Volltext: Entwicklung des Bolschewismus

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Entwicklung des Bolschewismus 
Uprawlenje); d. h.'„Staatliche politische Verwaltung" und klingt etwas harmloser. 
Die G.P.U. als „Staat im Staate" zu bezeichnen, trifft nicht den Kern, denn sie 
macht keine eigene Politik. Sie besitzt jedoch eine eigene Armee von ungefähr 250000 
Mann, die mit allen Waffen ausgerüstet ist: Artillerie, Flieger, Pioniere usw. Es 
ist uns nicht ganz klar, was diese G.P.U.-Armee (die im Kriegsfälle dem Kriegsmini¬ 
ster untersteht) für einen Sinn im Rahmen der G.P.U. hat; denn ihre Mannschaften 
sind nicht ausschließlich Parteiangehörige, sondern werden, wie die der Roten 
Armee, aus allen Schichten der Bevölkerung rekrutiert. Wahrscheinlich stellt sie eine 
Art von Gardetruppe dar. 
Die Rote Armee macht, soweit man es von außen beurteilen kann, einen guten 
Eindruck. Das prächtige Menschenmaterial des russischen Bauernvolkes läßt die 
Truppe frisch und gesund erscheinen. Die Bewaffnung ist modern, die Großkampf¬ 
ausrüstung jedoch (Tanks, schwere Artillerie, Flieger) spärlich. In der Roten Armee 
dienen zahlreiche frühere zaristische Offiziere, die aber meist niedrigere Kommando¬ 
stellen bekleiden als im alten Heer. Gewöhnlich, besonders soweit sie verantwortliche 
Posten haben, ist ihnen ein sogenannter politischer Offizier beigegeben, der sie über¬ 
wacht und für die Erziehung der Soldaten zu guten Kommunisten sorgen soll. 
Wiederholt haben führende Bolschewik! gesagt, daß es ihnen bei der Roten Armee 
nicht so sehr auf eine Truppe ankomme, die mit modern bewaffneten Großmächten 
kämpfen kann, als auf ein Instrument zur revolutionären Erziehung der bäuerlichen 
Jugend. Das dürfte der Wahrheit entsprechen. In den Kasernen und großen 
Sommerlagern der Armee sieht man mehr politische Propaganda- als militärische 
Einrichtungen. Jede Kompagnie hat ihr eigenes Unterrichtszeit, ihre „Leninecke" 
(eine Art von Hausaltar), ihre „Wandzeitungen" usw. Ob dieser in der Idee zweifel¬ 
los vortreffliche Propaganda-Apparat bei den auf ihr Dorf heimkehrenden Reser¬ 
visten nachhaltige Wirkung ausübt, ist heute noch kaum zu beurteilen1). 
Die Nationale Tatenpolitik 
Ein Wort über die Stellung des Judentums in Sowjet-Rußland. Es ist richtig, daß 
die Zahl der Juden im politischen und wirtschaftlichen Apparat des Staates außer¬ 
ordentlich hoch ist. Jedoch hat das Regime, das sorgfältig die Volksstimmung be¬ 
obachtet, einen gewissen Abbau des jüdischen Elements in der sichtbaren Führer¬ 
schaft vorgenommen; darüber hinaus aber muß man sagen, daß das Regime selbst 
kein ausgesprochen jüdisches Gesicht trägt. Auch ist es nicht so, daß die Juden 
anders oder besser behandelt würden als andere Nationalitäten der Sowjetunion. 
Jüdische Bürger, Kapitalisten und Schieber werden genau so schlecht behandelt wie 
russische oder grusinische oder tatarische. Trotz des überlieferten russischen Anti¬ 
semitismus besteht keine Judenfrage im europäischen Sinn; denn keinem Russen 
und keinem russischen Juden würde es einfallen, den letzteren als Nationalrussen zu 
bezeichnen; er ist eben Jude wie der andere Großrusse, der Dritte Ukrainer, Arme¬ 
nier usw. Die Vorherrschaft der Großrussen im alten Reich hat keine solche Ver¬ 
schmelzung der Nationalitäten gezeitigt wie im europäischen Westen. 
Damit sind wir bei der Nationalitätenpolitik und scheuen uns nicht, zu sagen, 
daß die des Bolschewismus geradezu genial ist. Es kann keine Rede davon 
sein, daß die bolschewistische Pflege des Nationalstolzes dazu dienen solle, die 
einzelnen Völker gegeneinander auszuspielen und dadurch ungefährlicher zu machen. 
Natürlich widerspricht diese Pflege des Nätionalstolzes dem kommunistischen Ideal 
und ist den Bolschewik! nur Mittel zu dem Zweck, die Einzelvölker, die besonders im 
asiatischen Süden vom Zarismus brutal unterdrückt wurden, dem System freundlich 
zu stimmen. Aber der Erfolg bleibt der gleiche: noch niemals sind die im russischen 
Reich vereinigten Völker so stolz auf ihr Volkstum gewesen wie heute. Die Ukrainer» 
*) Über die Allgemeine Wehrpflicht und die militärische Jugenderziehung vgl. die Auf¬ 
sätze von Ernst Drahn und Theodor Seibert im Aprilheft 1926 der S. M. „Militärische Schu¬ 
lung der Jugend im Ausland, S. 30 ff.
	        
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