ts liefere dafür ein Beispiel. Die Analogie
der Lage sei eine so frappante, daß man schon aus diesem Grunde
den Italienern keine Sympathie für das öste reichische Vorgehen zu-
muten dürfe. Wenn die serbische Frage überhaupt innerhalb des
heutigen Bestandes Österreichs gelöst werden könne, so sei es nur
auf dem Wege möglich, daß den ö terreichischen Serben ein Interesse
geschaffen würde, innerhalb Österreichs und bei Österreich zu verbleiben.
Flot ow
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 19. Juli vorm.
102
Nr. 74
Der Oberquartiermeister I im Großen Generalstabe an den
Staatssekretär des Auswärtigen (Privatbrief)12
Ganz vertraulich! Ivenack, den 17. Juli 19141 2 3
Lieber Jagow!
Soeben hat mir mein Adjutant ein Schreiben Kagenecks an mich
gebracht, in dem er mir auf meine Fragen wegen der militärischen
Absichten in Wien so gut er kann Auskunft gibt.
Da General Conrad verreist war, hat Kageneck meine Fragen
dessen Vertreter, dem General Höfer vorgelegt, den ich als ver-
ständigen Mann kenne. Diesem zufolge hat man die Absicht, gegen
Serbien 6 Armeekorps einzusetzen und einstweilen in Galizien nichts
zu unternehmen. Sollte .Rußland eingreifen, so würde man von
Serbien loslassen und alles gegen den Hauptgegner einsetzen.
Das sind vernünftige Ansichten. Ich möchte aber bei dieser
Gelegenheit meine persönliche Ansicht dahin aussprechen, daß wir
gut tun, nicht auf eine sehr schleunige Wirkung der österreichischen
Heeresmaßnahmen zu rechnen, denn:
1. haben partielle Mobilmachungen immer ihre Haken,
2. bedarf jedes Loslösen vom Gegner einer gewissen Zeit und
3. macht man sich in Wien noch keinen Vers davon, wo sich
die Serben eventuell stellen werden; geschieht dies, was leicht möglich
ist, im südlichen Serbien, etwa be^ Nisch, so wird die Entscheidung
hinausgezögert und die weiteren Bewegungen dauern länger.
General Moltke4 denkt am 25. d. M. nach Berlin zurückzukehren.
Ich bleibe hier sprungbereit5; wir sind im Generalstabe fertig, einst-
weilen ist von uns ja nichts zu veranlassen.
Schönsten Gruß. Immer in alter Gesinnung
der
Deine
Waldersee
1 Nach der Ausfertigung von der Hand des Grafen Waldersee.
2 Von Jagow zu den Akten gegeben.
8 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 19. Juli vorm.
4 Generaloberst von Moltke, Chef des Generalstabs der Armee, ab 28. Juni
nach Karlsbad beurlaubt.
5 Waldersee hatte ab 7. Juli Urlaub, den er am 8. Juli abends an trat.
io3
Nr. 75
Der Botschafter in Rom an den Staatssekretär des
Auswärtigen1
Fiuggi, den 16. Juli 19141 2
Besten Dank für Deinen Brief. Ich freue mich, daß Du über
die Schwierigkeit der hiesigen Situation keine Illusionen hast; ich
halte die letzten für hoffnungslos, wenn nicht Austria angesichts
der Gefahr sich zu der klaren Erkenntnis auf rafft, daß, falls es
etwa territorial irgendetwas nehmen will, es Italien entschädigen
muß. Sonst iällt ihm Italien in den Rücken. Das ist eine so
ernste Frage für uns, daß wir erwägen müssen, ob wir nicht be-
stimmte Abmachungen mit Wien treffen müssen.
S.[an] G.[iuliano]s Stimmung ersiehst Du aus meinen Berichten usw.
Es kommt mehr denn je alles auf ihn an, denn Salandra stützt
ihn nicht wie Giolitti. Sal.[andra] macht kein Hehl aus seinen anti-
österreichisc) en Gefühlen, und M6rey hat ihn nicht geschickt be-
handelt. S.[an] G.[iuliano] aber ist pessimistisch, gedrückt, mutlos und
sch w e r leidend.
[Flotow3]
1 Nach einer von .lagow zu den Akten gegebenen Abschrift aus einem Privat-
brief Flotows an Jagow.
2 Abschrift trägt den Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 22. Juli nachm. ,
dürfte aber etwa 19. Juli an den Empfänger gelangt sein.
3 Unterschrift fehlt in der Abschrift ebenso wie die Anrede.
Nr. 76
Der Botschafter in London an den Reichskanzler1
London, den 17. Juli 19142
Die heutige »Westminster Gazette« bringt den beiliegenden Leit-
artikel über die europäische Lage, der sich durch die ruhige und
sachliche Erörterung des österreichisch-serbischen Gegensatzes aus-
zeichnet. Bei den freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem
Herausgeber Mr. Spender und Sir Edward Grey liegt die Annahme
nicht fern, daß die Ansichten des Ministers dabei nicht ohne Einfluß
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Ausw. Amts: 19. Juli vorm. Bericht lag üem Kaiser
vor, von ihm am 27. Juli zurückgegeben.
104
gewesen sind, und daß meine wiederholten Besprechungen mit ihm
dazu beigetragen haben, das Recht Österreichs auf Genugtuung \u
berücksichtigen. Aber auch diese regierungsfreundliche Stimme spricht
die bestimmte Erwartung aus, daß die »ultima ratio« vermieden werde.
Li chno ws k y
Nr. 77
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Telegramm 124 Berlin, den 19. Juli 1914 1 2
Ew. Exz. wollen von Graf Berchtold sofortige Mitteilung Wort-
lauts beabsichtigter Note nach Belgrad und sonstiger Veröffent-
lichungen erbitten, sobald endgültig festgestellt zur Vorlage bei
Kaiser Franz Joseph, damit wir rechtzeitig unsere Demarchen bei
den anderen Mächten vorbereiten können. Vorherige Orientierung
über wesentlichste Punkte beabsichtigten Vorgehens erwünscht3 * * *.
Jagow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Stumms Hand.
2 i25 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 83, 88 und 103.
Ni4. 78
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 11 Fiuggi Fonte, den 19. Juli 19142
Aus der Umgebung des Marquis di San Giuliano höre ich, daß
nunmehr sehr pessimistische Berichte des Herzogs von Avarna über
Serbien eingelaufen sind. Aus einem Gespräch mit Herrn Luzzatti
entnehme ich, daß Marquis di San Giuliano jetzt die Lage für ernst
hält. Er selbst vermeidet anscheinend in diesem Augenblick ein-
gehende Gespräche mit mir über diese Frage. Die Herren des
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi Fonte 215 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 230 nachm. Eingangsvermerk: 20. Juli vorm. Unter dem 19. Juli von
Jagow nach Vornahme kleiner stilistischer Änderungen telegraphisch dem
Botschafter in Wien mitgeteilt, zum Haupttelegraphenamt gegeben am
20. Juli 1210 vorm.
Ministeriums sind auf den Ton gestimmt, Österreich würde sich
durch zu weit gehende Forderungen ins Unrecht setzen und könne
dann nicht auf Unterstützung rechnen.
F1 o t o w
Nr. 79
Der Gesandte im kaiserlichen Gefolge an das
Auswärtige Amt1
Telegramm 116 Baiholm, den 19. Juli 19142 3
Nach bisherigen Dispositionen Sr. M. soll S. M. S. Hohenzollem
bis stwa den 30. d. M. in Baiholm bleiben, dann eintägiger Aufent-
halt in Bergen, um Kohlen zu nehmen, dann Rückfahrt Swinemünde.
Werde jede Änderung melden.
We de I
1 Nach der Entzifferung. Auch das Konzept von Graf Wedels Hand be-
findet sich jetzt bei den Akten.
2 Aufgegeben in Baiholm i15 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
435 nachm. Eingangsvermerk: 20. Juli vorm.
3 Siehe Nr. 67.
Nr. 80
Der G e sandte im kaiserlichen Gefolge an das Auswärtige Amt1
Telegramm 117 Balholm (»Hohenzollem«), den 19.'Juli 19141 2
S. M. bitten Ew. Exz. zu erwägen, ob nicht schon jetzt die
Generaldirektoren der Hapag und des Norddeutschen Lloyd streng
vertraulich und unter der Hand durch Gesandten in Hamburg dahin
verständigt werden sollten, daß am 23. österreichisches Ultimatum
zu erwarten3 *. Im Hinblick auf unübersehbare, vielleicht sehr rasch
eintretende Folgen scheint es Sr. M. wünschenswert, daß die beiden
1 Na ch der Entzifferung. Auch das Konzept von Graf G. Wedels Hand be-
findet sich jetzt bei den Akten.
2 Aufgegeben in Balholm i10 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
435 nachm. Eingangsvermerk: 20. Juli vorm.
8 Siehe Nr. 69.
io6
großen Linien beizeiten avertiert werden, um rechtzeitig Dispositionen
treffen und im Auslande befindlichen Dampfern Ordre erteilen zu
können 4.
Wedel
4 Jagow gab unter Zustimmung des Reichskanzlers dieser Anregung Folge.
In einem vom 19. Juli datierten, am 20. Juli 1210 vorm, zum Haupt-
telegraphenamt gegebenen Telegramm an den Reichskanzler teilt er den
Inhalt des Balholmer Telegramms mit und fügt bei: »Ich sehe morgen
Ballin und werde ihn streng vertraulich orientieren, falls Ew. Exz. nicht
anders befehlen. Generaldirektor Lloyd müßte dann durch Gesandten Ham-
burg orientiert bzw. hierher zitiert werden.« Das um 640 vorm, in Hohen-
finow eingegangene Telegramm wurde in zustimmender, 1125 vorm, ab-
gesandter Depesche (»Einverstanden«) beantwortet. An den Direktor des
Norddeutschen Lloyd von Plettenberg telegraphierte Jagow am 20. Juli
nachm.: »Wäre dankbar, wenn Sie in wichtiger Angelegenheit mich
morgen persönlich aufsuchen könnten. Staatssekretär von Jagow«; Tele-
gramm 720 nachm, zum Haupttelegraphenamt Siehe ferner Nr. 90.
Nr. 81.
Der Botschafter in Konstantinopel an das Auswärtige Amt1
Telegramm 352 Therapia, den 19. Juli 19141 2
Talaat Bei sagte mir, die türkisch-griechischen
Verhandlungen nähmen guten Fortgang. Die Idee
der Errichtung eines suzeränen Fürstentums unter
einem griechischen Prinzen sei abgegeben. Dagegen
sei jetzt eine Art Autonomie unter einem von der
Türkei und Griechenland gemeinsam zu ernennenden
Generalgouverneur geplant. Auch das militärische
Besetzungsrecht solle gemeinsam ausgeübt werden
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Therapia 19. Juli 730 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 917 nachm.; Eingangsvermerk des Amts: 20. Juli vorm. Am 20. Juli
von Jagow nach Vornahme einiger Änderungen und Umstellungen und mit
Auslassung dqs Absatzes »Prinz Said....... geführt worden seien« tele-
graphisch dem Kaiser mitgeteilt, aufgegeben in Berlin 55 nachm., ange-
kommen im Hoflager ii° nachm., Entzifferung des Hoflagers vom Kaiser
zurückgegeben 21. Juli, in Berlin eingetroffen 23. Juli. Kaiser befahl durch
Randverfügung Mitteilung an die Vertretung in Athen. Abschnitte »Talaat
BeT sagte mir.........Bündnisantrag annehme« (mit kleiner Änderung)
und »Großwesir sagte mir ............ ohne Bündnis lösen« waren aber
schon vorher, am 20. Juli, durch Erlaß dem Geschäftsträger in Athen »zur
persönlichen Information« mitgeteilt.
107
nach dem Vorbild des ehemaligen Regimes im Sand-
schak. Griechenland bestehe auf Defensivbündnis.
Er trete dafür ein. daß die Pforte den Bündnisan-
trag annel me. Früher sei er für Anschluß an Bul-
garien gewesen, habe sich aber in Rumänien und
durch mich überzeugen lassen, daß das Bündnis mit
Griechenland vorzuziehen sei. Großwesir werde dem-
nächst zwecks Finalisierung des Übereinkommens
mit Veniselos in Brüssel Zusammentreffen.
Falls die Türkei mit Griechenland sich verbündet
und Bulgarien sich inzwischen Österreich bzw. dem
Dreibund angeschlossen hat, so könnte der Fall
eintreten, daß Bulgarien gleichzeitig mit Österreich
Serbien angreift, wobei Griechenland Serbien Hilfe
bringen müßte, dann wäre der casus foedeiis für
die Türkei gegeben, die ihrerseits gegen den Bundes-
genossen Bulgariens Österreich, also auch gegen uns,
marschieren müßte. Dazu würde sie sich aber nur
entschließen, wenn das griechisch-türkische Bündnis
vorher unter den Schutz Rußlands bzw. der Triple-
Entente gesiellt wäre.
Ich habe heute dem Großwesir unter vorsich-
tigem Hinweis auf die Möglichkeit einer ernsteren
Wendung der serbisch-österreichischen Beziehungen
richtig. nahegeiegt, vor Klärung der Lage keinerlei Bündnisse 3
zu finalisieren4.
Großwesir sagte mir, in der Bündnisfrage habe
nicht Talaat Bei, sondern er das letzte Wort. Er
werde zwar mit Veniselos demnächst zusammen-
keine Einigkeit! treffen, gedenke aber nicht auf den griechischen
Bündnisantrag ein\ugehen. Die Inselfrage lasse sich
voraussichtlich auch ohne Bündnis lösen.
Prinz Said Halim bemerkte schließlich, daß
die Verhandlungen zwischen Talaat Bei und Venise-
los in letzter Zeit unter Vermittlung Herrn Dillons
geführt worden seien.
Wan genheim
• 3 »Bündnisse« von Jagow im Telegramm an den Kaiser unterstrichen.
4 Satz »Ich habe heute...........finalisieren« lautet in .lagowsTelegramm an
den Kaiser: »Es wäre daher angesichts der Möglichkeit einer ernsteren Wen-
dung der serbisch-österreichischen Beziehungen wohl besser, wenn vor
Klärung der Lage keinerlei Bündnisse tinalisiert würden.« Dazu die
obenstehende Randbemerkung des Kaisers.
io8
Nr. 82
Der Chef des Admiralstabes der Marine an den Staats-
sekretär des Auswärtigen1
Telegramm (ohne Nummer) Berlin, den 20. Juli 1914
Der Kaiser haben Flotte folgenden Befehl direkt telegraphisch
zugehen lassen:
Balestrand, von »Hohenzollern«, den 19. Juli 19141 2
»Der Kaiser befehlen Zusammenhalten in Flotte bis zu 25. Juli
dergestalt, daß sie Befehl zum Abbruch der Reise schnell ausführen
kann. Einlaufen Norwegen Hafen soll erfolgen dann erst auf be-
sondere bei dem Kaiser direkt einzuholende Erlaubnis.« Bestätigen.
Schluß. Auswärtiges Amt von dort benachrichtigen. Bestätigen.3
von Mueller
U(rschriftlich) dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts zur
gefälligen Kenntnisnahme sehr ergebenst übersandt.
F. d. beurl(aubten) Gh(ef) d(es) Admiralst(abes) d(er) M(arine)
Paul Behncke
1 Nach der vom Admiralstab übersandten Abschrift.
2 Telegramm in Balestrand abgesandt 19. Juli 1115 nachm.; Abschrift am
20 Juli zum Auswärtigen Amt. Eingangsvermerk 20. Juli nachm.
3 Siehe Nr. 101.
Nr. 83
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Geheim! Berlin, den 20. Juli 1914 2
Ich nehme an, daß gleichzeitig mit der beabsichtigten Demarche
m Belgrad eine amtliche Publikation, betreffend den Inhalt der Note,
das Ergebnis der Untersuchung usw. in Wien erfolgt.
Für die Behandlung unserer Öffentlichkeit wäre es für uns von
größtem Wert, nicht nur über den Inhalt, sondern auch über Tag
und Stunde der Pub ikation vorher genau informiert zu werden.
Ew. Exz. ersuche ich eventuell um Drahtbericht3.
v. J ago w
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 Abgegangen am 20. Juli.
3 Siehe Nr. 77, 88 und Nr. 103.
Nr. 84
Der Reichskanzler an den Kaiser1
109
Telegramm (ohne Nummer) Hohenfinow, 20. Juli 19141 2 3
Ew. M. muß ich alleruntertänigst melden, daß Seine Kaiserliche
Hoheit der Kronprinz entgegen den Höchst demselben erteilten und
von ihm auch akzeptierten Ratschlägen neuerdings wieder mit tele-
graphischen Kundgebungen an die Öffentlichkeit zu treten beginnt.
So hat Seine Kaiserliche Hoheit in der letzten Woche sehr warme
Zustimmungstelegramme an den Oberstleutnant a. D. Frobenius zu
der von diesem verfaßten B/oschüre »Des Reiches Schicksalsstunde«
und an den Professor Buchholz in Posen zu einer von diesem in
Broschürenforrruvertriebenen Bismarckrede gerichtet. Frobenius weist
zutreffend auf die schwierige Lage Deutschlands hin, gefällt sich
aber gleichzeitig in alldeutschen kriegshetzenden Übertreibungen.
Buchholz benutzt eine von glühendem Patriotismus getragene Huldi-
gung vor dem großen Kanzler zu heftigen Angriffen auf die Männer,
denen Ew. M. verantwortungsvolle Ämter übertragen haben. Beide
Telegramme sind in der Presse veröffentlicht. Insonderheit dasjenige
an Frobenius ist von der englischen, russischen und französischen
Presse als Zeichen dafür angese! en worden, daß der Kronprinz sich
in einem Gegensatz zu der Politik Ew. M. stelle, und daß er zum
Kriege treibe. Aus zuverlässiger Quelle weiß ich aber auch, daß in
den Regierungskreisen der Triple-Entente dieses Hervortreten des
Kronprinzen als ein bedenkliches Symptom ernste Beachtung findet.
Ich habe mir erlaubt, Seine K. Hoheit in einem längeren Briefe
dringend zu bitten, von derartigen Kundgebungen abzusehen, die
ohne Kenntnis der momentanen politischen Situation und der diplo-
matischen Zusammenhänge abgefaßt, nur geeignet seien, die Politik
Ew. M. zu kompromittieren und zu kontrekarrieren. Dabei habe
ich auf die momentane gespannte Lage ausdrücklich hingewiesen.
Ich habe keinerlei Sicherheit dafür, daß Seine K. Hoheit diese Bitte
erfüllt, besorge vielmehr ernstlich, daß Höchst derselbe, wenn jetzt das
österreichische Ultimatum an Serbien bekannt wird, mit Kundgebungen
hervortreten möchte, die nach allem Vor an gegangenen von unseren
Gegnern als gewollte Kriegstreiberei angesehen werden, während es
doch nach Ew. M. Weisungen unsere Aufgabe ist, den österreichisch-
serbischen Konflikt zu lokalisieren. Die Lösung dieser Aufgabe ist
sehen an sich so schwierig, daß auch kleine Zwischenfälle den Aus-
1 Nach dem Konzept. Vom Reichskanzler eigenhändig entworfen.
2 Aulgegeben am 20. Juli 1215 nachm.
3 Dazu am Rande der Vermerk der Reichskanzlei: »s. Sehr, des Graf Wedel
vom 21. 7. er. mit d. Telegr. Sr. Maj. an d. Kronprinzen v. 21. 7. er. s. Tel.
Sr. Ksl. H. des Kronprinzen vom 23. 7. 14.« (Nr. 105, 132, 133.)
I IO
schlag geben können. Ich wage deshalb die alleruntertänigste Bitte
auszusprechen, Ew. M. möchten Sr. K. Hoheit durch einen alsbaldigen
telegraphischen Befehl jegliches politisches Hervortreten huldvollst
untersagen.
Alleruntertänigst
v. Bethmann Hollweg
Nr. 85
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 138 London, den 20. Juli 1914 1 2
Graf Benckendorff, mit dem ich ge-tem das Weekend bei Lord
Lansdowne verbrachte, sagte mir, er könne mich ver■Ehern, daß
seine mir neulich mitgeteilten Ansichten über unser Verhältnis zu
Rußland vollkommen den Auffassungen des Herrn Sasonow ent-
sprächen. xMan empfinde es sog ir als eine Unbequemlichkeit, daß
gerade jetzt der Besuch des Herrn Point are erfolge, habe ihm abei
nicht ab winken können. In Rußland denke niemand an Krirg,
die Rüstungen seien lediglich eine Folge aller üb igen und der
gebesseitcn Finanzen. E- -ei daher ^ehr bedauerlich, daß' Miß-
stimmungen, die völlig unberechtigt seien und wohl nur aut Klatsch
und falschen Nachrichten beruhten, entstehen könnten. Eine offene
Aussprache würde wohl am ehesten zum Ziel ühren. In Belgrad
werde nach Möglichkeit abgewiegelt.
Lichnowsky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London 1251 nachm., Eingangsvermerk des Amts: 20. Juli
nachm.
Nr. 86
Die serbische Gesandtschaft in Berlin an das
Auswärtige Amt1
Berlin, den 20. Juli 19142
Gleich nach dem verabscheuungswürdigen Attentat in Sarajevo
begann die österreichisch-ungarische Presse die Schuld an dem Ver-
1 Nicht unterfertigte Aufzeichnung der serbischen Gesandtschaft in Berlin,
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 20. Juli nachm.
111
brechen Serbien und den großserbischen Ideen zuzuschreiben. So-
wohl die k. Regierung als auch die öffentliche Meinung haben
dieses Verbrechen auf das Schärfste verurteilt und deutlich
ihrem Abscheu Ausdruck verliehen. Alle Feste an dem Tage des
Attentats wurden abgesagt. Die Presse in Österreich-Ungarn hörte
jedoch nicht auf, schwere Anklagen und Beschuldigungen gegen
Serbien und großserbische Ideen zu erheben und ganz tendenziöse
Nachrichten in die Welt zu streuen, wodurch die serbische Presse
herausgefordert wurde. Die k. Regierung versuchte durch Rat-
schläge an die serbische Presse d eselbe zur ruhigen Verhaltung
und nur zu einer notwendigen Abwehr gegenüber den ganz tenden-
ziösen Nachrichten zu bestimmen. Diese Ratschläge wurden von
einigen serbischen Blättern, die gar keine Bedeutung besitzen, .nicht
befolgt, da dieselben durch die Verbreitung der unglaublichsten
Nachrichlen und die Tendenz in den Blättern Österreich-Ungarns,
das Verbrechen politisch gegen Serbien und das serbische Volk aus-
zunützen, neue Nahrung erfuhren. Die Polemik, die zwischen der
sei bischen und östeneichisch-ungarischen Presse entstand, wurde durch
den Umstand verschärft, daß de österreichisch-ungarische Presse
gewisse Stellen aus den ganz bedeutungslosen serbischen Zeitungen
herausgriff und dazu noch verschärfte und der Öffentlichkeit über-
gab mit der Tendenz, die öffentliche Meinung in Europa zu alar-
mieren. Die k. Regierung besaß gar keine Handhabe, die Pole-
mik in der serbischen Presse, die durch die Haltung der öster-
reichisch-ungarischen Presse hervor gerufen wurde, zum Stillschweigen zu
bringen, da in Serbien die Pressefreiheit durch die Verfassung garan-
tiert ist.
Die k. Regierung hat sofort die Bereitwilligkeit ausge-
sprochen, jeden serbischen Untertan, für den die Beweise für die
Mitschuld an dem Verbrechen in Sarajevo gegeben würden, gericht-
lich zu belangen.
Die österreichisch-ungarische Regierung hat bis zu dem heutigen
Tage der k. Regierung keine Forderungen übermittelt bezüglich
der Untersuchung und gerichtlichen Belangung irgendwelcher
Persönlichkeiten. Es wurden nur Angaben über Aufenthaltsorte
einiger aus dem Priesterseminar in Paveratz relegierten Studenten
verlangt, welchem Verlangen auch ohne weiteres stattgegeben wurde.
Die öffentliche Meinung in Österreich-Ungarn und Europa wird
noch immer durch die Presse-Kampagne gegen Serbien gereizt, und wie
groß die Erregung ist, geht deutlich aus den Interpellationen einiger
ungarischer Parteichefs im ungarischen Parlament und der Antwort
des ungarischen Ministerpräsidenten hervor. Aus den Diskussionen
ersieht man, daß die Monarchie bei der k. Regierung Schritte
zu unternehmen beabsichtigt, — in welchem Sinne und in
welcher Fo m ist nicht angedeutet. Wenn man die Erregung der
öffentlichen Meinung und alles, was geschehen ist und noch geschieht,
in Betracht zieht, so kann man sich der Befürchtung nicht ver-
Aktenstücke I.
10
schließen, daß nicht vielleicht ein Schritt vorbereitet wird, der
schlechte Folgen für die nachbarschaftlichen Beziehungen Serbiens
und Österreich-Ungams haben könnte. Diese Befürchtung wird
noch durch die Diskussionen im ungarischen Parlament bekräftigt.
Die k. Regierung hat durch ihre Haltung und ihre Arbeit Be-
weise gegeben, daß sie alles tut, was zur Beruhigung der Ge-
müter beitragen kann, und was im Interesse der Ruhe und der guten
Beziehungen zu allen Nachbarn liegt.
Besonders war die Sorge der k. Regierung darauf ge-
richtet, die Beziehungen zu der Nachbarmonarchie, die infolge der
letzten Kiiege kälter geworden sind, zu bessern und inniger zu
gestalten. Die k. Regierung ist fest davon überzeugt, daß die Lebens-
interessen Serbiens verlangen, daß der Frieden und die Ruhe auf
dem Balkan je mehr und länger aufrechterhalten werden, und läßt
sich nur durch einen solchen Wunsch und solche Politik leiten. Die
k. Regierung befürchtet, daß die erregte öffentliche Meinung
in Österreich-Ungarn nicht vielleicht einen Anlaß biete, damit die
österreichisch-ungarische Regierung einen Schritt unternimmt, welcher
auf eine Erniedrigung Serbiens abzielen würde, welche man seitens
Serbiens nicht annehmen könnte.
Die k. Regierung bietet8 daher die k. Regierung, den auf-
richtigen Willen und Wunsch Serbiens, mit der Nachbarmonarchie
freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten und jedem Versuch
auf dem serbischen Territorium, der darauf abzielen würde,
die Ruhe und Sicherheit in der Nachbarmonarchie zu stören, ener-
gisch entgegenzutreten, zur Kenntnis nehmen zu wollen. Ebenso ist die
k. Regierung geneigt, den Forderungen Österreich-Ungarns, die sie
an die k. Regierung steilen sollte bezüglich der gerichtlichen Ver-
folgung der Mitschuldigen, wenn es solche geben sollte, entgegenzu-
kommen.
Die k. Regierung könnte nur solche Forderungen nicht
erfüllen, die auch jeder andere Staat, der auf seine Würde und Un-
abhängigkeit bedacht ist, nicht erfüllen könnte.
Indem die k. Regierung aufrichtig bestrebt ist, die Situation
besser zu gestalten und gutnachbarschaftliche Beziehungen mit
der Nachbarmonarchie zu sichern und zu befestigen, bittet
sie die ihr freundschaftlich gesinnte k. Regierung, diese Er-
klärungen gütigst zur Kenntnis nehmen und im Sinne der Ver-
söhnlichkeit, sollte es sich Gelegenheit dazu bieten, gefälligst wirken
zu wollen3 4.
3 So im Original für »bittet«.
4 Siehe Nr. 91 und 95.
Der Botschaftsrat in Wien an den Staatssekretär des
Auswärtigen (Privatbrief)1
Wien, den 18. Juli 19141 2
Hochverehrter Herr Staatssekretär !
Gestern war ich bei Berchtold, der mir sagte, daß die bewußte
Note am 23. d. M. in Belgrad überreicht werden soll. Wie ich
gestern berichtet habe, hofft Berchtold, daß die österreichischen
Forderungen, über die er sich im einzelnen nicht ausließ, von
Serbien nicht angenommen werden, ganz sicher ist er aber nicht,
und ich habe aus seinen wie aus Äußerungen von Hoyos den Ein-
druck, daß Serbien die Forderungen annehmen kann. Auf meine
Frage, was denn geschehen solle, wenn die Sache auf diese Weise
wieder im Sande verlaufe, meinte Berchtold, man müsse dann bei
der praktischen Durchführung der einzelnen Postulate eine weit-
gehende Ingerenz ausüben. — Will man hier wirklich eine endgültige
Klärung des Verhältnisses zu Serbien, wie sie auch Graf Tisza in
seiner Rede kürzlich als unabweislich bezeichnet hat, so wäre es
allerdings unerfindlich, warum man nicht solche Forderungen auf-
gestellt haben sollte, die einen Bruch unvermeidlich machen. Ver-
läuft die Aktion wieder wie das Hornberger Schießen, und bleibt
es bei einem sogenannten diplomatischen Erfolge, so wird damit
die hierzulande schon vorherrschende Anschauung, daß die Monarchie
zu keiner Kraftäußerung mehr fähig ist, bedenklich befestigt. Die
Folgen, die dies nach innen und außen haben würde, liegen ja auf
der Hand.
Ich habe Berchtold auch gefragt, ob er vor einer eventuellen
Aktion gegen Serbien mit Italien Fühlung zu nehmen gedenke, worauf
er mir sagte, er habe bisher noch kein Wort verlauten lassen
und beabsichtige auch, die italienische Regierung vor ein fait accompli
zu steilen, da sie ihm in puncto Verschwiegenheit nicht ganz sicher
sei und bei ihrer serbophilen Haltung leicht in Belgrad etwas durch-
sickern lassen könne. Hierin habe man auch in Berlin Hoyos, mit
dem dieser Punkt besprochen worden sei, recht gegeben. Dies
wurde mir auch von Hoyos selbst bestätigt. Darauf habe ich dem
Minister im Sinne des Geheimen Erlasses vom 15. d. M. — Nr. 911 —3
eindringlich auseinandergesetzt, wie ungeheuer wichtig es uns erscheine,
daß man sich hier mit Rom über die im Konfliktsfall zu verfol-
1 Nach der Ausfertigung von Stolbergs Hand.
2 Das Schreiben ging v. Jagow persönlich zu, der es schon am 20. Juli nachm,
beantwortete (siehe Nr. 89) und es erst dann im Amt journalisieren ließ,
so daß es den Eingangsvermerk vom 21. Juli nachm, trägt.
3 Siehe Nr. 46.
114
genden Ziele auseinander setzt und es auf seiner Seite zu halten
sucht. Berchtold entwickelte einen großen Optimismus und meinte,
so niederträchtig könnte doch Italien als Bundesgenosse nicht sein
und sich gegen die Monarchie wenden. Ich habe ihm darauf er-
widert, daß bei einem vorläufigen Konflikt mit Serbien allein das
Bündnis nicht in Frage komme und Italien sich sehr wohl, wenn
auch vielleicht nur moralisch, auf Se. biens Seite stellen könnte, daß
aber dies schon für die Festigkeit des Dreibundes verhängnisvoll
werd- n könnte und zweifellos die Aktionslust Rußlands stärken würde.
Dies leuchtete dem Minister entschieden ein, doch kam er von sich
aus nicht auf etwaige Kompensationen zu sprechen; auch auf die
von dem hinzugezogenen Hoyos getane Äußerung, man müsse erst
jedenfalls den Italienern etwas geben, ging er nicht weiter ein. Da
der Botschafter schon morgen früh zurückkommt, habe ich es für
richtiger gehalten, in Details d eser Frage, die doch jedenfalls eine
Reihe eingehender Unterhaltungen nötig machen wird, von mir aus
[nicht] 4 näher einzugehen.
Dagegen habe ich gleich darauf mit Hoyos ein längeres Ge-
spräch gehabt, wobei er von sich aus auf die Frage des Trento zu
sprechen kam und mich fragte, ob man bei uns an diese Kompen-
sation dächte, was ich bejahte. Er wies dies durchaus nicht ab,
verschloß sich vor allen Dingen nicht den Argumenten, daß damit
der Irredentismus aus der Welt geschafft werden würde. Ich habe
ihm au< h gesagt, daß es sich ja gegebenen Falles um das verhält-
nismäßig kleine Gebiet des Bistums Trient zu handeln brauche.
Er nahm alles freundschaftlichst an, erwähnte dann noch als etwaige
Kompensation für Italien, daß man ihm den Dodekanesos ver-
schaffen könnte5. Übrigens vertrat er den Standpunkt, dü3 Italien
an sich kein Recht auf Kompensationen aus dem Abkommen her-
leiten könne, da dieses sich nur auf die Türkei bezieht. Ich habe
ihm aber entgegengehalten, daß in diesem Fall nicht von recht-
lichen, sondern nur von politischen Gesichtspunkten die Rede sein
könne, und daß Österreich mit Rücksicht auf das Bundesverhältnis
alles tun mü;se, um Italien um jeden Preis bei der Stange zu
halten. Schließlich riet ich ihm, sie sollten bei etwaigem Ausbruch
des Konflikts mit Serbien in Rom erklären, daß sie gar keinen
Territorialerwerb beabsichtigten, daß sie aber, falls die Ereignisse
einen solchen nöt g machen sollten, Italien in der weitgehendsten
Weise entschädigen würden.
Soeben war ich wieder bei Berchtold, der mir sagte, daß
morgen die Note mit Tisza endgültig festgestellt werden solle,
und daß sie immer noch je nach den Tagesereignissen (Interview
Pasch.tsch, Artikel der »Samouprawa« etc ) modifiziert werde. Hoyos
sagt mir eben, daß die Forderungen doch derart seien, daß ein
4 »Nicht« fehlt in der Ausfertigung.
5 Siehe Nr. 09.
n5
Staat, der noch etwas Selbstbewußtsein und Würde habe, sie eigent-
lich unmöglich annehmen könne.
Übrigens ist zwischen dem Botschafter und verschiedenen
hiesigen Politikern wie Körber, Bacquehem etc. bereits früher öfter
die Frage des Trento berührt worden, die sich alle sehr verständnis-
voll gezeigt haben. Auch im Gespräch mit Berchtold ist schon
einmal das Wort gefallen.
In aufrichtiger Verehrung
Ew. Exz.
gehorsamer
W. Stolberg
Nr. 88
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 90 Wien, den 20. Juli 1914**
Graf Berchtold, der erst morgen abend Ischl fahren wollte, wird
sich bereits heute abend dorthin begeben und Note, die heute ge-
schrieben wird, Kaiser vorlegen. Um möglichst schnelle Mitteilung
nach Berlin zu ermöglichen, wird er sofort nach Audienz Ministerium
in Wien telegraphisch anweisen, mir Note zuzustellen, so daß sie noch
morgen abend nach Berlin gehen kann.
Tschirschkv
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien ils nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
40 nachm.; Eingangsvermerk: 20. Juli nachm.
3 Siehe Nr. 77, 83 und 103.
Nr. 89
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Telegramm 126 Berlin, den 20. Juli 19141 2
Geheim!
Auf Privatbrief von Prinz Stolberg3. Endgültiger Überlassung
des Dodekanes würde sich England stets widersetzen. Diese Schwierig-
keit ist auch in Rom bekannt. Daher würde dort die österreichische
Zustimmung zur Überlassung der Inseln allein als vollwertige
Kompensation kaum erachtet werden.
J a g o w
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
8 815 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 87.
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Gesandten
im kaiserlichen Gefolge1
Telegramm 85 Berlin, den 20. Juli 19148 3
Habe heute zufällig hier anwesenden Ballin vertraulich ver-
ständigt und Direktor des Norddeutschen Lloyd ersucht, mich
morgen hier aufzusuchen.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 Aufgegeben in Berlin q83 nachm., in Baiholm angekommen iir'* nachm.;
am 2 j . Juli erstattete (j. Wedel dem Kaiser Meldung.
3 Siehe Nr. 80.
Nr. 91
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Telegramm 127 Berlin, den 20. Juli 19141 2 3
Der serbische Geschäftsträger suchte mich heute auf1, um mir
zu sagen, die serbische Regierung werde alles tun, um die Bezie-
hungen zu Österreich-Ungarn zu bessern und zu befestigen, sie werde
jedem Versuch auf serbischem Territorium, der darauf abzielen
würde, die Ruhe und Sicherheit der Nachbarmonarchie zu stören,
energisch entgegentreten und den Forderungen der k. u. k. Regierung
betreffend Verfolgung der Mitschuldigen am Attentat von Sarajevo,
wenn solche festgestellt werden sollten, entgegenkommen. Sie würde
nur solche Forderungen, die gegen die Würde und Unabhängigkeit
des serbischen Staates gingen, nicht erfüllen können. Die serbische
Regierung bäte uns, in Wien im Sinne der Versöhnlichkeit zu wirken.
Ich habe mich darauf beschränkt zu erwidern, daß ich die
Demarche des Geschäftsträgers in Wien zur Kenntnis bringen würde.
Im übrigen habe ich den Geschäftsträger darauf aufmerksam ge-
macht, daß die serbische Regierung bisher, trotz der Langmut und
der versöhnlichen und friedlichen Haltung Österreich-Ungarns
während der Balkankrise und trotz unserer fortgesetzten dahin-
1 Nach dem. Konzept von Jagows Hand.
2 935 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 86 und 95.
gehenden Ratschläge, nichts getan habe, um ihr Verhältnis zur
benachbarten Monarchie zu bessern, und daß ich es wohl begreifen
könne, wenn man jetzt dort energischere Saiten aufzöge. Die
Forderungen, die Österreich-Ungarn stellen wolle, seien mir nicht
bekannt.
Die Demarche des Geschäftsträgers erfolgte offenbar auf Grund
eines Zirkularerlasses seiner Regierung.
Jagow
Nr. 92
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 143 London, den 20. Juli 19141 2 * * * * *
Bei meinem heutigen Besuch entnahm ich den Äußerungen Sir
E. Greys, daß er den österreichisch-serbischen Zwist vorläufig noch
optimistisch beurteilt und an eine friedliche Lösung der Frage glaube.
Er sagte, er habe keine Nachrichten erhalten, die auf das Gegenteil
hindeuteten. Ich wiederholte bei dieser Gelegenheit, daß ich über-
zeugt sei, Graf Bereittold werde nach genauer Untersuchung aller
Vorgänge und an der Hand überzeugenden Materials sich genötigt
sehen, Genugtuung von Serbien zu verlangen und Bürgschaft für die
Zukunft, und daß ich hoffte, es werde dem Einfluß Rußlands und
Englands gelingen, Serbien zur Erfüllung dieser berechtigten Forde-
rungen zu veranlassen. Er entgegnete, daß alles darauf .ankomme,
welche Form von Genugtuung verlangt werde, und ob dies mit
Mäßigung geschehe, namentlich aber auch, ob die gegen Serbien er-
hobenen Klagen auf beweiskräftiger Grundlage geltend gemacht wür-
den. Auf diese Weise hoffe er, daß der Streit sich werde beilegen
und begrenzen lassen, denn der Gedanke an einen Krieg zwischen
europäischen Großmächten müsse unter allen Umständen zurück-
gewiesen werden.
Der Minister hat übrigens in Wien erklären lassen, daß der
neuliche Artikel der »Westminster Gazette«, über den ich berichtet
habe, nicht von ihm veranlaßt worden sei, da er in Erfahrung ge-
bracht, daß man ihn dort als Ermutigung zum Losschlagen auffasse.
Lichnowsky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London 20. Juli 88 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt io50 nachm. Eingangsvermerk: 21. Juli vorm. Am 21. Juli tele-
graphisch dem Kaiser mitgeteilt, Telegramm aufgegeben in Berlin 1226
nachm., angekommen in Balholm 715 nachm., Entzifferung am gleichen
Tage vom Kaiser zurückgegeben. Inhalt durch Erlaß vom 21. Juli nachm,
auch den Botschaftern in Wien und Rom mitgeteilt.
118
Nr. 93
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Petersburg1
Telegramm 116 Berlin, den 21. Juli 1914*
Geheim!
Um wieviel Uhr ist am Donnerstag Abfahrt des Präsidenten
von Kronstadt vorgesehen? Drahtantwort3.
Jagow
1 Konzept von Jagows Hand.
2 i15 nachm, zum Haupttelegraphenamit.
3 Siehe Nr. 50, 96 und 108.
Nr. 94
Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler1
Geheim! Wien, den 20. Juli 19141 2
Ich habe sämtliches mir in bezug auf die Haltung Italiens zum
österreichisch-serbischen Konflikt zur Verfügung gestelltes Material
heute in eingehender vertraulicher Unterredung mit Graf Berchtold
verwertet und besonders dabei nachdrücklich auf die Wichtigkeit
hingewiesen, sich über eventuelle Kompensationsansprüche Italiens
klar zu werden. Dabei habe ich noch besonders betont, daß wir bisher
in Rom keinerlei Mitteilung über unsere Verhandlungen mit Wien ge-
macht und selbstverständlich auch die Kompensationsfrage dort
nicht erörtert haben, welche Bemerkung Graf Berchtold dankend zur
Kenntnis nahm.
Ich führte weiter aus, daß es für die künftige Haltung Italiens
und die dortige öffentliche Meinung wie auch die Haltung Englands
von ausschlaggebender Bedeutung sein werde, welches die Ideen der
österreichisch-ungarischen Staatsmänner über die zukünftige Ge-
staltung Serbiens sind. Wir hätten natürlich als Partner das drin-
gendste Interesse, hierüber orientiert zu werden. Graf Berchtold
stimmte dem durchaus bei und sagte, seiner Ansicht nach würde,
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 21. Juli nachm. Durch Erlaß
vom 21. Juli dem Botschafter in Rom zur »streng vertraulichen Infor-
mation« mitgeteilt.
i igii
wie die Dinge Hg€at 4k Knnipenäationislrage fetal Überhaupt niiclii#
alkiliMeIII werden; «n der Bv$predUung sei,, bes«id« «»1
DffMttgcn dies» Grafen Tfaiu, der herwgdinbeii lialhe; wedfer iillm noch
ngendbinor nngariscJieii Regierung könne eine Sttlrkwng des? sin-
wvschm Elementes innerhalb der MMureliie durch AngKedernng
sei hisei ier Ge Mett sic i k i iigeni m te I werden, be sch tosen worden„ wi
jeder dauernden Einverleibung Iremden ''Gebietes nbensehen. Hkrnxit
wirrte denn jeder irgendwie stichhaltige Gfund lür Italic«* Kompen-
sationen m forderna Wegfällen, Aul meine Bamtriranihg, dal seitens
11aliftiis seihst: schon die Nicifariferf ung Serbiens und die damit ver-
bundene Äiu"siJe(iiBi,iiifg des Einflusses der Monorchie am (Balkon als
eine Schädigung seiner Position angestitan «itd imögluclierifeise nt
Meklrtinryitiomien führen würde, meinte der Minifiler, dieser Staindpniitl
stcle: im Widerspruch mit den iviederlunlteii Eiils:llr«iiige«i des llajrqnii'S
di San Ginlano* daß Italien ein starkes Österreich brauche* schon
als Schufwwll gegen die slawische Flmt, Im übrigen läge lei dev
Operation gegen Serbien der springende Punkt nicht darin, dal)
Österreich einen Macht»wachs am Balkan, sondern lediglich ein
Znrückweisen des slawischen Vorstoßes nach Westen hin m das 'Ge-
biet der Monarchie damit beabsichtige, Dies den Italienern klar m
machenj werde: wohl gelingen, um so: mehr als Italien unmöglich bei
dieser Sachlage einen Grund zu feindlicher Stellungnahme gegenüber
Österreich, weide finden können, Wenn Marquis di Sani Giulno
(sage, daß Italien die österreichischen RelBunationen gegen. Serbien
nicht unterstützen könne, weil sie im Widerspruch ständen mit den
Nationalitäten- und den, liberalen Regier ung^priAapien, so tage: doch
die1 Sache so, daß eben eine liberale Regierungsmethode in den von
Serben, bewohnten osterre ichische n Provinzen# die: unter österreichischer
Herrschaft öle Attribute des: liberalen konstitutionellen Staates ver-
liehen bekommen hätten,, durch die großserbische Propaganda "un-
möglich gemacht würde. Baß übrigens Italien das Nationalitäten-
prinzip selbst nicht befolge und dessen Hochhaltung nur von anderen,
verlange, gehe klar aus der Besetzung Libyens hervor,,, die im
direkten, Gegensatz zu diesem, Prinzip als reine Mach tfrage die
Unterjochung einer fremden Nation, zum, Ziele hatte,, Wenn man
sich übrigens in Rom augenblicklich eine weitgehende österreichisch-
italienische Kooperation praktisch nicht vor stellen "könne,, so läge:
durchaus kein, Anlaß zu einer solchen, Kooperation vor; Österreich
verlange Weder eine1 Kooperation, noch eine Unterstützung, sondern,
lediglich, Enthaltung feindlichen Vorgehens, gegen den Bundesgenossen.
Er werde jedenfalls alles tun, um soweit irgend möglich,,
italienische Empfindlichkeiten zu schonen,, und, er habe schon daran
gedacht, den Italienern irgend etwas hier1 im Innern, zur .Beruhigung
zu geben, Ben, letzteren Gedanken habe: ich auf das. Lebhafteste
unterstützt und. dem, Minister zu weiterer .Ausgestaltung1 empfohlen,
Graf Berchtold teilte mir weiter1 mit, daß' auch, Herr von Mörey,
der es strikt vermieden habe, mit Marquis di San Giuliano über
120
die serbische Sache zu sprechen, weil er sicher sei, daß jede, auch
die geringste Andeutung italienischerseits sofort nach Rußland
weitergegeben und zu Gegenaktionen und Kompensationsansprüchen
ausgenutzt werden würde, sich über die antiösterreichische und pro-
serbische Stimmung SanGiulianos und der Italiener keinen Illusionen
hingebe, aber fest davon überzeugt sei, daß Italien militärisch und
innerpolitisch kaum daran denken könne, aktiv einzugreifen. Herr
von Mdrey glaube, und er, der Minister, halte diese Ansicht für be-
gründet, daß es San Giuliano hauptsächlich darauf ankomme, Öster-
reich zu bluffen und für sich Schutz vor der öffentlichen Meinung
Italiens zu suchen. Er habe Anzeichen dafür, daß San Giuliano
selbst seine russischen Verbindungen in dieser Absicht auszunutzen
bestrebt sei.
Herr von Merey hat vor geschlagen, aus Rücksicht für Italien,
damit man dort die Note nicht erst aus den Zeitungen erfahre,
diese durch ihn dem Marquis di San Giuliano am gleichen Tage
wie in Belgrad zur Kenntnis bringen zu lassen; er, der Minister,
werde diesem Rate folgen. Bei der Wichtigkeit, Italien die Stellung-
nahme an der Seite Österreichs zu ermöglichen und gleich von
vornherein jedes Mißverständnis auszuschließen, werde er gleichzeitig
mit der Übergabe der Note in Rom erklären lassen, daß Österreich-
Ungarn bei seiner Aktion gegen Serbien keinerlei Gebietszuwachs
für sich beabsichtige.
von Tschirschky
Nr. 95
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 91 Wien, den 21. Juli 1914 2 3
Graf Forgäch, der heute den Minister vertritt, bittet mich,
Ew. Exz. den Dank der k. u. k. Regierung für die freundliche Mit-
teilung sowie besonders für die Sprache auszudrücken, die Ew. Exz.
dem serbischen Geschäftsträger gegenüber geführt haben.
Tschirschky 1 2 3
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 4f) nachm. Eingangsvermerk des Amts: 21. Juli
nachm.
3 Siehe Nr. 86 und 91.
I 21
Nr. 96
Der Admiralstab der Marine an den Staatssekretär
des Auswärtigen1
Berlin, den 21. Juli 19141 2 3
Ew. Exz. beehre ich mich unter Bezugnahme auf die gestrige
Unterredung den Reiseplan des Präsidenten Poincar6 an Bord des
Linienschiffes »France« zu übersenden8.
Plan
Am 15. Juli Einschiffung des Präsidenten auf »France« in
Cherbourg.
Ankunft Hafen Abfahrt
Cherbourg 15- Juli 7h nachm.
20. Juli 2b nachm. Kronstadt 23- „ IOh
25- „ io1/2 h vorm. Stockholm 25- » abends
27. „ ih nachm. Kopenhagen 28. „ nachm.
29. ,, 10x/2 b vorm. Kristiania 29- „ nachts
3i- ,, 4h nachm. Dunkerque.
Meine gestrigen mündlichen Angaben berichtigend bemerke
ich, daß 5. M. Yacht »Hohenzollem« von Balholm bei möglichster
Abkürzung des Aufenthaltes in Bergen zum Kohlennehmen je nach
den Verhältnissen Wilhelmshaven oder Cuxhaven bereits in i1/2 bis
2 Tagen, Kiel in etwa 2 Tagen erreichen kann.
F[ür] d[en] b[eurlaubten] Ch[ef] d[es] Adm[iraJ]st[abes] d[er] M[arine]
Paul Behncke
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 21. Juli.
