Volltext: Kriegserlebnisse ostpreußischer Pfarrer 2. Band (2. Band / 1915)

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Gehen war, denn die Breite des Ganges entsprach nur 
ungefähr der Länge eines Mannes. Man mußte also 
mit behutsamem Schritt über die Beine der Verwundeten 
storchmäßig schreiten. Es stöhnte wohl mancher laut auf, 
es war auch bisweilen ein greller Schmerzensschrei zu 
hören, aber im ganzen genommen ertrugen sie fast alle ihre 
Schmerzen klaglos. Freilich die Arten der Verwundung 
anzusehen — und man brauchte ja nur die Türe aufzu 
machen, so sah man gleich einige Verwundete vor sich 
liegen — war erschütternd, besonders für einen, dessen 
Nerven von überstandener Krankheit arg mitgenommen 
waren. Das Schlimme war eben der Zwang der Not 
wendigkeit, diesen Gang oftmals am Tage tun zu müssen; 
und wie sahen dann die Lokalitäten aus, wenn man nach 
längerem Antichambrieren hineindurfte. Wenn nicht frei 
willige Kräfte unermüdlich für das Arbeiten des elektri 
schen Lichtes und der Wasserleitung gesorgt hätten, dann 
wäre es besonders in der Nacht ganz übel gewesen. Es 
war so schon schlimm genug. Aber die freiwillige Hilfe 
all der Damen und Herren, die im Krankenhause ein 
Asyl gefunden oder sonst dem Frauenverein nahe stan 
den, hat Freund und Feind, so kann man sagen, viel 
segensreiche Hilfe gebracht. Unter den Verwundeten be 
fanden sich auch einige deutsche Soldaten, die, so schien 
es, von den russischen Ärzten in gleicher Weise wie die 
russischen behandelt wurden. Nur von einem hörte ich, 
wie er mit gepreßter Stimme seinem Kameraden zurief: 
„Mir soll der Arm abgenommen werden." Ob die Amputa 
tion nötig war, kann ich ja als Laie nicht beurteilen. 
Liebesgaben gibt's auch auf russischer Seite: ich sah 
wie ein polnischer Bauer mit seinem Jungen von einem 
zum anderen ging und jedem Soldaten eine Zigarette in 
den Mund steckte und dann ein Streichholz reichte. Mir 
kam diese Liebesgabe in all dem Stroh doch zu feuerge 
fährlich vor, ich rief also eine Schwester, und da mußte 
die Verteilung im Hause aufhören. 
Die Tür zu unserem Wohn- und Schlafzimmer 
wurde wohl öfters aufgemacht, aber mit dem Ausruf: 
„Privat" sofort wieder geschlossen, nur den dritten oder 
vierten Tag etwa kam ein russisch-jüdischer Arzt mich
	        
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