G. Geyer, Touren von Ramsau.
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Den grössten Genuss gewährt ein Spaziergang vom Kulmwirth
über die Eamsau gegen W. Unmittelbar nördlich zu Häupten dräuen
die Wände der Gamsfeldspitze, des Schmiedstock, der Scheichen-
spitze, Hohen Rams und des Eselstein, an welchen sich jenseits der
Grünen Feisterscharte der Sinewell reiht. Weiter links entsendet die
Gamsfeldspitze einen sanften Ausläufer, denBrandriedel, über dessen
grünem Rücken die drei riesigen Häupter: Thorstein, Mitterspitze
und Dachstein aufstarren. Der bewaldete Röttesberg schliesst gegen
W. die Aussicht, während östlich der Blick durch das Ennsthal frei
hinabschweifen kann bis zum Stoderzinken.', Im S. entrollen sich in
immer neuen Reihen die Kämme der Niederen Tauern, besonders
auffallend durch ihre braunen Wände: Hochwildstelle und Höchstem.
Kaum? merklich ansteigend kommen wir in % St. zum prote
stantischen Bethause, in dessen Nähe das gute Gasthaus des Perhab
durch den philosophischen Spruch:
„Gott lieben macht selig,
Wein trinken macht fröhlich.
Drum liebe Gott und trinke Wein,
So kannst du fröhlich und selig sein“
zur Einkehr auffordert. Noch weiter westlich liegt am Ufer eines von
Schutt umlagerten kleinen Bächleins der Karlwirth, auch „Bier
keusche“ genannt. Hier ist der höchste Punkt des Weges; gegen den
Fuss des Brandriedel lugt das Gehöft des Schütterbauer zwischen den
Bäumen herab. Wir setzen unseren Spaziergang noch weiter auf dem
etwas absteigenden Weg zum Walcherbauer fort und sehen nun
zwischen dem kühn aufragenden Vorderen ThürTundder wildzackigen
Gamsfeldspitze die Edelgriesschlucht herabziehen Ueber dem gleich
namigen Gletscher thront im Hintergrund der Koppenkarstein. Noch
ein Stück weiter, und es öffnet sich das Thal zwischen Durchat und
Brandriedel. Hinter den waldigen Coulissen liegen die grünen Matten
der Walcheralpe mit ihren Hütten, über welche unmittelbar in einer
furchtbaren Wand die drei Dachsteingipfel aufragen. Aus der Schlucht,
deren Boden von riesigen Schuttmassen bedeckt ist, rieselt der kleine
Schildlehenbach herab, um sich alsbald nach W. in die Schlucht
zwischen Rötteswald und Durchat zu wenden. Folgen wir etwa noch
20 Min. seinem Laufe in dem waldigen Graben, durch welchen aus
weiter Ferne das bleiche Haupt der Uebergossenen Alpe hereinsieht,
so gelangen wir über schwellenden Rasen an einer romantischen Mühle
und dem malerischen Gehöft des Knausbauern vorüber zu Auhäusler’s
einsamer Waldschenke mit der Aufschrift:
„Wer heut 1 kommt, zahlt glei 1 .
Morgen ist Zech frei.“
Ramsau ist eine protestantische Gemeinde von 600 bis 800 Ein
wohnern. Erst im Jahre 1781, als von Kaiser Josef das Toleranz-