65 Sie werden so unverschämt, daß sie auch bei Tage ihrem Handwerk nachgehen. Sie schließen sich zu ganzen Schwärmen zusammen und be- treiben in hellen Nächten schamlos und ungeniert unter lautem Quiet- schen die Sorge um ihre weitere Vermehrung. Sie tun ganz, als seien sie zu Herren des Waldes geworden, und der Wald in seiner neuen Ge- stalt behagt ihnen bedeutend besser als der frühere. Was macht es ihnen aus, wenn allnächtlich Hunderte von ihnen in Fallen gefangen, andere Hundert zertreten, zerquetscht, mit Knüppeln erschlagen und erstochen werden? Was kümmert es sie, wenn Tausend in ihrer Freßgier das süßlich schmeckende Gift verschlingen und unter scheußlichen Krämpfen in ihren Löchern verrecken? Was schiert sie, daß sich hin und wieder einer von diesen Menschen, die heuer so zahlreich und laut im Walde sind, ein langes Rohr an die Backe hält und einen knallenden Blitz schleudert, der ihnen den Leib aufreißt? Wie weiland die Kaninchen im Kampf gegen die Ratten, so setzen heute die Ratten im Kamps gegen die Menschen als stärkste Waffe ihre Fruchtbarkeit ein. Und sie müssen wohl in der Natur einen Bundes- genossen haben, denn ihre Fruchtbarkeit wächst schneller als die Kampf- mittel ihrer Gegner. Nicht lange, und der Wald ist so voll von ihnen, daß sie auswandern müssen. Heimtückisch sind sie und ohne jede Sentimentalität. Bald haben sie gelernt, wie Menschenfleisch schmeckt. Es muß wohl eine Delikatesse für ihren Gaumen sein, denn es ist bald so schlimm im Wald, daß kein Ge- fallener länger als eine Stunde unbehelligt liegen kann. Schließlich wagen sie sich sogar an die Verwundeten, die sich nicht helfen können. Es genügt ihnen nicht mehr, die Toten anzufressen, ihre Gier verlangt nach warmem Fleisch, sie wollen Ersatz für die Kanin- chen, die ausgestorben sind. Die Rattenplage ist furchtbar im Walde. * Vögel gibt es nicht mehr, die den Morgen einsingen und mittags bei Sonnenhitze im kühlen Gewölbe der Zweige ihre munteren Gesell- schaftsspiele betreiben. Kein Specht hämmerl nach Würmern und Larven, kein Häher streicht krächzend durch die Baumkronen, kein Kuckuck ruft aus dem Gebüsch, keine Schwarzamsel, keine Drossel, kein Distelfink. Die letzten, die sich verzogen haben, war eine alte verdrossene Rabenfamilie. Aber selbst ihnen, obwohl sie doch anspruchslos sind und Flandern 1317. 5