Volltext: Kriegserlebnisse ostpreußischer Pfarrer 2. Band (2. Band / 1915)

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stunden die Seele der Reichshauptstadt in ihren Tiefen 
aufgerüttelt hatte. — 
Am nächsten Morgen führte mich der D-Zug dem 
fernen Osten zu; er war wie alle Züge damals überfüllt, 
doch jeder schaffte gern für den Hinzukommenden noch 
ein Plätzchen, erstrebten doch alle diese Reisenden so ver 
schieden sie waren an Alter und Bildung, an Stand und 
Besitz, das gleiche Ziel und beherrschte sie doch alle der 
gleiche Gedanke an den Ernst der nahen Zukunft. Die 
kommenden Ereignisse warfen schon ihre Schatten voraus. 
Neben froh erregten Gesichtern und kühn blickenden Augen 
sah ich manche sorgenvolle, bekümmerte Miene. Mir 
gegenüber saß ein junges Paar — vermutlich auf der 
Hochzeitsreise begriffen; aber das blasse rnädchenhafte Ge 
sicht der jungen Frau, das mühsam die hervorbrechenden 
Tränen zu unterdrücken strebte, und der schweigsame junge 
Mann mit dem tiefen Ernst in seinem gebräunten Antlitz 
schienen diese Annahme nicht zuzulassen. Und doch war 
es so, aber durch die Mobilmachung war ihre Hochzeits 
reise jäh unterbrochen worden. Während ihr Gepäck be 
reits zu Schiff nach Ostafrika unterwegs war — der junge 
Ehemann war Offizier bei der Kolonialtruppe in Ost 
afrika — und sie selbst aus dem Wege nach Italien, von 
wo aus sie das Schiff zur Weiterreise besteigen wollten, 
erreichte sie der Befehl des Kaisers. Nun kehrten sie 
eiligst in ihre ostpreußische Heimat zurück, um die letzten 
Vorbereitungen zu treffen. Die junge Frau wollte dann 
als pflegende Schwester des Roten Kreuzes dienen. — 
Ich blickte mich weiter im Zuge um, da sah ich eine 
Abteilung Gardekürassiere, wahre Hünengestalten, denen 
Lebenskraft und kühne Entschlossenheit aus den Augen 
blitzten. In dem schmucken weißen Koller, dem mächtigen 
Pallasch an der Seite, rechte Vertreter deutscher Kraft! — 
Auf den Bahnhöfen herrschte überall reges Leben. Man 
sah Soldaten aller Waffengattungen, jedes Antlitz von 
Begeisterung und Kampfesfreudigkeit verschönt, alle in 
gehobener, freudiger Stimmung als ginge es zu einem 
frohen Fest. Schon wurden den abreisenden Soldaten 
Erfrischungen gereicht, dabei aber das sehr berechtigte Äl- 
koholverbot von beiden Seiten respektiert. Wir näherten
	        
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