3 Siehe Nr. 30, 93 und 108.
122
Nr. 97
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Telegramm 129 Berlin, den 21. Juli 19142 3
Ew. Exz. bitte ich, der dortigen Regierung Einwirkung auf die
italienische Presse mit Geld aufzulegen. Sie wollen ferner darauf
hinweisen, daß es sich empfehlen wird, nach erfolgter Demarche in
der Presse die nationalen Gefühle der eigenen serbischen Staats-
angehörigen zu schonen und auf diese Weise zu versuchen, sie für
eine Lösung der serbischen Frage im österreichischen Sinne zu ge-
winnen ,
J a g o w
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Stumms Hand.
Ä b20 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 128.
Nr. 98
Der Botschafter in Konstantinopel an das Auswärtige Amt1
Telegramm 356 Konstantinopel, den 21. Juli 19141 2
Ganz geheim!
Meinem österreichischen Kollegen ist bereits eine geheime In-
struktion zugegangen, wie er sich bei Ausbruch eines Krieges der
Türkei gegenüber zu verhalten habe.
Wange nheim
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Konstantinopel 5 Uhr nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 640 nachm. Eingangsvermerk: 21. Juli nachm., durch Erlaß vom 22. Juli
dem Botschafter in Wien mitgeteilt.
123
Nr. 99
Der Botschafter in Konstantinopel an das Auswärtige Amt1
Telegramm 354 Therapia, den 21. Juli 19141 2
Großwesir, Talaat Bei und Enver
haben meinem österreichischen Kollegen
gestern übereinstimmend gesagt, es sei
jetzt für Österreich der letzte Moment
gekommen, wo es die durch den Balkan -
krieg erlittenen Einbußen wieder aus-
gleichen und sein Ansehen als Großmacht
bei den Balkanvölkern und bei der Türkei
wieder her st eilen könne. Nicht nur Bul-
garien, sondern auch Rumänien und die
na? Türkei würden sich rückhaltlos auf die wir wollen die
Seite des Dreibundes stellen*, wenn öster- Herren ^ur be-
das gebe der reich Serbien eine gehörige Lektion gebe, treffenden Stun-
Himmel. Die Türkei sei im Begriff gewesen, auf ^e daran er-
Wunsch Deutschlands und Rumäniens
gegen ihre bessere Überzeugung mit
Griechenland ein Bündnis zu schließen.
Dieses Bündnis werde nicht zustande
kommen, wenn Österreich durch ener-
gisches Auftreten Bulgarien an sich kette.
Markgraf Pallavicini hat aus den
Gesprächen mit türkischen Ministern den
Eindruck gewonnen, daß die Triple-En-
tente, namentlich Rußland, jetzt für -das
griechisch-türkische Bündnis arbeitet.
Wangenheim
1 Nach der Entzifferung.
3 Aufgegeben in Therapia 480 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
73 nachm. Eingangsvermerk: 21. Juli nachm. Am 22. Juli nachm, wurde
der Abschnitt »Großwesir.........Lektion gebe« telegraphisch dem Kaiser
mitgeteilt, dem am gleichen Tage Entzifferung vorlag. Kaiser befahl durch
Randverfügung Mitteilung an die Botschaft in Wien. Abschnitt »Groß-
wesir..........Lektion gebe« wurde am 22. Juli telegraphisch dem Bot-
schafterin Rom mitgeteilt. Telegramm io25 nachm, zum Haupttelegraphen-
amt. Derselbe Abschnitt wurde am 22. Juli auch dem Botschafter in
Wien mitgeteilt.
3 Am Rand Fragezeichen des Kaisers. D er Rand vermerk »w;ir wollen.......
erinnern« steht über den Worten »rückhaltlos auf . . .«
Der Reichskanzler an die Botschafter in Petersburg,
Paris und London1
Berlin, den 21. Juli 19142
Die Veröffentlichungen der österreichisch-ungarischen Re-
gierung über die Umstände, unter denen das Attentat auf den
österreichischen Thronfolger und seine Gemahlin stattgefunden
hat, enthüllen offen die Ziele, die sich die großserbische Propa-
ganda gesetzt hat, und die Mittel, deren sie sich zur Verwirk-
lichung derselben bedient. Auch müssen durch die bekannt-
gegebenen Tatsachen die letzten Zweifel darüber schwinden, daß
das Aktionszentrum der Bestrebungen, die auf Loslösung der süd-
slawischen Provinzen von der österreichisch-ungarischen Monar-
chie und deren Vereinigung mit dem serbischen Königreich hinaus-
laufen, in Belgrad zu suchen ist, und dort zum mindesten mit der
Konnivenz von Angehörigen der Regierung und Armee seine Tätig-
keit entfaltet.
Die serbischen Treibereien gehen auf eine lange Reihe von
Jahren zurück. In besonders markanter Form trat der groß-
serbische Chauvinismus während der bpsnischen Krisis in die Er-
scheinung. Nur der weitgehenden Selbstbeherrschung und Mäßi-
gung der österreichisch-ungarischen Regierung und dem energischen
Einschreiten der Großmächte war es zuzuschreiben, wenn die
Provokationen, welchen Österreich-Ungarn in dieser Zeit von seiten
Serbiens ausgesetzt war, nicht zum Konflikt führten. Die Zusiche-
rung künftigen Wohlverhaltens, die die serbische Regierung damals
gegeben hat, hat sie nicht eingehalten. Unter den Augen, zum
mindesten unter stillschweigender Duldung des amtlichen Serbiens,
hat die großserbische Propaganda inzwischen fortgesetzt an Aus-
dehnung und Intensität zugenommen; auf ihr Konto ist das jüngste
Verbrechen zu setzen, dessen Fäden nach Belgrad führen. Es hat
sich in unzweideutiger Weise kundgetan, daß es weder mit der
Würde noch mit der Selbsterhaltung der österreichisch-ungarischen
Monarchie vereinbar sein würde, dem Treiben jenseits der Grenze
noch länger tatenlos zuzusehen, durch das die Sicherheit und Integri-
tät ihrer Gebiete dauernd bedroht wird. Bei dieser Sachlage
können das Vorgehen sowie die Forderungen der österreichisch-
ungarischen Regierung nur als billig und maßvoll angesehen werden.
Trotzdem schließt die Haltung, die die öffentliche Meinung sowohl
als auch die Regierung in Serbien in letzter Zeit eingenommen hat,
die Befürchtung nicht aus8, daß die serbische Regierung es ablehnen
wird, diesen Forderungen zu entsprechen, und daß sie sich zu einer
provokatorischen Haltung Österreich-Ungarn gegenüber hinreißen
läßt. Es würde der österreichisch-ungarischen Regierung, will sie
nicht auf ihre Stellung als Großmacht endgültig Verzicht leisten,
alsdann nichts anderes übrig bleiben, als ihre Forderungen bei der
serbischen Regierung durch einen starken Druck und nötigenfalls
unter der Ergreifung militärischer Maßnahmen durchzusetzen,
wobei ihr die Wahl der Mittel überlassen bleiben muß.
Ew. pp. beehre ich mich zu ersuchen, sich in vorstehendem
Sinne Herrn Sasonow4 gegenüber auszusprechen und dabei ins-
besondere der Anschauung nachdrücklich Ausdruck zu verleihen, daß
es sich in der vorliegenden Frage um eine lediglich zwischen Öster-
reich-Ungarn und Serbien zum Austrag zu bringende Angelegen-
heit handele, die auf die beiden direkt Beteiligten zu beschränken
das ernste Bestreben der Mächte sein müsse. Wir wünschen drin-
gend die Lokalisierung des Konflikts, weil jedes Eingreifen einer
anderen Macht infolge der verschiedenen Bündnisverpflichtungen
unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen würde.
Ew. pp. wollen Herrn Sasonow ferner auf die ernsten Folgen
aufmerksam machen, die es für den monarchischen Gedanken haben
müßte, wenn sich im vorliegenden Falle die monarchischen Mächte
unter Hintansetzung etwaiger nationaler Sympathien und politischer
Gesichtspunkte nicht geschlossen auf die Seite Österreich-Ungarns
stellen sollten, da es gilt, dem vor Verbrechen auch an Angehörigen
des eigenen Herrscherhauses nicht zurückschreckenden politischen
Radikalismus, der in Serbien die Zügel führt, einen vernichtenden
Streich zu versetzen. An dieser Aufgabe ist Rußland in gleichem
Maße wie Deutschland interessiert. Ich gebe mich der Hoffnung
hin, daß Herr Sasonow sich dieser Tatsache nicht verschließen wird.
Einem gefälligen telegraphischen Bericht über den Verlauf
Ihrer Unterredung werde ich mit Interesse entgegensehen5.
v. Bethraann H o 1 1 w e g 1 2 3 4 5
1 Runderlaß des Reichskanzlers, gezeichnet von v. Jagow, an die Botschafter
in Paris, London und Petersburg. Nach dem Konzept. In Maschinen-
schrift vorliegender Entwurf zuerst von Stumm paraphiert, mit einer formalen
Ergänzung von der Hand des Vortragenden Rats im Auswärtigen Amt
Wirklichen Legationsrats Frhn. Langwerth von Simmern und Änderungen
des Reichskanzlers. Der Abschnitt »Ew. Exz. wollen Herrn Sasonow ......
verschließen wird« ging nur dem Botschafter in Petersburg zu. Dieser
Abschnitt fehlt auch in dem Abdruck des Runderlasses im deutschen
Weißbuch vom Mai 1915 S. 24, Nr. 1, wo der Erlaß vom 23. Juli datiert isL
2 Nach Petersburg am 21. Juli, nach Paris und London am 22. Juli abge-
gangen.
3 »schließt ........die Befürchtung nicht aus« ist vom Kanzler aus »läßt
• v......befürchten« des Entwurfs geändert.
4 Im Erlaß an Lichnowsky: »Sir E. Grey« im Erlaß anSchoen: »dem der-
zeitigen Vertreter des Herrn Viviani«.
5 Siehe Nr. 154, 157, 160.
I2Ö
Nr. ioi
Der Reichskanzler an das Auswärtige Amt1
Telegramm (ohne Nummer) Hohenfinow, den 21. Juli 19142
Befehl Sr. M. wegen Zusammenhaltens der Flotte3 bis 25. läßt
mich besorgen, daß, wenn alsdann Ultimatum abgelehnt ist, auf-
fällige Flottenbewegungen vorzeitig von Baiholm . aus befohlen
werden könnten. Auf der andern Seite könnte im Falle einer
Krisis falscher Standort der Flotte verhängnisvoll werden. Da ich
die Frage militärisch nicht beurteilen kann, wäre wohl Rücksprache
mit Admiralstab empfehlenswert, um danach durch Graf Wedel ent-
sprechenden, neben den militärischen auch die politischen Momente
berücksichtigenden Vortrag bei Sr. M. halten lassen zu können.
Erbitte Drahtantwort über Ansicht Admiralstabs.
* Bethmann Hollweg
1 Nach dem Konzept von der Hand des Kanzlers.
8 Aufgegeben in Hohenfinow 21. Juli 650 nachm., angekommen im Aus-
wärtigen Amt 755 nachm. Eingangsvermerk: 22. Juli vorm.
8 Siehe Nr. 82, m und 115.
Nr. 102
Der Botschafter in Konstantinopel an das Auswärtige Amt1
Telegramm 355 Therapia, den 21. Juli 19142 3
Geheim!
Großwesir ließ den bulgarischen Gesandten zu sich rufen, um
ihm vertraulich mitzuteilen, daß er demnächst eine Zusammenkunft
mit Veniselos haben werde, wobei auch über ein Bündnis verhandelt
werden sollte. Er sei entschlossen, sich auf kein Bündnis einzulassen,
möchte aber vor seiner Abreise noch wissen, wie sich Bulgarien beim
Ausbruch eines österreichisch-serbischen Krieges verhalten werde.
Wangenheim 1 2
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Therapia 21. Juli 50 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 755 nachm. Eingangsvermerk: 22. Juli vorm.
5 Siehe NT. 147.
127
Nr. 103
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 92 Wien, den 21. Juli 19142 3
Geheim!
An Serbien zu richtende Note nebst kurzer Zusammenfassung
des Ergebnisses der Untersuchung in Sarajevo geht heute abend nach
Berlin ab. Note wird Donnerstag nachmittag in Belgrad übergeben
und wird Freitag in den hiesigen Morgenblättern publiziert.
Die österreichisch-ungarischen Vertreter bei den Signatarmächten
werden Freitag vormittag den betreffenden Regierungen eine Note
übergeben, welche Wortlaut der an Serbien gerichteten Note und
einen Kommentar enthält. Diese an die Mächte gerichtete Note
nebst Kommentar wird Freitag nachmittag oder Sonnabend früh
Publiziert Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 21. Juli 730 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
925 nachm. Eingangsvermerk: 22. Juli vorm.
3 Siehe Nr. 77, 83 und 88.
* Nr. 104
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 93 Wien, den 21. Juli 19141 2
Geheim!
Gestern nachmittag, nach meiner Unterredung mit Graf Berchtold,
ist Herr von Merey, um möglichstes Entgegenkommen gegen Italien
zu zeigen, autorisiert worden, dem Marquis di San Giuliano schon
jetzt im allgemeinen Mitteilung zu machen über die hiesigen Pläne
Serbien gegenüber und insbesondere anzudeuten, daß die Monarchie
für sich keinerlei Gebietszuwachs anstrebt. Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien, 21. Juli 730 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
925 nachm.; Eingangsvermerk: 22. Juli vorm. Am 22. Juli i38 nachm, von
Jagow telegraphisch dem Kaiser mitgeteilt, mit Auslassung der Worte
»nach meiner...........Berchtold«, und mit folgendem Zusatz: »Bericht-
lich meldet Herr von Tschirschky ferner, daß Graf Berchtold ihm gesagt
habe, Österreich-Ungarn erstrebe keinerlei serbisches Gebiet, da Graf Tisza
bestimmt erklärt hätte, daß Ungarn einen weiteren Zuwachs an serbischer
Bevölkerung nicht vertragen könne« (nach dem Konzept von Jagows Hand).
Entzifferung dieses Telegramms, das 730 nachm, im Hoflager ankam, lag
dem Kaiser noch am 22. Juli vor. Telegramm Tschirschkys von Jagow
am 22. Juli mit Auslassung der Worte »nach meiner...........Berchtold«
telegraphisch auch dem Botschafter in Rom mitgeteilt, io20 vorm, zum
T elegraphenamt.
Aktenstücke I.
11
128
Nr. 105
Der Kaiser an den Kronprinzen1
Telegramm (ohne Nummer) Baiholm, den 21. Juli 1914
Ich erhalte soeben vom Reichskanzler folgendes Telegramm1 2:
»Ew. M. muß ich..........huldvollst untersagen.
Alleruntertänigst von Bethmann Hollweg«
Ich appelliere an Dein Verständnis dafür, wie außerordentlich pein-
lich und schmerzlich es Mir sein muß, daß Du trotz Deiner Mir gegebenen
Versprechungen schon wieder durch Dein Verhalten den Reichskanzler
zwingst, Mir eine solche Bitte vorzutragen. Ich appelliere ferner an
Dein Pflicht- und Ehrgefühl als preußischer Offizier, der gegebene Ver-
sprechen unbedingt zu halten hat, und erwarte mit aller Bestimmt-
heit, daß Du Dich besonders jetzt bei der Spannung der Lage sowie
hinfort überhaupt jeglicher politischer Äußerung Dritten gegenüber,
die nur geeignet sind, Meine und Meiner verantwortlichen Ratgeber
Politik zu stören, ein für alle Mai enthalten wirst.
Papa Wilhelm
1 Von Wedel mit kurzem Begleitschreiben an den Reichskanzler abge-
sandt. Eingangsvermerk der Reichskanzlei: 25. Juli.
2 Einzufügen wie Nr. 84; siehe Nr. 132, 133.
Nr. 106
Der Botschafter in Wien an den Reichkanzler1
Geheim! Wien, den 21. Juli 19142
Ew. Exz. beehre ich mich, in der Anlage ein Exemplar der von
der k. u. k. Regierung für die Signatarmächte bestimmten Note vor-
zulegen3. Die Note enthält im Wortlaut die am Donnerstag nach-
mittag in Belgrad zu übergebende österreichisch-ungarische Note
nebst einem Kommentar. Gleichzeitig hält die k. u. k. Regierung
zur Verfügung der betreffenden Regierungen eine kurze Zusammen-
stellung des Ergebnisses der Untersuchung in Sarajevo.
Bei Übersendung vorstehender Schriftstücke bittet Graf Forgäch
ausdrücklich, diese als nur zur persönlichen streng vertraulichen
Kenntnisnahme Ew. Exz. bestimmt zu betrachten, da die kaiserliche
Genehmigung noch ausstehe, für die allerdings kein Zweifel bestehe4.
von Tschirschky
1 Nach der Ausfertigung.
3 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 22. Juli nachm.
3 Übersetzung der in französischer Ausfertigung übersandten Note siehe
Anhang I.
4 Siehe Nr. 113.
129
Nr. 107
Entwurf eines nicht abgesandten Erlasses des
Staatssekretärs des Auswärtigen an den Geschäftsträger
in Hamburg1
Ganz vertraulich! Berlin, den 22. Juli 1914
Angesichts des Ausbruchs einer österreichisch-serbischen Krisis
ist es dringend erwünscht, daß die deutsche Presse rechtzeitig die
unseren Interessen entsprechende Haltung einnimmt. Das nächste
Ziel der deutschen Politik würde, wie die »Norddeutsche Allgemeine
Zeitung« am Sonntag früh angedeutet hat, die Lokalisierung des
Streites sein. Diese ist zu erwarten, wenn Serbien gegenüber den
zu erwartenden Forderungen Österreich-Ungams alsbald einlenkt.
Andernfalls ist eine Verschärfung der Krisis in Aussicht. Kommt
es dazu, so müßte unsere Presse zweierlei vermeiden. Es darf
weder der Eindruck entstehen, daß wir zum Kriege treiben, weshalb
auch unfreundliche Artikel gegen die Zweibundstaaten möglichst zu
vermeiden sind, noch daß wir beim Eintritt von Verwicklungen
Österreich-Ungarn im Stich lassen werden. Unsere mit der Er-
haltung des Friedens verknüpften großen wirtschaftlichen Interessen
werden hier nicht außer acht gelassen. Es gibt aber kein besseres
Mittel, den Krieg zu vermeiden, als daß wir von vornherein unseren
Platz ruhig und fest an der Seite Österreich-Ungams nehmen. Wenn
die öffentliche Meinung in Rußland und in Frankreich sich vor die
Notwendigkeit gestellt sieht, unter den gegenwärtigen, nicht günstigen
Umständen den Kampf gegen das Deutsche Reich aufzunehmen, so
wird es den Regierungen in St. Petersburg und Paris erschwert
werden, sich in einen österreichisch-serbischen Konflikt zum Nach-
teil Österreich-Ungarns und des Dreibundes einzumischen.
Ew. Hochw. ersuche ich ergebenst, am nächsten Freitag
vormittag, unter Hervorhebung dieses Auftrages, die Lage im
vorstehenden Sinne mit den Chefredakteuren der Hamburger Nach-
richten, des Korrespondenten und des Fremdenblatts vertraulich,
aber nachdrücklich zu besprechen.
v. Jagow *
* Nach dem Konzept. Entwurf von der Hand des ständigen Hilfsarbeiters
im Auswärtigen Amt, Legationsrats Esternaux, datiert vom 20. Juli,
mit Änderungen und Ergänzungen Hammanns und v. Jagows. Bericht
wurde indessen kassiert und ging nicht ab. Konzept trägt die Bemerkung
Langwerths von Simmern vom 22. Juli. »Erl(edigt). Cessat. Wird
weisungsgemäß von mir mündl. erledigt werden.«
11
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 144 Petersburg, den 22. Juli 19142 3
Abfahrt des Herrn Poincare aus Kronstadt ist für Donnerstag
abend 11 Uhr vorgesehen.
Pourt ales
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Petersburg 125 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 231 nachm.; Eingangsvermerk: 22. Juli nachm.
3 Siehe Nr. 93, 96 und 112.
Nr. 109
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 16 Fiuggi, den 22. Juli 1914* 2 *
Aus Rom, wohin er sich zur Besprechung mit Ministerpräsidentem
Salandra begeben hat, telephoniert mir Marquis di San Giuliano, nach
erhaltenen Nachrichten betrachte er Lage als äußerst ernst. Er werde
daher mit Herrn Salandra morgen abend hier wieder ein treffen, um
Lage mit mir zu beraten. Sollten sich neue Momente ergeben haben,
die in Diskussion zu verwerten, so darf ich Mitteilung anheimstellen,
da Gelegenheit zu weiteren Besprechungen mit Ministem wegen
deren Reisedispositionen in nächsten Tagen unsicher.
Flotow
/1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi 20 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 31*
nachm. Eingangsvermerk: 22. Juli nachm.
Nr. iio
131
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 94 Wien, den 22. Juli 1914*
Geheim!
Angesichts der Abreise des Herrn Paschitsch von Belgrad ist
Baron Giesl angewiesen worden, dort mitzuteilen, daß er Donnerstag
nachmittag eine wichtige Eröffnung zu machen haben werde. Sollte
Paschitsch trotzdem nicht nach Belgrad zurückgekehrt sein, so hat
Baron Giesl Auftrag, Note dem nächst ältesten Minister zu übergeben.
Baron Giesl ist ferner angewiesen, falls Antwort nicht befriedigend
und nicht rechtzeitig erfolgt, sofort mit ganzem Personal Belgrad zu
verlassen. Hiesiger serbischer Vertreter würde ebenfalls eingeladen
werden, Wien zu verlassen3.
Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
54 Aufgegeben im Wien i45 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 352
nachm.; Eingangsvermerk: 22. Juli nachm.
! Siehe Nr. 114.
Nr. in
Der stellvertretende Chef des Admiralstabs an das
Auswärtige Amt1
Berlin, den 22. Juli 1914 1 2 ?
Wenn mit der Möglichkeit einer unmittelbar bevorstehenden
Kriegserklärung Englands gerechnet werden muß, so ist vom mili-
tärischen Standpunkt aus auch mit Sicherheit mit einem Überfall
unserer Flotte durch die englische Flotte zu rechnen.
Unsere Flotte darf bei ihrer großen numerischen Unterlegenheit
dieser Möglichkeit keinesfalls ausgesetzt werden.
Sobald mit der Möglichkeit des Ausbruchs eines Krieges mit
England innerhalb von jeweilig 6 Tagen zu rechnen ist, muß daher
die Flotte zurückgerufen werden.
Behncke
Konteradmiral
1 Nach der Ausfertigung von Behnckes Hand.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 22. Juli nachm. Am 22. Juli tele-
graphisch dem Reichskanzler mitgeteilt (siehe Nr. 115), am 23. Juli tele-
graphisch auch an den Gesandten im kaiserlichen Gefolge gegeben (siehe
Nr. 125).
Siehe Nr. 82 und 101.
132
Nr. 112
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Telegramm 130 Berlin, den 22. Juli 19141 2 * *
Zur schleunigen Verwertung
Hatte Graf Pourtal&s nach Programm des Besuches Poincart
befragt. Derselbe meldet, daß Präsident Donnerstag abend 11 Uhr
von Kronstadt abfährt. Dies wäre nach mitteleuropäischer Zeit
91/a Uhr. Wenn Demarche in Belgrad morgen nachmittag 5 Uhr
gemacht wird, würde sie also noch während Anwesenheit Poincar^s
in Petersburg bekannt werden*.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
8 65 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 50, 93, 96, 108 und 127.
Nr. 113
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 95 Wien, den 22. Juli 19142
Geheim!
Die an Serbien zu richtende Note ist unverändert von Sr. M
Kaiser Franz Joseph sanktioniert worden*.
Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 350 nachm., angekommen im Auswärtigen Arm
636 nachm. Eingangsvermerk: 22. Juli nachm.
8 Siehe Nr. 106.
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Gesandten
in Belgrad1
Telegramm 26 Berlin, den 22. Juli 1914* *
Geheim!
Wenn österreichischer Gesandter Belgrad verläßt, wollen Ew. Exz,
Geschäfte und Schutz österreichisch-ungarischer Untertanen über-
nehmen.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
* 666 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
1 Siehe Nr. 110.
Nr. 115
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Reichskanzler1
Telegramm 18 Berlin, den 22. Juli 19x4 * *
Admiralstab ist folgender Ansicht:
»Wenn mit der Möglichkeit......zurückgerufen werden.«4
Daß England sich zu sofortigem Überfall auf uns ent-
schließen und daß überhaupt europäische Kriegsfrage sich so schnell
entscheidet, ist sehr unwahrscheinlich. Englische Flotte soll laut
Mitteilung Admiralstabs am 27. d. M. auseinandergehen und Heimat-
häfen auf suchen. Falls unsere Flotte vorzeitig zurückgerufen würde,
würde England die seinige Zusammenhalten.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
1 Aufgegeben in Berlin 71 * 3 nachm., angekommen in Hohenfinow 820 nachm.
5 Siehe Nr. 101.
4 Hier ist die Mitteilung Behnckes vom 22. Juli (Nr. 111) wörtlich eingefügt.
Nr. 116
434
Der Reichskanzler an das Auswärtige Amt1
Telegramm 3 Hohenfinow, den 22. Juli 1914 2 3
Ew. Exz. Beurteilung der Gesamtlage, die wohl auch schon den
mir bisher nicht bekannten Wortlaut der österreichischen Note be-
rücksichtigt, pflichte ich bei. Ich würde deshalb eine vorzeitige
Rückberufung unserer Flotte für einen schweren Fehler halten und
einen entsprechenden Vortrag bei Sr. M. durch Graf Wedel als
empfehlenswert ansehen. Wofern Sie keine Bedenken haben, bitte ich,
entsprechendes Telegramm an diesen, eventuell in meinem Namen,
zu richten. Jedenfalls darf vor dem 27., dem Datum des geplanten
Auseinandergehens der englischen Flotte, unsere Flotte keinerlei
auffällige Bewegungen vornehmen, es sei denn, daß inzwischen un-
vorhergesehene Ereignisse eintreten4.
Bethmann Hollweg
1 Nach dem jetzt bei den Akten befindlichen Konzept von des Kanzlers
Hand.
2 Aufgegeben in Hohenfinow 22. Juli u40 nachm., angekommen im Aus-
wärtigen Amt 23. Juli 125 vorm. Eingangsvermerk: 23. Juli vorm.
2 Siehe Nr. 115.
4 Siehe Nr. 125.
Nr. 117
Der Botschafter in Konstantinopel an das Auswärtige Amt1
Telegramm 362 Konstantinopel, den 22. Juli 19142 3
Enver Pascha sagte mir, ich hätte dem Groß-
wesir auseinandergesetzt4, daß die Türkei bis zur
Vollendung ihrer militärischen und administrativen
kann sie nicht! Reorganisation sich auf keinerlei Bündnis einlassen
Blech! dürfe. Theoretisch sei meine Auffassung durchaus 1 2 * 4
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Konstantinopel 22. Juli 555 nachm., angekommen im Aus-
wärtigen Amt 23. Juli 125 vorm.Eingangsvermerk: 23. Juli vorm. Am 23. Juli
nachm, von Jagow nach Vornahme einiger Änderungen und mit Auslassung
der Sätze »als die Staaten.........schwächeren seien« und »Der Groß-
wesir werde mit Veniselos.......... Rumänien zu Österreich« telegra-
phisch ins kaiserliche Hoflager mitgeteilt, dortselbst angekommen n°
nachm., Entzifferung des Hoflagers mit den Randbemerkungen des Kaisers
am 27. Juli in Berlin eingetroffen.
8 Siehe Nr. 71.
4 »ich.........auseinandergesetzt« von Jagow im Telegramm an den
Kaiser geändert in: »der Groswesir neige der Ansicht zu.«
richtig. In der Praxis ergebe sich aber für die
Türkei die Schwierigkeit, daß sie nur dann in Ruhe
und Gründlichkeit im Innern reformieren könne,
wenn sie gegen Angriffe von außen geschützt sei.
richtig Dazu bedürfe sie des Rückhalts an einer der Groß-
mächtegruppen. Eine kleine Minorität im Komitee
sei für ein Bündnis mit Rußland und Frankreich,
weil ein solches der Türkei schon insofern Sicher-
heit gewähre, als die Staaten des Dreibunds im
Mittelmeer die schwächeren seien. Die Majorität
des Komitees, an der Spitze der Großwesir mit
Talaat Bei, Halil und ihm selbst, wünschten da-
und Frankreichs gegen nicht Vasallen Rußlands zu werden und seien
überzeugt, daß der Dreibund militärisch stärker sei
als die Entente und bei einem Weltkriege obsiegen
werde. Er könne mithin erklären, daß die jetzige
türkische Regierung den Anschluß an den Dreibund
dringend wünsche und nur, wenn sie von uns zu-
rückgewiesen werde, schweren Herzens sich zu einem
Pakt mit der Triple-Entente entschließen werde.
Nun sehe das Kabinett sehr wohl ein, daß die
Türkei gegenwärtig den Großmächten gegenüber
nicht bündnisfähig sei. Sie verlange daher auch
nur den Schutz der betreffenden Mächtegruppe für
ein Bündnis, welches sie selbst mit einem kleineren
Staate schließe. Zur Zeit beständen für die Türkei
zwei Möglichkeiten sekundärer Bündnisse: Die Allianz
mit Griechenland, die zur Triple-Entente hinüber-
leite, und die Allianz mit Bulgarien, die zum Drei-
bund führe. Das Kabinett sei daher geneigt, mit
Bulgarien unter der Bedingung abzuschließen, daß
das Bündnis vom Dreibund, mindestens aber von einer
Dreibundmacht, patronisiert werde. Mit Bulgarien sei
na also hatten wir ein Bündnisvertrag mit allen Details bereits früher
doch richtig vereinbart und nur deshalb nicht unterzeichnet
gerochen! worden, weil Bulgarien ohne Ratronan% des Drei-
bunds sich nicht dazu habe entschließen können.
Nunmehr sei infolge der österreichisch-serbischen
Spannung die Lage kritisch geworden. Der Groß-
wesir werde mit Veniselos über ein Bündnis ver-
handeln. Eine Ablehnung des griechischen Antrages
werde ihm erleichtert werden, wenn für die Türkei
und Bulgarien die Aussicht bestehe, als Block zu
dem Dreibund in ein ähnliches Verhältnis zu treten
[wie] 5 früher Rumänien zu Österreich. Auf den Aus-
bruch eines Krieges am Balkan könne die Pforte 6
6 Hinter »treten« ist in der Entzifferung das Wort »wie« ausgeblieben.
nicht erst warten. Die gemeinsamen militärischen
Vorbereitungen müßten sofort getroffen werden.
Ich erwiderte Enver, daß er mich von der
Theoreth.richtig Notwendigkeit von Bündnissen für die Türkei nicht
aber im jetzigen überzeugt habe. Schon die wirtschaftliche Genesung
Augenblick falsch! ^er Türkei werde durch ein Bündnis in Frage ge«
um Gewinnung'be- ste^t* Würden Rußland und Frankreich die Akkords
der Büchse, die auf zeic^nen^ wenn die Türkei dem Dreibund bei trete?
dem Balkan bereit Schwerer wögen die politischen Bedenken. Als
ist, fur_ Österreich Dreibundmitglied werde die Türkei mit der offenen
gegen die Slawen Feindschaft Rußlands rechnen müssen. Die türkische
los^ugehen, daher Ostgrenze werde dann der schwächste Punkt der
ist ein lurko-Bulg. strategischen Aufstellung des Dreibunds und der
Bündnis mu An- natürliche Angriffspunkt Rußlands sein. Die Drei-
st uß an Uster- bundregierungen würden voraussichtlich zögern, sich
rcelptierWe°n! Dastt mit ^ten zu belasten, für welche die Türke.
Opportunitätspoli- heute noch keine entsprechenden Gegenleistungen
tik, die muß hier tzn^ubieten habe. Auch die Türkei und Bulgarien
getrieben werden. als Block seien dem Dreibund gegenüber kaum
bündnisfähig. Etwas anderes wäre es, wenn dem
Block auch noch Rumänien bei träte, wofür aber
zur Zeit wenig Aussicht vorhanden sei.
Enver Pascha hörte aufmerksam zu, betonte aber
immer wieder, daß, wenn der Dreibund das bulgarisch-
türkische Bündnis verhindere, die Triple-Entente-
Freunde im Komitee Oberwasser bekommen würden
Die augenblickliche kritische Stimmung macht
es wenig wahrscheinlich, daß in Brüssel® ein Bündnis
geschlossen wird. Die Türkei dürfte zunächst ver-
faute de mieux mit- suchen, Bulgarien zu einer Allianz auch ohne
^une men, so ange sanktion durch den Dreibund zu bewegen. Wird
Seite zu Rechten Bulgarien in den österreichisch-serbischen Konflikt
bereit sind. hineingezogen, so ist es beinahe sicher, daß die Türkei
nicht neutral bleiben, sondern versuchen wird, über
West-Thrazien nach Griechenland vorzudringen.* * 7
Wangenheim
Einverstanden. Wenn es nicht anders geht, und Stambul
absolut Bündnis schließen will »unter Patronanaf des
Dreibundes oder einer Macht desselben«, so soll es doch ruhig
versuchen, Rumänien und Bulgarien ^usammen^ukriegen
und sich Österreich %ur Verfügung stellen. Ich habe nichts
dagegen. Das ist immer noch besser, als aus theoreth.
Bedenken die Türkei \ur jple Entente drängen.
• Wegen Zusammenkunft des Großwesirs mit Veniselos in Brüssel siehe
Wangenheims Telegramm 352 vom 19. Juli, Nr. 81.
7 Siehe Nr. 141 und 144.
*37
Nr. 118
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 145 London, den 22. Juli 19142
Sir Edward Grey wird, wie ich vertraulich erfahre, dem Grafen
Mensdorff morgen erklären, die britische Regierung werde sich be-
mühen3, ihren Einfluß dahin zur Geltung zu bringen, daß die öster-
reichisch-ungarischen Forderungen, falls sie gemäßigt seien und sich
mit der Selbständigkeit des serbischen Staates vereinbaren ließen,
von der serbischen Regierung angenommen würden. In ähnlichem
Sinne........... mit Sir Maurice de Bunsen über die serbische
Frage zu sprechen 4 5.
L i c h n o w s k y
1 Nach der Entzifferung.
8 Aufgegeben in Londen, 22. Juli 917, nachm., angekommen im Auswär-
tigen Amt 23. Juli i25 vorm.; Eingangsvermerk: 23. Juli vorm. Lichnowskys
Telegramm wurde von Jagow telegraphisch dem Botschafter in Wien
mitgeteilt mit dem Zusatz: »Fürst Lichnowsky erhält Instruktion zur
Regelung..........zuständen« (siehe Schlußsatz des Telegramms an den
Kaiser Nr. 121). Am 23. Juli i5 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Die Worte »werde sich bemühen« fehlen in der Entzifferung; sie sind
aus den Akten der Deutschen Botschaft in London oben ergänzt.
1 Siehe den vollen Wortlaut des Lichnowskyschen Telegramms unter Nr. 12 * *.
6 Siehe Nr. 126 und 140.
Nr. 119
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 17 Fiuggi, den 23. Juli 19142
Nach Äußerung San Giulianos hat österreichischer Botschafter
üim im allgemeinen österreichische Absichten, gegen Serbien vorzu-
gehen, mitgeteilt. Note werde hier sofort nach definitiver Fertig
Stellung mitgeteilt werderf. Österreich habe gegenwärtig nicht Ab-
sicht, Territorium zu erwerben oder Lowtschen zu besetzen. Minister
nimmt diese Erklärung nicht als dauernde Verpflichtung und ist
1 Nach der Entzifferung.
* Aufgegeben in Fiuggi 720 vorm., angekommen im Auswärtigen Amt 9^
vorm. Eingangsvermerk: 23. Juli vorm. Am 23. Juli von Jagow tele-
graphisch dem Botschafter in Wien mitgeteilt, Telegramm 230 nachm, zum
Haupttelegraphenamt gegeben, 8 Uhr abends angekommen auf der Deut-
schen Botschaft in Wien.
138
daher über diesen Punkt nicht ganz beruhigt. Weiterer Erörterung
wich er anscheinend aus mit der Bemerkung, Ministerpräsident Salandra
wünsche am Freitag, 24. d. M., die eingetretene Lage in seinem —
des Marquis di San Giuliano — Beisein mit mir zu erörtern. Der
Ernst der Situation für Deutschland und Italien verlange eine solche
Aussprache. San Giuliano konnte seine Besorgnisse vor übertriebenen
Forderungen Österreichs nicht verhehlen, die ganz Europa und auch
italienische öffentliche Meinung gegen Österreich aufbringen würden.
Er hält das Vorgehen nach wie vor für zwecklos, da man serbische
nationale Bestrebungen nicht unterdrücken könne. Flotow
Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler1
St. Petersburg, den 21. Juli 19141 2
Herr Sasonow, der in der vorigen Woche mehrere
Tage auf seinem Landgut im Gouvernement Grodno
verbracht hatte, ist seit seiner Rückkehr von dort
recht nervös wegen der Beziehungen zwischen Öster-
reich-Ungarn und Serbien. Er erzählte mir, daß er
sehr alarmierende Berichte aus London, Paris und
Rom erhalten habe, wo überall die Haltung Öster-
reich-Ungarns wachsende Besorgnis einflöße. Auch
Herr Schebeko, der im allgemeinen ein ruhiger Be-
obachter sei, melde, daß die Stimmung in Wien
gegen Serbien immer schlechter werde.
Der Minister ergriff die Gelegenheit, um seinem
Groll gegen die österreichisch-ungarische Politik wieder
in gewohnter Weise freien Lauf zu lassen. Daß Kaiser
Franz Joseph und auch Graf Berchtold friedliebend
wären, wollte Herr Sasonow zwar zugeben, es seien
aber sehr mächtige und gefährliche Einflüsse an
der Arbeit, die in beiden Reichshälften immer mehr
an Boden gewännen und die vor dem Gedanken
nicht zurückscheuten, Österreich in einen Krieg zu
stürzen, selbst auf die Gefahr hin, einen allgemeinen
Weltbrand zu entfesseln.- Man müsse sich mit Be-
das Bild paßt viel sorgnis fragen, ob der . greise Monarch und sein
besser auf Peters- schwacher Minister des Äußern diesen Einflüssen
bürg! gegenüber auf die Dauer die nötige Widerstands-
kraft finden würden. 1
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 23. Juli vorm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 27. Juli zurückgegeben. Gemäß k. Randverfügung
am 30. Juli durch Erlaß den Botschaften in Wien, Rom, London und
Paris mitgeteilt.
r39
Narr selber Herr
Sa^onoffü!
ja
richtig
ja
gut
Früher hätten kriegslustige Elemente, bei denen
besonders auch klerikale Intrigen eine große Rolle
spielten, ihre Hoffnungen auf den verstorbenen
Erzherzog Franz Ferdinand gesetzt. Der Tod des
Erzherzogs habe sie keineswegs entmutigt, sie seien
vielmehr diejenigen, welche die gefährliche Politik,
die Österreich-Ungarn gegenwärtig treibe, inspi-
rierten3. Die eigentlichen Leiter dieser Politik
seien besonders zwei Männer, deren zunehmender
Einfluß im höchsten Maße bedenklich erscheine,
nämlich Graf Forgäch, der »ein Intrigant der
schlimmsten Sorte« und Graf Tisza, der nein halber
Narr« sei.
Ich entgegnete Herrn Sasonow, seine maßlosen,
gegen die österreichisch-ungarische Politik gerichteten
Vorwürfe schienen mir durch seine allzu großen
Sympathien für die Serben stark beeinflußt und in
keiner Weise gerechtfertigt. Man könne billiger-
weise nicht umhin, die von dem Wiener Kabinett
seit dem Attentat in Sarajevo beobachtete maß-
volle Zurückhaltung anzuerkennen. Es scheine mir
überhaupt verfrüht, schon jetzt, bevor das Ergebnis
der Untersuchung über das Attentat vorliege, dar-
über zu urteilen, inwieweit Österreich-Ungarn be-
rechtigt sei, die serbische Regierung für die groß-
serbische Agitation verantwortlich zu machen. Nach
allem aber, was schon jetzt bekannt sei, könne
man kaum daran zweifeln, daß die großserbische
Agitation von Serbien aus unter den Augen der
serbischen Regierung geschürt werde, und daß
auch das schändliche Attentat in Serbien vorbereitet
worden sei. Ein großer Staat könne aber auf die
Dauer unmöglich an seinen Grenzen eine Propa-
ganda dulden, durch die seine Sicherheit direkt be-
droht werde. Sollten daher, wie es allerdings den
Anschein habe, durch den Prozeß gegen die Ur-
heber des Attentates wirklich Fäden aufgedeckt
werden, welche von Serbien ausgingen, und sollte
bewiesen werden, daß die serbische Regierung
gegenüber den gegen Österreich gerichteten Machen-
schaften eine bedauerliche Konnivenz gezeigt habe,
so sei die österreichisch-ungarische Regierung zweifel-
los berechtigt, in Belgrad eine ernste Sprache zu führen.
Ich könnte mir nicht denken, daß in diesem Falle
solche Vorstellungen des Wiener Kabinetts bei der
3 Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.
echt Russisch
Donnerwetter!
richtig
tmd Rußland für
seine Spione, die
überall auf-
gegriffen werden!
wäre auch das
Beste !
serbischen Regierung dem Widerspruch irgendeiner
Macht begegnen könnten.
Der Minister hielt diesen Ausführungen gegen-
über aufrecht, daß eine Unterstützung der groß-
serbischen Propaganda in Österreich-Ungarn von
Serbien aus oder gar von der serbischen Regierung
keineswegs erwiesen sei4. Man könne für die Taten
Einzelner nicht ein ganzes Land verantwortlich
machen. Der Mörder des Erzherzogs sei überdies
nicht einmal serbischer Untertan. Eine groß-
serbische Propaganda gäbe es allerdings in Öster-
reich, sie sei aber die Folge der schlechten Re-
gierungsmethode, durch die Österreich sich von
jeher ausgezeichnet habe. Ebenso wie es eine groß-
serbische Agitation gebe, höre man au< h von der
italienischen Irredenta und von der Los-von-Rom-
Bewegung sprechen. Das Wiener Kabinett habe
nicht den geringsten Grund, sich über die Haltung
der serbischen Regierung zu beklagen, diese be-
nehme sich vielmehr vollständig korrekt.
Ich warf hier ein, es genüge wohl nicht, daß
die Mitglieder der serbischen Regierung selbst sich
der Teilnahme an der antiösterreichischen Pro-
paganda enthielten. Österreich-Ungarn sei vielmehr
berechtigt, zu verlangen, daß von Seiten der
serbischen Behörden aktiv gegen die österreich-
feindliche Propaganda vorgegangen werde, denn die
Regierung könne sich unmöglich jeder Verantwortung
für das, was im Lande vor sich gehe, entziehen.
Nach diesem Prinzip, entgegnete Herr Sasonow,
müßte Rußland auch die schwedische Regierung
für die antirussische Agitation, die seit etwa
anderthalb Jahren in Schweden betrieben werde,
verantwortlich machen.
Ich wies darauf hin, daß es sich in Schweden
nur um eine politische Agitation und nicht wie in
Serbien um eine Propaganda der Tat handele.
Herr Sasonow bemerkte darauf, daß diejenigen,
welche in Österreich einem Vorgehen gegen Serbien
das Wort redeten, sich anscheinend nicht mit Vor-
stellungen in Belgrad begnügen wollten, sondern
daß ihr Ziel die Vernichtung Serbiens sei. Ich er-
widerte, daß ich immer nur von einem Ziele 1 ätte
reden hören, nämlich: der »Klärung« des Verhält-
nisses Österreich-Ungarns zu Serbien.
4 Am Rand zwei Ausrutungszeichen des Kaisers.
14*
Der Minister fuhr erregt fort, auf jeden Fall
dürfe Österreich-Ungarn, wenn es durchaus den
Frieden stören wolle, nicht vergessen, daß es in
nein! Rußland ja! diesem Falle mit Europa \u rechnen habe. Rußland
als den Thäter und würde einem Schritt in Belgrad, der auf eine Er-
Vertreter des Für- niedrigung Serbien[s]5 absehe, nicht gleichgültig zu-
stenmordes!!! sehen können. Ich bemerkte, ich vermöchte in
ernsten Vorstellungen, in welchen Serbien an seine
völkerrechtlichen Pflichten erinnert würde, noch
richtig keine Erniedrigung [{w*] erblicken. Herr Sasonow
erwiderte, es komme darauf an, wie dieser Schritt
erfolge, auf jeden Fall dürfe von einem Ultimatum
ist bereits da! nicht die Rede sein6 7.
Der Minister wies im Laufe des Gesprächs
wiederholt darauf hin, daß nach den ihm vorliegen-
den Nachrichten die Lage auch in Paris und London
ernst angesehen werde, er war dabei sichtlich be-
strebt, bei mir den Eindruck zu erwecken, daß auch
er irrt! in England die Haltung Österreich-Ungarns sehr
gemißbilligt werde.
Am Schluß der Unterhaltung frug ich Herrn
Sasonow, was nach seiner Ansicht an dem in der
letzten Zeit in der Presse viel erörterten angeblichen
Plan einer Vereinigung von Serbien und Montenegro
wäre. Der Minister bemerkte, eine solche Vereini-
gung werde nur von Montenegro gewünscht, welches
auch den größten Vorteil dabei haben würde. In
Serbien denke man gar nicht an diese Vereinigung,
was der verstorbene Herr von Hartwig noch in
einem seiner letzten Berichte besonders hervor-
gehoben habe. Höchstens wünsche man auf wirt-
schaftlichem Gebiet ein engeres Verhältnis mit
Montenegro, von einer Personalunion wolle man
aber nichts wissen.
Herr Sasonow hat seinen Besorgnissen wegen
der österreichisch-serbischen Spannung auch meinem
italienischen Kollegen gegenüber Ausdruck gegeben
und dabei bemerkt, Rußland würde es nicht dulden
können, daß Österreich-Ungarn Serbien gegenüber
qui vivra verra! eine drohende Sprache führe oder militärische Maß-
regeln treffe. »La politique de la Russie«, hat Herr
Sasonow gesagt, »est pacifique, mais pas passive«.
F. Pourtales
6 Ausfertigung irrig: Serbien.
ln Ausfertigung fehlt irrig: zu.
7 »Ultimatum nicht die Rede« vom Kaiser zweimal unterstrichen.
142
Nr. 121
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Kaiser1
Telegramm 132
darüber gu befinden
steht ihm nicht gu,
das ist Sache S. M.
des Kaisers Fr ang
Josef!
ist ihre Sache!
was ist leichtfertig ?
Wie kann Grey so
ein Wort Uber den
alten ehrwürdigen
Herrn gebrauchen!
dbt es nicht!
Wie käme ich da\u!
geht mich garnichts an !
was heißt unerfüllbar?
die Kerls haben Agita-
tion mit Mord getrieben
und müssen geduckt
werden.
Berlin, den 23. Juli 19142
Ew. M. Botschafter in London telegraphiert:
»Sir Edward Grey wird, wie ich vertraulich er-
fahre, dem Grafen Mensdorff morgen erklären, die
britische Regierung werde ihren Einfluß dahin zur
Geltung bringen, daß die österreichisch-ungarischen
Forderungen, falls sie gemäßigt seien und sich mit
der Selbständigkeit des serbischen Staats vereinbaren
ließen, von der serbischen Regierung angenommen
würden. In ähnlichem Sinne glaube er auch, daß
Sasonow seinen Einfluß in Belgrad geltend machen
werde. Voraussetzung für diese Haltung sei aber,
daß von Wien aus keine unbewiesenen Anklagen
ä la Friedjung vorgebracht würden, und daß die
österreichisch-ungarische Regierung in der Lage sei,
den Zusammenhang zwischen dem Mord von Sarajevo
mit den politischen Kreisen Belgrads unzweideutig
festzustellen. Alles hängt von der Art ab, wie man
in Wien die Note gestalte und von den Ergebnissen
der bisherigeh Untersuchung. Auf Grund leicht-
fertiger Behauptungen sei es jedoch unmöglich, in
Belgrad Vorstellungen zu machen. Ich bemühe mich
unterdessen, hier dahin zu wirken, daß man mit
Rücksicht auf das berechtigte Verlangen Österreichs
nach einer Genugtuung und endlichen Einstellung
der dauernden Beunruhigungen für eine bedingungs-
lose Annahme der österreichischen Forderungen ein-
tritt, selbst wenn sie der nationalen Würde Serbiens
nicht vollauf Rechnung tragen sollten. Ich begegne
hierbei der Erwartung, daß es unserem Einfluß in
Wien gelungen ist, unerfüllbare Forderungen zu
unterdrücken. Man rechnet mit Bestimmtheit da-
mit, daß wir mit Forderungen, die offenkundig den
Zweck haben, den Krieg herbeizuführen, uns nicht
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand und der Entzifferung des Hof-
lagers.
