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Schlachten des Weltkrieges
In Einzeldarstellungen bearbeitet
und herausgegeben
im Austrage des Michsarchivs
Äand Z
Antwerpen 1914
Oldenburg i.D. / 25 er (in 1925
Druck und Verlag von Gerhard Stallins
Gründungs jähr der Firma 1789
Antwerpen 1914
ilnter Venuhung der amtlichen Quellen des Michsarchivs
Mit 7Karten, 3 Textskizzen, 3 Anlagen und 16 Abbildungen
Äearbelter: Erich v. Tschischwitz,
Generalleutnant,
s.Zt. l.Generalstabsosfizier
beim III. Reservelorps
2. Auflage.
Oldenburg i. O. / 25erlin 19 25
Druck und Verlag von Gerhard Stalling
Gründungsjahr der Firma 1789
2Gb832
Druck und Verlag von Gerhard
Stalling, Oldenburg i.O>,
Übersehung, sowie alle anderen
Rechte vorbehalten.
Copyright 1925 by Gerhard
Stalling, Oldenburg i.O.
(Gesamtumfang einschließlich der Kriegs-
gliederung 112 Seiten.)
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Vorwori des Reichsarchivs zur 2. Auflage.
Die in dem Vorwori zur 1. Aufloge ausgesprochene Vermutung,
daß das Bedürfnis nach Einzeldarstellungen von Schlachten wachsen
werde, je mehr die Erinnerung verwische, und je mehr der zunehmende
Abstand von dem gewaltigen Erleben Muße zu rückschauenden Betrach-
iungen bringe, hat sich als zutreffend erwiesen. Mit jedem seit dein
Ende des Weltkrieges dahingegangenen Jahre hat die Schristenfolge eine
zunehmende Verbreitung gefunden, so daß heute die Herausgabe einer
2.,alle bisher erschienenen Bände umfassenden Auflage, und zwar in einer
gegenüber der 1. Auflage mehrfach gesteigerten Höhe, notwendig wird.
Das Reichsarchiv darf in der zunehmenden Verbreitung der Schrif-
tenfolge den Beweis dafür erblicken, daß es einem Bedürfnis weiter
Volkskreije entgegenkam, als es sich mit diesen Einzeldarstellungen das
Ziel letzte, in historisch getreuer Wiedergabe den inneren Zusammenhang
der gewaltigen Kämpfe vorzuführen, in denen das deutsche Volk in un-
vergeßlicher Hingabe Blut und Leben eingesetzt hat. Das Bestreben, die
Einzeltaten deutscher Männer vor Vergessenheit bewahren zu helfen und
den Helden des Krieges ein Denkmal ihres Ringens und Sterbens zu
setzen, hat überall Zustimmung und Unterstützung gesunden. Es war
sogar möglich, vermittels einer mit gesammelten Geldmitteln errichteten
„Bücherspende" zahlreiche Volks- und Schulbibliotheken mit den ersten
7 Bänden der Schristenfolge kostenlos zu verforgen. Leider hat jedoch die
Inflation vorzeitig dieses Werk zerstört, für dessen Unterstützung den
Spendern auch hier gedankt sei.
In zahlreichen Besprechungen der Presse ist der Schristenfolge aus-
nahmslos viel Anerkennung ausgefprochen worden. Einzelne der er-
schienen?« Bände haben in ungewöhnlichem Maße Beifall gefunden.
Trotzdem wird stets weitere Vervollkommnung der Darstellungen an-
zustreben sein. Eine Schlacht des Weltkrieges erschöpfend und klar zu
schildern, hat sich, nicht zuletzt in Hinsicht auf die vielfach ungenügenden
Unterlagen, als eine ungemein langwierige und mühsame Arbeit er-
wiesen. Die gesammelten Erfahrungen, wobei auch aus dem Leserkreise
dankenswerte Anregungen kamen, werden nutzbar verwendet werden
6
können. Auch ist zu hoffen, daß die einzelnen Bände zukünftig In
schnellerer Folge erscheinen.
Nachdem nunmehr noch im Laufe dieses Jahres der erste Band
des großen, zusammenhängenden Werkes des Reichsarchivs über den
Weltkrieg herausgegeben werden kann, wird erstrebt, die Schriftenfolge
„Schlachten des Weltkrieges" mit diesem Werke in eine ergänzende Be-
ziehung zu bringen. Jenes zusammenhängende Werk wird sich in Hin»
ficht auf die Fülle des zu behaiÄelnden Stoffes nur in sehr großen Zügen
mit dem Verlauf der einzelnen Kampfhandlungen befassen können. Die
Schlachtendarstellungen dieser Schriftenfolge sollen an dem großen dort
gezeichneten Rahmen ansetzen und die Schilderung der Ereignisse bis in
die letzten Einzelheiten fortführen.
Auch in Zukunft wird das nur möglich fein, wenn die Mitkämpfer
auf Grund persönlicher Erinnerungen und Aufzeichnungen die amtlichen
Unterlagen des Reichsarchivs vervollständigen. Wie bisher wird die
Schriftleitung (Abteilung G, Archivrat Soldan) für jede in Arbeit ge-
nommene Schlachtendarstellung die Teilnehmer an den Kämpfen zur
Mitarbeit auffordern. Das Reichsarchiv gibt sich der Hoffnung hin, daß
diese Aufforderungen wie bisher von Erfolg begleitet fein werden.
All denen aber, die durch Hergabe von persönlichen Aufzeichnungen,
durch Beantwortung von Fragebogen oder in mündlichem Gedanken-
austausche unsere Arbeit unterstützten, sei herzlich gedankt. Vor allen
anderen gebührt schließlich Dank den Schriftstellern und allen Offizieren,
die ihre bewährte Kraft in den Dienst der Schriftenfolgu stellten, indem
sie die historische Erforschung des Verlaufs einer Schlacht übernahmen.
Möge der Kreis dieser Mitarbeiter sich immer weiter ausdehnen! In
Hinsicht aus die endlos lange Kette der Schlachten des Weltkrieges bleibt
noch unendlich viel zu tun, damit hier, wie es bei Errichtung dieser
Schriftenfolge ausgesprochen wurde, dem deutschen Volke lebendig ent-
gegentritt, was es in vier langen, harten Kriegsjahren ertragen und gs-
»eistet hat, damit hier für kommende Geschlechter ein historisch getreues
und möglichst vollkommenes Bild von der Größe und Härte unseres
Verzweiflungskampfes entstehen kann.
Der Präsident des Reichsarchws
v. M e r tz.
Inhalt-
Geleitwort......... . .......................9
Einführung..................... 11
Die Lage auf dem deutschen rechten Keeresfliigel. Das III. Reserve-
Korps nördlich Brüssel zur Beobachtung der Festung (23. 8. bis
26. 9. 1914) .........................13
Der Angriffsplan . .......................23
Die Truppenverteilung und die einleitenden Kämpfe (26. 9. bis 3V. 9.) 29
Der Durchbruch durch den äußeren Fortgürtel bei Wavre-Ste. Catherine
(1. bis 2. 10.) und das Vordringen bis zur Nethe (4. 10.) ... 38
Der Netheübergang (4. bis 6. 10.) ..............55
Die Ereignisse auf dem linken Flügel (37. Landwehr-Brigade) bis zum 6.10. 70
Die Lage in Antwerpen am 6. und 7. 10. . ..........73
Bis zur Kapitulation (7. bis 9. 10.) ................77
Die Kapitulation (9. bis 10. 10.)..............88
Die Verfolgung (10. bis 18. 10.)..............94
Schlußbetrachtung ..................................96
Namenverzeichnis..........................103
Kartenbeilagen.
Skizze 1 Llbersichtsskizze.
Skizze 2 Antwerpen mit erstem Aufmarsch der schweren Artillerie.
Skizze 3 Aufmarsch der Angriffstruppen und die Lage bis 30. 9. abends.
Skizze 4 Der Kampf um die äußere Fortlinie (Lage am 2.10, abends) und
Vordringen gegen den Nethe-Abschnitt.
Skizze 5 Die Lage nach dem Überschreiten der Nethe-Linie am 6. 10. abends
und Vordringen gegen die innere Frontlinie.
Skizze 6 Die Lage bis zum 8. 10.
Skizze 7 Die Lage am 9. und 10. 10.
Textskizzen. ^
Zur Belagerung Antwerpens durch Alexander Farnese.......12
Lage in Gegend Lierre am 4. 10. abends . . . ........57
Lage in Gegend Lierre am 5. 10. abends ........ 59
Anlagen. Seite
Anlage l Kriegsgliederung der Belagerungsarme«. (In Kartentasche.)
Anlage 2 Übersicht über die Leistungen der Belagerungs-Artillerie.
Wirkung der Beschießung auf die Panzertürme der Forts 105
Anlage 3 Die Kapitulationsbedingungen...........107
3
Bilder.
Tafel I:
General v. Beseler.
Tafel II:
1. Fort Wavre-Ste. Catherine. Anficht der linken Forthälste nach der
Beschießung.
2. Fort Wavre-Ste. Catherine. Ansicht des Eingangs. Wirkung eines
42-cm-Geschosses.
3. Fort Wavre-Ste. Catherine. Betondecke der Kaserne durch 42-cm^
Geschoß durchschlagen.
4. Fort Wavre-Ste. Catherine. Blick auf den Wassergraben. Ein durch
42-cm-Geschoß zerstörter 15-em-Panzerturm
Tafel III:
1. Fort Waelhem. Ansicht des Vorgeländes und Wassergraben. Anter-
schossener 12-cm-Panzerturm.
2. Fort Koningshoyckt. 5,7-ein-Panzerturm unterschossen. Der behelfs-
mäßige Schutz des Panzers ist durch den Schuß freigelegt.
3. Fort Lierre. Zerstörung eines 12-cm-Panzerturms. Freilegung des
Munitionslagers.
4. Fort Lierre. Wirkung eines 42-ciQ-Geschosses gegen einen 15-cm-
Panzerturm.
Tafel IV:
1. Fort Chemin de fer. Ein zerstörter 5,7-cm-Panzerturm
2. Fort Chemin de fer. Der durch zwei Treffer zerstörte Eingang.
3. Überschwemmungsgebiet an der Nethe. Im Hintergrund Fort
Broechem.
Tafel V:
1. Fort Kessel. Im vorderen Panzerturm Steckschuß eines 30,5-cm-
Geschosses.
2. Fort Kessel. Die durch zwei Treffer zerstörte Äauptkaserne.
3. Fort Broechem. Wassergraben und Vorgelände. Im Vordergrund
ein ünterschossener 5,7.cln-Panzerturm.
4. Fort Broechem. Die durch 42-cm°Geschoß zerstörte Äauptkaserne»
Tafel I.
Nikolaus Perscheid phot.
von Beseler, Generaloberst
Geleitwort.
die vorliegende Schrift wette Verbreitung finden
undim deutschen Volke die Erkenntnis stärken helfen,
daß unvergleichliche Hingebung den Krieg glücklich
begann, den widrige Llmstände so schmerzlich für
Deutschland enden ließen, und daß Opfermut und
der Wille zum Sieg selbst einen übermächtigen
Gegner bezwingen können.
Der Name Antwerpen ist für alle Zeiten unauslöschlich ver-
knüpft mit der Erinnerung an den Heldenmut des III. Reserve-
Korps. Neben den Brandenburger Truppen gebührt aber auch höchstes
Lob den an ihrer Seite kämpfenden Verbänden, insbesondere der
schweren und schwersten Artillerie. Ihnen allen sei noch einmal der
Dank des Vaterlandes dargebracht!
25. August 1920.
v. Beseler,
Generaloberst.
ntwsrpen ist eine Stadt, deren Geschichte von
Ruhm und Reichtum, aber auch von Nieder-
EX^£&|ijp gang und schweren Heimsuchungen zu erzählen
mliv|i|l weiß. Belagert, zerstört, wieder aufgebaut, —
gestern blühende Hansastadt, heute in Schutt
und Asche versunken. So wechselte der Gang
• j,er Jahrhunderte ihr Schicksal. Friesen, Dänen,
Normannen, Spanier, Franzosen, Österreicher, Deutsche, Eng-
Zünder und Niederländer, alle haben sie ihr Waffenglück an der
Scheldefeste versucht. Mancher Belagerer hat unverrichteter Dinge
abziehen müssen, aber auch manchem hat sie, bezwungen, ihre
Tore öffnen müssen.
Von den früheren Belagerungen interessiert uns am meisten
der von S ch i l l e r in seiner „Geschichte des Abfalles der Nieder-
7ande" geschilderte Kampf des spanischen Statthalters A l e x a tx»
der Farnese von Parma in den Iahren 1584/85.
Der Herzog von Parma hatte sich aus mannigfachen Gründen
entschlossen, die befestigten Niederländischen Städte durch Aus-
hungerung zur Übergabe zu zwingen und dadurch die Unter-
werfung des ganzen Landes herbeizuführen. Als letzte der Städte
kam Antwerpen an die Reihe, die zugleich auch die größte war.
Bei allen diesen Belagerungen versuchte er, die Lebensmittel-
zufuhr auf den Flüssen und Kanälen zu unterbinden, an denen
das Land so reich ist. Um den Verkehr auf der Scheide, der
Lebensader Antwerpens, zu sperren, wollte er sich zunächst in den
Besitz der beiden Scheldeforts Liefkenshoek und Lillo setzen; dies
gelang ihm aber nur bei ersterem. Er kam dann auf den Ge-
danken, durch einen Brückenbau den Verkehr auf dem Fluß lahm
zu legen. Mit außerordentlicher Zähigkeit hielt er trotz mancher
Antwerpen 1914.
Rückschläge an diesem Plan fest, der ihn bis dicht an sein Ziel
führte. Als die Antwerpener die ihnen drohende Gefahr er-
kannten, versuchten sie als letzten Ausweg, durch Überschwemmung
Text-Skizze 1
des Gebietes nördlich der Stadt eine Verbindung mit dem See-
land herzusteuen. Dazu war nötig, den sich von der Schelde bis
Stabroek hinziehenden sogenannten Covensteinschen Wall zu durch-
stechen. Der Herzog hatte dies aber vorausgesehen und durch ent-
sprechende Befestigungen vorgebeugt. Noch in letzter Minute
tonnte er die Pläne seiner Gegner vereiteln. Die Zufuhr war
envgültig verhindert, die Bewohner der Stadt dem Verhungern
nahe. Die Festung mußte kapitulieren.
Fünf Vierteljahre hatte die Belagerung gedauert. Jahr-
Die Lage auf dem deutschen rechten KeereSflllgel.
!Z
hunderte sind seitdem vergangen. Neue Stürme brausten über die
Stadt hinweg. Und wieder schlug die Schicksalsstunde der Festung.
1914! Ein Orkan, kurz und gewaltig. Die schwierige Lage des
von allen Seiten bedrängten Deutschland erforderte schnelle Ent-
scheidungen...
Die Lage auf dem deutschen rechten Heeresflügel. Das III. Re-
serve-Korps nördlich Brüssel zur Beobachtung der Festung. —
23. S. bis 26. 9. 1914.
(Skizze l.)
m Siegeszuge durch Belgien hatte der rechte
Flügel unseres Westheeres am 21. August
Brüssel und die Gegend dicht nördlich von Bel-
giens Hauptstadt durchschritten. Dann war er
in südwestlicher Richtung über Ninove auf
Lessines abgebogen. Die Pfeile der deutschen
Marschkolonnen wiesen auf den Karten nach
Paris. In dieser Richtung erwartete die ganze Welt in atemloser
Spannung die große Entscheidungsschlacht, zu der es die aus-
weichenden Heere der feindlichen Westmächte bisher nicht hatten
kommen lassen.
An Antwerpen war man in nur 3V km Entfernung unbe-
lästigt vorbeimarschiert. Nun lag es im Rücken des die Ent-
scheidung suchenden deutschen Heeres, für dieses eine stete Gefahr,
für den Feind ein starker Turm, der noch eine Rolle spielen konnte
und mußte. Einstweilen schien ein erheblicher Teil des geschlagenen
belgischen Heeres in der Festung seine Zuflucht gefunden zu haben.
Das hätte den fchon im Frieden vorgesehenen Absichten der
belgischen Regierung entsprochen. Sie hatte sich bereits im Jahre
1859 dafür entschieden, außer den an der Maas gelegenen Waffen-
platzen die zahlreichen kleineren, im Lande verstreuten Festungen
eingehen zu lassen und an ihrer Stelle eine große Zentralfestung
zu schaffen. Die Wahl fiel auf Antwerpen, dessen Bedeutung
schon lange seststand. Napoleon I. sah in ihm eine „gegen
das Herz Englands gerichtete geladene Pistole", die er allerdings
14
Antwerpen 1914.
nicht abschießen konnte. Unser bekannter Militärphilosoph
v. Clausewitz hat bereits 1830 in einer Denkschrift an den
König F r i e d r i ch W i l h e l m III. über Antwerpens Bedeutung,
berichtet. So wurde denn das alte Antwerpen gemäß einem Be-
schluß der belgischen Regierung von 1889 ab zu einem Waffen-
platz ersten Ranges ausgebaut, zum „reduit national" für Land
und Armee, zum „boulevard de l'independance nationale"..
Allgemein war wohl im belgischen Volke die Ansicht verbreitet,
daß die Unabhängigkeit Belgiens mit dem Schicksal von Antwerpen
verbunden sei. Gehörte es doch mit einem Umfang von 108 km
zu den drei größten Waffenplätzen der Welt (Paris 140 km,
Amsterdam 120 km) und hatte unter diesen drei als die modernste
Festung zu gelten.
Wir sehen daher auch die belgische Armee im August 1914
von vornherein so aufgestellt, daß sie sich jederzeit an Antwerpen
anlehnen konnte. Sie verlor die Verbindung dorthin auch nicht,
als die Flut der deutschen Marschkolonnen sich über Belgien,
ergoß. Von der 120 000 Mann starken Armee waren anfänglich
zwei Divisionen (3. und 4.) zur Besetzung von Lüttich und Namur
verwendet. Die übrigen vier Divisionen erwarteten im Räume
Lüttich—Namur—Löwen gemäß der mit den Westmächten er-
folgten Vereinbarung das Eintreffen des französischen linken
Flügels bei Namur und die Mitwirkung der englischen Lan-
dungsarmee. Vergeblich hoffte der König der Belgier, mit
seinen Divisionen an der Gette (Verlängerung der Maas--
Linie Givet—Namur) den deutschen Vormarsch bis zum Ein-
treffen der Verbündeten aufhalten zu können. Nachdem bereits
am 12. August vor dem linken belgischen Flügel das Kavallerie-
korps v. d. M a r w i tz in der Gegend von Diest festgestellt war,
wurde das belgische Heer am 18. und 19. von der deutschen 1-
Armee an der Gette umfassend (II. A.K. bei Aerschot) angegriffen
und geworfen. Mit knapper Not erhielten die Belgier sich die
Verbindung mit Antwerpen und gelangten am 20. in seinen
schützenden Bereich.
Gegen diese feindlichen Kräfte in unserer rechten Flanke mußte
nun mindestens eine Sicherung erfolgen, da an eine Einschließung
Die Lage auf dem deutschen rechten Keeresflügel.
15
oder gar Belagerung der großen Schelde-Festung zu. dieser Zeit
natürlich nicht zu denken war. Dazu fehlte es an den erforder-
lichen Kräften. Die Belagerungsartillerie lag damals noch vor
Namur und dann vor Maubeuge fest. Den der Entscheidungs-
Macht enlgegengehenden Armeen durfte vorläufig kein einziger
Mann genommen werden.
Ob man später zur Einnahme von Antwerpen würde schreiten
können oder müssen, ließ sich noch nicht übersehen. Zunächst kam
es in dieser Lage daraus an, mit möglichst wenig Kräften Flanke
und Rücken des rechten deutschen Heeresflügels zu decken und die
Festung zu beobachten. Die Oberste Heeresleitung betraute General
v. B e s e l e r und sein III. Reserve-Korps (Anlage 1) mit dieser
Aufgabe. Das Korps, zusammengesetzt aus märkischen Reserve-
Regimentern, hatte auf dem äußersten rechten Heeresflügel hinter
dem II. Armeekorps bei Lixhe, nördlich Lüttich, die Maas über-
schritten und war über Bilsen, Hasselt, Diest, Aerschot bis nördlich
Brüssel marschiert. Hier wurde es angehalten. Für die kämpf-
lustigen Brandenburger eine unerwünschte Atempause! Sie hatten
gehofft, endlich auch an den Feind heranzukommen und an der
entscheidenden Schlacht, zu der es ja bald kommen mußte, teilzu-
nehmen. Es wurde anders befohlen. So hieß es sich gedulden.
Vom 23. ab stand das Korps in der Linie Over de Baert—
Grimberghen bereit. Nach Osten hin hielt es außerdem die Dyle-
und Demer-Brücken bis Aerschot besetzt. Auf dieser 18 Km breiten
Front — für damalige Verhältnisse für ein Korps ungewöhnlich
ausgedehnt — verfügte man nur über wenige schwere Geschütze
und wußte überdies das recht unruhige Brüssel im Rücken dicht
hinter sich. Die Bevölkerung der Hauptstadt hatte ihre Neugierde
beim Durchmarsch der 1. Armee in kluger Zurückhaltung be-
friedigt. Kaum waren abcr die dröhnenden Tritte unserer sieges-
bewußten Feldgrauen verhallt, da erhob die Hydra ihr Haupt.
Die Einwohner traten der schwachen Besatzung gegenüber höchst
anmaßend auf und schienen nicht übel Lust zu haben, eine sizilia-
nische Vesper zu veranstalten. In dichten Massen drängten sie sich
sehr bald auch au die kleineren Formationen (Fernsprecher usw.)
im Rücken des III. Reserve-Korps heran und nahmen eine zweifele
16
Antwerpen 1914.
hafte Haltung an. Die Front war zu dünn besetzt, die Augen
waren zu sehr nach vorn gerichtet, als daß man an eine Rücken-
deckung hätte denken können. Als eines Tages die Gerüchte aus
Brüssel einen allzu bedenklichen Charakter annahmen, wurde dem
Bürgermeister in einem Schreiben erklärt, daß auf der Höhe
südlich Grimberghen die schweren Feldhaubitzen nunmehr nach
Brüssel gerichtet seien und sofort in die Stadt hineindonnern
würden, falls die Bevölkerung sich nicht ruhig verhalte. Dies
machte sichtlichen Eindruck.
Beselers Truppen hatten kaum Zeit gefunden, ihre Stellung
hinreichend zu verstärken, als am 25.August der erste Ausfall
der belgischen Armee aus Antwerpen mit weit überlegenen Kräften
erfolgte.
Am gleichen Tage hatte sich auf dem rechten Flügel der
Kampffront der deutschen Heere die gewaltige Schlacht entschieden,
die von Möns bis in die Gegend nordöstlich Verdun hinab bei
der 1. bis 5.Armee gewütet hatte*). Engländer und Franzosen
waren zum Rückzüge gezwungen worden. Es lag nahe, daß der
belgische Bundesgenosse, aus seinen Schutzwällen vorbrechend,
Entlastung zu bringen suchte. Gleichzeitig bot sich ihm Gelegenheit,
das III. Reserve-Korps zu vertreiben, bevor es sich südlich Ant-
werpen fest eingenistet hatte. Das Wagnis erschien gering, denn
das belgische Oberkommando nahm alle anderen deutschen Kräfte
für zu weit entfernt an, als daß ihr Eingreifen bei Antwerpen
hätte in Frage kommen können.
Der Stoß traf mit Wucht am 25.vor allem unseren schwachen
rechten Flügel und umfaßte ihn an der Löwener Straße. Die
Lage gestaltete sich vorübergehend recht kritisch. Schon brach in
Löwen der Aufstand aus, als zufällig die ersten Schleswig-Hol-
steiner (IX. Reserve-Korps) eintrafen, die, vom Küstenschutz an
") Wir sind gewohnt, diese große Schlacht nach den Einzelschlachten der
Armeen: Möns (1. Armee, 23.—24. 8.), Namur—Charleroi (2. Armee, 23.—
24. 8.), Dinant (3. Armee, 23.-24. 8.), NeufchSteau (4. Armee, 22.-23. 8.),
Longwy (5. Armee, 22.-25. 8.) zu benennen. Die Geschichte wird sie rück-
schauend als die erste gewaltige Einheitsschlacht des Weltkrieges bezeichnen
müssen, der nach Teilkämpfen dann die Marneschlacht folgt, für welche dic von
den Franzosen gegebene allgemeine Bezeichnung gebräuchlich geworden ist.
Die Lage auf dem deutschen reckten Keeresflüqel.
17
der Nordsee abgelöst, im Anrollen zur Westfront waren. Dem
Hilferuf der brandenburgischen Kameraden folgend, bahnten sie
sich im blutigen Straßenkampf den Weg durch die Stadt, reichten
den Hartbedrängten die Hand und warfen mit vereinter Kraft den
Gegner unter schweren Verlusten für ihn nach Antwerpen zurück.
Aber die Lage blieb gespannt. General v. Beseler mußte
mit weiteren Angriffen rechnen. Unser Nachrichtendienst brachte
so gut wie keine Ergebnisse. Was uns zugetragen wurde, kam
von der Bevölkerung und war mit äußerster Vorsicht auszu-
nehmen. Die Herzen der Belgier schlugen für Antwerpen. Dort
war der König mit der Armee. Sie galt es mit allen Kräften zu
unterstützen. Nie ist in diesen Tagen die Verbindung zwischen
Brüssel und Antwerpen abgerissen. Unsere Stärke und Gliederung,
jede Bewegung wurde dem Feinde zugetragen. Und w i r
wußten vom Gegner nur, daß er da war. Nicht einmal seine
Stärke war uns annähernd bekannt. Man schätzte sie auf minde-
stens vier Divisionen. In Wirklichkeit waren es sechs Divisionen, —
die gesamte belgische Feldarmee und die starke Festungsbesatzung
von Antwerpen*). Dafür wurden wir dauernd durch alle mög-
lichen und die unmöglichsten Nachrichten in Atem gehalten.
Truppenversammlungen im Lager Beverloo und bei Gent,
drohende Umfassungen von Osten und Westen, Durchbruchsver-
suche an verschiedenen Punkten in Richtung Brüssel, bevorstehen-
der Einzug des Königs in seine Residenz, Aufstände im Lande,
— so jagte eine Meldung die andere. Wenn auch manche gar
nicht erst Glauben fand, so zwangen andere doch zu sofortigen
Gegenmaßnahmen und dauernder erhöhter Bereitschaft. Gerüchte
über große Truppenlandungen in Zeebrügge.und Ostende, und
zwar nicht nur von Engländern, sondern auch von Russen und
Japanern, behaupteten sich hartnäckig. Bereits am 31. August
*) In der auf Befehl der geschichtlichen Abteilung des britischen Reichs-
yerteidigunqsausschusses herausgegebenen „Naval Overation" von Sir Julian
Corbett (1. Band) wird die Stärke der belgischen Feldarmee in Antwerpen
auf etwa 80 000 Mann, die der Festungsbesatzung auf 70 000 Mann angegeben.
Der Gegner war also erheblich stärker als deutscherseits geschätzt wurde.
Diesem Werke sind vorwiegend die Angaben über die Mitwirkung Englands
bei der Verteidigung von Antwerpen entnommen worden.
Antwerpen. L
18
Antwerpen 1914.
hatte der Chef des Generalstabes des Feldheeres mitgeteilt:
„Es mehren sich die Anzeichen, daß Engländer und Fran-
zosen versuchen werden, im westlichen Belgien und nördlichen
Frankreich Kräfte zu versammeln, um die Abschließung von Ant-
werpen aufzuheben und gegen unsere rückwärtigen Verbindungen
vorzugehen. Seine Majestät haben befohlen, daß Euer Exzellenz
die Abwehr aller derartiger Versuche des Feindes im westlichen
Belgien und nördlichen Teile Frankreichs neben der Sicherung
gegen Antwerpen zu übernehmen haben . .
Nichts lag näher als ein derartiger englischer Entlastungs-
versuch, der zweifellos große Aussichten auf Erfolg haben konnte.
In der Tat hat sich die britische Seekriegführung dauernd mit
solchen Plänen getragen. Um die spätere Mitwirkung der Eng-
länder bei der Verteidigung von Antwerpen zu verstehen, ist es
notwendig, ihre Erwägungen und Maßnahmen von Anfang an
zu verfolgen.
Stegemann hat in dem 2. Teil seiner „Geschichte des
Krieges" zutreffend geurteilt: „England erblickte in Antwerpen
die Hochburg seiner politischen Machtstellung auf dem Festlande
und den Schlüssel zur Ausfallpforte des Festlandes gegen fein
Jnselreich. England war daher entschlossen, alles an die Siche-
rung der flandrischen Küste und Antwerpens zu setzen und trieb
die französische Heeresleitung zu tatkräftigem Vorgehen, indem
es zugleich von sich aus Anstrengungen machte, die Verbindung
mit der belgischen Landesfeste sicherzustellen." E o r b e t 1*)
führt in Entwickelung dieses Gedankens aus, daß den Engländern
nichts Schlimmeres hätte passieren können, als eine deutsche Be-
setzung der flämischen und nordfranzösischen Häfen, die die eng-
lifche Herrschaft über den Kanal bedrohen und den ganzen briti-
schen Seekriegsplan umwerfen mußte. Letzten Endes war Eng-
land ja auch Belgiens wegen in den Krieg gezogen! Das schnelle
Vordringen der deutschen Armeen erschwerte aber eine Entschluß-
fafsung ebenso als der Umstand, daß es zu dieser Zeit den Eng-
ländern an verfügbaren Truppen fehlte. Sie beschränkten sich
*) Siehe Anmerkung Seite 17.
Die Lage auf dem deutschen rechten KeereSfltlgel.
19
darauf, am 27. August drei Bataillone unter General A st o n in
Ostende zu landen, die sich im Halbkreise um die Stadt eingruben,
um die Landung weiterer Truppen vorzubereiten. Am 3V. August
folgten von Le Havre 4000 Belgier; weitere 12 000, die, von
Namur kommend, in den allgemeinen französischen Rückzug ver-
wickelt worden waren, wurden angekündigt. Bald stellte sich aber
heraus, daß diese derartig erschöpft waren, daß man von ihrer
sofortigen Wiederverwendung absehen mußte. Inzwischen ent-
sernte sich nach dem schweren Schlage von Le Cateau (26.—27.8.)
das englische Landheer immer weiter von der Küste; ein Zu-
sammenwirken mit den Streitkräften in Belgien wurde nicht nur
unmöglich, sondern es ergab sich die Notwendigkeit, die rück-
wSrtigen Verbindungen für die englischen Truppen bis nach St.
Nazaire an der Loire zurückzuverlegen. Sorgenvolle Erwägungen
sprechen zwischen den Zeilen der englischen Darstellung Corbetts,
die nur allzusehr verraten, welche schwerwiegenden Folgen eine
deutsche Besetzung der Kanalhäfen bringen mußte. Aber die Lage
zwang zum Handeln, und so wurde am 31. August nicht nur
Ostende wieder geräumt, sondern auch Rouen, Le Havre und
Boulogne. Alle verfügbaren englischen Schisse waren bis zur
letzten Tonne in diesen Tagen in Anspruch genommen, um den
Abtransport des zahlreichen, hier bereits aufgestapelten Kriegs-
Materials aller Art zu bewerkstelligen. Antwerpen und die bel- »
gische Armee aber sahen mehr und mehr die Hoffnung auf eine
von außen kommende Unterstützung sinken.
