Volltext: Kämpfer an vergessenen Fronten

ziehungen eine entscheidende Rolle. Auch in diesem Punkte bin ich den Stellen Minsk und auch Bukarest 
gegenüber im Vorteil. Wissen wir doch, daß die Balten beste Beziehungen zu führenden militärischen Kreisen 
in Rußland haben, während der kleine Grenzjude nur über rein lokale Vorgänge berichten kann und in 
militärischen Fragen ein großer Laie ist. 
Durch die Balten ist es mir auch gelungen, mit russischen militärischen Kreisen — die bis zur bolsche¬ 
wistischen Revolution uns feindlich gesonnen waren — Verbindungen aufzunehmen und sie in unseren Dienst 
zu stellen. Dies sind Offiziere und Beamte, die aus unversöhnlichem Äaß gegen den Bolschewismus heraus, 
um diesen zu schädigen, bereit sind, Spionagedienste zu leisten. Ich greife einen besonders typischen Fall heraus. 
Vor nicht langer Zeit erschien bei mir in meinem Büro in Reval ein eleganter Äerr im French, der mich in 
einer angeblich dringenden Angelegenheit unbedingt sprechen wollte. Als routinierter Nachrichtenoffizier ist 
man natürlich vorsichtig, besonders, wo dieser Herr mich persönlich sprechen wollte. Die Möglichkeit einer 
Provokation war durchaus vorhanden. Ich beauftragte daher meinen Äilfsoffizier, Leutnant N.N., der mir 
in Anbetracht seiner weitverzweigten Beziehungen im Baltikum eine besonders wertvolle Kraft ist, den 
Mann mal zuerst auf „Äerz und Nieren" zu prüfen. Ich selbst hörte mir durch die angelehnte Tür den Inhalt 
des Gesprächs an. Als alter Kenner der russischen Volksseele war ich mir schon nach einer Viertelstuude 
darüber klar, daß es sich hier um einen Menschen handelte, der es ehrlich meinte und nur aus unversöhnlichem 
Äaß gegen die Volschewisten uns seine Dienste anbot. Ich ließ daher, nachdem ich mich davon überzeugt 
hatte, den Hauptmann X, der sich als solcher vorgestellt und legitimiert hatte, zu mir bitten. 
Ich hatte mich in der Beurteilung dieses Menschen als alter Russenkenner nicht geirrt. Sein Angebot, 
in unsere Dienste zu treten, motivierte er wie folgt: „Ich hasse die Bolschewisten, die den Frieden von Brest- 
Litowsk schlössen und Rußland zerstörten, aus vollstem Äerzen. Ich will ihnen Schaden zufügen, wo ich 
es nur kann. Ich habe durch eine russische monarchistische Organisation gehört, daß Sie jetzt in Reval sind. 
Die Bolschewisten wissen dies nicht. Ich stelle mich Ihnen für Informationszwecke militärischer Art zur 
Verfügung, immer in der .Hoffnung, daß Deutschland eines Tages einsieht, daß der Bolschewismus eine 
Gottesgeißel ist, und denselben durch kriegerische Maßnahmen hinwegfegt." 
Da Hauptmann X in einer hohen militärischen Behörde in Moskau beschäftigt ist, kann er mir große 
Dienste leisten, kommt es doch jetzt in der Periode der Neuformation der roten Armee in erster Linie auf 
Organisationsberichte an. Da der Hauptmann sich mir vollkommen in die Äände gegeben hat, lag auch keine 
Gefahr vor, ihm meine beiden Beförderungsstellen in Moskau und Petersburg zu nennen, von wo ich die 
Meldungen meiner Vertrauensleute und Agenten in Rußland selbst durch besonderen Kurierdienst weiter- 
geleitet bekomme. 
Kurz nach seinem Eintreffen in Moskau begann X für mich zu arbeiten, und ich muß heute offen bekennen, 
daß er mein bester Agent im Kriege gewesen ist. In Anbetracht der schweren Verhältnisse in Moskau (er 
war verheiratet und Familienvater) gab ich ihm einen kleinen monatlichen Zuschuß, der aber so unbedeutend 
war, daß er als Bezahlung nicht ausgelegt werden konnte. Seine Berichte dürfen wohl als Musterbeispiele 
bester Agentenarbeit hingestellt werden. Zwei- bis dreimal in der Woche bekam ich sehr lange und ausführliche 
Briefe, in denen die Kräfteverteilung (Dislokation) der neuen roten Armee bis in alle Einzelheiten ausgeführt 
wurde, zu Anfang Organisation und Stärke der höchsten militärischen Behörden, Befugnisse derselben, 
Arbeitsgebiet usw., anschließend daran die einzelnen Militärbezirke, Stäbe, Zusammensetzung, genaue Stärke, 
Standorte, so daß wir jetzt, Ende Juni, die gesamte Dislokation der neuen roten Armee bis in die kleinsten 
Einzelheiten von diesem Manne haben. 
Vorläufig beschränkt sich der Dienst auf das großrussische Gebiet allein, da ja die Akra ine von unseren 
uud den k. u. k. Truppen besetzt ist. Ich habe das Schwergewicht der Arbeit auf politisches Gebiet verlegt, 
das insofern sehr bedeutungsvoll ist, als von der Entwicklung der politischen Dinge in Rußland schließlich 
auch unser Schicksal z. T. abhängt. Neben Moskau und Petersburg als Zentralen habe ich in zahlreichen 
größeren Städten Stellen eingerichtet. Ein besonders zuverlässiger Vertrauensmann von mir, den ich „Ver- 
trauensmann zur besonderen Verwendung" nenne, hat in meinem Auftrag eine längere Reise unternommen, 
um alle Vertrauensleute aufzusuchen, sie nochmals zu instruieren und ihnen Geheimtinte zu geben, damit 
sie unauffällig an die Petersburger bzw. Moskauer Deckadresse berichten können. Neben der politischen
	        
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