Volltext: Kriegserlebnisse ostpreußischer Pfarrer 2. Band (2. Band / 1915)

65 
sich denken kann, das Antlitz noch im Tode dem Feinde, 
der nahen Grenze zugekehrt. 
Eine unsagbare Beklemmung legte sich auf meine 
Brust. Das Gefühl der Einsamkeit und weiten Einöde 
drückte beängstigend aufs Herz. Ans dem Felde des Todes 
und unter den Toten ich der einzige Lebende. So etwa 
muß dem Nordpolfahrer zu Mute sein, wenn er weitab 
von allem Leben mitten steht in des Nordpols Eis und 
Schnee. Ich empfand es wie eine Befreiung, als mir in 
der Nähe der gesprengten Grenzbrücke eine Abteilung 
deutscher Infanterie entgegenkam, aber der Ernst des 
Augenblicks kam mir schnell wieder zum Bewnßsein bei 
den Kugeln, die auf etwa 200 Meter Entfernung aus 
Kosakenkarabinern herüberflogen. So war es also doch 
wahr, was man mir tags vorher erzählt hatte, daß feind 
liche Patrouillen noch immer an der Grenze sich zeigten, 
und daß 2 Meilen nördlich von Schirwindt ein deutscher 
Posten von ihnen abgeschossen worden wäre. 
Einen Granatsplitter vom Eingang der Kirche und 
ein durchschossenes Kochgeschirr aus meinem Stalle nahm 
ich als Andenken mit, und nachdem ich meinem Kinde 
auf dem Friedhof, der übrigens ganz unversehrt war, noch 
einen Besuch abgestattet hatte, schied ich aus meiner zer 
störten Heimat, um am nächsten Tage auf einem Ein 
spänner, bei dem der Wagen nur auf drei Rädern ging, 
mich auf die Rückreise zu machen. Meines Bleibens war 
nicht dort. Es fehlten alle Lebensbedingungen. 
Sechs Wochen sind seitdem verflossen, und zum 
vierten Male bin ich auf der Heimfahrt. Und diesmal 
muß und wird es gehn. Alle Vorbereitungen sind ge 
troffen, daß man über- und durchhalten kann, bis die 
Gegend sich wieder bevölkert hat und das Leben zur Not 
wieder in Gang gekommen ist. Und der Feind von drüben? 
— Vor dem wird Gott uns schützen und Hindenburg! 
In einem ganz verwüsteten Zimmer des Gutes Bal- 
tauschen hatten rohe Hände eines höhnenden Feindes 
mitten auf die zertrümmerten Gegenstände des Zimmers 
einen gerahmten Wandspruch ostentativ so aufgepflanzt, 
daß der Blick des Eintretenden sofort auf ihn fallen mußte, 
»Vertrau auf Gott und baue auf deine Kraft". Was
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.