Volltext: Was ist Bewusstsein?

Referenzsystem, zu einer Art Metaebene in Bezug auf die Umwelt. Man kann sich diesen Zuwachs an Mittelbarkeit, an Distanz zur rein sinnlichen Ebene,445 ganz einfach am Unterschied zwischen zwei (nicht begrifflich aufzufassenden) Konzepten klar machen, nämlich zwischen dem Konzept Nahrung und dem Konzept Futter. Der Übergang vom Konzept Nahrung zum Konzept Futter bedeutet bzw. impliziert eine Dezentrierung (eine implizite, prinzipielle Perspektivänderung), einen Übergang zu einer Art Transsubjektivität. Diese (hormonell gesteuerte) Transzendierung des Individuums bewirkt also implizit die Etablierung einer gemeinsamen (aber noch nicht begrifflichen) Bezugnahme, eines multipolaren Referenzsystems, das zu einer Kommunikation auf Signalebene befähigt. In diesem unscheinbaren Schritt von der Nahrung zum Futter steckt also der Keim des Denkens und die Wurzel der Kommunikation.446 Der Unterschied ist kategorial, indem er von der Dependenz des Organismus und der darin begründeten Bezogenheit (und der Ausbildung entsprechender Referenzsysteme) zur gemeinsamen Bezugnahme, und damit zur Etablierung eines gemeinsamen, vermittelten Referenzsystems überleitet. Die Vermittlungsebene ist in ihrem Ursprung begründet in der hormonellen Steuerung des Verhaltens, erweitert sich aber durch die damit zusammenhängende Ermöglichung (und vielleicht auch Notwendigkeit) der Organisation und Zusammenarbeit in Gruppen oder Rudeln.447 Die Referenzbeziehung auf die Umwelt ist in diesem Fall also nicht unmittelbar vom Bedürfnis des Organismus bestimmt (die angesprochene elementare Form der Selbstbezüglichkeit des Organismus), sondern von der Sorge um und für die Brut, also um die mittelbare Form der Erhaltung der 'eigenen' Struktur in Form der Brut, der Nachkommen. D.h. die Selbstbezüglichkeit des Organismus in Form der Brutpflege ist auf etwas außerhalb seiner selbst (als Individuum) gerichtet. Sie richtet sich gewissermaßen instinktiv auf 'sich selbst' als Struktur ('als Art'), sie wird zu einer instinktiv wahrgenommenen 'Aufgabe', zur 'Sorge' um die und für die Nachkommenschaft durch Sicherstellung seiner Nahrungs- bzw. Energieversorgung und auch in Formen der körperlichen Zuneigung (Mutterliebe …). Das eigene Bedürfnis wird durch die Sorge in den Hintergrund gerückt. Die Beziehung zu anderen Exemplaren der eigenen Art, den Artgenossen, ist währenddessen geprägt von der Konkurrenz um die vorhandenen (beschränkten) Ressourcen, was aber auch, insbesondere bei Säugetieren, in verschiedenste Formen der Kooperation (z.B. bei der gemeinsamen Jagd oder der Gefahrenabwehr) und der Konkurrenz, des Konflikts und der Rivalität (Hierarchiebildung) bis hin zum Kampf, münden kann. Auch auf Ebene der Brut ist die Beziehung geprägt von Konkurrenz um die vorhandenen (beschränkten) Ressourcen, was in diesem Fall vor allem eine Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Eltern bzw. des fütternden Partners bedeutet. All diese Verhaltensweisen sind instinktbasiert.448 Der Instinkt hat sein Fundament in der 445 Eine Schnittstelle, die – wie erinnerlich – ihrerseits bereits 'unipolar' von einem zentralen Nervensystem und der Entwicklung von Koordinatensystemen, als Bedingung für Fortbewegung und intelligentes Verhalten, geprägt ist. 446 In gewisser Weise kann man diese Wurzel der Kommunikation natürlich auf einer noch tieferen (ebenfalls hormongesteuerten) Ebene sehen, nämlich auf der Ebene der 'Werbung' um die möglichen Paarungspartner. Diese führt aber nicht zur Etablierung transsubjektiver Konzepte, sondern setzt diese sogar in gewisser Weise voraus (z.B. Balzrufe …). 447 Sexuelle Fortpflanzung hat auf dieser Ebene durch die Verbindung mit Lust zugleich ein stark positiv entropisches Moment an sich, was die notwendige Betreuung des Nachwuchses bzw. das 'soziale' Gefüge betrifft, was durch hierarchische Ordnung (in tierischen Gruppen, bestimmt vom 'Recht' auf Vermehrung, hier zeigt sich die Steuerung des Prozesses durch Gene in besonderer Weise) bzw. später beim Menschen durch Moral kompensiert werden soll. Moral ist in dieser Betrachtungsweise ein Prinzip der negativen Entropie in sozialen Organisationen – und wird religiös-hierarchisch gerechtfertigt. Man kann im Prinzip aber sagen, dass Individualität einerseits auf 'sozialem Verhalten' (Brutpflege) beruht, als solche aber auch sozial entropisch wirkt – Pubertät! Wir leben in einer Gesellschaft, in der pubertäre Einstellungen zur Norm zu werden scheinen. Man könnte vielleicht auch das Entstehen und den Untergang von Kulturen unter diesem Aspekt betrachten. Am Anfang stehen meist hierarchische Ordnungen, die durch die Lockerung der strengen Ordnung aufblühen, dadurch aber zugleich entropisch werden und schließlich untergehen. Dies wäre sozusagen ein Prozess der (Neg-)Entropie. 448 … und, wie man hinzufügen könnte, hormongesteuert. Diese Hormonsteuerung kann als weiterer Beleg für die 135
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