Die urgeschichtlichen Funde aus dem Stadtbereiche von Bon Dr. Josef Bayer, Direktor am Naturhistorischen Museum in Wien. Die Tatsache, daß der Boden der heutigen Städte durchschnittlich nicht mehr vorge schichtliche Funde aufweist wie der Boden unverbauten Landes, läßt erkennen, daß die für das Entstehen der jetzigen großen Siedlungen maßgebenden Voraussetzungen für die Urzeit nicht oder in weitaus geringerem Maße Geltung hatten. Das zeigt sich auch, wenn wir einen Blick auf die urgeschichtliche Vergangenheit St. Pöltens werfen. Wenn Spuren des eiszeit lichen Menschen hier gänzlich fehlen, so ist dies begreiflich, da die Stadt auf der sogenannten Solutrs-Terrasse steht, deren Bildung erst nach der Blütezeit des Mammutjägertums (Aurig- nacien) erfolgt ist, während andererseits wieder der Renjäger (Magdalsnien), dessen Zeit alter der Bildung dieses Terrassenbodens folgt, anscheinend überhaupt in das südlich der Donau gelegene Niederösterreich nicht gekommen ist. So muß man, um zu den ältesten Spuren des Menschen auf St. Pöltener Boden zu gelangen, weit vorne im Alluvium suchen, eine Tatsache, die nicht bloß lokale Giltigkeit hat, sondern zu den interessantesten Erschei nungen der Urgeschichte unseres Kontinentes gehört, indem in weiten Gebieten, darunter auch in Österreich, vom Renjäger bis zur jüngeren Steinzeit nicht die geringsten Zeugnisse menschlicher Anwesenheit vorliegen. So fällt auch die älteste bekannte Besiedlung des St. Pöltener Bodens erst in das sogenannte Vollneolithikum, in den Kulturkreis der Linearkeramik, und zwar in deren jüngeren Abschnitt (erste Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr.). Die Siedlung liegt auf der sogeuannten Galgenleithen, wie die alte, das linke Traisenufer begleitende Terrasse an der Stelle genannt wird, wo der Nadelbach das Traisental erreicht. Hier stieß man während des Krieges beim Ausheben von Schützengräben auf vorgeschichtliche Funde, die durch Direktor A. Tobner, unserem verdienstvollen Heimatforscher, gerettet wurden. Sie ließen bereits er kennen, daß der Platz in zwei tveitauseinander liegenden Zeiten, und zwar in der jüngeren Steinzeit und zur Hallstattzeit besiedelt war. Um über die Anlage der Siedlung Klarheit zu erlangen, war eine systematische Grabung nötig, die im Frühjahr 1927 dadurch ermöglicht wurde, daß sich über Antrag des Herrn Bürgermeisters Schnofl und Stadtrates Dr. Fischer die Stadtgemeinde St. Pölten bereit erklärte, die Kosten zu tragen. Diese Untersuchung wurde ini April und Mai d. I. unter meiner wissenschaftlichen Leitung von Herrn H. E. Wichmann durchgeführt. Wenn auch vorerst nur ein Teil der Siedlung erschlossen werden konnte, so bietet sich doch jetzt schon ein gutes Bild der hier vorliegenden Kultur. Es ist die sogenannte Lengyel- kultur, deren charakteristische Gefäßbemalung hier zwar fehlt, die aber durch eine reiche Tonplastik nicht zu verkennen ist. Letztere gleicht vollständig der des böhmisch-mährischen Gebietes: weibliche Figuren, ausgestreckt, mit geschlossenen Beinen, relativ kleinem Kopf auf langem Hals, Stumpfarmen, winzigen Brüsten und stark ausgeprägtem Gesäß bei auffallend