nahmt, die von Holland aus nach Belgien zu heimlicher Verteilung an ihre Anschriften hineingeschmuggelt
werden sollten. Die Briefpost stammte fast ausnahmslos von belgischen Äeeresangehörigen aus der
Kampffront. Es waren an die 50000 Stück, z. T. schon älteren Datums, französisch und flämisch ge¬
schrieben. Neben sehr ausführlichen Schilderungen über ihr bisheriges Ergehen hatten die Briefschreiber
vielfach auch Photographien mit beigelegt, die den jungen belgischen Soldaten allein, mit einigen Kamera¬
den oder in ganzen Korporalschaften und Kompagnien zeigten. An Äand dieses Materials konnte eine
fast restlos genaue Berechnung aller Kampfeinheiten und der verschiedenen Waffen der neugebildeten belgi-
scheu Armee, wie auch ihrer Verteilung in und hinter der Front aufgestellt werden, wobei die Abfassung der
Briefe je nach Sprache in Verbindung mit dem Photomaterial auch noch die ungefähre Verhältniszahl
von wallonischer und flämischer Abwanderung errechnen ließ.
Die Fochschen Reserven
Neben Lösung größter Aufgaben — sie waren nach den Kriegsschauplätzen und jeweiligen Kriegs¬
lagen wechselnd verschieden — bestand die Tätigkeit des Nachrichtenoffiziers in feinster Mosaikarbeit.
Die Beobachtungen eigener Flieger, die Ergebnisse der Funker und Abhörtruppen mußten mit den aus
anderen Quellen stammenden verglichen, abgewogen und in Übereinstimmung gebracht werden. Im lang-
jährigen Stellungskriege auf der Westfront bildeten die Gefangenenaussagen im allgemeinen die wich-
tigste und sicherste Grundlage für eine richtige Bewertung der Lage beim Gegner. Wurden mehrere Ge-
fangene eines bestimmten Frontabschnittes vernommen — und zwar getrennt voneinander — so kam
schließlich, auch wenn einzelne ihre Aussagen verweigerten oder bewußt falsch machten, doch ein zutreffendes
Bild zustande. Man vergleiche dazu die französischen Fragebogen im nachfolgenden Abschnitt: „Brief-
taube, Freiballon und Flugzeug im Spionagedienst", und man wird zugeben, wie eine ähnlich gestaltete
eingehende mündliche Befragung der Gefangenen zu guten Resultaten führen mußte. —
Wir Deutschen haben es stets ehrend anerkannt, wenn ein Gefangener, besonders der Offizier, irgend¬
welche Aussagen ablehnte, und haben dann von einem weiteren Verhör abgesehen. Sehr häßlicher Zwangs-
mittel bedienten sich jedoch die Franzosen. Durch Mißhandlungen, Drohung mit Erschießen, Nahrungs-
entziehung. Einpferchung hinter Drahtgittern ohne jeglichen Witterungsschutz, und zwar in Gebieten dicht
hinter der französischen Kampffront, die noch im deutschen Artilleriefeuerbereich lagen, sollten die deutschen
Gefangenen mürbe gemacht werden, um bei ihrer Vernehmung gewünschte Antwort zu geben.
Weitere gute Aufschlüsse über die gegnerischen Verhältnisse gaben die bei Toten, Verwundeten
und Gefangenen vorgefundenen Dienstbefehle, Militärpapiere, Briefschaften und Tagebücher. Namentlich
letztere boten, wenn sie eingehend geführt waren, häufig außerordentlich wichtige Aufklärungen. Es ist dem
Soldaten sicher nicht zu verdenken, wenn er in Zeiten großer Begebnisse — wie es ein Krieg ist und
vor allem ein solcher wie der letzte —> sich Aufzeichnungen über seine eigenen Erlebnisse macht. Aber da
der Besitzer eines Tagebuches stets in Gefahr schwebt, daß im Kampfe seine Niederschriften dem Gegner
in die Äand fallen können, ist zu verstehen, wenn die vorgesetzten Dienststellen immer wieder die Führung
privater Tagebücher und eingehender Briefschilderungen an die Angehörigen in der Äeünat verboten. Auch
Briefe aus der Äeimat, die der Soldat als treues Andenken bei sich trug, gaben meist wertvolle Eindrücke
aus dem Hinterland wieder.
Aufgefangene Funksprüche der Gegenseite, Feststellungen aus der Truppe heraus, Studium der feind-
lichen Presse und Agentennachrichten vervollständigten das Bild über den Gegner. Denn es kam ja
nicht nur darauf an, die Verteilung der feindlichen Streitkräfte zu wissen, sondern auch die jeweilige
Kampfkraft der einzelnen Regimenter und Divisionen, ihre erlittenen Verluste, Änderung in der Vewass-
nung und Ausrüstung, Wechsel in den Uniformen, technische Neuerungen, Ersatzverhältnisse, wirtschaft¬
liche und innerpolitische Lage, allgemeine Stimmung in der Front und im Innern des Feindlandes usw.
waren höchst wissenswerte Dinge.
Aber all das, was im einzelnen in Erfahrung gebracht wurde, führte der Nachrichtenoffizier gewissenhaft
Buch, tauschte seine Erkundungsergebnisse mit den anderen Nachrichtenoffizieren der gesamten deutschen