2 Aufgegeben in Berlin i40 nachm., angekommen im Hoflager 830 nachm,
Entzifferung .des Hoflagers traf am 27. Juli im Auswärtigen Amt ein.
Gleiches Telegramm ging i40 nachm, nach Wien, Ankunft 40 nachm, (nach
Akten der Deutschen Botschaft in Wien).
Das ist eine unge- identifizieren würden, und daß wir keine Politik
neuerliche Britische unterstützen, die den Sarajevoer Mord nur als Vor-
Unverschämtheit. wanc[ benutzt für österreichische Balkanwünsche und
di in ment e- (jje Vernichtung des Friedens von Bukarest.
SM dein Kaiser übrigen mir Sir Edward Grey auch heute
Vorschriften über w^der sagen lassen, daß er in Petersburg bestrebt
die Wahrung seiner ist, im Sinne des österreichischen Standpunkts zu
Ehre yi machen! wirken. Es hat aber hier nicht angenehm berührt,
daß Graf Berchtold es bisher ganz auffallend ver-
mieden hat, mit Sir Maurice de Runsen über die
serbische Frage zu sprechen.a
Ew. M. Botschafter in London erhält Instruk-
tion zur Regelung seiner Sprache, daß wir öster-
richtig! Das soll reichische Forderungen nicht kannten, sie aber als
Grey aber recht interne Frage Österreich-Ungarns betrachteten3,
ernst und deutlich auf ^ie uns Einwirkung nicht zustände.4
gesagt werden! 1
Damit er sieht, daß Alleruntertänigst
ich keinen Spaß
verstehe. Grey be- J a g o w
geht den Fehler,
daß er Serbien mit
Österreich und anderen Großmächten auf eine Stufe stellt! Das ist unerhört!
Serbien ist eine Räuberbande, die für Verbrechen gefaßt werden muß! Ich
werde mich in nichts entmischen, was der Kaiser ^u beurtheilen allein befugt
ist! Ich habe diese Depesche erwartet und sie überrascht mich nicht! Echt
Brit. Denkweise und herablassend befehlende Art, die ich ab gewiesen haben will!5
Wilhelm, I. R.
a Entzifferung des Hotlagers: betrachten.
4 biehe Nr. 118 und 140.
& Die Rand vermerke des Kaisers »Wie käme ich dazu!.........Ehre zu
machen« und »richtig! Das soll........abgewiesen haben will« wurden
dem Auswärtigen Amt noch unter dem 23. Juli von Wedel telegraphisch
rmtgeteilt, Telegramme autgegeben in Balholm 24. Juli i 2;iü vorm., ange-
kommen im Auswärtigen Amt 555 vorm. Eingangsvermerk: 24. Juli vorm.
Nr. 122
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Geschäftsträger
in Athen1
Telegramm 99 Berlin, den 23. Juli 19142
Geheim!
Zur streng vertraulichen Verwertung.
Spannung zwischen Österreich und Serbien schließt mili-
tärischen 'Konflikt nicht aus. Bei einem solchen würde Bulgarien
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 240 nachm, zum Hauptteiegraphenamt.
Aktenstücke i.
12
Telegramm 15
Geheim!
Nach dem Konzept von Jagows Hand,
nachm, zum Haupttelegraphenamt.
Das gleichfalls bei den Akten befindliche Reinkonzept schreibt irrig »soll«
anstatt des ursprünglich von Jagow niedergeschriebenen »will«.
Gelegenheit zum Angriff auf Serbien kaum vorübergehen lassen.
Wie weit Türkei dann ruhig bleiben würde, ist fraglich. Unser
Standpunkt muß notwendig auf seiten des verbündeten Österreichs
sein. Rechtzeitiges Abrücken Griechenlands von Serbien ratsam,
damit Griechenland nicht in Konflikt hineinbezogen wird. Unter
genannten Umständen scheint Abschluß eines griechisch-türkischen
Bündnisses zur Zeit sehr zweifelhaft. Arrangement auf
anderer Basis, eventuell Vereinbarung über Neutralität daher zu-
nächst empfehlenswert3.
Jagow
Nr. 123
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Gesandten
in Stockholm1
Berlin, den 23. Juli 19142
Zur Regelung Ihrer Sprache. Allem Anschein nach soll8
Österreich-Ungarn, welches sich durch die großserbische Agitation
in seiner Existenz bedroht fühlt, sehr ernste Forderungen in Belgrad
stellen. Dieselben sind uns nicht bekannt, wir betrachten sie als
interne Angelegenheit Österreich-Ungarns, auf welche uns Einwir-
wirkung auch nicht zustehen würde. Falls Serbien Annahme der
Forderungen verweigert, dürfte ein austro-serbischer Konflikt be-
vorstehen. Wir wünschen dringend, daß derselbe lokalisiert bleibt.
Dies wird in erster Linie von Rußland abhängen. Ein Eingreifen
Rußlands, d. h. ein Angriff desselben auf Österreich würde, wie
bekannt, für uns Casus foederis bedeuten. Sollte es trotz unserer
auf Ix)kalisierung gerichteten Bemühungen zur allgemeinen Kon-
flagration kommen, hoffen wir, daß sich Schweden darüber klar
wird, welche ernste Stunde auch für sein Schicksal geschlagen hat.
Jagow
*45
Nr. 124
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 146 London, den 23. Juli 19141 2
Mein italienischer Kollege sagte mir im Laufe einer längeren
vertraulichen Unterhaltung, es würde für jede italienische Regierung
außerordentlich schwer sein, dem Lande gegenüber die Teilnahme
an einem Kriege zu vertreten, welcher etwa die Eroberung oder
Austriazisierung Serbiens bezwecke. Italien unterhalte lebhafte
Handelsbeziehungen mit Serbien und habe gar kein Interesse daran,
diese durch Österreich vernichtet zu sehen. Der Krieg würde also
dem italienischen Interesse direkt zuwiderlaufen und wäre daher
nur zu führen, wenn Österreich entsprechende Gegenleistungen in
Aussicht stellte.
Ich möchte bitten, diese Äußerungen als streng vertrauliche
behandeln zu wollen.
Lichnowsky
1 Nach der Entzifferung.
3 Aufgegeben in London i31 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
3w nachm.; Eingangsvermerk: 23. Juli nachm. Am 24. Juli 8° nachm,
von Jagow durch Erlaß dem Botschafter in Wien mitgeteilt.
Nr. 125
Der Reichskanzler an den Gesandten
im kaiserlichen Gefolge1
Telegramm 89 Berlin, den 23. Juli 191428
Österreichisch-ungarische Note soll heute nachmittag bzw.
abend in Belgrad übergeben, morgen früh in Wien publiziert
werden. Ultimatum würde somit den 25., abends, ablaufen. Unsere
Haltung wird zunächst sein, daß es sich um eine Auseinandersetzung
1 Nach dem von Jagow niedergeschriebenen und gezeichneten Konzept
Telegramm wurde im Namen des Kanzlers von Jagow abgesandt.
2 Aufgegeben in Berlin 340 nachm., angekommen in Balholm 930 nachm.
Die jetzt bei den Akten befindliche Entzifferung des Hoflagers trägt den
Vermerk von Wedels Hand: »S. M. entspr. Vortrag gehalten. Balholm,
23. 7. 14.« Text des Telegramms an Wedel wurde Reichskanzler von
Jagow telegraphisch nach Hohenfinow mitgeteilt, Telegramm 23. Juli
3* nachm, zum Haupttelegraphenamt.
Siehe Nr. in, 115, u6.
12
handle, welche nur Österreich und Serbien etwas angeht, Erst
Eingreifen anderer Macht würde uns in Konflikt einbeziehen. Daß
dies sofort geschieht, namentlich, daß England sich gleich
zum Eingreifen entschließt, ist nicht anzunehmen. Schon die Reise
des Präsidenten Poincare, der heute abend Kronstadt verläßt, den
25. Stockholm, den 27. Kopenhagen, den 29. Kristiania besucht und
den 31. Dunkerque eintrifft, dürfte alle Entschlüsse verzögern'1.
Englische Flotte soll nach Mitteilung des Admiralstabes den
27. auseinandergehen und Heimatshäfen aufsuchen. Etwaige vor-
zeitige Rückberufung unserer Flotte könnte allgemeine Beunruhi-
gung hervorrufen und namentlich in England als verdächtig er-
achtet werden.
Bitte nach Rücksprache mit Admiral von Müller Sr. M. in
diesem Sinne Vortrag zu halten. Bemerke hierzu, daß Admiralstab
folgendes Gutachten abgibt:
»Wenn mit der Möglichkeit einer unmittelbar bevorstehenden
Kriegserklärung Englands gerechnet werden muß, so ist vom mili-
tärischen Standpunkt aus auch mit Sicherheit mit einem Überfall
unserer Flotte durch die englische Flotte zu rechnen. Unsere Flotte
darf bei ihrer0 numerischen Unterlegenheit dieser Möglichkeit
keinenfalls ausgesetzt werden. Sobald mit der Möglichkeit des
Ausbruchs eines Krieges mit England innerhalb von jeweilig
6 Tagen zu rechnen ist, muß daher die Flotte zurückgerufen
werden«. Bethmann Hollweg
4 Siehe Nr. ;o, 93, 96, 108, 112.
6 Das in Behnckes Bericht auf »ihrer« folgende Wort »großen« von Jagow
hier fortgelassen, siehe Nr. in.
Nr. 126
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in London1
Telegramm 167 Berlin, den 23. Juli 1914 2 z
Die österreichischen Forderungen sind uns nicht bekannt1 2 3 4.
Wir betrachten die Regelung des österreichisch-serbischen
Zwischenfalls als eine ausschließlich zwischen den beiden Beteiligten
1 Nach dem Konzept. Kntwurf von Stumms Hand mit Änderungen
Jagows. Das Telegramm ging gleichzeitig, gekürzt um den ersten Satz
»Die ........bekannt«, auch an den Botschafter in Paris.
2 Telegramm, wie auch das an den Botschafter in Paris, 40 nachm, zum
Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr.. 118.
i Satz »Die.........bekannt« von Jagow im Stummschen Entwurf
beigefügt.
zum Austrag zu bringende interne8 Angelegenheit, auf die uns keinerlei
Einwirkung zusteht, und haben daher auch keinerlei Einfluß auf die
Entschließungen des Wiener Kabinetts ausgeübt.
Ew. Durch!, wollen daher auch Ausführung des gestern abend
dorthin abgegangenen Erlasses6 erst vornehmen, nachdem der Wort-
laut der österreichischen Note an die serbische Regierung durch die
Presse bekannt geworden ist. Anderenfalls könnte der Eindruck
dort entstehen, als ob uns derselbe vorher bekannt gewesen wäre.
J a g o w
5 »interne« von Jagow im Stummschen Entwurf beigefügt.
6 Siehe Nr. 100.
Nr. 127
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 96 Wien, den 23. Juli 1914* 2
K. u. k. Regierung dankt wärmstens für Information. Baron
Giesl ist angewiesen, Übergabe um eine Stunde zu verschieben 3.
Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
- Aufgegeben in Wien i50 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
40 nachm. Eingangsvermerk: 23. Juli nachm.
Siehe Nr. 112.
Nr. 128
Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler1
Geheim! Wien, den 22. Juli 19142 3
Habe heute mit Graf Forgäch Notwendigkeit Einwirkung auf
fremde Presse eingehend besprochen. Was Italien anlange, so hat
Herr von M6rey Vollmacht, jede Summe, die ihm erforderlich
erscheinen sollte, zu verwenden. Botschafter vertritt bisherigen
Standpunkt, daß es äußerst gefährlich sein würde, jetzt plötzlich
J Nach der Entzifferung.
- Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 23. Juli nachm. Abs. 1 »Habe
.........machen« am 25. Juli nachm, durch Erlaß dem Botschafter in
Rom ; »zur Information« mitgeteilt.
3 Siehe Nr. 97.
mit großen Mitteln an italienische Presse beranzutreten. Dies würde,
wie er glaubt, dort Mißtrauen erwecken und womöglich gegenteiligen
Effekt haben. Er ist aber nochmals angewiesen worden, Versuche
zur Einwirkung auf dortige Presse zu machen und jedenfalls nach
erfolgtem Schritt in Belgrad alles, und mit allen Mitteln, daran zu
setzen, daß die leitenden Zeitungen die hier gewünschte neutrale
Stellung der italienischen Regierung nicht unmöglich machen.
Graf Czernin in Bukarest hat gleichfalls illimitierte Summen
zur Verfügung. Er soll es insbesondere versuchen, den »Adeverul«
zu kaufen.
Auch Graf Szäpäry hat gleiche Vollmacht. Er hat aber wenig
Fühlung mit dortiger Presse, und es würde hier mit besonderem
Dank erkannt werden, wenn Graf v. Pourtal&s ihm bei Ausfindig-
machung von Mittelsleuten an die Hand gehen könnte4.
In England sei mit Geld nichts zu machen, dort müsse man
versuchen, durch sachliche Erörterungen zu wiiken. Graf Mensdorff
habe auch schon mit Mr. Steed von Times Fühlung genommen,
der aber leider nach Momenten besserer Einsicht wieder in seine
Austrophobie verfallen zu sein scheine. In nächster Zeit würden
aber von Professor Lammasch, Professor Redlich und Graf v. Lützow
Artikel in den englischen Zeitungen erscheinen.
Auf die französische Presse mit Geld einzuwirken, halte man
hier für aussichtslos.
Einwirkung auf hiesige Presse, um nach Demarche die nationalen
Gefühle der eigenen Serben zu schonen, habe ich Graf Forpäch warm
ans Herz gelegt. Er wird alles mögliche in dieser Richtung tun
und ist der tatkräftigen Mitwirkung des Grafen Tisza in dieser Be-
Ziehung sicher. von Tschirschky
4 Siehe Nr. 143.
Nr. 129
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt*
Telegramm 147 London, den 23. Juli 19141 2
Der ehemalige rumänische Minister Take Jonescu, der augen-
blicklich hier weilt und mir von meiner Bukarester Zeit her bekannt
ist, erzählte mir, Herr ScSonow habe dem König Karl bei seinem
kürzlichen Besuch die bündigsten Erklärungen hinsichtlich der
russischen Friedensliebe abgegeben. Auch habe der russische Minister
sich jeder Anregung hinsichtlich eines engeren Einvernel mens mit
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London 180 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
440 nachm.; Eingangsvermerk: 23. Juli nachm.
*49
Rumänien enthalten. Herr Sasonow habe aber in bestimmter Form
erklärt, daß Rußland einen Angriff Österreichs auf Serbien nicht
dulden könne. Herr Take Jonescu meint, daß Rußland, falls Öster-
reich serbisches Gebiet betrete, sich genötigt sehen werde, selbst
auf die Gefahr einer Niederlage hin, militärisch einzugreifen. Aus
Äußerungen des kürzlich, und zwar vor dem Attentat in Sarajevo
in Bukarest gewesenen Botschafters Markgrafen Pallavicini will der
rumänische Staatsmann entnommen haben, daß Österreich schon
vor der Ermordung den Krieg gewünscht und auf eine passende
Gelegenheit gewartet habe, um seine durch die Politik des Grafen
Berchtold verlorengegangene Stellung auf dem Balkan wiederher-
zustellen. Auch er betrachtet die Lage als überaus ernst und gab
mir zu verstehen, daß Rumänien bei einem neuen Balkankriege
nicht gleichgültig bleiben könne und den Bukarester Frieden erhalten
wissen wolle.
Das Verhältnis zu Österreich bezeichnete Herr Take Jonescu
als schlecht, der russische Besuch sei dem König Carol3 daher unge-
legen gekommen, er habe ihn aber nicht abweisen können.
Noch vor 14 Tagen sei Rumänien bereit gewesen, eine größere
Truppenmacht nach Albanien zu senden, falls jede der Großmächte
auch nur 100 Mann hinschicken wollte. Ob diese Bereitwilligkeit
heute noch bestehe, könne er mir nicht sagen. Er glaube nicht,
daß die aufständische Bewegung in Albanien von serbischer oder
griechischer Seite genährt werde, sie sei vielmehr von den Jungtürken
ausgegangen, die glaubten, daß bei neuen Verwicklungen wieder
etwas für sie abfallen könne. Serbien wisse genau, daß man es
nicht nach Nordalbanien lassen werde, und ihm sei der Fürst Wilhelm
lieber wie eine österreichisch-italienische Besetzung.
Lichnowsky
3 Entzifferung schreibt zuerst «Karl«, dann »Carol«.
Nr. 130
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 146 St. Petersburg, den 23. Juli 19142
Die kühle Aufnahme, die Präsident Poincare
bei seinem hiesigen Besuche gefunden hat, fällt all-
gemein auf. Die große Teilnahmslosigkeit des
1 Nach der Entzifferung.
3 Aufgegeben in Petersburg 255 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
525 nachm.; Eingangsvermerk: 23. Juli nachm. Am 23. Juli von Jagow
telegraphisch dem Kaiser mitgeteilt, aufgenommen in Berlin 23. Juli
u21 nachm., angekommen im Hoflager 24. Juli 70 vorm.; Entzifferung des
Hoflagers vom Kaiser am 24. Juli zurückgegeben, am 27. Juli ins Amt
zurückgelangt.
r5°
Publikums ist wohl teilweise auf die Arbeiterstreiks
zurückzuführen, die in letzten Tagen große Aus-
dehnung genommen haben. Über die Hälfte hiesiger
Arbeiter haben Arbeit niedergelegt. Eine Anzahl
bravo! Zeitungen konnte wegen Buchd;uckerstreik während
Besuchs Poincares nicht erscheinen. Dabei ist es zu
bedenklichen Ausschreitungen gekommen, bei denen
Polizei und Kosaken einschreiten mußten. Heute
nacht fand auf Wyborger Seite, wo Arbeiter Barri-
kaden errichtet hatten, ernster Zusammenstoß statt,
bei welchem es, wie offiziell zugegeben wird, 5 Tote
und 8 Verwundete gab.
Es wird, wie ich höre, beabsichtigt, gleich nach
Abreise Poincares gegen Arbeiter schärfer vorzugehen.
Außer in Petersburg finden gegenwärtig auch in
anderen größeren Städten Rußlands Streiks statt.
Sie verdienen als Symptom der in russischen Arbeiter-
kreisen herrschenden erbitterten Stimmung ernste
Beobachtung, wenn ihnen auch vorläufig größere
Tragweite nicht zuzusprechen ist. Im Falle äußerer
Ja Verwicklung könnten sie immerhin für Regierung
schwierige Lage schaffen.
Pour t ales
Nr. 131
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 97 Wien, den 23. Juli 19141 2
Graf Szäpäry meldet, Präsident Poincare habe ihm gegenüber
bei neulichem Diplomatenempfang nachdrücklich darauf hinge-
wiesen, daß Serbien Freunde habe, die es nicht im Stiche lassen
würden. Diese Sprache sei, wie man mir hier sagt, nicht im Ein-
klang mit Plaltung Herrn Sasonows, der sich sehr ruhig und zu-
rückhaltend über serbische Angelegenheit ausgesprochen habe.
Herr Dumaine war gestern im Ministerium. Er hat in den
düstersten Farben die Gefahren eines Krieges mit Serbien geschil-
dert, der ein Guerillakrieg von unabsehbarer Dauer werden müsse.
Dabei hat der französische Botschafter aber betont, Rußland werde
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien i50 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
550 nachm. Eingangsvermerk: 23. Juli nachm. Am 24. Juli von Jagow
telegraphisch dem Botschafter in Rom mitgeteilty Telegramm 64& nachm,
zum Haupttelegraphenamt
Serbien selbstverständlich seine moralische Unterstützung
zuteil werden lassen.
Herr Schebeko ist auf Urlaub abgereist. Bei seinem Ab-
schiedsbesuch bei Graf Berchtold hat er serbische Angelegenheit
nicht berührt.
In heutigen Morgenblättern telegraphisch avisierter Artikel
der Westminster Gazette, der von Aufrüttelung des slawischen
Sentiments Rußlands und von »Attackierung eines orthodoxen
Slawenstaates« seitens der Monarchie spricht, hat hier unangenehm
berührt.
Man ist hier fest entschlossen, sich durch alle Einschüchte-
rungsversuche nicht irre machen zu lassen.
Tschirschky
Nr. 132
Der Kronprinz an den Reichskanzler1
Telegramm (ohne Nummer) Zoppot, 23. Juli 191423
Der Inhalt des Telegramms, welches Ew. Exzellenz in der be-
wußten Angelegenheit an S. M. gesandt haben, hat mich sehr interessiert.
Wilhelm
! Nach einer in der Reichskanzlei gefertigten Abschrift.
- Abgesandt Zoppot 23. Juli. Stunde des Abgangs in Zoppot und Zeit des
Eingangs in Hohenfinow nicht bekannt.
Siehe Nr. 84, 105 und 133.
Nr. 133
Der Gesandte im kaiserlichen Gefolge an den Reichskanzler1
Baiholm, den 23. Juli 19142 3
Ew. Exz. beehre ich mich im Anschluß an meinen gehorsamsten
Bericht vom 21. d. M. zu melden, daß soeben folgendes Telegramm
bei Sr. M. dem Kaiser und Könige eingegangen ist:»Befehle werden
&usgeführt. Wilhelm Kronprinz.«
Graf G. Wedel
' Nach einer Abschrift der bei den Akten der Reichskanzlei befindlichen
Ausfertigung.
2 Abgesandt Balholm 23. Juli. Zeit des Eingangs in Hohenfinow nicht bekannt
3 Siehe Nr. 84, 105 und 132.
l51 2
Nr. 134
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Ami1
Telegramm 147 St. Petersburg, den 23. Juli 19142
Graf Szäpäry erzählt mir, daß bei dem Empfang des diplo-
matischen Korps durch Präsidenten der französischen Republik
Herr Poincare ihn auf die österreichisch-serbische Spannung ange-
redet habe. Präsident habe dabei eine .Sprache geführt, die in An-
betracht des Umstandes, daß er sich an einen Diplomaten in einem
Lande, in dem er selbst Gast war, wandte, Befremden erregen
mußte. Graf Szäpäry hat daher den Ausführungen des Präsi-
denten gegenüber kühle Zurückhaltung beobachtet. Poincar£ hat
unter Aufwand großer Beredsamkeit Botschafter gegenüber Stand-
punkt vertreten, daß es nicht angängig sei, eine Regierung für Ver-
brechen einzelner verantwortlich zu machen. Präsident hat ferner
bemerkt, er wolle zwar nicht insinuieren, daß Österreich-Ungarn
nach einem Vorwand suche, um über Serbien herzufallen, er hoffe
aber, daß Österreich nicht zu schroff gegen diesen Nachbar, »der
auch Freunde habe«, vergehen werde. Poincare hat auch taktlose
Anspielung auf negatives Ergebnis des Prohaskaprozesses ge-
macht, was Graf Szäpäry zu der Erwiderung veranlaßt hat, daß
Präsident über die fraglichen Vorgänge nicht unterrichtet scheine.
Mein österreichisch-ungarischer Kollege glaubt, daß Herr Poincare
hier zu Konflikt gegen Dreibund hetzt; ich möchte vielmehr an-
nehmen, daß Äußerungen des Präsidenten auf Anstiften des Herrn
Sasonow erfolgt sind, der es mit Politik des Bluffs versuchen
möchte. Jedenfalls hat sich Herr Poincare österreichisch-un-
garischem Botschafter gegenüber genau derselben Argumente be-
dient, die Herr Sasonow mir gegenüber in letzten Unterredungen
gebraucht hat.
Pourtales
1 Nach der Entzifferung.
2 Aulgegeben in Petersburg, 23. Juli 53 4 * nachm., angekommen im Aus-
wärtigen Amt io10 nachm.; Eingangsvermerk: 24. Juli vorm. fAm 24. Juli
40 nachm, von Jagow, nach Vornahme einiger stilistischer Änderungen,
den Botschaftern in Wien, Rom und Paris mitgeteilt.
Der Geschäftsträger in Bukarest an das Auswärtige Amt5
Telegramm 41
Geheim!
Vom Minister der auswärtigen Angelegenheiten, mit dem ich
von Sinaia hierher reiste, erfahre ich vertraulich, italienischer
Gesandter habe heute Audienz bei Sr. M. dem König. Italiens Auf-
fassung gehe nach Baron Fasciotti dahin, daß Österreich Serbien
unannehmbare Forderungen stellen werde, um nach Ablehnung der-
selben zum Krieg übergehen zu können. Italienische Regierung
wünscht, Rumänien möge in Wien vorstellig werden, um zu er-
reichen, daß österreichische Forderungen für Serbien annehmbar
gemacht würden. Rumänische Regierung ist, wie Herr Porumbaro
mir sagte, schon in Belgrad vorstellig geworden und hat eindring-
lichst zur Nachgiebigkeit Österreich-Ungarn gegenüber gemahnt.
W a 1 d b u r g
* Nach der Entzifferung.
a Aufgegeben in Bukarest 23. Juli 720 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 24. Juli 135 vorm.; Eingangsvermerk: 24. Juli vorm. Am 24. Juli
nachmittags von Jagow telegraphisch, nach Vornahme kleiner xÄnderungen,
dem Botschafter in Rom mitgeteilt.
Nr. 136
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 19 Fiuggi Fonte, den 24. Juli 19141 2
Für erkrankten österreichischen Botschafter hat Botschaftsrat
hier heute mitgeteilt, daß Note Belgrad übergeben sei und daß sie
außer Forderung der Unterdrückung panserbischer Bestrebungen
Frist von 48 Stunden enthalte. Einzelheiten sind nicht mitgeteilt.
Marquis di San Gittliano hat geantwortet, daß er auf eine so wenig
eingehende Mitteilung sich nicht äußern könne3.
1 Nach der Entzifferung.
a Aufgegeben in Fiuggi Fonte 730 vorm., angekommen im Auswärtigen Amt
io50 vorm.; Eingangsvermerk: 24. Juli nachm. Am 24. Juli von Jagow
telegraphisch dem Botschafter in Wien mitgeteilt, mit folgendem Zusatz
Jagows: »Das Wiener Kabinett hat demnach die Ew. Exz. gemachte Zu-
sage nicht innegehalten« (nach dem Konzept von Jagows Hand); Tele-
gramm an Tschirschkv 645 nachm, zum Haupttelegraphenamt. Siehe
Nr. ,87.
3 Siehe Nr. 145
*54
Mir sagte Minister, er fürchte schlechten Eindruck der Frist-
bestimmung und habe noch in der Nacht durch Ministerpräsidenten
alle Präfekten anweisen lassen, antiösterreichische Demonstrationen
zu unterdrücken und Anwerbung etwaiger Freiwilliger zum
Kampfe für Serbien zu verhindern. Er findet es gegen Geist des
Dreibunds, in solche Aktion einzutreten, ohne Verbündeten vorher
zu befragen.
F 1 o t o w
Nr. 137
Der Gesandte in Belgrad an den Reichskanzler1
Belgrad, den 21. Juli X914* 3
Die Erregung in der hiesigen Bevölkerung hält an, da man
noch immer nicht weiß, welche Schritte die österreichisch-unga-
rische Regierung in der Attentatsaffäre gegen Serbien unternehmen
wird. Vorläufig hat sich diese nervöse Stimmung in heftigen An-
griffen der serbischen Presse gegen Baron von Giesl entladen. In
unqualifizierbarer Weise wird der Gesandte beschuldigt, die am
12. d. M. in der hiesigen österreichisch-ungarischen Kolonie aus-
gebrochene Panik selbst heraufbeschworen zu haben, um Serbien
vor Europa zu kompromittieren. Das mindeste, was diese Presse
als Genugtuung verlangt, ist sofortige Abberufung, da Baron Giesl
für Serbien noch gefährlicher sei als der »jesuitische« Graf Forgach.
Zum Belege beiuft man sich auf ein angebliches Interview, das
Baron Giesl einem Mitarbeiter des Budapester Blattes »A Nap«
gewährt haben soll und worin er erklärt, daß alle Vorbereitungen
zum Massacre der österreichisch-ungarischen Kolonie und zur Zer-
störung des Gesandtschaftsgebäudes tatsächlich getroffen waren und
es nur seinem energischen Einschreiten zu verdanken sei, daß die
Ausführung des höllischen Planes unterblieb.
Einen besonderen Eindruck hat hier die Haltung der reichs-
deutschen Presse gemacht durch ihre warme Unterstützung Öster-
reich-Ungarns und die einmütige Forderung von serbischerseits zu
gewährenden Garantien gegen die Gefahren der großserbischen
Agitation. Man scheint in dieser Hinsicht etwas ähnliches wie bei
den österreichischen Revisionsbestrebungen des Bukarester Ver-
trages von Deutschland erwartet zu haben und sieht sich nun unan-
genehm enttäuscht.
Angesichts der allgemeinen Entrüstung, die sich in der Presse
aller Kulturnationen kundgibt und insbesondere im Hinblick auf
1 Nach der Ausfertigung.
3 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 24. Juli vorm.
die deutliche und ernste Sprache, welche die englische Presse neuer-
dings führt, wird Herr Paschitsch es auf keinen Konflikt mit der
Nachbarmcnarchie ankommen lassen und zu allen Versprechungen
bereit sein. Seine Stellung ist allerdings wegen der bevorstehenden
Wahlen und der im Lande entfesselten Agitation eine äußerst
schwierige. Jedes Entgegenkommen gegenüber der Nachbar-
monarchie wird ihm von der vereinigten Opposition als Schwäche
ausgelegt. Dazu kommt, daß die in ihrem Größenwahn und Chau-
vinismus verblendeten Militärkreise ihn zu Schroffheiten nötigen,
die seiner konzilianten Natur sonst ganz entgegengesetzt sind.
Darauf möchte ich auch das dem Berichterstatter der »Leipziger
Neuesten Nachrichten« gewährte Interview zurückführen, das nur
aus innerpolitischen Motiven erklärlich ist. Es soll mittlerweile
zwar dementiert worden sein, hat aber tatsächlich, wie ich aus
sicherer Quelle weiß, stattgefunden.
Je länger Österreich-Ungarn zum Abschluß der Unter-
suchung über das Attentat in Sarajevo braucht, je länger es
zögert, mit positiven Forderungen an Serbien heranzutreten, desto
mehr werden sich die beiderseitigen Beziehungen durch die uner-
müdliche Preßhetze und die vor nichts zurückschreckende Wahl-
agitation im Innern des Landes vergiften und desto schwerer wird
es Herrn Paschitsch werden, sich zu behaupten.
v. Griesinger
Nr. 138
Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler1
Geheim! Wien, den 22. Juli 19141 2
Baron Macchio bittet mich, nachstehendes Ew. Exz. zu
unterbreiten:
Nach den Haager Beschlüssen würde die Monarchie gehalten
sein, evtl, an Serbien eine förmliche Kriegserklärung zu richten.
Diese Kriegserklärung würde nach vollendeter Mobilmachung, un-
mittelbar vor dem Beginn der militärischen Operationen, zu
erfolgen haben. Nachdem der k. u. k. Vertreter in Serbien Be-
fehl erhalten hat, bei ungenügender Beantwortung der Note mit
dem gesamten Personal sofort Belgrad zu verlassen, würde die
Monarchie später, zur Zeit der Kriegserklärung, kein offizielles
Organ haben, um diese in einwandfreier und sicherer Weise zur
Kenntnis der sei bischen Regierung zu bringen. Man müßte auch
1 Nach der Ausfertigung
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 24. Juli vorm.
damit rechnen, daß zu dieser Zeit die telegraphische Verbindung
zwischen Österreich-Ungarn und Serbien unterbrochen sein
könnte; auch eine Beförderung durch die Post sei unsicher, und
der richtige Empfang der Kriegserklärung könnte serbischerseits
bestritten werden. Desgleichen würde sich die Übergabe der
Kriegserklärung in Belgrad durch einen besonders zu entsendenden
Beamten kaum ermöglichen lassen, da die Serben einen solchen
kaum über die Grenze lassen würden und die Sendung eines »Par-
lamentärs« vor der eigentlichen Kriegserklärung völkerrechtlich
nicht statthaft ist.
Die k. u. k. Regierung fragt deshalb bei Ew. Exz. an, ob die
k. Regierung es eventuell übernehmen würde, die von Graf Berch-
told unterfertigte Kriegserklärung von Berlin aus durch den deut-
schen Gesandten der serbischen Regierung zu übermitteln. Sollte
die k. Regierung jedoch Bedenken tragen, diese Übermittelung zu
übernehmen, so müßte irgendein anderer sicherer Weg ausfindig ge-
macht werden3.
von Tschirschky
Der Gesandte in Belgrad an das Auswärtige Amt1
Telegramm 30 Belgrad, den 24. Juli 1914"
Der österreichische Gesandte hat gestern abend 6 Uhr dem
Finanzminister Patschu, der den auf Wahlreisen abwesenden
Ministerpräsidenten Paschitsch vertritt, die Note wegen des Atten-
tats in Sarajevo übergeben. Sie ist mit 48 Stunden befristet. Der
Finanzminister nahm die Note, ohne sie zu lesen, entgegen und
versprach, den Ministerrat heute zusammenzuberufen. Die heutige
Morgenpresse bezeichnet die Note als sehr scharf und rät der Re-
gierung zu ablehnender Haltung.
Griesinger 1 2
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Belgrad 120 mittags, angekommen im Auswärtigen Amt
i35 nachm. Eingangsvermerk: 24. Juli nachm. Am 24. Juli von Jagow
telegraphisch dem Kaiser mitgeteilt, unter Fortlassung der Worte »wegen
.........Sarajevo« und »Sie ist...........befristet«; Telegramm aufge-
geben in Berlin 720 nachm., angekommen im Hoflager 10* nachm. Ent-
zifferung lag noch am gleichen Tage dem Kaiser vor.
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in London1
Telegramm 168 Berlin, den 24. Juli 1914-8
S. M. der Kaiser haben zu Ew. Durchl. Telegramm Nr. 145 zu
»Ich begegne hierbei der Erwartung . . .. Frieden von
Bukarest«1 * 3
zu bemerken geruht:
»Wie käme ich dazu! ...... Ehre zu machen«4.
Zu meiner Meldung, Ew. Durchl. erhielten Instruktion, wir
betrachteten Angelegenheit als interne Frage Österreich-Ungarns,
auf die uns Einwirkung nicht zustünde, haben S. M. bemerkt:
»richtig! ........abgewiesen haben will«5 * *.
Ew. Durchl. werden in Ihren Unterredungen mit Sir E. Grey
noch darauf hinweisen können, daß die dauernden Beunruhigungen,
denen Österreich-Ungarn nun schon seit Jahren an seiner Ost-
grenze ausgesetzt sei, schon wegen der Ungeheuern damit ver-
knüpften finanziellen Lasten einen Zustand schufen, den auf die
Dauer von einem kleinen Staate wie Serbien zu ertragen niemand
einer Großmacht zumuten könne. Diese Verhältnisse seien eine
direkte Folge der Ermutigung, die Serbien stets bei Rußland, ins-
besondere bei dessen jüngst verstorbenem Vertreter, gefunden
habe®.
Jagow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Stumms Hand.
i40 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 118 und 121.
4 Hier ist die Randbemerkung des Kaisers (Nr. 121) eingefügt; nur ist statt
»geduckt« das Wort »gestraft« gewählt und statt »dem Kaisera »dem
Kaiser Franz Joseph« gesagt.
'* Hier ist die Randbemerkung des Kaisers (Nr. 121), unter Fordassung des
Satzes »Serbien ist........gefaßt werden muß«, eingefügt.
Siehe Nr. 163.
Der Gesandte im kaiserlichen Gefolge an das Auswärtige Amt1
Telegramm 128 Balestrand (»Hohenzollern«), den 24. Juli 1914*
S. M. der Kaiser und König hält zwar die Ausführungen des
Frhn. von Wangenheim theoretisch für richtig, ist aber der An-
sicht, daß im gegenwärtigen Augenblick aus Opportunitätsgründen
die Geneigtheit der Türkei zu Dreibundanschluß benutzt werden
muß3.
Wenn daher Stambul absolut Bündnis schließen wolle »unter
Patronage des Dreibunds oder einer Macht desselben«, so solle es
doch richtig versuchen, Rumänien und Bulgarien zusammenzu-
kriegen und sich Österreich zur Verfügung stellen. In diesem
Sinne soll Wangenheim in Konstantinopel einwirken3.
Wedel
1 Nach der Entzifferung.
2 Autgegeben in Balestrand (»Hohenzollern«) ii5ü vorm., angekommen im
Auswärtigen Amt i5* nachm.; Eingangsvermerk: 24. Juli nachm,
3 Siehe Nr. 117, 144 und 149, Anm. 2.
Nr. 142
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Telegramm 134 Berlin, den 24. Juli I9i428
Es wäre uns erwünscht, wenn Kriegserklärung an Serbien auf
direktem Wege und nicht durch unsere Gesandtschaft erfolgte.
Unser Standpunkt muß sein, daß Auseinandersetzung mit Serbien
interne österreichisch-ungarische Angelegenheit sei, in die uns ebenso-
wenig wie anderen eine Einmischung zustände, daß wir deshalb
daher für Lokalisierung des Konflikts eintreten. Erst wenn Ruß-
land sich einmischen sollte, würden wir in Konflikt hineinbezogen.
Kriegserklärung durch unsere Gesandtschaft würde aber in der
Öffentlichkeit, namentlich bei dem mit diplomatischen Gebräuchen
nicht vertrauten Publikum, Anschein erwecken, als hätten wir
Österreich-Ungarn in den Krieg gehetzt4.
J agow 1 2 3
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
25 nachm, zum Haupttelegraphenamt, auf der Botschaft in Wien,6IS nachm,
angekommen.
3 Siehe Nr. 138
* Siehe Nr. 206.
, Nr. 143
*59
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in
Petersburg1
Telegramm 120 Berlin, den 24. Juli 19141 2
Auf Wunsch österreichisch-ungarischer Regierung3 bitte ich,
Graf Szäpäry bei Auffindung von Mittelsleuten behufs finanzieller
Einwirkung auf dortige Presse behilflich zu sein.
Jagow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Stumms Hand.
2 3sr> nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 128.
Nr. 144
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in
Konstantinopel1
Telegramm 268 Berlin, den 24. Juli 19142
Gesandter Graf Wedel telegraphiert, daß S. M. trotz bestehender
Zweifel über' die Bündnisfähigkeit der Türkei der Ansicht sei3, daß
im gegenwäi tigen Augenblick aus Opportunitätsgründen die Geneigt-
heit der Türkei zum Dreibund-Anschluß benutzt werden könne.
Wenn daher Stambul absolut Bündnis schließen wolle »unter
Patronage des Dreibunds oder einer Macht desselben«, so solle es
doch richtig versuchen, Rumänien und Bulgarien zusammenzukriegen
und sich Österreich zur Verfügung stellen.
In diesem Sinne sollten Ew. Exz. in Konstantinopel ein wirken.
Bemerke hierzu, daß es sich zunächst um Bündnis ad hoc handeln
würde und wir natürlich, wie auch Ew. Exz. ausgeführt haben, jetzt
weitgehende Verpflichtungen nicht übernehmen könnten.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
a 640 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 117 und Nr 141.
Aktenstücke I. 13
i6o
Nr. 145
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Rom1
Telegramm 126
Berlin, den 24. Juli 1914 2 3
Anheimstelle, Marquis di San Giuliano zu sagen, daß auch wir
über österreichische Note nicht näher informiert worden sind und
dies auch nicht sein wollten, weil wir Angelegenheit als interne
österreichisch-ungarische betrachten. Auch Italien hat seine Bundes-
genossen bei Anfang des libyschen Krieges nicht informiert, sondern
vor fait accompli gestellt. T
1 Nach dem Konzept von v. Jagows Hand.
2 645 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 136.
Nr. 146
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt
Telegramm 99
Wien, den 24. Juli 1914 1 2
Dem König von Montenegro ist von hier aus gesagt worden,
Österreichs Vorgehen gegen Serbien richte sich in keiner Weise
gegen Montenegro. Man sei im Gegenteil davon durchdrungen, daß
die politische Haltung Montenegros gegenüber der Monarchie nicht
auf eine Reihe mit der Serbiens zu stellen sei. Montenegro habe
zweifellos gleiches Interesse wie die Monarchie, daß den politischen
Intrigen und Verschwörungen in Belgrad Einhalt getan werde, und
man appelliere an seine, des Königs, oft bewährte Weisheit. Der
König hat die hiesigen Eröffnungen sehr gut aufgenommen und
Hoffnung ausgesprochen, es werde eine neue Ära guter Beziehungen
mit der Monarchie anbrechen.
Man glaubt hier militärischerseits jedenfalls nicht mit Monte-
negro werden rechnen zu müssen.
Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 550 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 730
nachm. Eingangsvermerk: 24. Juli nachm. Am 25. Juli von Jagow nach
Vornahme kleiner stilistischer Änderungen telegraphisch dem Kaiser und
dem Botschafter in Rom , mitgeteilt, beide Telegramme am 25. Juli u40
vorm, zum Haupttelegraphenamt, Entzifferung des Hoflagers lag noch
am 25. Juli abends dem Kaiser vor. Durch Erlaß vom 25. Juli wurde
Tschirschkys Telegramm im vollen Wortlaut dem Gesandten in Cetinje
mitgeteilt.
i6i
Nr. 147
Der Botschafter in Konstantinopel an das Auswärtige Amt1
Telegramm 365 Pera, den 24. Juli 19142 3
Bulgarische Regierung hat auf die türkische Anfrage geant-
wortet, daß im Falle eines österreichisch-serbischen Konflikts Bul-
garien nicht eingreifen würde, ohne sich vorher mit der Türkei ver-
ständigt zu haben. Wangenheim
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Pera 225 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 740
nachm. Eingangsvermerk: 24. Juli nachm. Am 25. Juli von Jagow tele-
graphisch, nach Vornahme kleiner stilistischer Änderungen, dem Kaiser
mitgeteilt, Telegramm aufgegeben in Berlin 1248 nachm., angekommen im
Hoflager io20 nachm., Entzifferung des Hoflagers lag noch am gleichen
Tage dem Kaiser vor. Wangenheims Telegramm am 25. Juli telegraphisch
auch den Vertretungen in Wien und Sofia mitgeteilt, 40 nachm, zum
Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 102.
Nr. 148
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 148 Petersburg, den 24. Juli 19142
Graf Szäpary hat heute bei Mitteilung der gestern
in Belgrad übergebenen österreichischen Note Herrn
Maske! Sasonow verhältnismäßig ruhig gefunden. Minister
hat zunächst offenbar vermeiden wollen, russische
Regierung nach irgendeiner Richtung festzulegen.
Herr Sasonow hat hauptsächlich auf Eindruck hin-
ge wiesen, den Note nicht nur hier, sondern auch
Paris, London sowie sonst in Eutopa machen werde.
Bei Besprechung einzelner Punkte der Note hat
Minister Serbiens Standpunkt verteidigt und u. a.
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Petersburg 610 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 810 nachm. Eingangsvermerk: 24. Juli vorm, (so irrig statt »nachm.«).
Von Jagow telegraphisch dem Kaiser mitgeteilt, unter Fortlassung des
Satzes »Der Hinweis............nichts zu tun«; Jagows Telegramm,
datiert vom 24. Juli, in Berlin aufgegeben 25. Juli 1242 vorm., angekommen
im Hoflager 25. Juli 950 vorm. Entzifferung des Hoflagers am 27. Juli in
Berlin eingetroffen. Pourtäles’ Telegramm von Jagow telegraphisch
auch dem Botschafter in London mitgeteilt, unter Fortlassung des letzten
Absatzes »Nach Besuch...........rufen lassen«; Jagows Telegramm,
datiert vom 24. Juli, gleichzeitig mit dem an den Kaiser, 24. Juli 1130
nachm, zum Haupttelegiaphenamt.
l3
IÖ2
wenn Rußland es
nicht will! Sonst
wohl lieber als
einen Krieg!
hoffentlich wird
Pourtal[es] klar,
ernst und gan%
fest sprechen3.
geäußert, die Forderung einer Auflösung der Na-
rodna Odbrana iverde Serbien unter keinen Um-
ständen annehmen. Der Hinweis des Botschafters
auf die gemeinsamen monarchischen Interessen der
konservativen Mächte sowie der Appell an das mo-
narchische Gefühl des Ministers fanden bei Herrn
Sasonow keinen Widerhall. Das monarchische Prin-
zip, erwiderte der Minister, habe mit der vorliegenden
Frage durchaus nichts zu tun.
Nach Besuch österreichisch - ungarischen Bot-
schafters versammelte sich Ministerrat. Herr Saso-
now hat mir daher sagen lassen, daß er mich nach
demselben werde sehen können. Da Ministei rat
jetzt, 5 Uhr nachmittags, noch tagt, erscheint es
fraglich, ob mich Herr Sasonow noch heute wird
rufen lassen. Pourtales
Diese Randbemerkung des Kaisers wurde bereits am 25. Juli telegraphisch
von Wedel dem Auswärtigen Amt mitgeteilt; Telegramm Wedels auf-
gegeben in Balestrand (»Hohenzollern«) 1215 nachm., angekommen im
Auswärtigen Amt 350 nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm.
Nr. 149
Der Botschafter in Konstantinopel an das Auswärtige Amt1
Telegramm 364 Therapia, den 23. Juli 19142 3
Markgraf Pallavicini war von seiner Regierung
beauftragt worden, den Großwesir vor dem Abschluß 1 2 3
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Therapia 28. Juli 530 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 820 nachm.; Eingangsvermerk: 24^ Juli vorm. Am 24. Juli von Jagow
nach Vornahme kleiner stilistischer Änderungen und unter Fortlassung
der Sätze »Markgraf Pallavicini war.........schiefe Lage bringen« und
»Großwesir bemerkte...........verlange« telegraphisch dem Kaiser mit-
geteilt, aufgegeben in Berlin 252nachm., angekommen im Hoflager 7°nachm.,
Entzifferung des Hoflagers mit den Randbemerkungen des Kaisers vom
24. Juli traf am 27. Juli in Berlin ein. Noch am 24. Juli aber telegra-
phierte Wedel dem Auswärtigen Amt die oben am Rand wiedergegebenen
Verfügungen des Kaisers »EineAblehnung oder Brusquirung...........Um-
ständen abweisen«, Telegramm aufgegeben in Balestrand (»Hohenzollern«)
am 24. Juli 935 nachm, angekommen im Auswärtigen Amt n45 nachm.
Eingangsvermerk: 25. Juli vorm. Am 25. Juli teilte daraufhin Jagow
dem Botschafter in Konstantinopel telegraphisch, unter Fortlassung der
Worte »unbedingt klar« und »gar«, die Randverfügungen des Kaisers
mit, Telegramm i° nachm, zum Haupttelegraphenamt. Die vom Kaiser
durch Randverfügung angeordnete Mittteilung von Wangenheims Tele-
gramm an die Vertretungen in Wien, Sofia und Athen ist unterblieben.
3 Siehe Nr. 117, 141 und 144.
163
nous verrons
hoffentlich
Quatsch
er soll sie doch erst
mal angliedern, das
andere findet sich!
eines Bündnisses mit Griechenland zu warnen. Ein
solches Bündnis werde die Türkei mit Rücksicht
auf die bevorstehende Änderung des Verhältnisses
Österreichs zu Bulgarien in eine schiefe Lage bringen.
Der Großwesir erklärte meinem österreichischen
Kollegen aufs Bestimmteste, daß er mit Herrn
Veniselos kein Bündnis verabreden werde, und daß
Österreich im Kriegsfälle mit derselben Sicherheit
auf die Türkei me auf Bulgarien rechnen könne.
Auch Rumänien werde sich nach der ersten energi-
schen Handlung wieder dem Dreibund zuwenden.
Schließlich wiederholte Großwesir dem mir gestern
von Enver Pascha geäußerten Wunsch, es möge der
Türkei der förmliche Eintritt in den Dreibund er-
möglicht werden. Markgraf Pallavicini, der inzwischen
die Frage mit mir besprochen hatte, entgegnete,
daß ein Bündnis mit der Türkei dem Dreibund
vorläufig noch \u große Lasten auferlege. Der
Dreibund könne die Türkei nicht gegen jedermaun
verteidigen. Großwesir bemerkte hierzu, daß Türkei
von dem Dreibund ausschließlich Schutz gegen Ruß-
land, nicht aber gegen Frankreich und England
vei 1 ange. Wangenheim
Sie bietet sich ja direkt an!!! Eine Ab-
lehnung oder Brusquirung wäre gleich-
bedeutend mit Übergang derselben pi
Russo - Gallien, und unser Einfluß ist
ein Jur allemal dahin!