Das sind die Vorgänge, die sich zu wilden Gerüchten ver-
dichtet hatten und den General v. B e s e l e r am 7. September
veranlaßten, mit der 6. Reserve-Division und dem inzwischen völlig
eingetroffenen IX. Reserve-Korps zu einer gewaltsamen Auf-
klärung nach Westen vorzustoßen. Vor Antwerpen verblieben
nur die 5. Reserve-Division und die am 29. August in Kiel
und Wilhelmshaven neu formierte Marine-Division (Anlage 1),
die sofort nach ihrer Ausstellung zum III. Reserve-Korps in
Marsch gesetzt worden war und unter dem Befehl des Admirals
v.Schröder stand.
20
Antwerpen 1914.
9
Schon der 8. September brachte jedoch hinreichend Aufklärung
über die Lage in Westflandern. Man erkannte, daß man im
Begriff war, einen Luftstoß zu machen. An diesem Tage war
das Oberkommando der in der Gegend von Brüssel in der Auf-
stellung begriffenen neuen 7. Armee eingetroffen, dem nach einer
Verfügung des Chefs des Generalstabes des Feldheeres General
v. Befeler mit seinen Truppen unterstellt wurde. Das Ober-
kommando ordnete an, daß alle verfügbaren Teile sofort den Bor»
marsch auf St. Quentin, dem rechten deutschen Heeresslügel fol-
gend, antreten sollten. So marschierte auch das IX. Reserve-Korps
ab, wogegen die 6. Reserve-Division in der Gegend westlich von
Ninove verblieb.
Der 9. September brach an. Er leitete auf dem westlichen
Kriegsschauplatz die folgenschwere Krisis ein, die dem Marsch auf
Paris ein Ziel setzen sollte. Ioffre hatte sich entschlossen, an
der Marne zu schlagen. Untätig durfte der belgische Bundes-
genösse in diesen bedeutungsvollen Tagen nicht bleiben. Vielleicht
gelingt es, die schwachen deutschen Kräfte, die nördlich Brüssel
zurückgeblieben sind, über den Haufen zu rennen und die große
deutsche Verbindungslinie Köln—Lüttich—Brüssel zu unterbrechen,
oder aber die im Abmarsch befindlichen Truppen werden veranlaßt,
zurückzumarfchieren und auf Unterstützung des rechten Heeres-
flügels zu verzichten. Beide Ziele waren groß und ihre Erreichung
"für die Durchführung des Joffrefchen Planes von Bedeutung.
So trat die belgische Armee hoffnungsfreudig und siegesgewiß
zum zweiten Ausfall an.
In richtiger Würdigung der Lage hatte König Albert den
Hauptdruck gegen den rechten Flügel der Marine-Division bei
Over de Baert gerichtet, auch über Aerschot ausgeholt und hierzu
drei Infanterie-Divisionen (3., 6. und 2.) und die Kavallerie-
Division angesetzt. Es gelang den Belgiern auch tatsächlich, bis
dicht vor Löwen vorzudringen und die Transportbewegungen auf
der Bahnlinie Lüttich—Brüssel in hohem Maße zu gefährden.
Es waren schwere Kämpfe für die zurückgebliebenen beiden
Divisionen unter Admiral v. Schröder. Aus den Zügen
Die Lage auf dem deutschen rechten Keeresfliigel.
21
eiligst ausgeladene Bataillone und Batterien des XV. Armeekorps,
die auf dem Wege vom Elsaß nach dem rechten Heeresflügel waren,
Landwehr des Generalgouvernements und die heraneilende 6. Re-
serve-Division beseitigten im Gegenangriff die Gefahr und schickten
die Belgier mit blutigen Köpfen nach Antwerpen zurück.
Die Krisis war glücklich überwunden; denn eine Krisis war
dieser zweite belgische Angriff nicht nur für die schwachen Deckungs-
truppen unter Admiral v. Schröder, sondern auch für die
rückwärtigen Verbindungen des rechten Heeresflügels und damit
für diesen selbst und für das ganze Westheer. Klar war dadurch
die Notwendigkeit erwiesen, die fortgesetzte Bedrohung aus der
Gegend von Antwerpen zu beseitigen und mit der belgischen
Armee endgültig abzurechnen. Der am Nachmittag des 9. ein-
laufende Befehl: „Seine Majestät der Kaiser haben die Wegnahme
von Antwerpen angeordnet. Den Befehl vor Antwerpen über»
nimmt General v. B e s e l e r", bedeutete daher die Befreiung
aus einer auf die Dauer unerträglichen Lage. Der Ausfall der
Belgier und die an der Marne sich vollziehende unglückliche
Wendung der großen Entscheidungsschlacht — beide Ereignisse
waren der Obersten Heeresleitung, als sie sich am 7. September
zur Belagerung von Antwerpen entschloß, nicht bekannt — konnten
den einmal gefaßten Entschluß nur noch stärken.
Jetzt, wo das Kriegsglück sich anscheinend den Gegnern zu-
wenden wollte, gewann auch die Möglichkeit einer Unterstützung
der belgischen Armee von englischer Seite wieder hohe Wahr-
scheinlichkeit. Trat sie ein, so mußte sich der unerträgliche Druck
auf die rückwärtigen Verbindungen zur schwersten Gefahr steigern.
Bereits am 10. sprachen Agentennachrichten von dem Eintreffen
stärkerer englischer Truppen in Antwerpen und veranlaßten da-
durch den Befehl zum abermaligen Heranziehen des IX. Reserve-
Korps, das aber schon am Tage darauf infolge einer Weisung der
Obersten Heeresleitung rückgängig gemacht wurde, die ein be-
schleunigtes Antreten des Korps in Richtung St. Quentin an-
ordnete.
In der Tat waren auch diese Agentennachrichten falsch. Auf
22
Antwerpen 1914.
englischer Seite war man sich zwar klar, daß nun der Zeitpunkt
wieder gekommen war, an den Schutz der Häfen und an eine
Unterstützung der Belgier zu denken. Es waren aber auch jetzt
nennenswerte Kräfte noch nicht verfügbar. England schlug zu-
nächst eine Flottendemonstration vor. Ioffre ging auf
die Vorschläge der Engländer erst ein, als er erkannte, daß die
deutsche Front nicht nur unerschütterlich war, sondern die Deut-
schen seine Vorstöße mit Gegenangriffen beantworteten und selber
zu Umfassungsversuchen schritten. Bei gleichzeitigem Erstarren
der Aisne-Front begann damit der „Wettlauf zum Meere". Mit
jeder weiteren Annäherung der Flügel an das Meer wuchsen aber
Englands Sorgen. Ihnen entsprangen Vorschläge mannigfacher
Art, die jedoch erst Ende des Monats greifbare Ergebnisse zeitigen
sollten.
Die Ausführung des Befehls zur Wegnahme Antwerpens
begegnete zunächst fast unüberwindlich erscheinenden Schwierig-
keiten. Gerade in diesen Tagen wurde wiederum der letzte Mann
an der Front gebraucht. Der einschneidende Befehl zum Abmarsch
des IX. Referve-Korps zeigte das ja zur Genüge. Wohl war
Maubeuge gefallen (7. 9.), Belagerungsformationen (Artillerie
und Pioniere) waren also frei; aber ein Angriff auf Antwerpen
erforderte zahlreiche Divisionen. Was bedeuteten gegen eine solche
Festung, die in ihren Mauern eine ganze Feldarmee barg, deren
offene Verbindungen über das Meer kaum ernsthaft zu stören
waren, die täglich neuen Kraftzuwachs an Menschen und Material
aller Art erhalten konnte und die Operationsfreiheit nach allen
Seiten hatte, — was bedeuteten einer solchen Festung gegenüber
drei Divisionen, die günstigstenfalls durch einige Landwehr- und
Landsturmformationen verstärkt werden konnten? Allein die
Aufgabe, die rückwärtigen Verbindungen, die fo wichtigen durch
Belgien führenden Bahnen zu schützen, war, wie die schweren
Kämpfe gelegentlich der Ausfälle gezeigt hatten, nur mühsam zu
lösen gewesen. Nun sollten gar diese Truppen das Bollwerk
selbst mit stürmender Hand bezwingen! —
Trotzdem ging man beim Stabe des Generals v. B e s el e r zu-
versichtlich an die Arbeit. Die Vorbereitungen für die Belagerung
Der Angriffsplan.
23
begannen. Bei der Truppe löste der erste Befehl hierzu helle
Begeisterung aus. Ungeduldig hatte sie ihn erwartet, obwohl
sich jeder Mann darüber klar war, daß nunmehr die nächsten Tage
blutige Kämpfe bringen mußten. —
Der Angriffsplan.
(SNzze l bis z.)
benso wie die übrigen belgischen Festungen ist
auch Antwerpen von dem bekannten General
Brialmont ausgebaut. Die nur teilweise
noch vorhandene alte Stadtumwallung und die
Zitadelle kamen für eine Verteidigung nicht
mehr in Betracht.
In den 60er Jahren schuf Brialmont
die innere Fortlinie, die etwa 6—7 km vom Mittelpunkt der Stadt
entfernt liegt. Die zunehmende Ausdehnung Antwerpens, vor allem
Ävch die Fortschritte in den ballistischen Leistungen der Geschütze ver-
langten aber nach einiger Zeit neue Befestigungen in weiterem Ab-
stände von der Stadt. Die Werke dieser äußeren Fortlinie — etwa
12 bis 19 km vom Stadtmittelpunkt entfernt — entstanden
30 Jahre später, die neuesten von ihnen erst in den letzten 10 Jahren
vor dem Kriege. Sie wiesen eine große Anzahl modernster
Panzertürme und starker Betonbauten auf. In einigen Forts
befanden sich allerdings Teile noch in unfertigem Zustande. So
waren die Betonvorlagen der Panzertürme teilweise neu und
ohne genügende Festigkeit, vereinzelt sogar nur behelfsmäßig aus-
-geführt. Häufig zeigte der Beton — was spätere deutsche Fest-
-stellungen ergaben — in seiner Zusammensetzung und Berar-
beitung, auch da, wo Eisenbeton Verwendung gefunden hatte,
Fehler. Diese Schwächen können aber an der Tatsache nichts
-ändern, daß man Verteidigungsanlagen gegenüberstand, die mit
modernsten Mitteln ausgerüstet waren.
Bei dem hohen Grundwasserstand haben die meisten Forts
sinen hohen Aufzug, d. h. 8 bis 9 m hohe Wälle, die von 30 bis
24
Antwerpen 1914.
50 m breiten und 2,5 m tiefen nassen Grüben umgeben sind. Die
stärksten und am weitesten vorgeschobenen Werke — Forts Kessel,
Lierre, Koningshoyckt, Wavre-Ste. Catherine, Waelhem — liegen
im Südosten, sie greisen über den Nethe-Abschnitt hinüber und
geben Offensivbewegungen des Verteidigers besonderen Rückhalt.
Diese künstliche Stärke der Festung wird durch reichen
natürlichen Schutz ganz erheblich erhöht. Im Norden schützt die
holländische Grenze. Auf allen anderen Fronten — mit Aus-
nahme der Ostfront — vervollständigen die Wasserläufe und-
Überschwemmungsgebiete die Verteidigungskraft. Die Scheide,.
350 bis 400 m breit, bildet ein angesichts des Feindes kaum zu
überschreitendes Hindernis. Selbst wenn auf der Westfront die-
Forts dem Angreifer in die Hände gefallen sind, hat er die sehr
schwer zu überwindende Strombarriere vor sich, die ihn vom Ziel
seiner Wünsche trennt. Sie ist um so unangenehmer, als sich
Ebbe und Flut aufwärts bis zur alten Festung Termonde be-
merkbar machen. Außerdem kann das Waes, das Land westlich
des Stromes, unter Wasser gesetzt werden.
Auch in der 200 bis 250 m breiten Rüpel und in der Nethe
wirken die Gezeiten aufwärts bis zur Stadt Lierre. An der
Nethe kann durch Einlassen des Flutwassers ebenfalls ein Über-
schwemmungsgebiet von 400 bis 500 m Breite geschaffen werden.
Obwohl jede Überschwemmung, insbesondere eine solche mit
Seewasser, ungemein schädlich, ja geradezu vernichtend auf den
Anbau des überschwemmten Landes wirkt, war damit zu rechnen,
daß die Belgier bei der augenscheinlichen Erbitterung, mit welcher
der Krieg geführt wurde, vor der Anwendung dieses wirksamen
Verteidigungsmittels nicht zurückschrecken würden.
In der Ostfront, wo die Wasserhindernisse fehlten, waren die
Forts besonders stark ausgebaut, und damit ein Ausgleich für
die fehlenden natürlichen Hindernisse geschaffen. Als die Mög-
lichkeit einer Belagerung nahe rückte, verstärkte der Belgier das-
Zwischengelände zunächst auf dieser Front mit allen Mitteln der
Feldbefestigung. War doch auch diese Front diejenige, gegen die
sich nach allen Friedensberechnungen wahrscheinlich der Haupt--
angriff richtete.
Der Angriffsplan.
25
Es kam anders!
Allerdings sahen auch unsere Friedensvorbereitungen in dem
sogenannten, vom Generalstab hergestellten, „Angriffsentwurf"
den Hauptangriff gegen die Ostfront im Rahmen der Gesamt-
einschließung der Festung vor. Elf Divisionen hatte der Entwurf
für diese Aufgabe veranschlagt. General v. B e s e l e r verfügte
Mitte September aber nur über drei Divisionen, nämlich die 3. und
6. Reserve-Division seines III. Reserve-Korps und die Marine-
Division. Es ist klar, daß er mit diesen geringen Kräften die ge-
waltige Aufgabe nicht lösen konnte. Wie bereits dargelegt, bestand
aber keine Aussicht, nur annähernd so viele Divisionen über-
wiesen zu erhalten, wie erforderlich schienen. Tatsächlich wurden
dem General v. Beseler denn auch nur noch die 4.Ersatz-
Division und zur Deckung der offenen Flanken zwei gemischte
Landwehr-Brigaden zugeführt, so daß er im ganzen also über
etwa fünf Divisionen — aber mit wenig Feldartillerie — ver-
fügte. (Anlage 1)
Mit diesen Truppen konnte die Festung ohne Zersplitterung
der Kräfte nicht eingeschlossen werden. Die bisher übliche Form
einer Belagerung war also gar nicht in Betracht zu ziehen. So
schwerwiegende Nachteile sich auch daraus ergeben konnten, so
mußte ein Zusammenhalten der Kräfte für den entscheidenden
Stoß an der Hauptangriffsfront allen Erwägungen vorangestellt
werden.
Die Auswahl dieser Hauptangriffsfront wurde wiederum ent-
scheidend durch eine wichtige, der Belagerungsarmee gleichfalls
zufallende Nebenaufgabe beeinflußt, die Sicherung der Eisenbahn
Tirlemont—Brüssel. Diese Bahn hatte gerade jetzt bei dem sich
immer mehr nach Flandern hinziehenden Umfassungskampfe der
Hauptfronten ausschlaggebende Bedeutung. Die Franzosen ver-
fügten bei diesem Entscheidungskampfe über ein vorzügliches
Bahnnetz. Deutscherseits war man dagegen in der Hauptsache
nur auf die eine Bahnlinie über Lüttich—Brüssel angewiesen.
Ging sie auch nur vorübergehend verloren, so standen die ganzen
Operationen in Flandern auf dem Spiele. Abgesehen hiervon
aber blieb es auch zwingende Notwendigkeit, jede unmittelbare
26
Antwerpen 1914.
Verbindung zwischen der belgischen Armee und Brüssel, der Haupt-
stadt und dem Sitze der Zentralbehörden mit ihren weitver-
zweigten offenen und geheimen Beziehungen zu den übrigen Teilen
des Landes, dauernd unmöglich zu machen.
Diese Nebenaufgaben konnten nicht gelöst werden, wenn das
Belagerungskorps nach der Ost- oder Westfront abmarschierte.
Den Ostangriff, den auch der Angriffsentwurf vorsah, wünschte
die Oberste Heeresleitung. Der Westangriff dagegen schien be-
sonders wirkungsvoll. Er forderte die Niederkämpfung nur
weniger Werke, führte schnell zur Beschießung der Stadt und ver-
legte vor allem den Belgiern den Weg nach Westen. Zu berück-
sichtigen blieb aber die immerhin mögliche Überschwemmung des
Waes und die starke Strombarriere der Scheide.
Ein Abzug der Belgier nach Westen unter Preisgabe der
Festung schien zudem in hohem Maße unwahrscheinlich. Man hat
mit ihm nicht gerechnet. Es ist bereits oben darauf hingewiesen
worden, welche nationale Bedeutung Antwerpen für Belgien
hatte, wie sehr die Herzen des Landes gerade an dieser Festung
hingen, und welche Hoffnungen schon im Frieden an ihren Aus-
bau geknüpft worden waren. In dem Gedanken, daß die belgische
Armee die Festung preisgeben, samt dem König außer Landes
gehen konnte, um im fremden Lande die Heimat zu verteidigen,
lag etwas Ungewöhnliches. Das Gegenteil war in Hinsicht auf die
großen Interessen, die England an Antwerpen hatte, sogar sehr
viel wahrscheinlicher. Man rechnete mit ernsthaften Unter-
stützungen von englischer Seite, sei es, daß sie unmittelbar
nach Antwerpen gelangten, sei es, daß sie sich von einem anderen
Nordseehafen Belgiens aus gegen Flanke und Rücken der deutschen
Belagerungsarmee richten würden.
Aus solchen Erwägungen entstand bei der Führung des Be-
lagerungskorps der Plan, im allgemeinen aus südlicher Richtung,
also aus der Gegend anzugreifen, in der das III. Reserve-Korps
mit der Marine-Division bereits die beiden Ausfälle aus Ant-
werpen abgewiesen hatte. Die Schwierigkeiten, denen man hierbei
an der wahrscheinlich überschwemmten Nethe entgegenging,
mußten eben überwunden werden — einen anderen Weg gab
Der Angriffsplan.
27
es nicht. Einem gleichzeitigen Nebenangriff von Westen, der große
Bedeutung erlangt haben würde, konnte die Oberste Heeresleitung
wegen Mangel an Kräften, besonders an Munition, nicht zu-
stimmen.
General v. B e s e l e r faßte daher, der hohen Verantwortung
sich voll bewußt^ den folgenschweren Entschluß, die stärkste Front
der Festung anzugreifen. Und zwar dachte er mit den Haupt-
kräften den Angriff etwa über die Linie Heyst op den Bergh—
Mecheln gegen die Südostfront zwischen Großer Nethe und Senne
,zu führen, während es ihm westlich der Senne zunächst nur dar-
auf ankam, bis zum Dendre hin die Südfront abzuschließen.
Um die Unterlagen für die Kräftegruppierung, den Aufmarsch
her Artillerie und den notwendigen Bedarf an Pioniergerät fest-
Zustellen, bedurfte es zunächst eingehendster Erkundung des jetzt
eng begrenzten Angriffsfeldes. Offiziere der Stäbe und aller
Waffen waren unermüdlich unterwegs, um an Ort und Stelle die
Kartenunterlagen zu ergänzen. Im Vordergrunde des Inter-
esses stand der Abschnitt zwischen Großer Nethe und Senne. Hier
steht das Land in hoher Kultur. Abgesehen von einigen ge-
schlossenen Ortschaften ist die Bevölkerung auf ungezählte Höfe
und GeHöste verteilt, überall verstreute größere und kleinere
Waldstücke, Schloßparks, Gebüsche und Hecken bedecken das ganze
Land bis hin zu den Festungswerken und machen es außerordent-
lich unübersichtlich. Breite Wassergräben, Drahtzäune und tiefer
Boden erschweren die Bewegung außerhalb der Wege.
Von der Dyle aus steigt das Gelände nach Norden zu einem
-ausgesprochenen Höhenzuge an. Die Chaussee Heyst op den
Bergh—Putte gibt etwa den Verlauf der Höhenlinie an. Ein
Ausläufer zieht von Putte nach dem ebenfalls hoch gelegenen
Dorf Wavre-Notre Dame.
Erst von diesen Höhen aus und auch da nur von einzelnen
Kirch- und Schloßtürmen hat man einigen Ausblick auf Teile der
Tortlinie. Dies ergab für die Artilleriebeobachter erhebliche
Schwierigkeiten.
Mecheln, in der Ebene an der Dyle liegend, der Sitz des
Kardinalerzbischofs, ist schon aus weiter Entfernung erkennbar.
28
Antwerpen 1914.
Der gewaltige, 97 m hohe Turm seiner aus dem XV. Jahrhundert
stammenden Kathedrale ragt weit ins Land hinein und ist daher
ein hervorragender Aussichtspunkt.
Gestaltung und Bedeckung des Geländes beeinflussen die
taktischen Handlungen also erheblich; Waffenwirkung und Beob-
achtung sind stark beeinträchtigt. Dazu kommt die überschwemmte
Nethe als schier unüberwindbares Fronthindernis.
Westlich der Senne ist das Gelände wesentlich freier und
offener, weist vielfach kleine Erhebungen auf, die einigermaßen
Überblick ermöglichen, wenn auch dort zahlreiche Gehöfte, Parks
und kleinere Gehölze das Gesichtsfeld einengen. Die vielen
Kanäle und Wasserläufe erschweren aber dem Angreifer
auch hier seine Arbeit und verleihen dem Verteidiger einen
ganz ungewöhnlichen Grad von Widerstandskraft, zumal er nicht
verabsäumt hatte, von künstlichen Hindernissen aller Art (Draht,
Wolfsgruben, Tretminen) ausgiebig Gebrauch zu machen.
Hinter diesem durch Natur und Kunst geschaffenen Wall
standen außer den 6 belgischen Felddivisionen*), die im Laufe
der Belagerung noch durch englische Truppen verstärkt wurden,,
wohl an 8 Festungsartillenebataillone zu 30 aktiven und 20 Re-
serve-Batterien, sowie 6 Pionier-Bataillone. Dazu kamen in 63.
(von 145) Panzertürmen dreißig 15-cin-Geschütze**).
*) Die belgischen Divisionen waren stärker als die deutschen. Sie de»-
standen aus je 3 oder 4 gemischten Brigaden, 1 Regiment Divisionskavallerie,.
1 Regiment Divisionsartillerie, 1 Geniebataillon (2 Komp.), 1 Zug Feldtele»
graphen, 1 Divisionstransportkorps. Jede gemischte Brigade bestand aus
2 Regimentern zu je 3 Bataillonen, 1 Artillerieabteilung zu 3 Batterien,
1 Mitrailleurkompagnie und 1 Peloton Feldgendarmerie. (Nach „Die Tätigkeit?
der belgischen Armee vom 31. Juli bis 31. Dezember 1914". Bericht der
belgischen Obersten Heeresleitung.)
**) Über Anzahl der Panzertttrme und Geschütze auf der angegriffenem
Front vergleiche Anlage 2.
Die Truppenverkeilung und die einleitenden Kämpfe.— 26.bis 30.9.
(Skizze l bis 3.)
ine starke Macht konnte stolz sein, wenn sie im
Kampf gegen ein solches Bollwerk einen Erfolg
erringen durfte. Um wieviel mehr unbegrenz-
tes Vertrauen mußte der deutsche General zu
seiner kleinen Schar haben, als er frisch und
unverzagt zur Tat schritt, die in wenigen
Wochen zu einem unvergleichlichen Siege
ausreifen sollte!
Die Hauptaufgabe übertrug er den Brandenburgern seines
IH. Reserve-Korps. Im Räume nördlich Demer und Dyle und
nach Westen über die Dyle hinaus bis zum Kanal von Löwen
sollten sie aufmarschieren, rechts in breiterer Ausdehnung Ge-
neralleutnant v. SchickfusundReudorfmit seiner 6., links
zu beiden Seiten der Dyle dichter gedrängt Generalleutnant
Voigt mit der 5. Reserve-Division. Sie hatten den Angriff
gegen die Linie Fort Lierre—Fort Wavre-Ste. Catherine durch-
zuführen und demnächst die Nethe zu überschreiten. Westlich an-
schließend bis zum Kanal von Willebroeck gruppierte sich die Ma-
rine-Division unter Admiral v.Schröder zum Angriff über
Mecheln gegen Fort Waelhem und Fortin du chemin de fer (Re-
doute de Düffel). Ihr fiel ferner die Aufgabe zu, die Südfront der
Festung im Verein mit der 4.Ersatz-Division*) abzuschließen.
Diese, unter Generalleutnant v. Werder, war zwischen der
Marine und ÜUvmonde bereitzustellen. Zum Schutze ihrer linken
*) Diese Division war aus dem Elsaß herangezogen und am 25.9. in
Brüssel eingetroffen.
30
Antwerpen 1914.
Flanke wurde die 37. gemischte Landwehr-Brigade*) unter Ge-
neralleutnant v. Meyer bestimmt. Sie sollte Termonde und
Alost besetzen und nach Wiederherstellung der Scheldebrücke bei
Termonde die nördlich der Scheide von Antwerpen nach Westen
führenden Bahnen zerstören. Die Sicherung des rechten An-
griffsflügels bei Aerschot wurde der 26. gemischten Landwehr-
Brigade**) unter Generalleutnant v. S ch ü tz übertragen. Schließ-
lich wurde noch weiter östlich ein besonders zusammengestelltes
„Detachement Uckermann" in Stärke von 4Schwadronen,
2 Geschützen, 2 Maschinengewehren, einem Halbzuge Pioniere
und 2 Marine-Radsahrkompagnien auf Diest in Marsch gesetzt.
Es hatte den Auftrag, von Diest über Herenthals vorzugehen, um
die Ostfront Der Festung zu beobachten und — so gut es ging —»
abzuschließen, den Feind zu täuschen und die Bahnen zu zerstören.
Inzwischen waren auch die für die Belagerung notwendigen
schweren Batterien und Pionierformationen, zumeist nach dem
Fall von Maubeuge (7. 9.), herangekommen.
Alle Bereitstellungen erfolgten hinter der bisherigen Linie der
Deckungstruppen nördlich von Brüssel derart, daß am 27. Sep-
tember früh überraschend die Entfaltung der Kräfte und ihre Bor-
bewegung eintreten konnte.
Die Belgier hatten kurz vorher Vortruppen auf den Höhenzug
Heyst op den Bergh—Putte vorgeschoben und schanzten dort.
Südlich Mecheln waren Hofstade und Sempst noch von ihnen be-
setzt; westlich des Willebroeck-Kanals standen sie mit ihren Haupt-
kräften im allgemeinen in Höhe der Eisenbahn Mecheln—'
Termonde.
Noch einmal vor Beginn der Belagerung sollten die Belgier
auf Geheiß der französischen Heeresleitung einen großen Ausfall
machen. Die heftigen Kämpfe auf dem nördlichen Heeresflügel
*) Die Brigade war zunächst Kriegsbesatzung in Lüttich gewesen. Am
l. und 2. 9. nach Brüssel abtransportiert, wurde sie zunächst t>ont 6. bis 14. 9.
der Marine-Diviston unterstellt. Dann übernahm sie die Sicherung gegen
Westen und trat vom 26. 9. ab unter den Befehl der 4. Ersatz-Division.
**) Bisher Kriegsbesatzung von Brüssel.
Die Truppenverteilung und die einleitenden Känlpfe.
Z!
in Flandern ließen eine Operation gegen die deutschen rück-
wärtigen Verbindungen dringend notwendig erscheinen.
König Albert wählte diesmal als Ziel seines Angriffs den
offenen linken Flügel des III. Referve-Korps und massierte
entsprechend seine Kräfte südlich Termonde. Zum Angriff kam
es jedoch nicht mehr. Bald nach Einleitung seiner Bewegungen
erkannte der Gegner unsere AngrisfsvorbereUungen gegen die
Fortlinie südlich der Nethe. Er war völlig überrascht. Er ver-
mutete unsere Hauptkräfte bei Alost und hatte deshalb nur schwache
Teile seiner 2., 3. und 6. Division zwischen Fort Lierre—Fort
Waelhem zurückgelassen.
Wir hatten einen gewichtigen Schachzug voraus!
Der 27. September brach an. Es war ein Sonntag. Warme
Herbstsonne lachte. Heute ist der große Tag, der dem Sehnen
B e s e l e r s wackerer Schar Erfüllung bringen soll. Feierlich, einen
herrlichen Siegespreis vor Augen, den Schwur im Herzen, eine
ganze Tat zu vollbringen, so traten sie an, Brandenburger, Blau-
sacken und brave Landwehrmänner.
In mehr oder weniger leichten Gefechten wurde der Feind
aus feinen bisherigen Stellungen geworfen und in den nächsten
Tagen auf die Fortlinie zurückgedrückt.
Die 6. Reserve-Division, am weitesten ab von der Fortlinie,
hatte zunächst überhaupt keine Berührung mit dem Feinde; fast
kampflos nahm sie bereits am 28. den Höhenzug Hegst op den
Bergh—Beerfel—Putte in die Hand. Auf ihrem rechten Flügel
besetzte die 26. Landwehr-Brigade die Nethebrücken in der rechten
Flanke und wies dort mehrfache Angriffe feindlicher Abteilungen,
die zum Teil erst mit der Bahn von Lierre dorthin geworfen
waren, ab.
Die Verbindung mit dem Detachement Uckermann, das
von Dieft über Hersselt nach Westerloo vorgegangen war, wurde
hergestellt.
Zur Abschließung des Gegners noch weiter nach Osten hin
hatte der Generalgouverneur von Belgien, Generalfeldmarschab
32
Antwerpen 1914.
Freiherr von der Goltz, gemischte kleine Abteilungen*)
von Tirlemont und Löwen bei Diest zusammengezogen und außer,
dem in Lüttich unter Oberst Renner ein Detachement bereit«
gestellt. Diese Kräfte rückten nun nach dem Übungsplatz Beverloo.
Die S. Reserve-Division hatte nach kurzem Häuserkampf bei
Muysen die Dyle überschritten und am 28. an der Straße Peulis—
Mecheln den Anschluß an die 6. Reserve-Division gewonnen.
Schwerer gelang es der Marine-Division vorwärtszukommen.
Sie stieß auf das Gros des Gegners, der seine Hauptkräfte am
28. im 4.Sektor**) südlich der Festung zusammengezogen hatte.
Die Marine-Jnsanterie-Brigade unter Generalmajor v. Wich-
mann stieß bereits bei Hofstade und Sempst auf den Feind. Erst
nach hartem Kampf konnte der Widerstand in Muysenstraet und
Gerdeghem gebrochen werden. Nun war der Weg nach Mecheln
frei. Am 28. September erfolgte die Besetzung der von der Be-
völkerung vollkommen geräumten Stadt ohne größere Opfer. Als
ober General v. W i ch m a n n aus den Nordtoren seinen Vorstoß
fortsetzen wollte, schlug seinen Truppen heftiges Artilleriefeuer aus
der Fortlinie entgegen und zwang sie, sich dicht nördlich der Stadt
Zunächst einzugraben.
Ähnlich erging es der Matrofen-Artillerie-Brigade, Nach
schwerem Kampf erst konnte Kapitän zur See Herr am
29. mit seinen Matrosen die Linie Heffen—Krekelenberg—Thisselt
erreichen und Sicherungen gegen die Rüpel vorschieben. Auch hier
gebot das Feuer des Forts Breendonck und seiner Anschluß-
batterien weiterem Vorgehen Halt.
