Volltext: Das Bevölkerungsproblem Oesterreichs

Das Bevölkerungsproblem in Oesterreich. 
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rungsspielraum übersteigende Geburtenüberschuß nicht in dem Maße wie 
vor dem Krieg durch überseeische Auswanderung oder Besiedlung schwach 
bevölkerter Landstriche aufgenommen werden kann, sondern mehr als zu 
vor die Volksdichte erhöht und sohin nur durch weitere Intensivierung 
unserer Produktion sein Unterkommen finden kann. 
Zwei Momente sind es, die unserer Volkswirtschaft ein ganz besonderes 
Gepräge geben, der Vertrag von St. Germain und dann im weiteren die 
Krise der gesamten Weltwirtschaft. Durch den Vertrag von St. Germain 
hat man ein Gebiet, das vor dem Krieg auf seine Nachbarländer im Ver 
band der Monarchie stark angewiesen war, zu einem selbständigen Staats 
gebilde gemacht. Der Reichtum an Rohstoffen, Nahrungsmitteln u. dgl. war 
nie ausreichend gewesen, um den Bedarf des Landes aus eigenem zu decken. 
Man hat aber auch niemals ernstlich den Versuch gemacht, die Produk 
tionsmöglichkeit des Landes in einem solchen Ausmaß zu erhöhen, daß 
dieser Teil der Monarchie selbständiger geworden wäre. Man hatte sich 
eben allzu sehr daran gewöhnt, daß der Bedarf an Nahrungsmitteln aus den 
bekannten „Kornkammern“ der Monarchie bezogen werden konnte, und das 
war eigentlich auch selbstverständlich, da doch die Kronländer einen 
gesamten Wirtschaftskörper bildeten, der den Bedarf der einzelnen Gebiete 
durch gegenseitigen Austausch befriedigte. Die Landwirtschaft stand in den 
Alpenländern teilweise noch auf tiefer Stufe und trug in vielen Gegenden 
durchaus Raubbau-Charakter. Erst der Weltkrieg hat hier Wandlungen 
geschaffen, denn als die Nahrungsmittel immer knapper wurden und die 
bisherigen Belieferungsgebiete den Ertrag aus Grund und Boden für ihre 
eigene Bevölkerung zurückbehalten mußten, hieß es, der heimatlichen 
Scholle so viel als möglich abzuzwingen, und dadurch wurden unsere Alpen 
länder zum erstenmal zu einer immer weitergehenden Selbständigkeit 
gezwungen. Ein kleiner Nahrungsmittelausgleich zwischen den verschiede 
nen Kronländern fand aber auch da noch statt. Dieser versiegte erst nach 
Friedensschluß vollkommen, als sich die Nachbarstaaten mit hohen Zoll 
schranken umgaben und jede Nahrungsmittelausfuhr mit Gewalt verhin 
derten. Das neue Oesterreich, das erst im Krieg gelernt hat, was es heißt, 
für die Ernährung seiner Bürger selbst aufkommen zu müssen, war nun 
ganz sich selber überlassen. 
Ergab sich also durch den Vertrag von St. Germain allein schon eine 
deutliche Erschwerung unserer Wirtschaftslage, was bei einer kritischen 
Betrachtung der Bevölkerungsbewegung nicht übersehen werden darf, so ist 
doch erst der weitere Verlauf des Wirtschaftslebens für die Beurteilung der 
Angemessenheit eines Geburtenüberschusses, wie wir ihn heute haben, aus 
schlaggebend. Verhältnismäßig rasch hat sich das Volk an seine neue Lage 
angepaßt. Mit Mut und großer Energie ist man darangegangen, alle dem 
Lande zur Verfügung stehenden Erwerbsquellen zu öffnen, bereits vor-
	        
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