Wangenheim soll den Türken sich in
Be^ug auf Anschluß an 3 Bund unbe-
dingt klar entgegenkommend äußern
und ihre Wünsche entgegennehmen und
melden!
Wir dürfen sie unter gar keinen Um-
ständen ab weisen. T Tr
Nr. 150
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Telegramm 136 Berlin, den 24. Juli 19141 2
Italienischer Botschafter mitteilt mir soeben Standpunkt seiner
Regierung: Italien will, unter Vorbehalt für Wahrung seiner Aktions-
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 915 nachm, zum Haupttelegraphenamt gegeben, angekommen auf der
Botschaft in Wien am 25. Juli 43 vorm.
164
freiheit und seiner Interessen auf Grund des Artikels VII des Drei-
bundvertrages, eine möglichst wohlwollende und freundschaftliche
Haltung für Österreich einhehmen und ihm keine Schwierigkeiten
bereiten. Italien will übereinstimmende Politik in allen Balkan-
fragen mit seinen Alliierten machen, dies wäre ihm aber nur möglich,
wenn es über Interpretation des Artikels VII Gewißheit erhielte.
Sonst müßte italienische Politik auf Verhinderung einer territorialen
Vergrößerung Österreich-Ungarns gerichtet sein.
Herr Bollati sagt mir, daß österreichischer Botschafter in Rom
mitgeteilt habe, Österreich Ungarn erstrebe keine territoriale Ver-
größerung, könne sich aber diesetwegen nicht binden.
Nur zu Ew. Exz. persönlicher Information: Streng vertraulich
sagt mir Herr Bollati, daß Italien für den Fall österreichischer Ge-
bietserweiterung als Kompensation Trento fordern würde, und wenn
Österreich einen Teil Albaniens nähme, Valona. Letzteres wünsche
Italien nicht.
Artikel VII spricht von Regions des Balkans; österreichische
Interpretation, daß nur türkisches Gebiet in Frage komme, erscheint
uns daher nicht zutreffend. Außerdem erscheinen mir theoretische
Streitigkeiten über Vertragsauslegung jetzt deplaciert. Politisch zweck-
mäßige Entschlüsse sind angezeigt. Bitte Ew. Exz., sich in diesem
Sinne auszusprechen.
Jagow
Nr. 151
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm ioo Wien, den 24. Juli 1914 1 2
Graf Berchtold fährt morgen Mittag nach Ischl, um bei Sr. M.
anwesend zu sein bei Eintreffen serbischer Antwort.
Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 730 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
920 nachm. Eingangsvermerk: 24 Juli vorm, (so irrig statt »nachm.«).
Am 24. Juli von Jagow telegraphisch dem Kaiser mitgeteilt, n° nachm,
zum Haupttelegraphenamt, angekommen im Hoflager 25. Juli 815 vorm.
165
Nr. 152
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 150 London, den 24: Juli 1914 1 2
Graf Benckendorff suchte mich auf und sagte mir streng ver-
traulich, er halte es für kaum möglich, der serbischen Regierung,
falls sie nicht zu einem Vasallen Österreichs herabsinken solle, die
Annahme derartiger Bedingungen zu raten. Er glaube nicht, daß
Rußland hierzu in der Lage sei. Es hieße doch so viel, wie die
Serben bedingungslos in die Hände Österreichs ausliefern. Das
würde die öffentliche Meinung in Rußland nicht vertragen. Eine
solche Note schreibe doch nur eine Regierung, die den Krieg wolle;
das sei nicht der Ton des Friedens. Sir E. Grey hat bisher nicht
mit ihm gesprochen.
Li chnowsky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London 24. Juli 616 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 920 nachm.; Eingangsvermerk: 25. Juli vorm.
Nr. 153
Der Unterstaatssekretär des Auswärtigen an die Botschafter
in Paris, London und Petersburg1
Telegramm 162, 169, 122 Berlin, den 24. Juli 1914 2
In hiesigen diplomatischen Kreisen ist Ansicht verbreitet, daß
wir Österreich-Ungarn zu scharfer Note an Serbien veranlaßt und uns
an deren Abfassung beteiligt haben. Gerücht scheint von Cambon
auszugehen. Bitte ihm nötigenfalls dort entgegenzutreten. Wir haben
keinerlei Einfluß auf Inhalt der Note geübt und ebensowenig wie
andere Mächte Gelegenheit gehabt, dazu vor Publikation in irgend-
einer Weise Stellung zu nehmen. Daß wir, nachdem sich Österreich-
Ungarn aus eigener Initiative zu scharfer Sprache entschlossen hat,
jetzt nicht Wien zum Zurückweichen raten können, ist selbstver-
ständlich. Österreich-Ungarns Prestige nach Innen und Außen wäre
im Falle des Zurückweichens endgültig erledigt3.
Zimmermann
1 Nach dem Konzept von Zimmermanns Hand.
2 Telegramm 945 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 163, 166, 180.
166
Nr. 154
Der Botschafter in Paris an das Auswärtige Amt1
Telegramm 210 Paris, den 24. Juli 1914-
Der den Ministerpräsidenten vertre-
tende Justizminister, bei dem ich mich
im Sinne Erlasses 9183 aussprach, war
sichtlich erleichtert von unserer Auf-
fassung, daß österreichisch-serbischer
Konflikt lediglich zwischen den beiden
Beteiligten zum Austrag zu bringen.
Französische Regierung teile aufrichtig
Wunsch, daß Konflikt lokalisiert bleibe,
Quatsch und werde sich in diesem Sinne im In-
teresse der Erhaltung des europäischen
Friedens bemühen. Sie verhehle sich
dabei freilich nicht, daß es einer Macht
wie Rußland, die mit panslawistischer
Strömung zu rechnen habe, nicht leicht
fallen könnte, sich vollständig zu des-
interessieren, namentlich dann, wenn
Österreich-Ungarn auf sofortiger Erfül-
lung aller Forderungen bestehen sollte,
auch solchen, welche mit serbischer
Souveränität schwer vereinbar oder ma-
teriell nicht sogleich ausführbar. Fran-
zösische Regierung finde es selbstver-
ständlich, daß Serbien in überzeugender
Weise Genugtuung geben und Bestra-
fung von Verbrechern und Verhinderung
von Verschwörungen gegen Österreich-
Ungarn zusichern müsse. Man habe hier
auch den Serben geraten, so weit wie
irgend möglich nachzugeben. Man sei
hier aber auch der Ansicht, daß öster- * 2 3
Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Paris 24. Juli 85 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
io35 nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli vorm. Am 25. Juli von Jagow, mit
Auslassung des Satzes »bei dem...........aussprach«, telegraphisch dem
Kaiser sowie den Botschaftern in St. Petersburg, London, Rom und Wien
mitgeteilt, Telegramme 1145 vorm, zum Haupttelegraphenamt; auf Bot-
schaft in Wien angekommen 6° nachm. Telegramm an den Kaiser traf
am 25. Juli 1145 nachm, im Hoflager ein; Entzifferung vom Kaiser am
26. Juli zurückgegeben, am 27. Juli in Berlin angekommen.
3 Siehe Nr. 100.
reich-Ungarn gut tue, falls etwa Serbien
nicht alle Forderungen sofort erfülle,
Ultimata erfüllt sondern über einzelne Punkte %u diskutieren
man oder nicht! wünsche, diese Wünsche nicht ohne wei-
aber man diskutiert teres abzuweisen, vorausgesetzt, daß im
nicht mehr! Daher ganzen der gute Wille Serbiens nicht
der Name! v„eißlhafL
Schoen
das ist er!x
Verklausuliertes Blech!
4 Dies steht auf der linken Seite.
Nr. 155
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm ioi Wien, den 24. Juli 19142
m$lchEindruc(tUSS%r Um Rußland gegenüber seine guten Disposi-
Schwäche erwecken und tionen \u dokumentieren, hat Graf Berchtold heute
digungtervorrufe?twas vormittag den russischen Geschäftsträger zu sich
bedingfaischÜt7, und geketen, um ihm eingehend den Standpunkt öster-
vermieden werden muß. reich-Ungarns Serbien gegenüber auseinanderzusetzen.
guten"Gründe^hat1 2 * * Sdar- Nach Rekapitulierung der historischen Entwicklung
ümn!nunnkannrernicht der ietzten Jahre habe er betont, daß es der Mon-
hinterher quasi ?ur Dis- archie fern liege, erobernd Serbien gegenüber auf-
kussion gestellt werden! zutreten. Österreich werde keinerlei serbisches
Esel! Den Sand- Territorium beanspruchen. In gleicher Weise sei
schak muß es in der an Serbien gerichteten Note sorgsam jede
wiedernehmen, Demütigung Serbiens vermieden worden. Österreich
sonst kommen die halte strikt daran fest, daß der Schritt lediglich
Serben an die Adria. ejne defensive Maßregel gegenüber den serbischen
Wühlereien zum Ziel habe, müsse aber notgedrungen
Garantien für ein weiteres freundschaftliches Ver-
1 Nach der Entzifferung. — Siehe auch deutsches Weißbuch vom Mai
l9l5i S. 27 Nr. 3.
2 Aufgegeben in Wien 24. Juli 850 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 1123 nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli vorm. Am 25. Juli von Jagow,
nach Vornahme kleiner Änderungen, unter Fortlassung des Satzes »Ich
habe Vorstehendes..........Wirkung versprach«, telegraphisch dem Kaiser
sowie den Botschaftern in Rom, Petersburg, London und Paris mitge-
teilt. Telegramm an den Kaiser 1245 nachm., die übrigen Telegramme
ii55 vorm, zum Haupttelegraphenamt. Telegramm an den Kaiser 26. Juli
1240 nachm, im Hoflager angekommen, Entzifferung am 26. Juli vom
Kaiser zurückgegeben, am 27. in Berlin eingetroffen.
168
die kommt ganf
von selbst und muß
kommen [.] Oster-
reich muß auf dem
Balkan präponder-
ant werden den An-
deren kleineren ge-
genüber auf Kosten
Rußlands; sonst
giebts keine Ruhe.
halten Serbiens der Monarchie gegenüber verlangen.
Es liege ihm weiter fern, eine Verschiebung der
bestehenden Machtverhältnisse am Balkan und in
Europa herbeiführen zu wollen. Im Gegenteil be-
trachte er den unangetasteten Bestand Rußlands3
als notwendigen Faktor der europäischen Politik.
Es4 sollte glauben, daß es im allgemeinen euro-
päischen Interesse liege, den, die Ruhe Europas
fortgesetzt störenden, serbischen Wühlereien Einhalt
zu tim, und besonders die europäischen monarchistisch5
regierten Staaten sollten sich in der Zurückweisung
der serbischen, mit Revolver und Bomben geführten
Politik solidarisch zusammenfinden.
Fürst Kudaschew, der noch keinerlei Weisung
aus Petersburg erhalten hatte, hat die Ausführungen
des Ministers ad referendum genommen mit der
Zusage, sie sofort Sasonow zu unterbreiten.
Ich habe Vorstehendes dem Herzog von Avarna
mitgeteilt, der diesen Schritt des Grafen Berchtold
Rußland gegenüber ausgezeichnet fand und sich
davon bei Marquis di San Giuliano eine besonders
gute Wirkung versprach.
Tschirschky
schwächlich!
Zu »Rußlands« die Randbemerkung Jagows: »muß das Rußland heißen?
Wenn ja, ist das Wort besser auszulassen«. Nachprüfung ergab die
Richtigkeit der Entzifferung »Rußland«, Wort wurde daher bei der Weiter-
gabe des Telegramms ausgelassen. Auch im eigenhändigen Konzept
Tschirschkys in den Akten der Botschaft in Wien steht »Rußlands«.
Nach den Akten der Botschaft in Wien ist »Er« zu lesen.
Nach den Akten der Botschaft in Wien: »monarchisch«.
Nr. 156
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 20 Fiuggi, den 24. Juli 19142
In mehrstündiger ziemlich erregter Konferenz mit Minister-
präsidentem Salandra und Marquis di San Giuliano führte letzterer
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi 24. Juli 810 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
25. Juli i210vorm. Eingangsvermerk: 25. Juli vorm; Flotows Telegramm
am 25. Juli von Jagow, nach Vornahme kleiner Änderungen und unter
Fortlassung der Sätze »Botschaftsrat ..... nicht sehen kann« tele-
graphisch dem Botschafter in Wien mitgeteilt, ii5vorm. zum Haupt-
telegraphenamt. Betr. Mitteilung des Flotowschen Telegramms an den
Kaiser siehe Nr. 168.
169
aus, daß der Geist des Dreibundvertrags bei einem so folgenreichen
aggressiven Schritt Österreichs verlangt hätte, sich vorher mit den
Bundesgenossen ins Einvernehmen zu setzen. Da dies bei Italien
nicht geschehen sei, so könne sich Italien bei weiteren Folgen aus
diesem Schritt nicht für engagiert halten.
Außerdem verlange Artikel 7 des Dreibundvertrags (den ich hier
nicht habe), daß bei Veränderungen auf dem Balkan die Kontra-
henten sich vorher verständigten und daß, wenn einer der Kontra-
henten territoriale Veränderung herbeiführe, der andere entschädigt
würde.
Auf meine Bemerkung3..............Lebensinteressen Österreichs
vorliegen. Meine Aufgabe ist dadurch sehr erschwert, daß öster-
reichischer Botschafter krank im Bett. Botschaftsrat unfähig.
Marquis di San Giuliano verläßt voraussichtlich 27. nachmittags
Fiuggi. Erbitte etwaige Mitteilung für ihn für 27. früh, da ich ihn
dann für 2 bis 3 Tage vielleicht nicht sehen kann.
F lo t o w
3 Hier folgte der im Telegramm Jagows an den Kaiser (Nr. 168) wieder-
gegebene Abschnitt »Auf meine Bemerkung................... Lebensinteressen
Österreichs vorliegen«.
Nr. 157
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 151 London, den 24. Juli 19141 2
Sir E. Grey ließ mich soeben zu sich bitten.
Der Minister war sichtlich stark unter Eindruck der
österreichischen Note, die seiner Ansicht nach alles
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London 24. Juli 912 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 25. Juli i16vorm., Eingangsvermerk: 25. Juli vorm. Am 25. Juli von
Jagow nach Vornahme kleiner Änderungen und unter Fortlassung der
Sätze »wie Ew. Exz.............betonen« und »Auch will man..........
der Angriffe«, telegraphisch dem Kaiser mitgeteilt, zum Haupttelegraphen-
amt 25. Juli 20 nachm., angekommen im Hoflager 26. Juli 345 nachm. Ent-
zifferung des Hoflagers am 26. Juli vom Kaiser zurückgegeben, war am
27. Juli im Auswärtigen Amt. Desgleichen am 25. Juli von Jagow unter
Fortlassung der Sätze »wie Ew. Exz............betonen« und «Von anderer
Seite..........der Angriffe« telegraphisch den Botschaftern in Rom, St.
Petersburg und Paris mitgeteilt, Telegramme 40 nachm, zum Haupttele-
graphenamt. Über gleichzeitige Mitteilung an den Botschafter in Wien
siehe Nr. 171.
170
überträfe, was er bisher in dieser Art jemals3 ge-
sehen habe. Er sagte, er habe bisher keine Nach-
richt aus Petersburg und wisse daher nicht, wie
man dort die Sache auffasse. Er bezweifelt aber
sehr, daß es der russischen Regierung möglich sein
werde, der serbischen [Regierung]4 5 6 die bedingungs-
lose Annahme der österreichischen Forderungen
anzuempfehlen. Ein Staat, der so etwas annehme,
das wäre sehr er- höre doch eigentlich auf, als selbständiger Staat zu
wünscht. Es ist kein zählen. Es sei für ihn, Sir E. Grey, auch schwer,
Staat im Europ. jn diesem Augenblick in Petersburg irgendwelche
fonfen] et.ne Ratschläge zu geben. Er könne nur hoffen, daß
yau 61 an e' dort eine milde5 und ruhige Auffassung der Lage
Platz greife. Solange es sich um einen, wie Ew.
Exz. in dem von mir Sir E. Grey gegenüber ver-
werteten Erlaß 10556 betonen, lokalisierten Streit
zwischen Österreich [und]7 Serbien handele, ginge
richtig ihn, Sir E. Grey, die Sache nichts an, anders würde
die Frage aber, wenn die öffentliche Meinung in
Rußland die Regierung zwinge, gegen Österreich
vorzugehen.
Auf meine Bemerkung, daß man die Balkan-
richtig Völker nicht mit demselben Maßstabe messen dürfe
sind eben keine! wie europäische Kulturvölker, und daß man daher
ihnen gegenüber, das habe schon die barbarische
richtig Art ihrer Kriegführung gezeigt, eine andere Sprache
führen müsse, wie etwa gegen Briten und Deutsche,
entgegnete der Minister, daß, wenn auch er diese
dann sind die Auffassung vielleicht teilen [könne,]8 er doch nicht
Russen eben auch glaube, daß sie in Rußland geteilt werde. Die
nicht besser Gefahr eines europäischen Krieges sei, falls Österreich
das wird sicher serbischen Boden betrete, in nächste Nähe gerückt.
kommen Die Folgen eines solchen Kriegs zu vier, er betonte
ausdrücklich die Zahl vier, und meinte damit
er vergißt Italien Rußland, Österreich-Ungarn, Deutschland und
Frankreich, seien vollkommen9 unabsehbar. Wie
auch immer die Sache verlaufe, eines sei sicher,
daß nämlich eine gänzliche Erschöpfung und Ver-
armung Platz greife, Industrie und Handel ver-
3 »jemals« von Jagow im Telegramm an den Kaiser fortgelassen.
4 Zifferngruppe fehlt, von Jagow sinngemäß ergänzt.
5 Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.
6 Siehe Nr. 100.
7 Zifferngruppe fehlt, von Jagow sinngemäß ergänzt.
8 Zifferngruppe verstümmelt, von Jagow sinngemäß ergänzt.
9 »vollkommen« von Jagow im Telegramm an den Kaiser fortgelassen.
I?I
nichtet und die Kapitalkraft zerstört würde. Revo-
lutionäre Bewegungen wie im Jahre 1848 infolge
der damiederliegenden Erwerbstätigkeit würden die
Folge sein10 11. Was Sir E. Grey am meisten beklagt,
neben dem Ton der Note, ist die kurze Befristung,
die den Krieg beinahe unvermeidlich mache. Er
sagte mir, er würde bereit sein, mit uns zusammen 11
nutzlos im Sinne einer Fristverlängerung in Wien vorstellig
zu werden, da sich dann vielleicht ein Ausweg12 13
finden lasse. Er bat mich, diesen Vorschlag Ew.
Exz. zu übermitteln. Ferner regte er an, daß für
den Fall einer gefährlichen Spannung zwischen Rußland
und Österreich, die vier nicht unmittelbar beteiligten'
Staaten England, Deutschland, Frankreich und Italien
ist überflüssig! Da zwischen Rußland und Österreich-Ungarn die Ver-
Osterreich Ruß- mittlung übernehmen sollen. Auch diesen Vorschlag
land schon orien- bat er mich, Ew. Exz. zu unterbreiten.
tiert hat, und Grey
ja nichts anderes Der Minister ist sichtlich bestrebt, alles zu tun ,
vorschlagen kann, um einer europäischen Verwicklung vorzubeugen,
Ich tue nicht mit, und konnte sein lebhaftes Bedauern über den heraus-
nur wenn Oster- fordernden Ton der österreichischen Note und die
*S»r**E; *»» Befristung mcht verhehlen.
bittet, was nicht Von anderer Seite wird mir im Foreign Office
wahrscheinlich12. In gesagt, daß man Grund zur Annahme habe, daß
Fragen Österreich die Widerstandskraft Serbiens sehr unter-
man Andere nicht, schätze. Es werde auf jeden Fall ein langwieriger,
erbitterter Kampf werden, der Österreich imgemein
Unsinn schwächen und an dem es sich verbluten werde.
Auch will man wissen, daß die Haltung Rumäniens
er kann England mehr als ungewiß sei, und daß man in Bukarest
Persien bringen erklärt hätte, man würde gegen jeden sein, der
angriffe.
Lichnows ky
10 Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.
11 Die Worte »mit uns zusammen« von Jagow im Telegramm an den Kaiser
fortgelassen.
12 Am Rand Fragezeichen und 2 Ausrufungszeichen des Kaisers.
13 Der Satz: »Ich tue nicht mit.........wahrscheinlich« wurde bereits am
26. Juli von G. Wedel durch Funkspruch über Norddeich dem Auswärtigen
Amt mitgeteilt; Telegramm abgelassen von Bord der »Hohenzollern«
26 Juli 1112 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 27. Juli 127 vorm.;
Eingangsvermerk des Amts: 27. Juli vorm.
172
Nr. 158
Der Gesandte in Belgrad an das Auswärtige Amt1
Telegramm 32 Belgrad, den 24. Juli 1914
Italienischer Geschäftsträger hat soeben vertraulich erzählt, der
Kronprinz habe in größerer3 Aufregung seine Vermittlung in Anspruch
genommen für ein Telegramm an die Königin von Italien, worin
Höchstdieselbe um Hilfe für die Dynastie gebeten wird.
Die Militärs fordern kategorisch die Ablehnung der Note und
Krieg.
Die Mobilisierung ist bereits in vollem Gange.
Griesinger
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Belgrad 24. Juli n50 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 25. Juli i47 vorm.; Eingangsvermerk: 25. Juli vorm. Am 25. Juli von
Jagow telegraphisch dem Kaiser mit Telegramm 127 mitgeteilt, aufgegeben
in Berlin n44 vorm., angekommen im Hoflager 345 nachm.; Entzifferung lag
noch am gleichen Tage dem Kaiser vor. Am 25. Juli desgleichen tele-
graphisch den Botschaftern in Wien und Rom mitgeteilt, Telegramme
130 nachm, zum Haupttelegraphenamt; auf der Botschaft in Wien an-
gekommen 915 nachm. Von den beiden letzten Abschnitten »Die
Militärs .......... vollem Gange« am 25. Juli auch dem Generalstab
Kenntnis gegeben; Mitteilung 830 nachm, durch Boten abgesandt.
3 So in der Entzifferung.
Nr. 159
Der Gesandte in Belgrad an das Auswärtige Amt1
Telegramm 31 Belgrad, den 24. Juli 19142
Der energische Ton und die präzisen Forde-
rungen der österreichischen Note sind der serbischen
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Belgrad 24. Juli 945 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 25. Juli 233 vorm. Eingangsvermerk: 25. Juli vorm. Am 25. Juli von
v. Jagow telegraphisch dem Kaiser mitgeteilt, aufgegeben in Berlin 1144 vorm.,
angekommen im Hoflager 210 nachm. Entzifferung des Hoflagers, vom
Kaiser am 25. Juli zurückgegeben, war am 27. Juli in Berlin. Desgleichen
dem Botschafter in Wien mitgeteilt, Telegramm i40 nachm, zum Haupt-
telegraphenamt, angekommen 715 abds.
biavo. man hatte es den Regierung vollständig unerwartet gekommen. Seit
^traut! heute früh tagt der Ministerrat unter dem Vorsitz
es scheint S. M. des Kronprinz-Regenten, kann aber \u keinem Ent-
hüben sich ge- schluß kömmen. Es wird als unmöglich bezeichnet,
drückt! innerhalb 48 Stunden die gestellten Bedingungen zu
Die stolzen Slaven! erfüneil} insbesondere die Punkte 2, 4, 5, 6 Absatz 2,
in denen eine direkte Einmischung in die Souveräni-
tät Serbiens erblickt wird. Im Falle des Erlasses
des Tagesbefehls wird eine militärische Erhebung
befürchtet.
Wie ich höre, wird die Verlegung der Regierung
nach Nisch erwogen.
Griesinger
Wie hohl zeigt sich der ganze sog. Ser-
bische Großstaat, so ist es mit allen
Slavischen Staaten beschaffen! Nur feste
auf die Füße des Gesindels getreten!
Nr. 160
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 149 St. Petersburg, den 25. Juli 19141 2
Hatte eben lange Unterredung mit Sasonow,
in der ich Inhalt - Erlasses 5923 * * * * eingehend ver-
gut wertet. Minister, der sehr erregt war und sich
1 Nach der Entzifferung. Siehe auch deutsches Weißbuch vom Mai 1915,
S. 27, Nr. 4.
2 Aufgegeben in Petersburg i8 * * * * * * vorm., angekommen im Auswärtigen Amt
345 vorm. Eingangsvermerk: 25. Juli vorm. Am 25. Juli von Jagow nach
Vornahme kleiner stilistischer Änderungen und unter Fortlassung der Worte
»in der ich Inhalt............verwertet. Minister« und »aber unter Ver-
meidung............ scheinen könnte« telegraphisch dem Kaiser mitgeteilt,
zum Haupttelegraphenamt 25. Juli i15 nachm., im Hoflager angekommen
26. Juli 530 nachm. Entzifferung des Hotlagers, vom Kaiser am 26. Juli
zurückgegeben, war am 27. Juli in Berlin. Pourtales’ Bericht am 25. Juli
desgleichen von Jagow, nach Vornahme stilistischer Änderungen und
unterFortlassungderWorte »inder ichlnhalt..........verwertet. Minister«,
»und auf welche........... anspielt«, »falls die behaupteten .........
erwiesen seien« und »aber unter Vermeidung...........scheinen könnte«
den Botschaftern in Wien, Rom, Paris und London mitgeteilt, Telegramme
20 nachm, zum Haupttelegraphenamt; auf der Botschaft in Wien.815 nachm,
eingetroffen.
3 Siehe Nr. 100.
i?4
Blech! in maßlosen Anklagen gegen Österreich-Ungarn er- geht, erklärte auf das bestimmteste, Rußland könne unmöglich zulassen, daß österreichisch-serbische Differenz zwischen beiden Beteiligten allein ausge- tragen werde. Die Verpflichtungen, die Serbien nach der bosnischen Krisis übernommen habe und aut welche österreichische Note anspielt, seien Europa gegenüber übernommen worden, folglich sei die An- gelegenheit eine europäische, und es sei an Europa, pu untersuchen4, ob Serbien diesen Verpflichtungen nachgekommen sei. Er beantragt daher, daß das
Das ist Ansichts- sache ! Dossier über die Untersuchung den Kabinetten der sechs Mächte vorgelegt werde5. Österreich könne nicht in eigener Sache Richter und Ankläger sein. Sasonow erklärte, die von Österreich-Ungarn in der Note behaupteten Tatsachen könne er in keiner Weise als bewiesen ansehen, die enquete flößt ihm vielmehr das größste [Mißtrauen]6 ein. Er fuhr fort, in der rein rechtlichen Frage könne Serbien,
nicht pi trennen falls die behaupteten Tatsachen erwiesen seien, Österreich Satisfaktion geben, in den Forderungen
richtig panslavis tischen politischer Art dagegen nicht. Ich weise darauf hin, daß es unmöglich sei, die rechtliche von der politischen Seite des Falles zu trennen, da das Attentat mit der großserbischen Propaganda unzer- trennlich verbunden sei.
gani bestimmt nicht! Ich versprach, seine Auffassung meiner Re- gierung zu übermitteln, glaubte aber nicht, daß wir unserem Verbündeten zumuten würden, das Resultat der von ihm geführten Untersuchung noch einem europäischen Areopag vor pule gen. Österreich werde sich gegen diese Zumutung ebenso wehren, wie jede Großmacht es ablehnen müsse, sich einem
bravo! gut gesagt Schiedsgericht zu unterwerfen, wo ihre vitalen Inter- essen in Frage ständen. Mein Hinweis auf das monarchische Prinzip machte auf den Minister wenig Eindruck. Rußland
Seit seiner Ver~ wisse, was es dem monarchischen Prinzip schuldet,
brüderung mit der um das es sich hier eben gar nicht handle. Ich habe
fran^ös. Sopalre- Sasonow sehr ernst, aber unter Vermeidung alles,
vublik nicht mehr! was a}s Drohung scheinen könnte, gebeten, sich von
seinem Haß gegen Österreich nicht hinreißen zu
4 Jagow stilisiert im Telegramm an den Kaiser: »und Europa habe zu
untersuchen«'; Kaiser unterstreicht die vier letzten Worte,
8 Am Rand Rufzeichen des Kaisers.
6 Zifferngruppe fehlt, Wort von Jagow ergänzt.
6
Fürstenmord
I75
sehr gut
na denn %u!
das will es ja scheints
nicht
richtig
lassen und ))keine schlechte Sache Verteidigern.
Rußland könne sich unmöglich zum Anwalt von
Königsmördern machen.
Im Laufe des Gesprächs rief Sasonow aus:
»Wenn Österreich-Ungarn Serbien verschlingt, werden
wir mit ihm den Krieg führen«; hieraus läßt sich
vielleicht schließen, daß Rußland erst in dem Fall
zu den Waffen greifen würde, daß Österreich auf
Kosten Serbiens territoriale Erwerbungen machen
wollte. Auch der Wunsch einer Europäisierung d£r
Frage scheint darauf hinzuweisen, daß ein sofortiges
Einschreiten von Rußland nicht zu erwarten ist.
Pourtales
Nr. 161
Der Botschafter in London an den Staatssekretär
des Auswärtigen (Privatbrief)1
London, den 23. Juli 19141 2
Lieber Jagow!
Vielen Dank für Ihren Brief vom 18., der mich aber leider
nicht ganz hat überzeugen können3.
Allerdings haben wir ein Bündnis mit Österreich, und ich
möchte gleich wiederholen, daß ich dasselbe für nützlich und sogar
für notwendig halte, wenn es auch vielleicht den Voraussetzungen
nicht mehr vollständig entspricht, unter denen Bismarck es abge-
schlossen hat. B. stand unter dem Eindruck der Gefahr eines
Revanchekrieges mit russischer Hilfe. Diese Gefahr besteht aus
bekannten Gründen heute für uns nicht mehr in demselben Maße
wie damals. Rußlands Interessengebiet hat sich nach Osten ver-
schoben, wo immer neue Gebiete der russischen Machtentfaltung
erschlossen werden und immer wieder Fragen auftauchen, die die
russische Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Ich glaube nicht
an den russischen Krieg, und zwar schon deshalb nicht, weil es
doch ganz klar ist, daß Frankreich nur so lange der Vasall Ruß-
lands bleiben wird und auch England nur so lange anderthalb Augen
über das russische Vordringen in Asien schließen wird, als wir die
Aufmerksamkeit beider in erster Linie in Anspruch nehmen.
Welches Interesse hätte denn Rußland, um den Krieg zu machen? —
Solange ich mich entsinnen kann, d. h. solange ich mit der Diplo-
1 Nach dem bei den Akten befindlichen Konzept. Niederschrift nach dem
Diktat des Fürsten Lichnowsky mit Änderungen von seiner Hand.
2 Abgegangen am 23. Juli, Zeit des Eintreffens nicht bekannt
8 Siehe Nr 72.
Aktenstücke!. 14
176
matie in Fühlung stehe, und das sind nun beinahe 30 Jahre, kann
ich mich erinnern, daß es hieß, Rußland sei nicht fertig, werde
aber in einigen Jahren fertig sein, und daß der Generalstab beun-
ruhigt sei. Und immer war es nicht fertig, wenn diese Jahre
herankamen, und so wird es auch wohl in Zukunft sein. Ebenso
habe ich immer wieder die Frage des sogenannten prophylaktischen
Kriegs erörtern hören. Schon Bismarck stand diesem Gedanken
sehr skeptisch gegenüber und sagte zu Waldersee und anderen
Herren Militärs, die ihm die Notwendigkeit des prophylaktischen
Krieges klar machen wollten, er könne sich ohne Beweise nicht
überzeugen lassen, und Beweise konnte niemand ihm liefern. Ich
glaube auch heute nicht, daß wir mit Rußland einen Krieg werden
führen müssen, wenn unsere Politik geschickt geleitet wird, am
allerwenigsten aber glaube ich, daß durch einen prophylaktischen
Krieg etwas anderes zu erreichen wäre, als daß wir uns bestenfalls
einen zweiten Nachbarn zum unversöhnlichen Feind gemacht
hätten.
Ich möchte aber nicht dahin verstanden werden, als ob ich
etwa für eine Preisgabe Österreichs oder des österreichischen
Bündnisses etwa zugunsten einer russischen oder gar einer eng-
lischen Freundschaft eintreten wollte. Nichts liegt mir ferner.
Die Erhaltung Österreichs ist für uns von größter Wichtigkeit, nur
müssen wir bei dem Bündnis der leitende, nicht aber der
leidende Teil sein. Das Bündnis war doch als eine gegen-
seitige Versicherung gedacht gegen politische Wetterschäden,
nicht aber als ein Zusammenschluß zu einer gemeinsamen poli-
tischen Firma. Wir müssen Österreich zwar schützen, es liegt
aber nicht in unserem Interesse, es bei einer aktiven Balkan-
politik zu unterstützen, bei der wir alles zu verlieren und
absolut nichts zu gewinnen haben. Welche Vorteile ver-
sprechen Sie sich denn für uns davon, daß das österreichische
Ansehen auf dem Balkan und sonstwo gestärkt werde?
Österreichs Bundeswert beruht doch vor allem auf seiner militä-
rischen Leistungsfähigkeit, nicht aber auf seinem auswärtigen
Prestige, und unsere Machtstellung ist groß genug, um der Drei-
bundgruppe auch trotz der diplomatischen Niederlagen des Grafen
Berchtold Einfluß zu verschaffen. Was würden Sie dazu sagen,
wenn England oder Rußland die Franzosen zur Wiederbelebung
ihres doch tatsächlich sehr gesunkenen Ansehens zu einer aktiven
und gefährlichen Auslandspolitik ermutigte? Gerade die verhält-
nismäßige Schwäche Frankreichs und die Angst vor uns sind die
Faktoren, die es veranlassen, sich an England und Rußland anzu-
schmiegen und sich willfährig zu erweisen. Ähnlich ist es mit
Österreich; ich will nicht sagen das geschwächte, wohl aber das
geängstigte Österreich ist für uns ein bequemer Bundesgenosse, das
Zurückgehen des österreichischen Einflusses auf dem Balkan hat
sich bisher in sehr vorteilhafter Weise für unsere dortigen wirt-
schaftlichen Interessen geltend gemacht. Wirtschaftlich sind wir
und Österreich auf dem Balkan Rivalen, und überall tritt dort
immer mehr und mehr, wie mir erst kürzlich ein leitender Wiener
Finanzmann klagte, der deutsche Handel in die Stellung ein, die
früher der österreichische inne hatte.
Ob man uns in Wien der Flaumacherei beschuldigt, ist doch
vollkommen gleichgültig; geschimpft wird über uns dort stets, und
mit der berühmten Nibelungentreue werden wir nachträglich doch
nur ausgelacht. An den baldigen Zerfall Österreichs glaube ich
aber ebensowenig wie an die Möglichkeit, der inneren Schwierig-
keiten durch eine aktive Auslandspolitik Herr zu werden. Das
südslawische Nationalgefühl und das Bedürfnis, sich zusammenzu-
schließen, kann durch einen Krieg nicht vernichtet werden und
wird vielleicht nur umso heftiger in die Erscheinung treten. Durch
ein aktives Vorgehen Österreichs aber werden gerade die Balkan-
staaten noch mehr der russischen Hegemonie in die Arme ge-
trieben, während sie sonst, wie das Beispiel von Rumänien und
auch von Bulgarien zeigt, die Tendenz haben, sich auf eigene Füße
zu stellen.
Was schließlich die Lokalisierung des Streits anlangt, so
werden Sie mir zugeben, daß sie, falls es zu einem Waffengange
mit Serbien kommt, dem Gebiete der frommen Wünsche angehört.
Es scheint mir also alles darauf anzukommen, daß die österreichi-
schen Forderungen so formuliert werden, daß sie mit einigem
Druck aus Petersburg und London in Belgrad annehmbar sind,
nicht aber, daß sie notwendigerweise zu einem Kriege führen ad
majorem illustrissimi comitis de Berchtold gloriam.
Lichno wsky
Nr. 162
Der Gesandte in Sofia an das Auswärtige Amt1
Telegramm 36 Sofia, den 25. Juli 19142 3
Geheim 1
Ministerpräsident sprach mir nach Abschluß
der Anleihe davon, daß Regierung jetzt'* gefestigt
sei und daran gehen könnte, eine eigene politische 1 2 3
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Sofia 120 (ohne nähere Angabe), angekommen im Aus-
wärtigen Amt 1155 vorm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm. Am 25. Juli
von Jagow telegraphisch dem Kaiser mitgeteilt, 30 nachm, zum Haupt-
telegraphenamt, im Hoflager angekommen n30 nachm. Entzifferung des
Hoflagers, am 26. Juli vom Kaiser zurückgegeben, war am 27. Juli im
Auswärtigen Amt.
3 Siehe Nr. 22.
14
dann man schnell! Richtschnur zu verfolgen, indem sie Anschluß an
den Dreibund suche. Ich habe ihm geraten, einen
konkreten Vorschlag zu machen, worauf er zunächst
das glaube ich dem König Vortrag gehalten hat, der sehr erfreut
gewesen ist und ihn beauftragte, ein Projekt aus-
zuarbeiten.
Michahelles
Nr. 163
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 152 London, den 25. Juli 19142*
Werde mich entsprechend äußern. * Auch hier Auffassung
verbreitet, daß uns zum mindesten moralische Mitverantwortung
trifft, da ohne unsere Ermutigung derartige Note undenkbar wäre,
Graf Mensdorff weiß auch von entsprechenden Äußerungen Sr. M.
des Kaisers und Königs und des Herrn Reichskanzlers zu be-
richten. Gesamteindruck hier geradezu vernichtend, ohne Beteili-
gung an vermittelnder Aktion wird das Vertrauen in uns und
unsere Friedensliebe hier endgültig erschüttert sein.
Lichnowsky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London io49 vorm., angekommen im Auswärtigen Amt
i24b nachm.; Eingangsvermerk: 25. Juli nachm.
3 Siehe Nr. 140 und 153.
Nr. 164
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in London1
Telegramm 174 Berlin, den 25. Juli 19142
Habe Vorschläge Sir E. Greys Wien mitgeteilt. Da Ultimatum
heute schon abläuft und Graf Berchtold nach Zeitungsnachrichten
in Ischl ist, glaube ich, daß Fristverlängerung nicht mehr möglich
sein wird.
J a g o w
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
3 i° nachm, zum Haupttelegraphenamt
*79
Nr. 165
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 153 London, den 25. Juli 1914*
Möchte dringend raten, Vorschlag Sir E. Greys betreffend
Fristverlängerung nicht abzuweisen, da uns sonst Vorwurf hier
treffen wird, nicht alles zur Erhaltung Friedens unversucht ge-
lassen zu haben. Ablehnende Haltung könnte für spätere Stel-
lungnahme Englands von großem Einfluß sein*.
Heutige Morning Post, führendes konservatives Blatt, sagt be-
reits am Schluß eines, Österreichs Vorgehen verurteilenden Arti-
kels, Note sei Herausforderung Dreiverbands und wolle England
zwingen sich zu entscheiden, ob es weiterhin an europäischer Poli-
tik teilnehmen wolle. Trotz häuslicher Zwiste, die britische Nation
bewegten, werde dieselbe geschlossen hinter Regierung stehen und
ihren Kurs unterstützen, welcher Art dieser auch sei.
Lichnowsky
i Nach der Entzifferung.
3 Aufgegeben in London u10 vorm., angekommen im Auswärdgen Amt
i26 nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm.
8 Siehe Nr. 157.
Nr. 166
Der Botschafter in Paris an das Auswärtige Amt1
Telegramm 212 Paris, den 25. Juli 191428
Habe gestern bei hiesiger Regierung mit aller Deutlichkeit be-
tont, daß wir in keiner Weise an österreichisch-ungarischer Note
an Serbien beteiligt gewesen, wenn wir auch nach deren öffent-
lichem Bekanntwerden die Forderungen für berechtigt halten. Ich
hatte auch C^Vgenheit, in diesem Sinne auf Presse einzuwirken,
und bleibe weiter bemüht.
S ch o en * 8
L Nach der Entzifferung.
3 Aufgegeben in Paris 1 f25 vorm., angekommen im Auswärtigen Amt i50
nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm.
8 Siehe Nr. 153.
i8o
Nr. 167
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 21
Fiuggi, den 25. Juli 19141 2
Obwohl Endergebnis gestriger Unterredung mit Ministerpräsi-
denten und Marquis di San Giuliano schließlich nicht allzu ungünstig
ist, habe ich hier doch große Enttäuschung und vorwurfsvolle Haltung
gezeigt und möchte glauben, daß gleiche Haltung auch Herrn Bollati
gegenüber angezeigt. Es würde mir Aufgabe erleichtern, die an sich,
durch gänzliches Versagen österreichischer Botschaft, ohnehin schwer.
Botschaft ist seit 14 Tagen so gut wie ohne Kontakt mit hier weilen-
dem Minister. In der Presse ist von ihr absolut nichts geschehen.
Erst vorgestern hat Botschafter von Wien 300000 Fr. erbeten und
erhalten. Trotzdem bitte ich, hiervon in Wien nichts zu sagen, da
Unfrieden mit erkranktem österreichischen Botschafter in diesem
Augenblick verhängnisvoll wirken könnte.
Kann ich, falls Einfluß auf große Blätter möglich, auf 30 bis
40 000 M. rechnen ?3
Flotow
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi 1240 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
214 nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm.
3 Auf diese Frage ergeht an Flotow am 25. Juli 830 nachm, telegraphisch
Jagows bejahende Antwort: »Zum Schlußsatz: ja«.
Nr. 168
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Kaiser1
Telegramm 134
Berlin, den 25. Juli 19142
Ew. M. Botschafter in Rom telegraphiert:
»In mehrstündiger, ziemlich erregter Unterhal-
tung mit Ministerpräsidenten Salandra und Marquis
di San Giuliano führte letzterer aus, daß der Geist
des Dreibundve^trcges bei einem r'xJäfolgenreiehen
1 Nach der von Jagow abgeänderten und ergänzten Entzifferung des Tele-
gramms Flotows (Nr. 156] und der jetzt gleichfalls bei den Akten befind-
lichen Entzifferung des Hoflagers.
2 Zum Haupttelegraphenamt 25. Juli 30 nachm., angekommen im Hoflager
26. Juli nachm., Entzifferung des Hoflagers am 27. Juli vom Kaiser
zurückgegeben und am gleichen Tage im Auswärtigen Amt eingetroffen.
aggressiven Schritt Österreichs verlangt hätte, sich
vorher mit den Bundesgenossen ins Einvernehmen
zu setzen. Da dies bei Italien nicht geschehen sei,
so könne sich Italien bei weiteren Folgen aus
diesem Schritt nicht für engagiert halten.
Außerdem verlange Artikel 7 des Dreibund-
vertrags, daß bei Veränderungen auf dem Balkan
die Kontrahenten sich vorher verständigten und
wenn einer von ihnen8 daselbst einen Gebiets-
zuwachs erhielte, der andere entschädigt würde.
Auf meine Bemerkung, daß, soviel ich wisse,
Österreich erklärt habe, territoriale Erwerbungen
nicht zu beabsichtigen, sagte der Minister, daß eine
solche Erklärung nur sehr bedingt abgegeben
worden sei. Österreich habe vielmehr erklärt,
territoriale Erwerbungen jetzt nicht zu beabsichtigen,
vorbehaltlich später etwa notwendig werdender
anderer Entschlüsse. Der Minister meinte, man
werde es ihm daher nicht verdenken, wenn er recht-
zeitig Vorsichtsmaßregeln treffe.
es hat in Albanien Der Text der österreichischen Note sei so3 4 5
still mausen wollen aggressiv und ungeschickt abgefaßt, daß die6
und das hat Oster- öffentliche Meinung Europas und auch die Italiens
reich verpurrt gegen Österreich sein würden, dagegen könne keine
Blech! italienische Regierung ankämpfen.
Nachdem Marquis di San Giuliano an der Hand
des Dreibundvertrages mit Energie ausführte, daß
der Vertrag zum Defensivkrieg verpflichte, daß
aber Österreich jetzt aggressiv vorgehe, und daß
daher Italien auch im Falle russischer Intervention
nicht ausgiebig6 engagiert sein würde7, habe ich
diesen Standpunkt lebhaft bekämpft und nach
längerer Diskussion die Erklärung erreicht, daß es
sich hier wie bei den obigen Erklärungen des
also Eitelkeit Marquis di San Giuliano nur um prinzipielle Wahrung
seines Standpunkts handle, die anderweitige Ent-
schlüsse der italienischen Regierung nicht aus-
3 »von ihnen« in der Entzifferung des Hofiagers sinngemäß ergänzt an Stelle
des dortselbst fehlenden »der Kontrahenten« des Jagowschen Konzepts.
4 Hinter »so« in Flotows Telegramm folgendes »unerhört« ist von Jagow
im Telegramm an den Kaiser fortgelassen.
5 Hinter »die« in Flotows Telegramm folgendes »gesamte« ist von Jagow im
Telegramm an den Kaiser fortgelassen.
6 »nicht weiter« des Flotowschen und demgemäß des Jagowschen Telegramms
in der Entzifferung des Hoflagers in »nicht ausgiebig« verderbt.
7 Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.
182
schließe. Ich habe ausgeführt, daß es in diesem
Stadium nicht darauf ankomme, was später etiva
\u geschehen habe, sondern darauf, im Augenblick
richtig der Welt die Geschlossenheit und Einheitlichkeit8
des Dreibundes zu geigen und alles zu vermeiden,
was Rußland und Frankreich zu der Annahme der
inneren Uneinigkeit der Verbündeten führen könne.
Ich müsse daher dringend bitten, auch auf die
Presse in diesem Sinne zu wirken. Österreich
fordere keine Antwort; man sei also zunächst der
Verlegenheit überhoben, ihm eine solche zu geben.
Ich habe schließLch die Zustimmung hierzu erlangt.
Nach meinem Eindruck ist die einzige Mög-
der kl. Dieb muß lichkeit, Italien festzuhalten, die, ihm rechtzeitig9
eben immer was Kompensationen \u versprechen, wenn Österreich terri-
mitschlucken toriale Besitznahme oder Besetzung des Lowtschen
vornehme.
Ich fand Herrn Salandra einigermaßen ver-
ständg. Er begriff, daß Lebensinteressen Österreichs
vorliegen. Meine Aufgabe ist dadurch10 11 sehr er-
schwert, daß ............n«
Herr Bollati hat mir im Aufträge seiner Re-
gierung erklärt, Italien werde eine möglichst wohl-
wollende Haltung öst rreich-Ungarn gegenüber ein-
nehmen und ihm keine Schwierigkeiten bereiten,
müsse aber auf Grund des Artikels VII des Drei-
bundvertrages Vorbehalt wegen Wahrnehmung seiner
Albanien Interessen (Kompensationen) und evtl. Aktions-
freiheit machen. Andernfalls müsse seine Politik
darauf gerichtet sein, eine österreichische Gebiets-
erweiterung zu verhindern suchen.
Alleruntertänigst
Jagow
Das ist lauter Quatsch und wird sich
schon von selbst geben, im Lauf der
Ereignisse
8 Entzifferung des Hoflagers hat »Einheitlichkeit« an Stelle von »Einheit«
des Flotowschen und demgemäß des Jagowschen Telegramms.
9 »rechtzeitig« von Jagow im Telegramm an den Kaiser gesetzt an Stelle
von Flotows »zu rechter Zeit«.
10 »dadurch« von Jagow im Telegramm an den Kaiser beigefügt.
11 Hinter »daß« im Flotowschen und demgemäß im Jagowschen Telegramm
folgendes: »österreichischer Botschafter krank im Bett. Botschaftsrat un-
fähig« fehlt in der Entzifferung des Hoflagers, da die entsprechende Ziffern-
gruppe unverständlich war. Siehe Nr. 156.
183
Nr. 169
Der Botschafter in Paris an das Auswärtige Amt1
Telegramm 213 Paris, den 25. Juli 19142
Hiesige Presse verurteilt fast einmütig österreichische Note und
erklärt vielfach, daß Österreich-Ungarn offenbar Krieg wolle. Es
handle sich wohl um eine zwischen Wien und Berlin abgekartete
Sache. Dabei Hinweis auf gegenwärtige Schwierigkeiten der Triple-
Entente-Mächte : Ulsterkrise, Arbeiterunruhen in Rußland, Enthüllun-
gen im französischen Senat über Rüstungslücken, Abwesenheit von
Poincard und Viviani.