Die 4.Ersatz-Division, die sich gleich nach ihrer Ankunft am
26. und 27. in dem ihr zugewiesenen Abschnitt zwischen Wille-
broeck-Kanal und dem Scheldebogen östlich Termonde entwickelt
hatte, schied von vornherein auf ihrem linken Flügel starke Kräfte
*) Landwehr-Besatzungstruppen von Belgien.
**) Der Belgier hatte die Festung in 5 Verteidigungsabschnitte (Sekteurs)
eingeteilt. Lektor 1 lag im Norden um Fort Cappellen, Sektor 2 im Osten
um vort Oeleghem, Sektor 3 im Südosten um Fort Lierre und Waelhem,
Sektor 4 im Süden um Fort Liezele, Sektor 5 im Westen.
Die Truppenverteilung und die einleitenden Kämpfe. zz
zur Sicherung der linken Flanke aus, da die 37. Landwehr-Brigade
der dortigen Lage allein nicht Herr zu werden schien.
Am 28. warf Generalleutnant v. W e r d e r mit der 33. und
13. gemischten Ersatz-Brigade den Feind, der in ausgebauter
Stellung am Bahndamm Capelle au Bois—Londerzeel sowie bei
Steenhusfel und in dem unübersichtlichen Zwischengelände sich
eingenistet hatte, unter im allgemeinen leichten Gefechten aus seinen
Stellungen und gelangte am 29. bis in die Linie Thisselt—St.
Amand. Ein weiteres Vordringen war auch hier wegen der
Wirkung der Festungsgeschütze und angesichts der stark ausge-
bauten Stellungen zwischen den Forts zunächst zwecklos. Die
Infanterie grub sich daher in der erreichten Linie ein und harrte
dort im teilweise recht empfindlichen Feuer aus. Die 9. gemischte
Ersatz-Brigade unter Generalmajor Trip, welche am 28. zur
Unterstützung der 37. Landwehr-Brigade auf Herdersem vorge-
gangen war und am 29. vorübergehend Termonde kampflos be-
letzt hatte, übernahm am 30. die Sicherung in unmittelbarem An-
jchluß an die 13. Ersatz-Brigade in der Linie Lippeloo—St.
Amand und besetzte auch Baesrode.
Das scharfe Vorgehen der Einschließungstruppen westlich der
Senne bis in den Bereich der Festungsgeschütze verfehlte nicht
seinen Eindruck auf den Feind. Er beließ zwei Divisionen (3. u. 6.)
im Südwestabschnitt (Sektor 4) ihnen gegenüber und warf in
aller Eile nur zwei (1. u. 2.) auf das Hauptkampffeld in die Linie
Fort Lierre—Fort Waelhem (Sektor 3). Seine 4.Division be-
setzte Termonde, die 5.wurde Hauptreserve der Festung.
In dem Busch- und Heckenkrieg, der nun auf der ganzen
Front eingesetzt hatte, wurde unsere Infanterie in den ersten Tagen
auch im Abschnitte des Hauptangriffes fast ausschließlich durch die
Feldartillerie unterstützt, die, auf die Infanterie verteilt, bereits
damals in ähnlicher Weife verwendet wurde, wie wir es in den
beiden letzten Kriegsjahren als zweckmäßig erkannt haben. Die
moralische Unterstützung, die der Infanterie dadurch auch in den
weiteren Kämpfen an der Nethe, in Lierre und in Düffel zuteil
avurde, hat in besonderem Maße zu ihren Erfolgen beigetragen.
Unter dem Schutze der Vorwärtsbewegung der Infanterie
^ Antwerpen. L
34
Antwerpen 1914.
vollzog sich nun planmäßig der Aufmarsch der schweren und
schwersten Artillerie (Anlage 1) unter dem Gesichtspunkte, daß die
Batterien ihre ersten Stellungen bereits so nahe an die Festungs-
werke heranschoben, daß sie möglichst ohne Stellungswechsel alle
Aufgaben lösen konnten.
Bei diesem Artillerie-Aufmarsch trat das Bestreben des
Feindes, uns zu schädigen, in eigenartiger Weise in die Erschei-
nung. Es waren bereits Nachrichten zum Generalkommando ge-
langt, daß der Feind auf den Eisenbahnlinien uns Leerzüge ent-
gegenfchicken würde, um durch Zusammenstöße und Entgleisungen
unseren Nachschub zu stören und uns auf diese Weise Abbruch zu
tun. Die darauf sofort erlassenen Weisungen an die Vorhuten, die
Eisenbahnlinien möglichst weit vorwärts jeweils zu unterbrechen^
schützten uns vor größerem Schaden. So wurde am 27. früh ein
aus mehreren Lokomotiven und mit Sand beladenen Wagen be--
stehender Zug unmittelbar nördlich Bahnhof Boort-Meerbeek (süd-
östlich Mecheln) zum Entgleisen gebracht, nur wenige hundert Meter-
vor der dort abgestellten 42-em-Batterie Becker, die andern--
falls für die Bekämpfung des Forts Wavre-Ste. Catherine aus^
gefallen wäre.
Unter dem Generalleutnant Borckenhagen befehligten
die beiden Fußartillerie-Brigadekommandeure, Generalmajore
Schabe! und Ziethen, die Masse der schweren Artillerie.
Im Lause der Belagerung wurde ihre Verteilung auf die Divi--
sionsabschnitte den Bedürfnissen entsprechend geändert. Ein--
treffende Verstärkungen brachten die Geschützzahl schließlich aufr
40: 10= und 13-om-Kanonen,
72: 15-ow-Haubitzen,
48: 21-oin-Mörser,
5: 30,5=cm schwere Küstenmörser (Batt. Buch: 1, Batt.
Neumann: 2, Batt. S ch a r f: 2),
4: 30-em österr. Skoda-Mörser (2 Batterien),
4: 42-om kurze Marine-Kanonen (Batt. B e ck e r auf Eisen-
bahnwagen, Batt. E r d m a n n mit mechanischem Zug)..
Im ganzen
173 schwere Geschütze, darunter 13 schwerste.
Die Truppenverteilung und die einleitenden Kämpfe._ZZ
Entsprechend dem Plane, die Fortlinie bei Fort Wavre-Ste.
Catherine zuerst zu durchstoßen und dann nach Osten aufzurollen,
suchte die Masse der Artillerie östlich und südlich Mecheln Stellung.
Zur Niederkämpfung der Werke in der Einbruchsstelle wurden von
den schwersten Batterien zunächst angesetzt:
Gegen Fort Waelhem Batt. Buch und Scharf,
gegen Fort Wavre-Ste. Catherine Batt. Becker und Neu-
mann,
gegen Fort Koningshoyckt die österr. Mörser,
gegen Fort Lierre Batt. E r d m a n n.
Die Zwischenwerke Dorpvelde und Boschbeek wurden von je
zwei 21-cm-Mörser-Batterien bekämpft. Außerdem wurde von
vornherein das Feuer auf die Nethebrücken und das nördlich
Waelhem gelegene Antwerpener Wasserwerk gelegt..
Die Wirkung des Beschüsses war abhängig von der Beob-
achtungsmöglichkeit. Daß diese in dem flachen und außerordentlich
unübersichtlichen Gelände besonders behindert war, ist bereits dar-
gelegt worden. Die Mastfernrohre und die in großer Zahl mit-
geführten Feuerleitern schafften kaum nennenswerte Besserung;
auch die Beobachtung aus dem Fesselballon reichte nicht aus. So
kam es also immer wieder darauf an, geeignete Geländepunkte
ausfindig zu machen, die sich meistens auch gegenseitig ergänzen
mußten, um hinreichende Unterlagen für die Beobachtung zu ge-
Winnen.
Die Kirchtürme kamen hierfür natürlich in erster Linie in
Betracht. Sie waren aber stets wegen der dort vom Feinde ver-
muteten Beobachter eine besondere Zielscheibe der gegnerischen
Artillerie. Meistens lagen sie unter lebhaftem Schrapnellfeuer,
daß sie zeitweise aufgegeben werden mußten, wenn sie nicht über-
Haupt von den Belgiern mit Granaten zerstört oder in Brand ge-
schössen wurden. So war es mit der Kirche und dann auch dem
Kloster in Wavre-Notre Dame. Auch der bereits erwähnte, sehr
hohe Turm der Kathedrale in Mecheln machte keine Ausnahme.
Es ist einwandfrei festgestellt, daß die schweren Beschädigungen
dieses herrlichen Gotteshauses von der belgischen Artillerie her-
rühren.
36
Antwerpen 1914.
Die Belgier behandelten hier ihre eigenen Gotteshäuser also
genau so, wie wir es später aus dem gleichen Grunde z. B. mit der
Kathedrale in Reims machen mußten, weswegen man uns bar-
barische Gebräuche und alles mögliche andere anzuhängen be-
müht war. Aber auch die Franzosen haben ihren eigenen Gottes-
Häusern gegenüber nicht anders gehandelt. Engländer und Ameri-
kaner machen keine Ausnahme. Diese Auswüchse des modernen
Krieges sind sicherlich sehr zu beklagen. Aber nicht nur der Erfolg
des Kampfes, sondern in erster Linie die Schonung der Truppe,
die möglichste Vermeidung blutiger Verluste zwingen im Kriege
oft zu harten Anordnungen, die in ihrer Auswirkung schließlich
segensreich sind, selbst wenn, wie hier, der Frieden des Gottes-
Hauses zerschlagen wird.
Vielfach blieb nichts anderes übrig, als die Beobachtungs-
stellen in den vordersten Jnfanterielinien oder sogar vorwärts
derselben zu suchen. Was die Fußartillerie in dieser Beziehung
geleistet hat, stellt sich den Taten der anderen Waffen würdig zur
Seite.
Bereits am 28. September war der Artillerie-Aufmarfch be-
endet. Noch am gleichen Tage begann die Feuereröffnung. Ohne
Unterlaß heulten die schweren und schwersten Granaten durch die
Lust und hämmerten auf die Werke der Einbruchsstelle. Nun war
für den Feind kein Zweifel mehr, woher ihm die größte Gefahr
droht. Das zähe Ringen um die vorderste Fortlinie, in die der
Feind nun zurückgeworfen ist, beginnt. Mit den verhältnismäßig
leicht erkämpften Fortschritten der ersten Tage ist es vorbei. Der
Gegner kann jetzt seine Artillerie voll ausnutzen, — und dies ge-
schieht recht gründlich. Fast unausgesetzt liegen unsere Truppen
im lebhaften und schweren Artilleriefeuer des äußerst aufmerk-
samen Feindes, zu dem sich Infanterie- und Maschinengewehr-
feuer gesellt, sobald Abteilungen in ihrem Drang nach vorwärts
den Befestigungen zu nahe kommen. Trotzdem hielten sich die Ver-
luste in mäßigen Grenzen, sie waren sogar vielfach verblüffend
gering. Schlechtes Schießen und viele Blindgänger geben die Er-
klärung dafür.
Die Truppenverteilung und die einleitenden Kämpfe. Z7
Am 29. und 30. gelang es dem Referve-Jnfanterie-Regi-
ment 12 in der Mitte der 5. Reserve-Division, bis auf 700 m an
das Fort Wavre-Ste. Catherine heranzukommen. Die Marine-
Infanterie-Brigade kam zunächst nicht über das Vrouwenvliet hin-
aus, blieb also noch 1200 m vom Fort Waelhem ab. Die 6. Re-
serve-Division besetzte mit dem Reserve-Jnfanterie-Regiment 20
auf ihrem linken Flügel das Dorf Wavre-Notre Dame und mit
dem Reserve-Jnfanterie-Regiment 26 das Dorf Koningshoyckt.
Anschließend hatte die 26. Landwehr-Brigade Berlaer gewonnen
und darüber hinaus ihre Sicherungsabteilungen in der rechten
Flanke an der Großen Nethe entlang in Richtung Lierre vorge-
drückt. Sie mußte sich am 30. September ziemlich starker Um-
fassungsangriffe gegen ihren rechten Flügel erwehren, die der
Feind mit gemischten Abteilungen und Maschinengewehr-Panzer-
wagen immer wieder erneuerte. Daß der Feind hier eine Ent-
scheidung suchte, war nach der Eesamtlage und seinem bisherigen
Verhalten zwar nicht wahrscheinlich, lag aber doch im Bereich der
Möglichkeit. Der Mangel an ausreichenden Reserven hinter diesem
Flügel erforderte besondere Aufmerksamkeit, denn ein feindlicher
stärkerer Vorstoß hinter unseren rechten Flügel konnte unüberseh-
bare Folgen für unsere dort stehenden schweren Geschütze nach
sich ziehen.
Der Durchbruch durch den äußeren Aorlgürkel bei Wavre-Ste.
Catherine (i. bis Z. 10.) und das Vordringen bis zur Nethe (4. tv.).
(Skizzen 2 und 4.)
m 30. September bereits gewann man aus dem
Nachlassen und zeitweiligen Schweigen des
Feuers den Eindruck, daß die Forts Wavre-
Ste. Catherine und Waelhem niedergekämpft
seien. General v. B e s e l e r befahl daher, daß
noch an demselben Abend an die Werke heran-
gegangen und gemeldet werden solle, ob am
folgenden Morgen der Sturm stattfinden könne.
Die am Abend von der 2. Kompagnie des Pionier-Regi-
ments 24 mit Tonnenflößen gegen Fort Wavre-Ste. Catherine vor-
gesandten Erkundungspatrouillen erhielten aber noch starkes
Feuer. Auch die Marine-Division meldete, daß Fort Waelhem noch
nicht sturmreif sei. Am folgenden Morgen lebte auch das Feuer
der beiden Forts wieder auf. Der linke Flügel der S.Reserve-
Division litt außerdem unter starkem Beschuß aus der Gegend des
Wasserwerkes nördlich Waelhem. Das Feuer, das zuerst auf die
Einbruchsstelle Zwischenwerk Boschbeek—Fort Waelhem zusam-
mengefaßt war, hatte also noch nicht genügend gewirkt. Es war
zu voreilig auf die weiter östlich liegenden Werke verlegt worden.
Trotzdem entschloß sich General v. B e s e l e r, den Sturm
für den Nachmittag des I.Oktober zu befehlen. Ihn veranlaßte
dazu der andernfalls zu erwartende Munitionsmangel und die
bereits erwähnte Bedrohung des rechten Flügels, zumal jetzt dort
starker Feind bei Nylen und Kessel gemeldet wurde. Es war
immerhin zu hoffen, daß es bei nochmaligem Zusammenfassen dcs
Durchbruch bei Wavre-Ste. Catherine.
?s
^Feuers gelingen würde, die Werke bis zum Nachmittag sturmreif
,zu machen.
Für den Sturm fielen den Divisionen in ihren Angriffsstreifen
folgende Aufgaben zu: Der 5. Reserve-Division die Wegnahme
des Forts Wavre-Ste. Catherine sowie der Zwischenwerke Bosch-
beek und Dorpvelde, der Marine-Division die Wegnahme des Forts
Waelhem und der Zwischenstellungen im Anschluß an die 8. Re-
lerve-Division, später dann auch die Wegnahme des Fortin du
chemin de fer (Redoute de Düffel).
Es waren äußerst spannende Augenblicke, als General v. B e -
seler mit seinen Generalstabsoffizieren kurz vor 5 Uhr nach-
mittags im Schloß Zellaer beim Stab der 5.Reserve-Division ein-
traf. Auch der Chef des Generalstabes des Feldheeres, General-
vberst v. M o l t k e, hatte sich dort eingefunden. Vom Schloßturm
«us hatte man in dem fönst so unübersichtlichen Gelände wenig-
stens einen Ausblick auf Fort Wavre-Ste. Catherine. Roch
hämmerten die schweren Geschütze mit erhöhter Feuergeschwindig-
keit auf die Werke der Einbruchsstelle und die zwischen ihnen
liegenden Stellungen. Da — Punkt 5 Uhr — auf einmal tiefe
Stillei Man steht die Schützenlinien des Referve-Jnfanterie-Regi-
ments 12 vorstürzen, das Glacis hinauflaufen, dahinter ver-
schwinden und den Wall ersteigen, — dann war Maschinengewehr-
feuer hörbar. Was weiter geschah, war zunächst nicht zu er-
fahren.—
Bei den Stäben hatte man den Eindruck, daß die Truppe
erfolgreich war. Die Enttäuschung war daher groß, als nach Rück-
kehr des Generals v. B e s e l e r ins Hauptquartier Thildonck der
Generalstabsosfizier der 8. Reserve-Division, Hauptmann v.
Brunn, meldete, es stünde schlecht! Weder Fort Wavre noch die
Zwischenwerke Dorpvelde und Boschbeek seien genommen, von den
Sturmkolonnen in Fort Wavre fehle jede Meldung, der rechte
Flügel der Division habe zurückgehen müssen und bedürfe dringend
sofortiger Unterstützung durch die 6. Reserve-Division. Letzteres
war natürlich nach der Lage unmöglich, die S. Reserve-Division
mußte sich selbst helfen.
Bange Stunden kamen, eine sorgenvolle Nacht! Noch lebhaft
40
Antwerpen 1914.
stand vor Augen das unaufhaltsame Sturmlaufen der „Zwölfer"
und dann „Keine Meldung" und zuletzt „Es steht schlecht!" Wie
konnte man das zusammenreimen I Doch Gott sei Dank! Die
Schatten wichen. Am 2. Oktober früh wußten wir, daß Fort
Wavre und Zwischenwerk Dorpvelde unser waren. Die Freude
über den Erfolg löste die schwere Spannung ab, die Spannung,
die den höheren Führer im Felde oft die Entfernung vom Ge-
fechtsfelde so besonders unangenehm empfinden läßt und die
Nerven auf eine harte Probe stellt. Was war geschehen?
Gegen Zwischenwerk Boschbeek waren das II. und III. Ba-
taillon des Reserve-Infanterie-Regiments 8 vorgegangen, aber
sofort in ein Höllenfeuer geraten, so daß der Angriff stockte.
Flankenfeuer aus östlicher Richtung, Infanterie- und Maschinen-
gewehrfeuer aus den Anschlußgräben des Zwischenwerkes und
Feuer aus Maschinengewehren unter Panzern an der Dorfkirche
Wavre-Ste. Catherine brachten der stürmenden Truppe empfind-
liche Verluste, vor allem an Führern, bei. Auch der tapfere Kom-
mandeur des III. Bataillons, Major v. S y d o w, war an dieser
Stelle gefallen.
Der Regimentskommandeur, Oberst v. K l e i st*), befahl, den
Sturm um 7 Uhr abends zu wiederholen. Trotz weiterer starker
Verluste gewann das II. Bataillon Boden. Es gelangte bis auf
73 m an das Drahthindernis, erreichte auch das Dorf Wavre und
näherte sich hier dem Zwischenwerk bis auf 50 m. Dann ging es
aber nicht mehr weiter. Angesichts der 100 w breiten unzerstörten
Hindernisse war mit der recht zusammengeschmolzenen Truppe
ein Erfolg hier nicht mehr zu erwarten. Da geht der Unteroffizier
Schmieding von der 1. Referve-Kompagnie des Pionier-
Regiments 24in heftigem Feuer allein gegen das Werk vor, durch-
schwimmt den Graben und gelangt als erster in das von den Bel-
giern vorübergehend geräumte Werk. Bevor die Truppe dem
kühnen Führer folgen und die Gunst des Augenblicks ausnutzen
kann, besetzen es die Belgier wieder, aber Unteroffizier Schmie-
ding harrt in einem Granatloch auf dem Walle aus.
*) Im Oktober 1918 als Divisionskommandeur gefallen.
Tafel II.
Fort Wavre-Ste. Catherine
Ansicht der linken Forthälfte nach der Beschießung.
Fort Wavre-'Ste. Catherine
Ansicht des Einganges; Wirkung eines 42-cm-Geschosses.
Fort Wavre-Ste. Catherine
Betondecke der Kaserne, durchschlagen von einem 42-cm-Geschoß
Fort Wavre-Ste. Catherine
Ein durch 42-cin-Geschoß zerstörter 15-Lin°Panzerturm und Blick auf den
Wassergraben.
Durckbruch bei Wavre-Ste. Catherine:
41
Die Lage des Reserve-Jnfanterie-Regiments 8 ist schwer. In
dem abgeholzten Walde vor dem Zwischenwerk ist ein Eingraben
so gut wie ausgeschlossen. Der Feind läßt seine Scheinwerfer über
das deckungslose Gelände spielen und hält den Angreifer mit
seinem Feuer nieder. Vor Anbruch des Tages muß der Regiments-
kommandeur die Truppe in ihre Ausgangsstellung zurücknehmen.
Zwischenwerk Boschbeek war also trotz heldenhafter Leistungen
der braven Truppe nicht genommen worden.
Links vom Reserve-Jnfanterie-Regiment 8 war das Regiment
48 gegen das Zwischenwerk Dorpvelde und die Anschlußstellungen
westlich davon angesetzt. Aus dem II. und HI. Bataillon waren
zwei gemischte Sturmkolonnen gebildet, denen die 3. Kompagnie
des Pionier-Regiments 24 mit Schnellbrücken und Drahtscheren-
trupps zugeteilt war. Bis auf 200 m kamen die Sturmtruppen
unbeschossen an die Drahthindernisse heran. Dann schlug auch ihnen
ein verheerendes Feuer aus Gewehren und Geschützen entgegen.
Die Truppe stutzte, nahm aber sofort das Feuergefecht auf, um
schon drei Viertelstunden später von neuem den Sturm zu wagen.
Und er glückte! Es gelang, trotz heftigsten Feuers eine Schnell-
brücke über den 12 in breiten Graben zu bringen. Pioniere und
Infanterie stürmten hinüber und drangen in das Werk ein. Sehr
schneidige Einzeltaten halfen diesen schönen Erfolg erringen. So
sei die unter dem frischen Eindruck des eben erlebten Sturmes
niedergeschriebene Schilderung eines tapferen und oft bewährten
Mannes, des Gefreiten Nikolaus Müller vom Fußartillerie-
Regiment 9*) hier wiedergegeben:
„Unser Kommando (1 Unteroffizier, 3 Mann) wurde einer
Abteilung der 3. Kompagnie Pionier-Regiments 24 zugeteilt. Wir
gingen ungehindert bis dicht vor die Drahthindernisse vor. Als
nun auf das Kommando „Leute mit den Drahtscheren vor!" die
Pioniere in Tätigkeit traten, wurde vom Fort aus lebhaftes Ge-
wehrfeuer gegen uns eröffnet. Jeder suchte Deckung in den Furchen
und Geschoßlöchern, so gut es eben ging, während die Draht-
schneider ruhig und vorsichtig einen Gang zum Wassergraben frei«
*) Müller ist am 10. 3. 16 vor Berdun gefallen.
42
Antwerpen 1914.
legten, wobei von den elf Drahtschneidern sieben fielen oder ver-
wundet wurden. Jetzt holten die Pioniere die Laufbrücke vor und
stellten die überbrückung des Grabens unter großen Schwierig-
keiten her, trotz des lebhaften feindlichen Feuers, das von unserer
nachrückenden Infanterie erwidert wurde.
Besonders zeichnete sich dabei ein Unteroffizier der Pioniere
^Unteroffizier Holler) aus, der sich vollständig auszog und an-
nähernd eine halbe Stunde in dem kalten Wasser die Brücke zu-
sammenhielt, um ein schnelles'Vorwärtskommen unsererseits zu er-
möglichen. Der erste Gang war zum Panzerturm, der'unschädlich
gemacht wird. Nach Durchschneiden der Leitungen ging es weiter
gegen die inzwischen auf das Fort zu vorgerückte feindliche In-
fanterie. Wir suchten in Geschoßlöchern Deckung. Aus der linken
Hinteren Seite feuerten noch immer schwere Geschütze auf unseren
vorgehenden linken Flügel. Die Pioniere ließen nun starke Spreng-
ladungen vor den Rohren längs der Betonwand an langen Stricken
nieder, um die Geschütze unschädlich zu machen, was jedoch erfolg-
los blieb.
Gegen 9 Uhr bekamen wir Artilleriefeuer, das aber bald
wieder eingestellt wurde. Nun versuchten wir in das Fort zu ge-
langen. Der Versuch, durch Seitentore einzudringen, kostete einem
Unteroffizier und zwei Mann das Leben. Es ließ sich nicht durch-
führen. Daher gruben die Pioniere auf dem Fort die Erde ab und
legten dieBetondecke frei. Währenddessen schössen die feindlichen Ge-
schütze während der ganzen Nacht, bis nach einer zweiten erfolg-
reichen Sprengladung gegen 6 Uhr die Bresche durch die dicke
Betondecke geschlagen war. Auf die nun flüchtende Besatzung er-
öffneten wir mit der Infanterie ein lebhaftes Gewehrfeuer. Durch
die Bresche drang ich sofort in das Innere des Forts, unsere In-
fanteristen folgten nach. Der Kommandant des Forts und dreizehn
Artilleristen wurden von uns gefangen genommen. Nach Zerstörung
der Geschütze suchte ich mit Sergeant M a h m e n s dys Fort ab,
wobei wir noch ein Maschinengewehr in der SchützendeckupH
fanden. Dabei wurde rechts und links vom Fort immer ncc.')
Durchbruch bei Wavre-Ste. Catherine.
4?
lebhaft gekämpft, wobei wir Gelegenheit hatten, noch tätig einzu-
greifen."
Der belgische Bericht bestätigt im allgemeinen diese Dar-
stellung, indem er feststellt: „Die Garnison der Redoute Dorpvelde
war vom I.Oktober nachmittags S Uhr ab in ihren Deckungen
durch die Deutschen, welche das Hauptmassiv besetzten, die Luft-
schächte verstopften und die Gewölbe zu unterminieren begonnen
hatten, blockiert. Der Kommandant und die letzten Verteidiger
waren noch auf ihrem Posten, als eine Mine die gänzliche Zer-
störung vollendete."
Aber nicht nur Dorpvelde war genommen, auch Fort Wavre-
Ste. Catherine war gefallen! Das Reserve-Infanterie-Regiment 12
hatte das aus den anderen Bataillonen verstärkte I. Bataillon
gegen das Fort, das III. Bataillon gegen die Anschlußstellung
rechts davon angesetzt. Diese zu durchstoßen, gelang dem III. Ba-
taillon nicht. In heftigem Feuer rannte es sich an den Hinder-
nissen fest und ging später infolge eines mißverstandensn Befehls
in die Ausgangsstellung zurück. Die den Sturmkolonnen des
I. Bataillons voraneilenden Deckungstruppen überwanden das
8—900 m tiefe Angriffsfeld ohne Aufenthalt und erreichten den
äußeren Grabenrand. An zwei Stellen brachten die Pioniere die
Schnellbrücken ins Wasser und waren trotz heftigsten Feuers aus
den Flankierungs-Schnellfeuergeschützen bereits 5Uhr 50 Minuten
nachmittags die ersten am inneren Grabenrand. Ihnen folgte auf
dem Fuße der Bataillonskommandeur, Major K l e e m a n n, mit
der 1. und 2. Kompagnie, drang stürmend in das Fort ein und
stieß bis zur Kehle durch.
Damit war das größte und neueste Werk der Festung in
unserer Hand*). Seit 1904 erbaut, weist es besonders starke Be-
tonmauern auf. Aber der Wirkung der deutschen Artillerie hatte
nichts widerstanden. Dem eindringenden Eroberer bot sich
*) In dem Bericht der belgischen obersten Heeresleitung (vgl. Anm.
S. 28) wird angegeben, daß Fort Wavre-Ste. Catherine bereits am 29. Sep-
tember abends 6 Ahr geräumt worden sei. Ein Munitionsmagazin sei
explodiert, und der allmähliche Zusammensturz der Gewölbe habe die Garnison
gezwungen, das Werk zu verlassen. Das könnte höchstens eine vorübergehende
oder teilweise Räumung gewesen sejn, ~ ....." " ~ ~
44
Antwerpen 1914.
ein arges Bild der Verwüstung. Die beiden Panzertürme für
15-om-Kanonen, in jedem Turm zwei Geschütze, waren zerstört.
Dagegen waren die beiden Türme mit 12-om-Kanonen noch brauch-
bar und von den vier Türmen mit 7,5-em-Kanonen nur einer
beschädigt. Vier Panzertürme mit Sturmabwehrkanonen waren
bis auf einen außer Gefecht gesetzt. Ebenso hatten die Kasernen
und Schutzhohlräume gelitten. An neun verschiedenen Stellen
war der Beton durchschlagen, die Kehlgrabenwehr durch zwei
Schüsse stark beschädigt. Diese letztere Wirkung kam der stürmen-
den Infanterie mehr zugute, als die Brauchbarkeit von fünf Fern-
kampfpanzern im Augenblick des Sturmes noch schaden konnte.
Im ganzen haben, wie später festgestellt wurde, 44Schuß schwersten
Kalibers (von fast 500 Schuß) im Fort nennenswerte Wirkung
erzielt. (Anlage 2)
Major K l e e m a n n stürzte \an der Spitze der 2. Kom-
pagnie noch 1500 m weiter über das Fort hinaus, im Wettlauf mit
dem linken Nachbarn, dem Reserve-Jnfanterie-Regiment 52.
Dieses hatte zwischen dem Fort Wavre und der Eisenbahn
Mecheln—Fruitenborg die feindliche Stellung trotz der noch nicht
überall zerstörten Hindernisse überrannt und war bis etwa 1 km
südlich Bahnhof Fruitenborg dem fliehenden Feind nachgestoßen;
dort erst gebot ihm das feindliche Feuer Halt.
Der rechte Flügel der Marine-Jnfanterie-Brigade (Regi-
ment 2) überschritt das Vrouwenvliet, drang in Elsestraet ein und
eroberte den Ort Schritt für Schritt in erbittertem Häuserkampf.
Fort Waelhem erwies sich aber auch an diesem Tage als noch
nicht sturmreif. Die Sturmkolonnen des Marine-Infanterie-
Regiments 1 mit der auf ihrem linken Flügel unter Kapitän zur
See Türk aus Freiwilligen besonders zusammengestellten und
mit Schwimmwesten ausgerüsteten Sturmabteilung konnten sich
im feindlichen Feuer nur bis auf 600 m nähern. Ein weiteres
Vorkommen war unmöglich. Türk meldete abends, daß noch
zwei Panzertürme, mehrere Schnellfeuergeschütze und Maschinen-
gewehre in Tätigkeit seien, und daß Morsezeichen aus den Panzer-
türmen nach hinten gegeben würden.
Durchbruch bei Wavre-Ste Catherine.
45
Der Erfolg am 1. Oktober entsprach also nicht ganz den Er-
Wartungen. Der geplante Einbruch war auf den Flügeln beim
.Zwischenwerk Boschbeet und dem Fort Waelhem nicht geglückt.
Immerhin — das Loch war in den eisernen Ring von Antwerpen
geschlagen, es mußte nur bald erweitert werden. Und dies trat
nun schon am folgenden Tage ein, ohne daß es besonderer neuer
Anstrengungen bedurfte. Die Artillerie hatte gut vorgearbeitet,
Äie Widerstandskraft des Verteidigers war auf diesem Teil der
Angriffsfront schon erheblich erschüttert.
