Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

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einen Polizisten schon munter, und einige Leute 
mit einer Bahre waren auch schnell zur 
Stelle. Eilig bewegte sich dann der Zug 
dem Walde zu. 
„Sakra", fluchte der Wachtmeister unter- 
wegs einmal über das andere Mal, „der 
Schuft, der! — Also dem Franzel galt seine 
Kugel, und dieser wurde für den Mörder 
gehalten! Hab's mir doch gleich gedacht, daß 
unser Franzel unschuldig ist!" 
Als die Männer bei dem Verwundeten 
anlangten, ging es mit ihm rasch zu Ende. 
Der Blutverlust hatte ihn dermaßen entkräf¬ 
tet, daß er nur mühsam und in abgerissenen 
Worten sein Zeugnis vor den Männern des 
Gesetzes abzugeben vermochte. 
„Laßt ihn in Ruhe, Leute", gebot der 
Förster, als sich die Männer anschickten, den 
Wilderer auf die Bahre zu legen. „Ihr be- 
reitet ihm unnötig große Schmerzen. Meine 
Kugel sitzt ihm im Leben. In wenigen Augen- 
blicken ist er ein toter Mann." 
Wie zur Bestätigung dieser Worte ging 
jetzt ein konvulsivisches Zucken durch den Kör- 
per des Sterbenden, ein Blutstrvm entquoll 
seinem Munde, ein letztes Röcheln, dann 
streckte sich der Körper lang aus. Der Wil- 
derer war eine Leiche. Mit dem Bekennt- 
nis seiner Schuld war er hinübergegangen 
in eine andere Welt. 
Stumm standen die Männer einige 
Augenblicke da. Dann brach der Wachtmei- 
ster zuerst das Schweigen: Jetzt haben wir 
den richtigen Vagabunden entlarvt" jagte <r 
in wichtigem Amtston. 
Der Förster aber entblößte sein Haupt. 
„Gott sei seiner Seele gnädig", sprach er 
ernst. 
V. 
Es ist acht Tage später. Der Forst- 
aufseher Franz Lautenhammer ist infolge der 
entlastenden Aussage des Wachtmeisters und 
des alten Försters sogleich aus der Haft ent- 
lassen worden. Von allen Seiten streckten sich 
dem glänzend Freigesprochenen freudig die 
Hände entgegen, um ihn zu beglückwünschen. 
Sein Vater, der erste von allen, schließt 
mit Tränen in den Äugen in seine Arme, auch 
Bork ist gekommen, den jungen Mann zu b«- 
grüßen und der alte Wachtmeister, der bit 
Vagabunden mit den klugen Fuchsäuglein ient- 
larvt, fehlt natürlich auch nicht. 
„Sakra, ist des a Freud!" ruft er be> 
geistert aus, indem er immer wieder des ju,,. 
gen Mannes Hände schüttelt. „Ihr seid mir 
doch nicht böse, Freund Jäger, von weg«» 
der Geschichte unter den schönen Tannenbä»- 
men. Sakra, das arme Mädel hat mir leib 
getan. Hat sich die blauen Augen schier ans- 
geweint, um euch, das arme Hascherl." 
Eine Träne glänzte im Auge des jm- 
gen Mannes, und der Wachtmeister, dies« 
Zeichen der Rührung auf sich beziehend/ 
meinte: „Ihr habt also vergessen Und vn- 
geben, was damals —". 
„Schon gut. schon gut", unterbrach 'ih 
der junge Mann lächelnd. „Ihr seid ein tüch- 
tiger Kerl, wenn auch damals im grün« 
Tann eure Augen nicht den richtigen Vaga¬ 
bunden entlarvt haben." 
Im Triumphe wurde nun Franz pt 
Forsthause des alten Bork geführt, der zili 
Verlobung seiner Tochter Helene mit Frani 
Lautenhammer die Honoratioren der Dorfge- 
meinde für den Abend zu einem Rehfestesl« 
eingeladen hatte. Unter den Tannen wurdt 
in aller Eile eine lange Tafel und priini- 
tive Bänke aus Brettern hergerichtet, und 
am Abend ging es dort lustig zu. Die In- 
stigsten waren die Väter der jungen Verlob- 
ten und der alte Wachtmeister brachte eim 
Toast nach dem anderen aus. 
Am glücklichsten, wenn auch stiller, wam 
Franz und seine Lenerl. Sie taten dem schmai- 
haften Braten die geziemende Ehre an und am 
ihren Augen leuchtete das Glück und ihrl 
Hände fanden sich in innigem Drucke. 
„Gelt, Kinder", meinte der alte Lauten- 
Hammer schmunzelnd, „das ist ein Freuden- 
tag nach all dem Kümmernis um die leidig« 
Mordgeschichte. Ja. ja. was schlimm anfängi, 
nimmt oft noch ein gutes Ende. — Das 
junge Paar lebe hoch!" 
Hell klangen die Gläser an «inander.
	        
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