Volltext: Entwicklung des Bolschewismus

Der deutsche Erzähler 
Die Mütter 
Novelle von Hans Arthur Thies 
eassenSie mich vorerst mit ein paar Worten die Bauart der Häuser beschreiben, in denen sich 
diese Geschichte begeben hat; ich werde mich dann im Gang der Erzählung nicht zu unter¬ 
brechen brauchen. 
Ich bin im Herbst vor einem Jahre in ein Dachzimmer dieses Häuserblocks eingezogen und 
habe die Einzelheiten des merkwürdigen Vorfalls teils selbst beobachtet, teils durch Nachfragen 
erfahren. Es ist ein Häuserblock von quadratischem Gmndriß, in dessen Mitte sich der Hof be¬ 
findet. Die beiden vornehmsten Häuser des Blockes sind ein Eckhaus und das daran anstoßende 
seitliche Haus, dessen Portal mit dem des Eckhauses in einer Front liegt. Die Wohn- und Reprä¬ 
sentationsräume liegen nach vorn, die übrigen Zimmer nach hinten hinaus. 
In dem Eckhaus wohnt die verwitwete Kommerzienrätin Maciewska; in dem daran an¬ 
stoßenden geraden Bau die ebenfalls verwitwete Baronin von Merveldt. Von den Front¬ 
fenstern aus können sich die beiden Damen nur bei ihren übrigens seltenen Ein- und Ausgängen 
beobachten; dagegen können sie über den Hof wechselseitig allerlei Einsicht in ihr Leben ge¬ 
winnen. Es gibt da kleine Anzeichen, deren Menge nur der übersieht, der mit anhaltendem 
und eindringlichem Eifer das Gegenüber beobachtet: herabgelassene Vorhänge, die Zeiten 
der künstlichen Beleuchtung, geschlossene und geöffnete Fenster und vieles dergleichen, was 
sich im Lauf der Zeit zu einem System zusammenschließen läßt. 
Man wird fragen, was die Schilderung eines unfeinen Beobachtens mit der Geschichte 
zweier vornehmer Damen zu tun hat, wie die Kommerzienrätin und die Baronin sind. Es hat 
nichts mit Eifersucht oder niedriger Neugier zu tun; es ist das Ergebnis eines sonderbaren 
Verhältnisses und die Folge eines Vorfalls, der einige Jahrzehnte zurückliegt. 
In ihrer Jugend — damals befand sich an der Stelle, wo heute die Häuser stehen, ein Park 
als Ende und Auslauf einer Allee — waren die beiden Damen Freundinnen gewesen. In 
jener Allee waren sie gefahren und geritten, in dem Park waren sie spazierengegangen und 
hatten sich ihre Hoffnungen und ihre jugendlichen Gefühle mitgeteilt. Das gute Verhältnis 
zwischen ihnen übertrug sich auf ihre Gatten, wenngleich, wie man sagt, ein leichter Abstand 
zwischen ihnen vom Augenblick der Verheiratung an entstand. Die Männer sollen sich eine Zeit¬ 
lang öfter gesehen haben als die Frauen. Nach Jahren renkte sich das wieder ein. Zu dieser Zeit 
wurde der Park niedergeschlagen und der Häuserblock erbaut, in dem beide Familien alsbald 
die benachbarten Wohnungen bezogen. Als die Kinder — bei Maciewskis ein Sohn und bei 
Merveldts eine Tochter, beide fast gleichaltrig — in das gesellschaftsfähige Mer kamen, wurden 
die geselligen Abende, die beide Familien gaben, häufiger als vorher. Da es nun ein — wenn 
auch unausgesprochenes — Zugeständnis zwischen ihnen war, keine Gesellschaft zu veranstalten 
ohne wechselseitige Einladung, so erregte es die Unruhe und das Mißtrauen beider Frauen, als 
nach einiger Zeit Anzeichen dafür auftraten, daß zwischendurch Abende ohne die Anwesenheit 
der Freunde stattfanden. Welche Familie mit dieser Ausschließung begonnen hat, weiß man 
nicht; es ist auch gleichgültig; denn die Aufklärung, die der seltsamen Angelegenheit bald folgte, 
macht diese Frage unwichtig. Die Ursache waren die Kinder. Es war die Absicht der Frauen, 
eine sichtbar zwischen den Kindern entstehende Neigung rechtzeitig abzubiegen. Die Männer
	        
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