Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

Heiliges Mitleid. 
Aus den Briefen einer Krankenschwester im 
Westen. Mitgeteilt von Lisa W. 
Nachdruck verboten. 
Meine liebe gute Mutter! 
Du wirst Dich vielleicht wundern, datz 
«ein Brief schon wieder einen anderen Auf- 
mthaltsort angibt. 
«ls der vorige. Un- 
[er Lazarett mutzte 
mch .. . verlegt wer- 
den. der feindlichen 
Flieger wegen, die 
«ns einigemal mit ih- 
rctt recht unangeneh¬ 
men „Himmelsgrü- 
bm" bedachten. 
Nun hausen wir 
«m Ende des kleinen, 
rings von Gärten um- 
Ebenen Dorfes oder 
vielmehr des traurigen 
Restes menschlicher Be- 
hausungen, den die 
Granaten übrig gelas- 
Im haben. Wie heim¬ 
tückisch - böses Ee- 
brumm von Raub- 
tieren tönt Nacht und 
Tag aus einer Entfer¬ 
nung von zirka fünf 
Wegstunden die Stim- 
ine der schweren Ee- 
schütze zu uns her- 
über. Es ist wie ein« 
«ändige Mahnung: 
leid bereit! 
Ach. bereit sind 
wir immerzu, und 
wieviel Arbeit gibt's 
M tun! Seitdem 
Anm und ich in Ber- 
litt in den Zug gestie- 
Jm sind, haben wir 
inen Augenblick Ruhe 
mannt. Aber was tut das? Ich halte es 
jus, ja die Nerven gehorchen besser als frü- 
w; man gewöhnt sich eben an alles, sogar 
«n den Krieg und seine grausamen Begleit- 
»Wände. 
4! 
u 
n 
.... Das letzte, grüngelbe Licht des 
sonnigen Tages blinkt fahl durch die Fenster 
unserer Baracke. Die Verwundeten haben 
ihr Abendbrot bekom- 
men; man hört Klap¬ 
pern von Tellern, 
Schüsseln und Be- 
stecken, ein Löffel klirrt 
mit einem seltsam 
hohlen Ton in der 
Tasse, die eine Mit- 
schwester gerade dem 
Schwerverletzten im 
nächsten Bett reicht. 
Da werde ich ans Te- 
lephvn gerufen. 
Eine Minute dar- 
auf mache ich unserem 
Stabsarzt Meldung. 
In seinem unschönen, 
aber dennoch unend- 
Iich sympathischen Ge¬ 
sicht treten die Kie¬ 
ferknochen einen Mo- 
ment noch schärfer 
hervor — er ist mit 
einem Ruck ganz Ener- 
gie, ganz Führer, 
klug und ruhig wie 
ein Feldherr. 
An diesem Abend 
brachte man uns auch 
einen schwerverwunde- 
ten Fahnenjunker. 
Granatsplitter in der 
Brust, keine Hoffnung, 
ihn zu reiten. Ich 
»ue-Iilb-rige Gesell. W, km ..««» 
^an*c- datz ihn die braven 
Sanitäter auf dem 
Boden in ein paar Decken gebettet hatten 
— Betten besaßen wir nicht genug —, .als 
seine graublauen Augen, rechte trotzige Iun- 
genaugen, mich suchten und flehten: es geht 
ja doch zu Ende, hilf mir, meine Seele
	        
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