Volltext: Briefe und Tagebuchblätter

ladung gegeben, so daß ich die Leute von Angesicht zu Angesicht 
zu sehen bekomme. 
Ich hoffe sehr, daß Du wieder in Deinem Atelier installiert bist, 
inmitten Deiner Bilder und bei Deinen Freunden, das alles wird 
Dir wohltun. 
Ob bei Euch der Frühling jetzt auch wohl hinter allen Ecken und 
Hecken sitzt wie hier? 
Auf den Boulevards, an den großen beschnittenen Bäumen ist 
zwar noch nichts zu merken, aber im Luxembourg und im Bois, da 
grünt es überall. Da sind wir am Sonntag weit spazieren gegan¬ 
gen mit unseren zwei Bulgaren, die wir am murcki §ru8 kennen 
lernten. Ein Rechtsstudent und ein Bildhauer. Der Bildhauer geht 
auf die Ecole des Beaux-Arts. Es ist mir interessant und lehrreich 
zu sehen, wie alle Leute hier unter der Macht der Tradition und 
der Schule stehen. Es ist eine Art soldatischer Manneszucht. Wir 
in Deutschland fangen die Geschichte viel zu genialisch an. Da 
redet jeder immer gleich von Persönlichkeit. Die ältesten Profes¬ 
soren sind hier ungefähr die besten, weil sie eben nur das A-B-C 
lehren. 
Wenn ich frei wäre, ging ich mindestens noch ein Jahr hier auf 
die Akademie. Dir wäre es auch gut, Du wirst es wohl aber nicht 
finden. 
Heute hat mir der eine uralte Professor an der Akademie Julien 
ein Lob erteilt. Ein wenig komme ich mir aber doch vor wie aus 
dem Theater und zwar so, als ob ich eigentlich die Person aus 
einem ganz andern Stück fei und nun in einem fremden Stück mit¬ 
spiele, was manchmal etwas dumme Disharmonien gibt. 
Nun lebe wohl, mein Roter, es geht in den Croquis. Noch zehn 
Tage und wir sehen uns wieder. Dann stehe ich auf dem Gare du 
Nord mit meinen Armen weit auf. Laß Dir auch noch einmal von 
dem „Dichter" das Haar schneiden, damit Du schön bist, laß Dir es 
aber jetzt schon schneiden, damit es noch ein bißchen wächst. 
Mein geliebter Mann, Paris, den 18. März 1903. 
heute ist ein Regentag. Von morgens an gießt es leise herunter. 
Sonst haben wir in letzter Zeit so wunderschönes Wetter gehabt 
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