Das Beziehen der Dauerstellung und das Nachstoßen der Italiener (24. bis 30. Iuni 1916) Skizzen 10, 11 An demselben 24. Juni, an dem auf Falkenhayns Befehl die Blutpumpe vor Verdun ihre unheilvolle Arbeit einschränkte, am selben 24. Juni, an dem der sechs Tage wütende Feuersturm den Großangriff an der Somme einleitete, begann die Zurücknahme der Front der Südtiroler Heeresgruppe. Der Moskowiteransturm bei Luck und in Ostgalizien hatte die entscheidungs¬ volle Wendung gebracht. Mancher fragte sich aber schon dazumal — unter den Ein¬ drücken des immer langsameren Tempos der Offensive stehend —, ob diese nicht schon vor Ausbruch der Krise im fernen Nordosten oder überhaupt unabhängig von ihr den Höhepunkt erreicht hatte. „Wirft man", so urteilt das Archivwerk, „einen Blick auf die Ursachen, die auf der Wal¬ statt selbst zu den verschiedenen Enttäuschungen oder Rückschlägen führten, so ist für die Südtiroler Offensive vor allem daran zu erinnern, daß sich die Truppe in den Kämpfen des Jahres 1915 vor allem, und zwar grundsätzlich richtigerweise, daran gewöhnt hatte, die Haupt¬ vorbedingung für den Erfolg eines Angriffes in entsprechend gründlicher Artilleriewirkung gegen den'Verteidiger zu erblicken. Die Sorge, daß die eigene Artillerie zu weit zurückbleiben könnte, nahm dem Vorgehen manchen Schwung, der sonst durchaus dem Temperament der Kämpfer entsprochen hätte. Dazu kam die durchaus menschliche, aber zu Zeiten falsch angewandte Parole, Verluste um jeden Preis zu vermeiden. Beides verleitete die Führung zu einer Methodik, die die Ausnützung der ersten, überaus glänzenden Erfolge beeinträchtigte. Hätte der Angreifer seinen Druck in der Linie Arsiero—Asiago pausenlos fortzusetzen ver¬ mocht, dann hätte den feindlichen Feldherrn seine übrigens anerkennenswert große Fassung möglicherweise schon früher verlassen. Um die Monatswende betrachtete Cadorna die Krise wohl zum erheblichsten Teile für überwunden, und die am 1. Juni einlangende Nachricht, daß die Hilfe des Zaren nicht vergeblich angerufen worden sei, tat ein übriges, den schon stark gesunkenen Mut der Italiener zu heben. Sie behielten ihre dritte Stellung dank den herangeholten Verstärkungen fest in ihrer Hand... Jedenfalls war nun, da man früher oder später ans Anhalten denken mußte, jeder weitere Schritt, den die 11. und die 3. Armee noch nach Süden taten, nicht zu rechtfertigten. Es ist sogar fraglich, ob in diesem Augenblicke selbst das Gewinnen des Höhenrandes den Feind noch zum Verlassen seiner Isonzostellungen genötigt hätte. Gewisse Jdeengänge Cadornas über eine Manöverschlacht in der Ebene sprechen dagegen. Dafür hätte aber die öst.-ung. Aufstellung eine kräftefordernde, für die Abwehr ungünstige Linienführung erhalten, deren Behauptung auch wegen der schwierigen Nachschubs¬ verhältnisse nur dann gerechtfertigt gewesen wäre, wenn man an eine baldige Fortsetzung des Angriffes hätte denken können. Erkenntnisse dieser Art nötigten denn auch, nach dem Abbruch der Offensive eine Reihe schwer errungener Punkte zu räumen und die Armeen hinter die Posina und hinter die untere Assa zurückzuführen, um dort eine taktisch bessere und vor allem kräftesparende Stellung zu beziehen. Zähneknirschend, mit schwer verhaltenem Ingrimm, folgte die Truppe dieser Weisung der Führung. Sie war am Ende des zweiten Kriegsjahres mit ehrlichster Begeisterung zu dem schon durch Gelände und Klima außerordentlich schwierigen Kampfe angetreten und hatte geleistet, was überhaupt zu leisten war. Söhne aller Völker des großen Reiches hatten an den stolzen Erfolgen Anteil, ihnen voran die Deutschösterreicher aus den Alpenlanden, mit denen wie immer auch wieder Kämpfer aus Deutschböhmen im Streiten und Erdulden wetteiferten1 Und so sollte denn am 24. Juni der Rückzug beginnen. Die Fünfzigjahrfeier der Schlacht von Custozza hatte man sich noch vor etlichen Wochen anders gedacht. In der Nacht aus den 25. Juni hatte die 11. Armee in die Hauptstellung Zugna Torta—Valmorbia—Pasubio—-C. del Coston—Posinalinie zurückzugehen. Die 1 Österreich-Ungarns Letzter Krieg, IV., 723, 355, 356. 89