Gegenüber dem Zwischenwerk Boschbeek war das Reserve-
Infanterie-Regiment 8 zurückgenommen worden, damit nochmals
Artilleriefeuer auf das Werk gelegt werden konnte. Um 2Uhr
nachmittags stellte der Adjutant des I. Bataillons Pionier-Regi-
ments 24,Leutnant Tiemann, bei einer Erkundung fest, daß
das Werk anscheinend verlassen war. Er holte einen schweren
Minenwerfer heran und gab fünf Schuß auf das Werk ab. Als
alles stumm blieb, wurde es kampflos besetzt.
Teile der Regimenter 8 und 48 säuberten gemeinsam im
Häuserkampf das Dorf Wavre-Ste. Catherine, und die Regi-
menter 48 und 12 warfen vor ihrer Front den Feind aus seinen
Verteidigungsstellungen zwischen dem Zwischenwerk Dorpvelde
und Fort Wavre-Ste. Catherine. Auf Fort Waelhem wurde am
2. erneut Artilleriefeuer gelegt, seine Wirkung sollte vor Erneu-
erung des Sturmes abgewartet werden. Um 5 Uhr nachmittags
zeigte das Fort die weiße Flagge. Oberleutnant Wunderlich
von der Maschinengewehr-Kompagnie des Marine-Jnfanterie-
Regiments 1 durchschwamm den Graben, betrat als erster das Fort
und hißte die deutsche Fahne.
Die Artillerie hatte auch hier gründlich Arbeit verrichtet (An-
läge 2). Von 1878—1881 erbaut, ist Fort Waelhem später bis 1891
und neuerdings seit 1911 verstärkt worden. Die Verstärkung bezog
sich besonders auf überziehen des alten Ziegelmauerwerks mit einer
Betonplatte in 1 m Dicke. Die deutsche Artillerie hatte die beiden
Panzertürme für 15-em-Kanonen zerstört, dagegen die vier Panzer-
türme für Sturmabwehrkanonen nicht außer Gefecht fetzen können.
-Eine Explosion des Munitionsraumes hatte aber schweren Schaden
46
Antwerpen 1914.
angerichtet und die Spitzengrabenwehr zerstört. Wenn auch von
556 Schuß 30,5-ow-Granaten nur etwa 30 besonders wirkungs-
volle Treffer (Anlage 2) innerhalb des Forts lagen, so hatten hier
auch 21-om-Granaten, deren Schußzahl auf die Forts im ein-
zelnen nicht mehr genau festzustellen ist, schweren Schaden ange-
richtet. Die große Wirkung dieser Granaten zeigt ein Schuß im
Fort, wo die Granate durch den nassen, lehmigen Sandboden einen.
Weg von 10 m zurücklegte, um dann noch eine 1 m starke Ziegel-
decke zu durchschlagen!
550 Gefangene fielen in die Hand des Marine-Jnfanterie-
Regiments 1, das noch am späten Abend bis an das Netheufer
vordrang. Das Marine-Jnfanterie-Regiment 2 aber konnte sich
des noch nicht niedergekämpften Fortin du chemin de fer an diesem
Tage noch nicht bemächtigen.
So wurde also am 2. Oktober in diesen Abschnitten das-
erreicht, was uns am Tage vorher versagt geblieben war, — und
noch mehr — Teile der Marine-Division kamen bereits an diesem
Tage bis an die Nethe.
Gegenangriffe des Gegners waren am 1. und 2. Oktober über-
all abgewiesen worden. Seine Infanterie schoß meist zu hoch, die
Artillerie wenig genau und viel mit rauchstarkem Pulver. Der
Angreifer war aufmerksam und hielt zähe fest, was er gewonnen
hatte. Die Fänge des preußischen Aars packten unerbittlich zu.
Während des Angriffs der 5. Referve-Division am 1. Oktober
nachmittags war auch der rechte Nachbar, die 6. Reserve-Division^
nicht untätig geblieben. Zu gleicher Stunde wie die Sturmtruppen
der 5. war auch sie gegen die vor ihr liegenden Werke und feind-
lichen Stellungen angetreten und hatte sich ihnen stellenweise bis
auf 600 m genähert. Ein außerordentlich starkes Feuer zwang
die Truppen teilweise früher, als beabsichtigt, sich einzugraben.
Auch hier wollte der Gegner die Scharte des 1. Oktober auswetzen.
Unter dem Schutze eines mörderischen Feuers versuchte er in der
Nacht zum 2. Oktober nicht weniger als dreimal, durch Ausfälle
den Angreifer über den Haufen zu rennen. Die Angriffe richteten
sich vorzugsweise aus der Gegend des Forts Koningshoyckt gegen
Durchbruck bei Wavre-Ste. Catherine.
47
die von ihm anscheinend richtig erkannte Lücke zwischen den Re-
serve-Regimentern 26 und 24 in der Mitte des Divisionsabschnittes.
Sie blieben erfolglos.
Die durch den Fall der Werke am 1.10. im Abschnitt der
Z. Reserve-Division freigewordene Artillerie legte ihr Feuer nun
auch auf die noch nicht eroberten Befestigungen südlich der Nethe,
während unausgesetzt Infanterie- und Pionierpatrouillen an sie
heranfühlten, um die Wirkung des Beschüsses festzustellen und das
Zeichen zum sofortigen Zupacken zu geben. Sehr bald machte sich
auch auf diesem Teil des Angriffsfeldes die vernichtende Arbeit
der Artillerie bemerkbar.
Fort Koningshoyckt schwieg seit 2.10. mittags. Leutnant der
Reserve v. Ko ß vom Reserve-Jnfanterie-Regiment 20 schloß sich
einer Patrouille freiwillig an und gelangte mit ihr bis zum
Glacis, das auch hier ein 30 m breiter Wassergraben vom eigent-
lichen Fort trennte. Allein schlich er sich dann von Granattrichter
zu Granattrichter springend weiter und erreichte die Kehle des
Forts. Die Zugbrücke fand er unversehrt und benutzbar. Als
erster Deutscher betrat er das Fort, bewaffnete sich mit einem an-
dem Tore stehenden belgischen Gewehr und erstieg den Wall..
Da nahte auch schon das Bataillon v. O v e n (II./Res.-J.-R. 20),
rückte ein und pflanzte unter unbeschreiblichem Jubel und unter
den Klängen des Liedes „Nun danket alle Gott" seine Fahne auf
den Wall.
Die Verwüstung des Forts war unbeschreiblich (Anlage 2). Es
stammt aus dem Jahre 1909 und weist eine ähnliche Bauart und
Stärke wie Fort Wavre auf, befand sich aber teilweise noch in un-
fertigem Zustande. Der Maschinenraum, die Deckungen für die
Maschinengewehre und Nahkampfgeschütze, sowie die Kehlmauer
waren eingedrückt. An fünf Stellen hatten die deutschen Geschosse-
die Kasernen und Schutzhohlräume durchschlagen. Nach belgischem
Bericht machte eine am Mittag erfolgte Explosion des Munitions-
magazins das Fort unhaltbar, nachdem bereits am 30. September
fast alle Geschütze außer Gefecht gesetzt worden waren. Letzteres
kann sich aber nur auf ungeschützt aufgestellte bezogen haben, denn
eine spätere deutsche Prüfung ergab, daß von den vorhandenem
48
Antwerpen 1914.
Panzertürmen — zwei für 15-om-, zwei für 12-om-, vier für 7,5-om-
Kanonen — sieben noch brauchbar waren.
Am Abend des gleichen Tages zeigte sich unter donnerndem
Getöse am Zwischenwerk Tallaert, dessen Vorhandensein überhaupt
erst am 1.10. festgestellt worden war, eine große Rauchwolke?
wenige Stunden später wurde es von der 8. Kompagnie des
Reserve-Jnfanterie-Regiments 26 besetzt. Die Explosion eines
Munitionsmagazins hatte das Fort zerstört*).
Am 3.10. stellte bei Tagesanbruch Leutnant Paar von der
1. Kompagnie des Reserve-Jnfanterie-Regiments 35 fest, daß Fort
Lierre und die Zwischenstellungen vom Feinde geräumt waren.
Das I. Bataillon des Regiments besetzte sie alsbald.
Die Eroberung dieses Forts kann die Artillerie, insbesondere
die 42-om-Batterie Erdmann, allein für sich in Anspruch
nehmen (Anlage 2). Von 175 Schüssen aus den „Dicken Berthas"
haben nicht weniger als 32 schwere Beschädigungen der Panzer-
und Betonbauten erzielt. Von neun Panzertürmen (zwei 15-em-,
drei 12-cm-, vier Sturmabwehr-Kanonen) waren vier völlig zer-
stört, die Kasernen und Hohlräume an drei Stellen durchschlagen,
darunter die 3 m starke Betondecke der Hofkaserne. Die einstür-
zenden Erdmassen hatten die Zugänge zu den unversehrt geblie-
denen Panzertürmen verschüttet^*).
Ein Werk südlich der Nethe hielt sich noch, die Reboute de
Düffel (Fortin du chemin de fer). Mörser wurden erneut zur
Niederkämpfung in Stellung gebracht und Minenwerfer heran-
gezogen. Die Marine-Jnfanterie schob sich bis auf 300 in an die
Redoute heran, bereit, im gegebenen Augenblick zuzugreifen. In
der Nacht zum 4. Oktober eröffnete die Artillerie der Redoute noch
einmal ein lebhaftes Feuer, — es war die letzte Munition —
dann sprengte die Besatzung die wichtigsten Teile und verließ das
Werk. 7 Uhr 30 Minuten früh wurde es vom Marine-Jnfanterie-
Regiment 2 besetzt.
*)Nach Angabe des belgischen Berichtes.
**)Nach dem belgischen Bericht ist das ?ort am 2. Oktober abends
6 Ahr geräumt worden, da alle Kuppeln zerstört oder unzugänglich und die
Mehrzahl der Gänge verstopft waren.
Durchbruch bei Wavre- St«. Catherine.
49
Die deutsche schwere Küstenmörser-Batterte Nr. 5 (30,5 cm)
hatte gegen das Fort 137 Schuß mit vorzüglicher Wirkung ab-
gegeben (Anlage 2).
Der Gouverneur der Festung befahl am 1.10. avends nach
dem Fall des Forts Wavre-Ste. Catherine und den vergeblichen
Gegenangriffen der belgischen 1. und 2. Division, die rückwärtige
Stellung zwischen Fort Koningshoyckt und dem Fortin du chemin
de fer zu beziehen. Als aber am 2. abends auch das Fort Lierre
von der Besatzung verlassen war, verlegte er die gesamte Ver-
teidigung aus das nördliche Netheufer. Er verzichtete somit auf
eine Offensive in diesem Abschnitt, die zu schützen und zu unter«
stützen, Zweck der Befestigungen auf dem südlichen Ufer gewesen
war.
Die erste große Aufgabe war erfüllt. Die drei Waffen hatten
in mustergültigem Zusammenwirken in gleicher Weise an dem
Ersolge Anteil. Sorgfältig hatte die Artillerie vorgearbeitet. Plan-
volle Bekämpfung auf Grund vortrefflicher Anordnungen, kühne
Wahl der Beobachtungsstellen und genaues Schießen verbürgten
mit dem vorzüglichen Material — besonders der schwersten Kaliber,
den „dicken Berthas" (30,5 und 42cm) — den sicheren Erfolg.
Die Infanterie hatte dann gestürmt, ohne Rücksicht auf das ihr
entgegenfchlagende Feuer, auf die bei der Kürze der Zeit natürlich
nicht völlig erreichte Niederkämpfung der feindlichen Artillerie
imd die vielfach noch unzerstörten Drahthindernisse und ohne Scheu
vor den dadurch eintretenden Verlusten, überall wirksamst unter-
stützt von den Pionieren, die mit ihren Drahtscherentrupps und
Schnellbrücken immer am Anfang der Sturmkolonnen zu finden
waren.
Der Ruhm der Tat scholl durchs deutsche Land und erfüllte
alle Herzen mit froher Zuversicht. Die Wirkung auf unsere Gegner
aber war geradezu niederschmetternd.
* 4-
*
(Skizze 1.)
England hatte am 20. September abermals unter dem Be-
fehl des Generals Aston (s. Seite 19) bei Dünkirchen eine
Antwerpen 4
50
Antwerpen 1914.
Marine-Brigade gelandet. Sie sollte den Anschein der Vorhut
einer neuen starken englischen Armee erwecken, die bestimmt sei,
gegen die deutschen rückwärtigen Verbindungen zu operieren.
In der Aufstellung begriffene Neuformationen hoffte man in ab-
sehbarer Zeit folgen lassen zu können. Aber der Kamps der West-
Heere zog sich bereits bis in die Gegend von Arras. Neue deutsche
Truppen waren im Anmarsch. So lief A st o n s schön gedachtes
Unternehmen bald in einfache örtliche Sicherungen aus. Auf Ge-
heiß I o f f r e s zog er feine Truppen nach Cassel und Lille und
bildete eine schwache Verlängerung der bis Tournai reichenden
französischen Sicherungstruppen. Resigniert stellt C o r b e t t
(Seite 15, Anm.) fest, daß die belgische Armee nicht helfen konnte.
Nach Scheitern ihres letzten Ausfalls war sie gerade in diesen
Tagen zum Zurückgehen hinter die Linie der Außenwerke ge-
zwungen worden. Die einzige Hoffnung blieb eine gemeinsame
große Angriffs-Operation von Briten, Franzosen und Belgiern in
Flandern. French war bereits im Begriff, mit dem britischen
Landungsheer aus seiner zwischen den Franzosen eingekeilten-
Lage, in seine „natürliche und ursprüngliche Stellung an der See-
flanke" zurückzukehren.
Jetzt — so urteilt der englische Bericht — war der Augen-
blick gekommen, wo die Festung Antwerpen und die sie verteidig
gende Feldarmee aus militärischen und seestrategischen Gründen
die größte Bedeutung gewannen. Aber der ursprüngliche große
Offensivgedanke schrumpft unter der Einwirkung der schnellen
deutschenErfolge und infolge Mangels anTruppen immer mehr zu-
sammen. Den linken Flügel des Westheeres ostwärts zu biegen,
ihn in Antwerpen fest zu verankern und auf diese Weise eine die
Küste abschließende Fron't zu gewinnen, erscheint schließlich als das
zunächst mögliche und deshalb erstrebenswerte Ziel.
Aber die Durchführung erwies sich trotz des Marneerfolges
jetzt noch schwieriger. Vorbedingung war zunächst die Rückver-
legung der Operationsbasis des Landheeres von St. Nazaire nach
Le Havre. In diefer kritischen Zeit treten deutsche U-Boote er-
folgreich im Kanal aus. Hatte bereits am 22. September W e d d i»
g e n s große Tat der Versenkung der drei Kreuzer Cressy, Aboukio
Durckbruck bei Wavrs-Ste. Catherine.
5!
und Hogue niederschmetternd auf die britische Admiralität gewirkt,
so richteten die Operationen der U-Boote im Kanal Ende des
Monats verhängnisvolle Verwirrung an. Jeder Verkehr auf dem
Wasser bei Tage wurde untersagt! Als unerträglich wird die
Unsicherheit der Verbindungslinien zum Festlande bezeichnet. Da-
bei laufen fortgesetzt Meldungen über Verstärkung des deutschen
rechten Flügels ein. Die Verzweiflung wird vollständig, als die
Nachricht vom Fall der Forts Waelhem und Wavre-Ste. Eathe-
rine in England eintrifft. Sie ist verbunden mit einem dringenden
Hilferuf der belgischen Regierung, die keine Hoffnung mehr sieht,
wenn nicht gegen die linke Flanke der Belagerungsarmee ein
Angriff geführt wird. Gleichzeitig laufen neue Nachrichten von
deutschen U-Boot-Angriffen ein. In vorbildlichem, kameradschast-
lichem Zusammenwirken helfen deutsche Seehelden den schwer
ringenden Belagerungstruppen. Gar nicht hoch genug kann die
Hilfe veranschlagt werden, welche die deutsche Marine in diesen
Tagen den Truppen B e s e l e r s geleistet hat. England muß
seine Transporte bei Nacht unter dem Schutze von Zerstörern
schicken. Am 2.Oktober sieht es sich sogar veranlaßt, die Ver»
feuchung der Südzone des Kanals mit Minen anzuordnen. Un-
endlich wurden dadurch Seetransport und Transportschutz für die
belgischen Operationen in einem Augenblick erschwert, wo alles
auf Schnelligkeit und Sicherheit ankam.
Nichtsdestoweniger trat man in Erwägungen über eine
Unterstützung der Belgier ein. England erklärte, zwei gute Divi-
sionen senden zu wollen. Man rechnete damit, daß von der bel-
gischen Feldarmee die Kavallerie-Division und vielleicht zwei Jnfan-
tsrie-Divifionen abgegeben werden könnten. Die Franzofen ver-
sprachen eine Territorial-Division. Schwere Schiffsgeschütze hatte
England bereits gestellt. Aber man verlangte nach den trüben
Erfahrungen, die man mit französischen Territorialtruppen in den
Tagen von Le Cateau gemacht hatte, daß die Franzosen reguläre
Truppen senden sollten.
Noch steht man in Verhandlungen, da trifft am späten Abend
des 2. Oktober die bestürzende Nachricht ein. die belgische Regierung
habe sich entschlossen, die Feldarmee aus Antwerpen herauszu--
52
Antwerpen 1914.
nehmen, sich selbst nach Flandern zurückzuziehen und die Festung
der Besatzung zu überlassen, die sie so lange als möglich halten
solle*).
Schon aus rein strategischen Gründen — wir folgen der eng.
tischen Darstellung — konnte die neu entstandene Lage nicht ohne
weiteres angenommen werden, ohne wenigstens vorher alle An-
strengungen gemacht zu haben, den Zusammenbruch sämtlicher
britischer Pläne — denn dies bedeutete dieser Entschluß — zu
verhindern. Moralisch war der Entschluß der belgischen Regierung
besonders ernst zu nehmen; zeigte er doch, daß es weniger mili»
tärische Gründe (!) als das Gefühl gewesen war, von den Alli»
ierten verlassen worden zu sein.
England verzagte also durchaus nicht, hielt trotz des Falles
wichtiger Forts nicht nur die Behauptung Antwerpens für möglich,
sondern sah auch keine Veranlassung, von seinem in dieser ganzen
Zeit hartnäckig verfolgten, aber von uns immer wieder durchkreuz--
ten Plane einer großen Offensive gegen die deutschen Verbindungen
abzuweichen. Dementsprechend bewegen sich seine nunmehr zu
treffenden Maßnahmen in zwei verschiedenen Richtungen. Zunächst
beschloß man die beschleunigte Aufstellung einer Operationsarmee
in Gegend Ostende, um die belgische Feldarmee gegen das Be>
lagerungsheer von außen her unterstützen zu können. Die Fran-
zosen stellten eine vollständige Marine-Brigade, die von Paris in
Marsch gesetzt wurde, und die 87. Territorial-Division, die von
Le Havre bereits am 6. oder 7. Oktober eintreffen sollte, zur Ver»
fügung. Insgesamt hoffte man ein gemischtes Korps von 42 000
Mann mit 86 britischen Geschützen — außer den französischen
Truppengeschützen — schnell verwendungsbereit haben zu können.
Das Erscheinen einer so starken Truppe in der linken Flanke des
*) In der belgischen amtlichen Darstellung heißt es darüber: „Die Wirkung
der schweren deutschen Artillerie, die man bei Lüttich, Namur, Maubeuge unö
am 29. September bei den Forts Wavre-Ste. Catherine und Waelhem konsta-
tiert hatte, ließen an dem Schicksal, das der Befestigungen von Antwerpen
wartete, keinen Zweifel aufkommen. Entgegen der Meinung, die man bis dahw
allgemein gehabt hatte, konnte die Lagerfestung der Feldarmee nicht mehr lang«
Schuh bieten. Von diesem Tage an fayte denn auch das Oberkommando dew
Zeitpunkt ins Auge, wo die Armee den Platz verlassen mußte, um zu verhüte«^
hinnen kurzer Frist die Waffen strecken zu müssen."
Durchbruck» bei Wavre-Ste. Catherine.
5Z
Belagerungsheeres konnte nach englischer Ansicht von den Deut-
schen nicht unbeachtet bleiben, besonders wenn gleichzeitig die
Generale Ioffre und French ihre Hauptkräfte zum um-
fassenden Angriff auf den rechten deutschen Flügel ansetzten.
Aber bis es soweit war, verging Zeit. Daraus ergab sich die
Notwendigkeit einer unmittelbaren Unterstützung der Belgier, da»
mit sie wenigstens noch einige Tage aushielten. England ent-
sandte in der Erkenntnis, wie C o r b e t t sagt, daß dieser Augen-
blick einen Wendepunkt in der britischen Kriegführung bedeutete,
den ersten Lord der Admiralität Churchill persönlich als
Regierungsvertreter nach Antwerpen, damit er sich an Ort und
Stelle über die Lage und die zu treffenden Maßnahmen infor-
miere. Nach einer Nachtfahrt erreicht Churchill am 3. Oktober
Antwerpen. Er schließt mit den Belgiern folgendes Abkommen:
Die belgische Regierung trifft sofort energische Maßnahmen, die
Verteidigung noch zehn Tage fortzusetzen. Die britische Regierung
verspricht, nach drei Tagen mitzuteilen, ob und wann eine Opera-
tion zu ihrer Unterstützung durchgeführt werden soll. Kann Eng-
land diese Erklärung nicht abgeben, so soll Belgien wieder Freiheit
des Handelns haben, die Verteidigung aufzugeben und die Feld-
armee zurückzuziehen. Für diesen Fall verpflichtet sich die britische
Regierung, den Abmarsch der belgischen Feldarmee von Gent oder
irgendwo anders her zu unterstützen. Ferner verpflichtet sich die
britische Regierung, die örtliche Verteidigung Antwerpens mate-
riell und personell zu unterstützen, Geschütze zu senden und Marine-
und See-Brigaden zur Verfügung zu stellen. Diese Letztere Be-
dingung bedeutete, so schließt die englische Darstellung, ein ver»
zweifeltes Mittel gegen eine verzweifelte Situation.
In der Tat gewinnt man den Eindruck, daß die großen Er-
folge der Belagerungsarmee in Verbindung mit der drohend
aufsteigenden U-Voot-Gefahr in diesen Tagen auf englischer Seite
mehr verzweifelte als überlegte Handlungen gezeitigt haben. Man
zog jetzt die mit soviel Erwartungen gelandete Marine-Brigade
wieder zurück, um sie nach Antwerpen zu werfen, obwohl man
als wirksamstes Mittel zur Lösung der schwierigen Lage im
gleichen Atemzuge die Aufstellung einer Operationsarmee in eben
54
Antwerpen 1914.
der Gegend, wo diese Brigade stand, beschlossen hatte. Hier hatte
sich zudem die Lage immer kritischer gestaltet. General Paris,
der an die Stelle A st o n s getreten war, sah sich gezwungen, seine
vorgeschobenen Truppen zurückzuziehen, nachdem die Franzosen
vor deutschen Verstärlungen schon Tournai hatten rö imen müssen.
Man machte also ein Loch aus, um ein anderes zu stopfen. Mangel
an Truppen ist die Ursache gewesen. Die für Antwerpen be-
stimmten See-Brigaden waren erst in der Ausbildung begriffen;
die Leute hatten meistens noch nicht einmal geschossen. Ihr Kampf-
wert war sehr gering.
Wenn auch seine militärische Hilfe nicht allzu hoch zu ver-
anschlagen war, so übte das Eingreifen Englands doch eine schnell
in die Erscheinung tretende moralische Hebung der belgischen
Widerstandskraft aus, die um so fühlbarer für uns wurde, als
der Angriff nach dem Fall der Fortlinie sich nunmehr einem fast
noch schwerer zu überwindenden Hindernis gegenüber sah.
Der Netheiibergang. 3. bis 6. Oktober.
(Skizzen 1,2, 4,5 und 6.)
or den Truppen lag die Nethe. Erst am Nach-
mittag des 3. Oktober, als die Erkundungs-
ergebnisse der zum Fluß entsandten Patrouillen
eingingen, übersah man im ganzen Umfange
die Schwierigkeiten, die die Überwindung des
Abschnittes mit sich brachte. Der Feind hatte
tatsächlich das Ufergelände unter Wasser
gesetzt. Eine 400 m breite Sperre mit geringem Wasserstand, der
kaum die Benutzung von Tonnenflößen zuließ, war entstanden.
Jenseits wartete der Feind in vorbereiteter Stellung und beschoß
aus seiner vorzüglichen Deckung jeden Kopf, der sich zeigte. Zu
erkennen war vorerst nur die Zerstörung sämtlicher Brücken. Fünf
weithin hörbare Detonationen hatten dies schon am 2. vermuten
lassen. Das ganze südliche Ufer, namentlich aber die Brücken-
stellen, lagen unter dem starken Feuer seiner Artillerie, so daß
Erkundungen bei Tage ausgeschlossen waren.
Besonders schwierig sah der Übergang für die S.Reserve-
Division aus, die um Düffel herum gedrängt, mit nicht angelehntem
linkem Flügel den Fluß überschreiten mußte. Zu ihrer Unter-
stützung sollte in Abweichung von dem ursprünglichen Plane nun
auch die Marine-Division den Übergang vor ihrer Front erstreben.
Bon einem einheitlichen Angriff auf der ganzen Front wurde
Abstand genommen. Er wäre voraussichtlich sehr verlustreich ge-
worden und erschien wenig aussichtsvoll. General v. B e s e l e r
befahl vielmehr den Truppen, den Übergang je nach den örtlichen
und taktischen Verhältnissen zu erzwingen. Diese Maßnahme hat
uns viel Blut erspart und die Truppen für spätere Aufgaben
kampfkräftig erhalten.
56
Antwerpen 1914.
Lierre und Düffel waren die Punkte, wo man zuerst hin-
überzukommen hoffte. Lierre mußte vor allem schleunigst besetzt
werden, um Beobachtungspunkte für die Artillerie zu gewinnen.
Diese Stadt von 26 000 Einwohnern ist am Zusammenfluß der
Kleinen und Großen Nethe gelegen. Die Gomariuskirche, eine der
schönsten, katholischen Kirchen des Landes, viele andere historische
Bauten, wie der Hof von Denemarken, wo König C h r i st i a n V.
von Dänemark nach seiner Vertreibung 1524—1530 gewohnt hat,
und eine Fülle von Kunstwerken niederländischer Meister, erzählen
von der Geschichte der Stadt. Infolge ihrer Lage zwischen der
Kleinen und Großen Nethe, die außerdem noch östlich der Stadt
durch einen Arm verbunden sind, ist Lierre rings von fließendem
Wasser umgeben. Ein Nethearm teilt dazu die Stadt in zwei
Hälften. Der Angreifer, der Lierre ganz besitzen will, mußte also
drei Arme der Nethe überschreiten. Aus der Stadt aber schlug ihm
ununterbrochen lebhaftes Feuer entgegen.
Nichtsdestoweniger glaubte die 6. Reserve-Division die
Wirkung der Artillerie am 4.Oktober nachmittags aus-
reichend, um den Sturm wagen zu können. Die die
Stadt flankierenden Forts wurden durch Artillerie nieder-
gehalten, besonders Fort Kessel durch eine österr. 30-em-
Batterie und die 42-em-Batterie E r d m a n n zugedeckt. Schnell-
brücken- und Behelfsbrückenmaterial war in großer Zahl bereit
gelegt.
Um 6 Uhr abends trat das Referve-Jnfanterie-Regiment 35
unter Oberstleutnant v. E r n st mit dem I. und III. Bataillon gegen
die Stadt an, mit ihm die 1. Referve-Kompagnie des Pionier»
Bataillons 3 unter Hauptmann d. R. zur N e d d e n. Unter
dem Schutz eines Jnfanterieschleiers erreichen die Pioniere mit
ihrem Schnellbrückengerät den ersten zu überwindenden Nethe-
arm, die Große Nethe. Fünf Minuten später ist genügend In-
fanterie über den 25 m breiten Fluß hinübergeworfen. Weiter zum
mittleren Nethearm — auch dort keine Brücken. Wiederum helfen
die Pioniere der Infanterie hinüber, die in unwiderstehlichem
Drang ihrem nächsten Ziel, dem Nordwestrand der Stadt, zustrebt.
Fort Lierre
Wirkung eines 42-cin-Geschofses gegen einen IS-cm-Panzerturm.
Der Netheiibergang,
51
Da aber kracht es auf einmal los, nicht bloß von vorn, sondern voll
allen Seiten, auch aus den Häusern — ein wahrer Hexenkessel!
Barrikaden und von Türklinke zu Türklinke über die Straßen ge-
spannte Stacheldrähte erschweren das Vorwärtskommen. Glüh-
körper, die sich beim Draustreten entzünden, zeigen dem Gegner
an, wo sich der Angreifer befindet, und lösen jedesmal erneute
Feuerüberfälle aus. Nur langsam gewinnt die Infanterie Boden.
Am Abend hat das III. Bataillon den Marktplatz und den Ostaus-
gang besetzt. Das I.Bataillon sitzt zwischen dem 2. und 3. Arm
fest. Maschinengewehrfeuer von den Barrikaden und von Westen
her gebietet dem Angreifer Halt. — Es wird Nacht. Unaufhörlich
hauen die feindlichen Granaten in die von den 35ern besetzten Teile
der Stadt und auf die Brückenstellen. Unvergeßlich schwere
Stunden hat die Truppe zu ertragen. Kommt nicht bald Unter-
stützung, dann müssen die heldenmütigen Kompagnien in Lierre
verbluten. Schaffung einer Verbindung über die nun im Rücken
liegenden Nethearme ist dringendstes Bedürfnis. Hauptmann zur
N e d d e n geht ans Werk. Ungeachtet des feindlichen Feuers läßt
Text-Skizze
1 - 60 ooo
58
Antwerpen 1914,
er Ponton um Ponton des Reserve-Divisions-Brückentrains 6 ins
Wasser gleiten und stellt in wenigen Stunden eine Pontonbrücke
her. Schnell geht es weiter zum zweiten Arm. Dort gelingt es
ihm und seinen unerschrockenen Pionieren in kürzester Zeit die
zerstörte Brücke wieder verwendungssähig zu machen. Kaum ist
die letzte Lücke geschlossen, da rollen auch schon die längst bereiten
Feldartilleristen ihre Kanonen hinüber. Bis zum Marktplatz
werden einzelne Geschütze vorgezogen. Dort protzen sie ab. Und
nun fegen ihre Granaten durch die Straßen nach Norden und
Nordwesten. Das Feuer der Barrikaden läßt nach. Die Infanterie
atmet erleichtert auf. Jetzt kann sie es wieder aushalten und ihren
Platz verteidigen, bis weiteres Vorgehen möglich wird.
Links vom Reserve-Jnfanterie-Regiment 33 war das Reserve-
Infanterie-Regiment 26 südlich der Stadt an die Nethe herange-
rückt, mit ihm in enger Fühlung, aber getrennt durch den Fluß-
lauf. Rechts vom Reserve-Jnfanterie-Regiment 33 hing die
26. Landwehr-Brigade noch ab. Sie stand mit erheblichen Teilen
an den Netheübergängen von Boisschot bis nördlich Berlaer und
deckte damit die rechte Flanke. Ein Detachement unter Major
Brink (II./Ldw.-Jnf.-Regt. 39) stieß auf dem rechten Netheufer
noch bis zum Fort Kessel vor, das bereits geräumt war*), während
Bizefeldwebel K e h l e r von der 1. Landsturm-Pionier-Kompagnie
des IX. Armeekorps sehr schneidig und umsichtig die Eisenbahn-
brücke östlich Lierre erkundete.