Unsere Erklärung über Lokalisierung des Konflikts hat großen
Eindruck gemacht.
Schoen
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Paris i30 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
3^ nachm* Eingangsvermerk : 25. Juli nachm.
Nr. 170
Der Botschafter in Paris an das Auswärtige Amt1
Telegramm 214 Paris, den 25. Juli 1914 2
Echo de Paris bringt wesentlichen Teil meiner gestrigen Eröff-
nung an hiesige Regierung teils zutreffend, teils entstellt, indem es
meiner Warnung vor Intervention anderer Mächte einen drohenden
Charakter gibt.
Quai d’Orsay, bei dem ich wegen Indiskretion und Entstellung
protestierte, versichert, an beiden Nachrichten unbeteiligt zu sein
und will für Richtigstellung Sorge tragen.
Ich hatte Gelegenheit, mich zu überzeugen, daß Minister gestern
wesentlich meine Eröffnung zutreffend aufgeschrieben hatte.
Bin bei Presse weiterhin der Legende entgegengetreten, daß
österreichisch-ungarische Demarche zwischen Wien und Berlin ver-
einbart.
Schoen
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Paris i10 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
340 nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm.
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
*
Telegramm 140 Berlin, den 25. Juli 19141 2
Der k. Botschafter in London telegraphiert:
»Sir E. Grey ließ mich .... nicht verhehlen«3.
Habe in London erwidert, daß ich Sir E. Greys Vorschläge
Wien mitteilen würde. Da aber Ultimatum heute abläuft und Graf
Berchtold in Ischl ist, glaube ich nicht, daß Fristverlängerung
möglich wäre.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 40 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Hier ist das Telegramm Lichnowskys vom 24. Juli (Nr. 157) unter Fort-
lassung der Sätze »wie Ew. Exz...........betonen« und »Von andere:
Seite.........der angriffe« eingefügt.
Nr. 172
Der russische Geschäftsträger an den Staatssekretär des
Auswärtigen1
Tres-confidentiel! Berlin, le 12/25 juillet 19142
Monsieur le Secretaire d’Etat!
Comme la demarche que j’ai ä faire aupres de Votre Excel-
lence revet un caractere d’urgence exceptionnelle, je me decide, mal-
gre Tobligeance que Vous aurez de me recevoir ä 4 h. 50 m., de
Vous en soumettre la teneur par ces lignes«,
La note de TAutriche-Hongrie aux Puissances a suivi d’une
demi-journee sa demarche ä Beigrade; ceci öte aux Puissances la
possibilite de deployer tous leurs efforts pour Taplanissement des
difficultes. Aussi, pour faire ce qui est humainement possible afin
d’eviter les suites incalculables que peuvent avoir en Toccurence des
actes precipites, le Gouvernement Imperial considere que le Gouver-
nement de Vienne pourrait avant tout prolonger le terme fixe pour
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 25. Juli nachm, (zum Journal
am 29. Juli).
185
la reponse serbe. II semble, entre autre, que le Gouvernement
Imperial et Royal, ayant declare etre dispose ä mettre ä la dis-
position des Puissances les donnees sur lesquelles il fonde son
accusation, il y aurait lieu de donner ä ces dernieres le temps d’en
prendre connaissance ce qui leur permettrait, une fois convaincus
de la justesse de certaines accusations, de donner ä Beigrade les
conseils necessaires. Le refus de l’Autriche-Hongrie de mettre les
Puissances ä meme de se faire une opinion raisonnee et fondee sur
les donnees de l’accusation enleverait ä la communication faite hier
aux Puissances toute veritable signification.
Le Gouvernement Imperial ayant prescrit au Charge d’Affai-
res de Russie ä Vienne d’exposer ä S. E. le Comte de Berchtold les
considerations qui precedent, me Charge d’en informer d’urgence
le Gouvernement Imperial d’Allemagne, esperant que ce dernier
saura apprecier les motifs qui ont inspire cette demarche et ne
refusera pas de donner ä Son Repräsentant ä Vienne les instruc-
tions necessaires pour obtenir la Prolongation du delai dont il
s’agit.
Veuillez agreer, Monsieur le Secretaire d’Etat, l’assurance de
ma tres-haute consideration.
A. de Bronewsky
Sehr vertraulich!
Übersetzung
Herr Staatssekretär!
Da der Schritt, den ich bei Ew. Exz. zu unternehmen habe, außerge-
wöhnlich dringender Art ist, entschließe ich mich dazu, trotz Ihrer Freund-
lichkeit, mich um 450 zu empfangen, Ihnen schriftlich zu unterbreiten, worum
es sich handelt. ^
Die Note Österreich-Ungarns an die Mächte ist einen halben Tag nach
dem in Belgrad unternommenen Schritt ergangen. Das nimmt den Mächten
die Möglichkeit, alles aufzubieten, um die Schwierigkeiten beizulegen. Damit
das Menschenmögliche zur Verhütung der unberechenbaren Folgen geschehe,
die übereilte Handlungen unter, den gegenwärtigen Umständen haben können,
ist die k. Regierung daher der Ansicht, daß die Wiener Regierung vor allem
die für die serbische Antwort gestellte Frist verlängern könnte. Da ferner
die k. u. k. Regierung sich bereit erklärt hat, den Mächten die Unterlagen zur
Verfügung zu stellen, worauf sie ihre Anklagen stützt, wäre es angezeigt, daß
den Mächten die Zeit gegeben würde, von diesen Unterlagen Kenntnis zu
nehmen und ihnen dadurch zu gestatten, wenn sie einmal von der Richtig-
keit gewisser Anklagen überzeugt sind, in Belgrad die nötigen Ratschläge zu
erteilen. Die Weigerung Österreich-Ungarns, die Mächte in den Stand zu
setzen, sich eine wohlbegründete Meinung über die Unterlagen der Anklage
zu bilden, würde der gestern den Mächten gemachten Mitteilung jede wirk-
liche Bedeutung nehmen.
Die k. Regierung hat den russischen Geschäftsträger in Wien angewiesen,
Sr. Exz. dem Grafen Berchtold die vorstehenden Erwägungen darzulegen und
beauftragt mich, die k. deutsche Regierung dringend davon in Kenntnis zu
setzen, in der Hoffnung, daß diese die Beweggründe, die diesen Schritt ver-
i86
anlaßt haben, zu würdigen wissen und es nicht ablehnen werde, ihrem Ver-
treter in Wien die nötigen Anweisungen zu geben, um eine Verlängerung
der in Rede stehenden Frist zu erlangen.
Genehmigen Sie, Herr Staatssekretär, die Versicherung meiner vor-
züglichen Hochachtung.
Nr. 173
Der Gesandte im kaiserlichen Gefolge an das
Auswärtige Amt1
Telegramm 131 Balestrand (»Hohenzollern«), den 25. Juli 19142
Im Falle einer Verschärfung der Lage und zunehmender
Spannung zwischen Rußland und uns wünschen S. M. der Kaiser
und König, daß sofort Vertrauensfrage3 an Dänemark und
Schweden gerichtet wird, und lassen ersuchen, das hierzu Erfor-
derliche vorzubereiten.
[G.] Wedel
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Balestrand (»Hohenzollern«) 1215 nachm., angekommen
im Auswärtigem Amt 4J1 nachm.; Eingangsvermerk: 25. Juli nachm.
3 »Vertrauensfrage« (so Wedels Konzept) fehlte, da Gruppe unverständlich,
in der Entzifferung des Auswärtigen Amts, wurde aber im Amt sinn-
gemäß ergänzt.
Nr. 174
Aufzeichnung des Unterstaatssekretärs des Auswärtigen1
Berlin, den 25. Juli 1914
Auf Grund Wolff Nachricht haben S. M. folgenden Befehl
erteilt an Flotte heute morgen 9,30:
»Kohlenübernahme beschleunigen, Flotte klarhalten zum Aus-
laufen.« Victoria Louise und Hansa (Schulschiff, z. Z. in Nor-
wegen) habön folgenden Befehl erhalten:
»Seeklarmachen, Dampfruf für Heimreise. Befehl geheim-
halten.«
A [uswärtiges] A[mt] benachrichtigen v. Mueller.
1 Nach Zimmermanns Niederschrift Eingangsvermerk des Auswärtigen
Amts: 25. Juli nachm.
i8?
Adm. Stab hat an S. M. folgende] N [achricht] gegeben:
Vertrauensmann Portsmouth meldet heute 12 Uhr mittags, daß 2.
und 3. englische Flotte Besatzung reduziere bzw. außer Dienst
stelle.
Marine-Attache London berichtet: »Dislokation planmäßig,
soweit ihm bekannt, keine auffälligen Bewegungen«.
Vorstehendes geht jetzt 6y2 p. m. ab an S. M.
Zimmermann
Nr. 175
Der Admiralstab an den Staatssekretär des Auswärtigen1
Ganz geheim! Berlin, den 24. Juli 19142
Ew. Exz. beehre ich mich von nachstehendem Telegramm sehr
ergebenst Kenntnis zu geben:
»Admiral — Berlin von Hohenzollern, Balestrand
An Flotte ist folgender Befehl gegangen: »Einlaufen Flotte
Allerhöchst genehmigt.« [in Norwegen] »Beurlaubungen in Nor-
wegen einrichten auf Möglichkeit der Verkürzung des Aufent-
haltes. Schluß. Auswärtiges Amt benachrichtigen.
von Mueller«
F. d. beurlaubten] Ch[ef] d[es] Admiralstfabes]
i.A.
von B ü 1 o w
Kapitän zur See
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 25. Juli nachm.
Nr. 176
Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler1
Wien, den 24. Juli 19142
Graf Berchtold las mir die telegraphische
Meldung vor, die Baron Giesl über seine Besprechung
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 25. Juli nachm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 27. Juli zurückgegeben.
188
gut
mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Patschu
behufs Übergabe der Note gehabt hat. Die Unter-
ledung sei ihm erst nach einigem Zögern seitens
des Herrn Patschu gewährt worden, der versucht habe,
ihm mit Rücksicht auf die Abwesenheit des Herrn
Paschitsch auszuweichen. Sie habe dann punkt 6 Uhr
in Anwesenheit des Generalsekretärs des Ministeriums
des Auswärtigen stattgefunden, da Herr Patschu nicht
französisch spreche. Baron Giesl hat die Note
nicht verlesen, sondern sich auf deren Übergabe
und auf die Bemerkung beschränkt, daß die öster-
reichische Regierung binnen 48 Stunden eine Ant-
wort verlange und daß, im Falle diese nicht unbe-
dingt zustimmend erfolge, er angewiesen sei, mit
dem gesamten Personal der Gesandtschaft Belgrad
zu verlassen. Herr Patschu hat gemeint, es würde
für die serbische Regierung physisch unmöglich
sein, den Ministerrat zusammenzurufen und eine
Antwort in so kurzer Zeit zu erteilen. Baron Giesl
hat diese Ausflucht im Zeitalter des Telegraphen
und des Telephons und angesichts der Größenver-
hältnisse des serbischen Königreichs nicht gelten
lassen. Übrigens war, wie Baron Giesl bekannt,
der Ministerrat bereits um 5 Uhr in Belgrad 1u-
sammen getreten 3.
Graf Berchtold sagt mir noch, Herr Dillon,
der politische Sturmvogel, der überall erscheine, wo
politische Gewitter im Anzuge seien, habe ihn eben
besucht. Auch bei Graf Hoyos sei er gewesen.
Man habe ihm sehr eingehend den hiesigen Stand-
punkt und die hiesigen Absichten dargelegt, und
Herr Dillon scheine für letztere gewonnen zu sein.
Im Anfang habe er allerdings versucht, sich als
Vermittler zwischen Österreich und Serbien anzu-
bieten. Darauf sei er, der Minister, aber nicht
eingegangen, denn er sei fest entschlossen, sich auf
keinen Handel ein\ulassen.
von Tschirschky
Am Rand Ausrafungszeichen des Kaisers.
Nr. 177
Der Geschäftsträger in Bukarest an den Reichskanzler1
Sinaia, den 20. Juli 19141 2 * * *
Der italienische Gesandte sprach sich mir gegenüber sehr auf-
geregt über die Haltung aus, die Österreich Serbien gegenüber
einnehmen werde. Er meinte, es lohne sich für niemanden, einen
Krieg, der in einen Weltkrieg ausarten könne, heraufzube-
schwören. Es sei begreiflich, daß Österreich gegebenenfalls in
Belgrad Genugtuung fordere, allein dieselbe müsse so beschaffen
sein, daß sie für Serbien annehmbar sei. Sollten kriegerische
Verwickelungen zwischen Österreich und Serbien ausbrechen, so
werde Rußland denselben nicht ruhig zusehen können; denn die
offiziellen Kreise würden durch panslawistische Strömungen zu
aktiver Teilnahme an denselben gedrängt werden. Italien befände
sich augenblicklich finanziell nicht in der Lage, einen Krieg zu
führen. Baron Fasciotti suchte mich immer wieder davon zu
überzeugen, daß der Schritt Österreichs in solche [n]8 Formen
gehalten werden müsse, daß aus demselben keine Komplikationen
entstehen könnten.
W a 1 d b u r g
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 25. Juli nachm. Am 28. Juli zu-
folge Randverfügung Jagows durch Erlaß dem Botschafter in Rom mit-
geteilt.
3 So in der Anfertigung für »solchen«.
Nr. 178
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 102 Wien, den 25. Juli 19142
Der russische Geschäftsträger ist heute bei Baron Macchio
erschienen, um ihn im Aufträge seiner Regierung um Verlänge-
rung der Serbien gestellten 48stündigen Frist zu ersuchen. Fürst
Xudaschew hat dieses Ansuchen damit motiviert, daß in der Note
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 210 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 50
nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm. Am 25. Juli von Jagow
telegraphisch dem Kaiser mitgeteilt, 25. Juli 86 nachm, zum Haupttele-
graphenamt, im Hoflager angekommnn 26. Juli 715 nachm. Entzifferung
des Hoflagers wurde vom Kaiser am 26. Juli zurückgegeben.
| ^ ■
^ISISS-T
verschiedene Angaben enthalten seien, die einer eingehenden
Prüfung bedürften, und daß insbesondere den Mächten Zeit ge-
lassen werden müsse, das in Aussicht gestellte Dossier zu studieren.
Baron Macchio hat erwidert, er werde dem Grafen Berchtold sofort
von dieser Mitteilung Kenntnis geben. Er könne ihm aber schon
von sich aus sagen, daß eine Fristerstreckung ausgeschlossen sei.
Diese Bestimmung sei nach reiflichster Überlegung und infolge
gründlicher Kenntnis der stets von Serbien beobachteten Ver-
schleppungstaktik getroffen worden. Eine Verschiebung bis nach
Studium des Dossiers würde eine Verschiebung sine die bedeuten.
Außerdem habe es der k. u. k. Regierung fern gelegen, die An
gelegenheit zwischen der Monarchie und Serbien dem europäischen
Areopag zur Entscheidung vorzulegen. Die Information der
übrigen Mächte sei lediglich als ein Akt der Courtoisie gegenüber
diesen anzusehen.
Tschirschky
Nr. 179
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 155 London, den 25. Juli 19141 2 3
Privat für Staatssekretär v. Jagow
Ich möchte Sie nochmals auf die Bedeutung des Grey’schen
Vorschlags der Vermittelung zu vieren zwischen Österreich und
Rußland hinweisen8. Ich erblicke hierin die einzige Möglich-
keit, einen Weltkrieg zu vermeiden, bei dem für uns alles auf dem
Spiele steht und nichts zu gewinnen ist. Ablehnen wir, so wird
auch Grey sich nicht mehr rühren. Solange wir noch nicht mobili-
siert, ist die Vermittelung immer noch möglich und eine Beilegung
des Streites, die für Österreich annehmbar ist. Unsere Ablehnung
aber würde hier sehr verstimmen, und ich glaube nicht, daß, falls
Frankreich hineingezogen wird, England gleichgültig bleiben
dürfte. Ich rate noch einmal dringend dazu, den englischen Vor-
schlag anzunehmen und dies in Wien und Petersburg bekanntzu-
geben.
Lichnowsky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London 20 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
521 nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm.
3 Siehe Nr. 157.
Nr. 180
191
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 154 London, den 25. Juli 19141 2 *
Habe soeben Sir E. Grey gesehen und Inhalt Telegramms
Nr. 1698 verwertet. Der Minister nahm meine Erklärungen mit
vollem Verständnis für unseren Standpunkt entgegen. Ohne jede
Gereiztheit oder Verstimmung und mit großer Ruhe besprach er
mit mir4 * * * abermals die gesamte Lage und schien wieder hoffnungs-
voller zu sein als gestern, da Graf Mensdorff ihm im Aufträge
seiner Regierung mitgeteilt hat, daß Österreich nach Ablehnung
seiner Forderungen zunächst nicht beabsichtige, die serbische
Grenze zu überschreiten, sondern nur zu mobilisieren. Sir E. Grey
ist vorläufig noch ohne Nachricht über die in Petersburg gefaßten
Beschlüsse, rechnet aber mit Bestimmtheit darauf, daß der öster-
reichischen Mobilisierung die russische folgen werde. Alsdann sei
seiner Ansicht nach der Augenblick gekommen, um im Verein mit
uns, Frankreich und Italien eine Vermittelung zwischen Öster-
reich und Rußland eintreten zu lassen. Ohne unsere Mitwirkung,
meinte er, sei jede Vermittelung aussichtslos, und könne er allein
nicht an Russen und Österreicher herantreten. Ob Frankreich mit-
machen wolle, wisse er noch nicht. Er habe mit Herrn Gamben
gesprochen, aber noch keine Antwort erhalten, und ihm dabei ge-
sagt, daß er mir den gleichen Vorschlag gemacht habe. Er rechnet
bestimmt auf die Zusage Frankreichs, obwohl er nicht weiß, wie
weit dieses schon mit Petersburg verpflichtet ist.
Der Minister unterscheidet scharf, wie er mir wiederholte,
zwischen dem österreichisch-serbischen und österreichisch-russi-
schen Streit. In ersteren wolle er sich nicht mischen, da er ihn
nichts angehe. Der österreichisch-russische Streit aber bedeute
unter Umständen den Weltkrieg, den wir im vorigen Jahre durch
die Botschafterkonferenzen gemeinsam hätten verhindern wollen.
Europäische Verwickelungen aber seien auch für Großbritannien
nicht gleichgültig, obwohl es durch keinerlei bindende
Abmachungen verpflichtet wäre.
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London 22 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
552 nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm.
8 Siehe Nr. 153.
4 Das Gespräch ist inhaltlich auch niedergelegt in einer Verbalnote, die der
englische Geschäftsträger Sir H. Rumbold .am 25..JUH auf Grund eines
Telegramms Sir E. Greys im Auswärtigen Amt überreichte; vgl. auch das
englische Blaubuch von 1914, Nr. n,
Aktenstücke I. 15
l91 2
Er wolle daher mit uns zusammen wie bisher, so auch jetzt,
im Sinne der Erhaltung des europäischen Friedens Hand in Hand
vorgehen, und er hoffe von unserer beiderseitigen Vermittelung,
der sich wohl auch Frankreich und Italien anschließen würden,
die Verhütung eines österreichisch-russischen Krieges.
Was die österreichische Note betreffe, so erkenne er das be-
rechtigte Verlangen Österreichs nach Genugtuung vollkommen an,
ebenso das Begehren nach Bestrafung aller mit dem Morde in Ver-
bindung stehenden Personen, auf Einzelheiten der Note ließ er
sich nicht ein, schien aber zu hoffen, daß es unserer Vermittelung
gelingen werde, eine Einigung auch hierüber zu erzielen.
Ich erachte es als meine Pflicht, Ew. Exz. darauf hinzu
weisen, daß die hiesige Regierung meiner Überzeugung nach so
lange bestrebt sein wird, eine uns freundschaftliche und möglichst
unparteiische Haltung einzunehmen, als sie an unsere aufrichtige
Friedensliebe glaubt und an unser Bestreben, Hand in Hand mit
England an der Abwendung des aufsteigenden europäischen Ge-
witters mitzuwirken. Die Zurückweisung seines Vorschlages
aber, zwischen Österreich und Rußland zu vermitteln, oder eine
schroffe Haltung, die zu der Annahme berechtigen könnte, daß wir
den Krieg mit Rußland herbeiwünschen, würde wahrscheinlich
ztir Folge haben, England bedingungslos auf die Seite Frankreichs
und Rußlands zu treiben.
Lichnowsky
Nr. 181
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Gesandten in
Kopenhagen1
Telegramm 25
Geheim 1
Berlin, den 25. Juli 1914a
Falls etwa Besuch Poincares abgesagt werden sollte, bitte sofort
dringend drahten3.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Stumms Hand.
2 8° nachm, zürn Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 250.
m
Nr. 182
Der Reichskanzler an den Kaiser1
Telegramm 139
Unglaubliche Zumu-
thungl
unerhört !i ist mir gar-
nichteingefallen !! I Auf
die Meldung meines Ge-
sandten von der Mobil-
machung in Belgrad!
Diese kann Mobil-
machung Rußlands nach
sich \iehen; wird Mobil-
machung Österreichs
nach sich liehen ! ln die-
sem Fall muß ich meine
Streitmacht iu Lande
und iu Wasser bei-
sammen haben, ln der
Ostsee ist kein einiges
Schiff!! Ich pflege im
übrigen militärische
Maßnahmen nicht nach
einem Wolftelegramm
iu treffen, sonaem nach
der Allgemeinen Lage
und ■die hat der Civil-
kan\ler noch nicht be-
griffen! W.
wenn Rußland mobil
macht muß meine Flotte
schon in Ostsee sein
also fährt sie nachHaus!
Berlin, den 25. Juli 19142
Der Chef des Admiralstabes der
Marine teilt mir mit, daß Ew. M. mit
Rücksicht auf ein M^olfftelegramm3 der
Flotte Befehl zur schleunigen Vorbereitung
der Heimreise erteilt haben4. Admiral
von Pohl dürfte Ew. M. inzwischen5 * die
Meldungen Ew.M. Marine-Attaches in Lon-
don und des Vertrauensmannes der Marine
in Portsmouth unterbreitet haben, wonach
die englische Marine keinerlei auffällige bratf^t
Maßnahmen trifft, vielmehr7 * die früher sie ist bereits
vorgesehenen Dislokationen planmäßig8 Kriegsbereit,
äimfnhrt wic die Revue
ausiunrt. eben ffeKeiffthai
Da auch die bisherigen Meldungen und hat mobil*-
Ew. M. Botschafters in London erkennen
lassen, daß Sir E. Grey vorläufig wenig-
stens an eine direkte Teilnahme Englands
an einem eventuellen europäischen Krieg9
nicht denkt und auf tunlichst[e]10 il Lokali-
sierung des österreichisch-ungarisch-ser-
bischen Konflikts hinwirken will, wage
ich alleruntertänigst zu befürworten, daß
Ew. M. vorläufig keine verfrühte11 Heim-
reise der Flotte befehlen12.
Beth mann-Holl weg
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Zimmermanns Hand.
2 25. Juli 835 nachm, zum Haupttelegraphenamt, angekommen im Hoflager
26. Juli 70 vorm. Entzifferung vom Kaiser am 26. Juli zurückgegeben, war
am 2. August in Berlin.
* Die Worte »ein« und »-telegramm« vom Kaiser zweimal unterstrichen.
1 »unerhört!« ist über »Wolfftelegramm« stehende Interlinearnotiz. Am
Rand daneben zwei Rufzeichen des Kaisers.
s »inzwischen« fehlt in der Entzifferung des Hoflagers.
Stand am linken Rand.
7 »vielmehr« fehlt in der Entzifferung des Hoflagers.
’ »Dislokationen planmäßig« in der Entzifferung des Hoflagers in »Dislokations-
pläne« verderbt.
»europäischen« fehlt in der Entzifferung des Hoflagers, statt »Krieg« steht
dort »Verfahren«.
l j »tunlichste« fehlt in der Entzifferung des Hoflagers.
il »verfrühte« fehlt in der Entzifferung des Hoflagers.
n Siehe Nr. 221.
Der Botschafter in Konstantinopel an das Auswärtige Amt1
Telegramm 368 Therapia, den 25. Juli 1914* 2
Geheim I
Markgraf Pallavicini zeigte mir vertraulich ein Telegramm
seiner Regierung, betreffend Äußerungen des bulgarischen Ministers
der auswärtigen Angelegenheiten zu Graf Tarnowski, aus denen mar
schließen konnte,’ daß Bulgarien vorläufig nur seine Neutralität in
Aussicht stellt. Mein österreichischer Kollege und ich sind der
Ansicht, daß, solange Bulgarien sich Österreich gegenüber nicht
formell verpflichtet hat, im Falle Eingreifens einer dritten Macht,
Österreich Waffenfolge zu „leisten, ein etwaiges bulgarisch-türkisches
Bündnis vollkommen wertlos sein würde.
Wangenheim
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Therapia 645 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
856 nachm.; Eingangsvermerk: 25. Juli nachm. Von Jagow telegraphisch
dem Kaiser mitgeteilt, zum Haupttelegraphenamt 26. Juli i40 vorm., an-
gekommen im Hoflager 27. Juli 730 vorm., Entzifferung lag noch am
27. Juli dem Kaiser vor. Wangenheims Telegramm am 26. Juli von
Jagow durch Erlaß dem Botschafter in Wien, nur zu dessen persönlicher
Information, mitgeteilt, abgesandt durch die Post 40 nachm., unter Fort-
lassung des Satzes »Mein österreichischer.....wertlos sein würde.«
telegraphisch auch dem Gesandten in Sofia, gleichfalls nur zu dessen per-
sönlicher Information, mitgeteilt, 26. Juli i40 vorm, zum Haupttelegraphen-
amt.
Nr. 184
Der Botschafter in Konstantinopel an das Auswärtige Amt1
Telegramm 367 Therapia, den 25. Juli 19142
Herr von Giers, den ich im Vorzimmer des Großwesirs traf
sagte mir, die österreichischen Forderungen an Serbien seien, wenn
nicht berechtigt, so doch begreiflich, mit Ausnahme derjenigen, welche
eine Tätigkeit österreichischer Kontrollbeamter in Serbien vorsehen.
Diese Forderung bedeute einen Eingriff in die Souveränität Serbiens.
FNach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Therapia 635 nachm., angekommen im Auswärtigent Amt
93 *nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm. Am 26. Juli von Zimmermann
telegraphisch- den Botschaftern in Petersburg und Wien mitgeteilt.
Telegramme 55 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
Die Situation sei deshalb ernst. Die Sprache meines Kollegen war
ruhig und enthielt keine Drohungen. Zum Großwesir hat er kurz
darauf in einer Weise gesprochen, welche bei ersterem den bestimmten
Eindruck hervorrief, daß Rußland sich nicht einmischen werde.
Wan gen heim
Nr. 185 #
Der Geschäftsträger in Bukarest an das Auswärtige Amt1
Telegramm 42 Bukarest, den 25. Juli 1914* 2
Serbischer Geschäftsträger hat hier im Aufträge seiner Regierung
angefragt, wie sich Rumänien im Falle eines Konflikts zwischen
Serbien und Österreich-Ungarn verhalten würde. Wie mir Minister
der auswärtigen Angelegenheiten mitteilt, hat dieser geantwortet,
Rumänien betrachte Differenzen als lediglich Serbien und Österreich-
Ungarn angehende und ratet3 * Serbien, den österreichischen Forderungen
aachzugeben. Waldburg
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Bukarest 830 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
93 nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm. Am 26. Juli von Jagow
telegraphisch dem Kaiser mitgeteilt, aufgenommen in Berlin 26. Juli
i50 vorm., angekommen im Hoflager 27. Juli 40 vorm. Entzifferung lag
noch am 27. Juli dem Kaiser vor. Waldburgs Telegramm von Jagow
desgleichen telegraphisch den Botschaftern in Wien und Rom mitgeteilt,
Telegramme 26. Juli i50 vorm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Schreibversehen für »rät«.
Nr. 186
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 156 London, den 25. Juli 1914*
Erhalte soeben folgenden eigenhändigen Brief Sir Edward Greys:
‘Tenclose a forecast that I have just received of the Servian reply3.
[ Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London 69 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
925 nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm. Am 26. Juli teilte Jagow
dem Botschafter in Wien telegraphisch den Wortlaut des Grey’schen Briefes
mit, i5 vorm, zum Haupttelegraphenamt. Am 26. Juli vermerkt Zimmer-
mann am Rand der Entzifferung: »Der englische Geschäftsträger ist davon
unterrichtet worden, daß wir die Mitteilung Sir E. Greys nach Wien
weitergegeben haben«.
3 Dem Telegramm beigefügt ist der Wortlaut des Telegramms des englischen
Vertreters in Belgrad Crackanthorpe an Sir Edward Grey vom 25. Juli,
Nr. 21 des englischen Blaubuchs von 1914.
ig6
If seems to me that it ought to pxoduce a favourable impression
at Vienna, but it is difficult for anybody but an ally to suggest to
the Austrian Government what view they should take of it.
I hope that if the Servian reply when received at Vienna corres-
ponds to this forecast, the German Government may feeL-able to
infiuence the Austrian Government to take a favourable view of it.”
Lichnowsky
Übersetzung
Anbei den voraussichtlichen Inhalt der serbischen Antwort, der mir so-
eben mitgeteilt worden ist. Es scheint mir, daß er einen günstigen Eindruck
in Wien machen müßte, aber es ist schwer für jeden, der nicht Verbündeter
ist, der österreichischen Regierung nahe zu legen, wie sie diese Antwort
auffassen solle.
Ich hoffe, daß, wenn die serbische Antwort bei ihrem Eintreffen in Wien
diesem voraussichtlichen Inhalt entspricht, die deutsche Regierung es für^
möglich erachten wird, die österreichische Regierung dahin zu beeinflussen,
daß sie diese Antwort günstig auffaßt.
Nr. 187
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 103 Wien, den 25. Juli 19141 2
Ich habe Baron Macchio heute sehr nachdrücklich darüber zur
Rede gestellt, warum die mir gegebene Zusage, dem Marquis di San
Giuliano die Note vor3 deren Übergabe in Belgrad durch Herrn
von Merey mitzuteilen und den österreichisch-ungarischen Stand-
punkt dabei ausführlich klarzulegen, nicht eingehalten worden sei.
Der erste Sektionschef erklärte mir hierauf, der, wie er selbst
zugeben müsse, »nicht glückliche« Verlauf dieser Sache sei die Folge
eines Mißverständnisses seitens des Herrn von Merey. Dieser habe
Nachricht erhalten gehabt, daß Marquis di San Giuliano von Fiuggi
nach Rom kommen werde, und habe danach beabsichtigt, dem Mi-
nister die Note in Rom mitzuteilen. Nun sei der Marquis aller-
dings nach Rom gekommen, sei aber schon wieder abgereist gewesen,
als der Botschafter ihn sprechen wollte. Herr von Merey sei dann
plötzlich erkrankt und habe dann am folgenden Tage erst den Bot-
schaftsrat nach Fiuggi senden können. So sei die Mitteilung um
einen Tag verspätet und nicht durch den Botschafter selbst erfolgt,
was er, Baron Macchio, lebhaft bedauere.
Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 620 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 9™
nachm.; Eingangsvermerk: 25. Juli nachm. Von Jagow, nach Vornahme
kleiner stilistischer Änderungen, dem Botschafter in Rom mitgeteilt, 26. Juli
216 vorm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr, 136 Anm. 2.
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 104 Wien, den 25. Juli 19142
Baron Macchio teilt mir telephonisch mit: Da in der serbischen
Antwort mehrere Punkte unbefriedigend, ist Baron Giesl abgereist.
Seit 3 Uhr nachmittags soll bereits allgemeine Mobilisierung in
Serbien stattfinden.
Tschirschky.
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 750 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt ghi-
nachm.; Eingangsvermerk: 25. Juli nachm.
Nr. 189
Der Geschäftsträger in Athen an das Auswärtige Amt1
Telegramm 213 Athen, den 25. Juli 19142 3
Streng vertraulich!
Minister der auswärtigen Angelegenheiten bittet mich, auf-
richtigen Dank für die hier stets gern aufgenommenen Ratschläge
zu übermitteln. Diese seien ernstlich mit Sr. M. dem König be-
sprochen und an den heute in München weilenden Herrn Veniselos
telegraphiert worden, von dem jedoch Antwort noch aussteht.
Herr Streit sagt mir, daß Griech enland an einem österreichisch -
serbischen Konflikt sich nicht beteiligen werde. Er werde dies auch
in Belgrad erklären, wo Griechenland nicht aufhöre, dringend für
den Frieden zu wirken.
Über Haltung Griechenlands bei einem eventuellen Eingreifen
Bulgariens oder der Türkei glaubt Herr Streit sich heute noch nicht
äußern zu sollen, da diese zu sehr von den Umständen abhänge,
unter denen dies Eingreifen erfolge. Für Griechenland sei die Er-
haltung des Bukarester Friedens eine Kardinalfrage; es könne sich
daher Serbien gegenüber diesbezüglich durch keine Erklärungen
bloßstellen, die ihm die serbische Freundschaft kosten könnten.
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Athen 530 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt io&
nachm.; Eingangsvermerk: 25 Juli nachm.
3 Siehe Nr. 122.
i98
Griechenlands Haupt bestreben sei die Erhaltung des Friedens;
es werde alles tun, um nicht in einen Konflikt hineingezogen zu
werden. Streit hat in diesem Sinne, heute auch mit türkischem
Gesandten gesprochen. Ich habe Eindruck, daß man hier der an-
geregten Vereinbarung über Neutralität, im Hinblick auf die mög-
liche Gefährdung des Bukarester Vertrags durch Bulgarien, nicht
wird näher treten wollen.
Bassewitz
Nr. 190
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 152 Petersburg, den 25. Juli 19141 2
Wie ich von meinem italienischen Kollegen höre, hat er bis
jetzt noch keine Instruktionen erhalten, die Forderungen der
österreichischen Note an Serbien zu unterstützen.
Pourtales
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Petersburg 630 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt io30nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm. Von Jagow telegra-
phisch dem Botschafter in Rom »streng vertraulich« mitgeteilt, 26. Juli
1255 vorm, zum Haupttelegraphenamt.
Nr. 191
Der Reichskanzler an den Kaiser1
Telegramm 140 Berlin, den 25. Juli 19142
Nach Wiener Nachrichten haben die serbische Regierung,
König Peter und die Behörden, heute nachmittag x/23 Uhr Belgrad
verlassen und sich nach dem Süden zurückgezogen. Da die um
6 Uhr überreichte Antwort der serbischen Regierung den öster-
reichischen Forderungen nicht genügt, hat der Gesandte Baron
Giesl Belgrad verlassen.
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Jagows Hand. Der Satz '»In Paris und
London............Konflikts« im Entwurf von der Hand des Reichs-
kanzlers beigefügt.
2 Zum Haupttelegraphenamt 25. Juli io45 nachm., angekommen im Hoflager
26. Juli ii50 nachm., Entzifferung vom Kaiser am 27. Juli zurückgegeben.
!99
Präsident Poincare ist heute in Stockholm, eine Änderung
seiner weiteren Besuchspläne ist bisher nicht bekanntgeworden.
In Paris und London arbeitet man eifrig auf Lokalisierung des
Konflikts.
Alleruntertänigst
Bethmann Hollweg.
Nr. 191a
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 157 London, den 25. Juli 19141 2
Im Anschluß an Telegramm Nr. 156
Anlage zum Brief Sir fu Greys:
“Telegram from Mr. Crackanthorpe Beigrade July 25, 1914
Council of Ministers is now drawing up reply to Austrian note.
I am informed by Under-Secretary of State for Foreign Affairs that
it will be drawn up in most conciliatory terms and will, in as large
a measure as possible, meet Austrian demands. Under-Secretary gave
me a brief summary of projected reply in advänce. Consent of
Servian Government is given in it to the publi cation of declaration
in “Öfficial Gazette”, and they accept the ten points with reserves.
They consent to the dismissal and prosecuting of those officiers who
can be clearly proved to be guilty, and they have already arrested
officer mentioned in the Austrian note. They agree to suppress
Narodna Odbrana. They declare themselves ready to agree to mixed
Commission of enquiry provided that it can be proved that it is in
accordance with international Visage that such a commission should
be appointed.”
Lichnowsky
Übersetzung
»Telegramm von Hr. Crackanthorpe Belgrad, 25. Juli 1914
Der Ministerrat entwirft jetzt die Antwort auf die österreichische Note. Ich
erfahre vom Unterstaatssekretär des Auswärtigen, daß sie in versöhnlicher Form
gehalten sein und soweit als möglich den österreichischen Forderungen ent-
gegenkommen wird. Der Unterstaatssekretär gab mir im voraus eine kurze
Inhaltsangabe der beabsichtigten Erwiderung. Die serbische Regierung stimmt
darin der Veröffentlichung einer Erklärung in ihrem offiziellen Organ zu und
nimmt die zehn Punkte unter Vorbehalten an. Sie stimmt der Entlassung
und gerichtlichen Verfolgung der Beamten zu, deren Schuld klar nachgewiesen
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegebren in London 630 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
n° nachm. Eingangsvermerk: 25. Juli nachm.
200
werden kann, und sie hat schon den in der österreichischen Note bezeich-
nten Offizier verhaften lassen. Sie erklärt sich bereit, eine gemischte Unter-
suchungskommission zuzugestehen, vorausgesetzt, daß nachgewiesen werden
kann, daß die Einsetzung einer solchen Kommission mit dem internationalen
Brauch in Übereinstimmung steht.«
Nr. 192
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in
London1
Telegramm 176 Berlin, den 25. Juli 1914 1 2
Unterscheidung Sir E. Greys zwischen österreichisch-serbischen-
und österreichisch-russischem Konflikt vollständig zutreffend. In
ersteren wollen wir uns ebensowenig wie England mischen und ver-
treten nach wie vor Standpunkt, daß Frage durch Enthaltung aller
Mächte lokalisiert bleiben muß. Wir hoffen deswegen dringend,
daß Rußland, bewußt des Ernstes der Situation und seiner Ver
antwortung, sich jeden aktiven Eingriffs enthält. Sollte österreichisch-
rassischer Streit entstehen, so sind wir, vorbehaltlich unserer be-
kannten Bündnispflichten, bereit, mit den anderen Großmächten
Vermittlung zwischen Österreich und Rußland ein treten zu lassen.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand. — Vgl. deutsches Weißbuch
vom Mai 1915, S. 30 Nr. 15.
2 115 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
Nr. 193
Der Staatssekretär des Auswärtigen an die Botschafter in
Rom und Wien1
Telegramm 19, 148 Berlin, den 26. Juli 1914 2
Der soeben zurückgekehrte rumänische Gesandte sagte mir,
König Caro! werde seine Politik zum Dreibund nicht ändern. Aller-
dings hat Gesandter den König noch vor Ausbruch österreichischer
Demarche in Belgrad gesehen3.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 20 vorm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 208—210.
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 153 Petersburg, den 25. Juli 19141 2 3
General von Chelius meldet für S. M.:
»Die Truppenübungen im Krasnojelager wurden heute plötzlich
abgebrochen, die Regimenter kehren sofort in ihre Garnisonen zu-
rück; Manöver sind abgesagt, die Kriegsschüler wurden heute zu
Offizieren befördert, statt im Herbst. Im Hauptquartier herrscht
große Erregung über das Vorgehen Österreichs, habe den Eindruck,
daß man alle Vorbereitungen zur Mobilmachung gegen Österreich
trifft.«
Pourtales
1 Nach der Entzifferung. — Vgl. deutsches Weißbuch vom Mai 1915,
S. 28 Nr. 6.
2 Datiert: Petersburg, den 25. Juli, aufgegeben daselbst 26. Juli 1220 vorm.,
angekommen im Auswärtigen Amt 328 vorm., Eingangsvermerk: 26. Juli
vorm. Am 26. Juli vom Reichskanzler durch Funkspruch dem Kaiser
mitgeteilt, in Berlin zum Haupttelegraphenamt 26. Juli 125 nachm., an-
gekommen im Hof lager 27. Juli 40 vorm.; Entzifferung des Hoflagers vom
Kaiser am 27. Juli im Auswärtigen Amt zurückgelangt.
Nr. 195
Der Geschäftsträger in Cetinje an das Auswärtige Amt1
Telegramm 17 Cetinje, den 25. Juli 1914 2
Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten erklärt mir r
infolge Abwesenheit Ministerpräsidenten sei über die Haltung
Montenegros im Falle eines österreichisch-serbischen Krieges keine
Entscheidung getroffen. Als Privatansicht äußerte er, daß König
und Regierung, auch wenn sie neutral zu bleiben wünschten, wohl
von der öffentlichen Meinung gezwungen werden würden, einzugreifen,
sobald Österreich in Serbien einmarschiert. Ähnlich soll sich auch
der König ausgesprochen haben. Stadt und Bevölkerung ruhig.
Zech
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Cetinje 25. Juli io16 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 26. Juli 48 vorm. Eingangsvermerk: 26. Juli vorm. Am 26. Juli von
Jagow telegraphisch dem Botschafter in Wien mitgeteilt, Telegramm
340 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
Bei der Bedeutung, welche die hiesige öffentliche Meinung
Berliner Telegrammen gerade jetzt beimißt, dürfte es angezeigt sein,
wenn es politisch möglich ist, durch Berliner Nachrichten hiesige
Presse darauf hinzuweisen, daß Österreichs Aktion nicht Territorial-
erwerb, welcher italienische Interessen an der Adria gefährden könnte,
bezweckt, sondern in erster Linie endgültige Klärung des Verhältnisses
zu Serbien aus innerpolitischen Gründen3.
Flotow
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi Fonte, 25. Juli 1120 nachm., angekommen im Aus-
wärtigen Amt 26. Juli 420 vorm. Eingangsvermerk: 26. Juli vorm.
3 Randbemerkung Hammanns: »Wolff angewiesen, solche Stimmen an
Agenzia Stefani zu geben.«
Nr. 197
Der Reichskanzler an den Kaiser1
Telegramm 146 Berlin, den 26. Juli 19142
Außer der von General von Chelius gemachten
Meldung3 liegen über russische Haltung noch keine
verbürgten Nachrichten vor. Sollte Rußland sich zum
Konflikt mit Österreich anschicken, beabsichtigt Eng-
land Vermittelung4 zu versuchen und erhofft dabei
französische Unterstützung. Solange Rußland keinen
feindlichen Akt vornimmt, glaube ich, daß unsere
auf eine Lokalisierung5 gerichtete Haltung auch 1 2 3 4 5
1 Nach deiü Konzept von des Reichskanzlers Hand.
2 Durch Funkspruch über Norddeich: In Berlin 26. Juli 1 Uhr nachm, zum
Haupttelegraphenamt, angekommen im Hoflager 27. Juli 4 Uhr vorm. Ent-
zifferung am 27 Juli vom Kaiser zurückgegeben, am gleichen Tage ins Aus-
wärtige Amt gelangt.
3 Siehe Nr. 194.
4 Die Worte »Österreich anschicken, beabsichtigt.......Unterstützung«
lauten in der Entzifferung des Hoflagers verstümmelt und irreführend-
»Österreich (folgt Lücke] Baron Fredericks beabsichtigt Englands Ver-
mittlung zu versuchen, und er hofft auf französische Unterstützung«. Das
Wort »Fredericks« hat der Kaiser unterstrichen und am Rand vermerkt:
»welcher?«
5 Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.
y ,
2°3
eine ruhige bleiben muß. General von Moltke ist
heute aus Karlsbad zurückgekehrt und teilt diese
Ansicht.
Erbitte alleruntertänigst Mitteilung, wo und
wann Ew, M. an Land steigen6, damit ich Ew. M.
dort zum Vortrag erwarten darf.
Alleruntertänigst
Bethmann Hollweg
Er soll mich in Berlin erwarten; ich
komme dorthin, oder Wildpark.
Am Rand 2 Ausrulungszeichen des Kaisers.
Nr. 198
Der Reichskanzler an den Botschafter in Petersburg1
Telegramm 126 Berlin, den 26. Juli 19141 2
Nachdem Graf Berchtold Rußland erklärt hat, daß Österreich
keinen territorialen Gewinn in Serbien beabsichtige, sondern nur
Ruhe schaffen wolle, hängt Erhaltung europäischen Friedens allein
von Rußland ab. Wir vertrauen auf Friedensliebe Rußlands und
unsere altbewährten guten Beziehungen, daß es keinen Schritt un-
ternimmt, welcher den europäischen Frieden ernstlich gefährden
würde. _ __
Bethmann Hollweg
1 Nach dem Konzept von des Reichskanzlers Hand. — Vgl. deutsches
Weißbuch vom Mai 1915, S. 29 Nr. 12.
2 i35 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
^ Nr. 199
Der Reichskanzler an den Botschafter in London1
Telegramm 178 Berlin, den 26. Juli 19142
Dringend!
Österreich hat Rußland offiziell erklärt, daß es keinen territo-
rialen Gewinn in Serbien beabsichtige und seinerseits Bestand des
Königreichs nicht antasten, sondern nur Ruhe schaffen wolle. Nach
hier von vertrauenswürdiger Seite eingelangten, allerdings noch nicht
m
1 Nach dem Konzept von des Reichskanzlers Hand. — Vgl. deutsches
Weißbuch vom Mai 1915, S. 29 Nr. 10.
2 i35 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
Ruhe ist die erste
Bürgerpflicht! Nur
Ruhe, immer nur
Ruhe!! Eine Ru-
hige Mobilmachung
ist eben auch was
Neues.
204
verbürgten Nachrichten steht in Rußland Einberufung mehrerer
Reservistenjahr gange unmittelbar bevor, was einer Mobilisierung auch
gegen uns gleichkommen würde. Sollten sich diese Nachrichten
bewahrheiten, so würden wir gegen unseren Wunsch zu Gegenmaß-
regeln gezwungen werden. Unser Streben geht auch heute dahin,
den Konflikt zu lokalisieren und den europäischen Frieden zu er-
halten. Wir bitten daher Sir Edward Grey, in diesem Sinne in
Petersburg zu wirken3. Bethmann Hollweg
3 Siehe Nr. 218.
Nr. 200
Der Reichskanzler an den Botschafter in Paris1
Telegramm 167 Berlin, den 26. Juli 19141 2
Österreich hat Rußland offiziell erklärt, daß es keinen terri-
torialen Gewinn in Serbien beabsichtige und seinerseits Bestand des
Königreichs nicht antasten, sondern nur Ruhe schaffen wolle3. Die
Entscheidung, ob ein europäischer Krieg entstehen soll, hängt
momentan nur bei Rußland. Wir vertrauen auf Frankreich, mit
dem wir uns in dem Wunsche der Erhaltung des europäischen
Friedens eins wissen, daß es in Petersburg seinen Einfluß in be-
ruhigendem Sinne geltend machen wird.
Bethmann Hollweg
1 Nach dem Konzept von des Reichskanzlers Hand.
2 i35 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Gleichlautend wie Nr. 199.
Nr. 201
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 159 London, den 26. Juli 19142
Prinz Heinrich bittet mich, Ew. Exz. zu melden, S. M. der
König habe ihm den lebhaften Wunsch zu erkennen gegeben, daß
es der britisch-deutschen Gemeinschaft unter Zutritt Frankreichs und
Italiens gelingen möge, der so überaus ernsten Lage im Sinne des
Friedens Herr zu werden.
Lichno wsky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London u49 vorm., angekommen im Auswärtigen Amt 156
nachm. Eingangsvermerk: 26. Juli nachm. Am 26. Juli von Jagow tele-
graphisch dem Kaiser mitgeteilt, aufgegeben in Berlin, den 26. Juli 756
nachm., angekommen im Hoflager 27. Juli 730 vorm., Entzifferung lag
noch am 27. Juli dem Kaiser vor.
Der Reichskanzler an den Botschafter in Wien1
leiegramm 150 Berlin; den 26. Juli 19141 2 * * * *
Auch der Chef des Generalstabs hält es für dringend erforder-
lich, daß Italien fest beim Dreibund gehalten wird. Eine Verstän-
digung Wiens mit Rom ist daher nötig. Wien darf derselben nicht
mit fraglichen Vertragsdeutungen ausweichen, sondern muß dem
Emst der Lage entsprechend seine Entschlüsse fassen.
Bethmann Hollweg
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Jagows Hand.
2 30 nachm, zum Haupttelegraphenamt gegeben, 710 nachm, auf der Bot-
schaft in Wien angekommen.
