Volltext: Österreichs Paddelsport 1973 (1973)

Der Kongreß der 200.000 Worte 
200.000 Worte — so schätzte es zumindestens lOC-Präsident 
Lord KILLANIN — wurden auf dem Olympischen Kongreß in 
Varna gesprochen! Es waren bestimmt auch leere Worte darun¬ 
ter, sehr viele Diskussionsbeiträge stellten aber zweifellos wert¬ 
volle Anregungen für die unaufhaltsame Anpassung der Struktur 
des IOC und der Olympischen Spiele an die heutige Zeit dar. 
Ist man in Varna diesem, vor allem von Lord Kilianin, den Inter¬ 
nationalen Olympischen Komitees angestrebten Ziel näherge¬ 
kommen? Wenn man den an den ersten vier Oktobertagen ab¬ 
gehaltenen Kongreß, mit allen seinen Schwächen als eine Ein¬ 
heit betrachtet, so muß diese Frage doch mit einem klaren Ja 
beantwortet werden, obwohl der Weg zur Realisierung noch ein 
sehr weiter sein dürfte. Immer wieder fiel dabei auch der Name 
Wien. Das Arbeitsprogramm für die im nächsten Jahr in Wien 
stattfindende lOC-Session platzt schon jetzt aus den Nähten. 
Neben der Vergabe der Olympischen Spiele und Olympischen 
Winterspiele könnte also Wien tatsächlich der Aufbruch zu neuen 
Ufern der Olympischen Bewegung werden. 
Nur ein paar dieser 200.000 Worte, nämlich die, die dem öster¬ 
reichischen Olympischen Komitee am wesentlichsten erschienen, 
sollen hier herausgegriffen werden, um ein knappes Bild der 
wichtigsten Forderungen und Argumente dieses Olympischen 
Kongresses zu entwerfen. Am sinnvollsten erscheint dabei, nach 
den drei großen Personengruppen, die der Kongreß in Varna 
vereinigte, vorzugehen. 
Weil sie den aggressivsten Vorstoß landeten und dadurch viel 
dazu beitrugen, daß die Debatten nicht am Kern der Themen 
vorbeigingen, wären zunächst die Internationalen Fachverbände 
zu nennen. Mit dem Schweizer Thomas KELLER, dem Präsiden¬ 
ten des Internationalen Ruderverbandes an der Spitze, verfolg¬ 
ten sie eine genau abgesteckte Linie. Es war zwar keine Kampf¬ 
ansage an das IOC, die Internationalen Verbände gaben aber 
wohl zu verstehen, daß das IOC, in allernächster Zeit, eine Reihe 
von Schritten setzen müßte, um sich zumindest in gewisser 
Form den Realitäten des heutigen Spitzensportes anzupassen. 
Die Internationalen Verbände boten dafür nicht nur ihre Hilfe 
an, sondern beanspruchten in einigen Fällen auch das Recht, 
gewisse Fragen in Eigenregie zu lösen. 
Dazu gehörte vor allem das vieldiskutierte Amateurproblem. Der 
Lösungsvorschlag der Internationalen Verbände bestand nur aus 
zwei kurzen Sätzen. Und der wichtigste Punkt: Jeder Internatio¬ 
nal Verband bestimmt selbst, wer Amateur- oder Berufssportler 
ist! Eine etwas mehr ins Detail gehende Deklaration der FIS lag 
auf derselben Ebene. Ob sich das IOC diese Entscheidung je¬ 
doch aus der Hand nehmen läßt, steht auf einem anderen Blatt 
geschrieben. 
Neben Thomas Keller traten als die erwähnenswertesten Spre¬ 
cher der Internationalen Verbände Prinz PHILLIP von EDINBURGH 
(Int. Reiterverband), Sir Stanley ROUS (Fußball) und Pierre 
FERRI (Fechten) in Erscheinung. Ihr weiteres Forderungspaket 
zielte auf die Einsetzung einer ständigen Dreier-Kommission, 
bestehend aus IOC, Internationalen Verbänden und Nationalen 
Olympischen Komitees, der Zuerkennung der Olympischen Spiele 
auch an eine Region, einer eventuell zeitlichen Ausdehnung der 
Olympischen Spiiele und den Abbau der derzeitigen Zeremonien 
hin. FIS-Präsident Marc HODLER verlangte eine eigene Kommis¬ 
sion, die sich nur mit der Frage der Olympischen Winterspiele 
befassen sollte, deren Existenzberechtigung auf diesem Olympi¬ 
schen Kongreß von keinem einzigen Redner angezweifelt wurde. 
Die Führung des gesamten Kongresses, aber auch des Interna¬ 
tionalen Olympischen Komitees lag in den Händen von Präsident 
Lord KILLANIN. So sehr man praktisch alle Ausführungen des 
lOC-Präsidenten vollinhaltlich unterstreichen konnte, bei den 
Wortmeldungen einer Reihe von anderen lOC-Mitgliedern schlug 
dennoch unverkennbar eine noch immer bestehende zu konser¬ 
vative Einstellung durch. Am augenscheinlichsten zeigte sich 
dies beim Australier Hugh WEIR, dem Vorsitzenden der IOC- 
Amateur-Kommission. Ob mit WEIR an der Spitze dieses Gre¬ 
miums auch wirklich die massiv geforderte und praktisch außer 
jeder Diskussion stehende Änderung des Amateurparagraphen 
erreicht wird, muß echt angezweifelt werden. 
Auf großes Interesse stießen die von Dr. CSANADI, dem unga¬ 
rischen lOC-Mitglied, und seiner Kommission ausgearbeiteten 
Grundsätze über die zukünftige Gestaltung des Programmes von 
Olympischen Spielen und Olympischen Winterspielen. Der Weg 
zu den Olympischen Spielen sollte an und für sich jeder Sportart 
freistehen, die anerkannterweise eine weltweite Verbreitung 
aufweisen kann. Dennoch ist eine Reduzierung der teilnehmen¬ 
den Sportler und auch der Zahl der bei Olympischen Spielen 
zur Austragung gelangenden Bewerbe nach Meinung von Dr. 
CSANADI unvermeidlich. Die Entscheidung darüber sollte jedoch 
den Internationalen Verbänden überlassen bleiben. 
Der Gastgeber der Olympischen Spiele 1972 in München, Willi 
DAUME, trat in einem eindrucksvollen Appell für die Beibehal¬ 
tung der Einheit von Zeit und Ort bei Olympischen Spielen ein, 
eine Ansicht, die auch die Zustimmung des ÖOC findet. 
Österreichs Paddelsport, Nr. 10, 1973 
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