Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

zenswunsch doch noch erfüllt, durch diesen sym¬ 
pathischen Knaben, der so sorglos und sie» 
gesfroh umherschaute und die väterliche Liebe 
des Majors in ihrer Bedeutung zwar nicht 
erfassen konnte, in ihrer Fürsorge aber woh- 
lig ausruhte von Gewaltmärschen und auf¬ 
reibenden Kämpfen. 
Den Feldstecher erhoben, lässig an eine 
Buche gelehnt, suchte Bruno die Mühle im 
Talgrunde, wo er drei köstliche, friedliche Wo- 
chen hindurch mit der herzigen Juliette unter 
einem Dache gewohnt. O diese wonnigen 
Stunden erster junger Liebe, die stumm oder 
in geläufigem Französisch die Gefühle für ein- 
ander verriet, die der Holden ritterlichen 
Schutz zusicherte, oder Kopf an Kopf mit dem 
warmherzigen Mädchen das Riesenleid be- 
klagte, welches der Mensch mit dem Kriege 
für sich selbst erfand ... 
Heiß wallte es in Brunos Herzen auf 
und die klaren Augen trübten sich dunkel im 
Abschiedsweh. Er wird sie nie vergessen, die 
sütze, kleine, braune Juliette. — Aber wohl 
nie, niemals im Leben wiedersehen . . . Trau- 
rig liefe er das Glas sinken und starrte ge- 
dankenvoll nieder auf den Waldboden. 
Auf einmal bückte er sich und scharrte 
mit den Fingern im welken Laub. 
Wars möglich? Ein Schneeglöckchen . .! 
Das erste im Jahr . . . Und unbekümmert 
um Tod und Vernichtung ringsum strebte 
die weitze Glocke aus Eis und Finsternis zu 
Licht und Sonne, — nach schauervoller Nacht 
neues Leben und neue Freude mit dem Lenz 
zu verkünden 
Gerührt brach der Fähnrich die weni- 
gen zarten Blüten und steckte sie andächtig 
an die fadenscheinige, durchlöcherte Uniform. 
Als gutes Omen. 
„Beneidenswerte Jugend! Auf blutge- 
zeichnetet, gefahrvoller Bahn hat sie noch Zeit 
und Sinn, sich nach Blumen am Wege zu 
bücken ....!" 
Der Major sagte das, seinem Fähnrich 
wohlwollend auf die Schulter klopfend. Der 
Junge schaute mit den Blauaugen der Mut- 
ter strahlend zu seinem Gönner auf. 
„Ich nehme sie als gute Vorbedeutung, 
Herr Major . . ." 
Holdern nickte ernst. „Möchten sie es 
sein " 
Dann schritten sie nebeneinander übers 
Schlachtfeld, drüben hinter der neuen Feuer- 
stellung zu biwakieren. 
Von der zunehmenden Dunkelheit gespen- 
sterhaft beschattet, reckten sich die Baugrup¬ 
pen, — Leichenumsäumt. Zwischen Deckungen 
und zerschmetterten Geschützen, ganze Haufen 
von Verwundeten. Rosse wälzten sich röchelnd 
am Boden. Schnell, lautlos und umsichh drii 
walteten die Sanitäter ihres Amtes; iij gf 
Scheine ihrer kleinen Lichter, die wie Eliih 
würmchen durch die Nacht leuchteten, sah» leh 
ihre bleichen Gesichter noch müder aus. ,j jpr 
Die Ortschaft durcheilend, wo aus leer«, zu 
Fensterhöhlen das Grauen schaute, oder feind zar 
lich geschlossene Läden eine Schranke errichtet» 
zwischen gerüsteter Geborgenheit drinnen uiß die 
dem hilflosen Durcheinander draußen von »u sie 
kohltem Hausrat, Tornister, Käppis und wez M 
geworfenen Waffen, stand der Major pich 
lich still. Ro 
„Hören Sie nichts, Telram? Die Alle« 
bäume dort scheinen lebendig geworden >i 
sein . . . 
Und noch ehe Bruno etwas wahrgeno^ 
men, prasselte es schon nieder auf die durch 
ziehenden Deutschen. Diese trifft die Tut 
verborgener Schützen indessen nicht unvorb«! 
reitet. Und die deutsche Ueberlegenheit ! 
o groß, Verstärkung und Hilfe so nah. dÄPl 
)ie paar Dutzend Franktireurs ihre Niebtii S( 
rächt teuer bezahlen müssen . . . Trotzdq tui 
allen im Feuer des versteckten Gegners eini« S> 
Zer Besten. . . de 
Da peitscht gerechter, heiliger Zorn d> 3> 
Tapferen wütend auf. al 
Keiner der feigen Kerle da vben ent sid 
kommt. Tot, verwundet und gefangen w« 
den sie von handfesten Kanonieren zur Strei wi 
gebracht. de 
Tief bekümmert auf das junge Hau? ne 
niederblickend, von dem durch das volle, ß t*1 
brigblonde Haar der Jugendgeliebten dai nc 
Blut rieselt, nimmt sich Major von Holden se> 
kaum Zeit das Lumpenpack zu besichtig» en 
Sein kurzes, scharfes Verhör aber läßt furch >a 
bare Rache ahnen. ui 
...... und Ihr Name?" schreit n ui 
letzt einen jungen Burschen an. ! ie 
„Gaston Fleurier . . 41 
Da richtete sich der verwundete Fäh» ui 
rich jäh auf. Iuliettes Bruder Unter bei 
Mördern? Nicht doch! Das kann nicht sei« ui 
Er kennt ihn hesser .... ! 
„Bitte, Herr Major, Gnade für diesen! A 
Er ist entweder ganz unschuldig, oder v» 
führt worden . . . ." ; e,j 
Seinen Vorteil durch diese unvermutet« 
Fürsprache wahrnehmend, berichtet Gast« °! 
Fleurier erst verbissen, dann geschmeidig. da> ?' 
er eins seiner Pferde verfolgt habe, das Iii 
vom Pflocke losgerissen und in diese Ni? j}1 
tung floh . . . Mit Gewehr und Munition öi 
müsse sich jetzt ein jeder versehen. . . , '' 
Der Major schwankt und verbaut sch« 
gend. Ungeduldig fatzt ihn der Fähnrich a« ^ 
Arm. „Gnade für Iuliettes Bruder! Er f 01
	        
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