Volltext: Kämpfer an vergessenen Fronten

gestanden! Front nach achtern!" Langsam und majestätisch glitt die Flagge nieder, während der Boots- 
maat der Wache einen langen Triller auf seiner Bootsmannspfeife pfiff. Ans allen ging dieses Pfeifen 
durch Mark und Bein. Wir standen mit der Front nach der Flagge, in unserem Blick lag ein letzter Gruß 
für den Kaiser, der ja durch die Kriegsflagge verkörpert wird, und für unsere schöne Flagge selbst, die jetzt 
für immer niedergeholt war! Die Tränen standen dem Kommandanten in den Augen, auch mir und vielen 
anderen; der Kommandant mußte sich erst einen Augenblick beruhigen, bis er dann „Wegtreten" komman- 
dieren konnte. Während der Flaggenparade stand der Kommandant stramm, da er nicht die gebrochene 
Äand an die Mütze halten konnte, während die anderen Offiziere salutierten. Ehe er uns wegtreten ließ, 
sagte er noch zu uns: „Ich danke Ihnen hier nochmals für Ihre Treue. Daß wir die Flagge niederholen 
würden, war vorauszusehen. Aber wir haben das Bewußtsein, sie freiwillig niedergeholt zu haben und nicht 
unter einem Zwang von Gewalt. Sagen Sie das bitte Ihren Kameraden, die jetzt nicht an Bord sind!" 
Er konnte nicht weitersprechen. — Als ich wieder nach unten ging, hatte ich nur das dumpfe Bewußtseiu: 
Jetzt ist alles zu Ende. Jetzt ist unser schönes Schiff nur noch ein Wohnschiff. Die schöne Schulschiffs- und 
Kriegsschiffszeit ist zu Ende! — Mich überkam eine furchtbar traurige Stimmung, jetzt fchien es wirklich 
so weit zu sein, wie es die Pessimisten bei uns schon lange sagten! Anten in der Messe setzte ich mich hin, 
um mit meinen Gedanken allein zu sein. Allmählich kam meine Zuversicht wieder, ich wurde ruhiger. Ich 
mußte mich kolossal zusammennehmen, daß ich nicht weinte. Ansere schöne, unsere herrliche Kriegsfiagge 
hatten wir nun doch endlich niederholen müssen, aber wir haben sie in Ehren niedergeholt, wie wir sie auch 
in Ehren geführt haben. Es ist doch ein schönes und stolzes Bewußtsein, als einziges Schiff mit der Kriegs¬ 
fiagge gefahren zu sein, als letztes Schiff in der Ostsee dem Kaiser bis zum Ende treu geblieben zu sein. 
And dann das Bewußtsein, seine Pflicht voll und ganz getan und sich das Eiserne Kreuz verdient zu haben. 
Daß wir es noch bekommen, ist ja ziemlich aussichtslos. Aber wir haben wenigstens dann die Genugtuung, 
dazu eingereicht worden zu sein. And das ist ja auch noch nie dagewesen, daß Seekadetten mit 40 Matrosen 
ein großes Linienschiff vollständig bedienen. So haben wir doch wenigstens auch noch etwas vom Krieg 
zur See gehabt und sind nicht ganz ruhig daraus hervorgegangen. So haben wir uns noch etwas uiu 
Kaiser und Reich verdient gemacht und unsere Pflicht getan. Wir haben mehrmals alle in Lebensgefahr 
geschwebt, sind uns auch dessen immer bewußt gewesen. Wir haben Glück gehabt und haben das gesteckte 
Ziel der Fahrt erreicht. Ich kann ohne Aberhebung sagen: Wir haben unseren Treuschwur Kaiser und 
Reich gehalten. And so kam ich wieder zu meinem alten Optimismus zurück. Auch jetzt noch hoffe ich 
auf einen möglichst günstigen Frieden. Auch jetzt noch hoffe ich darauf, Seeoffizier zu werden, wenn auch 
leider in der neuen Republik. Ich sehe es direkt als meine Pflicht an, hierzubleiben, wenn uns das frei- 
gestellt würde. Denn mein Eid lautet: „Kaiser und Reich zu schirmen!" Jetzt, wo der Kaiser abgedankt 
hat, gilt dieser Schwur nur noch für unser Reich, mein geliebtes Vaterland, ob es nun unter einer anderen 
Regierungsform ist oder nicht. Auch jetzt ist es mein höchster Wunsch, Seeoffizier zu werden. And ich 
freue mich, daß ich die beiden größten Augenblicke, ich möchte sagen, die erhebendsten Augenblicke unseres 
Schiffes miterlebt habe; den schönsten Augenblick, als wir als einziges Schiff inmitten der uns feindlichen 
Flotte die Reichskriegsflagge hißten; den traurigsten und schwersten Augenblick, als wir heute nachmittag 
unsere Kriegsfiagge für immer niederholten. Die beiden Tage werde ich nie in meinem Leben vergessen. 
Diese beiden Wochen waren die schönsten in meiner ganzen Seekadettenzeit, unsere erste und in diesem Kriege 
leider wohl auch unsere letzte Kriegsfahrt. Run sind wir wieder in Kiel eingelaufen und warten auf unsere 
hoffentlich baldige Entlassung. Der schöne Traum vom Seeoffizier ist zu Ende. 
20.November. And heute kam der Abschied von unserem geliebten Kommandanten. Gestern noch 
hatte er uns gedankt für unsere Treue, die wir in der Nacht vom 6. zum 7. November bewiesen hätten. 
Keute früh um 7 Ahr standen wir Kadetten an der Reling, um dem scheidenden Führer ein letztes Lebewohl 
zu sagen. Er ging mit den Worten von Bord: „Den Glauben an eine deutsche Zukunft lassen wir uns 
trotz alledem nicht nehmen!" Während der Kommandant das Fallreep betrat, pfiff der Bootsmaat der 
Wache zum letztenmal: „Seite! Offizier geht von Bord!" Da erklang der Ruf des Ersten Offiziers: 
„Anferem scheidenden Kommandanten ein dreifaches Äurra, Hurra, Hurra!" Begeistert stimmte alles ein. 
Der Kommandant nickte uns zum Dank zu, dann setzte das Boot ab. Für immer hat uns der Kommandant 
verlassen, wir werden seiner treu gedenken!
	        
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