Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

würfe, daß ich die Frau, die mir offenbar 
freundlich gesinnt war. für eine Sirene, für 
eine listige Circe gehalten hatte, die mich in 
ihre Netze ziehen und mich verderben wollte. 
Der Mann dagegen, in dem ich' einen ehren- 
werten Charakter zu erblicken glaubte, war 
offenbar ein Schurke. 
Nun, es würde sich ja alles zeigen. Auf 
jeden Fall sollte man mich nicht unvorbe- 
reitet überraschen, dafür wollte ich jetzt schon 
sorgen. Zu ändern vermochte ich an meiner 
gegenwärtigen Lage doch nichts mehr. Aller- 
dings hätte ich das Haus verlassen und ein 
anderes Quartier aufsuchen können, doch das 
dünkte mir als eines deutschen Kriegers un- 
würdig. Fliehen, — der Gefahr aus dem 
Wege gehen — nein, das wollte ich nicht, 
das konnte ich schon aus dem Grunde nicht, 
weil ich darauf brannte, zu erfahren, was 
man gegen mich eigentlich im Schilde führte, 
um die llebeltäter auf frischer Tat zu ertap- 
pen und gebührend zu bestrafen. 
So beschloß ich denn, vor allem zu wa- 
chen. — Da ich jedoch den Anschein erwecken 
mußte, als ob ich mich zur Ruhe begeben 
hätte, um dadurch die Feinde zu .täuschen, 
legte ich mich mit all meinen Kleidern in 
das Bett. 
„VerfliXt," wetterte ich leise, verdrieß- 
lich vor mich hin. Doch mußte ich im nach- 
sten Augenblick selber über meine Lage lä- 
cheln. Jetzt hatte ich zum erstenmal nach 
Wochen ein anständiges Lager, und nun durfte 
ich mich nicht einmal der schweren Kleider ent- 
ledigen und mich rückhaltlos Gott Morpheus 
in die Arme werfen. Aber daran war nun 
nichts mehr zu ändern. 
Meinen Revolver hatte ich geladen, aber 
noch gesichert in die Tasche geschoben, ebenso 
hatte ich die elektrische Taschenlampe zur Hand. 
Den Degen, der mir doch nichts nützen konnte, 
hatte ich auf dem Stuhle -am Bett liegen 
gelassen. 
Nach diesen sorgfältigen Vorbereitungen 
löschte ich das Licht und legte wenigstens 
mein müdes Haupt auf das mollige Kis¬ 
sen nieder. Ich brauchte mir gar keine 
sonderliche Mühe zu geben, nicht einzuschlafen,- 
die leicht erklärliche Erregung, die sich meiner 
Sinne bemächtigt hatte, sorgte schon dafür, 
daß ich wach blieb. 
So lauschte ich angestrengt in die Nacht 
hinaus. Denn ohne Geräusch zu verursachen^ 
konnte man unmöglich in mein Zimmer ein- 
dringen, ohne Geräusch würde auch sicherlich 
sonst draußen nichts passieren, das mich etwas 
angehen konnte. 
Dumpf ertönten von dem nahen Kirch- 
türm zwei hallende Schläge durch die fchwei- 
gende Nacht. Aha, halb zwölf! Na, mi ^Cti 
dreißig Minuten bis zur Geisterstunde. 5Bit| mjt 
leicht kam da ein erwünschter Spuk, der ini Zj, 
auf meinem langweiligen Posten Zerstreu^ reir 
bringen würde. Aber bald schlug es dr, des 
Viertel und dann mit zwölf vollen Tom so 
die mitternächtliche Stunde. — Nichts K geji 
schah, kein Geist erschien, um sich meiner z ss, 
erbarmen. . . . 
Ich lächelte jetzt fast schon über meii t,a> 
Besorgnis und glaubte, daß meine lebhas! un; 
Phantasie mir am Abend zuvor einen bös« un. 
Streich gespielt hätte. Allerdings, die Wm hj- 
nung der Frau! — Nun, das konnte ja aus da 
nur den Zweck haben, sich bei mir etwas int« da 
essant zu machen. ft 
Schon beschloß ich. mich nun endgülti ge> 
dem Schlafe hinzugeben, doch behielt Merl jöi 
würdigerweise trotzdem eine laute. warnend (Fd 
Stimme in meinem Innern die Oberhan! Sc 
und so wachte ich weiter, der Dinge Harra! Vi 
die da kommen sollten. — — f0i 
Es war nun ein Viertel nach zwölf. 3i gl 
hörte die Uhr draußen genau schlagen. D« nic 
schlug sie halb. Gähnend reckte ich die Arm de 
in die Höhe. — Da stutzte ich plötzlich. - fle 
Klick! — Wahrhaftig, das war ein Ton i T< 
meiner nächsten Nähe gewesen, nur war e 
mir unerklärlich, woher er eigentlich gekm Lc 
men. Ich lauschte. — Doch der verdächtig nii 
Ton wiederholte sich nicht mehr. Ich mich fo 
mich wohl geirrt haben. Oder sollte doi trn 
— —? Die Warnung der schönen Fm Le 
— hm —! ur 
Ich kam auf einen ganz vortreffliche w< 
Gedanken, den etwa nahenden Feind üb« de 
meinen Zustand des Wachens hinwegzutä» ft, 
schen. Ich begann nämlich laut und regt! de 
müßig zu schnarchen, wie ich es bei meiner 
biederen Burschen so oft gehört hatte. Z» de 
erst mußte ich mit einem heftigen Lachkihi klc 
kämpfen, doch als ich ihn einmal hinunw sch 
gewürgt hatte, ging das Schnarchen flott uii br 
lustig vonstatten. , S 
Allerdings war es mir dadurch, daß il sch 
selbst laute Töne ausstieß, nun nicht meh ni 
möglich, von außen an mein Ohr schlagen!» S 
Geräusche sicher aufzufangen. Daher vernch he 
derte ich die Qualität meines Schnarchen! m 
bei weiten und pfiff schließlich nur noch leise dmi de 
die Nase, wie ich es schon öfters bei schi« sei 
senden Kameraden bemerkt hatte. tit 
Ich konnte nun bedeutend besser hör« ge 
und das erste, was ich vernahm, war wiedk ge 
die nahe Uhr. welche in dumpfen Tönen d« di 
Viertel eins schlug. Dann aber fiel mir zu« dc 
zweitenmal ein dumpf kratzendes Geräusch an dc 
das ganz deutlich an mein Ohr schlug. D« ii< 
konnte ich mir wieder nicht darüber klar t» m
	        
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