Volltext: Briefe und Tagebuchblätter

Briefe an Otto Modersohn 
Worpswede, den 15. April 1904. 
Lieber, wie ich Dir Adieu sagte, da hatte ich ungefähr so ein 
Gefühl, wie Elsbeth, wenn sie uns glücklich in den Wagen gesetzt 
hat und nach Bremen fahren sieht, und denkt, daß sie nun einen 
ganzen Tag oder zwei vor sich hat, an denen ihr niemand etwas 
verbietet. Ich fühle mich so göttlich frei! Und wie ich über den Berg 
ging und den Lerchen zuhörte, da hatte ich in mir so ein stilles 
Lächeln und das Gefühl kam über mich: „Was kostet die Welt?", 
wie man es als Mädchen oft hat. Weißt Du, gerade, daß Du im 
Hintergründe meiner Freiheit stehst, das macht sie so schön. Wenn 
ich frei wäre und hätte Dich nicht, so würde es nichts gelten. 
Nun denke ich mir schon aus, wie ich ganz nach Gutdünken diese 
paar Tage verbringen kann. Erst einmal habe ich mir ganz etwas 
Reizendes zum Esten bestellt: kalten süßen Reisbnit kalten Schnitt¬ 
äpfeln und Rosinen. Regnen tut es auch nicht und unsere Wäsche 
.flattert lustig im Winde. 
Und dann bin ich hingegangen und habe mir Anemonen aus¬ 
gegraben und sie in unsern kleinen Wald gepflanzt. Die sollen nun 
blühen, wenn Du wiederkommst. 
In Deinem Atelier bin ich auch gewesen. Ich sagte ganz stolz 
und leise zu mir: „Dies ist das Atelier meines Mannes". Das neue 
Bild muß noch bester werden. Es ist ein wenig unsicher in der 
Stimmung. Ich möchte sagen, es wirkt auf mich statt groß, schwül¬ 
stig. Ich möchte mit Dir davon noch einmal reden. Die Idee hat 
mir aber sehr gefallen und den Kopf der Alten hast Du famos 
herausgebracht. Ich muß an die alte „Kaiserin" auf dem Klinker¬ 
berg denken. Hast Du wohl auch daran gedacht? 
Lieber, weißt Du, wo ich vergangene Nacht geschlafen habe? Bei 
Brunjes. Es war ganz reizend. Ich kochte mir meine Eier auf 
meinem kleinen Petroleumofen wie in alten Zeiten. Dann faß ich 
mit meinen beiden Fenstern weit offen bis zehn Uhr. Zuerst sang 
die Amsel noch und das Rotkehlchen. Nachher schwiegen sie auch. 
Durch den Abend klang es leise wie die Stimme der erwachenden 
Natur. Zwischendurch tönte noch das ferne Bellen des Hundes. 
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