Nr. 203
Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler1
St. Petersburg, den 24. Juli 19142
Nach der Parade in Krasnoje Selo
und einem Diner auf der »France« hat
der Präsident der französischen Republik
die Kronstädter Reede gestern abend
wieder verlassen. Die Herrn Poincare
hier zuteil gewordene Aufnahme war,
wie nicht anders zu erwarten stand, eine
sehr freundliche. Die offiziellen Veran-
staltungen zeugten von dem Wunsche,
dem Staatschef der verbündeten Republik
ganz besondere äußerliche Ehren zu er-
weisen, die offenbar auch darauf be-
rechnet waren, seiner persönlichen Eitel-
keit \u schmeicheln. Bei dem Besuch
zum Beispiel, den Herrn Poincare von
Peterhof aus in St. Petersburg machte,
wurde er nicht allein bei seiner Fahrt
von Newa-Quai zum Winterpalais, sondern
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 26. Juli nachm. Ausfertigung
wurde dem Kaiser zugeleitet, der durch Randverfügung Mitteilung an den
Botschafter .in Paris anordnete; vom Kaiser am 28. Juli ins Amt zurück-
gelangt. Bericht wurde am 30. Juli dem Botschafter in Paris mitgeteilt.
Vgl. deutsches Weißbuch vom Mai 1915.
206
auch bei allen seinen Ausfahrten von
einer Schwadron Kosaken eskortiert, die
zu diesem Zwecke ihre scharlachrote
Uniform, die sonst im Sommer selbst bei
Paraden nicht angelegt wird, trugen.
Abgesehen von diesen äußerlichen
Ehrenbezeugungen, läßt sich nicht sagen,
daß die dem französischem Gaste hier
zuteil gewordene Aufnahme eine besonders
warme gewesen ist. Wer lediglich die
hiesigen nationalistischen Blätter und
die überschwenglichen Festberichte der
sehr zahlreich liier erschienenen franzö-
sischen Journalisten liest, wird ein sehr
falsches Bild von derStimmung gewinnen,
die während der Tage des Präsidenten-
besuches hier geherrscht hat. Jeder un-
parteiische Beobachter muß die auffallende
Gleichgültigkeit, welche die große * Masse
des Publikums dem Besuche gegenüber
zeigte, konstatiert haben. Selbst an dem
Tage, an welchem Herr Poincare der Resi-
denz selbst seinen Besuch abstattete, und
trotz des bei diesem Besuch aufgebotenen
großen Apparates war von einer besonders
regenTeilnahme des Publikums geschweige
denn von irgend welcher Begeisterung
nichts zu merken. Bei der Ankunft des
Präsidenten und seiner Fahrt die Newa-
Quais entlang bis zum Winter-Palais
hatte sich trotz des schönen Wetters
verhältnismäßig wenig Publikum einge-
funden, das Herrn Poincare nicht nur
keine Ovationen bereitete, sondern über-
haupt kaum grüßte. Die auf polizeiliche
Anordnung dekorierten, aber keineswegs
besonders reich beflaggten Straßen, durch
welche der Präsident mit seiner Eskorte
und einem zahlreichen Gefolge am Nach-
mittag eine Rundfahrt machte, waren
durchaus nicht besonders belebt,undnuran
den Straßenecken erwarteten einige Schau-
lustige die Vorbeifahrt des Cortege3.
Am meisten Leben zeigte sich noch
am Newski-Prospekt, als der Präsident
3 Hinter »Cortege« Ausrufungszeichen des Kaisers.
f
t':
das kommt vom
Bunde der Abso-
luten Monarchie
und der Absoluten
So^ialistischen-
Sansculotten
Republik!
nach den heutigen
Meldungen des
Marineattaches,
nach Aussage des
Russ. Marin?-
attacties, ist sie im
Werden!
sich am Abend nach dem Diner auf der
französischen Botschaft nach der Stadt-
Duma begab.
Wie ich bereits anderweitig hervor-
gehoben habe, ist die große Teilnahm-
losigkeit der Bewohner der Hauptstadt
während des Besuchs des Herrn Poincar6
nicht zum geringsten auf die Arbeiter-
streiks \urück\ujUhren, die während der
Anwesenheit der französischen Gäste zu
ernsten Zusammenstößen mit der Polizei
und der Truppe geführt haben. Man
muß es als eine Ironie des Schicksals
empfinden, daß zu der gleichen Zeit, zu
welcher im Lager von Krasnoje Selo die
russischen Garden den Gast des Zaren
mit den Klängen der »Marseillaise« 4 be-
grüßten, in den Vorstädten Petersburgs
die Kosaken auf die Arbeiter einhieben,
welche dieselbe Marseillaise sangen.
Als sich gelegentlich meiner Unter-
haltungen mit Herrn Sasonow das Ge-
spräch dem Besuch des Herrn Poincare
zuwandte, hob der Minister den fried-
fertigen Ton der gewechselten Trink-
sprüche hervor. Ich konnte nicht umhin,
Herrn Sasonow darauf aufmerksam zu
machen, daß nicht die bei derartigen Be-
suchen ausgetauschten Toaste, sondern
die daran geknüpften Preß komme ntare
den Stoff zur Beunruhigung geliefert
hätten. Derartige Kommentare seien
auch diesmal nicht ausgeblieben, wobei
sogar die Nachricht des angeblichen Ab-
schlusses einer russisch-englischen Marine-
konvention verbreitet worden sei. Herr
Sasonow griff diesen Satz auf und meinte
unwillig, eine solche Marinekonvention
existiere nur »in der Idee des »Berliner heute noch!
Tageblattes« und im Mond«. a^er
Das von der russischen Regierung ™°^en;„
über den Besuch des Herrn Poincare in
der Presse veröffentlichte Communique
ist in der Anlage gehorsamst beigefügt.
F. Pourtales
4 »Marseillaise« zweimal vom Kaiser unterstrichen.
Aktenstücke L
Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler1
St. Petersburg, den 25. Juli 19141 2
Die Unterredung, die ich gestern abend mit Herrn Sasonow
hatte, und über die ich anderweitig schon zu berichten die Ehre hatte3,
drehte sich, nachdem ich dem Minister den Standpunkt der
k. Regierung entwickelt hatte, zunächst hauptsächlich um die
Frage der vom Minister befürworteten europäischen Enquete über
die Konnivenz der serbischen Regierung gegenüber den Treibereien
der groß-serbischen Propaganda. Herr Sasonow vertrat den Stand-
punkt, daß die Frage eine europäische sei, da Serbien nach der
-bosnischen Krisis Europa gegenüber Verpflichtungen übernommen
habe, und daß Europa Serbien nicht der Vergewaltigung durch seinen
mächtigen Nachbarn preisgeben dürfe.
Ich versuchte, dem Minister zu beweisen, daß es im Interesse der
dringend erwünschten Vermeidung aller etwaiger weiterer Kompli-
kationen durchaus geboten erscheine, den österreichisch-serbischen
Konflikt zu lokalisieren. Ich wies ferner darauf hin, daß nach
meiner Überzeugung Österreich-Ungarn auf die Zumutung, die
Untersuchung gegen die Urheber des Attentats von Sarajevo einer
Superrevision der Mächte zu unterwerfen, niemals eingehen werde
und auch nicht eingehen könne, wenn es nicht auf seine Stellung als
Großmacht verzichten wolle.
Ich machte endlich darauf aufmerksam, daß mir der ganze Vor-
schlag, die Angelegenheit vor einen europäischen Areopag zu bringen,
auch abgesehen von der zweifellos zu gewärtigenden österreichischen
Ablehnung, auch durchaus unpraktisch erscheine, da unbedingt zu
erwarten sei, daß der allgemeine politische Standpunkt der ver-
schiedenen Mächte und Mächtegruppen bei der Stellungnahme zu der
Frage der ausschlaggebende sein werde. Was aber habe ein solches
»Gerichtsverfahren« für einen praktischen Zweck, wenn sich »die
politischen Freunde« Österreich-Ungarns auf seine Seite und die
Gegner auf die Gegenseite stellten? Wer solle in diesem Falle die
Entscheidung fällen?
Herr Sasonow war durch diese Argumente nicht von seiner Idee
abzubringen und bat mich dringend, sie meiner Regierung zu über-
mitteln. Ich entgegnete, es sei natürlich meine Pflicht, meiner
Regierung über seine Stellungnahme zu berichten, ich könnte ihm
aber nicht die geringste Aussicht machen, daß Ew. Exz. diesen, nach
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 26. Juli nachm. Randnotiz des
Reichskanzlers: »S. M. vorgetragen: v. B. H. 27.«
8 Siehe Nr. 160.
meiner Ansicht ganz unpraktischen und auch für Österreich
demütigenden Vorschlag überhaupt als diskutabel anerkennen würde.
Herr Sasonow erwiderte sehr verstimmt, er merke allerdings schon
seit mehreren Tagen, daß wir in der Frage voreingenommen seien
und unsere Stellungnahme bereits in einer bestimmten Richtung fest-
gelegt hätten.
Ich bemerkte darauf, unser Standpunkt sei ein durchaus klarer
und loyaler. Er werde uns nicht allein durch unsere Pflichten gegen
unseren Verbündeten, sondern auch durch unser Gerechtigkeitsgefühl
und vor allem durch unser treues Festhalten an dem monarchischen
Prinzip diktiert.
Der Appell an das monarchische Prinzip war Herrn Sasonow
sichtlich unangenehm. Er stellte sich auf den Standpunkt, daß es
sich hier in keiner Weise um die Verteidigung monarchischer
Interessen handele. Rußland, fügte er ärgerlich hinzu, brauche sich
gewiß, was die Heilighaltung des monarchischen Prinzips betreffe,
keine Lehren erteilen zu lassen. »Und doch«, erwiderte ich, »sollten
Sie ernstlich prüfen, ob Sie nicht im vorliegenden Falle eine schlechte
Sache vertreten. Rußland kann unmöglich die Sache des Fürsten-
mordes verteidigen.«
Herr Sasonow, der bei diesem Teil des Gespräches immer
nervöser und gereizter wurde, suchte von diesem Thema abzulenken
und unter Berufung auf frühere Attentate wieder den Standpunkt zu
vertreten, daß noch nie Regierungen und Völker für die Taten
einzelner verantwortlich gemacht worden seien. Ich bemerkte darauf,
daß es in der neueren Geschichte wohl auch kaum ein Beispiel gäbe,
daß ein Staat eine verbrecherische Propaganda gegen den Nachbarn,
wie dies jetzt in Serbien nachgewiesenermaßen geschehen sei, ge-
duldet habe.
Herr Sasonow gab darauf zu verstehen, daß ihn die von Öster-
reich-Ungarn vorgebrachten, »Beweise« in keiner Weise überzeugten;
er erging sich dabei in den maßlosesten Anklagen und Verdäch-
tigungen gegen die österreichisch-ungarische Regierung. Diesen in
größter Erregung vorgebrachten Ausfällen gegenüber konnte ich
nicht umhin, dem Minister die Befürchtung auszusprechen, daß er
sich ganz unter der Herrschaft seines unversöhnlichen blinden Hasses
gegen Österreich befinde, der ihn leider anscheinend für alle anderen
ruhigen Erwägungen unzugänglich mache. »Haß entspricht nicht
meinem Charakter,« erwiderte der Minister, »ich hege daher auch
keinen Haß gegen Österreich, aber Verachtung.«
Plerr Sasonow führte dann aus, daß Österreich-Ungarn nach
seiner Überzeugung nur nach einem Vorwand suche, um Serbien zu
»verschlingen« (avaler). »In diesem Falle aber«, fügte der Minister
hinzu, »wird Rußland mit Österreich Krieg führen.« Es war das
einzige Mal, daß Herr Sasonow, der sich sonst in seinen Äußerungen
wenig Zwang auferlegte, eine Anspielung auf die Möglichkeit eines
bewaffneten Einschreitens Rußlands machte. Ich möchte daraus
16*
210
schließen, daß übereilte Schritte in dieser Richtung, trotz der zweifel-
los in hiesigen Regierungskreisen herrschenden großen Erregung,
vorläufig nicht zu gewärtigen sind.
Ich habe dem Minister meine Überzeugung dahin ausgesprochen,
daß es sich im äußersten Falle nur um eine Strafexpedition Öster-
reichs gegen Serbien handeln werde, und daß Österreich weit davon
entfernt sei, an territoriale Erwerbungen zu denken. Herr Sasonow
schüttelte zu diesen Ausführungen ungläubig den Kopf und sprach
von weitgehenden Plänen, die Österreich habe. Erst solle Serbien
verspeist werden, dann werde Bulgarien darankommen und dann
»werden wir sie am Schwarzen Meer haben«.
Ich bemerkte hierauf, solche phantastischen Übertreibungen
schienen mir überhaupt einer ernsten Diskussion nicht wert.
Mein Gesamteindruck ist der, daß trotz der sehr erregten Stim-
mung, in der sich Herr Sasonow befindet, er doch vor allem zu
temporisieren wünscht; und daß dieser Wunsch seinem Vorschlag,
die Angelegenheit vor den Richterstuhl Europas zu bringen/ in erster
Linie zugrunde liegt. Ein gefährliches Moment der hiesigen
Situation ist allerdings der leidenschaftliche nationale und besonders
auch religiöse Haß des Ministers gegen Österreich-Ungarn.
Die hiesige öffentliche Meinung hat sich bis jetzt dem öster-
reichisch-serbischen Konflikt gegenüber merkwürdig gleichgültig ge-
zeigt. Dies dürfte sich allerdings, wie schon die heutige Presse
zeigt, in den nächsten Tagen ändern.
F. Pourtales
Nr. 205
Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler1
St. Petersburg, den 25. Juli 19141 2
Aus zuverlässiger Quelle höre ich, daß im gestrigen hiesigen
Ministerrat in erster Linie die Frage besprochen worden sein soll,
ob die gegenwärtige innere Lage Rußlands derart sei, daß das Land
äußeren Verwickelungen ohne Beunruhigung in dieser Richtung ent-
gegensehen könne. Die Mehrzahl der anwesenden Minister soll sich
in dem Sinne geäußert haben, daß Rußland wegen der inneren Lage
derartige Vernickelungen nicht zu scheuen brauche.
F. Pourtales
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 26. Juli nachm. Randnotiz des
Reichskanzlers: »S. M. vorgetragen, B. H. 27«.
21 I
Nr. 206
Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler1
Wien, den 25. Juli 191423
Man wird Kriegserklärung gegebenenfalls serbischer Regierung
telegraphisch oder durch die Post zustellen, zugleich aber davon
allen Mächten Mitteilung machen, um serbischer Regierung jeden
Vorwand zu nehmen, nicht unterrichtet worden zu sein.
von Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 26. Juli nachm.
3 Siehe Nr. 142, die 24. Juli 615 nachm, auf der Botschaft in Wien eintraf.
Nr. 207
Der Marineattache in London an das Reichsmarineamt1
Telegramm (ohne Nummer) London, den 26. Juli 19141 2
Ganz geheim!
England beabsichtigt gemeinschaftliche Aktion Deutschland,
Frankreich, Italien zur Beruhigung Rußland, Österreich-Ungarn.
König von Großbritannien äußerte zum Prinzen Heinrich von
Preußen, England würde sich neutral verhalten, falls Krieg aus-
brechen sollte zwischen Kontinentalmächten. Flotte hat Reser-
visten entlassen und Mannschaften beurlaubt programmäßig.
Marineattache
1 Nach einer vom Kapitän von Bülow vom Admiralstab am 26. Juli nachm,
im Auswärtigen Amt überreichten Abschrift. Zimmermann vermerkt dazu
noch am 26. Juli: »Der Herr Reichskanzler hat bereits direkt durch
H. v. B[ülow] davon Kenntnis«.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 26. Juli nachm.
2 J 2
Nr. 208
Der rumänische Gesandte in Berlin an das Auswärtige Amt1
Geheim! Berlin, den 13./26. Juli 19142
Die k. rumänische Regierung, welche durch die sich
überstürzenden Ereignisse in die Lage kommen kann, ihre Bünd-
nispflichten zu erfüllen, legt den größten Wert darauf, im engsten
Einvernehmen mit dem Deutschen Reich rechtzeitig derart unter-
richtet zu werden, daß sie ihrerseits die notwendigen politischen
und militärischen Maßnahmen treffen, insbesondere die öffentliche
Meinung des Landes auf die eventuell zu fassenden Entschlüsse
von größter Tragweite für Rumänien vorbereiten kann.
In diesem Sinne hat sowohl S. M. der König, als auch der
Ministerpräsident Bratianü den Unterzeichneten instruiert, wenn
es auch bei seiner Abreise von Rumänien noch nicht ersichtlich
war, daß wir so nahe vor dieser Entscheidung standen.
A. B e 1 d i m a n
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 26. Juli nachm. Die Mitteilung
muß jedoch vor Absendung von Nr. 193 erfolgt sein. Siehe auch
Nr. 209 und 210.
Nr. 209
Der Staatssekretär des Auswärtigen an die Botschafter
in Wien und Rom1
Geheim! Berlin, den 26. Juli 19142 8
Der rumänische Gesandte, der soeben aus Heimaturlaub zu-
rückgekehrt ist und vor wenig Tagen König Carol gesehen hatte,
sagte mir im Aufträge des letzteren, er werde seine Politik dem
Dreibund gegenüber nicht ändern. Allerdings hatte Herr Beldiman
seinen Souverän noch vor der österreichischen Demarche in Bel-
grad gesprochen, und König Carol hatte ihm gesagt, er bäte, vor
Eintritt einer kritischen Lage rechtzeitig informiert zu werden,
damit Er Sich darauf einrichten könne. Herr Beldiman ist aber
der Ansicht, daß Rumänien, im Falle einer Konflagration, zweifel-
los seinen Vertragsverpflichtungen nachkommen würde. 1 2 3
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 Abgegangen am 26. Juli.
3 Siehe Nr. 193, 208, 210.
------m
213
Trotz der starken, in Rumänien bestehenden Verstimmung
gegen Österreich-Ungarn wäre das Mißtrauen gegen Rußland doch
noch stärker, viele einflußreiche Landsleute hätten sich zu ihm in
dem Sinne geäußert. Das russische Heiratsprojekt sei zunächst
vertagt, da Prinz Carol dem Gedanken, jetzt schon eine Ehe
einzugehen, sehr abgeneigt sei.
Was das Verhältnis zu Bulgarien anlangt, sagte der Gesandte,
der Haß gegen Rumänien sei in Bulgarien, namentlich in Armee-
kreisen, zu stark, um jetzt schon eine Besserung der Beziehungen
bzw. einen Anschluß zu ermöglichen. Die militärischen Grenz-
konflikte seien wesentlich auf die rumänenfeindliche Stimmung,
des bulgarischen Offizierkorps zurückzuführen.
J a g o w
Hi
Hi
Nr. 210
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Telegramm 152
Berlin, den 26. Juli 19142
Hiesiger rumänischer Gesandter hat im Aufträge des Königs
Carol und im Einverständnis mit Bratianu Bitte ausgesprochen,
behufs Erfüllung Bündnispflichten rechtzeitig derart unterrichtet
zu werden, daß rumänische Regierung die erforderlichen politischen
und militärischen Maßnahmen treffen, auch öffentliche Meinung
auf die zu treffenden Entschlüsse beizeiten vorbereiten kann.
Bratianu hat — die hier nicht bekannte — Nachricht erhalten,
daß Bulgarien Reservisten einberuft und Truppen an rumänischer
Grenze zusammenzieht. Rumänische Regierung legt naturgemäß
größten Wert darauf, dafür Garantie zu erhalten, daß von bul-
garischer Seite nichts zu befürchten, um mit ganzer Macht gegen
Rußland marschieren zu können.
Bitte vorstehendes Grafen Berchtold mitteilen und darauf
hinwirken, daß Rumänien die gewünschten Garantien erhält.
Jagow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Bergens Hand mit Änderungen von
der Hand Stumms und Zimmermanns.
214
Nr. 211
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 24 Fiuggi Fonte, den 26. Juli 19141 2
Marquis di San Giuliano fährt fort, mir zu sagen, daß das
Vorgehen Österreichs für Italien höchst bedenklich sei, da Öster-
reich morgen wegen der Irredenta dasselbe Vorgehen gegen Italien
richten könne. Zu solchen Schritten könne Italien daher nicht Zu-
stimmung geben. Nach vertraulichen Nachrichten aus Bukarest
sei S. M. der König von Rumänien der gleichen Ansicht wegen
der in Ungarn lebenden Rumänen3. Ich habe dem Minister gesagt,
daß er nicht Fälle konstruieren möge, die gar nicht vorlägen.
Den österreichischen Versicherungen, kein serbisches Terri-
torium zu beanspruchen, glaubt der Minister immer noch nicht.
Er hält es daher für nötig, Österreich schon bald auf Italiens
Kompensationsansprüche vorzubereiten. Mit Wien könne er aber
schwerlich darüber direkt verhandeln. Weder Baron von Merey
hier, noch der Herzog von Avarna in Wien seien dazu geeignet.
Überhaupt mache das bestehende Mißtrauen, zwischen Wien und
Rom solche Verhandlungen schwierig. Der einzige gangbare Weg
führte über Berlin. Ich habe ihm gesagt, ich wisse nicht, wie meine
Regierung darüber denke. Im Augenblick scheine es mir noch zu
früh zu sein. Der Minister deutete wieder an, ohne Kompensation
sei Italien gezwungen »Österreich in den Weg zu treten«.
Marquis di San Giuliano gab mir ein Telegramm des Herrn
Bollati, wonach der Herr Staatssekretär der auswärtigen Ange-
legenheiten sich durch die Erklärungen als befriedigt gezeigt habe.
In vertraulichem Gespräch sagte der Minister, es scheine
ihm, als wenn die k. Regierung Österreich zu sehr ermutige.
Ich habe das bestritten und ihm gesagt, wir beschränkten uns
darauf, unsere Bundespflichten zu erfüllen.
Überhaupt Presse noch relativ günstig, mit Ausnahme des
Berliner Korrespondenten des Messagero. Corriere della Sera
hat abgelehnt, für Österreich einzutreten.
F 1 o t o w
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi Fonte 340 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 510 nachm. Eingangsvermerk: 26. Juli nachm. Auf der Entzifferung
der noch am 26. oder 27. Juli geschriebene Vermerk Jagows: »Mit Herrn
Bollati besprochen«.
3 Dazu die Randbemerkung Zimmermanns: »Fasciotti!« Siehe Nr. 239.
215
Nr. 212
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 106 Wien, den 26. Juli 19141 2
Herzog von Avarna hat gestern hier im Aufträge seiner
Regierung eine Erklärung in nachstehendem Sinne abgegeben.
Italien müsse sich selbst bei provisorischer Besetzung serbischen
Gebiets sein Recht auf Kompensationen im Sinne des Artikels 7
Vorbehalten. Im übrigen beabsichtigt die italienische Regierung
in dem eventuellen bewaffneten Konflikt zwischen Österreich-
Ungarn und Serbien eine freundschaftliche und den Bündnis-
pflichten entsprechende Haltung der Monarchie gegenüber einzu-
nehmen.
Graf Berchtold begrüßte diese Erklärung Italiens, bemerkte
aber, daß man kriegerische Operationen auf serbischem Gebiet
selbstverständlich nicht als provisorische Besetzung ansehen könne.
Den ganzen Komplex der mit den italienischen Kompensations-
fordeiungen zusammenhängenden Fragen erörtere ich fortlaufend
mit Baron Macchio und Graf Berchtold und darf mir demnächstige
Berichterstattung Vorbehalten. Ich bemühe mich dabei in erster
Linie, die hiesigen Stellen dazu zu bringen, die nutzlosen
theoretischen Erörterungen über Interpretation des Artikels 7 fallen
zu lassen, wobei mich General Freiherr Conrad von Hötzendorf, in
dessen Gegenwart ich heute wieder mit Graf Berchtold die Ange-
legenheit eingehend besprach, unterstützte. Ich betonte, daß es
darauf ankommt, einen praktisch gangbaren Weg zu finden, zumal
es keinem Zweifel unterliegt, daß Italien gegebenenfalls doch mit
Kompensationsforderungen kommen werde. Graf Berchtold ver-
hielt sich nicht ablehnend, meint aber, die Italiener hätten bereits
vorweg durch die Besetzung der Inseln, die, mit Ausnahme von
Rhodos und den ganz dicht daran liegenden Inseln, im Ägäischen
Meer lägen, eine Kompensation in Händen.
Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 460 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
615 nachm. Eingangsvermerk: 26. Juli nachm. Am 26. Juli von Jagow
nach Vornahme kleiner Änderungen und mit Fortlassung des Satzes:
»zumal es keinem..........kommen werde«, telegraphisch dem Botschafter
in Rom mitgeteilt, 27. Juli i250 vorm. zum Haupttelegraphenamt.
2IÖ
Nr. 213
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 105 Wien, den 26. Juli 19141 2
Geheim!
Graf Berchtold las mir Telegramm des Grafen Szögyeny vor,
in welchem dieser meldet, daß man in Berlin, um die3 Gefahr der Ein-
mischung dritter tunlichst vorzubeugen, größte Schnelligkeit in
militärischen Operationen und baldigste Kriegserklärung für nütz-
lich hielte. Der Minister hatte zur Besprechung über diesen Punkt
bereits Freiherrn von Hötzendorf zu sich gebeten, der während
meiner Anwesenheit beim Minister erschien. Ich unterstützte warm
unseren Standpunkt, der von Graf Berchtold durchaus geteilt wurde,
beim Generalstabschef. Freiherr von Hötzendorf führte aus, es
müsse vor allem vermieden werden, mit unzulänglichen Kräften den
Feldzug zu beginnen. Die ungarischen Korps an serbischer Nord-
grenze würden ja binnen kurzer Zeit marschbereit sein. Die öster-
reichische Aufstellung an serbischer Westgrenze werde aber mangels
genügender Kommunikationsmittel längere Zeit in Anspruch nehmen,
solange müsse unbedingt gewartet werden. Er rechne darauf, un-
gefähr am 12. August den allgemeinen Vormarsch beginnen zu
können. Übrigens würde sich wohl eine formelle Kriegserklärung
erübrigen, da, wie er sicher annehme, schon in den nächsten Tagen
feindliche Einbrüche Serbiens an der bosnischen Grenze erfolgen
würden.
Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 450 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
620 nachm. Eingangsvermerk: 26. Juli nachm. Auf einer Abschrift der
Entzifferung der Vermerk des Reichskanzlers: »S. M. vorgetragen. B. H. 27.«
Jagow verfügt Mitteilung der in Tschirschkys Telegramm gemeldeten
Ausführungen Conrads von Hötzendorf an Generalstab und Admiralstab;
Conrads Bemerkungen werden nach Vornahme stilistischer Änderungen
von Zimmermann am 27. Juli diesen Dienststellen und dem Kriegsminister
mitgeteilt. Mitteilungen 90 nachm, durch Boten abgesandt.
3 So irrig für »der«.
217
Nr. 214
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Geschäftsträger
in Bukarest1
.Telegramm 42 Berlin, den 26. Juli 19141 2
Geheim!
Zur Mitteilung. Österreich hat Rußland erklärt, daß es keinen
Gebietsgewinn in Serbien erstrebe, sondern dort nur Ruhe herstellen
wolle. Verantwortung für eventuelle Ausdehnung des Konfliktes
und Störung des europäischen Friedens würde daher allein Rußland
zufallen, wenn dieses gegen Österreich vorgehen sollte. Wir sind
ebenso wie England fortgesetzt um Lokalisierung des Konfliktes be-
müht. Vorgehen Rußlands gegen Österreich würde aber für uns die
bekannten Konsequenzen haben, wobei wir auf Rumäniens Loyalität
rechnen.
Nachrichten aus Rußland lauten ziemlich beunruhigend.
J a g o w
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 626 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
Nr. 215
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 159 St. Petersburg, den 26. Juli 19142
Von Kollegen erfahre ich, daß Herr Paleologue sich hier dahin
geäußert, Deutschland treibe zum Konflikt, es handele sich schon
jetzt nicht mehr um austro-serbischen, sondern um russisch-deutschen
Konflikt. Habe daher nunmehr durch hiesiges Informationsbureau
nach Vereinbarung mit meinem österreichischen Kollegen veröffent-
lichen lassen, daß Nachricht, wonach Österreich von Deutschland ge-
schoben werde und deutsche Regierung Inhalt österreichischer Note
gekannt habe, unwahr.
Pourtales
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Petersburg 345 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
7° nachm. Eingangsvermerk: 26. Juli nachm. Unter dem 26. Juli von
Jagow telegraphisch dem Botschafter in Paris mitgeteilt, 27. Juli 115 vorm,
zum Haupttelegraphenamt.
Nr. 216
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 158 St. Petersburg, den 26. Juli 19142
Militär-Attache bittet mich, nachstehende Meldung Generalstab
zu übermitteln:
Halte für sicher, daß Mobilmachung für Kiew und
Odessa befohlen. Warschau und Moskau fraglich, die
anderen wohl noch nicht.
Pourtales
1 Nach der Entzifferung. — Vgl. deutsches Weißbuch vom Mai 1915,
S. 28 Nr. 7.
2 Aufgegeben in Petersburg 325 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
71 nachm. Eingangsvermerk: 26. Juli nachm. Randbemerkung des Reichs-
kanzlers vom 27. Juli: »S. M. vorgetragen. B. H. 27.« Pourtales’ Telegramm
am 26. Juli 830 nachm, dem Generalstab mitgeteilt.
Telegramm 157
St. Petersburg, den 26. Juli 19142
Habe Sasonow, mit dem ich eben wieder lange Unterredung
hatte, heute viel ruhiger und versöhnlicher gefunden. Er betont mit
der größten Wärme, daß Rußland nichts ferner liege, als Krieg zu
wünschen, daß es vielmehr bereit sei, alle Mittel zu erschöpfen, um
denselben zu vermeiden, man müsse durchaus, und er bäte uns
dringend, dabei zu helfen, eine Brücke finden, um einerseits den
österreichischen Forderungen, deren Berechtigung er, soweit sie sich
direkt auf die Verfolgung der Urheber des Attentats bezögen, aner-
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Petersburg 315 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 71 nachm. Eingangsvermerk: 26. Juli nachm. Unter dem 26. Juli von
Jagow, unter Fortlassung der Sätze: »Ich habe...........Ministers
beizutrageq«, telegraphisch dem Botschafter in Wien mitgeteilt, Telegramm
am 27. Juli 125 vorm, zum Haupttelegraphenamt gegeben. Auf einer
Abschrift der Entzifferung der Randvermerk des Reichskanzlers vom
27. Juli: »S. M. vorgetragen. B. H. 27.«
Nr. 217
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
219
kenne, Genugtuung zu verschaffen3. Einige Forderungen jedoch4,
welche direkt Angriffe gegen serbische Souveränität bedeuteten,
müßten abgeschwächt werden, und er bitte im Interesse des Friedens
dringend um Mitwirkung aller Mächte, auch Deutschlands, um
Wiener Kabinett zu einer Milderung einiger Punkte zu bewegen, es
sei falsch, zu glauben, daß hiesige Politik sich lediglich durch
»Sympathien« leiten lasse. Für Rußland sei aber das Gleichgewicht
auf dem Balkan Lebensfrage, und es könne daher eine Herab-
drückung Serbiens zu Vasallenstaat Österreichs unmöglich dulden.
Von Vorschlägen über Revision österreichischer Untersuchung durch
Europa war nicht mehr die Rede. Dagegen scheint Minister Idee
einer Vermittelung vorzuschweben, bei der Deutschland und Italien
Rolle spielen könnten.
Ich habe Sasonow gegenüber besonders betont, daß, wenn Öster-
reich wirklich, wie er glaube, nach Vorwand suphe, um über Serbien
herzufallen, man jetzt bereits von Beginn österreichischer Aktion
höre5.
Dieser Hinweis schien zur Beruhigung des Ministers beizu-
tragen.
Pourtales
3 In besonderem Telegramm vom 26. Juli, aufgegeben in Petersburg
26. Juli 525 nachm., Eingangsvermerk des Amts: 27. Juli vorm., bittet
Pourtales, in dem obenstehenden Telegramm hinter »Genugtuung zu
verschaffen« die Worte einzuschalten: »Andererseits ihre Annahme
serbischerseits überhaupt möglich zu machen«.
4 In dem berichtigenden Telegramm vom 26. Juli (siehe Anm. 3) bittet
Pourtales, das Wort »jedoch« zu streichen. Die Änderungen Pourtales’
sind in dem Telegramm nach Wien und in der dem Reichskanzler vor-
gelegten Abschrift der Entzifferung (siehe oben Anm. 2) noch nicht
berücksichtigt.
6 So in der Entzifferung.
Nr. 218
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 160 London, den 26. Juli 19141 2 3
Heute Sonntag niemand im Foreign Office zu sprechen, kann
daher Auftrag3 vor morgen nicht ausrichten. Bezweifle, daß Sir
E. Grey in der Lage, in Rußland in gedachtem Sinne zu wirken, da
nach Erscheinen österreichischer Forderungen hier niemand mehr
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London 425 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 71
nachm. Eingangsvermerk: 26. Juli nachm.
3 Siehe Nr. 199.
220
an Möglichkeit glaubt, Konflikt zu lokalisieren. Daß aus der-
artigem Vorgehen Österreichs Weltkrieg hervorgehen muß, hat hier
niemand bezweifelt. Halte Augenblick für gekommen, Vermitte-
lung im Sinne Sir E. Greys eintreten zu lassen, was allerdings
wohl zur Voraussetzung hätte, daß Österreich bereit, auf weitere
Lorbeeren zu verzichten.
Lichnowsky
Nr. 219
Der Reichskanzler an den Botschafter in Petersburg1
Telegramm 128 Berlin, den 26. Juli I9T41 2
Dringend!
Wie bereits in Telegramm Nr. 1263 angedeutet, würden vorbe-
reitende militärische Maßnahmen Rußlands, die irgendwie eine
Spitze gegen uns hätten, uns zu Gegenmaßregeln zwingen, die in
der Mobilisierung der Armee bestehen müßten. Die Mobilisierung
aber bedeutete den Krieg und würde überdies gegen Rußland und
Frankreich zugleich gerichtet sein müssen, da uns Frankreichs Ver-
pflichtungen gegenüber Rußland ja bekannt sind. Wir können
nicht annehmen, daß Rußland einen solchen europäischen Krieg
entfesseln will. Angesichts der territorialen Desinteressierung
Österreichs geben wir uns vielmehr der Ansicht hin, daß Rußland
der Auseinandersetzung zwischen Österreich-Ungarn und Serbien
gegenüber eine abwartende Stellung einnehmen kann. Den
Wunsch Rußlands, den Bestand des serbischen Königreichs nicht in
Frage stellen zu lassen, werden wir umso eher unterstützen können,
als Österreich-Ungarn erklärt hat, diesen Bestand gar nicht in Frage
stellen zu wollen. Eine gemeinsame Basis der Verständigung
dürfte sich hierdurch auch im weiteren Verlaufe der Angelegenheit
finden lassen4.
Ew. Exz. ersuche ich, sich Herrn Sasonow gegenüber in vor-
stehendem Sinne auszusprechen.
Bethmann Hollweg
1 Nach dem Konzept von der Hand des Reichskanzlers. Vgl. deutsches
Weißbuch vom Mai 1915, S. 5.
2 715 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 198.
4 Hier im Konzept des Kanzlers ursprünglich folgendes: »und dann dazu
beitragen, einer Spannung ein Ende zu machen, die den wahren, auf
gute Beziehungen angewiesenen Interessen Deutschlands und Rußlands
widerspricht« von ihm nachträglich gestrichen.
221
Nr. 220
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 26 Fiuggi Fonte, den 26. Juli 19141 2
Kronprinz von Serbien hat an S. M. den König von Italien
geschrieben, hat aber nur eine höfliche, nichtssagende Antwort
erhalten.
F 1 o t o w
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi Fonte 45 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
758 nachm. Eingangsvermerk: 26 Juli nachm. Randvermerk des Reichs-
kanzlers vom 27. Juli: »S. M. vorgetragen B. H. 27«. Flotows Telegramm
am 27. Juli 740 nachm, von Jagow telegraphisch dem Botschafter in
Wien mitgeteilt.
Nr. 221
Der Reichskanzler an den Kaiser
Telegramm 150
Es giebt eineRuss. Flotte!
In der Ostsee sind jet\t
auf Übungsfahrten be-
griffen 5 Russ. Torpedo-
bootsßotillen, welche
gan\ oder teilweise in
16 Stunden vor den
Belten stehen und die-
selben sperren können.
Port Arthur sollte eine
Lehre sein! Meine
Flotte hat Marsch Ordre
nach Kiel und dahin
fährt sie! W.
Berlin, den 26. Juli 19142
Wie Ew. M. soeben durch den Ad-
miralstab gemeldet wird, hat Marine-
attache London berichtet, daß englische
Flotte Reservisten entläßt, Mannschaften
programmäßig beurlaubt3. Im Einklang
hiermit wage ich Ew. M. alleruntertänigst
vorzuschlagen, die Hochseeflotte anzu-
weisen, vorläufig in Norwegen zu bleiben4,
da dies England seine geplante Ver-
mittlungsaktion in Petersburg, das er-
sichtlich schwankend6 ist, wesentlich er- Woher ist das
leichtern würde. r<u entuehmen?
Alleruntertänigst
Bethmann Hollweg
Aus dem mir
vorgelegten
Material nichE
1 Nach dem Konzept von des Reichskanzlers Hand. Notiz des Kanzlers
für Zimmermann: »Bitte dies Telegramm, falls Sie und Exz. v. Jagow
keine Bedenken haben, abgehen zu lassen. Eventuell bitte ich um Vor-
lage eines andern Entwurfs. B. H. 26.« Dazu Zimmermann: »Keine Be-
denken. Das Tel. ist sofort abzulassen. Z. 26. 7.«
2 Abgegangen durch Funkspruch über Norddeich, aufgegeben in Berlin
26. Juli 759 nachm., angekommen in Hoflager 27. Juli 70 vorm.
3 Siehe Nr. 182.
4 Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.
5 »schwankend« vom Kaiser zweimal unterstrichen; am Rand seine Be-
merkung.
6 Steht im Original auf der linken Seite.
222
Nr. 222
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 107 Wien, den 26. Juli 19141 2
Aus den Meldungen des Grafen Szäpäry hat man hier den
Eindruck, daß Herr Sasonow3 bei Besprechung des österreichisch-
ungarischen Vorgehens gegen Serbien ängstlich jede Stellungnahme
Rußlands vermieden, vielmehr nur auf Eindruck in England, Frank-
reich und Europa hingewiesen hat. Auch der Ausruf Sasonows:
Wenn Österreich Serbien verschlinge, werde Rußland mit ihm Krieg
führen, deutet darauf hin, daß Rußland nicht über diplomatische
Aktion hinausgehen werde.
Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 610 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 8°
nachm. Eingangsvermerk: 26. Juli nachm.
3 »Herr Sasonow« im Auswärtigen Amt aus ursprünglichem irrigen »Graf
Szäpary« der Entzifferung korrigiert.
Nr. 223
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 108 Wien, den 26. Juli 19142
Graf Szecsen meldet über Unterredung mit Herrn Pichon u. a.
folgendes:
Herr Pichon habe gefragt, ob man in Berlin sehr kriegerisch
gesinnt sei; wenn man in Berlin keinen Krieg wolle, so werde
Frieden bleiben. Rußland wolle nicht Krieg. Graf Szecsen hat
betont, daß Deutschland den Konflikt zwischen Österreich-Ungarn
und Serbien nur als eine, diese beiden Staaten allein angehende
Sache betrachten und sich von dem Streit fernhalten werde, so-
lange kein Dritter sich einmischt.
Tschirsch ky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 610 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 8°
nachm. Eingangsvermerk: 26. Juli nachm.
Nr. 224
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 109 Wien, den 26. Juli 19141 2 * *
Graf Czernin meldet, daß der König von Rumänien ihm gegen-
über bei Besprechung der serbischen Note einzelne Punkte kritisiert
habe. Die im Laufe der Unterredung seitens des Grafen Czernin
zweimal mit Nachdruck gemachte Bemerkung, daß der Dreibund
mit Rumänien immer stärker sei als seine Gegner, hat der König
beide Male widerspruchslos entgegengenommen.
Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 610 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
8° nachm. Eingangsvermerk: 26. Juli nachm.
Nr. 225
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 25 Fiuggi Fonte, den 26. Juli I9I42
Marquis di San Giuliano sagte mir mit Beziehung auf den Vor-
schlag Sir E. Greys zur Vermittelung bei Gefahr eines Konflikts
zwischen Rußland und Österreich, man müsse sich hüten, etwaige
Vermittelungs Vorschläge Sir E. Greys kurz zurückzu weisen. Nach
seinem Charakter würde ihn das entmutigen und auf die andere-
Seite treiben, während seine Mitwirkung jetzt kostbar sei.
Flotow
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi Fonte 450 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt:
9ao nachm. Eingangsvermerk: 26. Juli nachm.
Aktenstücke I. 17
224
Nr. 226
Der Unterstaatssekretär des Auswärtigen an den
Botschafter in Wien1
Telegramm 156 Berlin, den 26. Juli 19141 2
Zwecks eventueller Verwertung in London wäre Mitteilung er-
wünscht, in welchen wesentlichen Punkten serbische Antwort auf
Wiener Note unbefriedigend ausgefallen ist.
Zimmermann
1 Nach dem Konzept von Zimmermanns Hand.
3 940 nachm, zum Haupttelegraphenamt, von dort abgesandt 120 Mitternacht,
auf der Botschaft in Wien angekommen am 27. Juli 330 vorm. Antwort
der Botschaft in Wien »Mitteilung wird erfolgen« Wienab 27.Juli320nachm.,
angekommen im Auswärtigen Amt 432 nachm.
Nr. 227
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Rom1
Telegramm 20 Berlin, den 26. Juli 19142
Wie Ew. Exz. bekannt, will Rumänien seinen Pflichten nach-
kommen. Wie mir rumänischer Gesandter vertraulich sagt, wird
nur Herr Bratianu immer wieder etwas schwankend durch Sprache
des italienischen Gesandten, der sagt, Italien könne sich an Konflikt
nicht beteiligen und jetzt überhaupt keinen Krieg führen. Es ist
erwünscht, daß Marquis San Giuliano dem Gesandten Instruktion zu
korrekter Haltung erteilt. Auch rumänischer Gesandter in Rom
muß über Italiens einwandsfreie Plaltung aufgeklärt werden.
J ago w
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 940 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
—--------------------------—
225
Nr. 228
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Telegramm 157
Berlin den 26. Juli 1914a
Es wäre mir erwünscht zu wissen, wie weit Verhandlungen
zwischen Wien und Sofia wegen Einbeziehung Bulgariens in den
Dreibund gediehen sind und ob Abmachungen wegen eventuellen
Eingreifens Bulgariens für den Fall der Ausdehnung des Konflikts
bestehen. Drahtantwort 3 *.
J agow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Bergens Hand.
2 io° nachm, zum Haupttelegraphenamt gegeben, dort abgefertigt um Mitter-
nacht, auf der Botschaft in Wien angekommen am 27. Juli 30 vorm.
3 Siehe Nr. 259.
Nr. 229
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 162
St. Petersburg, den 26. Juli 19141 2
Wie mir Generalleutnant von Chelius mitteilt, sieht mati in
Kreisen dem Frieden geneigter, monarchisch gesinnter höherer Offi-
ziere der Umgebung des Zaren als bestes Mittel, Frieden zwischen
den Großmächten zu erhalten, Telegramm Sr. M. des Kaisers und
und Königs an Kaiser Nikolaus an3. Dieses Telegramm müßte an
monarchisches Gefühl des Zaren appellieren und auf schweren Stoß,
den monarchischer Gedanke durch Mord in Sarajevo erlitten hat,
sowie auf die den Monarchien im Falle allgemeiner europäischer
Konflagration drohenden Gefahren hinweisen.
Pourtales
1 Nach der Entzifferung.
3 Aufgegeben in Petersburg 85°J nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
io5 nachm. Eingangsvermerk: 26. Juli nachm.
3 Siehe den Entwurf eines solchen Telegramms Nr. 233. Es ging tatsäch-
lich nicht ab. Randbemerkung des Reichskanzlers vom 27. Juli zu
Pourtales’ Telegramm: »S. M. will einstweilen keine Depesche an den
Zaren schicken. B. H. 27.«
17*
'Ü
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 164 St. Petersburg, den 26. Juli 19141 2
Habe Herrn Sasonow auf die in Kreisen hiesiger fremder
Militärattaches verbreitete Nachricht angeredet, wonach angeblich
an mehrere russische Armeekorps der Westgrenze Mobilmachungs-
order ergangen sei. Ich habe dabei auf große Gefahr solcher Maß-
regel, die leicht Gegenmaßregeln hervorrufen könnte, hingewiesen.
Minister erwiderte, er könne mir garantieren, daß keinerlei Mobil-
machungsorder ergangen, vielmehr im Ministerrat beschlossen worden
sei, mit einer solchen zu warten, bis Österreich-Ungarn feindliche
Haltung gegen Rußland einnehme. Daß »gewisse militärische Vor-
bereitungen, um nicht überrascht zu werden«, schon jetzt getroffen
würden, gab Herr Sasonow zu.
Pourtales
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Petersburg 930 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt io5 nachm. Eingangsvermerk: 26. Jul nachm. Randbemerkung des
Reichskanzlers vom 27. Juli: »S. M. vorgetragen. B. H. 27.« v. Jagow ver-
fügte Mitteilung an den Generalstab. Pourtales’ Telegramm, nach Vor-
nahme stilistischer Änderungen, unter dem 27. Juli dem Kriegsminister
und dem Chef des Generalstabs mitgeteilt, abgesandt durch Boten am
28, Juli 1130 vorm.
Nr. 231
Der Kaiser an das Auswärtige Amt1
Telegramm 134 An Bord Hohenzollem, den 26. Juli 19142
Den Befehl an Flotte zur schleunigen Vorbereitung der Heim-
reise3 habe Ich nicht auf Grund eines Wolfftelegramms erteilt, sondern
in Berücksichtigung der allgemeinen Lage und möglicher Eventuali-
täten. Ich war hierzu um so mehr gezwungen, als Mir ein Situations-
bericht des Auswärtigen Amtes nicht vorlag, und Ich sogar den Inhalt
des österreichischen Ultimatums durch Zeitungsdienst von Norddeich
und nicht auf dem Dienstwege erfahren habe.
1 Nach der Entzifferung des Auswärtigen Amts und dem jetzt bei den Akten
befindlichen von Wedel niedergeschriebenen und vom Kaiser persönlich
unterfertigten Konzept, das am 2. August in das Auswärtige Amt gelangte.
2 Aufgegeben in Neumünster 730 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
io23 nachm.
3 Siehe Nr. 182 und 221.
Abgesehen davon, daß die englische Marine gar keine weiteren
Maßnahmen mehr zu treffen braucht, da sie, wie die Revue eben
gezeigt hat, bereits kriegsbereit in ihren Heimatshäfen liegt, haben
wir mit russischer Flotte zu rechnen, die, im Falle Rußland gegen
Österreich mobilisiert, schon allein mit ihren jetzt im Dienst befind-
lichen Schiffen binnen kürzester Zeit vor unseren Ostseehäfen er-
scheinen kann.
Um der möglichen Gefahr zu begegnen, daß Meine in norwegischen
Häfen weit verstreute Flotte fern von ihrer Basis vom Kriege über-
rascht werden könnte, habe Ich gestern nachmittag, nachdem Ich
aus Telegramm 1274 erfuhr, daß serbische Mobilmachung bereits im
vollen Gange sei, Befehl gegeben, daß Flotte nach Beendigung der
notwendigen Kohlenübernahme sich zusammenziehe und Heimreise
antrete5. T ^
Wilhelm I. R.
4 Siehe Nr. 158, Anm. 2.
5 »der notwendigen.......an trete« in der Entzifferung des Auswärtigen
Amts verstümmelt in: »der Kohlenübernahme baldig Heimreise antrete«.
Nr. 232
Der Staatssekretär für Elsaß-Lothringen an den
Reichskanzler1
Straßburg, den 24. Juli 19141 2
Der Weisung vom 16. d. M.3 entsprechend ist die Straßburger
Post dahin verständigt worden, daß sie in nächster Zeit Polemik
gegen Frankreich nicht treiben sollte. Für andere Zeitungen bedarf
es hier einer derartigen Mahnung kaum.
Die Affären Hansi und Knüpfler waren bereits erledigt und der
Erlaß betr. die Rekruten, die Warnung wegen der französischen
Farben und die vom Auswärtigen Amte gewünschte Mahnung in der
Straßburger Post an die französischen Offiziere wegen der in letzter
Zeit häufig vorgekommenen Grenzüberschreitungen waren erfolgt,
als Ew. Exz. gütiges Schreiben einging. Ich möchte daher annehmen,
daß füt absehbare Zeit keine administrativen Maßregeln erforderlich
sein werden, die jenseits der Grenze stark interessieren. Sollte
irgend etwas Neues kommen, soll die gewünschte entsprechende
Verlangsamung des Tempos bei der Verfolgung der Angelegenheit
ein treten. ~ ^ ,
Graf Roedern
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingegangen in der Reichskanzlei am 26. Juli.
