Volltext: Was ist Bewusstsein?

Evolution an die Stelle des Glaubens an die Schöpfung. Natürlich spricht aus wissenschaftlicher Sicht alles für die Evolutionstheorie, aber nicht notwendig für die Darwinsche Begründung derselben. Die Evolutionstheorie ist ein gut begründeter heuristischer Ansatz, der aber mit Inhalt gefüllt werden muss, wenn er Wissenschaft werden will. Mit trivialen Erklärungen der Form der Erzählung einer Geschichte, die (top-down) von ihrem Ende her konstruiert ist, ist dabei nicht viel gewonnen. Und der Hinweis auf die Physik als Basis, die irgendwann (bottom-up) zu einem vollkommenen Verständnis aller (auch der biologischen) Phänomene führen wird, zehrt ausschließlich vom Renommee der Physik als 'Paradewissenschaft', ohne sich Fragen der Ontologie zu stellen, die über den Glauben an die Materie und die Kausalität hinausgehen. Aber dieser Glaube ist so fest, dass alle offenen Fragen (und das heißt so gut wie alles), als bloße Detailfragen erscheinen. Die Schuld daran trifft aber nicht die Physiker. Die geläufigen phänomenologischen Befunde über das menschliche Bewusstsein haben wohl weitgehend ihre Richtigkeit, aber für sich genommen bieten sie eben keine Basis für eine Erklärung bzw. ein Verständnis der Phänomene. Diese kann nur in einer evolutionären Perspektive gewonnen werden, die nicht diese Phänomene selbst zugrunde legt, d.h. nur im Ausgang von einer Idee dessen, was Bewusstsein ontologisch, in seinem Ursprung ist. Ist Bewusstsein nicht selbst 'etwas', sondern nur die Schnittstelle des Organismus zu seiner Umwelt, die ihren Ursprung in der prekären Autarkie und der damit verbundenen Dependenz des Organismus hat, so muss es möglich sein, die Genese der menschlichen Form des Bewusstseins und Selbstbewusstseins im Ausgang davon zu erklären. Mit Verweis auf das bisher bereits Gesagte ist die Frage ist also nun, welche Schritte es sind, die von der Stufe der multipolaren Referenz hinführen zum menschlichen (dezentralisierten, weil mit Selbstbewusstsein 'ausgestatteten') Bewusstsein, bzw. wie dieses auf dieser Basis charakterisiert und begriffen werden kann. Zur Charakterisierung dieser Form des Bewusstseins gehören, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, Phänomene wie: Selbstbewusstsein, Sprache, bewusstes Handeln, Freiheit, aber auch abgeleitete Phänomene wie Moral, Kultur, Wirtschaft, Religion, Wissenschaft etc. Grundlegend scheinen mir aber vor allem zwei Dinge, deren strukturelle Möglichkeit wir in Ansätzen in den Vorgängen rund um die Brutpflege bei höheren Tieren bereits grundgelegt gefunden haben: Selbstbewusstsein und Sprache. Wie ist deren Genese beim Menschen zu erklären? 3.3.1 Sprache Der erste Schritt, der zur Sprache führt, besteht nach meiner Auffassung in einer gewissen Entkoppelung des Schreiens von einem bloßen situationsgebundenen, auto-deiktischen Signal hin zu einem Ausdruck mit 'Funktionscharakter', der in variablen Funktionen (es kann verschiedenen Bedürfnissen Ausdruck geben) jeweils eine 'passende' Zuwendung der Mutter oder des Beziehungs'objekts' hervorruft, z.B. in Form des Stillens, des Zudeckens, des Streichelns etc. Die passende Form der Zuwendung etabliert gewissermaßen so etwas wie eine proto-semantische Ebene, eine Form geteilter Intentionalität in Form der passenden Antwort auf ein Signal. Das unterscheidet sich von der Ebene der multipolaren Referenz noch nicht prinzipiell, der wesentliche Unterschied liegt aber einerseits in der längeren Dauer der Angewiesenheit, und andererseits – und damit verbunden – darin, dass es um eine größere Bandbreite von Bedürfnissen geht. Die Mutter oder die Bezugsperson muss anfangs 'erraten' (im Sinne von Einfühlung), um welches Bedürfnis es in der jeweiligen Situation geht. Das eindimensionale auto-deiktische Signal ('Hunger') nimmt so im Laufe der Zeit bis zu einem gewissen Grad deiktische Züge an, in Form einer korrespondierenden Erwartungshaltung. Es fordert nicht bloß eindimensional Zuwendung in Form von Fütterung ein, sondern die jeweils passende Zuwendung, und kann schließlich auch rein auf Zuwendung bezogen sein. Es liegt in diesem Spiel der Einforderung von Aufmerksamkeit und der Zuwendung von Aufmerksamkeit, dass das situationsbezogene Signal proto-deiktische Züge annimmt. Es reichert 139
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