Volltext: Ueber den Mangel an Aerzten auf dem Lande in Oberösterreich und über die Mittel einer Abhilfe dagegen, mit besonderer Rücksicht auf die Frage der Wiedererrichtung der chirurgischen Lehranstalten

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bestimmen, auf welche Weise jede Gemeinde für sich oder in Gemeinschaft mit anderen Gemeinden jene Einrichtnngen 
zu treffen hat, welche nach Lage und Ausdehnung des Gebietes, sowie nach der Zahl und Beschäftigung der Einwohner 
zur Handhabung der Gesnndheitspolizei nothwendig sind. 
In diesen beiden Paragrafen ist also die Anforderung enthalten, daß den Gemeinden ärztliche Organe zur 
Verfügung stehen müssen, und zwar nach § 3, Punkt b, für das ärztliche Heilgeschäft (Behandlung der Kranken und 
Gebärenden) und nach § 5 für die Besorgung des öffentlichen Sanitätsdienstes. 
Zwar nicht im Sanitätsgesetze selbst, jedoch im Laufe der vorbereitenden Verhandlungen wurde ausgesprochen, 
daß die Staatsverwaltung für die Heranbildung eines diesen Anforderungen an Zahl und Befähigung entsprechenden 
Sanitätspersonales zu sorgen verpflichtet sei. 
Ohne Zweifel war, neben den zahlreichen sonstigen Motiven, welche zur Aufhebung der chirurgischen Lehr¬ 
anstalten führten, wovon im weiteren Verlaufe die Rede sein soll, daß Maß jener Anforderungen, die der heutige Stand 
der Arzneiwissenschaft bezüglich der Praxis und die Reorganisation des öffentlichen Sanitätswesens bezüglich der Befähi¬ 
gung der zu bestellenden Sanitätsorgane erheischen, entscheidend für den Entschluß der hohen Regierung, in Hinkunft 
nur Eine Kategorie von Aerzten, nämlich Doktoren der Gesammtheilkunde, heranzubilden. 
Auf das Sanitätsgesetz vom 30. April. 1870 erfolgte die Allerhöchste Entschließung' vom 20. Mürz 1871> 
betreffend die Auflassung der nach Aufhebung der mit den medizinischen Fakultäten vordem noch vereinigt gewesenen 
chirurgischen Jahrgänge bisher noch bestandenen medizinisch-chirurgischen Lehranstalten zu Lemberg, Olmütz und Salzburg. 
Als mit dem Erlasse des hohen k. k. Ministeriums des Innern vom 13. November 1871, Z. 12.089 eine 
neue, den Anforderungen an eine genaue Medizinalstatistik entsprechende Form für die jährlich zu erstattenden Sanitäts¬ 
berichte vorgeschrieben wurde, war offenbar schon von der Voraussetzung ausgegangen worden, daß für die Bearbeitung 
des einlaufenden Materials, wenigstens theilweise, die von den Gemeinden zu bestellenden Sanitätsorgane herangezogen 
werden könnten. Neben der Erwartung, daß die Gemeinden bei Bestellung solcher Sanitätsorgane vorzugsweise nach 
ganz und nicht nach halbgebildeten Aerzten greifen werden, war auch, und zwar nicht nur in Regierungskreisen, sondern 
auch im ärztlichen Personale, und zum großen Theile auch in der Bevölkerung, die Ansicht gang und gäbe, daß bei der 
durch Schließung der Chirurgenschulen allmählig abnehmenden Zahl der Wundärzte auch eine Abnahme der Konkurrenz 
für die ärztliche Praxis auf dem Lande eintreten, und folgerichtig den Doktoren der Medizin die Niederlassung aus dem 
Lande im fortschreitenden Maße erleichtert werde. 
