Volltext: Entwicklung des Bolschewismus

Eduard Paul Danszky: Mamynha 
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ist ja gefunden. Er war aus irgendeinem Anlaß in die Spannfalte ihres Diwans gellemmt. 
Aber glauben Sie, Henny hätte bekannt, daß der kleine Assisi in ihrem Zimmer gewesen? 
Ich hab es von andrer Seite erfahren. Und nun reimen Sie sich die kleine Sache entsprechend 
zusammen." 
Mamynha war erstaunt, daß sie zu atmen vermochte, daß ihr Herz diesen emsigen, schüt¬ 
telnden Schlag hatte. Fehrbachs Verse fielen ihr ein, unsagbare Trauer überkam sie. Sie 
fragte: „Weiß Herr von Fehrbach davon? Ich meine von der Ringgeschichte." Thumayer 
verneinte. „Dann bitte ich Sie recht schön, ihm davon nichts zu sagen. Vielleicht zerstören 
Sie ihm etwas Schönes, ein wertvolles Erlebnis? Regen auch in ihm einen Verdacht auf?" 
„Was nicht gar?" lachte der Me. „Aber die gute Lehre, Frau Lotte, die so eine Sache gibt!" 
„Er geht in den Krieg!" sagte sie leise, „und, vielleicht werden Sie lachen, er gehört zu 
den Menschen, bei denen der Ring zum Glück gleich gefunden wird, verstehn Sie? Es bedarf 
darum keiner Warnung." 
Er lächelte ungemein alt, verbraucht, überwunden. „Sie haben recht, kleine, tapfere Frau. 
Dafür haben andere doch immer den Verlust, auch wenn ihre Ringe sich wiederfinden. Na, 
es sind kleine Eitelkeiten, daß man in meinem Alter Verluste so aufbauscht..., aber über die 
kleine Sache wird selbstverständlich geschwiegen." „Auch zu meinem Mann," sagte sie wieder 
errötend. In seinen Augen war ein Lächeln, wie ein Miasma. 
Am Heimweg sahen Mamynha und Fehrbach, während sie mit der Mamain vorausgingen, 
den Abendstern über den Chausseebbäumen. Sie empfingen ganz leuchtende Strahlen von 
ihm, bis an das Auge beinahe sichtbare Strahlen. Mamynha stellte fest, daß niemand sonst 
dieses ungewöhnliche Leuchten gewahr wurde. Sie fragte: „Woran denken Sie, Ferry?" 
„An den Krieg", sagte er, über das lapidare Wort verwundert und wie berührt von dem reinen 
zärtlichen Klang ihrer Stimme. Die Mamain hielt seine Hand umschlossen. Er wußte, daß 
sie Edoardo meinte. Mamynha war ihm ganz nah. Luft, Kleider schieden sie nicht mehr. 
Sie bat: „Schreiben Sie mir Ihr letztes Gedicht in meinen Ulenspiegel, auf das Vorblatt; 
ich verstehe es nun ganz." 
l^F'm folgenden Tag saßen sie allein im Garten vor der Urne. Fehrbach hatte gepackt, der 
^«-Generaldirektor war bei dem Feldmarschalleutnant zu Besuch, mit dem er die nächsten 
Folgen der Kriegserklärung besprach. Auch vom Semmering war angerufen worden. Die 
Zeitungen hatten das Manifest des alten Kaisers bereits in Sperrlettern gebracht. 
Mamynha war sehr bleich, aber ruhig, beinahe unbewegt, wie eine Relieffigur an der 
Lehne des Steinrondos. Fehrbach kämpfte mit Erschütterungen, welche der ruhelose Anblick 
des Hauses, des freundlichen Gartens ständig vermehrte. Seine Phantasie machte die Dinge 
einprägsam für immer, unverlierbar. Er wußte, daß er Mamynha in Wien noch sehen würde, 
erlebte indes den endgültigen Abschied schon jetzt durch die an alles bisher Besessene hin¬ 
gegebenen Augen, in welchen, wie ein Mosaik, die Sommerstunden waren. Er vergaß, was 
alles er der geliebten Frau mit Sprengung der Konvention hatte sagen wollen, stellte nur die 
irrsinnige Trostlosigkeit fest, daß die Achtzigjährige, wie unberührt von dem gewalttätigen 
Leben, den gekrümmten Rücken breit der Sonne darbot. Ihm war Wort und Gedanke versiegt. 
Mamynha war stärker. Sie begann: „Nun darf ich Ihnen alles sagen, auch hier vor Papa. 
Gott hat diese Heimsuchung gewollt, wir müssen sie beide tragen. Ich weiß, daß Sie sich 
nicht ausschalten können, wie sehr ich Sie auch zurückhalten möchte. In diesem Eingeständnisse 
haben Sie meine ganze leidende Seele, mein vor dem weglosen Leben schauderndes Herz." 
Ihre Hände hatten ihr Herz einige Sekunden umspannt, dann waren sie wie eine mit dem 
Blut dieses Herzens gefüllte Schale zu ihm bewegt. Sie sagte: „Aber vielleicht ist es gut so?" 
In ihren Augen war plötzlich ein schärferes, alles durchdringendes, zukunftprägendes Sehen, 
Prophetie. „Ja, es ist gut so", bestätigte diese visionäre Kraft in ihr. „Ich weiß, daß Sie 
nach langer Zeit zurückkehren werden, ganz heil und gesund und dann, dann, wenn der Himmel 
gleichsam selbst seinen Willen kundgetan, dadurch kundgetan, daß wir leben, daß wir beide
	        
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