Noch war die Nethe am 4. Oktober abends also nicht be-
zwungen. Ein harter Kampf hatte sich entwickelt, der die Lage
der vordersten Truppen, vor allem derjenigen in Lierre recht un-
angenehm gestaltete. Noch Schwereres stand ihnen bevor!
Am frühen Morgen des 3. besetzte das Detachement Brink
Fort Kessel endgültig (Anlage 2). Leutnant Leipziger war
mit seiner 6. Kompagnie trotz schweren Feuers von Fort Broechem
*)Nack dem belgischen Bericht hatten bereits die ersten deutschen Granaten
die Caponniere erreicht und verstopft. Ein Gewölbe stürzte ein. Die Kuppel
für 15-cm-Kanonen und zwei Kuppeln der 5,7-cm-Geschüye wurden zerstört. Äm
3. Oktober 8 Ahr morgens war die rechte Äälfte des Forts eine Ruine,
An diesem Tage bereits wurde das Fort geräumt.
Der Neiheilberqanq.
59
als erster eingedrungen. Zwei andere Bataillone der Brigade er-
reichten im Laufe des Tages die Nethe nördlich der Stadt Lierre
bei Klosterheyde und Heilbloem Cha». Mehr konnte man von
Text-Skizze 3.
diesen Truppen nicht verlangen, die nun wenigstens den gegenüber-
liegenden Feind beschäftigten und ablenkten. Um den 33ern in
Lierre aus der Stadt herauszuhelfen, hätten sie ihrerseits die Nethe
überschreiten müssen, — dazu langten aber ihre Kräste nicht, vor
allem fehlte hier die nötige Artillerieunterstützung.
Südlich der Stadt hatte noch in der Nacht das Referve-Jnfan-
terie-Regiment 26 den Befehl erhalten, den Übergang über den
Fluß zu erzwingen. Wieder ist es die Pionier-Kompagnie zur
Nedd en, die hier helfen muß.
Die noch in der Nacht angesetzte Erkundung der Brücken-
stellen führt zunächst nicht zum Ziel. Die Offizierpatrouille ver-
lisrt ihren Führer, Leutnant Körner, durch Herzschuß. Die
60
Antwerpen 1914.
Verhältnisse bleiben also ungeklärt. An Brückenschlag ist noch
nicht zu denken, das ganze Südufer liegt unter schwerem Artillerie-
fever, und starkes Infanterie» und Maschinengewehrfeuer schlägt
vom jenseitigen Ufer in die Versammlung des Regiments. Trotz-
dem tritt das I. Bataillon unter Major v. P a c z y n s k i um 7 Uhr
früh an, um dicht südlich der Stadt zunächst den Nethedamm zu
gewinnen und dann überzugehen. Aber die Infanterie kommt in
den unter Wasser stehenden Wiesen nicht recht vorwärts. Da
springt Hauptmann zurNedden persönlich ein. Bis zum Bauch
im Wasser watend, erreicht er mit fünfzehn seiner Pioniere ein un-
mittelbar am Fluß gelegenes Haus. Cr entdeckt einen kleinenDamm,
der an das Wasser führt, und am anderen Ufer den Schützengraben,
aus dem das verheerende Feuer kommt. Mit wohlgezielten
Schüssen bringt er Verwirrung in den Feind. Einzelne Belgier
laufen davon. Das ist der Moment, um die Schnellbrücken heran-
zuholen. Mancher wackere Pionier fällt, aber gleich springt ein
anderer für ihn ein. So gelingt es, etwa 800 m südlich der Stadt
die Stege ins Wasser zu lassen. Mit Hurra stürmen die 1. und
3. Kompagnie des Reserve-Infanterie-Regiments 26 und Pioniere
hinüber, besetzen den feindlichen Graben und machen noch einige
Gefangene. Dem I. Bataillon folgte gleich das HI. und entwickelte
sich links von ihm. Bis zum Mittag haben die beiden Bataillone
die Chaussee Lierre—Düffel besetzt, mit dem rechten Flügel, den
die 35er aus Lierre mit flankierendem Feuer wirksam unterstützen,
an der Kaserne, mit dem linken an der Nordwestecke des Parkes
von Ringenhof, nachdem dort der Feind im Nahkampf ge-
worfen ist.
Inzwischen hatten sich die links vom Reserve-Jnfanterie-Re-
giment 26 eingesetzten Regimenter der 11. Reserve-Brigade ver-
geblich bemüht, an den Fluß heranzukommen. Nachdem nun die
26er die Sperre gesprengt hatten, war es zwecklos, die bisher er-
folglosen Versuche fortzusetzen. Die Erzwingung eines neuen
Überganges hätte nur neue schwere Opfer gefordert. Man ent-
schloß sich, im Abschnitt der 26er überzugehen und dann deren
linken Flügel am jenseitigen Ufer zu verlängern. Um 2 Uhr nach-
mittags begann das HI. Bataillon des Reserve-Änfan^rie-Reai-
Der Netheübergang.
61
ments 24 mit dem Übergang. Schweres Feuer auf die Brücken-
stelle zwang zu mehrstündigen Unterbrechungen. Gleich beim
Beginn waren drei Offiziere gefallen. Aber trotz des fortgesetzten
Artilleriefeuers wurde der Übergang auf schwankenden Tonnen-
brücken fortgesetzt: es wurde jedoch Abend, ehe zwei Bataillone
in der Verlängerung des Regiments 26 über Laakenerhof bis Het
Ben dicht gegenüber dem Feinde eingesetzt waren, allerdings mit
recht gelichteten Linien, — die Nethe hatte ihre Opfer gefordert.
In Lierre mußten sich die 35er weiter gedulden. Mit Hilfe
der vorgezogenen Feldgeschütze — je ein Zug der 4. (Leutnant
der Reserve B l o m e y e r) und der 6. Batterie Reserve-Feld-
artillerie-Regiments 6 — war es zwar gelungen, einige Barri-
kaden sturmreif zu machen und Boden zu gewinnen, aber der
Nordwestrand der Stadt wurde auch an diesem Tage noch nicht
erreicht. Die Infanterie war eingeklemmt. Nur der linke Nach-
bar konnte ihr heraushelfen. Ein Höllenfeuer lag noch immer auf
den Truppen. Zweimal im Laufe des Tages mußte Hauptmann
zurNedden den Divisions-Brückentrain wieder aus der Stadt
hinausschicken. Er selbst aber arbeitete mit seinen Pionieren
weiter — es mußte geschafft werden!
So hatte uns der 5. Oktober zwar ein Stück vorwärts ge-
bracht, aber eine Lage geschaffen, die für die Truppen jenseits
der Nethe äußerst kritisch war. Weniger in Lierre, wo der west-
lichste Nethearm zwischen den beiden Parteien lag, um so ernster
bei den links anschließenden Regimentern 26 und 24 (im ganzen
nur vier Bataillone), die am Abend dieses trüben und regnerischen
Tages in 3 Km langer, dünner Linie an der Chaussee lagen, die
Nethe nur 2—600 m entfernt im Rücken, über die hinter dem
äußersten rechten Flügel nur ein einziger, dazu noch unzuverläs»
figer, zeitweise zerrissener Brückensteg führte. Weiter Gelände auf
dem Nordufer zu gewinnen, war wegen der mangelnden unmittel»
baren Artillerieunterstützung nicht möglich. Die Lage unserer In-
fanterie jenseits der Nethe war tatsächlich so, daß sie den Feind
geradezu zum Vorstoß reizen mußte. Er blieb auch nicht aus.
Allerdings entwickelte er sich nicht, wie man damals annehmen
mußte, aus einer richtigen Würdigung der schwierigen Lage der
62
Antwerpen 1914.
deutschen Truppen, sondern aus einer verzweifelten Beurteilung
der Gesamtlage von Antwerpen.
Die Belgier hatten auf dem Hauptangriffsfeld ihre 1., 2. und
5. Division eingesetzt, die noch durch Reserven der 3. und 6. Division
verstärkt worden waren. Am 4.war auch die englische Marine-
Brigade unter General Paris eingetroffen und hatte die Belgier
am Brennpunkte vor Lierre mit drei Bataillonen in erster Linie
abgelöst. Ein weiteres englisches Bataillon befand sich mit bel-
gischen Truppen dahinter in Reserve. General Paris hatte den
Befehl über den Abschnitt übernommen und ihn durch englische
Ingenieure mit allen Mitteln sofort ausbauen und verstärken
lassen. Das Eintreffen der Engländer gegenüber der 12.Reserve-
Jnsanterie-Brigade war sofort fühlbar geworden. Die Stärke des
Widerstandes zeigte sich als unverkennbar gewachsen, und so ist
die schwierige Lage der 3Ser nicht zuletzt auf das Eingreifen der
Engländer zurückzuführen. Auch die englischen Flieger brachten
den Belgiern beachtenswerte Unterstützung. Trotzdem hatte der
englische Kräftezuwachs, wie wir sahen, den Angriff der Deutschen
nicht aufhalten können. In Verbindung mit dem wachsenden deut-
schen Drucke auf dem äußersten linken Flügel bei Termonde*)
hatte die Überwindung der Nethe in und südlich Lierre vielmehr
so tiefen Eindruck auf die belgisch-englische Heeresleitung gemacht,
daß eine dringende Aufforderung nach Bordeaux abgesandt wurde,
die französische Marine-Brigade nicht nach Oftende, sondern sofort
nach Antwerpen zu leiten. Am Abend des 5. hielt König Albert
in Gegenwart von Churchill einen Kriegsrat ab, auf welchem
trotz allgemein gedrückter Stimmung beschlossen wurde, zu halten
und weiter zu kämpfen.
Kaum war dieser Entschluß gefaßt, als die Mitteilung eintraf,
die Deutschen hätten die Kleine Nethe unmittelbar nördlich Lierre
überschritten**). Verzweifelte Maßnahmen wurden für notwen-
dig erachtet, um die Flußlinie zu halten. So erging am 6. Oktober
*) Siehe Seite 70 ff.
**) Die Darstellung Corbetts, auf die sich obige Angaben stützen^
dürste an sich richtig sein. Die Meldung war aber falsch. Nördlich Lierre
war die Kleine Nethe zu dieser Zeit noch nicht überschritten.
Der Nethellbergang.
63
1 Uhr 15 Minuten früh vom belgischen Hauptquartier aus der
Befehl zum allgemeinen Angriff an die Truppen, um den Feind
über den Fluß zurückzuwerfen. Nur unter großen Schwierigkeiten
drang der Befehl langsam durch und erreichte die Truppen teil-
weise erst nach starken Verzögerungen. Da der Angriff bereits
auf 2 Uhr vormittags festgesetzt war, so meldete General Paris
— der ihn überhaupt für unzweckmäßig hielt —, er könne ihn nicht
rechtzeitig ausführen. Aus einer allgemeinen Offensive wurde so
nur ein Teilangriff von zwei belgischen Regimentern, der, nach-
dem das feindliche Artilleriefeuer schon von 10 Uhr abends an an
Stärke immer mehr zugenommen hatte, in der Hauptsache die
inneren Flügel der Regimenter 26 und 24 traf.
Der Feind stieß zwischen den beiden Regimentern durch.
Major v. Ja codi mußte seine letzten Reserven einsetzen, um
den Feind wieder zurückzuwerfen. Es entwickelten sich harte
Kämpfe, die den Belgiern vorübergehende Erfolge brachten. Wenn
auch Meldungen von einem feindlichen Vorstoß über die Nethe-
brücken nicht der Wirklichkeit entsprachen, so erfolgte doch die Mar-
mierung der südlich der Nethe ruhenden Truppen, und starke Un-
ruhe wurde vorübergehend in die Lage gebracht. Es kann heute
als ein Glücksfall bezeichnet werden, daß die Unterführer — ins-
besondere General Paris — die schwierige Lage der deutschen,
vorwärts der Nethe stehenden Truppen nicht richtig erkannt hatten.
Sie hätten sonst von sich aus den Plan der belgischen Heeresleitung
trotz feiner verzögerten Übermittlung sicherlich mit Leidenschaft
aufgegriffen und so, wie die Dinge lagen, einen großen Erfolg er-
ringen können. Nun lief der Angriff in ein verhältnismäßig ge-
ringfügiges Einzelunternehmen zweier Regimenter aus, das trotz
anfänglicher Erfolge einen Umschwung nicht herbeiführen konnte.
Immerhin war die Lage unserer Infanterie verzweifelt: Das
feindliche Artilleriefeuer in unverminderter Stärke auf unseren
Stellungen und den Brückenstellen, wenig Deckung und daher nicht
unerhebliche Verluste — leider auch infolge der schlechten Beob-
achtungsverhältnisse durch eigenes Artilleriefeuer —, dabei Muni-
tionsmangel, weder Verpflegung noch Wasser, und die Gewehre
durch Erdspritzer zeitweise gebrauchsunfähig — so harrte die In-
64
Antwerpen 1914.
fanterie aus und wartete auf Wiederholung der Angriffe. Wahr«
lich bange, schwere Stunden, die die Widerstandskraft der Truppe
auf eine besonders harte Probe stellten! Inzwischen wurden zu
ihrer Unterstützung alle möglichen Maßnahmen getroffen.
Am frühen Morgen des 6. Oktober waren bereits Teile des
Referve-Jnfanterie-Regiments 20 übergegangen und stützten nun
in Reservestellung die dünne Front. Ihnen folgte alsbald das
Detachement des Oberst v.Kleist von der S.Reserve-Division
(Reserve-Jäger-Bataillon 3 und zwei Bataillone des Reserve-Jn»
fanterie-Regiments 8), das den linken Flügel des Reserve-Jn»
fanterie-Regiments 24von Het Ben ab nach Südwesten zu ver-
längerte.
Aber auch weiter rechts trat eine wesentliche Verstärkung ein:
Die Batterien der II. Abteilung des Reserve-Feldartillerie-Regi-
ments 6 gewannen das Nordufer auf einer Brücke, die die uner-
müdliche Pionier-Kompagnie N e d d e n bereits in der Nacht füd»
lich der Kaserne geschlagen hatte, und gingen dicht hinter der vor»
dersten Linie an der Chaussee in der Gegend des Friedhofes in
Stellung. Sie brachten der schwer aushaltenden Schwesterwaffe
die lang ersehnte, unmittelbare Unterstützung, gaben ihr festen
Halt und machten durch ihr Vorgehen auf den Feind sichtlichen
Eindruck. Heute wissen wir, daß General P a r i s sich 11 Uhr vor»
mittags hier veranlaßt sah, die ihm unterstellten Belgier in eine
rückwärtige Stellung zwischen den inneren Forts und dem Fluß
zurückzunehmen. Dadurch wurde wiederum der rechte Flügel der
britischen Marine-Brigade entblößt, die bereits feit langer Zeit
unter schwerem Feuer litt. Am Nachmittage mußte sie nach
Vremde zurückgenommen werden. So hatte der heldenmütige
Kampf der deutschen Truppen bei Lierre einen ausschlaggebenden
Erfolg gezeitigt. Die Zurücknahme der belgischen und englischen
Truppen übte eine allmählich sich fortpflanzende Erleichterung auf
die ganze Front aus.
Die 42-om-Batterie E r d m a n n deckt nun auch das Fort
Broechem zu, das mit seinem Feuer fast zwei Tage lang unseren
Truppen in der Stadt Lierre und an der Brückenstelle besonder«
zugesetzt hatte.
Überschwemmungsgebiet an der Nethe
Zm Hintergrund Fort Broechem.
Der Netheübergang.
65
Gegen Mittag wird die Entspannung der Lage allgemein bemerk-
bar. Das feindliche Feuer läßt am Nachmittage weiter nach, auch
das der Infanterie gegenüber dem Reserve-Jnfanterie-Regi-
ment 24,dessen Lage noch während des ganzen Vormittags be-
sonders ernst gewesen war.
In Lierre erreichte das I. Bataillon Referve-Jnfanterie-Regi-
ments 35 den Nordwestrand der Stadt und überschritt mit drei
Kompagnien den 3. Nethearm. Es wurde damit aus seiner
schauderhaften Lage befreit, in der es 40 Stunden lang brav aus-
gehalten hatte. Allmählich machte sich auch die Wirkung unserer
schweren Artillerie geltend, die wegen mangelnder Beobachtung
in dem äußerst unübersichtlichen Gelände nur zu lange schmerzlichst
entbehrt wurde. Sie hatte nun Erfolg nicht nur gegen die feind-
lichen Infanteriestellungen, sie dämpfte auch das gegnerische Ar-
tillerieseuer, das besonders gegen unsere Beobachter auf den
Türmen von Lierre gerichtet war.
Am Abend erlaubte die Lage, das Reserve-Jnfanterie-Regi-
ment 20, das hinter dem Regiment 24in Reserve bereit stand, auf
das südliche Ufer in Gegend Jtterbeek zurückzunehmen.
Inzwischen war die Z.Reserve-Division auf ihrer ganzen
Front an das Überschwemmungsgebiet der Nethe mit losen
Schützenlinien herangegangen. Die Masse mußte weiter zurückge-
halten werden, denn der Feind setzte seine ganze Feuerkraft ein,
um dem Angreifer die Annäherung und erst recht den Übergang
zu verwehren. Dies hinderte jedoch bei den Pionieren nicht den
Drang, Übergangsmöglichkeiten zu erkunden und zu schaffen. An
allen in Frage kommenden Stellen geschah dies mit außerordent-
lichem Schneid. Wo es aber den Pionieren glückte, Übergänge her-
Zustellen, da scheiterte dann das übergehen der Infanterie im
feindlichen Infanterie- und Maschinengewehrfeuer. Wenn es am
Nachmittag und Abend des 6. Oktober trotzdem einigen Truppen-
teilen glückte, vor der eigenen Front den Übergang zu bewerk-
stelligen, so verdankten sie es dem durch den Übergang bei Lierre
erzielten Druck auf des Gegners Flanke. Die Übergangsstellen
waren dann vom rechten Nachbarn geöffnet worden. Hatte sich
die 6. Reserve-Division 48 Stunden in hartem Kampfe gemüht, um
Antwerpen. - 6
66
Antwerpen 1914.
das nördliche Ufer zu gewinnen, die S. Referve-Division brachte
ihre Truppen nun binnen zwölf Stunden im Laufe des 6. Oktober
hinüber.
Das Reserve-Jnfanterie-Regiment 8 war mit zwei Bataillonen
und dem Referve-Jäger-BatailloN 3 — wie bereits erwähnt —
südlich Lierre übergegangen und hatte sich im Anschluß an die
6. Reserve-Dioision bis in die Gegend De Beunt entwickelt.
Das III. Bataillon des Regiments konnte nach kurzem Gefecht
bei Duffel-Voogdy um 4 Uhr nachmittags auf Schnellbrücken
übergehen, da der Feind infolge des von Lierre kommenden
Druckes weichen mußte.
Das Reserve-Jnfanterie-Regiment 48 erzwang sich den über-
gang beim Dorfe Düffel. Unter der Wirkung des zufammenge-
faßten Feuers gelang es dem I. Bataillon um 2 Uhr nachmittags,
in das Dorf einzudringen und im Häuserkampf die Nethe zu er-
reichen. Unter starkem Feuer stellte die Z.Kompagnie Pionier-
Regiments 24 mit Leitern und Brettern einen behelfsmäßigen
Übergang über die zerstörte Chausseebrücke her. Aber der Feind
hielt in den gegenüberliegenden Häusern noch zähe fest. Da wurde
auch hier zu dem einfachsten Mittel gegriffen: Mit Hilfe eines vor-
gezogenen Geschützes in direktem Schuß der Widerstand gebrochen
und der Übergang erzwungen, über die Chausseebrücke und auf
Schnellbrücken, Kähnen und Ponton? eilte das I. Bataillon hin-
über. Ihm folgte sehr bald das HI., das auch noch in den Häuser-
kämpf verwickelt wurde. Das II. Bataillon wurde erst am Abend
auf das nördliche Ufer nachgeführt.
Das Reserve-Jnfanterie-Regiment 12, das am Vormittag noch
mit Übergangsversuchen bei Chau. Schrans den Feind getäuscht
hatte, ging ohne Kamps hinter dem Regiment 48 bei Düffel über
und verlängerte dessen linken Flügel unmittelbar nördlich der
Nethe.
Reserve-Jnfanterie-Regiment 52war nach vergeblichen Ber-
suchen, östlich Chau. Rozendael das noch vom Feinde besetzte nörd-
liche Ufer zu gewinnen, Nethe abwärts marschiert, ging bei Laake-
nerhof über die Nethe und setzte sich, hinter der Front entlang und
durch Düffel rückend, in den ihm zugewiesenen Abschnitt auf dem
Der Netheilbergang.
67
linken Flügel der Division. Lange nach Mitternacht erst erreichte
das Regiment seine Stellung.
Kaum war die nötigste Sicherung durch die Infanterie vor-
Händen, so begannen auch schon die Pioniere im ganzen Abschnitt
der Division die Schnellbrücken und Brückenstege durch Kolonnen-
brücken zu ersetzen, auf denen das sofortige Nachziehen der Ar-
tillerie ermöglicht wurde.
Bei der Marine-Division glückte aber auch an diesem Tage
der Übergang noch nicht. Bereits am S. Oktober hatte die Division
zwei gemischte Detachements unter Oberstleutnant v. G o e tz e an
der Straße Kuikenstraet — Waelhem bereitgestellt, um die beiden
Brückenstellen zu besetzen. Sie erreichten zwar den Nethedamm,
gerieten aber in so starkes Infanterie-, Maschinengewehr- und
Artilleriefeuer, daß schon das Verbleiben dort sehr verlustreich,
an einen Übergang aber nicht zu denken war, zumal auch das
Brückenmaterial teils zerschossen wurde, teils im Uferschlick
versank.
Auch am 6. erwiesen sich erneute Versuche, Brücken zu schlagen,
infolge des sumpfigen Ufergeländes als unausführbar. Die Er-
schütterung des Feindes war durch unser Artillerieseuer noch nicht
erreicht und mußte von neuem angestrebt werden.
Inzwischen war beim rechten Nachbarn der Fluß in breiter
Front überwunden worden; die Marinetruppen konnten sich daher
den gewaltsamen Übergang im eigenen Abschnitte ersparen. Am
7. Oktober früh ging General v. W i ch m a n n mit der Masse seiner
Marine-Jnsanterie-Brigade bei Düffel über und öffnete dann bei
Chau. Rozendael und Waelhem für feine beiden dort verbliebenen
Bataillone die Übergänge. Der Feind, der sich hier noch gehalten
hatte, räumte seine Stellungen in panikartiger Flucht.
Wie eine Erlösung wurden die im Laufe des 6. eingehenden
Meldungen empfunden. Brachten sie uns doch die Gewißheit, daß
der schwerste Teil der Belagerung glücklich überwunden war.
„Der Angriff hat die Nethe überschritten und nähert sich dem
inneren Fortgürtel." So lautete in nüchterner Soldatensprache
die Meldung von der gewaltigen Leistung im Heeresbericht vom
7. Oktober. Wir wußten allein, wie Großes in den knappen Worten
E*
68
Antwerpen 1914.
lag. Mit banger Sorge hatten seit zwei Tagen die Augen der
Führung auf den braven Truppen geruht, die mit Todesverach-
tung sich in die fast unlösbar erscheinenden Aufgaben stürzten —
mit banger Sorge, ob sie ihr Ziel erreichen, ob sie es dann aber
auch gegen feindliche Gegenangriffe halten würden, die ihnen
andernfalls Vernichtung in den Wellen der Nethe bringen mußten.
Nun war die Tat vollbracht. Die 6. Reserve-Division hatte ihre
schwere Aufgabe unter ihrem bewährten Führer, Generalleutnant
v.Schickfus, glänzend gelöst. Hatte sich die Aufrollung der
Fortlinie Waelhem^-Lierre, beim linken Flügel der S.Reserve-
Division beginnend, von Westen nach Osten vollzogen, so war der
Netheübergang, vom rechten Flügel der 6. Reserve-Division aus-
gehend, in umgekehrter Richtung erfolgt. Ein Hauptverdienst an
diesem Gelingen trug der leider schon 14 Tage später gefallene
Pionier-Hauptmann zurNedden,der durch seine rücksichtslose
Energie und Todesverachtung mit seinen Pionieren der Infanterie
und Artillerie den Weg über die Wasserläufe bahnte.
Reiche Ernte hielt der Tod unter den Tapferen, über manches
frühe Heldengrab rauschten die Wasserfluten dem Meere zu, von
starken deutschen Heldensöhnen aller Welt Kunde gebend. —
Unverhältnismäßig schwerer waren die Verluste der Gegner,
die sich unter dem Einflüsse der englischen Unterstützung an der
Nethe vielleicht hartnäckiger geschlagen haben als in der Fort-
linie. Besonders unsere Artillerie, die hier, unterstützt von den
österreichischen Batterien, zum zweiten Male den Widerstand des
Verteidigers gebrochen hat, fügte, wie Gefangene einstimmig be-
zeugten, dem Gegner schwere Verluste zu.
Der 6. Oktober hat das Schicksal Antwerpens besiegelt. Der
äußere Fortgürtel war durchbrochen, die Nethe auf breiter Front
überschritten. Die innere Fortlinie konnte ernstere Schwierigkeiten
nun kaum noch bereiten.
Die an der Nethe geschlagenen Belgier waren im Verlauf
der Kämpfe am 5. und 6. Oktober nach und nach bis in die Linie
Kaplaer—Donk—Eisenbahndamm zurückgewichen. Nur eine
Barrikade an der Chaussee Lierre—Antwerpen blieb besetzt. In-
zwischen war auch die 1. und 2. Brigade der englischen See-Divi-
Der Netheitbergang.
sion eingetroffen. In der Nacht vom 4.zum 5. hatten sie Dün-
kirchen mit der Eisenbahn verlassen und erreichten am 6. 10. um
2.30 morgens über Gent—St. Nicolas die Festung, wo sie am
Fort 6 der inneren Linie Unterkunft bezogen. Sie erhielten
Befehl, die Stellung zwischen den inneren Forts als Aufnahme-
stellung für ein etwaiges weiteres Zurückgehen der vorderen Linien
zu besetzen und auszubauen.
Der Rückzug des Gegners war von Patrouillen des Reserve-
Infanterie-Regiments 35 bereits in der Nacht vom 6. zum 7. fest-
gestellt worden. Der für den Morgen des 7. befohlene Angriff
auf der ganzen Front konnte also unterbleiben. Die allgemeine
Vorwärtsbewegung kam ohne Kampf wieder in Fluß.
Besonders auf englischer Seite sah man die Lage der Ver-
teidigung der Festung auch nach dem Fall der Nethelinie an
dieser Front zunächst noch durchaus nicht als hoffnungslos an.
Schwere Sorgen bereiteten der belgifch-englifchen Leitung jedoch
die Ereignisse auf dem Westflügel an der Scheide, die sich gleich-
Zeitig mit den eben geschilderten Kämpfen abgespielt hatten.
Die Ereignisse auf dem linken Alügel (37. Landwehr-Brigade)
bis zum ö. Oktober.
(Skizze 1 und 6.) l
ach der Gesamtlage und den Wasserverhälnissen
war es — wie bereits auseinandergesetzt —
nicht möglich gewesen, den Angriff von Westen,
also auf dem linken Scheldeufer, gleichzeitig
mit dem von Südosten geführten anzusetzen.
Zunächst hatte nur die gemischte 37.
Landwehr-Brigade unter Generalleutnant
v. Meyer für die Aufgaben auf dem linken Flügel verfügbar
gemacht werden können. Sie war bereits am 25.September zum
Schutze der linken Flanke nach Alost am Dendre marschiert und
hatte diesen Ort besetzt. Der Dendre bildete mit seinem Laufe von
Süden nach Norden einen vollkommenen Flankenschutz der Be-
lagerungsarmee, wenn Alost in unserer Hand war. Hier liefen
alle Straßen zusammen, die in den Rücken der 4.Ersatz-Division
führten.
War für das Festhalten dieses wichtigen Punktes auch nicht«
die ganze Brigade erforderlich, so mußten jedenfalls genügend
starke Teile dort bleiben. Es erscheint daher fast zuviel verlangt,
wenn die Brigade sich auch noch in den Besitz der befestigten
Stadt Termonde setzen, dort die Scheldebrücken wiederherstellen,
den Übergang über die 100—150 m breite Scheide erzwingen und
die Bahnlinien, die nördlich der Schelde von Antwerpen nach
Westen führten, zerstören sollte. Dafür war auch ihre Ausstattung
mit Artillerie und Pionieren zu schwach, Brückenmaterial,
fehlte ganz. *
Die Ereignisse auf dem linken Flügel.
7t
Unter dem Eindruck des gleichzeitigen deutschen Hauptan-
griffes gegen die Südostfront war der dritte Ausfall der Belgier
über Termonde gegen den linken Flügel des III. Reserve-Korps
in den Anfängen stecken geblieben*). Die Belgier ließen nun die
Z. und 6. Division im Südwest-Abschnitt gegenüber der 4. Ersatz-
Division stehen. Die 4. belgische Division blieb in Termonde und
die Kavallerie-Division wirkte von Gegend Wetteren aus gegen
unsere linke Flanke.
Die 37. Landwehr-Brigade hatte also in dem besonders
schwierigen Gelände eine Infanterie- und eine Kavallerie-Division
gegenüber, — kein Wunder, daß der Erfolg zunächst ausblieb.
Unter Zurücklassung eines Bataillons mit etwas Kavallerie
in Alost war General v. M e y e r am 26. September nach Norden
abmarschiert, um befehlsgemäß Termonde zu nehmen. Mit den
Hauptkräften marschierte er auf dem westlichen Ufer des Dendre,
mit einem schwächeren Detachement auf dem östlichen Ufer.
Die in Alost belassenen Truppen mußten sehr bald dem An-
-griffe stärkeren Feindes weichen und zogen sich auf die Brigade
zurück. Bis dahin hatte diese mit ihren Hauptkräften erfolgreich
bei Gyseghem gekämpft. Jetzt mußte sie über den Dendre bis in
die Gegend von Moorfel und Baerdeghem zurückgehen. Die auf
dem Ostufer vorgerückte rechte Kolonne war bis in die Vorstadt
St. Gilles gelangt, wurde dort in heftigen Straßenkampf verstrickt,
abgeschnitten und mußte sich schließlich zur Brigade durchschlagen.
Termonde war also nicht genommen und Alost verloren! Nach
vergeblichen Versuchen am 27. wurde letzteres jedoch am 28. Sep-
tember wiedergenommen. Die Brigade war inzwischen der 4. Er-
satz-Division unterstellt worden. Sie blieb vorläufig mit der Masse
bei Alost, dauernd stark beunruhigt durch die belgische Kavallerie,
starke Radfahrer-Abteilungen,Panzerautos und Panzerzüge. Ein
Detachement von zwei Bataillonen, zwei Batterien und einer
Pionier-Kompagnie wurde unter Oberstleutnant v. Cosel nach
der Gegend von Termonde entsandt, um dort die linke Flanke
der 4. Ersatz-Division zu decken.
*) Vgl, Seite 31.
72
Antwerpen 1914.
