Volltext: Katholische Dichtung

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Schaufel heran. Als er den in fich zufamengefunkenen Knaben gewahrt, ftützt 
er die Schaufel auf und fragt: „Magft nit gfcheiter hangehn, Büeble?“ Der 
Bub fchaut ihn groß an und fchüttelt den Kopf. Heimgehen — ach Gott! Wo 
fein Vater ift, da ift er daheim, fonft nirgends auf der weiten, weiten Welt! 
Soviel gern tät er den Totengräber bitten: „Wart noch a bißl!“, aber es würgt 
ihn immer in der Kehle, fo oft er zum Sprechen anfetzt. So fchaut er denn mit 
erlöfchenden Augen zu, wie der Alte mit gleichmäßigem Schwünge die 
Schaufel hebt, und jedesmal, wenn die Erde auf den Sarg fchlägt, fchlägt fie 
auf fein wundes Herz. — 
Endlich wölbt fich der fchwarze Hügel unter dem grünen Holunder. Müde 
geht der Alte heim. Nun ift der Hansl ganz allein, ganz allein. — Der Vater 
da unten in der kühlen Erde hört und lieht nichts mehr — ift auch allein. — 
Wenn fie doch den Hansl mit eingegraben hätten! So gern, fo gern wär’ er da 
unten. 
Von den Türmen fchwebt das Mittagläuten hin über die alte Stadt. Da fällt 
es dem Buben ein, daß er ja nach Villach muß. Mit wankenden Knien fteht er 
auf. Von einem Rofenftrauch an der Mauer bricht er ein Zweiglein ab und 
fteckt es in die Erde. Im nächften Sommer, wenn die Rofen blühen — wo ift 
er da? 
Heimlich fchaut er fich um, ob jemand da ift. Der Friedhof liegt menfchenleer 
in der Mittagfonne. Da kniet er fich nieder und küßt heiß und ftammelnd die 
feuchte, fchwarze Erde. „Gute Nacht, Vater — lieb’s Vaterle — pfiat di Gott! 
So gern, fo gern hab’ i di — fo gern — ach, Vaterle, und neamma, neamma, 
neamma! I kimm fchon wieder amal, gelt, daß dir net Zeitlang is — Vaterle, 
gute Nacht — lieb’s Vaterle.“ — 
Dann fteht er lang und hält die Hände vors Geficht gefchlagen. Er kann es 
nicht fallen, daß er jetzt wirklich allein weitergehen foll, er kann fich das 
Wandern nicht denken ohne den Vater. Aber — fpäter kommt wieder die 
Frau, und er will nicht zu fremden Leuten — lieber ift er allein. Hätte es ihm 
nicht der Vater auf getragen, fo ginge er auch nicht nach Villach zur Tante. 
Aber es muß fein. Er fchlägt ein großes Kreuz und wendet fich. 
Mit wunderfamer Klarheit blaut der Himmel über dem Glantale. Die Welt 
ift weit. — Die Gedanken des Buben aber liegen im engen Grabe bei feinem 
Vater eingefchlollen. Und wie er fo allein mit feiner Fiedel die fonnige Straße 
dahinwandert, fpürt er es zum erften Male, daß er keine Heimat hat. 
Entnommen aus: Dolores Viefer „Das Singerlein“. Die Gejchichte einer jungen Seele. 
23.—27. Tausend. 347 Seiten. Preis Leinen M. 8.30 
„Dolores Viefer ift eine glühende Gläubige, die Schönheit ihres Glaus 
bens ift gefteigert durch ihr poetifches Talent. Erquickend jung und 
gleich naiv an einzelnen Stellen, verrät ihr Buch nichtsdeftoweniger eine 
ungeheuere Geftaltung. Ihre Gabe, ihre dichterifche Kraft müffen 
ftärker fein als die meinen, denn fie kann überzeugen und eine ftarke 
Bewunderung erzwingen.“ Gabriele Reuter
	        
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