8 Siehe Nr. 58.
228
Nr. 233
Entwurf eines nicht abgesandten Telegramms des Kaisers
an den Zaren1
I am confident you will agiee with me that the Austro-Servian
conflict concerns only Austria and Servia and that they should be
left alone to settle it between themselves. The unserupulous agi-
tation that has been going on in Servia for years, has resulted in
the outrageous crime to which Franz Ferdinand feil a victim. It is
a common interest of me and you and in fact of all monarchs that
this crime and all that are morally responsible for it, should receive
the punishment it deserves. Austria must be allowed a free hand
to take the evil by the root and to wipe out the revolutionary
movement in Servia which may, by spreading over other countries,
one day threaten your throne as well as mine. The sp rit of the
people that murdered their own king and his wife still governs the
country. It would be folly and suicidal on our part to do anything
to spare them the penalty they have incurred 1 2.
Übersetzung
Du wirst sicher mit mir darin übereinstimmen, daß der österreichisch-
serbische Konflikt nur Österreich und Serbien angeht, und daß man es
beiden Ländern überlassen sollte, diese Angelegenheit unter sich zu regeln.
Die in Serbien seit Jahren betriebene gewissenlose Agitation hat zu dem
abscheulichen Verbrechen geführt, dem Franz Ferdinand zum Opfer gefallen
ist. Es ist mein und Dein und überhaupt aller Monarchen gemeinsames
Interesse, daß dieses Verbrechen und alle Personen, die moralisch dafür ver-
antwortlich sind, die verdiente Strafe erhalten. Österreich muß freie Hand
gewährt werden, das Übel bei der Wurzel zu fassen und die revolutionäre
Bewegung in Serbien zu ersticken, die auf andere Länder übergreifen und
eines Tages Deinen wie meinen Thron gefährden kann. Der Geist, der die
Serben ihren eigenen König und seine Gemahlin morden ließ, herrscht
immer noch im Lande. Es wäre unsererseits Torheit und Selbstmord, ihnen
irgendwie die verwirkte Strafe zu ersparen.
1 Überschrift des in Maschinenschrift vorliegenden Stückes von der Hand
Stumms: »Entwurf für eine eventuelle Depesche ar. den Zaren«. Der
Entwurf trägt kein Datum; er ist natürlich nach Eingang von Pourtales’
Telegramm (Nr. 229) in den späten Abendstunden des 26. oder erst am
27. Juli niedergeschrieben worden. Abgegangen ist die Depesche nicht,
siehe Nr. 229, Anm. 3.
2 Vgl. dazu Nr. 335.
229
Nr. 234
Entwurf eines nicht Abgesandten Telegramms
des Reichskanzlers an die Botschafter in Paris, London und
Petersburg1
Berlin, den 26. Juli 1914'
Einzelne russische Stimmen betrachten es als selbstverständliches
Recht und als die Aufgabe Rußlands, in dem Konflikt zwischen
Österreich-Ungarn und Serbien aktiv für Serbien Partei zu ergreifen.
Für die aus einem solchen Schritte Rußlands resultierende, europäische
Konflagration glaubt die »Nowoje Wremja« sogar Deutschland ver-
antwortlich machen zu dürfen, wofern es nicht Österreich-Ungarn
zum Nachgeben veranlaßt. Die russische Presse stellt hiermit die
Verhältnisse auf den Kopf. Nicht Österreich-Ungarn hat den Konflikt
mit Serbien hervorgerufen, sondern Serbien ist es gewesen, das durch
eine skrupellose Begünstigung großserbischer Aspirationen, auch in
Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie, diese selbst in ihrer
Existenz gefährdet und Zustände geschaffen hat, die schließlich in
der frevelhaften Tat von Sarajevo ihren Ausdruck gefunden haben.
Wehrt sich Österreich-Ungarn dagegen, so handelt es lediglich aus
dem berechtigten Triebe der Selbsterhaltung. Wenn Rußland in
diesem Konflikt für Serbien ein treten zu müssen glaubt, so ist das
an sich gewiß sein gutes Recht. Es muß sich aber darüber klar
sein, daß es damit die serbischen Bestrebungen auf Unterhöhlung
der Existenzbedingungen der österreichisch-ungarischen Monarchie
zu den seinigen macht, und daß es allein die Verantwortung dafür
trägt, wenn aus dem österreichisch-serbischen Handel, den alle
übrigen Großmächte zu lokalisieren wünschen, ein europäischer Krieg
entsteht. Diese Verantwortung Rußlands liegt klar zu Tage und
wiegt um so schwerer, als Graf Berchtold Rußland offiziell erklärt
hat, es beabsichtige weder serbische Gebietsteile zu erwerben, noch
1 Entwurf von der Hand des Reichskanzlers. Auf dem Entwurf des nicht-
abgegangenen Telegramms die Notiz von Stumms Hand: »Cessat«. Dem
Entwurf folgt, gleichfalls von der Hand des Kanzlers, der Entwurf eines
Telegramms, das den Botschaftern in Wien, Rom und Konstantinopel
den vorstehenden telegraphischen Runderlaß im Falle seiner Absendung
mitgeteilt hätte. Weiter folgt der von Stumm niedergeschriebene nicht
gezeichnete Entwurf zu dem telegraphischen Erlaß nach London: Was
ein Sieg Rußlands in einem etwaigen Konflikt und ein allgemeines Vor-
dringen des Slawentums für das europäische Gleichgewicht sowie für die
politischen, .wirtschaftlichen und kulturellen Interessen ganz Westeuropas
bedeuten würde, darüber wird sich die englische Regierung hoffentlich
nicht im Unklaren sein.
230
den Bestand des serbischen Königsreichs anzutasten, sondern wolle
lediglich Ruhe vor den, seine Existenz gefährdenden, serbischen
Umtrieben haben.
Deutschlands Stellung in dieser Krisis ist klar vorgezeichnet.
Den Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien betrachten
wir als eine Angelegenheit, die diese beiden Staaten allein angeht
und die deshalb lokalisiert bleiben muß2. Da Österreich-Ungarn
bei seinem Vorgehen vitale Interessen wahrt, ist eine Ingerenz des
verbündeten Deutschlands ausgeschlossen. Sollte ein akuter Gegen-
satz zwischen Österreich-Ungarn und Rußland entstehen, so werden
wir alle Bestrebungen anderer Großmächte auf Vermittelung dieses
Gegensatzes tatkräftig unterstützen, getreu den Richtlinien derjenigen
Politik, die wir seit nunmehr 44 Jahren im Interesse der Aufrecht-
erhaltung des europäischen Friedens mit Erfolg durchgeführt haben.
Nur gezwungen werden wir zum Schwert greifen, dann aber in dem
ruhigen Bewußtsein, daß wir an dem namenlosen Unheil keine Schuld
tragen, das ein Krieg über Europas Völker bringen müßte.
Ew. pp. ersuche ich ergebenst, bei Ihren Unterhaltungen mit
den dortigen Staatsmännern den Grundton vorstehender Erwägungen
festzuhalten.
Bethmann Hollweg
»Den Konflikt........... bleiben muß« vom Kanzler geändert aus dem
ursprünglich von ihm Niedergeschriebenen: »Gerade weil wir mit allen
Kräften bestrebt sind den Konflikt zu lokalisieren, halten wir uns von
einer Ingerenz auf die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und
Serbien, die diese beiden Staaten allein angehen, fern«.
Nr. 235
Der Botschafter in Paris an das Auswärtige Amt1
Telegramm 220 Paris, den 26. Juli 19142
Der stellvertretende Minister der auswärtigen Angelegenheiten
versicherte mir, daß unser Appell an Solidarität des Bestrebens um
Friedenserhaltung hier ungemein wohltuend berühre und gebührend 1 2
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Paris 26. Juli 740 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
27. Juli i27vorm.; Eingangsvermerk: 27. Juli vorm. In der vom Reichs-
kanzler für den Vortrag beim Kaiser benutzten Abschrift ist der Abschnitt
»Herr Bienvenu Martin gab.............ausgegangen« fortgelassen. Rand-
vermerk des Kanzlers auf dieser Abschrift vom 27. Juli: »S. M. vorge-
tragen. B.H. 27.« Schoens Telegramm am 27. Juli von Jagow telegraphisch
den Botschaftern in Wien und Rom mitgeteilt, 8° nachm, zum Haupt-
telegraphenamt.
231
beachtet werde. Er für seine Person sei gern bereit, in Petersburg
beruhigend einwirken zu lassen, nachdem durch österreichisch -
ungarische Versicherung, daß keine Annexion beabsichtigt, Vorbe-
dingung geschaffen sei. Er könne mir allerdings noch nicht förm-
liche Erklärung namens der französischen Regierung über Modus der
Einwirkung geben, da er zunächst mit abwesendem Ministerpräsidenten
in Benehmen treten müsse.
Der Minister warf persönlichen Gedanken ein, ob nicht auch
beruhigende Einwirkung in Wien in Frage kommen könne, nachdem
Serbien anscheinend in den meisten Punkten nachgegeben habe und
somit Raum für Verhandlungen gegeben. Ich erwiderte, daß mir
etwaige gemeinschaftliche Vorstellungen der Mächte in Wien mit
unserer Auffassung, daß Österreich-Ungarn und Serbien allein zu
lassen, nicht vereinbar scheine. Der Punkt für Einwirkung sei
Petersburg.
Herr Bienvenu Martin gab im Laufe des Gespräches vertraulich
zu, daß der Gedanke Sasonows, wonach nur Gesamtheit der Mächte
Verhalten Serbiens aburteilen könne, juristisch schwer haltbar sei.
Minister sprach mir Bedauern aus, daß meine erste Demarche hier von
Presse vielfach mißdeutet worden, und versicherte, daß Indiskretion
nicht von Quai d’Orsay ausgegangen.
Schoen
Nr. 236
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 161 London, den 26. Juli 19141 2 * * * *
Habe soeben Sir A. Nicolson und Sir W. Tyrrell gesprochen.
Nach hier vorliegenden Nachrichten steht allgemeine Einberufung
russischer Reservisten nicht bevor, sondern nur partielle Mobili-
sierung fern unseren Grenzen. Beide Herren erblicken im Vorschläge
Sir E. Greys, hier Konferenz zu vier abzuhalten, einzige Möglich-
keit, allgemeinen Krieg zu vermeiden und hoffen, daß es hierbei
gelingen werde, Österreich volle Genugtuung zu verschaffen, da
1 Nach der Entzifferung. Siehe Nr. 248.
2 Aufgegeben in London 26. Juli 825 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 27. Juli 127 vorm.; Eingangsvermerk: 27. Juli vorm. In der vom Reichs-
kanzler für den Vortrag beim Kaiser benutzten Entzifferung sind die
Sätze »und sich in deren .............. Drohungen Österreichs«, »denn
keine russische ............. verlustig gehen wollte« und »Ich möchte
dringend ............. zu verlieren hat« gestrichen. Randvermerk des
Kanzlers vom 27 Juli: »S. M. vorgetragen. S. M. mißbilligten den
Standpunkt Lichnowskys. B. H. 27.«
232
Serbien eher geneigt sein würde, dem Druck der Mächte zu weichen
und sich in deren vereinten Willen zu fügen als den Drohungen
Österreichs. Unbedingte Voraussetzung sei aber für Gelingen der
Konferenz und für Erhaltung Friedens, daß alle militärischen Be-
wegungen unterblieben. Sei erst serbische Grenze überschritten, so
wäre alles verloren, denn keine russische Regierung würde dies
dulden können und zum Angriff gegen Österreich zu schreiten ge-
zwungen sein, falls sie nicht ihrer Stellung bei den Balkanstaaten
für immer verlustig gehen wollte. Sir W. Tyrrell, der Sir E. Grey
noch gestern abend gesehen hat und von dessen Ansichten genau
unterrichtet ist, wies mich wiederholt und mit Nachdruck auf die
ungeheure Wichtigkeit hin, daß bis zur Erledigung der Konferenz-
frage serbisches Gebiet nicht berührt werde, da sonst alle Bemühun-
gen vergeblich und der Weltkrieg unabwendbar sei. Die in Berlin
erhoffte Lokalisierung des Konflikts sei vollkommen unmöglich und
müsse aus der praktischen Politik Ausscheiden. Gelänge uns beiden,
Sr. M. dem Kaiser bzw. dessen Regierung und Vertretern im Verein
mit Sir E. Grey, den europäischen Frieden zu retten, so seien die
deutsch-englischen Beziehungen für immerwährende Zeiten auf eine
sichere Grundlage gestellt. Gelänge dies nicht, so stehe alles in
Frage.
Ich möchte dringend davor warnen, an die Möglichkeit der
Lokalisierung auch fernerhin zu glauben, und die gehorsamste Bitte
aussprechen, unsere Haltung einzig und allein von der Notwendigkeit
leiten zu lassen, dem deutschen Volke einen Kampf zu ersparen, bei
dem es nichts zu gewinnen und alles zu verlieren hat.
Sir E. Grey kehrt heute abend zurück.
Lichnowsky
Nr. 237
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 162 London, den 26. Juli 1914
Wie ich im Foreign Office vertraulich höre, ist die Stimmung
in Italien nach den dort vorliegenden Nachrichten derart gegen
eine Beteiligung am Kriege, daß die Regierung es nicht wagen 1 2
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London 26. Juli 848 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 27. Juli 1245 vorm. Eingangsvermerk: 27. Juli vorm. Betr. Mitteilung
von Lichnowskys Telegramm nach Rom siehe Nr. 273.
. i
233
würde, aktiv einzugreifen. Die von Wien aus verbreitete Nachricht,
Italien habe seine Zustimmung ausgesprochen und bundesgemäße
Zusagen gemacht, entspräche nicht den Tatsachen3.
Lichnowsky
3 Dazu die Randbemerkung Zimmermanns: »Was geht den Botschafter
Italien an!«
Nr. 238
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 163 St. Petersburg, den 26. Juli 19141 2 * 4
Graf Szäpäry hatte heute nachmittag längere Unterredung mit
Sasonow. Beide Beteiligte, die ich nachher sprach, hatten von
derselben befriedigenden Eindruck. Die Versicherung des Botschafters,
daß Österreich-Ungarn keine Eroberungspläne habe und nur endlich
an seinen Grenzen Ruhe halten wolle, hat Minister sichtlich beruhigt.
Zwischen Sasonow und Graf Szäpäry ist österreichische Note ruhig
durchgesprochen worden. Es hat sich dabei herausgestellt, daß
Sasonow gegen eine Reihe von Punkten keine Bedenken hatte.
Über einige andere Punkte, sagte mir der Minister, könnte man sich
vielleicht durch Änderung der Formen der Forderung einigen. Es
handele sich vielleicht nur um Worte. Österreich stelle einige Zu-
mutungen, die die serbische Regierung tatsächlich nicht erfüllen
könne, ohne seine Verfassung zu ändern, was in diesem Augenblick
nicht möglich. Vielleicht ließe sich aber doch ein Modus finden, um
Österreich zu befriedigen, ohne die scharfe Forderung dem Buch-
1 Nach der Entzifferung. Vgl. deutsches Weißbuch Mai 1915, S. 27 Nr. 5.
2 Aufgegeben in Petersburg 26. Juli 1010 nachm., angekommen im Aus-
wärtigen Amt 27. Juli 1245 vorm.; Eingangsvermerk: 27. Juli vorm. In
dem vom Reichskanzler für den Vortrag beim Kaiser benutzten Exemplar
sind, abgesehen von kleinen stilistischen Änderungen, der Satz »Sollte
dabei.......... wissen zu lassen« und die Worte »im Sinne meines Vor-
schlages« fortgelassen. Randvermerk des Kanzlers vom 27. Juli: S. M.
vorgetragen, v. B. H. 27. Pourtales’ Telegramm am 27. Juli von Jagow
naclf Vornahme kleiner stilistischer Änderungen und unter Fortlassung
der Worte »im Sinne meines Vorschlages« sowie der Sätze »Sollte
dabei..........wissen zu lassen« und »Minister bat..........dasselbe hier
zu tun« telegraphisch dem Botschafter in London, desgleichen, nach
Vornahme kleiner stilistischer Änderungen und unter Fortlassung der Sätze
»Sollte dabei.........wissen zu lassen« und »Ich habe Eindruck........
dasselbe hier zu tun« telegraphisch dem Botschafter in Wien mitgeteilt,
Telegramm 180 nach London 1210 nachm., Telegramm 161 nach Wien
435 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
staben nach zu erfüllen. — Sasonow ist meinem österreichischen
Kollegen .gegenüber auch auf Vermittelungsgedanken gekommen und
hat Vermittelung des Königs von Italien und Englands angeregt.
Der Minister bat mich dringend, ihm zu sagen, ob ich nicht auch
irgendeinen Vorschlag machen könnte. Ich erwiderte unter Betonung,
daß ich zu keinen Vorschlägen ermächtigt sei und daher nur meine
eigenen Gedanken aussprechen könnte, der folgende Weg schiene
mir vielleicht gangbar. Falls, wie es nach den Äußerungen des
Grafen Szäpary nicht ganz ausgeschlossen erscheine, das Wiener
Kabinett darauf einginge, seine Forderungen in der Form etwas zu
mildem, wäre vielleicht der Versuch zu machen, mit Österreich-,
Ungarn zu diesem Zweck unverzüglich Fühlung zu nehmen. Sollte
dabei eine Einigung erfolgen, so...........3 Serbien durch Rußland
geraten werden, die österreichischen Forderungen auf der zwischen
Österreich und Rußland vereinbarten Basis anzunehmen und dies
die österreichische Regierung durch Vermittelung dritter Macht wissen
zu lassen. — Sasonow, den ich nochmals dringend darauf aufmerksam
machte, daß ich nicht im Namen meiner Regierung spräche, erklärte,
er wolle sofort im Sinne meines Vorschlages an russischen Botschafter
in Wien telegraphieren.
Ich habe Eindruck, daß Sasonow, vielleicht infolge von Nach-
richten aus Paris und London, etwas die Nerven verloren hat und
jetzt nach Auswegen sucht. — Minister bat dringend, daß deutsche
Presse tunlichst beruhigt werden möchte. Er versprach, dasselbe
hier zu tun.
Pourtales
3 Hier fehlt eine Zifierngruppe.
Nr. 239
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Rom1
Telegramm 22 Berlin, den 26. Juli 19142 3
Ansicht über Rumänien irrtümlich, beruht offenbar auf tendenziöser
Berichterstattung des dortigen italienischen Gesandten.
Wegen Kompensationen muß Italien in Wien selbst verhandeln.
Jagow 1 2
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 27. Juli i35 vorm, zum Haupttelegraphenamt.
8 Siehe Nr. 211.
Der Botschafter in Paris an das Auswärtige Amt1
Telegramm 222
Paris, den 26. Juli 19142
Quai d’Orsay scheint aus Umstand, daß Wiener Kabinett sich
mit serbischer Antwort, obwohl diese weit entgegenkommend, nicht
begnügt hat, Argwohn zu schöpfen, daß wir treibend hinter Österreich-
Ungarn stehen und Krieg wünschen.
Ich bin dieser Meinung nachdrücklich entgegengetreten,
Schoen
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Paris 26. Juli 950 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
27. Juli i55 vorm. Eingangsvermerk: 27. Juli vorm. Randvermerk des
Reichskanzlers vom 27. Juli: »S. M. vorgetragen. B. H. 27.«
Nr. 241
Der Botschafter in Paris an das Auswärtige Amt1
Telegramm 221
Paris, den 26. Juli 19142
Aus vertraulicher Rücksprache mit stellvertretendem politischen
Direktor habe bestimmten Eindruck, daß Antwort Viviani lauten wird,
er sei zu beruhigender Einwirkung in St. Petersburg bereit, falls wir
bereit, in Wien, nachdem Serbien fast alle Forderungen erfüllt hatte,
zu Mäßigung zu raten.
Schoen 1 2
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Paris 26. Juli 950 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 27. Juli 155 vorm. Eingangsvermerk: 27. Juli vorm. Am 27. Juli
von Zimmermann telegraphisch dem Botschafter in Wien mitgeteilt,
750 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
236
Nr. 242
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 165 St. Petersburg, den 27. Juli 19141 2 * *
Militärattache meldet über Gespräch mit Kriegsminister: Sasonow
hat ihn gebeten, mich über militärische Lage aufzuklären. Der
Kriegsminister gab mir sein Ehrenwort, daß noch keinerlei Mobil-
machungsorder ergangen sei. Vorläufig würden lediglich Vorbereitungs-
maßnahmen getroffen, kein Pferd ausgehoben, kein Reservist einge-
zogen. Wenn Österreich serbische Grenze überschreitet, werden auf
Österreich gerichtete Militärbezirke Kiew, Odessa, Moskau, Kasan
mobilisiert. Unter keinen Umständen an deutscher Front Warschau,
Wilna, Petersburg. Man wünsche dringend Frieden mit Deutschland.
Auf meine Frage, zu welchem Zweck Mobilmachung gegen Österreich,
Achselzucken und Hinweis auf Diplomaten. Sprach dem Minister
aus, daß man bei uns Würdigung für freundschaftliche Absichten
zeige, aber auch Mobilmachung gegen Österreich allein als sehr be-
drohlich ansehen werde. Minister betonte nachdrücklichst und wieder-
holt dringendes Bedürfnis und Wunsch nach Frieden. Hatte Ein-
druck großer Nervosität und Besorgnis. Halte Wunsch auf Frieden
für aufrichtig, militärische Angaben insoweit für zutreffend, daß
völlige Mobilmachung wohl nicht angeordnet, vorbereitende Maß-
nahmen aber sehr weitgehend. Man ist sichtlich bestrebt, Zeit zu
gewinnen zu neuen Verhandlungen und Fortsetzung der Rüstungen.
Auch verursacht innere Lage unverkennbar schwere Besorgnis. Grund-
zug der Stimmung, Hoffnung auf Deutschland und Vermittelung Sr. M.
Pourtal&s
1 Nach der Entzifferung. — Vgl. deutsches Weißbuch vom Mai 1915, S. 30
Nr. 13.
2 Aufgegeben in Petersburg i° vorm., angekommen im Auswärtigen Amt
235 vorm.; Eingangsvermerk: 27. Juli vorm. Randvermerk des Reichs-
kanzlers vom 27. Juli: »S. M. vorgetragen v. B. H 27.« Pourtales’ Tele-
gramm am 27. Juli von Jagow telegraphisch dem Botschafter in Wien
mitgeteilt, 95 nachm, zum Haupttelegraphenamt; am 28. Juli auch dem
Generälstab, dem Kriegsminister und dem Admiralstab mitgeteilt, abge-
sandt durch Boten u30 vorm.
237
Nr. 243
Der König von Griechenland an den Kaiser
(Übermittelt durch den Geschäftsträger in Athen an das Auswärtige Amt)1
Telegramm 218 Athen, den 27. Juli 19142
S. M. übergab mir folgendes für S. M. den Kaiser und König
bestimmtes Telegramm mit der Bitte, es an die Allerhöchste Stelle
gelangen zu lassen:
»Ich danke für das Telegramm Ew. M., welches mir
die Gelegenheit gibt, falsche Beschuldigungen, die gegen
mein Land, ergo auch gegen mich erhoben werden, abzu-
weisen. Unsere Friedfertigkeit ist nicht scheinbar, und ich
glaube, daß wir in letzter Zeit dies namentlich der Türkei
gegenüber genugsam bewiesen haben. Die Kriegs Vorräte,
die wir in unseren Häfen aufstapeln sollen, sind die Vor-
räte, die wir für den Fall einer Mobilisation brauchen, die
immer bereit liegen sollten. Durch den Abgang nach den
Kriegen und durch die Verdreifachung meiner Armee sind
die Bedürfnisse sehr erheblich gestiegen. Der Generalstab,
nach der Bearbeitung des Mobilisationsplanes, dringt seit
Oktober v. J. auf Ergänzung alles Nötigen. Das Ministerium
hatte es bis vor drei Monaten versäumt, dann sind aber
alle Bestellungen gemacht, mit Termin, wenn möglich bis
Oktober. Außerdem kommen seit Februar die Geschütze
zur Ergänzung von Feld- und Bergartillerie mit ihrer
Munition/ Gewehre, und dieser Tage sind Festungsgeschütze
für die Befestigungen von Saloniki, Kavalla und die Grenzen
bei Krupp bestellt worden. Daß wir Krankenschwestern
zurückberufen haben, ist vollständig aus der Luft gegriffen.
Wenn feurige Patrioten Briefe an griechische Ottomanen
schrieben und ihnen Freiheit verheißen, kann ich nicht
dafür verantwortlich gemacht werden, und ich weiß auch
nichts davon. An einen Angriff gegen die Dardanellen oder
sonstwo haben wir nie gedacht. Eine abenteuerliche Politik
liegt mir und meiner Regierung ganz fern. Die Regierung
hat letzte Zeit Beweise ihres Solidaritätsgefühls mit euro-
1 Nach der Entzifferung.
3 Aufgegeben in Athen i* * 7 * * 10 vorm., angekommen im Auswärtigen Amt
732 vorm.; Eingangsvermerk: 27. Juli vorm Am Rand der Vermerk
des Reichskanzlers: »S. M. vorgetragen. S. M. wünschen Prüfung, ob
demnächst Antwort erforderlich ist. v. R. H. 27.« Betr. Mitteilung von König
Konstantins Telegramm an den Botschafter in Konstantinopel siehe Nr. 354.
238
päischen Interessen gegeben und sinnt nur auf Frieden
mit Ehren, den das Land notwendig braucht. Was wir
erworben, wollen wir wahren und entwickeln. Wir wollen
keinen Krieg und haben es in der letzten schweren Krise
bewiesen trotz der furchtbaren Mißhandlungen von Hundert-
tausenden unserer Konnationalen in Kleinasien. Wir wollen
nichts von der Türkei. Die Türkei fühlt sich im Gegen-
satz zu uns wegen der Inselfrage. Wir waren fast zu
einer Verständigung gekommen, als beinahe alles verdorben
wurde durch ihre Kniffe. Veniselos soll sich dieser Tage
in Brüssel mit dem Großwesir treffen, um über den Vor-
schlag zu verhandeln, den ich vor einigen Tagen Ew. M.
telegraphierte und den Ew. M. durch meine persönlichen
Mitteilungen an den Grafen von Quadt kennen. Wir
können aber nicht mehr als das konzedieren. Die Bitte
um Unterstützung in dieser Sache wiederhole ich noch-
mals an Ew. M. Wenn diese Frage gelöst ist, wird uns
nichts mehr von der Türkei trennen, wenn letztere es
ehrlich meint. Serbien hatten wir Ratschläge erteilt, seine
Handlungsweise zu mildern.
Ich kann nicht einsehen, wie die Türkei Österreich
helfen kann, ohne sich mit Bulgarien zu verbinden. Wenn
aber Bulgarien sich einmischt, dann entsteht ein Machtzu-
wachs eines anderen Slawenstaats auf dem Balkan, der der
Türkei und den nichtslawischen Staaten besonders gefähr-
lich ist, was den Bukarester Frieden und das Gleichge-
wicht auf dem Balkan Umstürzen würde. Dies wäre unseren
Interessen sehr gefährlich, ich denke', es würde auch den
deutschen Interessen im Orient widersprechen, und in diesem
Falle würde ich nicht auf Seite Österreichs gegen die
Slawen stehen, wie es im Telegramm Ew. M. steht.
Zum Schluß bitte ich Ew. M., an meine vollste Loyali-
tät zu glauben als Herrscher, als Kollege und als Mensch,
und daß ich immer reinen Wein eingeschenkt habe und
so fortfahren werde. Die anderen müssen mich aber ebenso
aufrichtig behandeln wie ich sie, namentlich die Türkei.
Constantin« 3
Basse witz
3 Siehe Nr. 466.
Nr. 244
Der Botschafter in Rom an den Reichskanzler1
Bei gestriger Diskussion mit Herrn Salandra und Marquis di
San Giuliano3, die wiederholt zu scharfen Zusammenstößen zwischen
dem Marquis di San Giuliano und mir führte, schienen sich auf
italienischer Seite drei Punkte abzuzeichnen. Erstens Furcht vor
der öffentlichen Meinung Italiens, zweitens das Bewußtsein militäri-
scher Schwäche und drittens der Wunsch, bei dieser Gelegenheit
etwas für Italien herauszuschlagen, wenn möglich das Trentino.
Die Möglichkeit, daß Italien sich eventuell auch gegen Öster-
reich wenden könnte, sprach Marquis di San Giuliano nicht direkt
aus, sie klang nur in leisen Andeutungen durch. Ich habe diese
Andeutungen nicht aufgegriffen, weil ich es für richtig hielt, eine
solche Möglichkeit überhaupt gar nicht zuzulassen. Ich habe den
Eindruck, daß auch die Besetzung rein serbischen Territoriums ein
derartiges Vorgehen Italiens noch nicht ohne weiteres auslösen würde-.
Es würde nur die an sich schon nicht unverdächtigen Beziehungen
Italiens zu Rußland verdichten. Dagegen würde ich es für außer-
oidentlich erwünscht halten, wenn Österreich die Besetzung des
Lowtschen, namentlich zunächst, vermeiden könnte. Ist das nicht
möglich, so muß Österreich vorher hier Kompensationsanerbietungen
machen. Denn die Besetzung des Lowtschen wird tatsächlich ganz
Italien alarmieren und die Regierung unter Umständen weiter
drängen als sie will. Man muß bei allen diesen Dingen im Auge
behalten, daß dieses Kabinett weit, weniger stark und daher weit
weniger widerstandsfähig ist als das Ministerium Giolitti.
S. M. der König wird nach Lage der hiesigen parlamentarischen
und demokratischen Verhältnisse nicht in der Lage sein, einen aus-
•schlaggebenden Einfluß auszuüben;
Wie schon gemeldet, vertrat Marquis di San Giuliano auf Grund
der Fassung der österreichischen Note mit Nachdruck die These, daß
-das Vorgehen Österreichs gegen Serbien ein aggressives sei, daß daher
auch alle sich etwa ergebenden Einmischungen Rußlands und Frank-
reichs den Krieg nicht zu einem defensiven machen würden, und
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 27. Juli vorm. Randvermerk des
Reichskanzlers vom 27. Juli: »S. M. vorgetragen B. H. 27.«, darunter der
Vermerk des Kanzlers vom gleichen Tage: »S. M. hält es für unbedingt
erforderlich, daß sich Österreich mit Italien rechtzeitig wegen der Kom-
pensationsfrage verständigt. Das soll Herrn von Tschirschky zur Weiter-
gabe an Graf Berchtold im ausdrücklichen Aufträge S. M. mitgeteilt
werden. B. H. 27.« Siehe Nr. 267.
:a Siehe Nr. 156.
Aktenstücke!. !o
Fiuggi, den 25. Juli 19141 2
240
daß damit der casus foederis nicht gegeben sei. Ich habe diesen
Standpunkt schon aus taktischen Gründen lebhaft bekämpft. Vor-
aussichtlich wird aber Italien an dieser Möglichkeit, zu entschlüpfen,
festhalten.
Das Gesamtresultat ist also : Auf eine aktive Hilfe Italiens
in einem etwa entstehenden europäischen Konflikt wird man schwer-
lich rechnen können. Eine direkt feindliche Haltung Italiens gegen
Österreich dürfte sich, soweit sich heute übersehen läßt, durch ein
kluges Verhalten Österreichs verhindern lassen.
Flotow
Nr. 245
Der Reichskanzler an den Kaiser1
Telegramm 151 Berlin, den 27. Juli 19141 2
Österreich scheint erst am 12. August in kriegerische Aktion
eintreten zu können, Serbien sich lediglich auf Defensive beschränken
zu wollen. Serbiens Antwort auf Ultimatum, deren Wortlaut noch
nicht zu erhalten war, soll beinahe alle Punkte, auch Bestrafung
aller Offiziere, annehmen, außer Armeebefehl; Kollaboration nur
unter gewissen Reserven. Die diplomatische Lage nicht völlig ge-
klärt. England und Frankreich wünschen Frieden, Italien gleich-
falls, da Streitfrage unpopulär und angeblich italienische Interessen
benachteiligt. Rußland scheint nach den neusten Nachrichten noch
nicht zu mobilisieren und mit Wien Verhandlungen über mäßige
Modifikation3 der von Serbien noch nicht befriedigten Forderungen
anknüpfen zu wollen. Wiens Haltung hierzu noch unbekannt. Ich
habe bei allen Kabinetten sagen lassen, daß wir österreichisch-
serbischen Konflikt als Angelegenheit betrachten, die lediglich diese
beiden Staaten angeht, und Rußland auf die Folgen jeder mili-
tärischen Maßregel, die sich irgendwie gegen uns richtete, mit allem
Nachdruck aufmerksam gemacht. Die letzten eingegangenen Depeschen,
werde ich Ew. M. auf Station Wildpark überreichen.
Alleruntertänigst
Bethmann Hollweg
1 Nach dem Konzept von der Hand des Reichskanzlers.
2 Randvermerk des Kanzlers: »Wohl am zweckmäßigsten S. M. bei der
Durchfahrt durch Wittenberge zuzustellen, falls Hofzug dort hält. Sonst
auf derjenigen Station, wo letzteres der Fall.« — Telegramm aufgegeben
in Berlin ii20vorm., angekommen im Hoflager 120 nachm. Entzifferung
vom Kaiser am 27. Juli zurückgegeben.
aIn Entzifferung des Hoflagers »mäßige Modifikation« verderbt in:
»Mäßigung, Modifikationen.«
Nr. 246
241
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in
Wien1
Telegramm 160 Berlin, den 27. Juli 19141 2
Bitte umgehend Text der serbischen Antwort drahten3.
J ago w
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 ii30 vorm, zum Haupttelegraphenamt, auf . der Botschaft in Wien ange-
kommen 40 nachm.
3 Siehe Nr. 280.
Nr. 247
Der Reichskanzler an den Botschafter in Paris1
Telegramm 170 Berlin, den 27. Juli 19142
Wir müssen daran festh alten, daß österreichisch-serbischer Kon-
flikt lediglich diese beiden Staaten angeht. Wir können daher in
dem Konflikt zwischen Österreich und Serbien nicht vermitteln, wohl
aber eventuell zwischen Österreich und Rußland.
Betbmann Hollweg
1 Nach dem Konzept von der Hand des Reichskanzlers.
2 ii30 vorm, zum Hauptteiegraphenamt.
Nr. 248
Der Reichskanzler an den Botschafter in London1
Telegramm 179 Berlin, den 27. Juli 19142
Von dem Vorschläge Sir E. Greys, dort Konferenz zu vieren ab-
zuhalten, hier bisher nichts bekannt3. An einer solchen Konferenz-
könnten wir uns nicht beteiligen, da wir Österreich in seinem Serben-
1 Nach dem Konzept von der Hand des Reichskanzlers. — Vgl. deutsches
Weißbuch vom Mai 1915, S. 30 Nr. 14.
2 i° nachm, zum Hauptteiegraphenamt.
3 Siehe Nr. 236
18*
242
handel nicht vor ein europäisches Gericht ziehen können. Sir Ed. Grey
scheidet, wie Ew. pp. ausdrücklich gemeldet haben, scharf zwischen
österreichisch-serbischem und österreichisch-russischem Konflikt4 und
kümmert sich um ersteren ebensowenig, wie wir es tun. Unsere
Vermittlungstätigkeit muß sich auf eventuellen österreichisch-russischen
Konflikt beschränken6. In serbisch'-österreichischem Konflikt scheint
mir der in Telegramm Nr. [163]6 aus Petersburg angegebene Weg
direkter Verständigung zwischen Petersburg und Wien gangbar. Ich
bitte deshalb dringend, dort die Notwendigkeit und Möglichkeit der
Lokalisierung zu vertreten.
Bethmann Hollweg
4 Siehe Nr. 180 Abs. 2.
5 Hinter »beschränken« ursprünglich geschriebenes »Ew. pp. Annahme,
daß Lokalisierung unmöglich sei, ist noch nicht erwiesen« vom Kanzler
nachher gestrichen.
6 Siehe Nr. 238.
Nr. 249
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 29 Fiuggi Fonte, den 27. Juli 1914a
Marquis di San Giuliano äußert einige Hoffnung,
daß es noch möglich sei, Konflikt zu verhindern.
Nach seinen Nachrichten — Näheres gibt er nicht
an — wäre Serbien bereit, die österreichischen For-
Quatsch! derungen anzunehmen, wenn sie von Europa ge-
stellt würden. Andererseits würde Rußland nur
eingreifen, wenn Österreich serbisches Territorium
dauernd besetzte. Sir Edward Grey wolle die
ich lasse mich auf Botschafter von Deutschland, Frankreich, Italien
nichts ein und Rußland zu einer Aktion im Sinne des Friedens
vereinigen. Hiesige Verlegenheit und Besorgnis ist
groß, daher unablässige Friedensbemühungen.
Flo t o w 1 2
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi Fonte irivorm., angekommen im Auswärtigen Amt
i28 nachm. Eingangsvermerk: 27. Juli nachm. Entzifferung dem Kaiser
vorgelegt, von ihm am 28. Juli zurückgegeben.
Nr. 251
Der Gesandte in Sofia an das Auswärtige Amt1
Nr. 250
Der Gesandte in Kopenhagen an das Auswärtige Amt1
Besuch Poincar£s ist soeben, zwei Stunden bevor die Ankunft
erwartet wurde, offiziell abgesagt worden.
Rantzau
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Kopenhagen 1214 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt i28 nachm. Eingangsvermerk: 27. Juli nachm. Entzifferung dem
Kaiser vorgelegt, von ihm am 28. Juli zurückgegeben.
3 Siehe Nr. 181.
Telegramm 37
Sofia, den 27. Juli 19141 2
Ministerpräsident bestätigt mir seine aus Konstantinopel ge-
meldete Antwort auf türkische Anfrage und erklärt' jedermann, daß
Bulgarien bis auf weiteres strikt neutral bleibt.
Alle etwaigen Meldungen über Truppenverschiebungen in Bulgarien
oder sonstige Vorbereitungen zu einer Mobilisierung sind falsch3 und,
wenn sie aus Bukarest kommen, tendenziös, da rumänischer Kollege
bei seiner Regierung gegen Bulgarien hetzt.
Michahelles
1 Nach der Entzifferung.
2. Aufgegeben in Sofia 1110 vorm., angekommen im Auswärtigen Amt 30 nachm.
Eingangsvermerk: 27. Juli nachm. Dem Kaiser vorgelegt, der durch Rand-
verfügung Mitteilung an die Vertretungen in Wien, Bukarest, Konstanti-
nopel und Athen anordnete. Entzifferung vom Kaiser am 28. Juli zurück-
gegeben. Michahelles’ Telegramm wurde von Zimmermann am 29. Juli
dem Botschafter in Wien, der Abschnitt »Ministerpräsident.........neutral
bleibt« dem Botschafter in Konstantinopel und dem Gesandten in Athen
mitgeteilt; Telegramm nach Wien i45 nachm., Telegramm nach Konstanti-
nopel und Athen 750 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Betr. Mitteilung an den Geschäftsträger in Bukarest siehe Nr. 321.
Telegramm 32
Kopenhagen, den 27. Juli 191423
V'\
1
|§:|
Nr. 252
Der Botschafter in Paris an das Auswärtige Amt1
Telegramm 223
Paris, den 27. Juli 19142
Stimmung hiesiger Presse und Geschäftswelt
heute etwas hoffnungsvoller, hauptsächlich infolge
diskreter offiziöser Notiz über meine gestrige Unter-
redung über Mittel zur Erhaltung europäischen
Friedens. Presse zwar noch mißtrauisch gegen uns,
beschuldigt uns aber nicht mehr offen des Treibens
zum Kriege. Entscheidung über Krieg oder Frieden
Nein! Allein bei hege jetzt wesentlich bei Berlin. Wenn Deut sch-
Petersburg! ianc[
in Wien, Frankreich in Peteisburg mäßigend
wirken, könnte Friede erhalten werden.
Schoen
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Paris i5 nachm., angekomrnen im Auswärtigen Amt 3‘RI
nachm. Eingangsvermerk: 27. Juli nachm. Zufolge Randverfügung Jagows
in Abschrift, unter Fortlassung der Worte »hauptsächlich.........euro-
päischen Friedens«, dem Kaiser vorgelegt, von ihm am 28. Juli ins Amt
zurückgelangt
Nr. 253
Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler1
St. Petersburg, den 22.. Juli 19141 2
In einem vertraulichen Gespräch mit meinem italienischen
Kollegen, der mir von Beginn seiner hiesigen Tätigkeit an stets
sehr offen gegenübergetreten ist, brachte ich den Marquis Carlottj
vor kurzem auf die gewaltige Vermehrung der russischen Streit
kräfte und frug ihn, ob er es für angezeigt gehalten habe, bezüglich
der Ziele, die Rußland bei seinen Rüstungen verfolge, seiner Re-
gierung gegenüber Besorgnisse zum Ausdruck zu bringen.
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 27. Juli nachm
a45
Der Botschafter antwortete darauf, er habe über die Frage der
russischen Armeevermehrung seiner Regierung überhaupt keinen
ausführlichen Bericht geschickt, sondern sich darauf beschränkt,
die in der letzten Zeit bekannt gewordenen Ziffern der in Angriff
genommenen Armee- und Flotten-Vermehrung sowie der zu diesem
Zwecke von der Duma bewilligten Gelder telegraphisch zu melden.
Er habe dabei, ebenfalls an der Hand der bekannt gewordenen Zif-
fern, auch darauf hingewiesen, wie sich die Präsenzstärke der
russischen Armee in drei Jahren gestalten werde, wenn bis dahin
alle jetzt in Aussicht genommenen Maßregeln zur Durchführung
gelangt sein würden. Ausführlichere Kommentare habe er an diese
Meldung nicht geknüpft.
Die dem k. Gesandten in Athen von seinem italienischen
Kollegen gemachten Mitteilungen über alarmistische Berichte
des Marquis Carlotti dürften meines gehorsamen Erachtens
auf obige Meldung des Botschafters zurückzuführen sein. Viel-
leicht waren die von Marquis Carlotti genannten Ziffern dem italie-
nischen Vertreter in Athen vorher nicht bekannt, und ist er durch
die Höhe derselben frappiert gewesen. In dem Umstande, daß
Marquis Carlotti über diesen Gegenstand einen telegraphischen Be-
richt erstattet hat, dürfte auch etwas Außergewöhnliches nicht zu
erblicken sein, da mein italienischer Kollege, wie er mir selbst sagt,
und wie es, soviel mir bekannt ist, im italienischen diplomatischen
Dienst sehr viel geschieht, seine Meldungen meist telegraphisch
schickt und nur ausnahmsweise schriftlich berichtet.
Bezüglich seiner Ansichten über die russischen Rüstungen
sagte mir Marquis Carlotti, er glaube nicht, daß Rußland mit
iigendwelchen Plänen umginge, die dahin gerichtet wären, etwa in
drei Jahren einen Offensivkrieg zu führen. Dagegen gewinne nach
seiner Ansicht die Überzeugung hier immer mehr an Boden, daß
der nicht mehr aufzuhaltende Prozeß des weiteren Zerfalls der
Türkei sehr bald eine neue Orientkrisis herbeiführen werde. Für
den Eintritt dieser Eventualität wolle Rußland stark gerüstet sein,
um bei der bevorstehenden Regelung der durch eine solche Krisis
entstehenden Fragen ein stärkeres Gewicht als bisher in die Wag-
schale werfen zu können.
Diese Ansicht meines italienischen Kollegen deckt sich voll-
kommen mit der meinigen. Ich möchte nur noch hinzufügen, daß
ich allerdings nicht umhin kann, in der Verbindung der in der Tat
sehr bedeutenden Vermehrung der russischen Streitkräfte mit dem
sich immer mehr zuspitzenden russisch-österreichischen Gegensatz
eine nicht zu unterschätzende zunehmende Gefahr für den euro-
päischen Frieden zu erblicken.
F. Pourtales
246
Nr. 254
Der Generaldirektor der Hapag an den Staatssekretär
des Auswärtigen1
Geheim! Z. Zt. London (Ritz Hotel), den 24. Juli 1914? *
Hochverehrte Exzellenz!
Ich habe also gestern abend bei Haldane mit Sir Edward Grey
gegessen und habe nach dem Diner Gelegenheit genommen, den
Herren zu sagen, daß mich die durch die Presse gegangene Nach-
richt über anglo-russische Flottenverhandlungen insofern unangenehm
berührt hätte, als ich fürchten müßte, daß die Bestätigung oder auch
nur die fortgesetzte Verbreitung solcher Nachricht die freundlichen
Beziehungen zwischen England und Deutschland aufs neue trüben
könnte, indem man deutscherseits sich vielleicht gezwungen sähe,
solche neue Situation in Form vermehrter Kriegsschiffbauten zu
kompensieren. * Mich interessiere natürlich intensiv die Frage, ob
auf die freundschaftlichen Beziehungen, zu deren Herbeiführung
ich selbst ein Geringes habe tun dürfen, ein Schatten gefallen sei,
und nicht minder natürlich fühlte ich mich versucht, die indiskrete
Frage Grey vorzulegen, ob und in welchem Umfange die Nachrich-
ten über diese anglo-russischen Verhandlungen zutreffend seien; er
spräche ja nur mit einem Privatmanne und brauche deshalb nicht
nach einer diplomatischen Abwehr dieser Frage zu suchen; er könne
die Frage unbeantwortet lassen, wenn sie ihm nicht passe.
Das Ergebnis meiner Unterhaltung mit Grey und Haldane darf
ich in folgenden Notizen zusammenfassen:
i. Grey erklärt, daß die freundlichen Beziehungen, welche
als ein Ergebnis der damaligen Haidaneschen Mission
zu betrachten seien, nicht nur im ganzen Umfange un-
getrübt geblieben, sondern durch die Kooperation von
Deutschland und England während der Balkanschwierig-
keiten und durch die anderen inzwischen gepflogenen
Verhandlungen noch verstärkt seien. 1 2 3
1 Nach der Ausfertigung,
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 27. Juli nachm., zum Journal
29. Juli.
3 Siehe Nr. 56 und 57.
2.
247
Die politische Situation habe sich im Laufe des letzten
Jahrzehnts ja so gestaltet, daß auch England einer
Gruppe angehöre, und es sei natürlich, daß von Mit-
gliedern dieser Gruppe Fragen zur Diskussion gestellt
würden, deren Verhandlung man nicht ohne weiteres
ablehnen könne. Wie es England in dieser Beziehung
mit Frankreich und Rußland gehe, so würde es wohl
Deutschland innerhalb seiner Gruppe mit Österreich und
Italien gehen.
3. Das wolle er mir aber gern erklären, daß keine solche
Flottenkonvention bestehe, und daß es nicht in Englands
Absicht läge, in eine derartige Konvention zu willigen.
Haidane, der sich dem Herrn Reichskanzler herzlich empfehlen
läßt, unterstrich die Greyschen Erklärungen noch ganz besonders,
als ich mit ihm noch einige Zeit, nachdem Grey gegangen w^ar, zu-
sammensaß, und deutete mir an, daß die unruhigen französischen
Freunde sehr oft aus Gründen interner Natur Fragen in die Öffent-
lichkeit würfen, die ernsthaft nicht zu diskutieren wären. Grey glaubt,
daß die Kräfteverteilung, wie sie sich in den beiden Gruppen ergeben
habe, die glücklichste Garantie für die Erhaltung des Weltfriedens
oder jedenfalls doch des Friedens zwischen den Großmächten bilde.
Auf der Hand läge es, daß die starken Rüstungen Deutschlands auch
die anderen Mächte zu großen Ausgaben und Anstrengungen auf
dem Gebiet der Rüstungen führen. Das sei natürlich höchst be-
dauerlich und zweifellos eine starke Belastungsprobe für ein fried-
liches Zusammenarbeiten.
Die österreichische Note an Serbien wird hier sehr milde be-
urteilt. Das hängt zum Teil wohl zusammen mit der gegenwärtigen
Situation, denn die Ulster-Frage beherrscht die Stunde. Die Herren
waren gestern abend ganz außerordentlich pessimistisch gestimmt.
Ich esse heute abend mit Winston Churchill und denke Montag
nach Cöln zu reisen, wo am 29. und 30. Juli Konferenzen der nord-
atlantischen Schiffahrtsgesellschaften stattfinden.
Ich bin, hochverehrte Exzellenz, mit den verbindlichsten Grüßen
Ihr aufrichtig ergebener
B a 1 1 i n
i
248
Nr. 255
Der Admiralstab an den Staatssekretär des Auswärtigen1
Ganz Geheim!