Mit dem Fortschreiten der Operationen auf dem Hauptkampf-
felde an der Nethe gewann naturgemäß die Lage auf diesem
äußersten linken Flügel am Dendre an erhöhtem Interesse. Eine
Preisgabe Antwerpens durch die belgische Armee, ohne daß sie
alles versucht hätte, die Festung zu halten, erschien zwar jetzt fast
ebenso unwahrscheinlich als vorher. Die tatkräftige englische Unter-
stützung, die man an der Nethe festgestellt hatte, war ja nur zu
verstehen, wenn man Antwerpen behaupten wollte, koste es, was
es wolle. Bestand die Absicht, die belgische Armee aus der Festung
zu ziehen, so war ein gleichzeitiges Hineinwerfen, obendrein müh-
fam herbeizuschaffender, neuer englischer Kräfte geradezu wider-
sinnig. Trotzdem mußte General v. B e s e l e r nach dem über-
raschend schnellen Falle der Forts und der Nethelinie mit ver-
zweifelten Entschlüssen des belgischen Königs, vielleicht gerade-
unter englischem Einfluß, rechnen. Es lag auf der Hand, daß die*
belgische Armee jetzt versuchen konnte, einer Kapitulation in der-
Festung auszuweichen. Dann erschien der Versuch eines Abzuges-
nach Westen, um den Anschluß an die verbündeten Hauptkräfte
zu suchen, am wahrscheinlichsten. Vernichtung der belgischen Armee
war aber das höhere Ziel, das die deutsche Führung vor Augen
hatte und das mit allen, auf dem Hauptangriffsfelde entbehrlich
werdenden Mitteln und Kräften verfolgt wurde.
Als daher am 4. Oktober das Generalgouvernement noch die
1. Reserve-Ersatz-Brigade unter Generalmajor Jung verfügbar
machen konnte, wurde sie dem linken Flügel zugeführt, um dort
den Druck nach Norden zu verstärken. Sie löste die 37. Landwehr-
Brigade bei Alost ab und machte sie für die wichtigere Aufgabe*
— Erzwingung des Übergangs bei Termonde — frei.
Hier hatten dem Detachement Cosel belgische Motorboote,,
die mit Maschinengewehren und Geschützen ausgestattet waren,,
den Kampf ungemein erschwert und jede Erkundung an der Scheide-
verhindert. Unsere Artillerie war wirkungslos gegen sie. Nun-
mehr erhielt General v. Werder Befehl, die 37. Landwehr-
Brigade bei Schoonaerde über die Scheide gehen und Termonde
von Norden öffnen zu lassen. Der Brigade wurden hierfür zwei
schwere Haubitz-Batterien zugeführt. Das baldige Nachfolgen einer.'
Die Lage in Antwerpen.
75
weiteren Landwehr-Brigade konnte in Aussicht gestellt werden.
Noch am 4.Oktober errreichte General v. M e y e r mit seiner
Brigade Schoonaerde und besetzte es nach kurzem Kampf. Die
Brücken über den 100—150 m breiten Fluß fand er zerstört und
geriet in das Feuer des auf dem jenseitigen Ufer fast unsichtbar
eingebauten Gegners. Brückentrains fehlten noch immer, und die
auf dem Kanal bei Gyfeghem aufgetriebenen Kähne konnten nicht
nach Schoonaerde gebracht werden. Alle Versuche, die zerstörte
Brücke wiederherzustellen oder auf Tonnenflößen hinüberzu-
kommen, scheiterten am 5. und auch am 6. an dem zähen Wider-
stände, den die Belgier, unterstützt durch die Geländeverhältnisse,
leisteten. Obwohl also den hier kämpfenden deutschen Truppen
greifbare Erfolge versagt geblieben sind, hat dennoch ihr Angriff
für die Gesamtlage der Festung und die Entschlüsse der belgisch-
englischen Heeresleitung ausschlaggebende Bedeutung gewonnen.
Wir sind erst heute, wo wir die Absichten und Beweggründe der
Gegner, die ihr Handeln damals leiteten, kennen, in der Lage,
dies richtig würdigen zu können.
Die Lage in Antwerpen am 6. u. 7.10.
(Skizze l und 6.)
ie deutschen Angriffe bei Baesrode, Termonde
und Schoonaerde sind es in erster Linie ge-
wesen, die zum Hilferuf nach Frankreich Ber-
anlassung gaben*). Sie hatten die gegenüber-
stehenden, überlegenen belgischen Truppen der-
artig erschöpft, daß weiterhin die 6. Division zu
ihrer Unterstützung aus der Hauptangriffs-
front herausgezogen werden mußte. Sie überschritt bei Tamise
die Schelde und brachte dem rechten belgischen Flügel wirksame
Hilfe, über diesen örtlichen Erfolg hinaus hatte das scharfe deutsche
Zupacken bei Termonde die Sorgen um die Ausrechterhaltung der
Verbindung Antwerpens nach Westen in einer Weife vergrößert^
*) Siehe Seite 62.
74
Antwerpen 1914.
daß die Hoffnung auf Behauptung der Festung bis zum Wirksam-
werden der geplanten Entlastungsoffensive immer mehr offen-
kundiger Verzweiflung Platz machte. Hatte man doch den Wider-
stand nach dem Falle der ersten Forts mit englischer Hilfe vor
allem verstärkt, weil operative Hilfe von außen Antwerpen retten
sollte, wobei die Mitwirkung von erheblichen Teilen der belgischen
Feldarmee vorgesehen war*). Wurde diesen Kräften der Weg
nach Westen abgeschnitten, so stand nicht nur die ganze Operation
in Frage, sondern die Einschließung der belgischen Armee und
in absehbarer Zeit ihre Kapitulation mußten die Folge sein.
Churchill hatte in dem wichtigen Übereinkommen vom
Z. 10."*) dem belgischen Könige versprochen, nach drei Tagen
bestimmte Zusicherungen über die außerhalb Antwerpens einzu-
leitenden operativen Maßnahmen zu geben. Die Zeit war ver-
strichen. Wie sah es nun in Wirklichkeit aus?
Von aller Hilfe ist jetzt im entscheidenden Augenblick keine
Spur zu finden! England hofft auf Frankreich, Frankreich auf
England, über Art und Zahl der zu stellenden Truppen streitet
man weiter. Die Unsicherheit des Kanals dauert Dank der regen
Tätigkeit unserer U-Boote an. über die zweckmäßigste Sicherung
gegen diese „Pest" kann man sich nicht einigen. Die Auswahl der
Ausladehäfen läßt ernste Meinungsverschiedenheiten entstehen.
Transporte kollidieren miteinander. Ungenügende Ausladevor-
richtungen zwingen zu Umleitungen und verursachen Zeitverlust.
Schließlich muß gar das eben gelegte Minenfeld geräumt
werden. Schlechtes Wetter auf der See stört die Arbeiten. Die
Operationen an der Hauptfront verlaufen durchaus nicht wünsch-
gemäß. Deutsche Verstärkungen treten hier zahlreicher aus. Der
Kampf zieht sich über Arras nach Lille und engt die Operations-
freiheit immer mehr ein. Schon wird ein deutsches Detachement
im Marsch auf Ostende gemeldet.
Es kann nicht überraschen, daß I o f f r e und F r e n ch unter
diesen Verhältnissen das Übereinkommen trafen, von direkten
Operationen zum Entsatz von Antwerpen nunmehr endgültig Ab»
*) Vgl. Seite 51. **) Seite 53.
Die Lage in Antwerpen.
75
stand zu nehmen. Sie erblickten jetzt das beste Mittel zur Rettung
der Festung in einer Umfassung des rechten deutschen Flügels bei
Lille und beschlossen, dort die Hauptkräfte zu sammeln. Mit Hilfe
der drei englischen Brigaden, so hoffte man, werde Antwerpen im-
stände sein, die erforderliche Zeit durchzuhalten.
Von diesem Entschlüsse wurde aber „unglücklicherweife" die
englisch-belgische Führung in der Festung nicht unterrichtet. Hier
sand am 6. Oktober nachmittags im Beisein Churchills eins
Konferenz statt, in der, durchaus nicht im Einklänge mit dem
Wunsche der französischen Heeresleitung, beschlossen wurde, in
Hinsicht auf die moralische und körperliche Verfassung der Truppen
fofort auf die innere Fortlinie zurückzugehen. General Paris
sollte mit den drei englischen Brigaden und belgischer Unter-
stützung die Stadt solange halten, als sie die Beschießung aushalten
würde. Der Rest der belgischen Armee war in eine Stellung
senseits der Scheide zu führen, von wo aus sie in der Lage fei,
zeden "aus westlicher Richtung angesetzten Entlastungsversuch zu
unterstützen. Die belgische Regierung entschloß sich, nach Ostende
Überzusiedeln.
Hier traf am 7. Oktober, infolge der oben geschilderten Ver-
Hältnisse stark verzögert, der Führer der englischen 7. Infanterie-
Division, General C a p p e s, ein, während feine Truppen selber
in Zeebrügge bis zum Abend dieses Tages vollständig gelandet
-wurden. Die gleichfalls nach Zeebrügge bestimmte 3. englische
Kavallerie-Division mußte wegen unzureichender Auslademöglich-
feit umgeleitet werden. Die örtlichen Behörden in Ostende ver-
langten von C a p p e s die sofortige Weiterleitung der Truppen
mit der Bahn nach Antwerpen. Auch hier war man nicht, eben-
sowenig wie C a p p e s selber, über die inzwischen getroffenen
Vereinbarungen I o f f r e s mit F r e n ch unterrichtet. C a p p e s
weigerte sich, der Aufforderung zu folgen, als er erfuhr, daß
deutsche Truppen im Begriff seien, die Schelde unterhalb Gent 311
überschreiten.
Die deutsche Einwirkung in Gegend Termonde zog also
immer weitere Kreise. Lord Kitchener hatte Eappes aus-
drücklich gewarnt, sich in Antwerpen einschließen zu lassen. Letz-
76
Antwerpen 1914.
terer bezog daher bei Brügge Unterkunft, um eine weitere
Klärung der Lage abzuwarten. Französische Truppen waren —
teilweise gleichfalls zu Schiff nach Dünkirchen gelangt — im An-
marsch. Der für C a p p e s als Befehlshaber der neugelandeten
englischen Truppen von der Aisne her berufene Generalleutnant
R a w l e n f o n, ebenfalls ohne Kenntnis der letzten Absichten der
französischen Heeresleitung, billigte die Maßnahmen und schlug
am 7. sein Hauptquartier in Brügge auf.
Die Lage hatte sich also völlig geändert. Auf deutscher
Seite war man natürlich davon nicht unterrichtet, hatte aber,
wie wir gesehen haben, ganz richtige Vermutungen ange-
stellt und, mit Verstärkung des Druckes gegen den feindlichen
rechten Flügel, begonnen, dem nach den heftigen Erschütterungen
an der Hauptangriffsfront bereits stark schwankenden Gebäude
die letzten Stützen zu entziehen. War man auf belgisch-englischer
Seite auch entschlossen, die Festung weiter zu halten, so gab man
doch mit dem Abmarsch der belgischen Armee über die Schelde das
beste Verteidigungsmittel preis. Zwar war der Abmarsch mit der
Absicht geschehen, den aus westlicher Richtung erwarteten Ent-
lastungsversuch wirksam unterstützen zu können; ausschlaggebend
aber war für diesen schwerwiegenden Entschluß die moralische und
körperliche Verfassung der Truppe gewesen. Hilfesuchend streckte
der Belgier nun seine Hand nach Westen aus, in der Hoffnung,
daß sie ergriffen würde, und er gestärkt zu neuem Schlage gegen
den Bedränger ausholen könne. „Abwartend" aber verharrte
R a w l e n s o n mit seinen frischen Truppen, obwohl die eben ver-
lebten Tage doch wahrlich deutlich genug bezeugten, daß der
Deutsche schnelle Arbeit zu leisten verstand.
I o f f r e s und Frenchs Hoffnung, daß Antwerpen sich
aus eigener Kraft halten würde, bis die Entscheidung in Flandern
die Festung befreien müßte, war unter diesen Verhältnissen schon
in der Stunde zunichte geworden, in der sie ausgesprochen war.
Die deutschen Schläge waren zu wuchtig gewesen, als daß die von
den Gegnern geplante mittelbare und höchst ungewisse Einwirkung
aus die Belagerung noch Rettung bringen konnte. Das Drama ging
seinem Ende entgegen. Das sollte sich schnell zeigen. —
Bis zur Kapitulation.
77
Während die belgische Feldarmee ohne die zurückbleibende
2. Division den Übergang über die Schelde vollzog, gab der eng-
tische General Paris, nunmehr der eigentliche Leiter der Ver-
teidigung der belgischen Festung, den Befehl, die östlich der Schelde
verbleibenden Truppen in die Stellungen zwischen die Forts der
inneren Linie zurückzunehmen. Die belgischen Festungstruppen
besetzten die Forts selber. Die 1. englische See-Brigade wurde
auf dem linken Flügel zwischen den Forts 1—5, die 2. anschließend
bis Fort 7, ein Bataillon der Marine-Brigade bei Fort 8 ein-
gesetzt, der Rest der englischen Truppen als Reserve nach Gegend
Waesdonck zurückgenommen. Außerdem stand die 2. belgische Di-
vision zur Verfügung. Britische Ingenieure bemühten sich mit
belgischen Truppen die ganze Nacht über, die Stellung zu ver-
stärken.
Bis zur Kapitulation (7.—10. Oktober).
(Skizze 5.)
ntsprechend den Feststellungen der Patrouillen
der 6. Reserve-Division in der Nacht vom 6.
zum 7. Oktober über den Abzug des Feindes
vollzog sich die weitere Vorwärtsbewegung
auf dem Hauptangriffsfelde zunächst ohne
Kampf. Es wurde damit gerechnet, daß der
Feind sich auf dem Höhenrücken von Linth
erneut fetzen würde. Es stellte sich aber sehr bald heraus, daß
dies nicht der Fall war, sondern daß er auf die Fortlinie zurück-
gegangen war, aus der er ein ruhiges, gleichmäßiges Feuer unter-
hielt. Schrittweise erreichten die Divisionen am 8. die Bahn
Contich—Boom. Dem Feuer der feindlichen schweren Batterien
aus der inneren Fortlinie mußte Rechnung getragen werden; auch
wollte man die Unterstützung der eigenen schweren Artillerie nicht
entbehren. Diese konnte wegen der erforderlichen Brückenbauten
zum größten Teil erst am 8. Oktober die Nethe überschreiten.
Mit erneutem feindlichem Widerstand in der inneren Fort-
linie wurde bestimmt gerechnet, hatte doch der Gegner wiederum
78
Antwerpen 1914.
wie in den ersten Belagerungstagen versucht, mit losgelassenen
Leerzügen unsere Vorbewegung zu erschweren.
Auf dem rechten Flügel war am 7. die 26. Landwehr-Brigade
nordwestlich Nylen und bei Emblehem über die Kleine Nethe ge-
gangen und hatte Fort Broechem und das Zwischenwerk Massen-
Hoven besetzt. Die Artillerie des Forts Broechem, das mit fast
130 schwersten Geschossen belegt worden war, hatte fast gar nicht
gelitten. Die Panzertürme — 1 für IZ-em-, 2 für 12-om°, 4 für
7,5-om-Kanonen — waren bei Besetzung des Forts in brauch-
barem Zustande. Von den zwei Panzertürmen für Sturmabwehr
war einer zerstört. Dagegen hatten die schweren Geschosse den
Kasernen- und Schutzhohlräumen, die an fünf Stellen durch-
schlagen wurden, arg zugesetzt (Anlage 2).
Die 26. Landwehr-Brigade stand nun in unmittelbarer Füh-
lung mit dem Detachement Uckermann, das von Grobbendonck
aus nach Santhoven vorgestoßen war. Major v. Uckermann
hatte sein Detachement in sehr geschickter Weise in dem unüber-
sichtlichen und recht schwierigen Gelände vorgeführt und den Feind
in dieser Richtung abgelenkt. Die Beweglichkeit des Detachements,
sein wechselndes Auftreten an den zahlreichen Kanal- und Fluß-
brücken und die bis Turnhout ausgedehnten Zerstörungen täuschten
den Feind derartig über seine Stärke, daß in den feindlichen Be-
richten von einer „Heeresmacht" die Rede war. Der Zweck war
also erreicht.
Im Laufe des 8. Oktober war die Masse der schweren Artillerie
über die Nethe nachgezogen und so weit vorwärts in Stellung ge-
bracht worden, daß die Niederkämpfung der Forts 3—5, der
neuen Einbruchsstelle, begonnen werden konnte. Das Bom-
bardement der Stadt selber begann bereits früher.
Am 6. abends war Nämlich beim Generalkommando folgen-
des Schreiben der Obersten Heeresleitung eingegangen: „Es ist
dringend erforderlich, durch schnellen Fall von Antwerpen die
dort befindlichen Truppen für den rechten Heeresflügel verfügbar
zu machen. Hierzu erscheint es geboten, nicht zu warten, bis
13-om-Kanonen eine Stellung erreichen, die Beschießung des
Stadtinnern einschließlich Hafen gestattet, sondern wenigstens mit
Bis zur Kapitulation.
79
einer Batterie sogleich wenige Schüsse mit äußerster Schußweite
gegen die Vorstädte abzugeben und darauf sofort mit ganz kurzer
Befristung Aufforderung zur Übergabe an den Kommandanten
ergehen zu lassen. Vorbereitungen zum Jnstellungbringen der
übrigen Kanonen zum Beschießen des Stadtinnern brauchen da-
durch nicht berührt zu werden."
Dieser Forderung konnte in der Nacht zum 7. Oktober noch
nicht entsprochen werden; auch die weittragendsten Kanonen, die
IS-om-Schirmlafetten-Batterien, waren noch nicht bis auf 16 km
herangebracht worden. Nachdem aber am 7. Oktober genügend
Gelände jenseits der Nethe gewönnen war, wurde durch den
spanischen Marine-Attachs in Brüssel dem Kommandanten von
Antwerpen das Bombardement zunächst angekündigt. Da die ge-
forderte Antwort bis 12 Uhr mitternachts nicht eingegangen war,
erfolgte wenige Minuten später die Feuereröffnung gegen die
Stadt selber. Hierfür waren die Pläne schon mehrere Tage vor-
her vorbereitet und in diesen die zu schonenden Stadtteile kennt-
lich gemacht, zu denen auch die Umgegend der Kathedrale gehörte.
Ausdrücklich war in dem Bombardementsbefehl angeordnet
worden, daß die Gegend der Kathedrale unbedingt zu schonen sei.
Es war ein bedeutungsvoller Augenblick, als zu dem im
friedlichen Klostergarten zu Thildonck in Spannung lauschenden
Generalkommando um 12.25 nachts die ersten gegen die Stadt
Antwerpen gerichteten Schüsse durch die Nacht herüber-
dröhnten. Sie kamen vom II. Bataillon des Fußartillerie-Regi-
ments 8, das mit seinen Schirmlafetten-Batterien aus seiner
Stellung 2 km östlich Lierre bis in die Mitte der Stadt reichen
konnte. Sehr bald traten auch 13-em-Batterien gegen die süd-
liehen Vorstädte ins Feuer.
Die moralische Wirkung auf die Bewohner der alten Handels-
stadt war unbeschreiblich: die Massenflucht setzte sofort ein. Eine
furchtbare Erbitterung richtete sich, besonders bei den Reedern
und Großkaufleuten, gegen die Engländer. Sie hatten als selbst-
verständlich angenommen, daß man nach dem Fall der äußeren
Forts kapitulieren würde, was durch das Eingreifen der Eng-
länder verhindert worden war.
80
Antwerpen 1914.
Tatsächlich hätten die Engländer der Stadt Antwerpen die
Anwendung des Gewaltmittels des Bombardements, das sich
übrigens, wie so oft, auch hier als verhältnismäßig milde erwies,
da es die Leiden der Stadt erheblich abkürzte, ersparen können.
Der Widerstand in der inneren Fortlinie ist kaum in die Erscheinung
getreten. Nach den bei den Kämpfen um die äußere Fortlinie ge-
machten Erfahrungen konnte kein Zweifel sein, daß die veralteten
Forts der inneren Linie dem schweren deutschen Feuer schnell
unterliegen mußten. So überrascht es kaum, wenn man erfährt,
daß General Paris bereits in aller Frühe des 8. Oktober dem
General R a w l e n s o n nach Brügge telephoniert, er könne die
Festung nicht länger halten und werde sich zurückziehen. Bei
diesem Entschluß wirkten ungünstige Nachrichten, die aus der
Gegend von Termonde einliefen, wiederum in ausschlaggebender
Weise mit.
Hier war es, begünstigt durch dichten Nebel, in den Morgen-
stunden des 7. Oktober endlich gelungen, bei Schoonaerde mit
Kähnen die Scheide zu überschreiten. Der Führer des zuerst über-
gegangenen II. Bataillons Landwehr-Infanterie-Regiments
Major Gene, fiel zwar in vorderster Linie, aber bis 6 Uhr früh
hatten bereits zwei Bataillone auf dem jenseitigen Ufer unter dem
Schutze der unmittelbar am südlichen Ufer in Stellung gegangenen
Batterien der Erfatz-Abteilung des Feldartillerie-Regiments 26
festen Fuß gefaßt. Zu nahe am Fluß und noch ohne Brücke im
Rücken kamen sie zwar am Nachmittage in harte Bedrängnis»
als der Feind noch einmal mit einem starken Vorstoß die Be-
drohung seiner Rückzugslinie beseitigen wollte; die Landwehr
hielt aber brav das Errungene fest, bis am Abend dann endlich
ein halber Korps-Brückentrain eintraf und der Brückenschlag be-
ginnen konnte. Am 8. vollzogen die übrigen Teile der 37. Land-
wehr-Brigade den Uferwechsel. Ihnen folgte unmittelbar die
1. bayerische Landwehr-Brigade unter Generalmajor Eichhorn,
die am 7. bei Opstal bereitgestellt worden war*). In Termonde
*) Die Brigade hatte bis zum 30. 9. in den Vogesen gekämpft, war mit
der Bahn herangeführt und in Gegend Assche nordwestlich Brüssel auSge-
laden worden.
Tafel V.
Fort Kessel
Im vorderen Panzerturm Steckschuß eines 30,5-cm-Geschosses. Die Spitze der
Granate steckt noch in der Kuppel. Diese selbst ist gerissen. Die Naht hat sich ge-
öffnet. Der Turm ist unbrauchbar.
Die durch zwei Treffer zerstörte Äauptkaserne.
Fort Broechem
Die durch ein 42-em-Geschoß zerstörte Äauptkaserne.
Fort Broechem
Wassergraben und Vorgelände. Im Vordergrund ein unterschossener
5,7-cin Panzerturm.
Bis zur Kapitulation.
St
gab der Feind jetzt gleichfalls nach, als von den nach Norden vor-
dringenden Truppen auf dem Nordufer gegen den Ort ein De-
tachement abgezweigt wurde.
Den schwachen deutschen Truppen aber stand, ohne daß man
deutscherseits eine Ahnung davon hatte, nun fast die ganze bel-
gifche Feldarmee gegenüber. Sie hatte am 7. Oktober morgens
bereits den Übergang über die Scheide bei Tamife, Hoboken und
Burght beendet. Ihr Abzug vollzog sich glatt, da der Rückzug seit
dem Fall der ersten Forts vorbereitet worden war, und die Belgier
sich trotz des Eintreffens der englischen Verstärkungen und trotz
aller englischen Versprechungen in den vorbereitenden Maß-
nahmen nicht hatten irre machen lassen. Rechtzeitig war die Basis
nach Ostende verlegt worden. Verwundete, Gefangene, Vorräte
für die Armee, Munition, Depots, Rekruten usw. hatte man vor-
ausgesandt. Vom 29. September bis zum 7. Oktober waren jede
Nacht die Züge mit gelöschten Lichtern über Tamise—St. Nico-
las—Gent gelaufen. Jetzt bewegten sich die langen belgischen
Marschkolonnen, in dem unübersichtlichen Gelände, dem Auge der
deutschen Aufklärung verborgen, nach Westen.
So kam es, daß die schwachen deutschen Truppen in völliger
Unkenntnis der wahren Lage jenseits der Scheide überall auf über-
legene Deckungstruppen oder gar auf das Gros der belgischen
Marschkolonne stießen. Scharfe Kämpfe entwickelten sich jedoch
nicht, da der Gegner immer wieder auswich. Immerhin wurde
auch jetzt nur langsam Boden gewonnen. General v. Werder,
der auf diesem Flügel befehligte, hatte Anweisung, möglichst starke
Kräfte auf das nördliche Schelde-Ufer zu schieben und möglichst
schnell zunächst Lokeren zu erreichen. Die ganze 4.Ersatz-Division
sollte durch die Marine-Division abgelöst und für diese Aufgabe
verfügbar gemacht werden. Bereits am Nachmittage des 8. folgte
den bei Schoonaerde übergegangenen Landwehr-Brigaden die
9. Erfatz-Brigade der 4.Ersatz-Division bis Berlaere. Nach kurzem
Gefecht besetzte die 37. Landwehr-Brigade Boxelaere. Die 1. baye-
rische Landwehr-Brigade war links von ihr nach einem Gefecht
bei Kamershoek mit der Vorhut bis Everslaer gelangt.
Völlig unverständlich bleibt es, warum die belgische Armee,
Antwerpen. 6
82
Antwerpen 1914.
welche die Lage nach der Darstellung der belgischen Obersten
Heeresleitung ziemlich richtig übersah, die günstige Gelegenheit,
einen sicherlich großen Erfolg zu erringen, nicht ausnutzte. Die
Erklärung dafür dürfte lediglich in der Verfassung der Truppe
zu suchen sein, die nach den schweren Tagen der hinter ihr liegen-
den Belagerung nicht mehr kampfkräftig genug zum Angriff war.
Deshalb sprangen jetzt auch endlich die Bundesgenossen ein, um
wenigstens den Abzug der Belgier zu decken: General R a w l e n -
s o n sandte zwei Brigaden seiner 7. Division nach Gent, wohin eine
französische Marine-Brigade bereits im Anrollen war. Aber auch
diese Truppen hielten sich völlig in der Verteidigung. Nicht
weniger als 25—30 000 Mann feindlicher Truppen standen jetzt
allein in Gent! Der Kanal, hinab bis an die holländische Grenze,
befand sich in Händen der Belgier, auf deren linkem Flügel sich
schwache Teile der englischen Hilfsbrigaden bei Selzaete bereits
eingefunden hatten. Vorwärts dieser starken Linie versuchten bel-
gische Nachhuten bei Lokeren, Loochristy, Moerbeke und Wachte-
beke den noch in der Festung befindlichen Truppen den Weg nach
Westen offen zu halten. Das belgische Hauptquartier hatte sich
in Eecloo niedergelassen, wohin R a w l e n s o n die inzwischen ge-
landete 3. englische Kavallerie-Brigade sandte, während er selber
mit dem Rest der 7. englischen Division in Brügge als Reserve
verblieb. Noch weiter zurück in Ostende stand die 1. belgische
Division, die mit der Bahn von St. Nicolas unmittelbar dorthin
gesandt worden war. In dieser Aufstellung, wie sie im allgemeinen
am 9. Oktober vormittags anzunehmen ist, glaubte man nach
Corbetts Darstellung Widerstand leisten und den Anschluß an
den Flügel der Hauptkräfte finden zu können. Aber wiederum
sollte es anders kommen.
Am 9. drangen die deutschen Truppen, diese starke feindliche
Front in ihrer Flanke, weiter nach Norden vor. Die 37. Landwehr-
Brigade besetzte das vom Gegner und der Einwohnerschaft kurz
vorher geräumte Lokeren, stellte die Brücken über die Durme
her und grub sich östlich der Stadt ein. Die 9. Ersatz-Brigade holte
weiter westlich aus und besetzte Zeveneeken. Von belgischen Motor-
batterien beunruhigt, sicherte sich die Brigade nach Westen, Norden
Bis zur Kapitulation.
83
und Osten. Die 13. und 33. Ersatz-Brigade der 4.Ersatz-Division
erreichten die Gegend von Berlaere. Sie hatten am 8. noch Fort
Breendonk und das Zwischenwerk Letterheide besetzt und waren
dort befehlsgemäß durch die Matrosen-Artillerie-Brigade abge-
löst worden.
Am weitesten nach Norden stieß die 1. bayerische Landwehr-
Brigade vor, die am späten Abend des 9. bei Moerbeke, nur 4 km
von der holländischen Grenze entfernt, zur Ruhe überging. Sie
sperrte damit auch die nördlichste der von Antwerpen nach Westen
führenden Bahnlinien. Hier kam es noch zu teilweise blutigen
Kämpfen, auf die später zurückzukommen ist.
Jetzt war also Antwerpen nach der wichtigen Westseite abge-
schlössen — aber das Wild, das in dem Kessel gefangen werden
sollte, war, ohne daß man es wußte, bereits entschlüpft. Die Lage
hatte sich eigentlich an dieser Front völlig umgedreht. Die Gefahr,
in einen Kessel getrieben und aufgerieben zu werden, bestand jetzt
für die schwachen deutschen, westlich der Scheide exzentrisch vor-
gehenden Brigaden. Es ist keine Frage, daß ein tatkräftiger
Gegner uns an diesem Tage recht unangenehme Teilniederlagen
hätte beibringen können. Aber die Belgier verzichteten nicht nur
darauf, sondern setzten noch am 9. ihren Abmarsch nach Westen
weiter fort. Der Gedanke, am Kanal zwischen Gent und hollän-
bischer Grenze eine Vereinigung mit der französisch-englischen
Hauptarmee zu erreichen, war schnell fallen gelassen worden.
Wenn auch allgemeine strategische Erwägungen hierfür aus-
schlaggebend waren, so wurde die Durchführung des Entschlusses
doch durch das Eingreifen der 1. Referve-Ersatz-Brigade unter
Generalmajor Jung wesentlich beschleunigt. Generalfeldmar-
schall Frhr. v. d. G o l tz, der als Generalgouverneur von Belgien
bereits verschiedentlich mit den schwachen, ihm zur Verfügung
stehenden Kräften der Belagerungsarmee tatkräftig geholfen hatte,
hatte bereits am 4.Oktober zur Ablösung der 37. Landwehr-Bri-
gade die 1. Reserve-Ersatz-Brigade nach Alost gesandt*). Er befahl
*) Seite 72. ---------
6*
84
Antwerpen 1914.
ihr, am 9. Oktober auf Gent vorzugehen und dort möglichst starke
Kräfte auf sich zu ziehen.
In leichten Gefechten drang die Brigade bis Ouatrecht vor,
konnte diesen Ort aber erst nach schwerem Kamps gegen sranzö-
sische Marine-Infanterie, die von belgischer und englischer Ar-
tillerie unterstützt wurde, nehmen. Trotzdem wurde der Angriff
bis Melle fortgesetzt, wo er dann angesichts des vielfach über-
legenen Gegners abgebrochen werden mußte. Der Tag hatte der
Brigade 22 % der Offiziere und 12 der Mannschaften gekostet!
Aber nicht vergeblich waren die großen Opfer gebracht. Die Be-
sorgnis des Gegners um seine rechte Flanke war von neuem wach-
gerufen, und auf diese Besorgnis ist es nicht zuletzt zurückzuführen,
daß er seinen Rückzug, ohne sich auf Vorstöße einzulassen, be-
schleunigt fortsetzte.
