Volltext: Österreichs Paddelsport 1975 (1975)

fahrern erheben Anspruch auf einen Fünftausender. Die Kunst- 
und Kuiturbeflissenen möchten am liebsten alle 3000 Tempel des 
Kathmandutales besichtigen. Und das alles in 22 Tagen ... 
Nepal — ein Paradies für Kajakfahrer 
Es ist ein erdgeschichtliches Phänomen, daß der Himalaya, das 
höchste Gebirge der Erde, keine Wasserscheide darstellt. Alle 
großen Flüsse Nepals entspringen nördlich der Hauptkette. Der 
Himalaya faltete sich erst auf als diese Flüsse schon lange vom 
tibetanischen Hochland nach Süden flössen. Der Faltungsprozeß 
ging langsam vor sich. Gewaltige Schluchten konnten entstehen, 
wie etwa die 7000 Meter tiefe Kali-Gandaki-Schlucht oder die 
kaum weniger tief eingeschnittene Marsyandi-Schlucht. 
Die Himalayaflüsse münden in den Ganges. Bevor sie die 
Ebene erreichen, müssen sie sich durch das 3000 Meter hohe 
Mahabarath-Gebirge hindurchzwängen, dessen urwaldbewach¬ 
senen Berge das nepalesische Mittelland wie eine Mauer gegen 
die Tiefebene abgrenzen. 
Für den Kajak-Tourismus eignen sich die Flüsse des Mittellandes, 
die Durchbruch-Schluchten der Mahabarathkette und die breiten 
Ströme der Tiefebene. Die besten Jahreszeiten sind Frühjahr 
und Herbst. !m Sommer, wenn in den Monaten Juni bis Sep¬ 
tember 80 Prozent der Jahresniederschläge fallen, verwandeln 
sich selbst harmlose Wanderflüsse in reißende Wildwasser. Der 
Narayani führt dann eine Wassermenge von 9480 m3/sec. Im 
Vergleich dazu nehmen sich die 9 m3/sec., die durch die olym¬ 
pische Kanustrecke im Eiskanal in Augsburg fließen, recht be¬ 
scheiden aus. 
Sherpas-Spezialisten für first dass Service 
Die Tage in Kathmandu vergehen im Flug. Während die Gruppe 
Pagoden und Tempel der alten Königstadt Bhadgaon besichtigt 
und zum hindustanischen Heiligtum Pashupatinath fährt (Leichen- 
verbrennug inklusiv) oder sich von schlitzohrigen Händlern mehr 
oder weniger wertvolle Souvenirs aufschwatzen läßt, hockt der 
Reiseleiter mit Pinsel, Polyesterharz und Glasmatten bewaffnet 
bei den Booten, um Transportschäden zu reparieren. 15 zerleg¬ 
bare Kunststoff-Kajaks, eine Spezialanfertigung, die für Nepal 
notwendig ist, damit die vier Meter langen Boote im Gebirge 
von Trägern transportiert werden können, sind auf dem Land¬ 
weg vor vier Wochen aus Deutschland hier eingetroffen. Dazu 
20 Paddel, 15 Spritzdecken, 40 aufblasbare Schwimmkörper aus 
Gummi und Rettungsleinen für Notfälle. Die Touristen bringen 
nur ihre persönliche Ausrüstung mit, die aus Neoprenhose, Ano¬ 
rak, Sturzhelm und Schwimmweste bestehen muß. 
Am 20. November verlassen wir Kathmandu und erreichen nach 
dreistündiger Busfahrt das erste Camp am Trisuli. Die Sherpas 
haben das Lager neben einem kleinen Hindu-Tempel aufgeschla¬ 
gen, dessen kunstvolle Holzschnitzereien vom einstigen Schön¬ 
heitssinn der Erbauer zeugen. Aber auch dieser Tempel ist, wie 
so vieles in Nepal dem Verfall preisgegeben. 
Dalim Mukhia, unser Sirdar, serviert zur Begrüßung heißen Tee. 
Der kleine drahtige Bursche mit seinen lustigen Mandelaugen ist 
trotz seiner 22 Jahre bereits einer der beliebtesten Trekking- 
Führer. Er stammt aus einem Gebiet um Darjeeling in Ostnepal, 
wo sein Vater eine Teeplantage besitzt. Englisch hat er in der 
Schule in Kalkutta gelernt. Seitdem ist er auf die Inder nicht 
mehr gut zu sprechen. Böse Zungen behaupten übrigens, seine 
Beliebtheit sei besonders groß bei weiblichen Trekking-Touristen. 
Abends beweist Purba, unser Sherpakoch, daß er ein Meister 
seines Faches ist. Die Hühnersuppe schmeckt vortrefflich. Nach 
Reis, Gemüse und Fleischgericht gibt es zum Nachtisch einen 
selbstgebackenen Kuchen. Was macht's, wenn man dabei mit 
eingeschlafenen Beinen auf dem Boden hockt, sich die Finger 
an den Blechtellern verbrennt und im Tee verdächtige „Sand¬ 
körner“ schwimmen. Nachher am Lagerfeuer gibt es noch Tee 
mit Kuckri-Rum, ein höllisches Gebräu aus Zuckerrohrresten, 
vor dem man nur warnen kann. 
Am nächsten Tag sitzen wir zum ersten Mal in den Booten. Der 
Trisuli ist eine Teststrecke. Er gibt dem Reiseleiter die Mög¬ 
lichkeit, Fahrtechnik und Können der Teilnehmer einzustufen. 
Nach fünf Stunden Bootsfahrt weiß ich Bescheid: Karl, 38 Jahre 
alt, von Beruf Holzingenieur, in der Freizeit engagierter 
Schmetterlingssammler, erweist sich als Konditionswunder. Er 
soll als „Letzter Mann“ die Gruppe Zusammenhalten. Hubert, 
Dieter und Günter sind Kajak-Spezialisten und werden die 
Spitzengruppe bilden. Bei meinem Freund Peter stellt sich her¬ 
aus, daß er mit dem Geologenhammer besser umzugehen weiß 
als mit einem Paddel. Ich kenne ihn jedoch von gemeinsamen 
Bergtouren. Er ist hart im Nehmen und wird die unvermeidlich 
auf ihn zukommenden „Schwimmstrecken" sicher durchstehen. 
Die schwierigeren Passagen am Marsyandi werden wir auf alle 
Fälle nur mit 13 Booten befahren. 
Acht Tage Fußmarsch zum Marsyandi 
Nepal wird als das „Land ohne Rad“ beschrieben. Das stimmt 
heute nicht mehr ganz. Auch die Geschichte vom Rolls Royce des 
englischen Botschafters, der über die Saumpfade der Himalaya- 
Vorberge getragen werden mußte, gehört der Vergangenheit 
an. Das Straßennetz in Nepal ist zur Zeit etwa 5000 Kilometer 
lang. Trotzdem sind die meisten Himalayatäler nur zu Fuß zu 
erreichen. Auch zu unserem Einsatzpunkt am Marsyandi müssen 
die Boote drei Tage lang getragen werden. 
Wir gehen nicht den gleichen Weg wie die Bootsträger, sondern 
machen eine achttägie Trekking-Tour zum Lamjung-Himal. Wenn 
die Kajakfahrer schon einmal im Himalaya sind, dann sollen sie 
Österreichs Paddelsport, Nr. 1/2 1975 
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