Der Großteil der 3. italienischen Armee entkam in der Nacht zum 31. Oktober über den Hochwasser führenden Fluß. Sie bildete später den Kern des italienischen Widerstandes an der neu ausgebauten Piavesront. Immerhin kapitulierten bei Codroipo am 31. Oktober 60.000 Mann mit vielen hunderten Geschützen. Erst am 2. November abends gelang es der k. u. k. 55. ID. der Gruppe des G. d. I. Alfred Krauß, als erste Division den Strom bei Cornino zu überschreiten. Das Hochwasser fiel, der feindliche Widerstand wurde immer schwächer, und so vermochte am 4. und 5. No¬ vember auch bei Codroipo und Latisana das Westufer des Flusses genommen zu werden. Auf der ganzen Linie wurde die Verfolgung eingeleitet. Inzwischen war auch im Norden vor der Kärntner Front der k. u. k. 10. Armee, GO. Frh. v. Krobatin, der italienische Widerstand zusammengebrochen. Die Auswirkung auf die Tiroler Ostfront konnte nicht aus¬ bleiben. Die 4. italienische Armee begann am 4. November ihre zum größten Teil seit Kriegs¬ beginn innehabende Dolomitenstellung zu räumen. Cadorna machte, wie er später erklärt hat, am Tagliamento nur einige Tage halt, um sein Heer einigermaßen in Ordnung zu bringen. „In der Tat", so berichtet er, „die vier Tage Halt auf dieser Linie genügten, so daß das Heer den Rückzug in Ordnung und in einem schon viel besseren Geiste wieder antrat." Von vornherein will Cadorna den Rückzug bis hinter den Piave geplant haben, weil wegen des allzu ausgedehnten Tagliamentoabschnittes nach der Vernichtung der 2. Armee eine Verteidigung mit der 3. Armee allein aussichtslos schien. Vor allem aber befürchtete er durch einen Vorstoß Conrads aus dem Trentino die Einkreisung des Gesamtheeres in der venetianischen Ebene. Am Piave aber wollte er ent¬ schlossenen Widerstand leisten. Die Piavestellung und besonders das Grappamassiv hatte der vorsichtige und weitblickende italienische Oberfehlshaber schon im Frühjahre 1917 planvoll ausgestalten lassen, noch am 18. Oktober persönlich inspiziert und ihre Verteidigung ent¬ gegen den Vorschlägen Fochs durchgesetzt. In der venetianischen Tiefebene standen die Verbündeten am 6. November an der all ihrer Übergänge beraubten Livenza. Das Kommando der Südwestfront hatte in einem am 4. No¬ vember eintreffenden Befehle nunmehr die Brenta als das mindestens zu erreichende Ziel bezeichnet. Der 10. Armee Krobatin wurde der Oberlauf des Piave (Belluno—Feltre) zugewiesen, um mit der Heeresgruppe des FM. Frh. v. Conrad zusammenzuwirken, die am 10. November von Südtirol über Asiago vorbrechen sollte. Die 14. Armee Below hatte südlich von der 10. Armee mit dem rechten Flügel längs des oberen Piave vorzugehen. Auf dem linken Heeresflügel sollte die Heeresgruppe Boroevic Venedig in Besitz nehmen. Das Anfangsziel einer Stellungsverbesserung wuchs angesichts des steigenden Erfolges ins Weite. Im Laufe des 9. und 10. November hielten die beiden Isonzoarmeen am Ostufer des infolge des neuerlichen Schlechtwettereinbruches hochgehenden Piave, dessen Brücken die am jenseitigen User abwehrbereiten Italiener in die Luft gesprengt hatten. Der Feind hielt die Räume nächst den Übergangsstellen unter dem Feuer mittlerer und leichter Artillerie. Er schien sich zu längerem Widerstände einzurichten: er legte Drahthindernisse an, schanzte fieber¬ haft, seine Fesselballons waren hoch, und italienische Flieger erschienen über den Übergängen und warfen Bomben. Die 14. Armee erreichte gleichfalls bis zum 10. November über Feltre— Conegliano den mittleren Piave. Hinter dem Strome hatte sich die 3. italienische Armee vom Meere bis zum Montello (südlich von Conegliano) zur Verteidigung bereitgestellt. Westlich schloß die aus den Dolo¬ miten zurückgewichene 4. Armee an; ihr fiel auch die Besetzung des Mt. Grappa zwischen dem Oberlaufe des Piave und der oberen Brenta zu. An der Brenta schloß sich mit der Front gegen Norden die 1. Armee gegenüber Südtirol an. Die Trümmer der 2. Armee sammelten sich hinter der 3. und 4. Armee. Graf Cadorna schied vom Oberbefehlshaberposten; er wurde als Vertreter Italiens Mit¬ glied des neugeschaffenen interalliierten Rates, eine Verwendung, die einer Absetzung, gleich¬ kam. Als Nachfolger zog der im Range noch junge GL1. Diaz, der Kommandant des XXIII. italienischen Armeekorps, im Hauptquartier von Treviso ein. Am 9. November verließ Cadorna das Heer, wie er mit reichlicher Selbstzufriedenheit sagt, „mit dem Bewußtsein, die Ausgabe erfüllt zu haben, die das Geschick ihm zum Heile des Vaterlandes auferlegt hatte. Meine Rolle schließt nicht bei Caporetto (Karsreit) ab, sondern am Piave. Es ist mein berechtigter Stolz, daß ich meine militärische Laufbahn nicht in der dunklen Stunde eines augenblicklichen moralischen Zusammenbruches, sondern in einer Stunde beschlossen habe, als die Armee sich wieder auf ihre hohe Aufgabe besonnen und durch einen unüberwindlichen Widerstand den Grund zu dem Sieg gelegt hat, der ein Jahr später bei Vittorio-Veneto ihr zufiel 1 v. Kühl, Der Weltkrieg, II., 213. 234