Berlin, den 27. Juli 19141 2
1. Nach vertrauenswürdigen Quellen aus Hüll und dem Med-
way-Gebiet werden dort keine Maßnahmen getroffen, die auf
Kriegsvorbereitungen schließen lassen.
2. Ein Agent, dessen Zuverlässigkeit zwar noch nicht erprobt
ist, der aber einen sehr guten Eindruck macht (Deutscher), meldet:
Vom Gehilfen des Petersburger Bezirkskommandos ist mir fol
gendes bekannt:
Rußland mobilisiert im stillen, um Serbien gegebenenfalls zu
unterstützen.
In Petersburg waren vor ca. 10 Tagen auf dem Bezirkskom-
mando die Einberufungen für ca. 300 000 Mann und 20 000 Offiziere
fertig.
Die Stimmung in Militärkreisen ist nicht für einen Krieg mit
Deutschland, aber durchaus für einen Krieg gegen Österreich.
Im Aufträge
I s e n d a h 1
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 27. Juli nachm.
Nr. 256
Der Botschafter in Konstantinopel an das Auswärtige Amt'
Telegramm 371
Geheim!
Therapia, den 27. Juli 19 t42
Privat für den Staatssekretär
Türkischer Bündnisantrag ist dadurch zustandegekommen,
daß ich die Bedenken, welche ich bisher dem Großwesir dagegen
geltend gemacht habe, entsprechend dem peremtorischen Befehl
habe fallen lassen. Bulgarien ist der Türkei bisher nur mit Redens-
arten gekommen, ohne positive Vorschläge zu machen. Rußland
und Frankreich haben sich von ihrer Betäubung noch nicht erholt.
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Therapia 145 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
415 nachm., Eingangsvermerk: 27. Juli nachm.
249
Es ist aber vorauszusehen, daß von beiden sehr bald energische
Versuche einsetzen werden, die türkische Regierung einzuschüch-
tern und sie auf den Anschluß an Griechenland unter Schutz der
Triple-Entente zu verweisen. Wenn der Türkei kein positiver
Schutz gegen Rußland gewährt wird, so braucht deshalb die Türkei
nicht unbedingt an die Triple-Entente verloren zu gehen, obwohl
die Versuchung, sich unter russischen Schutz zu stellen, dann
natürlich für die Türken sehr groß wird. Ich glaube aber, daß
nach unserer Ablehnung die Bulgaren und Türken sich zusammen-
finden werden, um ä conto des beschäftigten Serbiens mit Griechen-
land abzurechnen. Damit würde das allgemeine declanchement
beginnen. Wir haben das Interesse, Bulgarien und die Jungtürken
festzuhalten, solange der österreichisch-serbische Konflikt lokali-
siert bleibt.
Mein Urteil über die Bündnisfähigkeit der Türkei müßte ich
natürlich berichtigen, wenn die türkische Armee tatsächlich von
deutschen Offizieren kommandiert wird. Ihr militärischer Wert
würde sich damit verdreifachen. General Liman sagt mir
heute, er . . . ,8 sich stark als Führer der sofort ins . . . .4 zu
stellenden 5 türkischen Armeekorps unter allen Umständen jed.
...........55 stark zu schlagen. Das deutsche Kommando würde
auch den unschätzbaren Wert haben, daß die Türkei im Kriegsfall
die übernommenen Verpflichtungen ausführen müßte.
Wangenheim
3 Zifferngruppe fehlt; im Auswärtigen Amt sinngemäß ergänzt: mache.
4 Zifferngruppe fehlt; im Auswärtigen Amt sinngemäß ergänzt: Feld.
r> Zifferngruppe unverständlich.
Nr. 257
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 113 Wien, den 27. Juli 19141 2
Man hat hier beschlossen, morgen, spätestens übermorgen, offi-
zielle Kriegserklärung zu erlassen, hauptsächlich, um jedem Inter-
ventionsversuch den Boden zu entziehen.
Tschirschky
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 320 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt '43T
nachm. Eingangsvermerk: 27. Juli nachm. Ein Exemplar der Entzifferung
wurde am 27. Juli an den Kaiser geschickt. Tschirschkys Telegramm
wurde am 28. Juli auch dem Generalstab, Kriegsministerium, Admiralstab
und Reichsmarineamt mitgeteilt; abgesandt durch Boten 1145 vorm.
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 164 London, den 27. Juli 19142
Sir E. Grey ließ mich soeben kommen und bat mich, Ew. Exz..
. nachstehendes zu übermitteln.
Der serbische Geschäftsträger habe ihm soeben den Wortlaut
der serbischen Antwort auf die österreichische Note übermittelt3.
Aus derselben gehe hervor, daß Serbien den österreichischen For-
derungen in einem Umfange entgegengekommen sei, wie er es nie-
mals für möglich gehalten habe; bis auf einen Punkt, der Teilnahme
österreichischer Beamter an den gerichtlichen Untersuchungen,
habe Serbien tatsächlich in alles eingewilligt, was von ihm ver-
langt worden sei. Es sei klar, daß diese Nachgiebigkeit Serbiens
lediglich auf einen Druck von Petersburg zurückzuführen sei*.
Begnüge sich Österreich nicht mit dieser Antwort, bzw. werde
diese Antwort in Wien nicht als Grundlage für friedliche Unter-
handlungen betrachtet, oder gehe Österreich gar zur Besetzung von
Belgrad vor, das vollkommen wehrlos daliegt, so sei es vollkommen
klar, daß Österreich nur nach einem Vorwand suche, um Serbien
zu erdrücken. In Serbien solle aber alsdann Rußland getroffen
werden und der russische Einfluß auf dem Balkan. Es sei klar,
daß Rußland dem nicht gleichgültig zusehen könne und es als eine
direkte Herausforderung auf fassen müsse. Daraus würde der
fürchterlichste Krieg entstehen, den Europa jemals gesehen habe,
und niemand wisse, wohin ein solcher Krieg führen könne.
Wir hätten uns, so meinte der Minister, wiederholt und so
noch gestern5 mit der Bitte an ihn gewandt, in Petersburg in mäßi-
gendem Sinne vorstellig zu werden. Er habe diesen Bitten stets
gern entsprochen und sich während der letzten Krise Vorwürfe
aus Rußland zugezogen, daß er sich zu sehr auf unsere und zu
wenig auf ihre Seite stelle. Nun wende er sich mit der Bitte an
uns, unseren Einfluß in Wien dahin zur Geltung zu bringen, daß
man die Antwort aus Belgrad entweder als genügend betrachte
oder aber als Grundlage für Besprechungen. Er sei überzeugt, daß
es in unserer Hand liege, durch entsprechende Vorstellungen die
Sache zu erledigen, und er betrachte es als eine gute Vorbedeutung
für die Zukunft, wenn es uns beiden abermals gelänge} durch
unseren beiderseitigen Einfluß auf unsere Verbündeten den Frieden
Europas gesichert zu haben.
Ich fand den Minister zum ersten Male verstimmt. Er sprach
mit großem Ernst und schien von uns auf das Bestimmteste zu
erwarten, .daß es unserem Einfluß gelingen möge, die Frage beizu-
legen. Er wird auch heute ein Statement im House of Commons
machen, worin er seinen Standpunkt zum Ausdruck bringt. Auf
jeden Fall bin ich der Überzeugung, daß, falls es jetzt doch noch
zum Kriege käme, wir mit den englischen Sympathien und der
britischen Unterstützung nicht mehr zu rechnen hätten, da man in
dem Vorgehen Österreichs alle Zeichen üblen Willens erblicken
würde. Auch ist hier alle Welt davon überzeugt, und ich höre es
auch aus dem Munde meiner Kollegen, daß der Schlüssel der Lage
in Berlin liegt und, falls man dort den Frieden ernstlich will, Öster-
reich davon abzuhalten sein wird, eine, wie Sir E. Grey sich aus-
drückt, tollkühne Politik zu treiben6. T • i ,
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London i31 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 437
nachm. Eingangsvermerk: 27. Juli nachm. Betr. Mitteilung von
Lichnowskys Telegramm an den Kaiser und den Botschafter in Wien
siehe Nr. 283 und 277.
3 Abgedruckt im österreichisch-ungarischen Rotbuch I Nr. 25. Französischen
Text siehe auch Nr. 271.
4 In der dem Kaiser vorgelegten Abschrift am Rand Fragezeichen des Kaisers.
5 Siehe Nr. 199 und 218.
6 Siehe Nr. 265, 277 und 278.
Nr. 259
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 114 Wien, den 27. Juli 19142 3
Bulgarien hat hier wissen lassen, daß es nichts unternehmen
würde, ohne sich vorher mit Österreich-Ungarn \u verständigen.
Von hier aus ist Bulgarien energisch bedeutet worden, sich strikt
neutral zu halten, keine Aktion gegen Rumänien und auch in Ma-
zedonien zu unternehmen. Rumänische Nachricht, der zufolge Bul-
garien an rumänischer Grenze Truppen zusammenzieht, hält man
hier für falsch, sie stammt augenscheinlich von dem rumänischen
Vertreter in Sofia, Derussi, der bekanntlich ein schlechtes Element
sei. Man werde weiter Bulgarien ..........4 soviel als irgend-
möglich Ruhe halten, um Rumänien nicht zu reizen.
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 40 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 533 nachm.;
Eingangsvermerk: 27. Juli nachm. Entzifferung am 28. Juli an den Kaiser
gesandt, der durch Randverfügung Mitteilung nach Bukarest und Sofia
anordnete, vom Kaiser noch am 28. Juli ins Amt zurückgelangt. Am 28. Juli
wurde Tschirsehkys Telegramm von Jagow den Vertretern in Sofia,
Bukarest und Konstantinopel »zur vertraulichen Information« tele-
graphisch mitgeteilt. Telegramme io20 vorm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 210 und 228.
4 Chiffrierbüro hat hier vermerkt: »Gruppe fehlt« Nach den Akten der
deutschen Botschaft in Wien fehlt jedoch nichts, indes ist anstatt »Ruhe«
»ruhig« zu lesen.
Herr Bratianu hat auch hier ersucht, kalmierend auf Bulgarien
einzuwirken, worauf ihm energische Einwirkung in diesem Sinne zu-
gesagt worden ist.
Graf Berchtold hat Herrn Bratianu sagen lassen, daß, falls
irgend jemand Rumänien angreifen würde, Österreich-Ungarn sofort
erklären würde, daß es als Bundesgenosse Rumäniens hinter diesem
stehe.
Tschirschky
Nr. 260
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 31 Fiuggi Fonte, den 27. Juli 19141 2
Habe bis jetzt hier keinerlei Mitteilung oder Andeutung ge-
macht, daß wir Italiens Kompensationsansprüche in Wien unter-
stützen oder vorbereiten3 * * *. Sobald es zulässig, darf ich Weisung er-
bitten, da es hier taktisch zur Festhaltung Italiens von Wert.
Flotow
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi Fonte 536 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 545 nachm.; Eingangsvermerk: 27. Juli nachm.
3-Siehe Nr. 211, 267 und 287.
Nr. 261
Der Botschafter in Rom an das Auswärtige Amt1
Telegramm 30 Fiuggi Fonte, den 27, Juli 19142
Marquis San Giuiiano hat Gesandten Bukarest angewiesen : 1. Ru-
mänische Regierung aufzufordern, in Belgrad zur Nachgiebigkeit zu
raten, 2. sich mit rumänischer Regierung darüber auszusprechen, daß
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Fiuggi Fonte 21,J nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 6(5 nachm. Eingangsvermerk: 27. Juli nachm. Am 29. Juli von,
Zimmermann, unter Fortlassung des Satzes »Ich darf..........warnen«
telegraphisch dem Geschäftsträger in Bukarest mitgeteilt, 210 nachm,
zum Haupttelegraphenamt
sowohl Italien als Rumänien ein Interesse daran hätten, daß Serbien
nicht völlig erdrückt werde. Wenn darüber hinaus Gesandter erklärt
habe, »Italien könne sich nicht am Konflikt beteiligen« etc., so habe
er Instruktion überschritten, und er werde ihn zurechtweisen.
Ich habe den Minister darauf aufmerksam gemacht, daß mir
schon Punkt 2 in diesem Augenblick in Bukarest ein bedenkliches
Gesprächsthema erscheine, .das besser unterbliebe. Minister bestand
aber darauf, daß der Bestand Serbiens für Italien ein unbedingtes
Erfordernis sei. Diese Barriere gegen Österreich dürfe nicht ver-
schwinden. Ich habe im allgemeinen noch einmal Minister gewarnt,
durch seine Sprache irgendwo Zweifel an der Festigkeit des Drei-
bunds auf kommen zu lassen; seinem Zweck, den Frieden zu erhalten,
würde dadurch nur entgegen ge arbeitet. Ich darf anheimstellen, auch
ßollati zu warnen.
Fio to w
Nr. 262
Der Geschäftsträger in Bukarest an das Auswärtige Amt1
Telegramm 43 Bukarest, den 26. Juli 19141 2 * * * * * * *
Minister der auswärtigen Angelegenheiten sagte
mir soeben, Rumänien werde, falls durch öster-
reichisch-serbischen Konflikt Bukarester Frieden ver-
letzt würde, mit Griechenland gemeinsam dagegen
• nur nicht so große Einspruch erheben. Ferner könne Rumänien nicht
Worte machen! zulassen, daß Bulgarien irgendwie die Ruhe störe.
Waldburg
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Bukarest 26. Juli 910 (ob vorm, oder nachm., ist nicht an-
gegeben), angekommen im Auswärtigen Amt 27. Juli 720 nachm. Ein-
gangsvermerk : 27. Juli nachm. Entzifferung wurde am 28. Juli an den
Kaiser gesandt, der durch Randverfügung Mitteilung an die Vertretungen
in Wien und Sofia anordnete, und gelangte noch am gleichen Tage ins
Amt zurück. Die Mitteilung nach Wien erfolgte durch Jagow am-28. Juli,
Telegramm 940 vorm, zum Haupttelegraphenamt; Mitteilung nach Sofia
unterblieb.
■254
Nr. 263
Der Botschafter in Konstantinopel an das Auswärtige Amt1
Telegramm 373 Konstantinopel, den 27. Juli 19142
Griechischer Gesandter hat soeben dem Großwesir mitgeteilt,
Veniselos sei durch den Ernst der Lage gezwungen, sofort nach
Athen zurückzukehren, hoffe aber bald einen neuen Zeitpunkt für
die Begegnung bezeichnen zu können. Prinz Said Halim hat er-
widert, daß er Herrn Veniselos jederzeit zur Verfügung stehe.
Wangenheim
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Konstantinopel 4° nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 720 nachm. Eingangsvermerk: 27. Juli nachm. Entzifferung am
28. Juli an den Kaiser gesandt, der durch Randverfügung Mitteilung an
die Gesandtschaft in Athen anordnete; von ihm am 28. Juli ins Amt zu-
rückgelangt. Am 28. Juli wurde Wangenheims Telegramm in Postziffern
dem Geschäftsträger in Athen mitgeteilt, abgegangen 90 nachm.
Nr. 264
Der Verweser des Konsulats Kowno an das Auswärtige Amt1
Telegramm 3 Eydtkuhnen, den 27. Juli 19142
Kowno in Kriegszustand versetzt. Bericht folgt.
Bülow
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Eydtkuhnen 27. Juli 535 nachm., angekommen im Aus-
wärtigen Amt 27. Juli 740 nachm. Eingangsvermerk: 27. Juli nachm. Vgl.
deutsches Weißbuch vom Mai 1915, S. 28, Nr. 8.
Nr. 265
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 166 London, den 27. Juli 19142
Im Anschluß an mein heutiges Telegramm Nr. 1648 möchte
ich hervorheben, daß von dem Erfolge dieses Schrittes Sir Edward
Greys unsere gesamten zukünftigen Beziehungen zu England ab-
255
hängen. Gelingt es dem Minister in diesem bedeutsamen Augen-
blick, in dem zweifellos trotz aller inneren Spaltungen die gesamte
britische Nation hinter ihm steht, durch unser Eingehen auf sein
Bitten eine weitere Zuspitzung der Lage zu verhindern, so stehe ich
dafür ein, daß unsere Beziehungen zu Großbritannien auf unabseh-
bare Zeit den vertrauensvollen und intimen Charakter tragen wer-
den, der sie seit anderthalb Iahren kennzeichnet. Die britische Re-
gierung, ob liberal oder konservativ, sieht in der Erhaltung des
europäischen Friedens auf Grundlage des Gleichgewichts der Grup-
pen ihr vornehmstes Interesse4, und die Überzeugung, daß es ledig-
lich von uns abhängt, ob Österreich durch eine hartnäckige Prestige-
politik den europäischen Frieden gefährdet, bringt es mit sich, daß
jede entgegenkommende Haltung Österreichs als ein Beweis unseres
aufrichtigen Wunsches, mit Großbritannien vereint einen
europäischen Krieg zu verhindern, zugunsten unserer Freundschaft
mit England und unserer Friedensliebe gedeutet werden wird.
Sollten wir hingegen unseren Sympathien für Österreich und
der Korrektheit unserer Bundesverpflichtungen eine so weitgehende
Auffassung zugrunde legen, daß alle übrigen Gesichtspunkte dagegen
zurücktreten, und sogar den wichtigsten Punkt unserer Auslands-
politik — unser Verhältnis zu England — den Sonder int eressen
unseres Bundesgenossen unterordnen, so glaube ich, daß es niemals
mehr möglich sein wird, diejenigen Fäden wieder anzuknüpfen,
welche in der letzten Zeit uns verbunden haben.
Der Eindruck greift hier immer mehr Platz, und das habe ich
aus meiner Unterredung mit Sir Edward Grey deutlich entnommen,
daß die ganze serbische Frage sich auf eine Kraftprobe zwischen
Dreibund und Dreiverband zuspitzt. Sollte daher die Absicht
Österreichs, den gegenwärtigen Anlaß zu benutzen, um Serbien
niederzuwerfen (to crush Servia, wie Sir E. Grey sich ausdrückte),
immer offenkundiger in Erscheinung treten, so wird England, dessen
bin ich gewiß, sich unbedingt auf Seite Frankreichs und Rußlands
stellen, um zu zeigen, daß es nicht gewillt ist, eine moralische oder
gar militärische Niederlage seiner Gruppe zu dulden. Kommt es
unter diesen Umständen zum Krieg, so werden wir England gegen
uns haben. Denn die Empfindung, daß der Krieg angesichts des
weitgehenden Entgegenkommens der serbischen Regierung sich hätte
vermeiden lassen, wird für die Haltung der britischen Regierung von
ausschlaggebender Bedeutung sein.
Lichnowsky 1 * 3 4
1 Nach der Entzifferung.
1 Aufgegeben in London 27. Juli 5® nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 840 nachm. Eingangsvermerk: 28. Juli vorm.
3 Siehe Nr. 258.
4 Am Rand der Entzifferung die Bemerkung Zimmermanns: »Wo bleibt
das Gleichgewicht, wenn Österreich-Ungarn zurückweicht!«
Aktenstücke I.
256
Nr. 266
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1
Telegramm 165 London, den 27. Juli 19142
Allerdings unterscheidet der Minister scharf zwischen öster-
reichisch-serbischem und österreichisch-russischem Konflikt®, d. h.
er wollte sich in den österreichisch-serbischen so lange nicht ein-
mischen, als aus demselben sich nicht ein österreichisch-russischer
entwickelt hatte. Solange es ein österreichisch-serbischer bliebe,
hielte er sich zurück. Jetzt aber sieht er sich genötigt einzugreifen,
da daraus ein österreichisch-russischer und somit ein europäischer
zu werden droht. Der österreichisch-russische läßt sich demnach
vom österreichisch-serbischen gar nicht trennen, da ersterer auf
letzterem beruht, und in diesem Sinne sprach auch der Minister
mit mir. Eine Verständigung zwischen Österreich und Rußland
beruht auf Beilegung des österreichisch-serbischen Zwistes. Ohne
diese Beilegung erscheint nach hiesiger Auffassung jeder Vermitt-
lungsversuch ganz aussichtslos. Wie soll ich für Lokalisierung des
Konflikts eintreten, wenn hier niemand daran zweifelt, daß durch
das Vorgehen Österreich-Ungarns ernste russische Interessen auf
dem Spiele stehen, und daß Rußland sich, falls von uns aus kein
Druck auf Österreich ausgeübt wird, selbst gegen seinen Wunsch
zum Einschreiten genötigt sehen wird? Ich errege damit nur hei-
teres Achselzucken.
Sollte sich Einigung zwischen Wien und Petersburg nach Tele
gramm Nr. 1804 auf Grundlage der österreichischen Note erzielen
lassen unter Vermeidung militärischer Maßnahmen gegen Serbien,
so wäre alles erreicht, was Sir E. Grey erstrebt. Was er vermeiden
möchte, ist Österreichs Waffengang gegen Serbien, weil er von
diesem Störung europäischen Friedens befürchtet.
Er bestätigt mir übrigens heute, daß keine russische Einberu-
fung der Reserven stattfinde.
Lichnowsky 1 2 * *
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in London 617 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
840 nachm. Eingangsvermerk: 27. Juli nachm.
* Siehe Nr. 248.
1 Siehe Nr. 238, Anmerkung 2.
257
Nr. 267
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
Telegramm 168 Berlin, den 27. Juli 19141 2 *
S. M. der Kaiser hält es für unbedingt erforderlich, daß Öster-
reich sich mit Italien rechtzeitig über Art. 7 und Kompen-
sationsfrage verständigt. S. M. haben ausdrücklich befohlen, dies
Ew. Exz. zur Weitergabe an Graf Berchtold mitzuteilen8.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
* 90 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
s Siehe Nr. 168 und 244 Anm. 2.
Nr. 268
Der österreichisch-ungarische Botschafter
an das Auswärtige Amt1
Memorandum
Berlin, den 27. Juli 19142
Die k. serbische Regierung hat es abgelehnt, die Forderungen,
welche wir zur dauernden Sicherung der von ihr bedrohten vitalsten
Interessen an sie stellen mußten, zu erfüllen, und so bewiesen, daß
sie ihre subversiven, auf die stete Beunruhigung einiger unserer
Grenzländer und deren schließliche Lostrennung aus dem Gefüge
der Monarchie gerichteten Bestrebungen nicht willens ist aufzu-
geben. Wir sind dadurch zu unserem Bedauern und sehr gegen
unseren Willen gezwungen worden, Serbien durch die schärfsten
Mittel zu einer grundsätzlichen Änderung seiner bisherigen feind-
seligen Haltung zu zwingen. Daß uns hierbei aggressive Tendenzen
ferneliegen und daß es ein Akt der Selbstverteidigung ist, wenn wir
1 Nach der nicht Unterzeichneten Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 27. Juli. Vom Reichskanzler
am 28. Juli zurück.
19*
Telegramm 167.
Berlin, den 27. Juli 1914*
Marquis San Giuliano sehr besorgt, weil Graf Berchtold auf
Erklärung des Herzogs Avama wohl bezüglich wohlwollender Haltung
Italiens seine Befriedigung ausgesprochen, aber wegen Artikel VII
mid Kompensation nichts geäußert hat3. Italienischer Botschafter
gab mir Kenntnis von Inhalt eines Erlasses, wonach Marquis San
Giuliano Erörterung über Artikel VII und Kompensation (wenigstens
im Prinzip) als Vorbedingung für Haltung Italiens hinstellt. Letztere
könnte sonst direkt antiösterreichisch werden. Halte daher schleu-
nige Aussprache zwischen Graf Berchtold und Herzog Avarna für
dringend erforderlich.
Vertraulich höre ich, daß Italien auch sehr Besetzung des
Lowtschen befürchtet.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
* 930 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
8 Siehe Nr. 168 und 267.
258
uns nach Jahren der Duldung endlich entschließen, den groß-
serbischen Wühlereien auch mit dem Schwerte entgegenzutreten, ist
der k. deutschen Regierung wohl bekannt.
Es gereicht uns zur aufrichtigen Genugtuung, daß wir bei der
k. deutschen Regierung und bei dem ganzen deutschen Volke
volles Verständnis dafür finden, daß das nach den Ergebnissen der
Untersuchung in Belgrad vorbereitete und von dortigen Sendlingen
ausgeführte Attentat von Sarajevo unsere Langmut erschöpfen
mußte, und daß wir jetzt bestrebt sein müssen, uns mit allen Mit-
teln Garantien gegen die Fortdauer der gegenwärtigen unleidlichen
Verhältnisse an unserer südöstlichen Grenze zu verschaffen.
Wir hoffen zuversichtlich, daß unsere bevorstehende Ausein-
andersetzung mit Serbien zu keinen weiteren Komplikationen Anlaß
geben wird; für den Fall, als dies aber dennoch eintreten sollte,
stellen wir mit Dankbarkeit fest, daß Deutschland in oft erprobter
Treue seiner Bundespflicht eingedenk sein und uns in einem uns auf-
gezwungenen Kampf gegen einen anderen Gegner unterstützen wird.
Nr. 269
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Wien1
«nülsrö
2 59
Nr. 270
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Kaiser1
Berlin, den 27. Juli 19141 2
Ew. k. u. k. M. verfehle ich nicht, in der Anlage Abdruck
der mir soeben vom hiesigen serbischen Geschäftsträger überreichten
Antwort seiner Regierung auf das österreichisch-ungarische Ultimatum3
alleruntertänigst zu unterbreiten.
Jagow
1 Nach dem Konzept von Zimmermanns Hand.
3 Abgesandt durch Boten 930 nachm. Auf der gleichfalls bei den Akten
befindlichen von Jagow vollzogenen Ausfertigung der Vermerk von des
Kaisers Hand: »28. VII. 14«.
; Das bei der serbischen Gesandtschaft in Berlin eingegangene, die Note
übermittelnde Telegramm — Belgrad ab 25. Juli 740 (zu ergänzen nachm.),
sehr dringend, aufgenommen im Berliner Haupttelegraphenamt 26. Juli
85S nachm. — ist bei den Akten des Auswärtigen Amts. Das schlecht leser-
liche Telegramm wurde vom serbischen Geschäftsträger mit kurzem
Begleitschreiben im Laufe des 27. Juli — die genaue Stunde hat sich
nicht feststellen lassen — übergeben und im Amt vervielfältigt. Ein
Abdruck lag dem Kaiser vor; siehe Nr. 271. Wegen Übersendung der
serbischen Antwortnote durch Tschirschky siehe Nr. 347.
Nr. 271
Antwortnote der serbischen Regierung auf das
österreichisch-ungarische Ultimatum1
Le Gouvernement royal serbe a regu la com-
munication du Gouvernement imperial et royal du
io2 de ce mois et il est persuade que sa reponse
eloignera tout malentendu qui menace de gäter les
1 Nach der vom serbischen Geschäftsträger Dr. M. Jowanowitsch dem Aus-
wärtigen Amt im Original mit kurzem Begleitschreiben (Eingangsvermerk
des Ausw. Amts 27 Juli nachm.) überreichten Telegrammausfertigung
(siehe Nr. 270) und der jetzt gleichfalls bei den Akten befindlichen dem
Kaiser zugesandten Abschrift. Der Text des serbischen Blaubuches ist
zum Vergleich herangezogen. Eine Reihe kleiner Verschiedenheiten
ist jedoch nicht berücksichtigt.
Das an die serbische Gesandtschaft in Berlin gerichtete, vom 25. Juli
datierte Telegramm wurde am 26. Juli 858 nachm, im Berliner Haupt-
telegraphenamt aufgenommen. Auf der Abschrift oben der Randvermerk
des Kaisers: »gelesen N. Pal. 28/VII 1914. W.«
2 Serbisches Blaubuch: »10/23«.
260
bons rapports de voisinage entre la Monarchie hon-
groise3 et le Royaume de Serbie. Le Gouvernement
royal est conscient4 que les protestations qui ont
apparu tant k la tribune de la Skoupchtina nationale
que dans les ddclarations et les actes de[s] reprdsen-
tants responsables de TEtat, protestations qui furent
coupees court5 par la declaration du Gouvernement
serbe faite le 186 mars 1909, ne se sont plus renou-
velees vis-ä-vis7 la grande Monarchie voisine en
aucune occasion et que, depuis ce temps, autant de
la part des Gouvernements royaux qui se sont suc~
cede que de la part de leurs Organes, aucune ten-
tative n’a ete faite dans le but de changer T£tat
de choses politique et juridique er66 en Bosnien
Herzegovine.
Le Gouvernement royal constate que sous
ce rapport le Gouvernement imperial et royal r/a
fait aucune representation, sauf en ce qui con-
cerne un livre scolaire et8 au sujet de laquelle9 le
Gouvernement impdrial et royal a re£u une expii-
cation entierement satisfaisante.
La Serbie a de nombreuses fois donnd des
preuves de sa politique pacifiste10 et moderne
pendant la duree de la crise balcanique, et c’esi
gräce k la Serbie et aux sacrifices qu’elle a fait[s]
dans Tinteret exclusif de la paix europeenne que
cette paix a ete preservee. _____
Le Gouvernement royal ne peut pas etre rendu
responsable pour des manifestations cl'un caractere
prive teile[s] que les articles des journaux et le travail
paisible des societes, manifestations qui se produi*
sent dans presque tous les pays comme une chose
ordinaire et qui echappent en regle generale a.u
controle officiel, d'autant moins que le Gouvernement
royal, lors de la solution de toute une serie de
questions qui se sont presentees entre la Serbie et
rAutriche-Hongrie, a montre une grande prevenance
3 Serbisches Blaubuch: »austro-hongroise«.
1 Serbisches Blaubuch: »a conscience«.
5 Für »qui furent coupees court par la declaration« im serbischen Blaubuch
»auxquelles coupa court la declaration«.
6 Serbisches Blaubuch: »18/31«.
•‘7 Serbisches Blaubuch: »vis-a-vis de«.
s Nach serbischem Blaubuch ist »et« zu streichen.
9 Nach serbischem Blaubuch aas Wort: »representation« einzuschalten.
10 Serbisches Blaubuch: »pacifique«
/
2ÖI
et a reussi, de cette fagon, k en regier le plus grand
nombre au profit du progres de[s] deux pays voisins.
C’est pourquoi le Gouvernement royal a etd penible -
ment surpris par les affirmations d’apr&s lesquelles
des persormes11 du Royaume de Serbie auraient parti-
cipe k la prdparation de l’attentat commis ä Sara-
jevo. II s’attendait k ce qu’il soit* 12 in vite k colla-
borer k la recherche de tout ce qui se rapporte k
ce crime et il etait pret, pour prouver par des actevS
son entiere correction, äagir contre toutesles personnes
k l’dgard desquelles des Communications lui seraient
faites.
Se rendant donc au ddsir du Gouvernement
imperial et royal, le Gouvernement royal est dispos£
k remettre au tribunal tont sujet serbe Sans egard
ä sa Situation et k son rang13 pour la complicite
duquel, dans le crime de Sarajevo, des preuves lui
seraient fournies, et specialement il s’engage14 k faire
publier ä la premiere page du «Journal officiel» en date
du 13/26 [juillet]l’enonciation suivante:
«Le Gouvernement royal de Serbie condamnc
toute propagande qui serait dirigee contre TAutriche-
Hongrie, c’est-ä-dire i’ensemble des tendances qui
aspirent en dernier lieu k detacher de la Monarchie
au.[stro]-hongroise de[s] territoires qui en font partie
et il deplore sinc^rement les consequences funestes
de ces agissements criminels.
Le Gouvernement royal regrette que certains
officiers et fonctionnaires serbes aient particip6, d'apres
la communication du Gouvernement imp. et royal, k
la propagande susmentionnee et compromis par Ik les
relations de bon voisinage auxquelles le Gouverne-
ment royal s’etait soiennellement engage par sa
declaration du 3115 mars 1909.
Le Gouvernement qui desapprouve et r£fute16
toute idee ou tentative d’une immixtion dans les
destinees des habitants de quelque partie de LAu-
triche-Hongrie que ce soit, considere17 de son devoir
u Serbisches Blaubuch: »sujets«.
12 Für »ä ce qu’il soit« serbisches Blaubuch: »ä etre«.
13 Satzstellung nach serbischem Blaubuch: »sans egard.......... son rang,
tout sujet serbe«.
14 Serbisches Blaubuch: Neuer Absatz, beginnend: «Il s’engage specialement
a faire publier........»
15 Serbisches Blaubuch: »18/31«.
16 Telegramm: »refudie«, Abschrift »refute*; serbisches Blaubuch: »repudie«
11 Serbisches Blaubuch: »considere qu’il est de son devoir«.
d’avertir formellement les officiers, les fonctionnaires
et toute la population du Royaume que dorenavant
il procedera avec la derniere rigueur contre les
personnes qui se rendraient coupables de pareils
agissements qu’il mettra tous ses efforts k prevenir
et k reprimer.»
Cette dnonciation sera portee k la connaissance
de Parmee royale par un ordre du jour, au nom de
Sa Majeste le Roi par S. A. R. le Prince h^ritier
Alexandre, et sera publiee dans le prochain «Bulletin
officiel de PArmde».
Le Gouvernement royal s'engage, en outre:
i° d’introduire des la premiere convocation re-
guliere de la Skoupchtina une disposition dans la loi
de la presse par laquelle sera punie de la mani&re la
plus sdvere la provocation k la haine et au mepris de
la Monarchie a.-hongroise ainsi que contre toute
publication dont la tendance generale serait dirigde
contre Pintegrite territoriale de PAutriche-Hongrie.
II se Charge, lors de la revision de la Constitution
qui est prochaine, k faire introduire dans l’article 22 de
la Constitution, un amendement de teile Sorte que les
publications ci-dessus puissent etre confisqu^es ce
qui, actueliement, aux termes categoriques de 1’article
22 de la Constitution, est impossible.
2° Le Gouvernement ne possede aucune preuve
et la note du Gouvernement imperial et royal ne
lui en fournit non plus aucune que la societe «Na-
rodna Odbrana» et autres societes similaires aient
commis jusqu’ä ce jour quelque acte criminel de ce
genre par le fait d’un de leursi membres. Nean-
moins, le Gouvernement royal acceptera la demande
du Gouvernement imperial et royal et dissoudra la
societe Narodna Odbrana et toute autre societe qui
agirait contre PAutriche-Hongrie.
30 Le Gouvernement royal serbe s'engage k
eliminer sans delai de l’instruction publique en
Serbie tout ce qui sert ou pourrait servir k fer-
menter la propagande contre PAutriche-Hongrie,
quand le Gouvernement imperial et royal lui four-
nira des faits et des preuves de cette propagande.
40 Le Gouvernement royal acceptera de meme
k eloigner du service militaire18 Penquete judiciaire
aura prouve qu’ils sont coupables d’actes diriges
18 Hier nach serbischem Blaubuch zu ergänzen: »ceux dont«.
263
contre Fint6grit6 du territoire de la Monarchie a.-
hongroise et il attend que le Gouvernement imperial
et royal lui communique ult6rieurement les noms
et les faits de ces officiers et fonctionnaires aux
fins de la proc6dure qui doit s’ensuivre.
50 Le Gouvernement royal doit avouer qu’il
ne se rend pas clairement compte du sens et de la
port6e de la demande du Gouvernement imperial et
royal [tendant k ce] que la Serbie s’engage ä accepter
sur son territoire la collaboration des Organes du Gou-
vernement imperial et royal, mais il declare qu’il
admettra la19 collabot'ation qui repondrait aux prin-
cipes du droit international et k la procedure
criminelle ainsi qu’aux bons rapports de voisinage.
6° Le Gouvernement royal, cela va de soi,
eonsid&re de son devoir d’ouvrir une enquete
contre tous ceux qui sont ou qui, eventuellement,
auraient ete mel£s au complot du 1520 juin et qui
se trouveraient sur le territoire du Royaume. Quant
k la participation de21 cette enquete des agents
des autorit^s au.-hongroises qui seraient delegues ä
cet effet par le Gouvernement imperial et royal, le
Gouvernement royal ne peut pas l’accepter, car ce
serait une violation de la Constitution et de la loi sur
die Gesandtschaft la procedure criminelle. Cependant, dans des cas
kann ja mit Con- concr&tes22 des Communications sur les resultats de
trolle beauftragt Finstruction en question pourraient etre donnees
werden! aux organes a.-hongrois.
70 Le Gouvernement royal a fait proceder, des
le soir meme de la remise de la note, k Farrestation
du commandant Voislav Tankositsch; quant ä
Milan Ciganowitsch qui est sujet de la Monarchie
a.-hongroise et qui, jusqu’au 15/20 juin, 6tait employe
(comme aspirant) a la direction des chemins de fer,
il n’a pas pu encore etre pris. Le Gouvernement
imperial et royal est prie de vouloir bien, dans la
forme accoutumee, faire connaitre le plus tot pos-
sible les presomptions de culpabilitö ainsi que les
preuves eventuelles de leur culpabilite qui ont et£
recueiliies jusqu’ä ce jour par l’enquete ä Sarajevo
aux fins d'enquetefs] ult6rieure[s].
8° Le Gouvernement serbe renforcera et 6tendra
les mesures prises pour empecher le trafic illicite
19 Serbisches Blaubuch: »toute collaboration«.
i0 Serbisches Blaubuch: «15/28».
21 Anstatt »ä«.
•*2 Anstatt »CQncrets«.
cTarmes et d’explosifs ä travers la frontiere; il va
de soi qu’il ordonnera de suite une enquete et
punira severement les fonctionnaires des fronti£res
sur la ligne Schabatz-Losnitza qui ont manque k
leur devoir et laisser passer les auteurs du crime
de Sarajevo.
9° Le Gouvernement royal donnera volontier-
des explications sur les propos que ses fonctionnaires
tant en Serbie qu’ä Petranger, ont eu[s] apres Patten-
tat dans des entrevues et qui, d’apres Faffirmation
du Gouvernement imp. et royal, ont 6t6 hostiles
envers la Monarchie, des que le Gouvernement imp. et
royal lui aura [communique] les passages en question
de ce[s] propos, et des qu’il aura demontr6 que les
propos employes ont en eff et ete tenu[s] par les io23 * 25'
fonctionnaires, [propos] au sujet de quoi24 le Gouver-
nement royal iui-meme aura soin de recueiilir des
preuves et convictions.
io°. Le Gouvernement royal informera le Gouver-
nement imp. et royal de Fexecution de[s] mesures
comprises dans les points precedents en tant que
cela n’a pas 6te dejä fait par la presente25 note,26
aussitöt que chaque mesure aura 6te ordonnee et
executee.27 28
Dans le cas oü le Gouvernement imp. et royal
ne serait pas satisfait de cette reponse, le Gouverne-
ment royal serbe, consid^rant quhl est de
Tint6ret commun de ne pas precipiter la solution^
de ces questions, est pret, comme toujours, d’accepter
une entente pacifique, soit en remettant cette
question k la decision du tribunal international de
la Haye, soit aux grandes Puissanc.es qui ont pris
pari k Telaboration de la declaration que le Gon
vernement serbe a faite le 18/31 mars 1909.
Eine brillante Leistung für eine Frist von blos 48 Stunden
Das ist mehr als man erwarten konnte!
Ein großer moralischer Erfolg für Wien; aber damit
fällt jeder Kriegsgrund fort, und Giesl hätte ruhig
in Belgrad bleiben sollen! Daraufhin hätte ich niemals
Mobilmachung befohlen! yy 28
23 So irrig für »dits«.
u Anstatt »desquels«.
25 Anstatt »precedente«.
26 Punkt statt Komma, mit folgendem neuen Satze.
27 Statt Punkt steht hier Komma und die folgenden Sätze sind im Serk
Blaubuch unmittelbar angeschlossen.
28 Siehe Handschreiben des Kaisers vom 28. Juli io° vorm, [flr. 293].
265
Nr. 272
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in London1
Telegramm 182 Berlin, den 27. Juli 19141 2
Italienische Regierung hat in Wien bundesfreundliche Haltung
zugesagt und hier entsprechende Mitteilung gemacht.
Jagow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Bergens Hand.
2 io° nachm, zum Haupttelegraphenamt.
Nr. 273
Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter
in Rom1
>«■' -
Telegramm 24 Berlin, den 27. Juli 19142
Fürst Lichnowsky telegraphiert:
»Wie ich im Foreign Office ...... entspräche nicht den
den Tatsachen«3.
Bitte dort immer aufs neue darauf hin weisen, daß gerade in
der Geschlossenheit des Dreibunds nach außen sicherste Gewähr für
eine seinen Interessen entsprechende Lösung der Krisis hegt.
Jagow
1 Nach dem Konzept. Entwurf von Bergens Hand.
2 io° nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Hier ist Lichnowskys Telegramm vom 26. Juli (Nr. 237) eingefügt.
JNr. 274
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 169 Petersburg, den 27. Juli 19142
Militärattache meldet: Schwedischer Konsul Riga berichtet:
Düna-Münde ist von Minen gesperrt. Im Gebiet von Riga werden alle
Waggons entladen und der Militärverwaltung zur Verfügung gestellt.
Pourtales
1 Nach der Entzifferung,
2 Aufgegeben in Petersburg 27. Juli 717 nachm., angekommen im Aus-
wärtigen Amt io30 nachm.; Eingangsvermerk: 28. Juli vorm. Am 28. Juli
dem Generalstab, Admiralstab, Reichsmarineamt und Kriegsministerium
mitgeteilt; abgesandt durch Boten n45 vorm.
Nr. 275
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1
Telegramm 170 Petersburg, den 27. Juli 19142
Konsul Kiew meldet, heute nacht Artillerie in westlicher Richtung
abmarschiert, Kommandeur 11. Kavallerie-Division nach Garnisonort
Dubno abgereist. Börse stark beunruhigt, sonst öffentliche Meinung
nicht besonders erregt, die Presse gemäßigt, Streikagitation im Gange,
Konsulatschutz verstärkt. p .
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Petersburg 27. Juli 743 nachm., angekommen im Aus-
wärtigen Amt io30 nachm.; Eingangsvermerk: 28. Juli vorm. Am 28. Juli
dem General stab, Admiralstab, Reichsmarineamt und Kriegsministerium
mitgeteilt, abgesandt durch Boten u45 vorm. Entzifferung am 28. Juli an
den Kaiser gesandt.
Nr. 276
Der Generalkonsul in Warschau an das Auswärtige Amt1
Telegramm 13 Warschau, den 27. Juli 19142
Alle Truppen sind aus den Manövern zurückberufen worden; viel
Infanterie, außerdem Ulanen auf dem Brester Bahnhof angeblich
nach Lublin und Kowel verladen; während der ganzen Nacht auf der
Brest-Litowsk-Chaussee verkehren hunderte von Militärautomobilen;
bisher sind keine Reservisten ein berufen; gestern flog das Geschoß-
magazin bei der Zitadelle in die Luft. Brück 1 2
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Warschau 27. Juli 346 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 11° nachm.; Eingangsvermerk: 28. Juli vorm. Am 28. Juli gemäß
Randverfügung Zimmermanns dem Generalstab, Admiralstab, Reichsmarine-
amt, Kriegsministerium mitgeteilt, abgesandt durch Boten u45 vorm.
267
Nr. 277
Der Reichskanzler an den Botschafter in Wien1
Telegramm 169 Berlin, den 27. Juli 19141 2
Fürst Lichnowsky telegraphiert soeben3:
Sir E. Grey ließ mich soeben kommen und bat mich, Ew. Exz.
nachstehendes zu übermitteln.
Der serbische Geschäftsträger habe ihm soeben den Wortlaut
der serbischen Antwort auf die österreichische Note übermittelt4.
Aus derselben gehe hervor, daß Serbien den österreichischen
Forderungen in einem Umfange entgegengekommen sei, wie er es
niemals für möglich gehalten habe; bis auf einen Punkt, der Teil-
nahme österreichischer Beamter an den gerichtlichen Unter-
suchungen, habe Serbien tatsächlich in alles eingewilligt, was von
ihm verlangt worden sei. Es sei klar, daß diese Nachgiebigkeit
Serbiens lediglich auf einen Druck von Petersburg %urück-
^ufUhren sei5.
Begnüge sich Österreich nicht mit dieser Antwort, bzw.
werde diese Antwort in Wien nicht als Grundlage für friedliche
Unterhandlungen betrachtet, oder gehe Österreich gar zur Besetzung
von Belgrad vor,, das vollkommen wehrlos daliegt, so sei es voll-
kommen klar, daß Österreich nur nach einem Vorwand suche, um
Serbien zu erdrücken. In Serbien solle aber alsdann Rußland
getroffen werden und der russische Einfluß auf dem Balkan. Es
sei klar, daß Rußland dem nicht gleichgültig Zusehen könne und
es als eine direkte Herausforderung auffassen müsse. Daraus
würde der fürchterlichste Krieg entstehen, den Europa jemals
gesehen habe, und niemand wisse, wohin ein solcher Krieg
führen könne.
Wir hätten uns, so meinte der Minister, wiederholt und so
noch gestern6 mit der Bitte an ihn gewandt, in Petersburg in
mäßigendem Sinne vorstellig qu werden. Er habe diesen Bitten
stets gern entsprochen und sich während der letzten Krise Vor-
würfe aus Rußland zugezogen, daß er sich zu sehr auf unsere und
zu wenig auf ihre Seite stelle. Nun wende er sich mit der Bitte
an uns, unseren Einfluß in Wien dahin zur Geltung zu bringen,
daß man die Antwort aus Belgrad entweder als genügend betrachte
oder aber als Grundlage für Besprechungen. Er sei überzeugt,
daß es in unserer Hand liege, durch entsprechende Vorstellungen
1 Nach dem Konzept von der Hand des Reichskanzlers.
3 1150 nachm, zum Haupttelegraphenamt, dort abgefertigt 28. Juli 1246 vorm.,
auf der Botschaft in Wien angekommen 530 vorm.
3 Siehe Nr. 258 und 258 Anm. 2.
4 Abgedruckt im österreichisch-ungarischen Rotbuch I Nr. 25. Französischen
Text siehe auch Nr. 271.
5 In der dem Kaiser vorgelegten Abschrift am Rand Fragezeichen des Kaisers.
* Siehe Nr. 199 und 218.
die Sache zu erledigen, und er betrachte es als eine gute Vor-
bedeutung für die Zukunft, wenn es uns beiden abermals gelänge,
durch unseren beiderseitigen Einfluß auf unsere Verbündeten den
Frieden Europas gesichert haben1.
Ich fand den Minister zum ersten Male verstimmt. Er sprach
mit großem Ernst und schien von uns auf das Bestimmteste zu
erwarten, daß es unserem Einfluß gelingen möge, die Frage beizu-
legen. Er wird auch heute ein Statement im House of Commons
machen, worin er seinen Standpunkt zum Ausdruck bringt. Auf
jeden Fall bin ich der Überzeugung, daß, falls es jetzt doch noch
zum Kriege käme, wir mit den englischen Sympathien und der
britischen Unterstützung nicht mehr zu rechnen hätten, da man in
dem Vorgehen Österreichs alle Zeichen üblen Willens erblicken würde.
Nachdem wir bereits einen englischen Konferenzvorschlag ab-
gelehnt haben, ist es uns unmöglich, auch diese englische Anregung
a limine abzuweisen. Durch eine Ablehnung jeder Vermittelungs-
aktion würden wir von der ganzen Welt für die Konflagration ver-
antwortlich gemacht und als die eigentlichen Treiber zum Kriege
hingestellt werden. Das würde auch unsere eigene Stellung im
Lande unmöglich machen, wo wir als die zum Kriege Gezwungenen
dastehen müssen. Unsere Situation ist um so schwieriger, als Serbien
scheinbar sehr weit nachgegeben hat. Wir können daher die Rolle
des Vermittlers nicht abweisen und müssen den englischen Vorschlag
dem Wiener Kabinett zur Erwägung unterbreiten, zumal London und
Paris fortgesetzt auf Petersburg ein wirken. Erbitte Graf Berchtolds
Ansicht über die englische Anregung, ebenso wie über Wunsch Herrn
Sasonows, mit Wien direkt zu verhandeln8.
Bethmann Hollweg
7 Siehe Nr. 265 und 278.
* Siehe Nr. 400.
Nr. 278
Der Reichskanzler an den Botschafter in London1
Telegramm 183 Berlin, den 27. Juli 19142 3
In dem von Sir Edward Grey gewünschten Sinne haben wir Ver-
mittelungsaktion in Wien sofort eingeleitet. Außer dieser englischen
Anregung haben wir überdies Graf Berchtold auch den Wunsch
Sasonows auf direkte Aussprache mit Wien unterbreitet.
Be thmann Holl weg 1 * 3 *
1 Nach dem Konzept von der Hand des Reichskanzlers. — Vgl. deutsches
Weißbuch vom Mai 1915, S 31, Nr. 15.
a ii50 nachm, zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 258 und 277.
Reichsdruckerei, Berlin.