Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

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sei hatte auch seine Beete und wenn der Va¬ 
ter einen vertrockneten Busch aus denselben 
entfernen wollte, so sträubte sich der Kleine 
dagegen und meinte: „Laß mir Mein Bäu- 
merl, Vater! Vielleicht wird es doch noch 
wieder grün", und erst wenn er sah, daß es 
vollständig vertrocknet war, konnte er schön 
bitten: „Gib mir ein anderes, Vaterle, weißt, 
ein recht schönes, grünes!" Auch die Tochter 
iatte ein Stück Land für sich. Da hatte 
ie hochstämmige Rosen gepflanzt, in den ver- 
chiedensten Farben, hell und dunkelrote, auch 
Centifolien und kleine Monatsröschen. Alles 
stand jetzt in voller Blütenpracht und Helene 
pflegte ihre Lieblinge jeden Tag zu begießen, 
ehe noch die Sonne das erquickende Naß auf- 
zusaugen vermochte. 
Auch heute trat sie aus der kleinen, mit 
wildem Wein umrankten Veranda heraus. 
Leichtfüßig, dem flüchtigen Reh vergleichbar, 
schritt die schlanke Mädchengestalt zu den Bee- 
ten hin, wo ihre Lieblinge im schönsten Blu- 
menflor prangten, um nachzusehen, ob das 
arge Wetter am vergangenen Abend ihnen 
keinen Schaden zugefügt hatte. Doch der Re- 
gen hatte die Pflanzen nur erquickt und Herr- 
licher denn je erstrahlten die Rosen in üppiger 
Fülle. Es schien der Försterstochter, als streck- 
ten sie alle ihre Köpflein ihrer treuen Pfle- 
gerin entgegen und schauten sie dankbar an, 
als lachten freundlich Guckäuglein ihr aus den 
Blüten entgegen. Und die Försterstochter 
kniete am Beete nieder und streichelte ein klei- 
nes Monatsröschen, das sich schüchtern hin- 
ter den Kameraden versteckt hatte: „Du klei- 
nes, armes Ding", sagte sie voll Teilnahme, 
„dich haben deine prangenden Schwestern ganz 
in den Hintergrund gedrängt, aber du sollst 
auch deinen Teil am schönen Sonnenlichte 
haben." 
Sie erhob sich befriedigt und indem sie 
sich zum Gehen wandte, ließ sie entzückt die 
Augen über das herrlich« Landschaftsbild glei- 
ten, das in der Frische des erquickenden Mor¬ 
gens sich freundlich ihren Blicken darbot. Da 
streifte ein flüchtiger Blick auch den nahen 
Watdesrand und sie blieb stehen. 
Drüben teilten sich eben die dichten Ha- 
selbüsche und die Büchse geschultert trat ein 
junger Jäger auf die kleine Blöße vor dem 
Garten hinaus. 
„Gott zum Gruß, Schatz!" rief er, und 
winkte mit dem grünen Jägerhut herüber, 
indem er auf den Staketenzaun, der das Gärt- 
chen umgab, zuschritt. 
„Willkommen, Franzel", erwiderte das 
junge Mädchen den Gruß und ein lichtes Rot 
fuhr verräterisch über ihr feines Antlitz. Dann 
öffnete sie die kleine Pforte, um erfreut dem 
Jäger die Rechte darzubieten. Franz Laute». 
Hammer legte seine Hand in die ihre ich 
so schritten sie Hand in Hand in den grün« 
Wald hinein, wo die Vögel lieblich in de» 
Zweigen sangen und flinke Eichhörnchen psch 
schnell an den Bäumen auf- und abkletterten, 
„Ach, wie schön ist es hier", flüsterte» 
des Mädchens Lippen, „wie viel Herrlich« 
birgt der grüne Wald!" 
„Du hast recht, mein Lieb." bestätigt« 
der junge Jäger. „Es gibt viel Schönes, 
viel Liebliches im Walde. Aber er hat auch 
seine Tücken. Wenn ich jetzt so allein dmch 
das Revier streife, muß ich oft an et« 
ganz anderes denken. Es birgt der Wald auch 
Böses, schlechte Menschen. Wilddiebe, die da; 
Gewehr auch auf den Förster richten, wem 
sie entdeckt werden." 
„Gibt es schon wieder Wilderer hier" 
fragte Helene etwas bestürzt. „Die roheii 
Gesellen flößen mir immer Furcht ein. H 
sehe noch, wie sie den Häusler Wastel in 
Gewahrsam schleppten." 
„Das war vor zwei Jahren"; Nickt« dn 
junge Forstaufseher, „heuer geht es schon wie- 
der los. Im Revier deines Vaters ist bis 
jetzt ja noch alles sicher, aber bei uns strei- 
chen die Kerle umher und treiben ihr lln- 
wesen. Ich hatte sogar in jüngster Zeit mit 
solch einem Büschen eine ernste Begegnung, 
Er schoß nach mir und auch ich zögerte nicht,- 
mein Leben zu verteidigen, doch habe ich ihn 
in der Aufregung gefehlt und in der Dunkel- 
heit ist er mir entkommen. Seitdem muß ich 
auf meiner Hut sein. Sage nur deinem Va- 
ter, er möge scharf aufpassen, denn gewii 
werden die Schufte auch bald in sein Ee- 
biet herüberkomme«. Gestern abends wär e! 
mir auf dem Heimwege ganz so, als ob ich 
wieder einen Mlintenschuß gehört hätte, ab« 
bei dem starken Gewitter kann ich mich auch 
getäuscht haben. Ueberhaupt war mir gestei» 
recht beklommen zu Mute." 
„Das machte das Zusammensein m 
Hans Miesbach, Lieber", meinte Helme z> 
ihm aufblickend. 
„Da hast du recht", antwortete er in ge- 
reiztem Tone, „der junge Herr Miesbach, 
Sohn des wvhlhabenden Ziegeleibesitze«, 
wiegt bei deinem Vater schwerer als ein 
mer Forstgehilfe. Das ist traurig genug. Ab« 
wenn du mir nur treu bleibst, mein Lenck 
was frage ich dann nach der ganzen Welt! 
Er zog sie an sich und gab ihr ein« 
schallenden Kuß auf den roten Mund, och 
der Fink, der bislang jubilierend auf ein« 
Fichtenaste dicht neben ihnen gesessen jpte, 
mit einem unverständlichen Gluckser 
und sich auf «nd davon machte.
	        
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