Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr.... (1916)

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drängte sich durch die schreienden, jubelnden 
Soldaten und faßte den Janos am Arm: 
„Janos — — aber Janos — — ich bin 
doch da!" 
„Jesus — — Mutterl!" 
„Was ist — — was will die Frau?" 
fragte der Oberst, und Janos, dessen Hand 
schon zuckte, um die der Mutter zu ergreifen, 
salutierte und meldete: „Zu Befehl, Herr 
Oberst — — es ist meine Mutter — —" 
„Halten zu Gnaden, gnädiger Herr, 
Weihnachten ist heute und da wollte ich meinem 
Einzigen was bringen von daheim-aber 
nun hat er schon so was Schönes von Euer 
Gnaden —" sie wies auf die Medaille auf der 
Brust des Sohnes. 
Der Oberst nickte freundlich: 
„Ja. ja, Mütterchen, Ihr Sohn hat sich 
durch seine Tapferkeit das schönste Geschenk 
verdient, das es für uns Soldaten gibt! Die 
tapferen Fünf hier haben eine ganze Abteilung 
Russen in die Flucht gejagt und das Gesindel 
hier gefangen! Ihr dürft stolz sein auf Euern 
Sohn. Mutter!" 
Er ließ die Alte in sein Quartier führen 
und verfügte, daß Mutter und Sohn den 
Abend zusammen bleiben durften. Ms die 
Frau ihm voller Seligkeit für die Güte dankte, 
sagte er schmunzelnd: „Na, und was Sie 
Ihrem Jungen mitgebracht haben — darf ich 
das nicht auch sehen?" Damit wies er auf den 
Korb, den sie immer noch am Arme trug. 
„Oh. bitt' schön — Euer Gnaden — bitte 
sehr!" Mit einem strahlenden Lächeln öffnete 
sie den Deckel: „Dein Baum, Janos, lieber, 
aus unserm Wald daheim — — ein paar 
Kerzen hab' ich auch, und hier —" sie reichte 
Janos ein in ein Tuch gehülltes, schweres Pa¬ 
ket: „Erde von Daheim. Janos, Einziger — 
Heimaterde! Du sollst sie fühlen und riechen, 
unsere Heimat, auch wenn Du nicht daheim 
sein kannst-sie soll bei Dir sein, die Hei¬ 
mat, am heiligen Abend!" 
Ganz still stahl sich der Oberst davon, 
ihm waren die Äugen feucht geworden. Hand 
in Hand saßen Mutter und Sohn vor dem 
kleinen armseligen Bäumchen, das sie so selig 
machte, weil es aus dem heimatlichen Wald 
war und in der heimischen Erde steckte, die die 
Mutter weit über das Gebirge getragen. 
GSSD 
Eine Mannheimer Familie hat von einem 
in Rußland kämpfenden Mannheimer die Ab¬ 
schrift eines humoristischen Briefes erhalten, 
den ein gefangener Russe an seine Braut ge¬ 
schrieben haben soll. Der Brief lautet nach 
dem Mannheimer Generalanzeiger wörtlich: 
Maruschka, Braut geliebtes! 
Ist sich großes Glück, daß ich so gutt kann 
deitsch. Sonst ich nicht dürfte schreiben an dir, 
weil ich bin in deitsches gefangenlager und weil 
deitsches Aufsicht nur loßt abgehn Briefe, was 
sind geschribben in tadellosem deitsch. Geh zu 
Popen mit das Brief, Pops soll dir übersetzen 
in russig, damit du verstehst. Denn du leider ja 
nicht kannst deitsch, weil du bist blödes Russen- 
magt. 
Serr komisch ist in deitschland, soll dir 
Pope übersetzen. Zuerst sind wir gezogen hoch 
zu Roß durch Dörfer deitsches. Dann durch 
Städte deitsches. War serr komisch. Jeder 
deitsche hat in sein Haus Drehorgel, was aber 
nicht zum drehn. Drehorgel ist schwarz ange¬ 
strichen mit weißes Gebiß. Und wann deit¬ 
sches will Musik, dreht nicht, sondern haut 
mit die Händ auf das Gebiß von die Dreh¬ 
orgel. Serr komisch in Deitschland. Wenn 
deitscher hat Hunger, freßt sich nicht mit de 
Hand, sondern nimmt in das rechte Hand klei¬ 
nes Säbel, in die linke große Beißzange. Und 
wenn deitscher sauft, gießt erst hin, gießt dann 
her. weil ist zu dumm zu saufen aus Flasche. 
Wann russisches Mann nimmt Abschied von 
russisches Weib, Mann verprügelt Weib sei- 
nige mit Knute. Wann deitsches Mann nimmt 
Abschied von deitsches Weib, beißt ihr in den 
Mund. Deitsches Mann ist sehr grausam, werd 
ich auch versuchen nechstesmal, wenn ich nein 
Abschied vun dir, Maruschka, Braut geliebtes. 
Vorläufig ist wenig Aussicht für zu nem- 
men Abschied bei dir. Sitz ich in Hauptstadt 
von Deitschlands als Gefangener. Hauptstadt 
von Deitschland heißt sich Debberitz. Kannst du 
sagen dem Pope, daß Pope sich hat geirrt. 
Hauptstadt heißt nicht Berlin, ist sich Aber¬ 
glaube, hat mir gefangenes französisches Kame¬ 
rad selbst gesagt. Debberitz ist sich Haupt¬ 
stadt von Deutschland. Und deitschland ist sich 
Hauptstadt von Preißen. Pope soll weiter¬ 
sagen, damit, wenn wieder General zieht gegen 
Preißen, soll nicht marschieren aufzu Berlin, 
sondern aufzu Debberitz. 
Lebbe wohl, Maruschka, Braut geliebtes. 
Und gib das gute Caesar, das brave Hunde¬ 
vieh, fünfundzwanzig Schläge mit das große 
Stock, damit Hundevieh mich nicht vermißt. 
Auch du sei innig gegrißt von dein treies 
Iwan, Kosak, gefangenes.
	        
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