Bei der deutschen Führung gewann man aus den Kämpfen,
die sich vom 7. bis 9. Oktober abspielten, zwar den Eindruck, daß
Teile der belgischen Armee bereits nach Westen entkommen waren,
vermutete aber andererseits noch starke feindliche Teile zwischen der
Schelde und der holländischen Grenze. So erhielt sich die Hoffnung,
diese alsbald zum Kampfe zu stellen. Bestärkt wurde man darin durch
das feindliche Feuer, das noch am Abend des 9. Oktober vom west-
lichen Ufer der Schelde nach der inzwischen von deutschen Truppen
besetzten Stadt Antwerpen herüberschlug. Daher wurden trotz
der inzwischen bereits abgeschlossenen Kapitulation die Opera-
tionen auf diesem Flügel auch am 10. Oktober fortgesetzt. Es er-
reichten an diesem Tage die 13. Ersatz-Brigade Kettermuit, die
37. Landwehr-Brigade St. Nicolas, die 9. Ersatz-Brigade St.
Paul, die 1. bayerische Landwehr-Brigade St. Gilles-Waes. Den
Rücken dieser in östlicher Richtung vorstoßenden Truppen deckte
die 33. Ersatz-Brigade bei Zeveneeken. So ergibt sich das in der
Kriegsgeschichte wohl einzigartige Bild, daß beide Gegner in
falscher Beurteilung der Lage in entgegengesetzter Richtung, sich
den Rücken zukehrend, auseinander marschieren. Der deutsche
Vorstoß mußte zum völligen Luftstoß werden, denn auch die zur
Verteidigung in der Festung zurückgelassenen englisch-belgischen
Truppen hatten inzwischen die Festung verlassen und waren, so-
Bis zur Kapitulation.
85
weit sie nicht noch der nördlichsten Brigade in die Arme liefen
oder auf holländisches Gebiet übertreten mußten, nach Westen ent-
schlüpft. Die Ereignisse, die sich inzwischen an der Hauptangriffs-
front abgespielt haben, geben hierfür die Erklärung.
Der Entschluß, Antwerpen zu räumen, den General Paris
bereits am Morgen des 8. Oktober an General R a w l e n s o n
nach Brügge gemeldet hatte, war nicht so schnell in die Tat um-
zusetzen. Es scheint auch, daß P a r i s die Zustimmung der vorge-
setzten englischen Behörden abwartete, die erst am Nachmittag ein-
lief. Aber auch die Befehle drangen schwer durch, und nachdem
die Bewegung von den einzelnen Verbänden angetreten war, er-
gaben sich Hemmungen mancher Art; die Hitze der von den Eng-
ländern in Brand gesetzten Öltanks und die zurückflutende Bevöl-
kerung, die alle, obendrein häufig sehr engen Straßen Antwerpens
verstopfte, zwangen zu Umwegen und hatten Marschkreuzungen
zur Folge. So ordnungsmäßig sich der Abzug der bel-
gischen Hauptarmee vollzogen hatte, so groß scheint jetzt
das Durcheinander gewesen zu sein. Am besten kam noch
die bereits gegen S Uhr nachmittags in Marsch gesetzte 2. bel-
gische Division und der erste Teil der englischen Truppen in Be-
wegung. Sie hatten bald nach Mitternacht die Schelde bei Burght
und Steen überschritten. Ihren Abzug deckten Festungstruppen
in der inneren Fortlinie und eine besondere gemischte englisch-
belgische Besatzung im Fort 4.Bon Burght wandten sich die eng-
tischen Truppen — die 2. See-Brigade mit einem Bataillon der
1. Brigade und die Marine-Brigade — am 9. Oktober über Be-
veren—Waes auf Lokeren. Die Meldung von dem Eindringen
deutscher Truppen in Lokeren*) gab Veranlassung, auf St. Gilles-
Waes abzubiegen, wo man die Bahn zu erreichen hoffte. Trotz
einer hierdurch bedingten Marschkreuzung mit der 2. belgischen
Division wurde der Ort noch rechtzeitig genug erreicht, um mit
dem Abtransport beginnen zu können. Bevor jedoch die letzten
Züge das von den Deutschen bedrohte Gebiet passiert hatten, er-
reichte die schwache Vorhut der 1. bayerischen Landwehr-Bri-
*) 37. Landwehr-Brigade siehe Seite 82.
86
Antwerpen 1914.
gäbe*) bei Moerbeke die Bahnlinie. Die Bayern brachten durch
Beschießen der Lokomotive einen Zug zum Entgleisen. Die Eng-
länder gingen zum Angriff über und drangen gegen Moerbeke
vor. In schneller Erkenntnis der nicht unbedenklichen Lage gab
der Kommandeur des II. Bataillons des bayerischen Landwehr-
Regiments 1, Major Wilm, seiner 7. Kompagnie Befehl, den
Feind am Eindringen in den Ort zu verhindern. Das führte zu
einem sehr blutigen Zusammenstoß, blutig auch für die 7. Kom-
pagnie, deren tapferer Führer, Hauptmann Zickwolf, als einer
der ersten fiel. Eine Batterie der Erfatz-Abteilung des Feld-
artillerie-Regiments 45 griff wirksam in den Kampf ein, der durch
von beiden Seiten heraneilende Verstärkungen schnell an Aus-
dehnung zunahm, schließlich aber mit der Uberwindung des
Gegners endete, der 2 Offiziere, 900 Engländer und 400 Belgier
in der Hand der tapferen Bayern lassen mußte. Noch in derselben
Nacht brachten die Bayern zwei Geschütze auf dem Bahndamm
bei Moerbeke in Stellung, die durch ihr Feuer am folgenden
Morgen noch einen anderen von Antwerpen Heranbraufenden
Eisenbahnzug zum Halten zwangen. Die Insassen — etwa 1000
Engländer und Belgier — flüchteten über die Grenze.
Weitere englisch-belgifche Truppen, darunter die 1. See-
Brigade — anscheinend die Besatzung des Forts 4 — erreichten
Zwyndrecht und wandten sich von hier gleichfalls gegen St. Gilles-
Waes. Seit Mittag des vorhergehenden Tages ohne Verpflegung,
bis zuletzt in dem schweren deutschen Feuer aushaltend, waren
sie völlig erschöpft. Als sie unterwegs erfuhren, daß die Bahn
unterbrochen, daß eine allgemeine Panik unter Flüchtlingen und
Soldaten entstanden und der Weg nach Westen jetzt völlig ver-
schloffen sei, entschloß sich der Brigade-Kommandeur, über die
Grenze zu gehen, wo er mit seinen Truppen interniert wurde.
An der Hauptangriffsfront ist der Abzug der feindlichen Be-
*)Vgl. Seite 83. Anscheinend ist mit den Engländern auch ein Teil der
2. belgischen Division marschiert. In dem folgenden Gefecht wurden Belgier
gefangen. Die große Zahl der in Kolland entwaffneten Belgier svgl. S. 93)
ist sonst nicht zu erklären. Der belgische Bericht schweigt sich über das Schicksal
dieser Division aus.
Bis zur Kapitulation.
87
satzung nicht viel früher erkannt worden, als die Tatsache selber
aus den Kämpfen westlich der Schelde sich immer deutlicher offen-
barte. Am 8. Oktober nachmittags hatten Flieger die nach Westen
führenden Straßen noch im allgemeinen frei, nördlich Antwerpen
auf der Straße nach Putte große Scharen von Flüchtlingen und
an der Scheldebrücke bei der Stadt starke Truppenansammlungen
gemeldet. Mit weiterem Widerstand in der Fortlinie mußte also
auch weiterhin gerechnet werden. Die Truppen vorderster Linie
wurden daher angewiesen, die Aufklärung bis an die Forts mit
Nachdruck zu betreiben.
Am frühen Morgen des denkwürdigen 9. Oktober stellten Pa-
trouillen fest, daß die Forts 4und 5 vom Feinde nicht mehr be-
fetzt waren. Der Kommandeur der 9. Reserve-Brigade, General-
major Briese, hißte auf Fort 3 beim II. Bataillon des Reserve-
Infanterie-Regiments 48 die deutsche Fahne. Die ersten Meldun-
gen über die Räumung fanden beim Generalkommando aber zu-
nächst keinen Glauben. Als sie sich dann aber bestätigten, erging
sofort der Befehl zum Einstellen des Feuers. Die Besetzung der
Forts 1—7 wurde angeordnet, zog sich aber teilweise noch länger
hin. An die 4. Ersatz-Division ergingen Befehle, mit möglichster
Beschleunigung bei Moerbeke die holländische Grenze zu erreichen;
die Ausführung dieser Anordnung haben wir bereits verfolgt.
An der Hauptangriffsfront schien der Kampf beendet, wenn es
gelang, die Kapitulation der Festuno zu erzwingen.
# -k-
*
Die Kapitulation.
(9.—10. Oktober).
lsbald nach Einstellung des Feuers schickte Ge-
neral v. B e s e l e r den 2. Generalstabsoffizier,
Hauptmann v. Heeringen, mit folgendem
Schreiben nach Antwerpen:
„Die Forts 4und 5 sind deutscherseits
besetzt. Jeder weitere Widerstand der Festung
Antwerpen und der darin befindlichen Trup-
pen ist aussichtslos. Ich fordere den in Antwerpen anwefen-
den Befehlshaber der Königlich belgischen und verbündeten
Truppen zur Übergabe der Stadt, des Hafens, der Festung, der
Truppen und Kriegsvorräte auf. Im Falle der Ablehnung wird
das Bombardement fortgesetzt.
Der Oberbefehlshaber der
deutschen Truppen vor Antwerpen."
Hauptmann v. Heeringen hatte das Hauptquartier noch
nicht lange verlassen, als die Ankunft von Vertretern der Stadt
angekündigt wurde. Gegen Mittag erschienen dann in Begleitung
des spanischen Generalkonsuls der Bürgermeister d e V o s, Stadt-
verordneter Frank und Senator Ryckmann, die um Ein-
stellung der Beschießung der Stadt baten und zu verhandeln
wünschten. Ersteres war schon geschehen, letzteres hatte vor Rück-
kehr des Hauptmanns v. Heeringen von seiner Mission wenig
Zweck. General v. B e s e l e r entschloß sich, dem Hauptmann
v. Heeringen nach Contich entgegenzufahren. Die Vertreter
der Stadt schlössen sich an. Fast gleichzeitig mit General v. B e -
Die Kapitulation.
89
s e l e r traf Hauptmann v. H e e r i n g e n in Contich ein. Er hatte
in Antwerpen keinen Soldaten gesehen und keine Militärbehörde
angetroffen, an die er sich mit seinem Schreiben hätte wenden
können. Auf der Rückfahrt begegnete er am Stadttor dem Reserve-
Infanterie-Regiment 8 unter Oberst v. Kleist, der auf seine
Mitteilungen hin sofort mit dem Regiment durch die Porte de
Malines einrückte, nachdem er auf der Stadtumwallung die
deutsche Flagge hatte hissen lassen.
Am Nordausgang von Contich wurden nun in einer ver-
lassenen Villa mit den Stadtvätern die Bedingungen für die über-
gäbe festgelegt. Vor allem kam es darauf an, möglichst schnell
die noch vom Feinde besetzten Forts in die Hand zu bekommen —
und das war die große Mehrzahl. Sehr zu statten kamen uns
die diplomatischen- und Sprachkenntnisse des zufällig anwesenden
Botschaftsrates, Rittmeister d. R. v. d. Lancken. Er klärte
den Stab darüber auf, daß man nach den Bestimmungen
der Haager Konferenz berechtigt war, auch mit der Z i v i l behörde
zu verhandeln, da die Bestimmungen nur allgemein von der „Be-
Hörde" sprechen. Gerade dieser Punkt gab bei der Verlesung der
Bedingungen Veranlassung zu einer hochdramatischen Szene.
Mit General v. B e s e l e r befanden sich nur der Chef des
Generalstabes, Oberst K a b i s ch, und die Generalstabsoffiziere,
sowie Botschaftsrat v. d. Lancken im Verhandlungszimmer.
Die Dämmerstunde war hereingebrochen, Licht in der verlassenen
Villa nicht vorhanden, im Halbdunkel gingen die Verhandlungen
ihrem Ende entgegen. Eine eigenartige Spannung und Stimmung
beherrschte die Zeugen des hochbedeutsamen Aktes — die Zeiger
der Weltuhr schienen einen Augenblick still zu stehen.
Obwohl bei den Besprechungen über die Bedingungen unter
Hinweis auf die Bestimmungen der Haager Konferenz völlige
Übereinstimmung mit den Vertretern der Stadt erreicht war^
weigerten sich diese bei der letzten Verlesung auf einmal, die Ver-
antwortung für die Übergabe der noch besetzten Forts zu über-
nehmen. Da trat General v. V e s e l e r auf sie zu und herrschte
sie an: „Glauben die Herrn etwa mit einem Popanz zu ver-
handeln? Ich stehe hier für Seine Majestät den deutschen Kaiser
■90
Antwerpen 1914.
und die Truppen, die hier geblutet haben. Wenn die Bedingungen
nicht binnen zwei Minuten unterzeichnet sind, lasse ich das Bom-
bardement auf die Stadt fortsetzen." Und zu seinen Offizieren ge-
wendet: „Bitte, meine Herrn, kommen Sie!" General v. Be-
seler verließ mit seiner Begleitung das Zimmer. Nur Botschafts-
rat v. d. L a n ck e n blieb zurück. Nach wenigen Minuten erschien
er mit der Mitteilung, daß die Protokolle unterzeichnet seien
(Anlage 3).
Antwerpen war gefallen! Die drittgrößte Festung der Welt,
der zweitgrößte Hafenplatz Europas, die alte Stadt mit dem Nim-
bus unvergleichlicher künstlerischer und großer geschichtlicher Ber-
gangenheit, deren Glanz im 16. Jahrhundert als Folge der großen
See-Entdeckungen am ausgeprägtesten war.
Für „uneinnehmbar" hatten die Belgier ihr „reäuit national"
gehalten — und nun hatte der Feind es binnen 13 Tagen be-
zwungen: Am 27. September begann der Angriff, am 9. Oktober
unterzeichneten die Vertreter der Stadt die Übergabebedingungen!
Kaum war die Kapitulation in Eontich abgeschlossen, so eilten
die Generalstabsoffiziere zurück nach Thildonck an die ihrer dort
nun harrenden Aufgaben. General v. B e f e l e r aber fuhr nach
Antwerpen hinein. Er, der stets nach vorne eilte, wenn er im
Hauptquartier seinen Gehilfen die erforderlichen Weisungen ge-
geben hatte, um bei den Truppen selber seine Eindrücke zu holen —
er ließ sich auch hier nicht durch die späte Stunde davon abhalten,
sich zur vordersten Truppe, dem Reserve-Jnfanterie-Regiment 8,
Zu begeben und sich selbst von den Zuständen in der Stadt zu
überzeugen.
Das Reserve-Jnfanterie-Regiment 8 hatte den Stadtteil
zwischen den Boulevards und der Scheide besetzt, am Quai die
zugeteilte Batterie auffahren und die am anderen Ufer noch
sichtbaren feindlichen Truppen unter Feuer nehmen lassen.
Voller Begeisterung erzählte der General von seinen Ein-
drücken, als er einige Stunden später ins Hauptquartier zurück-
kehrte. Er war mit den Vätern der Stadt nach dem Platz vor
ihrem Rathaus gefahren. Nur Feldgraue belebten die toten
<Straßen der von der Bevölkerung verlassenen Stadt. Tiefes Dunkel
Die Kapitulation.
9t
lag über dem Häusermeer, da die Beleuchtung versagte. Im Feuer-
schein der brennenden Öltanks und der von der abgezogenen Be-
satzung im Hafen in Brand gesteckten Schiffe aber ragte der weiße
Turm von Antwerpens ehrwürdiger Kathedrale gegen den nacht-
lichen Himmel empor — ein Bild, wie der General sich ausdrückte,
„eines Menzel und eines Rembrandt zugleich würdig".
Von einem feierlichen Einzug der gesamten siegreichen
Truppen, die die Hauptlast des Kampfes getragen hatten, mußte
leider Abstand genommen werden, die taktischen Forderungen
standen noch im Vordergrunde, vor allem die Besetzung aller Forts.
Am 10. Oktober morgens erschien der Generalstabschef des
bisherigen belgischen Gouverneurs im Rathaus und bat den Bot-
schaftsrat v. d. L a n ck e n um die Bedingungen, unter denen die
Festung kapitulieren könne. Dieser erklärte ihm jedoch, daß die
Bedingungen bereits festgesetzt und in Gültigkeit getreten seien.
Nunmehr könne sich die Militärbehörde ihnen nur noch unter-
werfen — auch nur, wenn sofort der schriftliche Befehl zur be-
dingungslosen Ubergabe an die Fortskommandanten erginge. Der
Generalstabschef unterzeichnete daraufhin, fertigte die Befehle aus,
und die Forts ergaben sich — soweit es noch nicht geschehen war —
im Laufe des 10. Oktober.
Das Reserve-Jnfanterie-Regiment 8, dem die Besetzung der
Werke auf dem linken Scheldeufer zufiel, mußte mit Hilfe der
Marine auf Fähren übergesetzt werden, da sich eine so schnelle
Wiederherstellung der gesprengten Brücken unmöglich erwies.
Auf dem nördlichsten der Forts, dem Fort Ste. Marie, fand
man am Nachmittag des 10. Oktober den Gouverneur der Festung,
General d e G u i s e, den Mann, der — wie erwiesen — befohlen
hatte, auf jeden Parlamentär zu schießen, derselbe, der bei An-
kündigung des Bombardements dem spanischen Militärattache her-
ablassend geantwortet hatte, er übernähme die Verantwortung
dafür! Er wurde zunächst nach dem Korps-Hauptquartier Thil-
donck überführt und nicht weiter beachtet.
Der 6. Reserve-Division war es aber möglich, ihren Truppen
die Freude und den erhebenden Eindruck des feierlichen Einzuges
zu bereiten, und sie auch wirklich an das Ziel zu führen, das zu
92
Antwerpen 1914.
erreichen sie sich voll und ganz eingesetzt hatten. Durch die Porte
de Malines marschierte um 4Uhr nachmittags die Division ein
und zog am Königlichen Schloß vor ihrem Kommandeur bis in
die Dunkelheit hinein im Parademarsch vorüber. Deutsche Sol-
daten marschierten nach den Klängen deutscher Lieder durch die
Straßen der alten Handelsstadt, die ihre heutige Stellung zum
großen Teil der mächtig aufgeblühten deutschen Großindustrie
mit ihren zahlreichen Niederlagen verdankt, und in deren Hafen
die Hamburg-Amerika-Linie und der Norddeutsche Lloyd be-
sondere Anlegeplätze hatten.
An diesem Tage aber war Antwerpen eine tote Stadt. Von
den 260000 Einwohnern war ein großer Teil geflüchtet. Der
Rest hatte sich in Kellern und Schlupfwinkeln aller Art versteckt,
von wo er, außerordentlich stark eingeschüchtert, erst im Laufe der
nächsten Tage nach und nach sich wieder an die Öffentlichkeit ge-
traute. Das nur kurze Bombardement — zum Teil allerdings
in die verkehrsreichste Gegend — hatte in Verbindung mit Zeppe-
lin-Angrissen*) seine moralische Wirkung nicht verfehlt. Nicht
minder wirksam war die verhetzende, gewissenlose Propaganda
gewesen, die sich in Belgien nur allzu erfolgreich bemühte, die
Deutschen als Barbaren rohester Art hinzustellen. Erhebliche Zer-
störungen hatte nur die südliche Vorstadt Berchem erlitten, das
Innere der Stadt war fast ganz verschont geblieben. Eine Zep-
pelinbombe hatte das Hotel de l'Europe getroffen und in Brand
gesetzt, von dessen Balkon einige Tage vorher noch König Albert
zu den Bürgern der Stadt gesprochen hatte.
Im ganzen sind 106 Häuser zerstört und wenige Hundert
Menschen getötet worden. Bedauerlicherweise hat auch ein Zu-
sallstreffer an der Kathedrale einige Beschädigungen verursacht,
sonst aber haben Kunstdenkmäler nicht gelitten. Die berühmten
Gemälde von Rubens „Aufrichtung des Kreuzes" und „Kreuz-
abnähme" waren aus der Kathedrale ebenso wie andere wertvolle
Kunstwerke rechtzeitig in Sicherheit gebracht worden. In gleicher
*) Zeppeline hatten bereits in den Nächten zum 25. 8. und 2. 9. Ant-
werpen mit Bomben belegt.
Die Kapitulation.
93
Weise wurden auch unsererseits sofort Maßregeln zum Schutze der
noch vorhandenen Baudenkmäler und Kunstschätze getroffen.
Auf Antwerpen-- ehrwürdiger Kathedrale, der größten und
schönsten gotischen Kirche Belgiens, aber flatterte nun unterhalb
des goldenen Turmkreuzes die deutsche Flagge, und in den Biwaks
der Truppen spielten an diesem Abend die Regimentsmusiken
„Heil Dir im Siegerkranz" und „die Wacht am Rhein". — Ant-
werpen war gefallen!
Die Kriegsbeute war groß: Rund 1300 Geschütze mit über
900 000 Schuß, sowie große Mengen von Lebensmitteln, Kaffee,
Hopfen, Flachs, mehrere Millionen Kilogramm Getreide, ferner
Felle, Petroleum, Kupfer, Silber, wertvolle amerikanische Hölzer,
für 10 Millionen Mark Wolle, außerdem 180 Kraftwagen. Auf-
fallend gering hingegen war die Zahl der Gefangenen. 28 000
Mann (darunter 2000 Engländer) wurden in Holland entwaffnet.
— Der Rest war leider entkommen. —
Um dies vollends zu verstehen, bedarf es noch einer rück-
schauenden zusammenfassenden Betrachtung. Vorher ist nötig, den
Ausgang der Operationen zu schildern.
1
|
!■/
I
-3
Verfolgung (10. bis 18. Oktober).
(Skizze l und 7.)
aum war die Entscheidung bei Antwerpen ge-
fallen, als auch schon über die siegreichen Trup-
pen anders verfügt werden mußte.
Zunächst übernahm die Marine-Division
die Besetzung der Festung. Das III. Reserve-
Korps mit unterstellter 4. Ersatz-Division trat
bereits am 11. Oktober den Marsch nach Westen
zur Verfolgung der Belgier an. Die Oberste Heeresleitung hatte
dem Korps zunächst zwar die Richtung auf Courtrai gegeben,
sehr bald stellte sich aber die Notwendigkeit heraus, die Küste zu
gewinnen.
Die drei Divisionen gingen in breiter Front, entsprechend
dem Abmarsch aus dem Kampfgelände links gestaffelt vor, die
4. Ersatz-Division auf dem rechten Flügel über Lokeren, Gent
(12.10.), Brügge (14.10.), und erreichte am IS. bei Blankenberghe
und Ostende die Küste. Sie hatte ebenso wie die 5. und 6. Reserve-
Division leichte Gefechte mit den nicht standhaltenden Belgiern.
Diese fanden zwar außer der schnell aufgegebenen Kanal-
stellung noch an anderen Abschnitten geeignete Berteidigungs-
linien, sie konnten sie aber nicht ausnützen, da die Franzosen mit
ihrem linken Flügel erst bei Arras standen, und die Engländer
noch bei St. Omer ausluden. Wieviel weniger Aussicht war für
eine solche Vereinigung also bei Antwerpen gewesen! Nicht nur
die Festung, sondern weite Teile Flanderns waren jetzt nicht mehr
vor dem deutschen Einmarsch zu retten, Zeebrügge und Ostende
nicht mehr zu halten, — wie ein Luftgebäude verslüchteten die
Die
Die Verfolgung.
großzügig gedachten englischen Operationspläne. Allzu wahr er-
wiesen sich aber ihre Befürchtungen: Der Fall von Antwerpen
zieht schnell weite Kreise, der Deutsche steht an der Kanalküste.
Welche Sorgen und Befürchtungen für England in diesem Augen-
blick entstanden, ist unschwer aus den vielfachen Plänen und Ent-
würfen zu folgern, die, wie wir sahen, während der Belagerung
von England aufgestellt worden sind.
Die Belgier fanden an der User eine taktisch günstige Stellung,
gerade noch im eigenen Lande. Bereits am 16. Oktober setzten sie
sich hier, immer noch 82 000 Mann mit 48 000 Gewehren stark,
fest. Die Königliche Familie, die Militär- und Zivilbehörden hatten
ihr Land verlassen.
Inzwischen waren die in der deutschen Heimat neu aufge-
stellten Reserve-Korps — xxn., XXIII., XXVI., XXVII. — in der
Gegend von Gent und südlich davon ausgeladen und traten im
Anschluß an das III. Reserve-Korps als neue 4. Armee unter dem
Befehl des Herzogs Albrecht von Württemberg den
Vormarsch an. Am 18. Oktober entbrannte die Schlacht an
der Mr.
Antwerpen wurde schleunigst mit feldmäßigen Mitteln im
neuzeitlichen Sinne ausgebaut, verstärkt und mit einer Besatzung
versehen. Die verwundbare Flanke des deutschen Heeres hatte
damit eine nicht hoch genug einzuschätzende Sicherung und Stütze
erhalten. -- -- -- ^
* t* *
Schlußbetrachtung.
ls vor 5V Jahren, am 16. August 1870 die fran-
zösische Hauptarmee unter B a z a i n e sich von
Metz loslösen wollte, wurde sie vom III. und
X. preußischen Armeekorps gestellt und zum
Kampf gezwungen. Gegen mehrfache Uber-
legenheit hielten die beiden Korps stand
und zwangen den Feind zur Umkehr in die
Festung, wo er schließlich, als diese zur Kapitulation gezwungen
wurde, seine Waffen strecken mußte.
Eine ähnliche Aufgabe wie jenen beiden Korps war bei Ant-
werpen der 37. Landwehr-Brigade zuteil geworden. In der
Gegend von Lokeren hätte ein zweites Vionville geschlagen werden
können. Aber zwischen Lokeren und der 37. Landwehr-Brigade
lag das breite Hindernis der Schelde. Die Überwindung des
Flusses war also Vorbedingung, um eine Einwirkung deutscher
Kräfte an der Westseite der Festung zu ermöglichen. Für eine
solche Aufgabe genügte die Kraft und die Ausstattung der Brigade
in keiner Weise, weder mit artilleristischen noch mit technischen
Mitteln. Eine Aussicht, die belgische Armee mit Antwerpen zu-
sammen zur Kapitulation zu zwingen, eröffnete sich daher nur,
wenn der Vorschlag B e s e l e r s, gleichzeitig mit dem Hauptan-
griff von Südosten her, einen Nebenangriff von Westen her zu
führen, genehmigt worden wäre. Man hat ihn im Großen Haupt-
quartier wegen Mangels an Kräften und Munition ablehnen
müssen. Damit wurde eine Belagerung an sich hinfällig. Es kam
zu einem gewaltsamen Angriff gegen eine schmale Front der
Festung, der dem Gegner völlige Operationsfreiheit für feine
Feldarmee ließ. Daß er davon in der Weife Gebrauch machen
würde, wie er es tatsächlich tat, hat man auf deutscher Seite zu
Schlußbetrachtung.
97
Beginn der Belagerung im Hinblick auf die Bedeutung Antwerpens
für Belgien nicht für wahrscheinlich gehalten*). Diese Auffassung
hat die Nichtgenehmigung eines westlichen Nebenangriffs zweifel-
los beeinflußt. Heute, wo sie sich als irrig erwiesen hat, muß seine
Unterlassung um so mehr als nachteilig bezeichnet werden, als der.
Verlauf der Kämpfe gezeigt hat, daß die Bereitstellung von
wenigen schweren Batterien und genügenden Brückentrains sowie
die Verstärkung der für die Westseite vorgesehenen Truppen um
vielleicht eine Division wahrscheinlich genügt haben würde, um den
Abzug der belgischen Armee zu verhindern. Die englisch-franzö-
fische Unterstützung hätte bei ihren geschilderten großen Schwierig-
leiten gegen den gleichzeitig und nachdrücklich durchgeführten
Nebenangriff auf der Westseite kaum sehr viel wirksamer werden
können. Die Kapitulation der gesamten belgischen Armee würde
aber andererseits derartig schwerwiegende Vorteile jeder Art für
den Fortgang der deutschen Operationen, insbesondere auch für
die folgenschwere Schlacht an der User gehabt haben, daß man
heute die Ablehnung von B e s e l e r s Vorschlag bedauern muß.
Nachdem er aber abgelehnt war, bot sich keine Möglichkeit
mehr, das Entkommen der Belgier zu verhüten, obwohl General
v. B e f e l e r die große Bedeutung der Westseite keinen Augen-
blick aus den Augen verloren hat, und Führung und Truppe das
Menschenmögliche geleistet haben, um ihre Abschnürung zu er-
reichen. General v. Werder, der auf dem linken Flügel be-
fehligte, hat den Absichten Beselers nicht nur volles Ver-
ständnis entgegengebracht, sondern sich auch persönlich für ihre
Durchführung immer wieder an den entscheidenden Punkten ein-
gesetzt. Ohne schwere Artillerie und Brückentrains war angesichts
eines an Zahl mehrfach überlegenen Gegners die starke Strom-
Karriere der Schelde jedoch nicht zu überschreiten, und so gelang
es in den entscheidenden Tagen überhaupt nicht, die Stelle zu er-
reichen, wo allein seinem Abzüge wirksam entgegengetreten werden
konnte. Es gelang nicht einmal die Unterbrechung der Bahnen,
mit deren Hilfe der Gegner seinen Abzug fast vom ersten Tage der
Belagerung an vorbereitet hatte. '
*) Vgl. die Ausführungen Seite 26.
Antwerpen. 7
98
Antwerpen 1914.
Bis zum 7. Oktober früh hielt der Feind die Scheide mit
äußerster Zähigkeit und machte dadurch jeden Einblick in feine
Bewegungen unmöglich. Nur eine Fliegerwaffe hätte hier helfen
können, wie sie sich im Verlauf des Krieges ausbildete. Er-
kundungen, die weit ausholend, über Gent hinaus angefetzt
wurden, stießen auf einen dichten Schleier der feindlichen Ka-
vallerie, den die schwachen deutschen Kräfte nicht zerreißen konnten.
Der Verlauf des Kampfes um die Forts der äußeren Linie und
um die Erzwingung des Netheüberganges, dessen ungewöhnliche
Zähigkeit wir verfolgt haben, gestattete natürlich nicht, vorzeitig
von dort Kräfte irgendwelcher Art zur Unterstützung des linken
Flügels fortzunehmen.
Nicht klarer wurde für uns das Bild nach dem Scheldeüber-
gang bei Schoonaerde am 7. Oktober. Jetzt befanden sich die vor-
stoßenden Verbände der 37. preußischen und 1. bayerischen Land-
wehr-Brigade fast der ganzen belgischen Feldarmee gegenüber und
konnten nur langsam Boden gewinnen. Es fehlte ihnen die Kraft,
um ihren Vorstoß auf eine ihrer Aufgabe entsprechende Basis zu
stellen, überall trafen sie auf feindliche Besatzungen und wurden,
so sehr sie sich auch mühten, von den Hauptabmarschstraßen über
Lokeren und Moerbeke sowie den beiden gleichlaufenden Schienen-
strängen ferngehalten.