Die Hoffnung, daß eine Vermehrung des Sanitätspersonales auf dem Lande, beziehungsweise eine Com- 
pletirung der seit Aufhebung der Chirurgenschulen allmählich entstandenen Lücken, auf dem Wege der Organisation des 
Sanitätsdienstes in den Gemeinden im Sinne des § 5 des Sanitätsgesetzes eintreten werde, ging nicht in Erfüllung, 
indem das zufolge des Statthalterei-Auftrages vom 15. April 1871, Z. 1234/Präs. vom Landessanitätsrathe in der 
Sitzung vom 12. Juli 1871 berathene und beschlossene Gutachten über diese Organisation gar nicht zur verfassungs¬ 
mäßigen Behandlung gelangte, und die von der hohen Regierung tut oberösterreichischen Landtage unterm 9. Dezember 
1873 eingebrachte Gesetzesvorlage in der Landtagssitzung votn 1. Oktober 1874 durch Nebergang zur Tagesordnung 
abgelehnt wurde. 
In dem bezüglichen Berichte des Landesausschusses votn 10. September 1874 wird ausdrücklich erwähnt, daß 
in Oberösterreich kein Mangel an Aerzten bestehe, und daß die Aerzte sich über das ganze Land vertheilen; und in dein 
Berichte des Gemeinde- und Verfassungs-Ausschusses heißt es, daß ein derartiges Gesetz vielleicht in Ländern ant Platze 
sein mag, in welchen Mangel an Aerzten herrscht, in Oberösterreich sei es wenigstens überflüssig. Jtt der darüber 
gepflogenen Debatte kommt jedoch der Abgeordnete v. Pflügt auf die Gefahr eines drohenden Aerztemangels in Folge 
der Aufhebung des niederen medizinisch-chirurgischen Studiums zu sprechen, und schon in einer der nächsten Sitzungen 
des oberösterreichischen Landtages, nämlich atu 9. Oktober 1874 bringt der genannte Abgeordnete denselben Gegenstand 
zur Sprache, wogegen er als Abhilfe den Antrag auf Wiedererrichtung der Chirurgenschnle in Salzburg stellt. Der 
Berichterstatter über diesen Antrag theilt die Besorgnisse des Antragstellers tticht, sondern ist der Ansicht, daß Diejenigen, 
welche sich schon dem ärztlichen Berufe widmen wollen, ebensogut Universitäten besuchen werden, während Abgeordneter 
v. Pflügl darauf besteht, daß die drohettdste Gefahr vorhanden ist, es werden in gebirgigen Gegettden Fülle eintreten, 
wo ärztliche Hilfe nicht mehr zu finden ist, welcher Besorgnis sich auch Abgeordneter Fischer anschließt. Von den 
Gegnern des Antrages wird betont, daß die Konkurrenz mit den Chirurgen es ist, die den Medizinü-Doktoren die Ansied¬ 
lung ans dem Lande erschwert: daß ein Aerztemangel nicht eintreten werde, und die Doktoren aufs Lattd gehen werden, 
nachdem die Chirurgen auf den Aussterbe-Etat gesetzt sind. Der Antrag des Gemeinde- und Berfasstutgs-Ausschusses, 
in den Antrag des Abgeordneten v. Pflügl nicht einzugehen, wurde per majora angenommen. 
Als zufolge einer am 24. März 1874 von Seite des Abgeordnetenhauses des hohen Reichsrathes gefaßten 
'xResolution vom Ministerium des Innern ein Statthalterei-Gutachten in Betreff der Rückwirkung der Auflösung der 
. lst^dizinisch-chirurgtschen Lehranstalten in Lemberg, Olmütz und Salzburg auf die Sanitätspflege, namentlich in den 
Landstezirken, abverlangt wurde, konnte der mit der Ausarbeitung dieses Gutachtens beauftragte o. ö. Landessanitütsrath 
nicht sowohl einen Mangel an ärztlichen Individuen überhaupt, als vielmehr einen Mangel an wissenschaftlich gebildeten 
Aerzten aus dem Lande konstaliren, welcher schon in früheren Zeiten bestandeit hatte; man sei bisher nicht über die 
bloße Besorgnis eines Aerztemangels hinausgekommen und habe für die Begründung dieser Besorgnis bis jetzt keine 
Thatsachen Heigrbracht. Der Landessanitätsrath bemerkt im Verlaufe seines Gutachtens ausdrücklich, daß die Zeit,
	        
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