66
beim Feinde Hohn war, soll bei uns Wahrheit und Tat
sein. Gottvertrauen und ein mutiger starker Wille, diese
beiden gepaart, werden uns glücklich und siegreich hin
überhelfen über die Not der Zeit, auch über die besondere
Not meiner engeren Heimat, meiner Gemeinde. Es regen
sich wieder die Hände, um aufzubauen, was zerbrochen
ist. Bald wird's wieder blühen und stolz dastehen; dann
wird unser Herz voll Freude, unser Mund voll Loben
und Danken sein.
Meine Erlebnisse in Marggrabowa
vom Beginn des Krieges bis zur Räumung der Stadt
am 3. November 1914.
Von Pfarrer Vogelreuter.
Es war am 31. Juli des vergangenen Jahres. Die
politische Lage hatte sich immer ernster, immer drohender
gestaltet. Eine tiefgehende Erregung hatte sich aller Ge
müter bemächtigt. Man fühlte es: Das deutsche Volk,
ja vielleicht ganz Europa stand am Vorabend wichtigster,
folgenschwerster Ereignisse.
Auch bei uns in unserm Grenzstädtchen, das nur
2 Meilen von der russischen Grenze entfernt ist, war die
Unruhe und Aufregung in jenen Tagen eine große. Es
hielt die Leute nicht zu Hause innerhalb ihrer vier Wände.
Keiner hatte recht Lust und Ruhe zur Arbeit. In Gruppen
standen sie auf dem weiten Markte umher und redeten
von den Dingen, die da kommen sollten. — Da — am
Abend des 31. Juli, etwa um 6 Uhr — Pferdegetrappel
von der Bahnhofstraße her. Ein kleiner Trupp — etwa
8—10 Mann — von den Lycker Dragonern, dem bald
ein anderer folgte, rückte bereits in kriegsmäßiger Aus
rüstung in der feldgrauen Uniform durch unsere Stadt,
von der Bevölkerung mit Jubel und Freude begrüßt, und
zog ohne Aufenthalt weiter der Grenze zu. — Sollte
es nun also doch wirklich losgehen, der Krieg unab
wendbar sein? — Die Gewißheit ließ nicht mehr lange