Auch der 9. Oktober brachte keine Gewißheit. Bei weiterem
Bodengewinn nördlich der Schelde bekam man wohl den Eindruck,
daß der Feind im Abzug begriffen und Teile bereits entkommen
feien. Daß aber die Masse schon am 7. abmarschiert war, blieb
auch jetzt noch unbekannt. Man nahm vielmehr noch immer er-
hebliche Kräfte in der Festung an und gab Weisung an General
v. Werder, seine Brigaden in östlicher Richtung gegen die
Festung vorzuführen.
Es ist zwecklos, hinterher auf Grund der Kenntnis der wahren
Sachlage Betrachtungen und Berechnungen anzustellen. Hätte
man nach dem Fall der Nethelinie den Abmarsch von noch stärkeren
Teilen der an der Hauptangriffsfront eingesetzten Truppen nach
Westen befohlen, so würde sich die in diesem Kriege so vielfach
gemachte Erfahrung, daß der Verfolgte immer schneller ist als
Schlußbetrachtung.
99
der Verfolger, auch hier wiederholt haben. Eine Aufnahme der
Verfolgung am 9. — anstatt gegen Antwerpen weiterzumarschieren
— würde keinen größeren Erfolg mehr gebracht haben; denn der
Gegner würde seinen Abmarsch nur beschleunigt haben, was
bereits der Angriff der Brigade Jung gegen Gent bewirkt hatte.
Ihm über den Kanal Gent—Neuzen hinaus zu folgen, verbot
aber die allgemeine Lage. Diese Betrachtungen dürften die häufig
aufgeworfene Frage: „Warum war es nicht möglich, den Belgiern
den Abmarsch nach Westen zu verlegen?", vollends klären.
Antwerpen, mit einem Kostenaufwands von über 100 Milli-
onen Franken als Festung ausgebaut, sollte sich angeblich zwölf
Monate gegen eine Belagerung eines 300000 Mann starken Angriffs-
Heeres allein mit seiner Besatzung halten können*). In Wahrheit
hat es, obwohl es nicht einmal ringsum eingeschlossen war, trotz
englischer Hilfe und der Teilnahme des ganzen, allerdings durch
die vorausgegangenen Kämpfe erschütterten Feldheeres nur einem
zwölftägigen, beschleunigten Angriffe Widerstand geleistet. Das
erscheint um so auffallender, als nach der Wirkung der deutschen
Artillerie von einer Vernichtung der geschützten Artillerie der
Festung nicht die Rede sein kann. Es waren vielmehr 76 der
Panzertürme und 68 % ihrer Geschütze nach der Kapitulation
noch brauchbar. Ebenso kann von einer Zerstörung der Werke,
wenn auch Decken von 2,8 bis 3 m Stärke durchschlagen wurden,
nicht die Rede sein. Nach der hohen Zahl schwerer Mörsergranaten,
mit denen die Forts belegt wurden, hätte man weit größere zer-
störende Wirkung gegen die Erde erwarten können, als tatsäch-
lich festgestellt wurde. Die Grabenböschungen, Wälle und Brust-
wehren zeigten natürlich große Veränderungen in der Gestaltung
der Erdmassen, teilweise sogar ein wüstes Durcheinander: aber
sämtliche Forts wären nach Beschaffenheit der in Erde erbauten
Teile noch verteidigungsfähig gewesen. Man vergleiche die wüsten
Zerstörungen, die mehrtägiges Trommelfeuer in den großen Ab-
wehrschlachten anrichteten! Die deutschen Stellungen in der Cham-
pagne, an der Aisne, an der Somme und in Flandern zeigten
*) Nach Stavenhageu: „Antwerpen und seine Befestigung."
too
Antwerpen 1914.
wahrlich ein anderes Bild! Da gab es keinen Stein mehr auf dem
anderen, keinen Unterstand, der nicht eingedrückt oder verschüttet
war, da bildete der eben ausgeworfene Granattrichter die einzige
Deckung. Und doch sind diese Stellungen nicht nur behauptet
worden, sondern weit überlegene Massen haben sich an ihnen
Wochen und Monate hindurch vergeblich den Kopf eingerannt, eine
Niederlage nach der anderen sich geholt! Die ganze Überlegenheit
des deutschen Mannes und zwar nicht nur seine soldatische, sondern
auch seine persönliche, seelische zeigt ein solcher Vergleich. Ohne
Überhebung dürfen wir es aussprechen, nachdem wir eine Welt
von Feinden über vier Jahre niedergehalten haben: Antwerpen,
von deutschen Truppen verteidigt, wäre unter den gleichen Ver-
Hältnissen nicht so schnell gefallen! Auch der Einwand, daß die
Forts gegen die modernen Geschosse nicht zu halten waren, kann
daran nichts ändern. In der Tat erwiesen sich die Forts als un-
zweckmäßig. Der Luftdruck und die giftigen Gase, die sich bei
der Explosion der Geschosse entwickeln, machten den Verteidigern
den Aufenthalt in Hohlräumen unmöglich, zumal es in Antwerpen
an guten Lüftungseinrichtungen anscheinend gefehlt hat. Es bot
sich dem Verteidiger aber in Zwischenstellungen und dann be-
sonders an dem starken Netheabfchnitt hinreichend Gelegenheit,
seine Kraft zur vollen Geltung zu bringen.
So lag die Riesenfestung, bezwungen noch nicht mit der Hälfte
der im Frieden dazu für nötig erachteten Zahl von Divisionen,
vor dem deutschen Sieger. Voll berechtigt war der Jubel darüber
in der Heimat, in den sich das Dankesläuten der Kirchenglocken
mischte. In hervorragendem, auf ein Ziel gerichtetem Zusammen-
wirken und in vortrefflicher gegenseitiger Unterstützung haben die
Truppen mit vorbildlicher Tapferkeit in Einzeltaten und in ihrer
Gesamtheit das große Werk vollbracht und damit unsterblichen
Ruhm an ihre Fahnen geknüpft. Untrennbar verbunden bleiben
ihre Namen mit der Erinnerung an „Antwerpen 1914" ebenso,
wie der Name ihres Führers, des Generals v. V e s e l e r. Er,
der schon seit mehreren Jahren der Jnaktivität angehört hatte,
brachte aus seiner letzten Dienststellung als Generalinspekteur der
Pioniere und der Festungen ein besonderes Verständnis für die
Schlußbetrachtung.
101
ihm gewordene große Aufgabe mit, sie „lag" ihm ganz besonders.
Unvergeßlich bleiben uns, die wir seinem Stabe als Gehilfen an-
geHorten, die Besprechungen im Palasthotel zu Brüssel, die der
Belagerung vorausgingen. Wir alle lernten dabei. In dem
Streit der Meinungen blieb er immer der Führende, der mit über-
legener Ruhe und Sicherheit die schwierigen Entscheidungen traf,
vor die ihn die allgemeine Lage gestellt hatte. Fest hielt er die
Fäden in der Hand, regierte mit klaren Weisungen an seinen Stab
den großen Apparat selbst und eilte dann, hinaus zu den Truppen,
um zu helfen und Eindrücke zu sammeln. Und so war es auch
während des ganzen Verlaufes der Belagerung. Sein häufiger
Besuch bei den Truppen und die rechtzeitige Besichtigung aller
Vorbereitungen war von ungeheuerm Nutzen für die Führung
und die Truppe, deren Pulsschlag er fühlte, deren Bedürfnisse er
ersorschte und berücksichtigte.
So war er der Führer am rechten Platz, ein wahrer Führer
seiner von herrlichem Siegssdurst, aber auch von heiligem Ernst
beseelten Angriffstruppen — groß in seinen Entschlüssen, genau
in allen Einzelheiten und mit einem warmen Herzen für seine
Untergebenen.
Sein klarer Blick, sein treffendes Urteil, fein zielbewußtes,
sicheres Handeln sowie seine außerordentlich geschickte Einwirkung
auf Unterführer und Truppen sicherten die Vorbedingungen für
den herrlichen Erfolg. Mit großer Genugtuung und hoher Freude
wurde daher die Auszeichnung, die ihm, und die Anerkennung,
die seinen tapferen Truppen zuteil wurde, empfunden. Der Kaiser
gab dem allgemeinen Volksempfinden Ausdruck, als er dem Ge-
neral v. Befeler telegraphierte:
„Ich danke Ihnen für die Meldung über die Einnahme voll
Antwerpen, die Mich mit wahrer Freude erfüllt. Es ist Ihr und
Ihrer wackeren Truppen hohes Verdienst, eine der größten und
stärksten Festungen der Welt in kurzer Zeit bezwungen zu haben.
In größter Dankbarkeit verleihe Ich Ihnen den wohlverdienten
Orden ?our 1s M6rite und ersuche Sie, Ihren unvergleichlichen
Truppen Meine allerwärmste Anerkennung auszusprechen. Ich
t02
Antwerpen 1914.
danke Gott mit Ihnen, der uns diesen schönen Erfolg beschert
hat." —
Die Hoffnungen aber, die wir an die Eroberung Antwerpens
für den Frieden geknüpft hatten, find nicht in Erfüllung gegangen.
Umsonst ruhen die Leiber so vieler tapferer Gefallener in den Ge-
filden an der Nethe, aber ihre Namen bleiben ebenso unvergessen
wie der Ruhm der wackeren Truppen und ihrer Führer. Sic alle
haben dazu beigetragen, daß die „Eroberung von Antwerpen 1914"
als glänzende Waffentat in die ruhmreichen Geschichtstafeln des
deutschen Volkes eingegraben ist. Und was hier mit eisernem
Griffel und jungem Blute geschrieben steht, ist unvergänglich. —
Namenverzeichnis.
Albert, König d. Belgier 8, 20, 31,
62, 92
Albrecht, Herzog v. Württemberg 95
Aston, engl. Gen. 19, 49, 50, 54
Bazaine, franz. Gen. 96
Becker, Hauptmann 34, 35
v. Beseler, Gen. d. Inf. 15, 16, 17,
19, 20, 21, 23, 25, 27, 31, 38, 39,
51, 55, 72, 88, 89, 90, 96, 97,
100, 101
Blomeyer, Leutnant 61
Bockenhagen, Genlt. 34
Brialmont, belg. Gen. 23
Briese, Generalmajor 87
Brink, Major 58
v. Brunn, Hauptmann 39
Buch, Hauptmann 34, 35
Cappes, engl. Gen. 75, 76
Christian V., König v. Dänemark 56
Churchill, erster Lord d. Adm. 53,
62, 74, 75
v. Clausewitz, General 14
Corbett Julian 18, 19, 50, 53, 82
v. Cosel, Obstlt. 71, 72
Eichhorn, Generalmajor 80
Erdmann, Hauptmann 34, 35, 43,
56, 64
v. Ernst, Obstlt. 56
Farnese Alexander, v. Parma 11
Frank, Stadtverordneter v. Ant-
werpen 88
French, engl. Gen. 50, d3, 74, 75, 76
Friedrich Wilhelm III., König v.
Preußen 14
Gene, Major 80
v. Goetze, Obstlt. 67
Frhr. v. d. Goltz, Gen.Feldm. 32, 83
de Guise, belg. Gen. 91
v. Heeringen, Hauptmann 88, 89
Herr, Kapitän z. See 32
Holler, Unteroffizier 42
v. Jaeobi, Major 63
Joffre, franz. Gen. 20, 22, 50, 53, 74,
75, 76
Jung, Generalmajor 72, 83, 99
Kabisch, Oberst 89
Kehler, Vizefeldwebel 58
Kitchener, Lord 75
Kleemann, Major 43, 44
v. Kleist, Oberst 40, 64, 89
Körner, Leutnant 59
v. Koß, Leutnant d. N. 47
v. d. Lancken,Botschaftsrat 89, 90, 91
Leipziger, Leutnant 58
Mahmens, Sergeant 42
v. d. Marwitz, Gen. d. Kav. 14
v. Meyer, Genlt. 30, 70, 71, 73
v. Moltke, Generaloberst 39
Müller, Gefreiter 41
Napoleon I. 13
zur Nedden, Hauptmann 56, 57, 59,
60, 61, 64, 68
Neumann, Hauptmann 34, 35
v. Oven, Major 47
Paar, Leutnant 48
v. Paezynski, Major 60
Paris, engl. Gen. 54, 62, 63, 64, 75,
77, 80, 85
104
Rawlenson, engl. Gentt. 76, 80,82,85
Renner, Oberst 32
Ryckmann, Senator v. Antwerpen 88
Sckabel, Generalmajor 34
Scharf, Hauptmann 34, 35
v. Schickfus und Neudorf, Genlt. 29,68
Schiller 11
Schmieding, Unteroffizier 40
v. Schröder, Admiral 19, 20, 21, 29
v. Schütz, Genlt. 30
Stavenhagen 99
Stegemann 18
v. Sydow, Major 40
Tiemann, Leutnant 45
Trip, Generalmajor 33
Türk, Kapitän z. See 44
v. Ackermann, Major 30, 31, 78
Voigt, Genlt. 29
de Vos, Bürgermeister v. Antwerpen
88
Weddingen, Kapitänleutnant 50
v. Werder, Genlt. 29, 33, 72, 8),
97, 98
v. Wichmann, Generalmajor 32, 67
Wilm, Major 86
Wunderlich, Oberleutnant 45
Zwickwolf, Hauptmann 86
Ziethen, Generalmajor 34
Anlage 2.*7
Übersicht über die Leistungen der
Belagerungs-Artillerie.
a) 42 cm und 30,5 cm.
Fort, Tage der Beschießung 42 em (Kurze Marine-Kanonen-Batterie --- K.M.K.B.) 30,5 cm (Schwere Kiisten-Mörser-Batterie ---> S.K,M.B. Österr. Festungs-Artitterie-Bataillon — O.F.A B )
Batterie Ent- fernung Schuß Batterie Ent- fenmng Schuß
Breendonck 1. u. 6.-8.10. Neumann S.K.M.B.,1 Schars S K.M.B. 5 Buch S.K.M.B. 6 7,8 km 8 km 8 km 221 225 117
Waelhem 28. 9.-2.10. Schars S.K.M.B 5 Buch S.K.M.B.6 9,1 km 7,7 km 422 134
Dussel 30. 9. u. 1.10. Scharf S.K.M.B. 5 10,3 km 137
Wavre-Ste. Catherine 28. 9.—1. 10. . Becker K.M.K-B. 2 10,1 km 171 Neumann S.K.M.B. 1 7,5 km 327
Koningshoyckt 29. 9.-2.10. Becker K.M.K.B. 2 11,7 km 113 Btl.Amann Ö.FA.B. 8 8,8 km 411
Lierre 30. 9.-2. 10. Erdmann K.M.K.B. 3 7,8 km 175
Kessel 4.10. Erdmann K.M.K.B. 3 8,4 km 57 Btl.Amann Ö.F.A.B. 8 8,0 km 60
Broechem 5. u. 6.10. Erdmann K.M.K.B. 3 8,2 km 74 Btl.Amann Ö.F.A.B. 8 8,9 km 70
Gesamtzahl der gemeldeten Schüsse 590 2130
Außerdem wurden vor Antwerpen insgesamt 11800 Granaten aus 21-om. Mörsern
verbraucht. Dabei sind anscheinend als Ziele nicht die Forts, sondern - mehr die
Zwischenstellungen gewählt worden.
Wenden!
*) Anlage 1 siehe in der Kartentasche.
106
b) Wirkung der Beschießung auf die Panzertürme
der Forts.
Fernlampf-Panzertürme Panzertürme für7,5-om- Sturm- abwehr- Kanonen 'jelinIP.T.)
Forts für 15-vm- Kanonen (je 2 in 1P.T.) für 12-cm- Kanonen (jelinIP.T.) für7,5-cm- Kanonen (jelinIP.T.) Fernkamps Panzer insgesamt Bemer-
% i t 1 g I f Ö IT 1 g J§ § » 1 § J rtc Bcai b- A >ch ach-- IV % I L 1s f. I « IT r. s kungen
Waelhem 2 — 2 2 2 4 4 — ll|
Wavre-Ste. Catherine 2 — 2 2 2 — 4 3 1 8 5 63 3 4 1 3 Ii* |p s lf#§i
Konings- hoyckt Lierre Kessel 2 2 2 2 2 3 2 3 1 — 4 3 1 8 5 7 3 6 87 60 86 1 2 9 4 2 2 2
1 1 2 1 4 4 — 7 1 2 2 I 8^11
Broechem 1 1 — 2 2 — 4 4 — 7 7 100 — 2 1 1 $f CS« ~ tjfg K ^Ks ** W ^ HC L ja
Zusammen- Panzer- türme Geschütze 10 20 4 8 6 12 11 11 10 10 1 1 16 16 14 14 2 2 37 47 28 32 76 68 9 15 18 18 12 12 6 6
Anlage 3.
Die Kapiiulaiionsbebmgungen.
Zwischen dem Oberbefehlshaber der deutschen SelageruugStruppen
vor Antwerpen und der Vertretung der befestigten Stadt Antwerpen wird
folgendes Abkommen getroffen:
1. Die noch nicht besehten Forts, Zwischenwerke und sonstigen Äe-
festigungen der äußeren und inneren Fortlinie werden morgen bedingungs-
los übergeben und hierzu von je einem deutschen Offizier in Begleitung
eines angesehenen Äürgers zur Übergabe aufgefordert.
Die Stadtverwaltung stellt hierzu 6 angesehene Äürger mit Xegiti-
mation der Stadtverwaltung und 12 gute Personenautos (evtl. Equipagen)
morgen 7 Uhr vormittags (deutsche Zeit) am Stadthaus.
2.Die Stadtverwaltung sorgt für Übersehgelegenheit von deutschen
Truppen über die Schelde bei Fort Tete de Flandre um Uhr vormittags.
Diese Schiffsgefäße stehen zur unbeschränkten Verfügung der deutschen
Truppen.
3. Morgen von 8 Uhr vormittags (deutsche Zeit) ab werden sämi-
liche in der Stadt befindliche Waffen auf Fort an den deutschen Be-
fehlshaber abgegeben.
4. Die Ordnung in der Stadt wird durch die Polizei (nur mit
Seitengewehr bewaffnet) und Sicherheitsmänner (kenntlich an Armbinde
in belgischen Farben) aufrecht erhalten.
Polizeistunde 9 llhr abends (deutsche Zeit).
5. Dem Kommandanten (Generalleutnant v. Schüh) sind bis
morgen 12Uhr mittags (deutsche Zeit) im Rathaus Verzeichnisse der in
Antwerpen vorhandenen Xager usw. zu übergeben und zwar
a)^ager von Pulver, Sprengstoffen, Munition und sonstigen
explosiblen Stoffen (einschl. Äenzin und Äenzol).
b) Funkenstationen,
c) Kabelverbindungen.
6.Die entwaffnete garde civique wird nicht als kriegsgefangen
betrachtet.
tos
7. Im übrigen gelten die von mir erlassenen Bestimmungen in der
Proklamation /im besonderen wird jeder kriegsrechtlich erschossen, der noch
eine Waffe führt.
s. Der Aufenthaltsort der verwundeten und gefangenen deutschen
Staatsangehörigen ist morgen bis 6 Uhr abends (deutsche Zeit) dem
Kommandanten anzugeben,- außerdem verpflichtet sich die Stadtver»
waltung, bei der belgischen Regierung auf die Auslieferung aller deutschen
Kriegsgefangenen, soweit sie bis ± 10. und später in Antwerpen an-
wesend waren, nach besten Kräften hinzuwirken.
9. Alle innerhalb der Festung noch befindlichen Angehörigen der
Königlich belgischen und der verbündeten Armee werden kriegsgefangen
10. Werden diese Bedingungen nicht vollständig erfüllt, so werden
die Truppen aus der Stadt herausgezogen, und es wird mit dem 25om>
bardement fortgefahren.
v. Beseler. de Pos. Frank, Ryckmann.
Anlage 1.
.Schlachten des Weltkrieges",
Kriegsgliederung der Belagerungsarmee.
Armeegruppe Beseler.
General der Infanterie v. Beseler. Chef des Gencralstabes: Oberst Kabisch.
1. Generalstabsoffizier: Oberstlt v. Tschischwitz.
III. Reserve-Korps
6 Reserve-Division
Generali!, v. Schicksus und Neudorfs
Generalstab: Major v. Holleben
12. Res.Jnf.Brig.
Generalmaj. Wachsmuth
11. Res.Jns.Brig.
Generalmaj. v. Jaeobi
5. Reserve-Divisivn
Generallt. Voigt
Generalstab: Hptm. v. Brunn
10. Res.Jnf.Brig.
Generallt. Stumpfs
9. Res.Jnf.Brig.
Generalmaj. Briese
Res.Jns.Regt. 26
Oberst v. Westernhagen
ata tk uüs
Res.Jns.Regt. 35
Oberstlt. v. Ernst
j- Ufa ebi Bfa
Res.Jns.Regt. 20
Oberstlt. Grube
j- neu «ki am
Res.Jns.Regt. 24
Oberst v. Schwemler
!'
Res.Jns.Regt. 12
Oberstlt. Kotze
Res.Jns.Regt. 52
Oberstlt. V. d. Osten
Res.Jns.Regt. 8
Oberst v. Kleist
•|« tia tk tk
Rel.Jns.Regt. 48
Oberstlt. v. Bieberstein
'I* S&i K&H UiÜ
Res.1Il.Regt. 3
Major v; llckermann
Res.Drag.Ziegt. 2
Major v. Tschainmer
Res.Feldart.Regt. 6
Oberstlt. v. Oertzeii
II. I.
Res.Feldart.Regt. 5
Oberstlt. Schweinitz
II.
R.San.Kp. 16 R.Div. Br.Tr. 6 1. u. 2,/SR.Pi. 3 R.San.Kp. 3 R.Div. Br.Tr. 5 4./R.Pi. 3
»j» = da dl ck> a.
Res.Jäg.Bll. 3
Hptm. Woboser
I./Res.Fnßart.Regt. 2
Major Bänke
0 0) C» C)
Feldlustsch.Abt. 1
Flieg.Abt. 38
R.Fernspr.Abt. 3
4. Ersatz-Division
Generallt. v. Werder
Geueralstab: Oberstlt. v. Millich
Marine-Divisiou
Adniiral v. Schröder
Geueralstab- Oberst v. Hlilsen
33. gem. Ers.Brig.
Generallt. Melior
Brig.Ers.Btle.
34 33
Schwerin Hamburg
36 81 35
Ncndibg. Liibeil FlenSbg
13. gem. Ers.Brig.
Generalmaj. v.Mechoiv
Brig.Ers.Btle.
14 13
- ick« rck
Halberstadt Magdeburg
16 15
- im da
Torgau Tessau
9. gem. Ers.Brig.
Generalmaj. Trip
Brig.Ers.Btle.
10 9
Kottbus
12
Äilstrin
11
Neuruppi» Brandeubnrg
Wiar Jns.Brig.
Generalmaj. v. Wichmann
Mar.Jns.Regt. 1
Oberstlt. Lejsing
VIII V 1
rek» »M dw
Mar.Jns.Regt. 2
Oberstlt. v. Goetze
VI IV ' II
ski efe»
Atatr.Art.Brig.
Kapitän z. S. Hen
ue2Kp. S.Brl.VllausRgt. I u. 2 verteilt)
Matr.Art.Regt. 1
Oberstlt. v. Bernuth
III II I
Matr.Art.Regt. 2
Oberstlt. v. Obstfelder
VI V IV
ah ria äi
Kav.E.Äbt. IX
WandSbeck
Kav.E.Äbt. IV
Halbcrftadt
Kav.E.Äbt. III
Vra» Idenburg
Rdf.Kp.
® ®
2 1
V2 L.Esk. Schwing 1 L Esk. Mackensen
&
F.A.E.Abt. F.A.E.Abt.
60 45
I I|i I|I
Zchiverin Altona
F.A.E.Abt. F.A.E.Abt.
75 40
l|l l|l l|l
5 ?( E.Abi. F.A.E.Abt.
8'.i 18
I. Ldw.Art.Abt. X. AK.
Oberstlt. Mantels
Halle
Burg
Perleberg Frankfurt a.O.
1. E.Kp.Pi. 9
Harburg
1. E.Kp.Pi. 4
Magdeburg
2. E.Kp.Pi. 3
Spandau
Floltenstamm Div.
(in Brüssel)
'.G. Res.
28
Ldw.Pi.Kp.
2G. Ldiv.Jnf.Brig.
Generallt. v. Schütz
37. Ldw.Jnf.Brig.
Generallt. v. Meyer
1. bayer. Ldw.Jnf.Brig.
Generalmajor Eichhorn
V./L.J.R. 76
Maj. v. Matthießen
L.J.R. 39
Oberst Janke
9 i i i
L.J.R. 74 L J.R. 73
Oberstlt. v. Cosel Oberst Enlert
"Ä ak-, ata da ata
bayer. L.J R. 2
Oberstlt. Hiibner
giia M ad
bayer. L.J R. 1
Oberstlt. Edenhoser
tia da da
2 Ldst.Esk.
2 Ldiv.Esk.
&
1 Low.Est.
Stab u. 2. Erl.Batt. 59
I
% Ldst.Pi.Kp.
1. Ers.Batt. 59
t
F.A.E.Abt. 26
j >!>
V- schw. Feldh.Batl.
c)
Z. Ldst.Pi.Kp. IX. A.K
1 Ldst.Batt.
1 Ldw.Pi.Kp
Belagerungs-Artillerie.
General der Fußartillerie: Generalleutnant Borckenhagen.
Chef des Stabes: Oberst Hühn.
5. Reserve-Division Fußa.Brig. Kdr.: Generalmaj. Schabe! 6. Reserve-Division
Rgts.Kdr.: Oberst Bormko VaS3tl.fi. Vi II./ 8t. Va 1 Fußa. 7 Fußa. 3 Fu c) „ 2 2 in ./Dt. sta.3 1 i Rqts.K I./R. ( dr. : Obstlt. Schulenburg i^ußa. 7 Fußa. 9 II. I. ^ /N /N 5> G> G ^ A A 4 2 2 Ngts.Kdr,: Obstlt. Schaubode Il./R.Fußa. 7 V-I./R.Fußa.Z l 1 2 2 I. / R.Fußa, 2 V- II. / Fußa. 8 (i> A ^ 4 2
St S.K.M.B. 1 O.F.A.S: (Neumann) (Amanr <» » ' » » < 2 2 2 Art.Park hwerste Mörser S. 8 K.M.5 i) (See $ > E 2 Kdo.: Oberst ^.B. 2 K.M.K.B. 3 ker) (Erdmann) G G 2 oirfch
Marine-Division
Fußa.Brig. Kdr.: Generalmaj. Ziethen
Rgts.Kdr.i Oberst Breusing Rgts.Kdr.: Oberst Schradin
fi.Fußa. 2 V21. / R.Fußa. 13 III. / R.Fußa. 7 I. / R.Fußa. 9
$ t 1; ^ V 5)
4 2 A ^ ✓ 2 y V
Schwerste Mörser
SK.M.B. 5 <SJJ.2Jt.S3.6 F.Fußa.Mun.Kol. Krastw.Kol.
(Scharf) (Buch) ---
• •
2 1
Art.Park Kdo.: Generalmaj. v. Fichte
Pioniere.
General der Pioniere: Generalmajor Friemel.
Chef des Stabes: Oberst Schulz.
Ldst.Pi.Kompagnien l.fidst.Pi.Kp. l.fidst.Pi.Kp. 2.fidst.Pi.Kp. VII. A.K. IX. A.K. XI. A.K. 1. /Pi.Batl. 18 Pi.Rgt. 25 Oberst Breisig rii M Pi.Rgt. 24 Oberst Quentin tk >i>
Festungsscheiiiwerserztige Pi.Bel.Tr. Pi.Bel.Tr.
Tr.Kol. ParkKp.Kdo. 2schw.Fstgs. Schw.-Züge Tr.Kol. Park Kp.Kdo. 1. Schw.-Zug
Sonderwaffen.
Festgs.Verm.Abt. Bel.Tel.Abt. Festgs.Eij.Bau Kp. Festgs.Eis.Betr.Abt. Festgs.fiustsch.Z
10 1 1 10 5 2 1 10 22
M.G.Formationen.
Festgs.M.G.Tr. Festgs.M.G.Abt.
Mar.Div. 6. R.D. Bel.Artl. 5. R.D. Bel.Artl. 37. Ldw.Brig. Bel.Artl.
2 4 ö 6 7 8 9 6 4
-I' + + + + + .|. | .|.
S 6 6 6 6 6 4 4 4
Skizze 7.
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°B!ankenberghe
Ost ende
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Courtrai
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Maubeuge
„Schlachten des Weltkrieges""
Druck und Verlag Gerhard Sfallinq, Oldenburg i.O.
Ubersichfsskizze.
o St. Omer
ZglULLE \
Erläuterung.
Stellung III. R.K. vom21.8.-26.9.
l/ormarsch der 7. Armee (Mitte)
Vormarsch der2. ArmeefMiffe)
Afras
O 10 20 30 40_50 km
n. o/. Quent/n 33 km
Antwerpen mit erstem Aufmarsch der schweren Artillerie.
Skizze 2.
.Schlachten des Weltkrieges."'
Druck u.Verlag von Gerhard Stallin^, uictei lburg'/Q.
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Uckermann
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Aufmarsch der Anftriffstruppen und die Lage bis 30.9. abends.
Erläuterung:
•••so = Stellung der ßeckungstruppen
nörd/. Brüssel bis zum 26.9.
> = Aufmarsch der Angriffstruppen
ff^A am 30.9. ctbds.
izMvZn- be/gisck )
a=Zw.W.Tallaert, b=Zw.W. Boschbeek
c=Zw.W. Dorpvelde, d= Red. de Düffel (Fortin
Skizze 3.
Druck u. /erlag v. Gerkard Staffing, dfdenburg
Skizze 4
Der Kampf um die äußere Fortlinie (Lage am 2.10. abds.)
und Vordringen gegen den Nethe-Abschnitt.
„Schlachten des Weltkrieges'.
Druck u.Verlag Gerhard Stalling.O/denburg i.Ol
Die Lage nach dem Überschreiten der Nefhelinie am 6.10.abds. und das Vordringen gegen die innere ForMinie
Uckermann
Zw.WS) Massenhöven
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K.M.K.B.3
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Erläuterung:
£ DeutscheStellungen am 6.10.abds.
*• Vordringen gegen die innere ForHinie.
1:100000
vSVaelherrt
Fort<^ ff
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Skizze 5.
„Schlachten des Weltkrieges '
Druck und Verlag von Gerhard Stelling, Oldenburg '/0.
Skizze 6.
.Schlachten des Weltkrieges
DrucJ< u. Ver/ag v. Gerhard Stalling, OWe/iiury'/D.
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Malines
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Beveren
Waes
Broechem
o St-Paul
Moerbeke
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Wachtedeke
o Kettermuit
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, Zw. W. ^
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. Fort I
VBreendonck
Dixmuicieii
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ßer/aer^o
SchoonaerdeL
^Quatrech!
Roulers
ALOST
COURTRAI
BRÜSSEL
Druck u. Verlag von Gerhard StaHing, Oldenburg i.O.
Erläuterung.
^ dceutsch 1 am 3.10.
femdl J
deutsche Bewegung, am 10.10.
1:300000
0 1 Z 3 4 Km
111*1
„Schlachten cfes Weltkrieges