Volltext: Briefe und Tagebuchblätter

überwinden muß, um endlich zur Glückseligkeit zu gelangen. So ist 
auch die Dresdner Reise bei meinem Heimwehgesühl nur eine neue 
Probe. Mir wird hier so sehr viel unverdiente Liebe und Güte ent¬ 
gegengebracht. Aber weißt Du, ich bin der Welt müde und sehne 
mich nach meinem stillen Stüblein und nach anderer Arbeit als 
Kochen und Umherreisen. Nun, bald hat die Sache ja auch ein Ende 
und ich bin wieder bei Dir und in meinem Element. Der Fisch ge¬ 
hört eben ins Wasser und ich in die Einsamkeit. Das habe ich wieder 
einmal gesehen. Nun, ich habe vielleicht einiges innerlich profitiert, 
noch außer dem Kochen. Gestern stieß ich unerwartet auf Dein Bild 
mit dem alten Weiblein hier in der Dresdner Galerie. Das war 
eine große Freude, plötzlich diese bekannten lieben Töne klingen zu 
hören. Aber weißt Du, Deine letzten Bilder sind noch reifer, haupt¬ 
sächlich technisch. Dies hast Du wohl auf einer andern Untermalung 
gemalt? Da gibt es einige Unebenheiten in der Farbe und die 
Hütte steht kompakter auf der Luft als sie es jetzt tut. Es ist aber 
doch ein Otto Modersohn und macht mir Freude. 
Berlin, den 8. März 1901. 
Ich sitze hier bei gepacktem Koffer, durch ein mütterliches Tele¬ 
gramm zurückgehalten. Ich sollte noch nicht kommen und immer 
noch kochen, kochen, kochen. Das kann ich nun aber nicht mehr, will 
ich auch nicht mehr, tue ich auch nicht mehr. Das ist vom Menschen 
mehr verlangt, als er kann. Das ist Frühlingsvergeudung, wenn 
ich hier hinter hohen Mauern danach hungern soll. Also ich reise 
Sonnabend doch. Hoffentlich wird es nicht ungemütlich zu Haufe. 
Und Sonntag komme ich zu Dir. N u n d o ch. Trotz alledem. Weißt 
Du, ich muß alle Deine Bilder sehen. Das kann ich nicht länger er¬ 
tragen, daß soviel Augen sie begrüßen und meine nicht. Ja, ich 
sage Dir, ich muß mich durch eine Waberlohe hindurchkämpfen, ehe 
ich wieder in meinen Frieden gelange. Aber dieser Frieden ist des 
Kampfes auch wert. 
Nun Sonntag! Ich küsse Dich! Meine Seele hungert so nach 
Tiefe und inbrünstiger Vertiefung und Schönheit. Das gibt es hier 
nicht. So eine Stadt veroberflächlicht, wenigstens mich. Und ich will 
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