Volltext: Kämpfer an vergessenen Fronten

Dann kletterte ich ins Wohndeck, nahm mir eine gezurrte Hängematte und schlief wieder in Balancier- 
stelluttg, das heißt, ich versuchte mich so auf die Hängematte zu legen, daß ich nicht runterfiel; und das ist 
nicht so einfach. Da schlief ich denn also ruhig und friedlich von 4 Ahr nachts bis morgens um 7 Ahr. Als 
ich wieder an Oberdeck kam, war es ziemlich hell; rechts voraus hatten wir schon Land. Am 8 Ahr morgens 
bekamen wir Kap Arkona in Sicht. Der Kommandant war noch immer auf der Brücke. Wir alle verehren 
und bewundern ihn als Helden. Ihm allein ist es zu danken, daß wir so weit gekommen sind. — Bald 
kamen auch die Kreidefelsen von Rügen in Sicht. Eine Küstensignalstation morste uns an. Als wir fragten, 
ob die Empörung sich auch auf Saßnitz und Swinemünde ausgedehnt habe, bekamen wir zur Antwort, 
Swinemünde befinde sich wahrscheinlich in den Äänden des Soldatenrats, von Saßnitz sei nichts bekannt. 
Daraufhin fuhren wir den ganzen Vormittag in der Gegend herum und fragten durch Funkspruch beim 
Admiralstab nach weiteren Befehlen. Viel wurde von einer Fahrt nach Schweden und von dortiger Jnter- 
nierung geredet. Ich glaube aber nicht, daß uns der liebe Gott bis hierher gebracht hat, um uns nun nicht 
weiterzubringen. 
10. November 1918. Gestern mittag kam ein Telegramm aus Berlin, daß wir auf jeden Fall nach 
Swinemünde fahren sollten. Wir nahmen also unseren alten Kurs wieder auf und kamen nach wenigen 
Stunden vor Saßnitz an. Auf unsere Anfrage erhielten wir von der Signalstation durch Morsespruch die 
Nachricht, daß Saßnitz und Swinemünde vollkommen regierungstreu seien. Von Saßnitz kam eine Motor- 
barkasse mit einem Kapitänleutnant, der uns genaue Nachrichten über die Zustände im Reich brachte. 
Darauf wurden „Alle Mann achteraus" gepfiffen, und uns wurde alles vom Ersten Offizier gesagt: daß 
die Flotte vollkommen in der Hand des Flottenchefs sei, daß die Empörung sich nur auf einige Städte des 
Reiches erstreckte. Die Stimmung war nun bei weitem freudiger und stolzer wie bisher. Der Nachmittag 
verging ruhig. Gegen 6 Ahr sichteten wir die Greisswalder Oie. Am 7 Ahr wurden schon die Boote klar 
zum Aussetzen gemacht. Da hielt es keinen mehr unter Deck. Alles, was Freiwache war, stand an Deck, 
und nach einer Stunde sichteten wir den Leuchtturm von Swinemünde. Ein Lotsendampfer kam längsseits 
und gab uns einen Lotsen an Bord. Bald darauf liefen wir in den Hafen ein. Das Anlegen an dem Kai 
dauerte ziemlich lange, um 10.45 Ahr lagen wir endlich fest, und wir Seekadetten konnten in die Koje gehen. 
Es tauchte noch gleich eine ganze Reihe von Gerüchten auf: der Kaiser hätte abgedankt. Swinemünde sei 
in den Händen des Soldatenrats, ebenso Berlin. Wieder wurden wir aus größter Freude in die tiefste 
Betrübnis und Mißstimmung versetzt. Angern nur ging ich schließlich um 11.15 in die Koje. — Heute 
morgen um 8 Ahr war Wecken und Hängemattenzurren. Gleich daraus wurden alle Mann auf die Schanze 
gerufen. Der Kommandant dankte uns für unsere Treue, die wir gegen Kaiser und Reich bewiesen hätten; 
er teilte uns mit, daß gestern nachmittag Deutschland zur Republik proklamiert sei, sagte, daß wir treu auch 
hinter der neuen Regierung stehen müßten. Ein jeder sollte es mit sich allein ausmachen, wenn ihm der 
Wechsel der Regierung naheginge. Dann kam er in seiner Rede wieder auf uns zurück, dankte uns nochmals 
und sagte, er wolle uns möglichst auch ein äußeres Zeichen der Dankbarkeit verschaffen, und so habe er die 
ganze Besatzung zum Eisernen Kreuz eingereicht. Wir hätten alle unsere Pflicht voll und ganz getan und 
daher alle die schöne alte Auszeichnung verdient. Dann traten wir weg. Wenn ich mich auch riesig freue, 
meine Schuldigkeit voll getan zu haben, so glaube ich doch keineswegs, daß wir das Eiserne Kreuz wirklich 
verliehen bekommen. Es wäre ja ganz wundervoll. Na, wir sind wenigstens eingereicht. Am Vormittag 
erfuhren wir, daß die Mannschaft der „Dresden" gemeutert, das Schiff geplündert und dann verlassen hätte. 
Mittags wurde uns noch gesagt, daß wir jetzt besonders scharfe Disziplin halten sollten, solange wir hier 
noch an Bord seien; bald würden wir ja doch nach Hause entlassen werden. Dieser Ausspruch ging mir wie 
ein Stich durchs Herz; denn soll so mein heiligster Wunsch noch zunichte werden? Es wäre mir ganz ent¬ 
setzlich, nach Hause geschickt zu werden und mein Blut und Leben nicht sür Kaiser und Reich einsetzen zu 
dürfen. Doch jetzt gibt es ja keinen Kaiser mehr! Wenn ich nur daran denke, es ist ganz entsetzlich. 
Hoffentlich dient die neue Regierung eifrig dem Wohl unseres geliebten deutschen Vaterlandes. 
Am Nachmittag wurden die an Bord Gebliebenen achteraus gerusen: Der Kommandant ließ 
uns herumschließen und las uns ein Telegramm des Flottenchefs, Admirals Scheer, vor: „Schlesien" 
stellt außer Dienst; die Besatzung bleibt an Bord bis auf weiteren Befehl!" Da war der gefürchtete 
Augenblick da, der Augenblick, den ich immer möglichst weit hinweg gewünscht habe! Dann traten 
wir wieder an, der Kommandant kommandierte: „Hol nieder Flagge und Wimpel! Oberdeck still¬
	        
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