Am nächsten Sonntag werde ich den Brief los. Der Muff
hält still. Den folgenden Gottesdienst überspringe ich, um
nicht aufzufallen. Es kann ja auch noch keine Antwort da sein.
Die Herren ahnen nicht, was ich in der Kirche angesponnen
habe, nur einen weihe ich ein, den kleinen Dragoner „Kümmel".
Das nächste Mal gehen meine unbekannte Freundin und
ich zusammen die Treppe hinunter. Ich halte meine Pelz-
mütze in der Hand, damit sie den Brief, der in ihren Fingern
schimmert, hineinwirft. Sie tut es nicht— wir stehen zu frei —,
sagt aber rasch: „Ihr Vater geflohen, augenblicklich in Japan."
Menschen schieben sich zwischen uns.
Vater geflohen, in Japan! Das ist die erste Nachricht von
ihm seit Kriegsausbruch.
Ostersonntag ist da, ein schönes, sonniges Ostern mit
Kätzchen und Grün. Ich habe mich nicht verrechnet, die Kirche
ist gesteckt voll, die Menschen stehen bis auf die Straße. Eine
Aufsicht ist nicht möglich, außerdem habe ich einen Zivilmantel
an, der mit hochgeschlagenem Kragen die Uniform verdeckt.
Platz suchend dränge ich mich durch die Menge dem Ausgang
zu, komme unbemerkt an den Posten in der Tür vorbei. Ein
paar Sätze, und ich bin oben auf dem Chor. Auch hier dicht
gedrängt Menschen. Am Harmonium steht die Dame mit einer
anderen, anscheinend ihrer Schwester. Hier oben ist kein Militär,
nur Zivil, meist Frauen. Heute muß ich viel schaffen. Meine
Landsmännin reicht mir ein Gesangbuch, ich schlage es auf und
finde einen Brief, den ich in den Ärmel rutschen lasse und später
in die Lasche. Wir singen, singe» ganz laut. Frage und Ant
wort singen wir uns zu. Im Choral huscht das Schicksal meines
Vaters vorbei. Es ist Geld angekommen, das die Damen vor
läufig aufheben. Meine Verwandten sind sehr vorsichtig, habe»
scheinbar nicht verstanden, was ich in meinem Brief mit den
Beschreibungen und versteckten Anspielungen sagen will. .