BRIEF AN PROF. SUESS
Deutsche
Töpfer- & Ziegler-Zeitung und
Chemisch, technisches Laboratorium Berlin N
Kesslerstraße 7
Nr.
2”
Berlin, 28. März
Hochverehrtester Herr Professor!
Ihr verehrter Herr College Prof. Tetmayer versprach mir die
Freundlichkeit zu haben Ihnen beiliegende Dokumente einzuhändigen.
Als langjähriger Verehrer Ihrer herzerhebenden Werke bin ich der Über-
zeugung, dass Sie die Beweise eines im letzten Viertel des neunzehnten
Jahrhunderts amtlich verübten moralischen Aotodafes interessieren wer-
den. Es ist für die Sache selbst völlig gleichgültig, dass ich der betreffen-
de Ketzer bin, aber es erschwert den Fall deshalb, weil die Annullierung
dieser Ehe ein mit 6 lebenden Söhnen gesegnetes Ehepaar traf. Ihrer
historisch kritischen Sonde wird auch die nahezu fieberhafte Eile, womit
die beiden oberen Instanzen das Urtheil der ersten Instanz zu bestätigen
fanden, nicht entgehen, ebensowenig der Umstand, dass man in einer
so „klaren“ Sache 5 Jahre und 10 Monate lang zur Fällung eines Urtheils
brauchte, das von den Strahlen der aufgehenden Sonne ‚, Taaffee und
Consorten grell beleuchtet wird und ein charakteristisches Moment der
neuen Aera darzustellen geeignet erscheint. Was ich während der acht
Jahre meines Kampfes mit den finsteren Mächten in Österreich privatim
an Angriffen, Unterwühlungen, Hinterlistigkeiten und anderen Beweisen
christlicher Liebe erfahren, würde auszuführen zwar nicht ohne Interes-
se, gegenüber diesem historischen Factum aber doch klein und unbe-
deutend sein. Dies spricht für sich deutlich.
Wenn Sie, hochverehrter Herr Professor öffentlich als oberste Instanz,
als Instanz der Geschichte und des gesunden Verstandes darüber urt-
heilen wollen, so steht Ihnen dieses und noch weiteres Material zur gef.
Verfügung.
Noch erwähne ich, dass der Herausgeber der zwanglos erscheinenden
„brennenden Zeit- und Streitfragen” Dr. Ledersteger sich eine Ehre dar-
aus machen würde, wenn Sie dieses Thema in einem Hefte der „Zeitfra-
gen“ behandeln würden, deren Tendenzen dies vollkommen entspricht.
Genehmigen Sie zum Schlusse den wärmsten Dank für Ihre herrlichen
Kraftworte, die mir oft im schweren Ringen neue Kräfte einflössten, und
gestatten Sie, dass ich Ihnen im Geiste in aufrichtiger Verehrung die
Hand drücke.
Hochachtungsvoll und ergebenst
Hans Hauenschild