Volltext: Kämpfer an vergessenen Fronten

Anders bei den Kriegsnachrichtenstellen! Sie konnten nicht selbst an die Quellen heran, sie mußten sich 
fremder Augen und fremder Ohren bedienen, um die von der Obersten Heeresleitung geforderten Erkun¬ 
dungen einzuziehen. Für die Kriegsnachrichtenstellen hieß es nicht nur auf die vielen Fragezeichen des Krieges 
die Antwort zu finden, sondern es hieß, vorher erst die Organisation zu schaffen, die eine wirksame Ausklärung 
überhaupt ermöglichte. Es hieß mit anderen Worten, erst den geheimen Nachrichtendienst zu organisieren. 
In der Bewältigung dieser Organisationsarbeit lag das ureigenste Feld der Kriegsnachrichtenstellen, da- 
neben in dem Sonderkrieg gegen die vorzüglich eingerichteten feindlichen Abwehrorganisationen, um immer 
und immer wieder mit neu und andersartig ersonnenen Methoden Agenten und Nachrichten zu gewinnen. 
And dies nicht inmitten eigener, helfender Bevölkerung, sondern im besetzten Gebiet unter den lauernden und 
spähenden Augen des Feindes! — So galt es neue Organisationen aus dem Nichts zu erstellen, neue Kräfte 
für die Aufklärung zu gewinnen, neue noch nie begangene Wege zu beschreiten. — Käufig stößt man aus die An¬ 
sicht, die Oberste Heeresleitung hätte zuverlässige und geschulte Berichterstatter aus den Reihen des deutschen 
Offizierskorps in das Äerz Frankreichs, Englands oder anderer gegnerischer Staaten entsandt, die in den 
verwickeltsten Fragen eine schnelle Klärung gebracht hätten. Diese Ansichten sind ebenso abwegig wie jene an 
Kinoromantik gemahnenden Schilderungen der Presse, der Nachrichtendienst habe sich verkommener Subjekte 
der Straße bedient, um Probleme von einer Tragweite zu erforschen, wie sie in vorstehendem skizziert wurden." 
Agenten. 
„Eines der schwierigsten Kapitel des Nachrichtendienstes war die Gewinnung geeigneter Verbindungen. 
Es mußten Persönlichkeiten geworben werden, die in den Schichten, in denen allein die Unterlagen für die 
große, von der Obersten Heeresleitung ausgehende Fragestellung zu holen waren, nicht nur Eingang fanden, 
sondern auch Vertrauen genossen. Hierfür schied der große Kreis von Deutschen aus, die sich, von echter, 
glühender Vaterlandsliebe getragen, zum Nachrichtendienst drängten, und ebenso auch die Abenteurer aus 
aller Herren Ländern, die vielleicht meinten, auf Kosten des deutschen Nachrichtendienstes ein interessantes 
Leben führen zu können, das ihnen phantastische Reichtümer schenken werde. Es kamen allein Persönlichkeiten 
aus höheren Kreisen der kriegführenden Mächte in Betracht, neben entsprechend hochgestellten Neutralen. 
Solch Anterfangen war gewiß nicht leicht! 
Die größten Schwierigkeiten bot der Engländer. Sein Nationalstolz, sein ausgesprochenes Ehrgefühl 
umhüllten ihn mit einem schier undurchdringlichen Panzer. Hinzu kam die insulare Lage, der vorzüglich or¬ 
ganisierte, auf das schärfste gehandhabte politische Überwachungsdienst; Dinge, die allein schon das Betreten 
des englischen Bodens durch Nichtengländer zu einem Problem gestalteten. Doch auch dies überwand die 
Zähigkeit des deutschen Nachrichtendienstes, die sich weder durch Mißerfolge abschrecken noch durch söge- 
nannte „Provokateure" täuschen ließ. 
Weniger Schwierigkeiten bereiteten Frankreich und Italien. Die ronianische Psyche ist hemmungsloser 
als die der angelsächsischen Rasse, sie unterliegt leichter persönlichen Begierden. Wohl ist starkes, sich lebhaft 
äußerndes Nationalgefühl vorhanden, doch ist es bezüglich seiner Beständigkeit gelegentlich nicht viel höher 
zu werten, als eine Berauschung an tönenden Worten, die vor dem nackten Eigennutz verglimmt. Dem 
Patriotismus der romanischen Völker, der ihnen im ganzen gewiß nicht abgesprochen werden darf, fehlt 
eben doch die stillschweigende Selbstverständlichkeit des Engländers. So konnte der deutsche Nachrichten¬ 
dienst hier — trotzdem er natürlich auch in jedem einzelnen Falle große Schwierigkeiten zu überwinden hatte — 
schneller zum Ziele kommen. Nicht „multa", sondern „multum" lautete die Devise! — Neben den großen 
Beziehungen, denen nach erprobter Bewährung die schwierigsten Fragen überantwortet wurden, brauchte 
die Aufklärung auch solche kleineren Formats zur Erledigung mehr örtlicher Erkundungen. Da gab es „Reise- 
agenten", die je nach Bedarf zu schneller Feststellung dieser oder jener Dinge hierhin oder dorthin dirigiert 
werden konnten, und „seßhafte Agenten", die Plätze von besonderer Bedeutung unter ständiger Kontrolle 
hielten. Es gab „Agenten aus dem Arbeiterstande", die die Kriegsfabriken überwachen mußten; es gab 
„Poilus", deren Aufgabe in dem Ausfragen ihrer aus dem Frontgebiet zurückkehrenden Kameraden bestand. 
Daneben gab es „Deserteuragenten". Dieser Organisation verdankte die Oberste Heeresleitung z. B. die 
Kenntnis von den sich bildenden, später viel umstrittenen „Fochschen Reserven". Auch Frauen trieb es häufig 
dazu, sich als Agentinnen zu bewerben. In seltenen Fällen leisteten sie Brauchbares. Frauen, die die nötigen 
Kenntnisse mit allen erforderlichen geistigen Qualitäten, wie schnellste Auffassungsgabe, kritisches Anter-
	        
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