Volltext: Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft. Anlagen zum ersten Band (1,2)

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seinen Feldtruppen entschieden jüngere Elemente haben als wir. Hinsichtlich der 
Ambewaffnung ist darauf zu rechnen, daß im Jahre 1894 sämtliche Truppen der 
Iten Linie mit dem neuen Gewehre versehen sein werden. Rußland verfügt nicht nur 
über seine großen, starken Festungen an der Weichsel, sondern auch über eine große 
Zahl neu angelegter Grenzbefestigungen. In Deutschland denkt man nur ungern an 
einen Krieg mit Rußland; man muß denselben aber stets in Erwägung nehmen, denn 
der traditionelle Glaube an die Freundschaft Rußlands zum Deutschen Reiche beruht 
auf Irrtum und in Rußland findet mehr und mehr der Glaube festen Boden, daß die 
Straße zum Balkan durch das Brandenburger Tor führt. — 
Frankreich scheint an der Grenze seiner militärischen Leistungsfähigkeit an 
gelangt zu sein. Die heutige französische Armee ist kaum zu vergleichen mit jener, 
welche wir 1870/71 zu bekämpfen hatten. Während damals 8 französische Korps gegen 
17 deutsche Korps standen^), rücken jetzt ebensoviele französische Korps ins Feld wie 
deutsche. Die französischen Territorialtruppen sind mindestens ebenso leistungsfähig, 
wie die 1870 von Gambetta formierten Armeekorps, deren Bekämpfung von uns 
große Opfer forderte. Die Befestigungen Frankreichs fallen sehr gewichtig in die 
Wagschale; rückwärts der Linie der gut angelegten Sperrforts befinden sich große 
feste Plätze und insbesondere Paris ist eine Festung von solchem Amfange und solcher 
Stärke, wie die Welt noch keine gesehen habe, überdies ist die französische Armee 
heut zu tage von einem ganz andern Geiste beseelt, wie 1870/71. Der Gedanke, sich 
für die Republik zu schlagen, verlorene Provinzen zu erobern, erlittene Riederlagen 
zu rächen, wird eine mächtigere und gleichmäßigere Begeisterung erzeugen, als dies 
das 2te Kaiserreich vermochte. Rasche Entscheidungen sind einer solchen Armee 
gegenüber nicht zu erringen; im Gegenteil, der Krieg mit Frankreich wird ein zäher, 
langandauernder sein und nur geringe Kräfte werden zum Schuhe der übrigen Gren 
zen des Reiches verbleiben. 
Eingedenk des Beispieles seines Vorgängers habe der Reichskanzler die aus 
wärtige Politik auf Erhaltung des Friedens gerichtet, soweit dies nur immer mit 
der Wahrung der Würde des Reiches vereinbar erscheint. Man habe die elsaß 
lothringische Paßverordnung geändert, um Verstimmungen in Frankreich zu ver 
meiden. Auch Rußland gegenüber wird jede Herausforderung vermieden. Seit 
Jahren vertritt der Deutsche Konsul in Sofia die Interessen der russischen Staats 
angehörigen, ohne daß diese Art der Vertretung je zu einer Klage Anlaß gegeben 
habe. Dieser Politik der Nachgiebigkeit sind aber bestimmte Grenzen gezogen; wenn 
Frankreich die Rückgabe Elsaß-Lothringens fordere, oder Rußland die Preisgebung 
Österreichs, — dann stehen wir vor dem Kriege. — 
Die allgemeine Anschauung geht dahin, daß die Gefahr eines Krieges nach 
2 Fronten abgemindert wird durch den Dreibund. Cs ist richtig, daß dieser Bund 
lediglich im Interesse der Erhaltung des Friedens geschlossen wurde und daß derselbe 
für einen unvermeidlichen Krieg nach 2 Seiten hohen Wert in sich schließt. Deutsch 
land ist deshalb auch bemüht gewesen, den Glauben an den Wert des Dreibundes 
in den Ideenkreis der Völker überzuführen; für Deutschland selbst ist dies auch 
gelungen; aber schon in Österreich sind die Ansichten hierüber sehr geteilt. Roch 
stärker ist dies in Italien, wo im Norden republikanische Bestrebungen, im Süden 
insbesondere handelspolitische Erwägungen auf eine andere Politik hinarbeiten. 
Jedenfalls kann aber das Deutsche Reich im gegenwärtigen Augenblicke auf den 
*) Text-Band S. 38 Fußnote 2.
	        
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